The Project Gutenberg EBook of Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil, by
Heinrich Eduard Brockhaus
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Title: Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil
Sein Leben und Wirken
Author: Heinrich Eduard Brockhaus
Release Date: January 15, 2014 [EBook #44677]
Language: German
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH ARNOLD BROCKHAUS - ERSTER THEIL ***
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Friedrich Arnold Brockhaus.
Erster Theil.
[Illustration: Portrait]
~Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.~
Friedrich Arnold Brockhaus.
Sein Leben und Wirken
nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert
von
seinem Enkel
Heinrich Eduard Brockhaus.
Erster Theil.
Mit einem Bildniß nach Vogel von Vogelstein.
[Illustration Verlagsemblem]
Leipzig:
F. A. Brockhaus.
1872.
Vorwort.
Am 4. Mai dieses Jahres sind hundert Jahre seit dem Tage verflossen, an
welchem
#Friedrich Arnold Brockhaus#
geboren wurde. Dem Gedächtnisse des Verewigten sollen bei dieser
Jubelfeier nachfolgende Blätter geweiht sein.
* * * * *
Kaum mehr als die Hälfte dieses Zeitraums war ihm zu leben vergönnt:
am 20. August 1873 werden es funfzig Jahre, daß er im kräftigsten
Mannesalter den Seinigen und seinem Wirken entrissen worden ist. Und
nur achtzehn von den einundfunfzig Jahren seines Lebens wirkte er in
dem Berufe, zu dessen hervorragendsten und verdientesten Vertretern er
gehört.
Was er in dieser kurzen Spanne Zeit erstrebt und geschaffen, gibt ihm
den Anspruch darauf, daß sein Gedächtniß in Ehren gehalten, sein Leben
und Wirken der Nachwelt vorgeführt werde. Friedrich Arnold Brockhaus
verdient ein Blatt in der Geschichte des deutschen Buchhandels, und der
Versuch, ihm ein solches zu widmen, bedarf darum keiner Rechtfertigung.
Dagegen erscheint eine Erklärung nöthig, weshalb ein solcher Versuch
nicht schon früher gemacht wurde.
Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß für eine Biographie desselben
nur ein ungenügendes, geringes und lückenhaftes Material vorhanden
ist. Deshalb kam auch die bald nach seinem Tode von einem Freunde,
Professor Friedrich Christian August Hasse in Dresden, gehegte Absicht,
ihm ein literarisches Denkmal zu errichten, nicht zur Ausführung, obwol
er vor Vielen dazu berufen und befähigt gewesen wäre. Aus gleichem
Grunde trat in späterer Zeit der Gedanke an eine ausführlichere
biographische Schilderung immer mehr in den Hintergrund, je weniger es
trotz mehrfacher Bemühungen gelingen wollte, jene Lücken auszufüllen.
Die an den Tagen des 13. und 14. Juli 1856 begangene Jubelfeier des
funfzigjährigen Bestehens der Firma F. A. Brockhaus ließ den Wunsch nach
einer Lebensschilderung ihres Begründers wieder lebhafter hervortreten,
und sein hundertjähriger Geburtstag erschien als der passendste
Zeitpunkt zur Ausführung.
Der Unterzeichnete, ein Enkel des Verstorbenen, übernahm die schwierige
Aufgabe; er fühlt vor allem die Verpflichtung, sich wegen dieses
Wagnisses zu entschuldigen, und muß dabei zunächst von sich selbst
sprechen.
* * * * *
Wie mein Vater Heinrich Brockhaus, der seit dem Tode seines Vaters, bis
1850 zusammen mit seinem ältern Bruder Friedrich, an der Spitze des
Geschäfts steht, und dessen funfzigjährige buchhändlerische Wirksamkeit
wir gleichzeitig mit dem hundertjährigen Geburtstage seines Vaters
feiern können, und wie mein jüngerer Bruder Heinrich Rudolf, habe ich
es mir zur Lebensaufgabe gemacht, die Firma F. A. Brockhaus im Geiste
ihres Gründers fortzuführen. Seit über 20 Jahren ihr angehörend, hegte
ich von jeher den lebhaften Wunsch, mich mit dem Leben meines Großvaters
näher bekannt zu machen und es dann auch Andern zu schildern. Meine
hohe Achtung für ihn und sein Wirken als Buchhändler stieg immer mehr,
je vertrauter ich mit seinen Schöpfungen wurde. Ich beschäftigte
mich eingehend mit dem trotz der Lückenhaftigkeit sehr umfänglichen
Material an Briefschaften sowie mit den Verlagsartikeln unserer Firma
aus jener Zeit, und es gelang mir auch wenigstens von einigen Seiten
wichtige Vervollständigungen jenes Materials zu erlangen. Als diese
wichtige Vorarbeit beendigt war, erkannte ich freilich, daß es nur
verhältnißmäßig Weniges sein würde, was ich daraus zusammenstellen
könnte, doch aber mußte ich mir sagen, daß es zu bedauern wäre, sollte
auch dieses Wenige verloren gehen. So ist es mir als Pflicht erschienen,
lieber das zu geben, was ich geben konnte, als, vor der Schwierigkeit
der Aufgabe zurückschreckend, die bessere Ausführung einer ungewissen
Zukunft zu überlassen.
Denn auch die Ueberzeugung mußte ich bald gewinnen, daß ein ferner
Stehender oder einer spätern Generation Angehörender noch weniger im
Stande sein würde, ein einigermaßen treues Lebensbild meines Großvaters
zu entwerfen. Ich habe ihn allerdings nicht mehr persönlich gekannt --
er starb sechs Jahre vor meiner Geburt; aber außer meinem Vater theilte
mir mein Onkel, Professor Hermann Brockhaus, der mich auch bei meiner
Arbeit vielfach durch seinen Rath unterstützt hat, manches Nähere über
mir sonst unbekannt gebliebene Verhältnisse mit, und ich konnte dadurch
sowie durch mündlichen und schriftlichen Verkehr mit Männern, die ihn
noch selbst gekannt hatten, jenen für einen Biographen stets mislichen
Mangel einigermaßen ersetzen.
Als bloßen Versuch einer Biographie bitte ich aber meine Schilderung
anzusehen und, wenn sie selbst geringe Erwartungen nicht befriedigen
sollte, dies wenigstens zum Theil Umständen, die außer mir liegen,
zuzuschreiben.
Ich bin nicht berufsmäßiger Schriftsteller, sondern praktischer
Geschäftsmann; außer der selbst bei vollständiger Befähigung
erforderlichen Uebung fehlte mir aber auch die zu einer bessern Lösung
der Aufgabe nöthige Zeit.
Mit an der Spitze eines umfangreichen Geschäfts stehend, konnte ich nur
die wenigen Stunden der Muße und die sonst der Erholung bestimmte Zeit
zuerst auf die Lektüre der Tausende von Briefen sowie der einschlagenden
Literatur, dann auf die Ausarbeitung verwenden. So habe ich auf dem
Comptoir und zu Hause, auf dem Redactionsbureau und auf dem Reichstage,
namentlich aber auf Erholungsreisen, in Dresden und Thüringen, im
Seebade auf der Insel Wight und der Insel Sylt, seit Jahren fast
jede freie Stunde, seltener einige Wochen, der Arbeit gewidmet. Eine
zusammenhängende längere Zeit ausschließlich für sie zu gewinnen war mir
unmöglich.
* * * * *
Meine nächste Absicht war ferner nur die: den Mitgliedern der Familie
sowie den Angehörigen und Freunden unserer Firma ein Lebensbild
von Friedrich Arnold Brockhaus darzubieten, aus seinen und aus den
an ihn gerichteten Briefen das nach meiner Ansicht Wesentliche und
Charakteristische mitzutheilen, und nur so viel, als zum bessern
Verständniß desselben ganz nothwendig erschien, hinzuzufügen. Erst
während der Arbeit gewann ich die Ansicht, daß meine Mittheilungen
doch auch für weitere Kreise, zunächst für den deutschen Buchhandel,
Interesse haben könnten, und ich entschloß mich deshalb, sie nicht, wie
anfänglich beabsichtigt, blos als Manuscript für die Familie und für
Freunde drucken zu lassen, sondern sie auch allgemein zugänglich zu
machen. Ich hoffe damit zugleich meinerseits eine Anregung zu geben,
daß auch andere Buchhandlungen künftig mehr als bisher Mittheilungen
aus ihren Geschäftspapieren als Beiträge zu einer leider noch nicht
geschriebenen Geschichte des deutschen Buchhandels veröffentlichen.
Manche der abgedruckten Briefe und andern Actenstücke sowie die mit
möglichster bibliographischer Genauigkeit angefertigten Uebersichten
über die Verlagsthätigkeit meines Großvaters dürften wol auch auf
ein literarhistorisches Interesse Anspruch machen. Bei letztern hat
mir besonders der gleichzeitig mit diesem Buche von meinem Vater
herausgegebene chronologische Katalog der von 1806 bis 1872 im Verlage
der Firma F. A. Brockhaus erschienenen Werke, mit biographischen und
literarischen Notizen, treffliche Dienste geleistet.
* * * * *
Was die bei meiner Arbeit befolgte Methode betrifft, so habe ich es mir
zur Pflicht gemacht, die Auszüge aus Briefen und andern Aufzeichnungen
meist mit den Worten der Verfasser wiederzugeben, nicht in Bearbeitung.
Dieser wichtigste Bestandtheil der Arbeit ist von meinen mehr als
verbindendes Glied dienenden Bemerkungen auch äußerlich durch den
Druck unterschieden. Ich weiß, daß von Vielen die entgegengesetzte
Art, die Verarbeitung von Briefen und sonstigen Actenstücken zu
einer selbständigen neuen Schöpfung des Biographen, vorgezogen wird.
»Friedrich Perthes' Leben« von dessen Sohne Clemens Theodor Perthes
ist das mustergültige Beispiel einer in dieser Weise ausgeführten
Biographie. Allein abgesehen davon, daß eine solche Behandlung einen
Meister der Biographie verlangt, als welcher sich der Verfasser jenes
Werks bewährt und dasselbe zu einer Zierde unserer Literatur gemacht
hat, gestattete mir schon die Beschaffenheit meines Materials ein
ähnliches Verfahren nicht. Aus manchen Lebensperioden meines Großvaters,
zum Theil den wichtigsten, war so gut wie nichts vorhanden, über seine
Jugend und sein erstes Mannesalter wesentlich nur ein von ihm selbst
verfaßter Rückblick, während aus andern Jahren wieder zahlreichere
Mittheilungen vorlagen. So blieb mir nach reiflicher Prüfung nichts
Anderes übrig, als das Wenige, was ich fand, möglichst vollständig
und wortgetreu zu veröffentlichen. Daraus erklärt und entschuldigt
sich auch die größere Ausführlichkeit mancher minder wichtiger, die
verhältnismäßige Kürze anderer wichtigerer Abschnitte.
Da ich den Namen Friedrich Perthes genannt habe, kann ich es mir
nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß der hundertjährige Geburtstag
beider Männer beinahe zusammenfällt und daß ich diese Zeilen zum
Gedächtniß von Friedrich Arnold Brockhaus gerade an dem hundertjährigen
Geburtstage von Friedrich Perthes niederschreibe. Perthes und
Brockhaus gehören unzertrennlich zueinander als zwei Männer, auf die
der deutsche Buchhandel gleichmäßig stolz sein kann. Wie in ihrer
Geburt, so berührten sie sich auch vielfach in ihrem Leben und Wirken
als Buchhändler und als deutsche Patrioten; wie sie persönlich nahe
befreundet waren, werden auch nach dem Tode ihre Namen zusammen
fortleben.
Daß ich in dem von mir Geschilderten nicht allein den Gründer unserer
Firma, sondern auch meinen Großvater verehre, hat mich nicht abgehalten,
die erste Pflicht jedes gewissenhaften Biographen: immer die Wahrheit
und zwar die volle Wahrheit zu sagen, auszuüben und obenan zu stellen.
Ich habe dies auch in solchen Fällen gethan, wo die Erfüllung dieser
Pflicht mir nicht leicht wurde, und alle entgegenstehenden Bedenken
fallen lassen. Auch Privatverhältnisse glaubte ich nicht übergehen oder
mich auf bloße Andeutungen darüber beschränken zu dürfen, wenn ihre
Vorführung zur Schilderung des äußern Lebens oder zur Charakterisirung
wesentlich erschien.
Auch einen andern Fehler, in den häufig Biographen verfallen, bin ich
bestrebt gewesen zu vermeiden: den von mir oft empfundenen Uebelstand,
daß der Geschilderte lediglich verherrlicht und als Mittelpunkt der
ganzen Zeit, in der er gelebt und gewirkt, hingestellt wird.
* * * * *
Nur die Hälfte meiner Arbeit lege ich gegenwärtig vor und habe sie als
ersten Theil bezeichnet, da sich während der Abfassung und nach schon
begonnenem Drucke bald die Unthunlichkeit herausstellte, das Ganze in
einem Bande und zu dem gebotenen Termine zu vollenden.
Dieser erste Theil schildert das Leben von Friedrich Arnold Brockhaus
bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig und zwar zunächst die Jugend
und sein erstes Wirken in Dortmund, dann die Zeit in Amsterdam, darauf
die Zwischenperiode vor seiner Niederlassung in Altenburg, endlich die
in Altenburg verlebten Jahre. Das beigegebene Bildniß ist nach einem
von dem Maler Vogel von Vogelstein in Dresden gezeichneten Porträt
gestochen, das als sehr getroffen gilt.
Der zweite Theil ist dem leider nur sehr kurzen Wirken des Verewigten
in Leipzig gewidmet und soll außer seiner dort entwickelten lebhaften
Verlagsthätigkeit auch die zahlreichen literarischen Streitigkeiten
schildern, in die er damals verwickelt wurde, seine Kämpfe gegen
den Nachdruck und für eine gesetzliche Regelung der deutschen
Preßgesetzgebung, die durch eine Recensur seines Verlags in Preußen
entstandenen Schwierigkeiten, endlich die letzte Lebenszeit.
Diesen zweiten Theil hoffe ich dem ersten bald folgen lassen und damit
das Werk vollständig vorlegen zu können.
* * * * *
Zum Schluß fühle ich noch die Verpflichtung, allen Denen zu danken, die
mich durch Ueberlassung von Briefen, durch Ertheilung von Auskünften
oder in anderer Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben. Ihre Zahl ist
so groß, daß ich darauf verzichten muß, ihnen hier einzeln meinen Dank
auszusprechen.
Freilich kann ich aber auch nicht umhin, zugleich der Hoffnung Ausdruck
zu geben, daß mir aus Anlaß der Veröffentlichung dieses ersten Theils
noch manche werthvolle Beiträge zur Ausfüllung der vorhandenen Lücken
zufließen werden. Diese Ergänzungen sowie jede Berichtigung meiner
Darstellung werde ich auf das gewissenhafteste und dankbarste benutzen.
* * * * *
Ich empfehle meine Arbeit dem Wohlwollen und der Nachsicht meiner Leser.
#Leipzig#, 21. April 1872.
_Dr._ Heinrich Eduard Brockhaus.
Inhalt des ersten Theils.
#Vorwort# V
#Erster Abschnitt.# Anfänge.
1. Vorfahren. 3
2. Jugendzeit und erstes Mannesalter. 14
3. Der Hiltrop'sche Proceß. 21
4. Ein Rückblick. 33
#Zweiter Abschnitt.# In Amsterdam.
1. Kaufmännische Thätigkeit. 41
2. Errichtung einer Buchhandlung. 49
3. Erste journalistische Verlegerthätigkeit. 60
4. Weitere Verlagsthätigkeit. 83
5. Reisen zur leipziger Buchhändlermesse. 101
6. Zerwürfnisse mit Baggesen. 121
#Dritter Abschnitt.# Von Amsterdam nach Altenburg.
1. Ende des amsterdamer Aufenthalts. 155
2. Vier Monate in Leipzig. 181
3. Beziehungen zur Hofräthin Spazier. 190
4. Abschluß der amsterdamer Zeit. 223
#Vierter Abschnitt.# In Altenburg.
1. Neues Leben. 251
2. Neue Verlagsthätigkeit. 270
3. Die »Deutschen Blätter«. 306
4. Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit. 356
Erster Abschnitt.
Anfänge.
1.
Vorfahren.
Die Familie, welcher Friedrich Arnold Brockhaus entstammt, gehört
Westfalen an, wo sie sich durch zwei Jahrhunderte verfolgen läßt; sie
ist dort noch jetzt in mehrern Zweigen vertreten, während er selbst und
die von ihm gegründete Firma sich in Leipzig niedergelassen haben.
Die Vorfahren von Friedrich Arnold Brockhaus waren fast sämmtlich
geistlichen Standes, und unter ihnen befindet sich eine Reihe verdienter
evangelischer Pastoren; auch viele Glieder der in ihrem Vaterlande
gebliebenen Zweige der Familie haben sich diesem Berufe wieder gewidmet.
Der Erste des Namens Brockhaus, von dessen Leben etwas bekannt ist,
war Adolf Heinrich Brockhaus, Pastor zu St.-Thomä in Soest, geboren
in Altena (einer kleinen Stadt im westfälischen Sauerlande, nahe bei
Lüdenscheid), 1699 ordinirt und 25 Jahre lang, bis 1724, in seinem
Amte wirkend. Im Kirchenbuche wird gesagt, daß er ein sehr tüchtiger,
fleißiger, ehrsamer, von Allen geliebter Pastor war und an seiner
Beerdigung die ganze Gemeinde theilnahm. Er war verheirathet mit
Margarethe Katharine Sybel, einer alten Predigerfamilie in Soest
angehörend, mit welcher die Familie Brockhaus noch mehrfach in
Verwandtschaftsverhältnisse trat.
Aus früherer Zeit ist über die Familie nichts Sicheres zu erfahren,
da die ältern Kirchenbücher von Altena nicht mehr vorhanden sind. Wir
wissen deshalb auch nicht, ob die Familie schon länger in Altena lebte
oder von anderswoher dahin gekommen war. In Altena wird zwar noch ein
Vorfahr, Eberhardt Brockhaus aus Unna, seit 1665 als Vicar (zweiter
Prediger) genannt[1]; aber auch über ihn und seine Verwandtschaft mit
dem Pastor Adolf Heinrich ist nichts bekannt. Nach Familientraditionen
sollen die Vorfahren schon seit den Anfängen der Reformation lutherische
Prediger in Westfalen gewesen sein.
* * * * *
Mit dem bekannten holländischen Philologen und Dichter Brockhusius
(eigentlich Jan van Broekhuizen, gewöhnlich Janus Broukhusius genannt),
geb. 20. November 1649 zu Amsterdam, gest. 15. December 1707, scheint
die westfälische Familie Brockhaus in keinem Zusammenhang zu stehen. Die
vielfach verbreitete Annahme, daß dies der Fall sei, beruht außer auf
der Aehnlichkeit beider Namen wahrscheinlich nur darauf, daß Friedrich
Arnold Brockhaus eine Zeit lang in Amsterdam gelebt hat.
Mit dem Geschlechte der Erp oder Erpp von Brockhauß (auch Brockhuß und
Brockhausen geschrieben) läßt sich ebensowenig eine Verwandtschaft
nachweisen, obwol sie wahrscheinlich ist, da diese Familie gleichfalls
aus Westfalen zu stammen scheint. Der Bekannteste aus derselben ist
Simon Anton Erp von Brockhauß oder Brockhausen, geb. 14. Mai 1611 zu
Lemgo, 1647 Professor der Rechte am Gymnasium zu Bremen, 1650 Rathsherr,
1665 Gesandter auf dem Reichstage zu Regensburg, später Bürgermeister
von Bremen, gest. 18. November 1682.[2] Auf dem Titel seiner 1640 in
Helmstedt gedruckten Doctordissertation: »_De litis contestatione_«,
ist er ausdrücklich als Westfale bezeichnet. Nach mehrern auf der
Bibliothek zu Bremen aufbewahrten Fliegenden Blättern hieß sein Vater
Johann Erp von Brockhauß und war »_Utriusque juris Doctor_, der
fürstlichen Aebtissin zu Hervord, Gräflich Bentheim-Tecklenburg'scher
und Lippe'scher Geheimrath und Hofgerichtsassessor«, sein Großvater
Tilemann Erp von Brockhauß war »Hochgräflich Hoy'scher und Lippe'scher
Geheimrath und Drost zu Hoya, Ucht und Freudenberg«. Jahreszahlen sind
bei Beiden nicht angegeben. Simon Anton hinterließ keine Söhne, nur
zwei Töchter, sodaß mit ihm der Mannesstamm erlosch. Dagegen ist auf
einer juristischen Dissertation aus Helmstedt: »_De nuptiis_«, 1654
gedruckt, als Verfasser Anton Christian Erp Brockhuß genannt, mit dem
Zusatz _Old._ (aus Oldenburg), jedenfalls der Abkömmling eines andern
oldenburger Zweigs der Familie.
In keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu der westfälischen Familie
Brockhaus scheint das pommersche Geschlecht Brockhausen zu stehen, das
in alten Urkunden Brockhuß, später aber auch Bruckhausen und Brockhusen
geschrieben wird. Der erste 1511 urkundlich Genannte dieses Geschlechts
ist Jürgen Brockhuß zu Groß-Justin im Kreise Cammin. Ein Nachkomme
desselben war der preußische Staatsminister Karl Friedrich Christian
Georg von Brockhausen (gest. 1829).
* * * * *
Ein Sohn des zuersterwähnten Pastors zu St.-Thomä in Soest, ebenfalls
mit Namen Adolf Heinrich Brockhaus, wurde 1740 von einer andern Gemeinde
der Stadt Soest, der zu St.-Walpurgis, zum Pastor gewählt. Seine Tochter
Josina verheirathete sich mit einem Pastor Sybel in Soest; ihr Enkel ist
der Geschichtschreiber Heinrich von Sybel in Bonn.
Ein anderer, wahrscheinlich älterer Sohn des Pastors zu St.-Thomä,
Johann Diederich Melchior Brockhaus, geb. 1. Februar 1706, wurde mit 23
Jahren, am 1. December 1728, zum Pastor in Meyerich bei Kirch-Welver
erwählt (beide Orte liegen zwischen Soest und Hamm, das Dorf Meyerich
westlich, die Kirche zu Welver östlich, von schönem Eichenwald umgeben;
in Meyerich befindet sich das Pfarrhaus, während die Kirche der Gemeinde
in Welver steht). Er starb 70 Jahre alt, am 16. November 1775, nachdem
er sein Amt 47 Jahre lang bekleidet hatte.
Johann Diederich Melchior Brockhaus hat in dem Kirchenbuche von Welver
außer den kirchlichen Notizen hier und da besondere Ereignisse aus
seiner amtlichen Thätigkeit verzeichnet, die ihn selbst trefflich
charakterisiren und zugleich als interessante Beiträge zur Zeit- und
Sittengeschichte aufbewahrt zu werden verdienen.
Die erste und ausführlichste Mittheilung, durch die Ueberschrift »_In
memoriam successorum_« als ein Fingerzeig für seine Amtsnachfolger
bezeichnet, betrifft einen Conflict des eifrig protestantisch gesinnten
Pastors mit einem katholischen Kloster. Dieses, ein Nonnenkloster,
befand sich ganz in der Nähe der Kirche zu Welver, und seine
Nachbarschaft scheint dem würdigen Pastor Melchior viel Sorge und Kampf
bereitet zu haben.
Ueber die kirchlichen Verhältnisse daselbst sagt ein competenter
Geschichtschreiber[3]:
Die Reformation ward in Welver definitiv im Jahre 1565 eingeführt.
Freilich werden schon vorher evangelische Prediger genannt; allein
die Gemeinde war erst seit dem genannten Jahre dem evangelischen
Bekenntniß entschieden zugethan. Nur das in Welver befindliche
freiadeliche Cistercienserinnenkloster, welches über die Pfarrei das
Collationsrecht hatte, blieb katholisch. Der evangelischen Gemeinde
erwuchsen hieraus oft die schwersten Bedrängnisse. Namentlich
hatte dieselbe zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zu leiden,
indem ihr durch Militärgewalt die Kirche entzogen und in derselben
der katholische Gottesdienst restaurirt wurde. Doch bald nach dem
Friedensschluß wurde am 19. December 1649 auf Befehl des Kurfürsten
Friedrich Wilhelm durch den Drosten von Neuhoff zu Altena und den
Richter _Dr._ Zahn zu Unna unter Hinzuziehung des Magistrats von Soest
den Evangelischen die Pfarrkirche wieder überwiesen.
Späterhin machte das Kloster wiederholt den Versuch, durch seinen
Beichtiger in der Gemeinde Parochialhandlungen verrichten zu lassen.
Ein hierdurch veranlaßter heftiger Rechtsstreit wurde endlich durch
ein Decret vom 1. September 1709 dahin entschieden, daß dem Kloster
nur das Recht, innerhalb seiner Ringmauern (aber nicht außerhalb
derselben) Ministerialhandlungen verrichten zu lassen, zuerkannt wurde.
Aus Anlaß dieser Verhältnisse entstanden natürlich häufige Reibungen
zwischen dem evangelischen Pastor und der Aebtissin des katholischen
Klosters. Die erwähnte eigenhändige Mittheilung des Pastors Melchior
lautet:
Nachdem der zeitige evangelisch-lutherische Prediger zu Welver,
Johann Diederich Melchior Brockhaus, vernommen, daß die Nonnen zu
Welver bei ihrer abgöttischen Procession ihre Knechte pflegten
zu gebrauchen, daß sie den sogenannten Himmel (worunter das
_abominabile_[4] getragen wird) und die Fahnen (die vorhergetragen
werden) müssen tragen, und _anno_ 1732 vier lutherische Knechte aus
hiesiger Gemeinde im Kloster wohnen, so habe ich als ihr Seelsorger
dieselben Knechte zu vier verschiedenen Malen gewarnt, sich dieser
Abgötterung nicht theilhaftig zu machen, auch bedroht, daß ich sie
im Contraventionsfalle ohne vorhergehende Kirchenbuße nicht zum
heiligen Nachtmahl administriren würde, nämlich 1) _privatim_, 2) im
Beichtstuhl, 3) ordentlich auf der Kanzel _Dom. VI. p. pascha_ und 4)
am heiligen Pfingsttage nach der Nachmittagspredigt auf der Kanzel.
Demungeachtet aber hat die damalige unruhige _abdissin Biscopime_
zwei von diesen Knechten durch 4 Butten Bier dazu _persuadirt_ oder
gezwungen (wie so hernach _coram protocollo ecclesiastico_ gestanden),
daß Einer die Fahne, die Anderen den blauen Himmel tragen sollten
und sind vor der _monstrance_ in die Knie gefallen. Wie ich nun am
folgenden Sonntage die Bosheit dieser Knechte öffentlich bestrafte
und sie 2 mal ins Kirchengebet geschlossen, schickte die verwegene
_abdissin_ 3 Kerls zu mir ins Haus und ließ mich fragen, warum ich
gegen ihre Knechte so scharf gepredigt. Darauf ich aber die Antwort
gab, sie sollten den Nonnen wiedersagen, sie haben sich um mein Amt
gar nicht zu kümmern und wäre ich allein verbunden Gott und unserm
Könige Rechenschaft davon zu geben. Darauf fragte ich die 3 Kerls, wie
sie daran kämen, daß sie mich in meinem Hause zur Rede stellten, nahm
den Besen und jagte sie zum Hause heraus.
Wie nun nach einiger Zeit die Knechte zum heiligen Abendmahl gingen,
mußten sie sich erst ordentlich durch die Kirchenbuße mit der Gemeinde
aussöhnen.
Darauf wurde nun diese Sache in _Cleve_ anhängig gemacht, da denn
sowohl an den Großrichter, als an den _Magistrath_ ein _rescript_
kam, die Sache genau zu untersuchen und die _interessirten persohnen_
eidlich abzuhören, damit die _abdissine_ sich nicht zu beschweren habe.
Wie nun kurz darauf diese unruhige _abdissine_ wegging und ich bei
_Installation_ der neuen _abdissine_ ins Kloster zu Meßen genöthigt
wurde, begehrte der Praelate von Campen nebst den Nonnen von mir, daß
ich mich doch bemühen möchte, die Sache gütlich abzuthun. Die vorige
_abdissine_ sei eine unruhige Persona gewesen, sie wollten dergleichen
nicht wieder anfangen. Darauf antwortete ich ihnen, wenn sie mir die
Kosten wollten wiedergeben, die an diesen _process_ gelegt, und daß
sie es nicht wiederthun wollten, könnte die Sache liegenbleiben. Kurz
darauf haben sie mir 10 Reichsthaler rechtlich ausbezahlt.
Nach einer Küsterwahl, die nicht nach seinem Willen erfolgte, schreibt
Pastor Melchior ins Kirchenbuch:
Wenn nun dieser junge Mensch seinem Amte keine Genüge thun sollte
und sonderlich die Jungens in der _information_ versäumen, so fordere
ich, daß die Verwahrlos'ten von meinen Händen nicht gefordert
werden. Dem allwissenden Gott, wie auch meiner ganzen Gemeinde ist
bekannt, daß ich auf ein tüchtiges _subjectum_ sehe, nämlich auf den
Schulmeister in _Catrop_. Ich habe aber der Gewalt weichen müssen. Was
nun verwahrlos't und versäumt wird, das kommt auf die Menschen, welche
diesem jungen Menschen dazu behülflich gewesen.
Bei einer andern Küsterwahl trägt der Pastor mit Stolz ins Kirchenbuch
ein, daß er das katholische Kloster durch ein drastisches Mittel, wie
er sie überhaupt geliebt zu haben scheint, verhinderte, an derselben
theilzunehmen:
Das Kloster schickte (wie das wohl geschehen sollte) den Vogt in die
evangelische Kirche, daß er im Namen des Klosters votiren sollte. Ich
fragte ihn, was er wollte? Nichts. Darauf nahm ich den Chorstock[5]
und trieb ihn vor mir her zum großen Gelächter der ganzen Gemeinde aus
der Kirche und ließ die Kirche zuschließen.
Ist also dieser Küster ohne _consens_ und _collation_ des Klosters
erwählt, es ist auch bei der Wahl Niemand vom Rathhause zugegen
gewesen; auch über 1½ Jahr von mir allein in Gegenwart des
Lehnherrn auf dem Chor eingeführt und ist kein Vogt dabei gewesen.
Endlich hat der Pastor Melchior auch einen geheimnißvollen Vorfall
verzeichnet, ohne hinzuzufügen, was er selbst davon halte:
1757, den 7. October, hat sich des Abends um 7 Uhr Folgendes in
unserer Kirche zugetragen.
Wie die Fräuleins des Klosters Welver um bemerkte Zeit in ihre
Kirche gehen wollten, sehen sie, daß es in unserer Kirche helle ist.
Wie sie nun vermuthen, es möchten Diebe in der Kirche sein, müssen
nicht nur alle Bediente des Klosters, sondern auch die Leute, so zu
Welver am Kirchhofe wohnen, unsere Kirche besetzen. Die auch sämmtlich
das Licht in unsrer Kirche gesehen.
Wie nun der Küster gezwungen wird, die Kirche zu öffnen, ist das
Licht auf einmal verschwunden. Die Leute sind durch die ganze Kirche
gegangen, ob etwas darin wäre, haben aber nichts verspürt. Ob nun
dieses eine Vorgeschichte ist, ob und wann es soll erfüllt werden,
wird die Zeit lehren; Gott wende Alles zum Besten.
Einige nähere Lebensumstände dieses Mannes, des Großvaters von Friedrich
Arnold Brockhaus und jedenfalls des hervorragendsten unter dessen
Vorfahren, sind durch ein altes Buch erhalten, in das er außer seinen
Ausgaben (aus deren Verzeichnung hervorgeht, daß er auch ein tüchtiger
Oekonom und guter Haushalter war) dann und wann Nachrichten über seine
Erlebnisse einschrieb.[6]
Pastor Melchior verzeichnet darin zunächst den Tag seiner Geburt und
Taufe und macht bei Nennung eines seiner Pathen, einer adelichen Dame,
die Bemerkung: »welche aber nach der Zeit zum _pabtum_ abgefallen und
ihren eigenen Taufbund gebrochen«. Dann fährt er fort:
Gott gebe, daß mein nahme im Himmel unter der Zahl der außerwehlten
auch möge angeschrieben stehen. Habe Dank, Du frommer Gott, daß Du
mich wunderbarlich im mutterleibe gebildet, mit einer vernünftigen
Seele und gesunden Gliedmaßen von frommen Eltern hast lassen gebohren
werden und sonderlich in der heiligen Taufe einen ewigen Bund mit mir
gemacht. Gib gnade, mein Gott, daß ich in diesem Bunde leben, leyden
und sterben möge.
Darauf erwähnt er seiner Studienzeit. Er ging im Februar 1724 (also 18
Jahre alt) nach Halle, aber schon am 6. Juli dieses Jahres nach Jena:
»weil mir die _collegia theologica_ in Halle nicht anstehen wollten«;
von da reiste er am 2. August 1726 nach Leipzig und kam am 20. August
1727 über Frankfurt a. M., Köln und Altena (wo er einmal predigte,
wahrscheinlich weil diese Stadt der Geburtsort seines inzwischen als
Pastor in Soest verstorbenen Vaters war und dort noch Verwandte von ihm
lebten) nach Hause zurück. Er machte sein Examen und predigte mehrmals,
bezog indeß im Sommer 1728 nochmals die Universität Halle »wegen des
königlichen Befehls, daß niemand sollte befördert werden, der nicht
zuletzt in Halle studirt«. Am 28. August 1728 wieder in Soest angelangt,
wurde er am 1. December zum Prediger nach Meyerich berufen, am 8.
examinirt, am 9. ordinirt und am 12. December installirt.
Ueber seine Studienzeit schreibt er folgende Selbstanklage nieder, die
indeß gleich der folgenden wol nicht ganz wörtlich zu nehmen ist:
Wie ich nun mein Universitätsleben zugebracht, ist dem allwissenden
Gott am besten bekannt. Viel gutes habe ich daselbst gelernt, aber
auch durch Müßiggang, Verschwendung und auf andere Gott allein bewußte
Weise mich schwerlich versündiget.
Ach Gott, wenn mir das kömmet ein,
Was ich mein Tage u. s. w.
Dann fährt er fort, nach Erwähnung seiner Anstellung:
Ob es mir nun gleich an genugsamer geschicklichkeit fehlet, ich auch
leyder sonderlich im Anfang meines ambtes Vieles versehen und also
Blutschulden auf meine arme Seele geladen (!), so verspreche ich doch
inskünftige zu verbessern, was ich bißanhero versehen habe, und glaube
festiglich, daß mein getreuer Erlöser _Jesus Christus_ mit seinem
theuern Blut meine Blutschulden tilgen werde.
Die übrigen Notizen des Tagebuchs beziehen sich meist auf Ereignisse
in seiner Familie. Er war dreimal verheirathet und hatte funfzehn
Kinder (sechs Söhne und neun Töchter), von denen neun noch vor ihm
starben, meist in sehr zartem Alter. Seine erste Frau starb im ersten
Wochenbett und zwar, wie er bemerkt: »an eben dem Tage und in eben der
Stunde, darinnen wir vorm Jahre waren copuliret; so war sie auch an eben
demselben Tage vor 25 Jahren gebohren«; er fügt hinzu: »Gott gebe allen
frommen Christen eine solche dreifach glückselige Stunde!« Mit seiner
zweiten Frau, Maria Elisabeth, Tochter des Pastors Hennecke in Soest,
war er fast zwanzig Jahre verheirathet und sie wurde die Mutter von
zehn Kindern, darunter die beiden Söhne, die seinen Namen fortpflanzten.
Zum dritten male verheirathete er sich in seinem funfzigsten Jahre mit
Klara Dorothea Quante und lebte mit ihr ebenfalls fast zwanzig Jahre,
bis an seinen Tod (1775), während seine Witwe, die ihm vier Kinder
geboren hatte, erst 1808, 83 Jahre alt, starb.
Noch einige Aeußerungen des Pastors Melchior in seinem Tagebuche seien
zu seiner Charakterisirung hier verzeichnet.
Beim Verlust eines dreijährigen Töchterchens schreibt er:
Mein halbes Herz ist mit ihr in die Erde gescharrt. Gott gebe, daß
wir in kurzer Zeit im Himmel uns mögen wiedersehen.
Amen, Amen, komm du schöne
Freudenkrone, bleib nicht lange,
Deiner warte ich mit Verlangen.
Und bei einem ähnlichen Verluste:
Der Herr bescheere mir ein baldiges freudiges Wiedersehen dieses und
meiner übrigen in der Herrlichkeit triumphirenden Kinder, nach seinem
gnädigen Willen. _Dulce meum terra tegit._ Ich habe hier wenig guter
Tag u. s. w.
Kaum 30 Jahre alt, wurde er von heftigen Leiden am Fuße heimgesucht;
diese verloren sich nach einigen Jahren und er erreichte dann das Alter
von 70 Jahren. Während seiner Leiden schreibt er einmal:
Doch ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, der Herr
wirds wohl machen! Ich werde doch gewiß endlich, wo nicht in dieser
Zeit doch gewiß in der ewigkeit zu Gottes größe sagen: der Herr hat
alles wohl gemacht!
Und nach seiner Genesung schreibt er:
Gelobet sei der Herr täglich, Er leget uns eine Last auf, aber er
hilft uns auch.
Der unmittelbare Amtsnachfolger dieses ersten Pastors in Meyerich war
sein zweiter Sohn Ludolph Wolrath (oder Wohlrath) Arnold Brockhaus,
geb. am 6. September 1744, eine Zeit lang Lehrer am Gymnasium zu Soest,
zum Pastor in Meyerich erwählt am 26. December 1775, also kaum sechs
Wochen nach dem Tode seines Vaters. Er trat sein Amt 1776 am Sonntage
Sexagesimä (11. Februar) an und bekleidete es 46 Jahre lang, bis 1822,
wo er es, 78 Jahre alt, wegen Altersschwäche niederlegte; er starb am 6.
Februar 1823.
Diese beiden Pastoren, Vater und Sohn, haben also zusammen fast ein
volles Jahrhundert (93 Jahre lang) derselben Gemeinde vorgestanden.
Sie sind auch Beide in der kleinen Kirche zu Welver beerdigt, wo ihre
Grabstätten durch Leichensteine bezeichnet sind. Zu ihrem Gedächtniß
hat Heinrich Brockhaus (der zweite Sohn von Friedrich Arnold) im Jahre
1869 der Kirche zu Welver ein von Professor Andreae in Dresden gemaltes
Altarbild geschenkt.
Der zweite Pastor zu Meyerich, Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, hatte
zwei Söhne, die sich beide gleichfalls dem geistlichen Berufe widmeten
und zwar nicht in Meyerich, aber in andern westfälischen Gemeinden
angestellt wurden: Ludolph Brockhaus, geb. am 28. September 1778, Pastor
in Lüdenscheid, und Theodor Brockhaus, geb. am 18. Mai 1780, Pastor in
Kierspe; Söhne und Enkel von ihnen wirken noch jetzt als Pastoren in
westfälischen Gemeinden.
* * * * *
Ein zweiter Sohn des ersten Pastors zu Meyerich, der ältere Bruder
des zweiten Pastors (die übrigen vier Söhne waren noch als Kinder
gestorben) wurde der Stammvater des nicht-theologischen, kaufmännischen
und buchhändlerischen Zweigs der Familie Brockhaus. Es war dies der
Vater von Friedrich Arnold Brockhaus, Johann Adolf Heinrich (oder
Henrich) Brockhaus, geb. zu Meyerich am 21. Mai 1739. Derselbe
erlernte die Handlung in Hamm und zog dann nach der damals Freien
Reichsstadt Dortmund, wo er 1767 Katharina Elisabeth Davidis (geb.
am 22. März 1736), Witwe des _Dr. med._ Kirchhoff, heirathete und
ein Materialwaarengeschäft begründete. Er war Mitglied des Raths und
überhaupt in seiner Vaterstadt angesehen, wo er am 26. März 1811 starb.
Johann Adolf Heinrich Brockhaus hatte zwei Söhne, die er für seinen
Beruf, den kaufmännischen, bestimmte.
Der ältere, Gottlieb Brockhaus, geb. am 4. September 1768, übernahm das
väterliche Geschäft und blieb bis an sein Lebensende (30. Mai 1828) in
Dortmund.
Der jüngere Sohn war Friedrich Arnold Brockhaus, dessen Leben und Wirken
die nachfolgenden Blätter gewidmet sind.
2.
Jugendzeit und erstes Mannesalter.
Friedrich Arnold Brockhaus wurde zu Dortmund am 4. Mai 1772 geboren.
Nach dem Kirchenbuche der evangelischen Sanct-Reinoldi-Kirche daselbst
(bei welcher sein Vater das Amt eines Diakonen bekleidete) erhielt er
in der am 8. Mai im Hause des Predigers Mellmann vollzogenen Taufe die
Namen David Arnold Friederich, doch scheint er den erstern Vornamen nie
geführt zu haben und die beiden andern gebrauchte er in umgekehrter
Reihenfolge; sein Rufname war Arnold. Taufzeugen waren: David Friedrich
Davidis, Subdelegatus und Pastor zu Wennigern (wahrscheinlich der
Bruder seiner Mutter), Ludolph Wolrath Arnold Brockhaus, Lector an dem
Gymnasium zu Soest (der spätere Pastor zu Meyerich, ein jüngerer Bruder
seines Vaters) und Jungfrau Maria Elisabeth Davidis (vermuthlich eine
Schwester seiner Mutter).
Seine Jugendzeit verlebte er in Dortmund. Für den Kaufmannsstand, zu
dem ihn sein Vater bestimmt hatte, zeigte er anfangs keine besondere
Neigung, dagegen von frühester Jugend an das lebhafteste Interesse
für die Literatur. Sein Vater suchte diese Neigung auf alle Art zu
unterdrücken und stellte ihn deshalb, während er ihn das dortige
Gymnasium besuchen ließ, in den Freistunden in seinem Verkaufsladen mit
an. Mit 16 Jahren, 1788, gab er ihn nach Düsseldorf in die Lehre zu
einem Kaufmanne Namens Friedrich Hoffmann, bei dem er die »Handlung«
erlernen sollte. Dieser Aufenthalt dauerte fünf bis sechs Jahre und
wurde von dem jungen Manne gut benutzt, sodaß ihn sein Principal trotz
seiner Jugend bald zu größern Handlungsreisen verwendete und ihm nach
und nach die wichtigsten Arbeiten übertrug. Derselbe scheint selbst
die Absicht gehabt zu haben, ihn zu seinem Compagnon zu machen, und
mit seiner Nichte, Maria Siebel, zu verheirathen; doch kam es zu einem
Zerwürfniß zwischen Principal und Gehülfen, und Brockhaus verließ
infolge dessen seine Stellung in Düsseldorf.
Mit 21 Jahren, 1793, ins älterliche Haus nach Dortmund zurückgekehrt,
wo inzwischen (am 15. August 1789) seine von ihm stets hochverehrte
Mutter gestorben war, wurde er vom Vater wieder in dessen
Materialwaarenhandlung beschäftigt, fand aber an dem Verkehr mit den
nach der Stadt kommenden Bauern, dem Abwiegen von Kaffee und Zucker
begreiflicherweise jetzt noch weniger Gefallen als früher. Er hatte auf
seinen Geschäftsreisen weitere Gesichtspunkte erhalten, die ihm die
kleinbürgerlichen Verhältnisse seiner Vaterstadt und das Detailgeschäft
seines Vaters verleideten; er fühlte, daß ihm für seinen künftigen Beruf
als Kaufmann -- denn mit diesem schien er sich jetzt doch ausgesöhnt zu
haben -- noch Vieles fehle, was er in Dortmund nicht erlernen könne,
und bat deshalb den Vater, ihn in die Fremde ziehen zu lassen. Und
welchen Ort wählte er aus? Keinen andern als den Schauplatz seiner
spätern Hauptwirksamkeit als Buchhändler: Leipzig. Freilich dachte er
dabei wol nicht an den Mittelpunkt des deutschen Buchhandels, sondern
an die Handelsstadt, an die berühmten leipziger Messen, die auch von
den dortmunder Kaufleuten regelmäßig besucht wurden. Aber gewiß hatte
Leipzig als Buchhändlerstadt für ihn noch einen besondern Zauber, und
daß dort zugleich eine Universität war, fiel auch mit in die Wagschale.
Ja nach seinen eigenen Aeußerungen scheint es, daß er geradezu die
Absicht hatte, auf der dortigen Universität zu studiren. Der Vater
gab den Bitten des Sohnes nach. Vielleicht hatte er auch noch einen
besondern Grund, den Sohn für einige Zeit aus Dortmund zu entfernen: ein
Liebesverhältniß des Sohnes, das fast ein tragisches Ende genommen hätte.
Als der einundzwanzigjährige Jüngling aus der düsseldorfer Lehre
zurückkehrte, traf er im älterlichen Hause eine Cousine aus dem
benachbarten Soest, die Tochter der an einen dortigen Kaufmann
verheiratheten Schwester seines Vaters, von dem Onkel zum längern Besuch
eingeladen. Die beiden jungen Leute fanden aneinander Gefallen und
besonders schien der junge Mann, der unter seinen Altersgenossen durch
lebhaften Geist, höhere Bildung und Interesse an Kunst und Literatur
hervorragte und viel von Düsseldorf und seinen Reisen zu erzählen
wußte, einen tiefen Eindruck auf das Gemüth des in den einfachsten
Verhältnissen aufgewachsenen Mädchens zu machen. Nach ihren eigenen
Erzählungen in spätern Lebensjahren sprudelte er damals von Frohsinn
und Lebensmuth über und hatte stets ein französisches Chanson auf der
Zunge. Sein Vater war natürlich der Ansicht, daß der Sohn noch nicht
ans Heirathen denken dürfe, und schritt energisch ein. Das Mädchen nahm
sich die Sache sehr zu Herzen: sie stürzte sich aus Verzweiflung in
den offenen Brunnen auf dem dortmunder Markte! Glücklich gerettet und
zu ihren Aeltern nach Soest gebracht, zog sie sich bald tiefsinnig in
ein dortiges Frauenstift zurück; später, nach Auflösung der Klöster und
Stifter unter Napoleon's Herrschaft, trat sie indeß ins bürgerliche
Leben zurück und heirathete 1809 (also erst in reiferm Alter, 16 Jahre
nach dem Liebesverhältniß mit dem jungen Vetter) einen Kaufmann in
Soest, wo sie 1843 starb. In ihrem Alter weilte sie immer gern bei
der Erinnerung an jene Zeit und erkundigte sich mit Interesse nach
allen Verhältnissen ihres verstorbenen Vetters. Wie auf diesen die vom
Vater getroffene Entscheidung, die Verzweiflungsthat des Mädchens und
ihr Schicksal eingewirkt, ist uns nicht bekannt. In spätern Jahren
erkundigte auch er sich oft nach seiner Cousine, ohne sie indeß je
wiederzusehen.
* * * * *
Im Sommer 1793 ging Brockhaus nach Leipzig und blieb dort fast
anderthalb Jahre, bis Ende 1794. Mit regem Eifer widmete er sich seiner
weitern Ausbildung: der Vervollkommnung in den neuern Sprachen sowie dem
Studium der allgemeinen Wissenschaften, obwol er unsers Wissens weder
in einem kaufmännischen Geschäft angestellt war, noch sich unter die
Studirenden aufnehmen lassen konnte. Von Professoren der Universität,
deren Vorlesungen er gehört, nennt er den Philosophen Ernst Platner,
den Mathematiker und Physiker Hindenburg und den Chemiker Eschenbach.
Auch an dem literarischen und buchhändlerischen Leben Leipzigs nahm
er das lebhafteste Interesse. Sehr oft besuchte er unter anderm die
Köhler'sche Buchhandlung, mit deren Besitzer er durch die mit diesem
nahe befreundete dortmunder Familie Varnhagen in Berührung gekommen war,
fleißig die neu erschienenen Bücher durchmusternd.
Nur ein einziger Brief von ihm ist aus dieser Zeit erhalten, der aber
ein um so merkwürdigeres Actenstück bildet. Es ist dies ein förmlicher
Verlagsantrag des noch nicht ganz 22 Jahre zählenden jungen Kaufmanns
und Studenten an eine angesehene leipziger Verlagshandlung. Und daß
dieser Verlagsantrag kein bloßes Project war, auch keine Gedichtsammlung
oder kein Drama, wie sie mancher junge Mann dem Buchhändler als
Erstlingswerk anbietet, sondern ein größeres ernstes Werk betraf, geht
daraus hervor, daß er dem Briefe einen vollständigen »Plan« des auf 20
Druckbogen berechneten Buchs in Form eines »Prospectus« und sogar einen
Theil des fertigen Manuscripts hinzufügt!
Der Brief lautet wörtlich folgendermaßen:
An die Herren Voß und Comp.
Meine Herren!
Aus dem auf der andern Seite folgenden Prospectus werden Sie den
Plan und aus den beifolgenden acht Bogen Manuscript die Behandlung
eines Buchs sehen, das ich diese Ostermesse -- etwa 20 Bogen in 8.
stark -- herausgeben möchte.
Ich biete es Ihnen zum Verlag an; muß Sie aber ersuchen, mir bis
morgen Ihre Entscheidung darüber zukommen zu lassen; -- sollten Sie
mündlich mit mir darüber sprechen wollen, so wird mir Ihr Besuch
morgen früh in der Zeit von 10-12 Uhr sehr angenehm sein.
Den 3. März 1794. Ihr ergebener Diener
F. A. Brockhaus.
Wohnt in Nr. 75 im Hay'schen
Hause auf der Petersstraße bei dem
Friseur Dieterich.
Die hier erwähnte »andere Seite« dieses Briefs mit dem »Plan« des Werks
findet sich leider in dem Archiv der noch jetzt bestehenden Buchhandlung
(die den Brief erst vor einigen Jahren auffand und der Firma F. A.
Brockhaus freundlich überließ) ebenso wenig, als die acht Bogen des
vermuthlich »Manuscript« gebliebenen Manuscripts vorhanden sind; wir
würden daraus wenigstens ersehen haben, auf welche Gegenstände die
Studien des jungen Autors in Leipzig vorzugsweise gerichtet waren.
Vermuthlich ist ihm von Herrn Voß Beides zurückgegeben worden, und
wahrscheinlich im Comptoir der Buchhandlung, nicht in seiner Wohnung,
wohin er naiverweise seinen künftigen Verleger bestellt hatte.
Ueberhaupt ist der Ton des Briefs, die Sicherheit des Auftretens, das
Verlangen einer Entscheidung »bis morgen«, die kurze geschäftsmäßige
Form charakteristisch für den Briefschreiber. Derselbe mochte damals
nicht ahnen (wie es in der Festrede von Heinrich Brockhaus beim
funfzigjährigen Jubiläum der Firma F. A. Brockhaus heißt), »daß er
selbst und eine von ihm gegründete Buchhandlung im Laufe der Zeiten
selbst so viele Verlagsanträge anzunehmen und -- abzulehnen haben würde.«
In Leipzig knüpfte er mit dem Vertreter eines Hauses in Manchester an
und wurde von diesem gegen Ende 1794 engagirt, einer in Livorno zu
errichtenden Filiale jenes Hauses vorzustehen. In Amsterdam sollte er
mit dem Engländer zusammentreffen und zuvor wollte er nur seinen Vater
in Dortmund begrüßen. Da brach der Krieg zwischen Frankreich und Italien
aus und das englische Haus vertagte seinen Plan auf günstigere Zeiten.
Ein Anerbieten desselben, inzwischen eine Stelle auf dem Comptoir
in Manchester anzunehmen, lehnte er ab und beschloß, vorläufig in
Dortmund zu bleiben. Er etablirte sich auch bald darauf selbständig als
Kaufmann, zuerst in Dortmund, dann in Arnheim und endlich in Amsterdam.
Diese kaufmännische Wirksamkeit umfaßt die Jahre 1796-1805, also sein
dreiundzwanzigstes bis dreiunddreißigstes Lebensjahr.
* * * * *
Brockhaus errichtete in Dortmund ein En-gros-Geschäft in englischen
Manufacturen, besonders groben Wollenstoffen, und verband sich dazu
mit einem Freunde, Wilhelm Mallinckrodt; Beide nahmen bald darauf
noch einen dritten jungen Dortmunder, Gottfried Wilhelm Hiltrop,
zum Associé an, und so wurde zwischen ihnen am 15. September 1796
ein Societätsvertrag abgeschlossen. Ihr Geschäft unter der Firma:
»Brockhaus, Mallinckrodt und Hiltrop«, nahm bald den erfreulichsten
Aufschwung; Brockhaus leitete das Comptoirgeschäft, Mallinckrodt machte
die Reisen und hatte das Waarenlager unter sich, während Hiltrop von
Anfang an nur eine untergeordnete Rolle spielte. Bald beschlossen denn
auch die beiden Freunde, sich von Hiltrop, den sie wesentlich seines
bedeutenden Vermögens halber zum Associé genommen hatten, wieder zu
trennen, zumal er ihnen seines unverträglichen Charakters wegen lästig
geworden war. Sie kündigten ihm im Jahre 1798, zahlten ihm seinen
Antheil heraus und zeichneten ihre Firma nunmehr, vom 1. Januar 1799
an: »Brockhaus und Mallinckrodt«; Hiltrop gründete ein eigenes Geschäft
gleicher Art in Dortmund. Bald darauf errichteten sie ein zweites
Haus in Arnheim unter der Firma: »Mallinckrodt und Compagnie«, und
Mallinckrodt zog zu dessen Leitung im Jahre 1801 nach Arnheim, während
Brockhaus in Dortmund verblieb. Das Haus in Arnheim war besonders
deshalb gegründet worden, weil der Hauptabsatz des dortmunder Geschäfts
nach Holland stattfand. Ihr Geschäft nahm einen immer größern Umfang an
und die beiden jungen Kaufleute erwarben in wenig Jahren ein bedeutendes
Vermögen.
In diese Zeit fällt Beider Verheirathung. Brockhaus vermählte sich am
30. September 1798 mit der Tochter eines der angesehensten dortmunder
Patricier, des Senators und Professors Johann Friedrich Beurhaus: Sophie
Wilhelmine Arnoldine, geb. 24. December 1777; Mallinckrodt mit einer
Freundin derselben. Brockhaus nannte später die ersten drei Jahre seiner
Ehe (1798-1800) die glücklichsten seines Lebens. Am 17. Juli 1799 wurde
ihm sein erstes Kind geboren: eine Tochter, Auguste; am 23. September
1800 sein erster Sohn: Friedrich.
Dieses Glück sollte aber nicht lange dauern und die Veranlassung dazu
bildete der frühere Associé Beider, Hiltrop, obwol derselbe, als ein
Verwandter der Familie Beurhaus, mit Brockhaus verwandt geworden war und
später sogar sein Schwager wurde, indem er Elisabeth Beurhaus, eine
Schwester von Brockhaus' Frau, heirathete. Aus einer geschäftlichen
Angelegenheit entwickelten sich bald Verhältnisse der unangenehmsten
Art, die zunächst auf Brockhaus' äußeres Leben entscheidenden Einfluß
übten. Sie wurden die Ursache, daß er Dortmund verließ und nach Holland
zog, ja selbst, daß er sich dort später dem Buchhandel widmete, dem er
sich bei seinem Verbleiben in Dortmund schwerlich zugewendet haben würde.
Brockhaus wurde nebst seinem Associé Mallinckrodt von Hiltrop in einen
Proceß verwickelt, der unter den Fehden und Anfechtungen, an denen sein
Leben reich war, eine der hervorragendsten Stellen einnimmt und ihn mit
kürzern oder längern Unterbrechungen bis an sein Lebensende verfolgte.
Da der Proceß in dieser Zeit seinen Ursprung hat und mit ihm die
nächsten Lebensschicksale von Brockhaus verknüpft sind, so müssen wir
denselben jetzt im Zusammenhange erzählen, wenn dadurch auch der Zeit
mehrfach vorgegriffen wird.
3.
Der Hiltrop'sche Proceß.
Die beste Grundlage zu einer Schilderung dieses Processes, dessen
vollständige Darstellung in vieler Hinsicht interessant wäre, hier aber
zu weit führen würde, bietet eine von Brockhaus kaum ein Jahr vor seinem
Tode veranstaltete und als Manuscript gedruckte Sammlung der darauf
bezüglichen wichtigsten Actenstücke, die sowol seine eigenen Eingaben
als die ergangenen Urtel, Gutachten u. s. w. enthält und somit ein
unparteiisches Urtheil ermöglicht.[7]
Der Ursprung des Processes und sein erster Verlauf war in Kürze
folgender.
Im October 1799 fallirte das Bankhaus Simon Moritz Bethmann in London,
mit dem sowol Hiltrop als die Firma Brockhaus & Mallinckrodt in
Geschäftsverbindung (Wechselgeschäften) standen. Hiltrop hatte an
Bethmann vom April bis September 1799 circa 2800 Pfd. St. remittirt und
dagegen Fabrikanten und Kaufleute im Innern von England angewiesen, für
Waaren, die sie ihm lieferten, auf Bethmann zu ziehen. Mehrere solche
Wechsel waren auch gezogen und bezahlt worden, Hiltrop's Guthaben an
Bethmann betrug aber bei Ausbruch des Concurses noch 1806 Pfd. St.
Die Firma Brockhaus & Mallinckrodt, welche ebenfalls in einem längern
Geschäftsverkehr mit Bethmann gestanden hatte, schuldete dagegen diesem
Hause eine Summe von 2204 Pfd. St., die sich aber auf 774 Pfd. St.
reducirte, da Bethmann ihnen mehrere Wechsel im Betrage von zusammen
1429 Pfd. St. zurückgegeben oder sie von den daraus entstandenen
Verbindlichkeiten gegen die Masse von W. L. Popert u. Comp. in Hamburg
(die in der damaligen allgemeinen Handelskrisis ebenfalls fallirten)
liberirt hatte. Brockhaus & Mallinckrodt gaben Hiltrop aus freien
Stücken Kenntniß von diesem Stande ihrer Rechnung mit Bethmann, um
ihm dadurch zur Rettung eines Theils seines Verlustes behülflich zu
sein. Hiltrop benutzte dies aber, um sofort unterm 25. November 1799
auf die Forderung der Bethmann'schen Masse an Brockhaus & Mallinckrodt
gerichtlich Arrest legen zu lassen. Der Magistrat zu Dortmund bestätigte
diese Maßregel.
Brockhaus & Mallinckrodt appellirten hiergegen an die höhern
Reichsgerichte, besonders aus Rücksicht auf Bethmann in London, da
diesem z. B. nur sechs Wochen Zeit zu Einreden gegeben wurde, während in
dem damaligen harten Winter von 1799 auf 1800 der Postenlauf zwischen
Cuxhaven und Harwich mehrere Monate lang unterbrochen war. Außerdem
waren sie inzwischen von der Firma Gebrüder Bethmann in Frankfurt a. M.
(Verwandte des londoner Hauses) beauftragt worden, eine Forderung an
Hiltrop im Betrage von 8000 Thlr. frankfurter Wechselgeld (10000 Thlr.
Berg. Courant) einzukassiren, und diese Forderung war ihnen selbst
zu diesem Zweck cedirt worden: gewiß ein Beweis großen Vertrauens zu
der jungen Firma von seiten jenes großen Hauses. Infolge alles dessen
entschloß sich Hiltrop, der trotz seines frühern großen Vermögens
infolge seiner geschäftlichen Unfähigkeit rasch in finanzielle
Verlegenheiten gerathen war und auch von andern Gläubigern hart
bedrängt wurde, zu einem gütlichen Vergleich, der durch Vermittelung
des gemeinschaftlichen Schwagers von Hiltrop und Brockhaus, Erbsaß
(später Justizcommissar) Heinrich Beurhaus zu Dortmund, unterm 24.
April 1800 abgeschlossen wurde. Danach sollte der Proceß von Gebrüder
Bethmann in Frankfurt gegen Hiltrop bis zur Erledigung des Processes von
Hiltrop gegen Bethmann in London sistirt werden, Hiltrop von Brockhaus
ein »Darlehn« von 1200 Pfd. St., das er ebenfalls erst nach Austrag
dieser Sache zurückerstatten sollte, empfangen, Letzterm dagegen (resp.
Beurhaus) seine Forderung an Bethmann in London cediren und für den Rest
seiner Schuld bei Gebrüder Bethmann in Frankfurt Waaren an Zahlungsstatt
geben, auch sein Conto-Corrent mit Bethmann in London als richtig
anerkennen.
Schon fünf Monate nach Abschluß dieses Vergleichs machte indeß Hiltrop
den Versuch, denselben umzustoßen, und zwar wieder auf eine ihm von
Brockhaus vertraulich gemachte Mittheilung hin: daß die Bethmann'schen
Massecuratoren in London jenen Vergleich nicht genehmigen wollten. Er
fand an dem gegen Brockhaus sehr feindselig gesinnten Bürgermeister
Schäffer in Dortmund einen bereitwilligen Helfer, der bei dem traurigen
Zustand der damaligen reichsstädtischen Verfassung eigenmächtig
verfahren konnte; durch ihn erreichte er, daß sein wiederholtes
Arrestgesuch vom 15. September 1800 genehmigt und das Waarenlager von
Brockhaus & Mallinckrodt (das einen Werth von mindestens 100000 Thlr.
hatte) mit Arrest belegt und versiegelt wurde. Da alle Remonstrationen
gegen diese, wie Brockhaus sich ausdrückt, »fürchterlichen, im höchsten
Grade ungerechten Maßregeln, die den bürgerlichen Ruin der Beklagten
augenblicklich nach sich ziehen mußten«, erfolglos blieben, so
wendeten sich letztere an die höchsten Reichsgerichte um Schutz gegen
Unterdrückung und forderten Genugthuung sowie Schadenersatz. Da schien
endlich Hiltrop sein Unrecht einzusehen; er bat um Verzeihung für sein
»kränkendes und übereiltes Betragen« und versprach, in Zukunft nur in
dem ordentlichen Wege Rechtens gegen die Beklagten vorzugehen.
Das Verdienst, dieses Resultat herbeigeführt zu haben, durch welches die
Angelegenheit wenigstens ihren gehässigen Charakter verlor, gebührt
Hiltrop's Frau, Elisabeth, einer Schwester von Brockhaus' Frau. Sie
wandte sich direct an Brockhaus, den von ihrem Manne so vielfach und
so empfindlich Gekränkten, und bat ihn, das Verfahren ihres Mannes zu
entschuldigen: gewiß ebenso ein Zeichen ihres richtigen Gefühls als
Frau, wie der wahren Achtung und des vollen Vertrauens, das sie zu ihrem
Schwager als einem Ehrenmanne hatte.
Sie schreibt in diesem Briefe, dessen Datum uns nicht bekannt ist:
Brockhaus! Brockhaus! Ich fordere Sie auf, mich anzuhören. Sehen
Sie, mein Herz ist voll trüben Gedenkens über eine Geschichte,
welche nie hätte geschehen müssen, und ich weiß mich an Niemand
sicherer zu wenden als an Sie selbst. Sie beurtheilen die Sache gewiß
richtig, davon bin ich überzeugt, und ich weiß auch, daß Sie glauben:
Uebereilung ist kein Verbrechen. Dieses hat sich Hiltrop zu Schulden
kommen lassen .... Brockhaus, Brockhaus, ich ahndete nichts von Allem,
was geschehen ist, und flehe ich zu Ihnen, mich und mein armes Kind
nicht unglücklich zu machen, da dieses doch jetzt nur einzig von Ihnen
abhängt. Verzeihen Sie Hiltrop, der sich hat bereden lassen und leider
jetzt mit Schaden einsehen muß, wie wenig man Leuten trauen darf. Es
thut ihm auch für mich leid und er glaubt es sich nicht vergeben zu
können, mir solche Unruhe zu machen, und hat mir deswegen gesagt,
ich könnte die Sache ganz nach meinem Wunsche einrichten. Theurer
Brockhaus, mein Herz will keine Feindschaft gegen Sie und Sophie, die
immer mehr meine Freundin als Schwester war. Jetzt, ich weiß es, sind
Sie aufgebracht gegen Hiltrop und über sonstiges Verfahren und wollen
die Sache nach Wetzlar berichten. Brockhaus, Gott! dieses können und
werden Sie nicht wollen. Lassen Sie Vergebung über Ihren gerechten
Zorn siegen! Denken Sie, daß es Uebereilung ist, welches mein armes
Mädchen noch so schwer büßen sollte; geben Sie mir Ihre Hand darauf,
so nicht zu verfahren, und im voraus danke ich Ihnen für Ihre Güte.
Daß es Güte ist, bin ich fähig zu fühlen ....
Brockhaus erfüllte die Bitte seiner Schwägerin; er verzichtete auf
Genugthuung und Schadenersatz, wogegen Hiltrop am 3. October 1801 auf
Cassation aller Maßregeln gegen die Firma Brockhaus & Mallinckrodt beim
dortmunder Magistrat antrug, während der Proceß selbst seinen Fortgang
hatte.
Indessen war Brockhaus der Aufenthalt in Dortmund durch die widrigen
Erlebnisse der beiden letzten Jahre so verleidet worden, daß er mit
dem Gedanken umging, das dortmunder Geschäft ganz aufzulösen und zu
Mallinckrodt nach Arnheim zu ziehen. Er hatte deshalb schon im Sommer
des Jahres 1801 eine Reise nach Holland gemacht, und als er im August
von dort zurückkehrte, verbreitete sich in Dortmund das Gerücht, daß
er die Stadt verlassen und nach Holland übersiedeln wolle. Die Sache
war damals indeß nur ein Project, das, wie Brockhaus selbst sagt,
»wahrscheinlich nie wäre ausgeführt worden«. Hiltrop wurde aber gerade
dadurch veranlaßt, seinen Arrestantrag zu wiederholen, Brockhaus mußte
eine bedeutende Caution stellen und wurde selbst persönlich verhaftet.
Dies veranlaßte ihn, sein Vorhaben wirklich auszuführen. Er verließ
seine Vaterstadt und zog noch im Spätherbst 1801 nach Arnheim, der
am Rhein (Leck) gelegenen Hauptstadt der Provinz Geldern, wo er mit
Mallinckrodt bereits ein Jahr vorher ein Haus errichtet hatte.
* * * * *
Arnheim bildete übrigens blos einen kurzen Durchgangspunkt für ihn. Die
Hauptstadt und erste Handelsstadt Hollands, Amsterdam, schien ihm ein
geeigneterer Wirkungskreis für seine Handelsspeculationen, besonders
seinen Verkehr mit England, und so zog er schon im Winter von 1801 auf
1802 dorthin. Vorher trennte er sich geschäftlich von Mallinckrodt, um
sein Glück allein weiter zu versuchen, und auch wol, weil Mallinckrodt
ihm die durch Hiltrop verschuldete Störung ihres Geschäfts zum Vorwurf
machte. Mallinckrodt blieb in Arnheim zurück und setzte das bisherige
Geschäft allein fort, scheint aber seinen Associé, der ihn jedenfalls
geistig bedeutend überragte, sehr vermißt zu haben. Er bewahrte für
diesen stets regstes Interesse und vollste Hochachtung und besuchte ihn
später in Leipzig. Durch Hiltrop's fortgesetzte Machinationen scheint
er mehr noch als Brockhaus gelitten zu haben und dadurch in seinem
Geschäfte wesentlich gestört worden zu sein. Hiltrop ging indeß erst
in späterer Zeit, 1815, direct und separat gegen Mallinckrodt vor, als
er in seinem Verfahren gegen Brockhaus nichts erreichen konnte. Er
brachte es im Sommer 1822 bis zur Execution gegen Mallinckrodt, gewann
dadurch aber nichts, da die hypothekarischen Gläubiger desselben den
Ertrag der auf diese Weise verkauften Mallinckrodt'schen Grundstücke,
Waaren und Mobilien völlig in Anspruch nahmen. So hatte Hiltrop die
traurige Genugthuung erlebt, wenigstens den einen der von ihm Verfolgten
geschäftlich und bürgerlich ruiniert zu haben, während Brockhaus' reger
Geist sich bald andern Bahnen zuwandte, auf denen ihn Hiltrop zwar
stören, aber nicht, wie es seine Absicht war, ebenfalls ruiniren konnte.
Denn allerdings ließ Hiltrop nicht nach in seinem Vorgehen gegen
Brockhaus, das er, nachdem seine eigene bürgerliche und geschäftliche
Stellung dadurch empfindlich gelitten hatte, zum alleinigen traurigen
Geschäft seines Lebens gemacht zu haben scheint. Wir müssen deshalb
hier wieder anknüpfen an den oben geschilderten ersten Verlauf dieses
Processes und die weitern Stadien desselben vorführen.
* * * * *
Trotz der durch Hiltrop's Frau in so richtigem Gefühle angestrebten
Aussöhnung und Hiltrop's Selbstdemüthigung war der Proceß über die
Gültigkeit des am 24. April 1800 abgeschlossenen Vergleichs in Dortmund
anhängig geblieben, während Mallinckrodt und Brockhaus seitdem in
Arnheim und Amsterdam lebten. Die Acten sollten verschickt sein, waren
aber von der dortmunder Behörde verloren worden! Erst im August 1805
wurden sie aus den Manualacten der Sachwalter wieder nothdürftig ergänzt
und am 19. Juli 1806 erfolgte ein Rechtsspruch der göttinger Facultät,
in welchem dem Kläger der Beweis, daß dem Verfahren der Beklagten gegen
ihn ein »Betrug«(!) zu Grunde liege, nachgelassen wurde. Hiltrop trat
die übrigen ihm auferlegten Beweise an; der Sachwalter der Beklagten,
obwol sonst ein geschickter Jurist, wußte sich in diese kaufmännischen
Verhältnisse nicht zu finden und übergab einen durchaus verfehlten
Gegenbeweis, doch hatten die Beklagten selbst ein Promemoria darüber
entworfen. Unterm 16. November 1809 wurde das den Beklagten ungünstige
erste Urtheil seitens der herzoglich bergischen Regierung gefällt,
verfaßt von dem Oberbergrichter Bölling in Essen. Es nahm den Beweis
für geführt an und verurtheilte die Beklagten, an Hiltrop 606 Pfd.
St. nebst Zinsen und Proceßkosten zu zahlen. Gegen dieses Erkenntniß
appellirten Brockhaus und Mallinckrodt und ließen eine von Brockhaus
selbst verfaßte »Rechtfertigung« dieser Appellation unterm 28. Februar
1810 (in Amsterdam) für ihre Freunde drucken. Sie belegten durch
zwei Parere, von der Kaufmannschaft zu Leipzig (vom 6. April 1800,
verfaßt vom Kramerconsulent _Dr._ Bahrt) und von der Kaufmannschaft
zu Elberfeld (vom November 1801, verfaßt von dem Syndikus derselben,
_Dr._ Brüninghaus), daß ihr Verfahren der Lage der Sache und dem
kaufmännischen Geschäftsgange durchaus angemessen gewesen sei. Später
erfolgten noch zwei Gutachten, welche sie ebenfalls von dem frivolen
Vorwurfe eines »Betrugs« vollkommen freisprachen: das eine von dem
Professor _Dr._ Dabelow in Halle, später in Dorpat, datirt Leipzig, 16.
Juli 1810, das andere von der Juristenfacultät zu Halle vom Januar 1813.
Dennoch wurde von dem neuerrichteten bergischen Appellationsgerichtshofe
zu Düsseldorf unterm 24. November 1813 das Erkenntniß erster Instanz
lediglich bestätigt. Dieses Urtheil kam jedoch nie zur Vollstreckung,
vielleicht infolge der eingetretenen politischen Ereignisse; es wurde
sogar dem inzwischen von Amsterdam nach Altenburg und später nach
Leipzig übergesiedelten Brockhaus gar nicht publicirt, wie durch eine
Bescheinigung der herzoglich sächsischen Landesregierung zu Altenburg
vom 16. März 1822 ausdrücklich beglaubigt wird.
Hiltrop beruhigte sich aber nicht und reichte nach Verlauf mehrerer
Jahre, am 17. August 1819, eine neue Klage gegen Brockhaus ein. Damit
beginnt das dritte und letzte Stadium dieses langwierigen Processes.
Das königlich preußische Oberlandesgericht zu Hamm bestätigte durch
ein Erkenntniß vom 5. Januar 1822 die für den Beklagten ungünstigen
Urtheile von 1809 und 1813, während es unterm 30. März 1822 eine von
Brockhaus gegen einen Arrest auf ein Erbtheil seiner minorennen Kinder
erhobene Klage im wesentlichen zu seinen Gunsten entschied. Gegen
diese Erkenntnisse, insbesondere das erste, appellirte Brockhaus. Er
verfaßte für den Justizcommissar Cappel in Hamm selbst eine ausführliche
»Instruction« (worin er unter anderm sagt, daß diese Erkenntnisse »sich
ebenso wenig mit den anerkanntesten Sätzen des Völkerrechts als mit dem
Geiste der preußischen Proceßgesetzgebung, diesem Meisterstücke einer
legislativen Weisheit, vereinbaren lassen«) und ließ die obenerwähnte
»Sammlung von eilf Actenstücken« für das Gericht und für seine Freunde
drucken (das Vorwort dazu ist aus Leipzig vom 1. Juli 1822 datirt).
Indeß betätigte der zweite Senat des Oberlandesgerichts zu Münster
unterm 28. September 1822 lediglich die frühern Erkenntnisse. Brockhaus
gab sich aber noch immer nicht für besiegt, obwol er damals eben eine
lebensgefährliche Krankheit überstanden hatte, deren Wiederholung er
kaum ein Jahr darauf erlag: er ergriff das letzte Mittel, das ihm
übrigblieb, und wandte sich an das Geheime Obertribunal zu Berlin mit
der Bitte um Cassation, resp. Revision des Erkenntnisses von 1813.
In dem von ihm selbst wieder verfaßten »Revisionsbericht« (der kein
Datum hat, aber jedenfalls noch im Spätherbst 1822 geschrieben ist)
betont er, daß ihn zu diesem Antrage außer dem bedeutenden Objecte des
Processes (zuletzt gegen 10000 Thlr.) besonders der Umstand bestimme,
wegen eines vermeintlichen »Betrugs« und infolge eines irrigerweise für
»rechtskräftig« angenommenen Erkenntnisses verurtheilt zu werden.
Noch ehe die Antwort von Berlin erfolgt war, starb Brockhaus. Erst
mehrere Jahre nach seinem Tode (1828) wurde der Proceß endlich von
seinen Erben durch einen Vergleich mit Hiltrop beendigt; letzterer starb
am 2. April 1845.
Das Urtheil des Geheimen Obertribunals in Berlin vom 2. April 1824
hatte die frühern Erkenntnisse bestätigt, doch war den Stadtgerichten
zu Leipzig durch ein allerhöchstes Rescript der königlich sächsischen
Landesregierung zu Dresden vom 23. October 1824 die Befolgung der
betreffenden Requisitionen untersagt worden. Hiltrop ruhte trotzdem noch
immer nicht, und um ihr in Preußen befindliches Eigenthum vor ihm zu
schützen, sah sich die Firma F. A. Brockhaus veranlaßt, ihre Rechnung
mit den preußischen Buchhandlungen in der Zeit vom 15. November 1824 bis
21. November 1828 unter der Firma »Literatur-Comptoir in Altenburg
_L^a B_« zu führen, wozu der mit ihr seit langem befreundete Besitzer
dieser Firma, Johann Friedrich Pierer in Altenburg, bereitwillig die Hand
bot.
Dieser Proceß mußte hier, obwol er Brockhaus' Hauptthätigkeit, die
buchhändlerische, nicht berührt, ausführlicher dargestellt werden, weil
er ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte und von ihm persönlich
mit der größten Energie und Ausdauer betrieben wurde. Es war in der
That, wie er sich selbst später ausdrückte, der »blutige Faden«, der
sich durch sein ganzes Leben hindurchzog und auf dasselbe mehrfach
entscheidend einwirkte: er hatte die Familie entzweit (obwol selbst
fast alle Verwandten Hiltrop's auf Brockhaus' Seite traten und dessen
Verfahren misbilligten); er hatte ihn aus seiner Vaterstadt vertrieben
und war die Veranlassung, daß er diese nur noch einmal (1811) besuchte;
er verfolgte ihn überallhin: nach Amsterdam, Altenburg und Leipzig, und
nöthigte ihn gerade auch in den, durch andere Aufregungen ihm schon
so verbitterten, letzten Jahren seines Lebens zu eigener aufreibender
Thätigkeit.
Die Frage liegt hier nahe, ob denn im Laufe der 22 Jahre, die dieser
Proceß dauerte, nie Versuche zu Vergleichen gemacht worden seien.
Allerdings ist das geschehen und zwar -- zur Ehre und Rechtfertigung
von Brockhaus muß dies hervorgehoben werden -- insbesondere von seiner
Seite, jedoch, wie er selbst sagt, »von diesem einzig und allein nur
aus #dem# Grunde, daß er gewünscht hat, Ruhe zu gewinnen und sich von
dem Odiösen, was mit der Führung eines solchen Processes überhaupt
und besonders in weiten Entfernungen verbunden ist, völlig befreit zu
sehen: nie aber, daß er durch einen Vergleich habe anerkennen wollen,
als ob seitens Brockhaus und Mallinckrodt je etwas in dieser Sache
geschehen, was auf irgendeine Weise gegen kaufmännische Sitte und
Ehre und gegen kaufmännische Ordnung oder gegen kaufmännisches Recht
gewesen«. Abgesehen von dem unterm 24. April 1800 abgeschlossenen,
aber bald wieder von Hiltrop umgestoßenen Vergleiche sowie davon, daß
Brockhaus, wie früher berichtet, auf die Bitte von Hiltrop's Frau die
Klage gegen diesen beim Reichskammergericht in Wetzlar unterließ, bot er
1816 oder 1817 Hiltrop zur Niederschlagung alles Zwistes eine jährliche
Rente von 200 Thlr. an, die nach seinem Tode auf seine Kinder bis zur
Volljährigkeit des jüngsten übergehen solle. Und als Hiltrop dies
ablehnte, wollte sich Brockhaus 1821 selbst zur terminlichen Zahlung von
4000 Thlr. verstehen, einer Summe, die das, was Hiltrop ursprünglich
an Bethmann in London verloren, bedeutend überstieg. Aber auch dieses
Anerbieten war von Hiltrop unangenommen und sogar unbeachtet geblieben.
Selbst noch 1822 erklärte er sich bereit, »wesentliche, wenn auch bei
veränderter und günstigerer Lage der Sache nicht mehr so bedeutende
Opfer zu bringen, wenn ihm dazu auf angemessene Weise die Hand geboten
würde und der Gegner damit nicht zu lange warte«. So kann Brockhaus
sicherlich nicht der Vorwurf der Unversöhnlichkeit, Streitsucht oder
Rechthaberei gemacht werden. Eher könnte man ihn deshalb tadeln, daß
er, zunächst aus Theilnahme für seinen frühern Associé Hiltrop und um
diesen vor einem Verlust zu bewahren, sich in eine ihm ganz fremde
Angelegenheit gemischt und dann im Anfange des Processes dem Gegner
mehrfach selbst die Waffen gegen sich geliefert habe; er fühlte dies
auch selbst und that in dieser Beziehung die für ihn charakteristische,
aber gewiß nur ehrenvolle Aeußerung: es sei dies von seiner und
Mallinckrodt's Seite besonders geschehen »aus Ueberspanntheit, da wir
die Welt noch nicht nahmen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte,
und die wir damals noch so einfältig waren, zu glauben, als ernte man
von dem Haufen der Menschen für große und rechtschaffene Handlungen Dank
ein.«
Der Hiltrop'sche Proceß hat übrigens, wie aus Vorstehendem wol
hervorgegangen sein dürfte, außer dem persönlichen auch ein
mannichfaltiges allgemeineres Interesse, und es mögen deshalb zum
Schluß einige Stellen aus der mehrerwähnten Schrift folgen, die
Brockhaus über den Proceß 1822 zusammenstellte, in der Hoffnung, daß
sie »dem Sachkenner genügen werden, um sich über den Charakter der
darin handelnden Personen und über die Natur der stattgefundenen und
obschwebenden Verhältnisse zu orientiren«.
In treffendster Weise, mit scharfem Verstande, klarem weitblickenden
Geiste und in prägnantem Stile charakterisirt er den Proceß und sein
Verhalten in demselben mit folgenden Worten:
Bei einem Processe, der fast ein Vierteljahrhundert unter #vier#
verschiedenen Gesetzgebungen und Gerichtsformen geführt worden ist
und in welchem mehrere der Sachwalter die Sache selbst gar nicht
begriffen haben, läuft die Wahrheit am Ende Gefahr, unter der Masse
der stattgefundenen Verhandlungen und angehäuften Actenstöße völlig
erdrückt oder erstickt zu werden, sodaß es die größte Noth thut,
das Wichtige und Wesentliche von dem Unwichtigen und Unwesentlichen
zu scheiden, um dem künftigen Referenten und endlichen Richter die
Uebersicht und Beurtheilung zu erleichtern oder gar -- nur möglich zu
machen. Ohnehin haben die bloßen Juristen in Städten und Gegenden,
wo kein großer Handelsverkehr ist, in der Beurtheilung verwickelter
kaufmännischer Verhältnisse höherer Art selten große Stärke und
gerathen nur gar zu leicht auf Abwege, die von der Wahrheit entfernen.
Ich erinnere hier an die Verhandlungen im Fonk'schen Processe über
dessen Handlungsbücher und Berechnungen ....
Der Proceß (Hiltrop) ist interessant durch den Wechsel der Gesetze
und gerichtlichen Formen, unter deren Herrschaft er geführt wurde.
Er begann zu einer Zeit, wo Dortmund noch als Freie Stadt dem
Deutschen Reiche angehörte; er wurde fortgesetzt unter der fürstlich
nassau-oranischen Regierung, unter der Herrschaft der französischen
Gesetze, welche im Jahre 1811 im Großherzogthum Berg in Kraft getreten
waren; er ist wieder aufgenommen unter der jetzigen königlich
preußischen Regierung und wird jetzt nach preußischen Rechten und
Formen verhandelt. Es ist für das Interesse der Rechtswissenschaft
von großer Wichtigkeit, die Verhältnisse dieser verschiedenen
Gesetzgebungen in ihrer Wechselwirkung und vorzüglich zu dem Zwecke
zu betrachten, um die Bedingungen und Grenzen der Rechtskraft und
Vollstreckbarkeit richtig zu bezeichnen.
Er ist interessant durch die kaufmännischen Verhältnisse, welche
ihm zu Grunde liegen, deren Combinationen sich die Richter der ersten
und zweiten Instanz durchaus nicht klar zu machen vermocht haben, so
einfach sie auch jedem Sachkundigen erscheinen müssen.
Er hat endlich in dem neuesten Abschnitte noch eine allgemeine
Wichtigkeit durch die völkerrechtliche Frage gewonnen, inwiefern
ein königlich preußischer Staatsbürger einen entfernten Ausländer
zwingen kann, vor den königlich preußischen Gerichten sich als
Beklagter zu stellen und den Vortheil aufzugeben, welcher mit der
Verhandlung der Sache vor seinem ordentlichen Richter, in gewohnten
Formen, nach bekannten Rechten, für ihn verknüpft ist. In der That
würden die von dem königlichen Oberlandesgericht zu Hamm in erster
Instanz hierüber aufgestellten Grundsätze alle Ausländer, welche in
Preußen Geschäfte treiben, und alle benachbarten Regierungen zur
besondern Aufmerksamkeit und zu abweichenden Maßregeln verpflichten.
Diese wichtige völkerrechtliche Frage macht in der jetzigen Lage der
Sache den Hauptpunkt des Streites aus. Der Gang der Sache ist nämlich
folgender ....
So liegt die Sache in diesem Augenblicke; einfach an sich in jedem
ihrer Abschnitte, so verworren auch der erste Anblick derselben sein
mag. Zunächst dreht sie sich fast nur um Formalien, um Gerichtsstand
und Rechtskraft. Man ist nur zu sehr geneigt, auf denjenigen, welcher
mit der bloßen Form ficht, den Verdacht eines Bewußtseins des Unrechts
in der Sache fallen zu lassen, und daher war dem Beklagten an nichts
mehr gelegen als daran, zu zeigen, daß er sich gegen die Form nur im
Vertheidigungsstande befindet, nicht aber sie zur Schutzwehr einer
Ungerechtigkeit gebraucht. Man hat es ihm vielleicht verübelt, daß er
die Entscheidung eines königlich preußischen Gerichtshofs so eifrig
abzulehnen bemüht ist; allein man würde dabei aus den Augen gesetzt
haben, welchen großen Werth es für einen Jeden hat, nur von seinem
ordentlichen heimischen Gerichte nach bekannten Gesetzen und Formen
gerichtet zu werden. Wer irgend eine Erfahrung in dieser Art gemacht
hat, der vermag die großen Nachtheile zu würdigen, mit welchen schon
die bloße Entfernung den Betrieb eines Rechtsstreites umgibt.
Man wird es unter diesen besondern Umständen dem Beklagten nicht
verargen, wenn er durch den gegenwärtigen Abdruck der wichtigsten
Actenstücke seines Processes sowol für das Urtheil seiner Richter als
für die Meinung seiner Freunde (für das größere Publikum sind diese
Blätter ohnehin nicht bestimmt) die Materialien in einer leichtern
Uebersicht zu liefern bemüht war. Er will dasselbe nicht bestechen,
nicht für sich einnehmen; denn er legt die Hauptsache so vollständig
vor, daß sie auch seinem Gegner zu statten kommen mag, wenn er selbst
sich in seinen Ansichten geirrt haben sollte. Allein ein mehr als
zwanzigjähriger Proceß, eine so vielfache Verkettung rechtloser Formen
und Fragen bedarf wol eines Fadens, in dessen Finden nicht immer
gerade derjenige am glücklichsten ist, welcher ihn für sich und andere
zu suchen bestellt ist. Der Erfahrene weiß, daß dies zu sagen weder
Anmaßung noch ein Vorwurf ist, und dreimal wenigstens wurde schon in
der gegenwärtigen Sache der richtige Weg verfehlt.
Wir verlassen hiermit diesen unerquicklichen Proceß, der uns weit über
die Zeit hinausgeführt hat, die wir zunächst zu schildern haben, und
versetzen uns wieder nach Amsterdam und dem Jahre 1801, in welchem
Brockhaus sein Geschäft dorthin verlegte.
Zuvor sei indeß noch ein von Brockhaus selbst herrührender Rückblick auf
sein Leben bis zu diesem Zeitpunkte mitgetheilt.
4.
Ein Rückblick.
Brockhaus schrieb in spätern Jahren, wahrscheinlich erst 1818 oder 1820,
einen Rückblick auf seine Erlebnisse nieder, um einer Schwägerin, die in
trüben Verhältnissen seine Vertraute geworden war, einen nähern Einblick
in sein Leben zu gewähren. »Sie kennen es nicht«, fügte er hinzu, »oder
nur durch verworrene Sagen, und doch liegt in jeder Vergangenheit der
Schlüssel und häufig die Bedingung der Gegenwart.«
* * * * *
Diese Selbstbiographie, die unsere bisherige Schilderung in manchen
Punkten ergänzt und den Verfasser trefflich charakterisirt, leider aber
nur bis zu dem Wendepunkte in seinem Leben reicht, an dem wir uns jetzt
befinden, lautet:
Ich bin 1774 geboren.[8] Mein Vater, Sohn eines benachbarten
Predigers, hatte meine Mutter, die Tochter eines angesehenen
Kaufmanns, als Witwe geheirathet. Zwei Kinder erster Ehe waren
gestorben, und aus dieser Ehe entsprangen zwei Söhne, von denen ich
der jüngste bin, und der älteste mein noch in Dortmund lebender Bruder
ist. Mein Vater, der erst 1811 gestorben, war ein sehr braver und
wackerer Mann, aber nicht transcendent. Meine Mutter dagegen war eine
geistreiche, vortreffliche Frau, und ihr Bild steht noch immer als das
Ideal einer vollendeten Hausfrau vor meiner Seele.
Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach
Kenntnissen aller Art, und einer wahren Bücherwuth. Noch schwebt es
mir wie gestern in Andenken, und gibt dies zugleich ein Bild jener
Zeit, wie ich das erste Buch kaufte und wie es ablief. Ich mußte für
den Vater in den Bücherauctionen Folianten und Quartanten erstehen,
die er in seinem Laden als Maculatur gebrauchte. Hier kam nun auch
Voltaire's Leben von Karl XII. in der alten Uebersetzung unter den
Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem
Buch und wagte es, 2 Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt
es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger
Mann, vermerkte es sehr übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in
den Tod zuwider war, verwies mir meine Verschwendung, und ohne das
Dazwischentreten der immer guten und verständigen Mutter hätte ich
wol noch eine Ohrfeige dazu erhalten. Es ist, als ob ein Jahrhundert
dazwischen läge zwischen dem, wie es damals war, und jetzt ist.
Im funfzehnten Jahre kam ich nach Düsseldorf in eine dortige
große Schnitthandlung, die zugleich Bankiergeschäfte machte, in
die Lehre. Mein Lehrherr hieß Hofmann, er lebt noch und ist mein
Freund geblieben. Er zeichnete mich unter sechs andern Commis und
Burschen sehr aus, und zu sehr. Er bekam den Einfall, sein Geschäft
zu erweitern, da er ein sehr wohlhabender Mann war, und eine
Großhandlung neben der bestehenden Schnitt- und Wechselhandlung zu
errichten, und er warf auf mich, den jüngsten Lehrburschen, die
Augen, dazu die ersten Reisen zu machen, weil in dortigen Gegenden
Alles durch Reisediener besorgt werden muß, da die Messen zu fern
liegen. So wurde ich unerfahrener Mensch in einem Alter von kaum 17
Jahren auf ziemlich große Reisen, die sich bis Hannover, Kassel,
Koblenz, Lüttich, Cleve ausdehnten, geschickt, um die neuen Geschäfte
zu gründen. Diese so frühen Reisen haben sehr nachtheilig auf mich
eingewirkt. Meine Bildung war noch nicht vollendet und wurde dadurch
ganz zerrissen, indem ich oft in Monaten nicht zu Hause kam, und
anstatt geführt zu werden, wie es dem Jünglinge ziemt, mußte ich mich
selbst führen. Gegen jetzt war damals eine große Sittenreinheit, aber
dagegen wieder eine größere Roheit. Die gänzliche Freiheit, worin
sich der siebzehnjährige Jüngling aber auf diesen Reisen befand,
das fortwährende Gasthofleben und die stete Gesellschaft mit andern
Reisedienern wirkte nothwendig nachtheilig auf Sitten und Charakter.
Indessen vollzog ich meine Geschäfte zur höchsten Zufriedenheit
meines Herrn, ich bildete mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann,
und mir ward vor Ablauf der Lehrzeit und noch nicht 20 Jahr (der
Auftrag?), das Geschäft auch nach Braunschweig auszudehnen und
dort die Messen zu beziehen. Mein Herr blieb dabei fein zu Hause,
und mir ganz allein war das schwierige und kitzliche Geschäft der
ganzen ersten Organisation übertragen. Und unser Geschäft war höchst
bedeutend. Auch hier ging Alles gut, und ich erntete Ehre und Lob
die Fülle. Auf der vierten Messe hatte ich das Unglück, daß mir 100
Louisdor gestohlen wurden. Ich empfange solche vor Tisch, eben wie zum
Essen geläutet wird, und bin dadurch behindert, sie in mein Bureau zu
verschließen, lasse sie also auf dem Tische stehen. Wie ich nach Tisch
wiederkomme, sind sie weg. Dieser Vorfall hatte auf mein Schicksal
großen Einfluß. Herr Hofmann war darüber hart und ungerecht gegen
mich, ich indignirte mich deshalb und bot ihm den successiven Ersatz
an. Er war kleinsinnig genug, es anzunehmen, und dies empörte mich
vollends. Ich sagte ihm auf und verließ sein Haus. Wäre dieser Vorfall
nicht eingetreten, so wurde ich nach einigen Jahren gewiß Compagnon,
und dies um so leichter, da sich eine zarte Neigung zu einer nahen
Verwandten des Herrn Hofmann, Marie Sibel, in meiner Brust gebildet
hatte, die gebilligt und mit Innigkeit erwiedert wurde. Ich hatte
gegen Herrn Hofmann Unrecht, obgleich er nicht großmüthig handelte.
Mein kecker Trotz kam mir später theuer zu stehen.
Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich
nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte
indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß,
daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen
nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je
mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein
solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger
Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn
nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem
aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des
Lebens entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so
bewog ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr
eine Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich
_au 5^{me}_ in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb
ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft
lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die
neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit
im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets
zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb
Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher
Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe
Wurzeln gefaßt hat.
Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich
mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die
Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig
das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß
meines Vaters einzuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein
Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem
Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und
zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an
der Tagesordnung war -- was war natürlicher, als daß der gute Vater
auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte
unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben
zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine
Siege führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde
von ihm überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in
Livorno, wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir _en
attendant mieux_ eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte ich
nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und um so
leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und meine
Eitelkeit täglich Triumphe feierte.
Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer
Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem
wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da
die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens
Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und
glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes
Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war
freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem
allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen
Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln,
die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die
Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft.
Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop
(den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns
also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und
Rechtlichkeit.
Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine
Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.[9] Sie war aus
der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern.
Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber
verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den
schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir
ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die
glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit
meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie
auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen genoß
ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die
Geburt von Auguste und von Fritz.
Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte
einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art,
wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte,
hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser
Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten
ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche
fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol
mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer
indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz
andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach
seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige
war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer _adresse_ und unserm
Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein
Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber
ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu
verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig,
sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn,
übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel
seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in
Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren
zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder
Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das
kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen.
Dieses _accomodement_ für und mit Hiltrop sollte für uns die
Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden.
Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den
Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit
der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere
Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der
altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich,
ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten,
im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit
eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen
_train de vie_ mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen machte und
uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. Man hetzte
jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken #allein#
und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet hatten, gegen uns
auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene stattgefundene Cession
seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei verletzt hätten. Der
Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der Bürgermeister, die
Seele von Allem, was in dem Städtchen geschah, mein erbitterter
und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der Führung dieses
unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé war in Arnheim)
namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich endlich,
Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. Aber kaum
verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine ganz übertriebene
Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß abgefordert wurde und
man sofort mit der Forderung von 10 Procent von unserm Vermögen
auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art von fanatischer Wuth
bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war gar nicht zu denken,
denn der Magistrat hatte und erkannte keine andere Behörde über sich
als das Reichskammergericht in Wetzlar oder den Reichshofrath in
Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen erleiden. Erst wurde unser
ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine Handlungsbücher wurden uns
fortgenommen und untersucht, ich selbst am Ende persönlich arretirt.
Ich mußte mich beugen und wenigstens die Caution für die 10 Procent
Vermögenssteuer leisten. Der andern (Maßregel?) entging ich zu meinem
Glücke durch Consequenz und Klugheit.
So verließen wir unsere Vaterstadt und kamen fast wie Geächtete
in Arnheim an. Die Geschichte hatte das ungeheuerste Aufsehen
gemacht, der Haufen der Menschen war, wie ganz in der Regel, gegen
uns, die man hochfahrige, überklugseinwollende, vorwitzige Personen
nannte, denen hier Recht geschehen sei; unser Credit litt dadurch
außerordentlich, und im Auslande, wo man sich solchen Unsinn, als
der dortmunder Magistrat begangen, gar nicht denken konnte, mußte
man ganz irre werden, als wir anzeigen mußten, wir wohnen nicht mehr
in Dortmund, sondern jetzt in Arnheim. Dazu kamen nun die reellen
äußern Zerstörungen, die mit dieser gewaltsamen Geschäftsverpflanzung
verbunden sein mußten, und der Umstand, daß Alles allerdings auf die
Spitze getrieben war, indem wir das Geschäft aus dem Gesichtspunkt
betrieben hatten: man muß das Eisen schmieden, solange es glühend ist;
-- kurz, unsere Lage wurde bei diesen Umständen höchst kritisch. Mein
Associé, der blos das Waarengeschäft geleitet und von der einen Seite
die großen geernteten Vortheile kannte, nicht aber alle die Fäden,
die ich angesponnen, um das Geschäft in dieser Höhe zu erhalten, war
nun höchst befremdet über die Stockungen in unserm Creditsystem.
Er war unbillig genug gegen mich, der so unendlich gelitten und
Alles allein hatte erdulden müssen, mir Vorwürfe zu machen, und ich
war schwach genug, darüber so erbittert zu werden, daß ich ihm die
Compagnieschaft aufsagte. Wir separirten uns also. Ich zahlte ihm
ein Abfindungsquantum von baaren 60000 Gulden und übernahm das ganze
Geschäft und zog nach Amsterdam. Dies war im Winter 1801 auf 1802.
Zweiter Abschnitt.
In Amsterdam.
1.
Kaufmännische Thätigkeit.
Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und
nach Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt
betriebene Geschäft in englischen Manufacturen _en gros_ allein und
auf günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand.
Durch den Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von
Dortmund nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die
kaufmännische Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung
dazu nicht kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von
vorn anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien
ihm auch bald wieder lächeln zu wollen.
Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem
trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft
des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm
weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt
Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund.
Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich
in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und
wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere
widrige Verhältnisse erinnert.
Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt
er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dortmund, mit dem er
fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb:
Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut,
und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe
sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich,
wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde
gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte
Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke
Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt
will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen -- ich thue es nicht und
ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so
viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide
glücklicher sein werden als wie wir uns trennten.
Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie
er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam.
Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold
Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem
herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des
Schreibers Zeugniß:
Theuerster Bruder!
Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an
den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage,
die wir hier zusammen lebten und -- was mir unschätzbar bleibt --
auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster
Bruder, am Sonntag Morgen, -- der zerriß mir die Seele. Bin ich doch
nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst
gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch
die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir
alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des
Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und
Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen
würden, -- als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte!
Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere
Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein
auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle
Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der
Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten mich
endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher
Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden.
Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur
zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich
unsere Wünsche alle begegneten.
Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist
der Bruder #da#, nun ist er #da#. Nun ist er in Amersfoort, Arnheim,
Wesel -- nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner geliebten
Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie zu Hause
im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns -- und von
Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So
warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir
Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach,
-- wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit
welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst
Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest,
der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder
zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt
fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime
Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott,
wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller,
edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern
darstellen konntest!
Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten
Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer.
Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe
er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft
ertragen zu können!
Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur
mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten
zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles.
Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb
bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen
aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut
von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. -- G. B.« und wurde ihm
wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die
Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen)
lauten:
Feindlich ist die Welt
Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur
Sich selbst; unsicher, los und wandelbar
Sind alle Bande, die das leichte Glück
Geflochten -- Laune löst, was Laune knüpfte --
Nur die Natur ist redlich! Sie allein
Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest,
Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen
Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt
Den Freund -- es gibt der Vortheil den Gefährten;
Wohl dem, dem die Geburt den #Bruder# gab!
Ihn kann das Glück nicht geben -- anerschaffen
Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt
Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da.
Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf
geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man
ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon
in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm
nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam
am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere
Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge.
Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem
Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben
geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige
Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer
Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la
Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und
Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm.
Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden
Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten
Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem
traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft
überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre,
jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche
er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch
die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da
er sich nur dann den gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er
auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu
ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des
mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten
Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in
die Republik unmöglich zu machen.
Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im
Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer
England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte
den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst
des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu
bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich.
Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild
seiner Lage:
Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt
und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr
offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der
Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal
thaten.
Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst
erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten
hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt,
habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt,
und es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu
kam die verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften
Schiffes, wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die
im Ganzen doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung
gekostet, um an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £
zu übermachen, in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst
noch ein paar Monate das Geld hätte halten können. Auch habe ich das
Jahr zu viel comptant oder auf kurze Zeit gekauft .... Ich habe mich
inzwischen gehalten, allen Engagements Genüge geleistet und denke,
so Gott will, glücklich herauszukommen .... Es ist das Alles sehr
schlimm gewesen und noch ist es nicht wieder im rechten Haken, allein
so wie das Schlimme sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt.
Es wird hieraus für mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die
Lehre, die ich jetzt erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf
einer Nadelspitze -- die habe ich erhalten --, aber mein Credit hat
tief gelitten und das ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf
dem Platze keines besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir
selbst, meinem theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt:
von jetzt an nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als
mein jetziges, haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden,
zuverlässig nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und
raisonnirt. #Das# Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten
sicher hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit
mehr Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen
von weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste
entsagt, und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen,
noch von dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen .... Dies,
lieber Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich
mich befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf
mich zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie
Dir geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich
habe außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu
wollen, was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch
#die# Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch
Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet
würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten.
Endlich noch eine brüderliche Mittheilung. Es ist unvermeidlich,
lieber Bruder, daß der Uebergang von meinen ansehnlichern zu den
kleinern Geschäften mich nicht geniren müßte, besonders da ich es als
ersten Grundsatz festgesetzt, mich dazu #auch nicht eines# insoliden
Hülfsmittels zu bedienen, ich vielmehr damit begonnen habe, solche
zu succificiren. Ueberhaupt fühle ich, daß ich doch dem ausgedehnten
Geschäfte nicht gewachsen war bei der hiesigen Solidität, und daß ein
#Manufactur#geschäft #hier# mit einem Fonds wie der meinige eigentlich
nur die Hälfte desjenigen solide thun kann, was ich ganz that. Außer
den Hülfsmitteln, die in mir selbst liegen und die dazu mit dienen
sollen, jenen Zweck zu erreichen, möchte ich aber auch noch gern alle
die ins Werk setzen, welche für mich erreichbar sind und die dazu mit
beitragen könnten, d. h. ich möchte gern alle die Fonds disponibel
haben, welche mir doch einmal gehören, durch unangenehme Dispute aber
nun für mich ohne Nutzen sind .....
Im weitern Verlaufe des Briefs macht er Vorschläge, die sich darauf
beziehen, daß er seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Ländereien bei
Dortmund (circa 6 Morgen) abtreten und verschiedene Familienverhältnisse
geordnet haben möchte, wodurch er ein Kapital von 6000 Fl. zu erhalten
hofft. Außerdem bittet er seinen Bruder, ihn selbst noch auf etwa ein
Jahr mit einem besondern kleinen Kapitale von etwa 4000 holl. Fl. zu
unterstützen. Dann fährt er fort:
Es soll sowol dies, als wenn ich jenes erhalte, nicht dazu dienen,
meine Geschäfte zu erweitern. Nein, es ist und bleibt der heiligste
und unabänderlichste Vorsatz bei mir, sie vielmehr sehr einschränken.
Es soll aber dazu mit dienen, um mir Verbindungen ganz entbehrlich zu
machen auf auswärtigen Plätzen, die, so wie sie sehr kostbar waren,
mich auch stets genirten und meine Thätigkeit von meinem eigentlichen
Geschäfte ablenkten. Ich habe vor, mich ganz aufs Reine zu setzen
und endlich einmal mir selbst und meiner Familie zu leben. Dieser
Uebergang kostet mir aber, wie Du denken kannst, sehr viel Mühe und
erfordert auch neue Fonds, indem bei einem großen Geschäfte auch der
Credit groß ist und eins das andere stopft. Daß Du mir das Kapital
mit Sicherheit anvertrauen kannst, dafür bürgt Dir mein Ehrenwort,
daß erstlich meine Sachen gut stehen, und zweitens, daß, möchten mich
auch unglückliche Umstände ereilen, es mir die heiligste Pflicht sein
würde, Dich vorzüglich zu decken. Ich weiß wol, lieber Bruder, daß
Deine Einrichtungen und auch Deine Fonds es nicht erlauben, daß Du
mich aus eigenen Mitteln bedeutend unterstützest, allein ich dachte,
daß Deine Verbindungen Dir vielleicht Mittel an die Hand böten, hier
oder da so ein Kapital von etwa bis zu 4000 Fl. zusammenzubringen.
Solltest Du inzwischen keine Gelegenheit haben, so sagst Du es mir nur
einfach und ich suche mich dann anders durchzuschlagen. Es braucht
zwischen uns keiner Complimente darin. Ein Ja ein Ja, ein Wort ein
Wort .... Kurz, lieber Bruder, Alles, was Du vermagst zu thun, das
thue in diesem Augenblicke, der durch das Zusammentreffen mehrerer
Umstände für mich sehr unangenehm ist. Die größte Krise habe ich zwar
überwunden, allein geheilt bin ich noch nicht, und es wird mir noch
große Anstrengungen kosten, ehe ich darüber bin .... Ich habe Dir
Alles sagen und Dir nichts verschweigen wollen. Du und Sophie sind die
einzigen Menschen auf der Erde, die meine wahrhaften Freunde sind. Ich
kann und will Beiden nie etwas verhehlen. Es wird Alles gut gehen, nur
der Augenblick war hart und ist es noch. Die herzlichste Umarmung!
Die Antwort auf diesen Brief liegt nicht vor. Doch ist kaum zu
bezweifeln, daß der Bruder ihm auch in diesem Falle, wie in so manchen
frühern, nach Kräften geholfen, denn unterm 26. August 1805 dankt er
ihm, weil er »die 3000 Fl. wieder in seinen Händen gelassen«, mit
dem Bemerken: wenn er sie gern zurückhaben wolle, so werde ihn dies
nicht geniren, falls er nur etwas vorher davon unterrichtet sei.
Jedenfalls gelang es Brockhaus, seine Verhältnisse zu ordnen, und seinem
Vorsatze getreu schränkte er das kaufmännische Geschäft wesentlich
ein. Im October 1804 scheint er mehrere Wochen in Wesel zugebracht
zu haben, wahrscheinlich eben zur Abwickelung eines frühern größern
Waarengeschäfts.
Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen,
weitstrebenden Geiste nicht lange genügen, und da er theils wegen der
Continentalsperre, theils nach den kaum überstandenen Bedrängnissen
daran festhielt, sein Geschäft in englischen Waaren nicht wieder
auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben
ein anderes Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung
versprach und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte.
2.
Errichtung einer Buchhandlung.
Von Jugend auf von dem lebhaftesten Interesse für die Literatur erfüllt,
hatte Brockhaus, wie schon erwähnt, eigentlich gegen seinen Willen, nur
auf Wunsch seines Vaters und durch zufällige Umstände darauf hingeführt,
den Kaufmannsstand erwählt. Mehr durch fremde als durch eigene Schuld
und durch die Zeitverhältnisse an der Durchführung seiner kühn und
großartig angelegten Handelsunternehmungen gehindert, griff er jetzt
zu der Idee zurück, die ihn seit seinem Aufenthalte in Leipzig oft
lebhaft beschäftigt haben mochte: sich dem Buchhandel zu widmen, als
einem Berufe, in dem er seine kaufmännischen Kenntnisse verwerthen
und doch zugleich seiner Lieblingsneigung, der Beschäftigung mit der
Literatur, leben konnte. Er stand noch in dem ersten Mannesalter, dem
dreiunddreißigsten Lebensjahre; er hatte reiche Erfahrungen gesammelt,
deren Schwere seinen Geist in keiner Weise zu beugen vermochte; er
lebte in den glücklichsten Familienverhältnissen, an der Seite einer
geliebten Frau, von blühenden Kindern umgeben: noch in Arnheim war ihm
am 12. Februar 1802 eine zweite Tochter, Karoline, am 4. Februar 1804 in
Amsterdam ein zweiter Sohn, Heinrich, geboren worden. Sollte er den Muth
sinken lassen und nicht vielmehr versuchen, ob ihm das Glück nicht auf
einem andern Felde lächeln werde?
Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Plans, obwol
seine Buchhandlung formell erst am 15. October 1805 eröffnet wurde
und dieser also der Gründungstag der Firma F. A. Brockhaus ist. Von
diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerisches Circular, allerdings
nicht mit seinem Namen, sondern mit der Firma »Rohloff und Compagnie«
unterzeichnet. Als Ausländer konnte er nämlich nicht Mitglied der
amsterdamer Buchhändlergilde werden, und so bewog er einen ihm bekannten
wackern Mann, den Buchdrucker J. G. Rohloff, zu erlauben, daß das
Geschäft auf dessen Namen geführt werde. Dieser war dabei weiter nicht
betheiligt, als daß er eine kleine Entschädigung für das Hergeben seines
Namens erhielt, und Brockhaus von Anfang an alleiniger Eigenthümer.
Auch ließ Brockhaus den Namen Rohloff's schon nach kaum zwei Jahren,
1807, ganz verschwinden und wählte für seine Firma die schon in jenem
ersten Circular zur Charakterisirung des neuen Geschäfts gebrauchte
Bezeichnung: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, ohne Hinzufügung eines
Namens.[10] Hierüber sagt er in einem Briefe:
Aus Zartgefühl trennte ich bei zunehmenden Geschäften Hrn. Rohloff
von unserm Geschäfte, um auch nicht den Schatten von Besorglichkeit
in der Seele des guten Mannes aufkommen zu lassen, die er doch haben
mußte, da sein Name gebraucht wurde.
Jenes erste Circular, aus dem die Absichten des Begründers gleich
deutlich hervorgehen, lautet:
Amsterdam, den 15. October 1805.
Die Unterzeichneten haben die Ehre, Ihnen hiermit anzuzeigen, daß
sie hierselbst ein Kunst- und Industrie-Comptoir errichtet haben,
welches einerseits zur Absicht hat, nationale Wissenschaft und
Kunst zu befördern und das Ausland damit bekannt zu machen, als
andererseits: den Freunden der Wissenschaften und schönen Künste in
den Vereinigten Niederlanden Gelegenheit zu geben, sich Alles, was
das gebildetere Ausland, vorzüglich Frankreich, England, Deutschland
und Italien, in diesen Hinsichten Merkwürdiges darbietet, schnell
verschaffen zu können.
Wir werden uns bemühen, für die Batavische Republik einen Central-
und Verbindungspunkt zwischen nationaler und fremder Kunst und
Wissenschaft zu bilden und dadurch einem längst gefühlten und
allgemein anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen.
Jeder Auftrag des Auslandes, der sich also auf niederländische
Literatur und Kunst bezieht, wird demnach ebenso pünktlich und
sorgfältig ausgerichtet werden als wiederum alle inländischen
Literatur- und Kunstfreunde Gelegenheit haben, durch uns alle
Literatur-, Kunst- und Musikproducte des Auslandes schnell und zu
billigen Preisen erhalten zu können. Zu beiden Arten von Aufträgen
empfehlen wir uns also ergebenst und werden wir uns beeifern, das
Zutrauen, um welches wir bitten, durch die That zu verdienen.
Rohloff & Co.
Dasselbe Circular wurde gleichzeitig in französischer Sprache versandt.
Der französische Text weicht nur darin von dem deutschen ab, daß es im
ersten Satze heißt: »_que les soussignés viennent d'établir en cette
ville un Institut de Commerce, ~sous la raison~: Bureau des Arts et des
Belles-lettres_«, woraus sich auch die bereits erwähnte, nach damaliger
Sitte ohne weitere Anzeige 1807 erfolgte Umänderung der Firma: Rohloff &
Co., in die von: Kunst- und Industrie-Comptoir, erklärt.
Nähere Mittheilungen über die Gründung des buchhändlerischen
Etablissements enthält ein Brief von Brockhaus an seinen Bruder, dem
er sich natürlich gedrungen fühlte, sofort Kenntniß davon zu geben. Er
schreibt aus Amsterdam vom 26. August 1805:
Ich habe Dir neulich ein paar Worte von einer neuen Unternehmung
gesagt, wobei ich mich interessirt habe.[11] Ich kann Dir jetzt
etwas mehr darüber mittheilen. Ein paar angesehene und sehr
wohlhabende Personen, Freunde der Wissenschaften und Künste, haben
sich nämlich mit mir zu einem Institut wie das Weimarer und Wiener
Industrie-Comptoir vereinigt, freilich sehr im Kleinen, um weniger
selbst etwas zu produciren als fremde Sachen zu debitiren. Der Plan
ist außer allem Zweifel ganz vortrefflich und verspricht, da durchaus
noch nichts Aehnliches im ganzen Lande besteht, reiche Belohnung.
Buch- und Kunst- und Musikalienhandel, activ und passiv, werden
seine Vorwürfe sein. Wir haben einen Hauptdirector und ich bin
Nebendirector, weil ich meiner sonstigen Geschäfte wegen nicht viel
Zeit dazu verwenden kann. Ich werde Dir nächstens mal den Plan, wie
wir ihn Schimmelpenninck vorgelegt haben, zur Einsicht mittheilen.[12]
Wir haben von diesem trefflichen Manne die lebhafteste Ermunterung
erhalten und das Versprechen, uns auf alle mögliche Weise zu
unterstützen.
Fürchte nicht, lieber Bruder, daß es mich in zu große
Weitläufigkeiten setzen werde. Das wird nicht der Fall sein und kann
es nicht sein, besonders da ich mein eigentliches Geschäft blos sehr
mäßig treiben und höchstens darin einen Umschlag von 100000 Fl.
bezwecken werde. Du kennst übrigens meine Liebhaberei für Literatur
und Kunst und kannst also denken, wie angenehm es für mich sein wird,
mich auf diese Art damit zu beschäftigen. Das Museum, das jetzt an
250 Mitglieder hat, wird unser Institut, da einer der Directoren,
Clifford, dabei interessirt ist, zu seinem Fournisseur wählen, und
schon dadurch allein ist uns ein Absatz von 6000 Fl. sicher. Die
Einrichtungen sind übrigens so getroffen oder werden es (denn noch ist
die Sache erst im Werden), daß ich wenig Arbeit damit habe, und es
wird mich dasselbe nicht verhindern, Euch dies Jahr noch zu besuchen,
wenn nicht von andern Seiten vielleicht was dazwischen kommt.
Wer der in diesem Briefe erwähnte »Hauptdirector« des projectirten
buchhändlerischen Geschäfts war, neben dem sich Brockhaus nur als
»Nebendirector« bezeichnet, ist nicht bekannt. Entweder blieb die
Ernennung eines solchen ein bloßes Project, wie sich überhaupt das
Geschäft und Brockhaus' Wirksamkeit in demselben bald wesentlich anders
gestaltete, als er sie sich zuerst gedacht hatte. Oder -- und das
ist das Wahrscheinlichere -- unter dem »Hauptdirector« war derjenige
gemeint, der dem Publikum und speciell der »Gilde« gegenüber mit seinem
Namen hervorzutreten hatte, der Buchdrucker Rohloff, während Brockhaus
unter dem Namen eines »Nebendirectors« factisch der eigentliche Leiter
des Geschäfts wurde. Denn in einem spätern Briefe an seinen Bruder
(vom 25. August 1807) sagt er ausdrücklich, daß er der »alleinige
Eigenthümer« der Firma Rohloff & Co. gewesen sei. Auch die »angesehenen
und sehr wohlhabenden Personen«, von denen er in jenem frühern Briefe
sagt, daß sie mit ihm zur Gründung des Geschäfts sich vereinigt
hätten, sind wol schwerlich als Mitbegründer und Miteigenthümer des
Geschäfts anzusehen; es waren vielmehr »Freunde der Wissenschaften und
Künste«, die als solche und als seine persönlichen Freunde ihm mit
ihrem Einfluß und selbst mit materiellen Mitteln zur Seite standen. So
schreibt er einmal an seinen Bruder: »Ein wackerer Mann, dem ich mich
entdeckte, fand meine Idee sehr gut, und ich erhielt von diesem auch
noch dazu ein Kapital von 6000 Fl.« Dieser »wackere Mann« kann jener
ebenerwähnte Mitdirector des Museums, Clifford, oder der Großpensionär
Schimmelpenninck gewesen sein. Von letzterem wurde Brockhaus jedenfalls
auch materiell bei seinem neuen Unternehmen unterstützt, wie aus spätern
Rechnungspapieren hervorgeht. Ferner nennt er später einmal dankbar
folgende Namen als solcher Amsterdamer, die ihm in ähnlicher Weise
zu Hülfe kamen, ohne daß uns Weiteres als eben diese Namen bekannt
geworden: Gulcher, Falk, Hultmann, Rodde. Möglich ist indeß auch, daß es
ursprünglich auf ein Actienunternehmen abgesehen war, das sich später
zerschlug.
Aus dem oben mitgetheilten Briefe geht ferner hervor, daß Brockhaus
zunächst durchaus nicht die Absicht hatte, sein »eigentliches«
kaufmännisches Geschäft aufzugeben; er wollte dieses nur, wie er es
schon Ende 1804 sich selbst und seinem Bruder versprochen hatte,
nach den bösen Erfahrungen der letzten Zeit wesentlich einschränken
und neben demselben, gewissermaßen als Liebhaberei, das neue
buchhändlerische Geschäft betreiben. Dieses beabsichtigte Verhältniß
kehrte sich allerdings bald um: das buchhändlerische Geschäft wurde
die Hauptsache, das kaufmännische die Nebensache, sei es, daß er das
letztere absichtlich immer mehr einschränkte, oder daß dasselbe immer
weniger rentirte, sei es, daß das erstere sein Interesse und seine
Thätigkeit mehr in Anspruch nahm als er sich gedacht hatte. Indeß gab er
das kaufmännische Geschäft immer noch nicht ganz auf, sondern betrieb
es nebenbei mehrere Jahre fort, bis zu seinem Weggange von Amsterdam,
obwol er noch mehrmals sich ganz davon loszumachen versuchte. Eine
solche Doppelstellung erscheint in unserer Zeit der Arbeitstheilung
ungewöhnlich; damals und bei dem raschen Wechsel der politischen
Verhältnisse kam sie öfter vor.
Des Zusammenhangs wegen mögen aus dem bereits erwähnten spätern Briefe
an seinen Bruder vom 25. August 1807 einige Stellen gleich noch hier
folgen:
Ich halte es für den glücklichsten Gedanken meines Lebens, daß ich,
als vor zwei Jahren ich die Unmöglichkeit begriff, mein Geschäft in
englischen Manufacturwaaren mit Glück, Ruhe und Segen fortführen zu
können, um davon meine schwere Haushaltung und Ausgaben zu bestreiten,
daß ich da den Entschluß faßte, hier ein Etablissement für Buch- und
Kunsthandel zu errichten, wie es in unserm Lande keines gab, das mir
ein gutes Auskommen versprach, keinen übergroßen Fonds erforderte
und das meinem Genius vollkommen angemessen war. Indessen hatte ich
zur Absicht, doch ein _noyau_ für Manufacturgeschäfte beizubehalten,
um in günstigern Zeiten es vielleicht wieder aufzufassen und weiter
auszudehnen. Ich war zu der Zeit einer der Directoren unsers Museums
und meine Idee wurde dadurch sehr begünstigt .... Durch die Kenntniß
und durch die Thätigkeit, welche ich in das neue, meinem Sinne so
angemessene Geschäft legte, wuchs solches bald bedeutend, und ich
entschloß mich, den _noyau_, den ich noch von Manufacturen angehalten
hatte, fahren zu lassen und mich ganz und allein dem neuen Geschäfte
zu widmen, für welches, wie wol Jeder gestehen wird, der mich kennt,
ich Jedem und mir selbst außerordentlich berechnet schien ... Antheil
hat Niemand am ganzen Geschäfte als ich allein. Ich lasse indessen im
Publikum die Idee gelten, als ob mehrere dabei interessirt wären.
Er erwähnt dann noch, daß er seine »andere sehr lucrative aber lästige
Unternehmung« (den kaufmännischen _noyau_) zu verkaufen beabsichtige;
indeß findet sich keine Notiz, ob und wann dieser Plan zur Ausführung
gekommen.
* * * * *
Doch kehren wir zu dem Beginn seines buchhändlerischen Unternehmens im
Sommer 1805 zurück, das er, wie alles im Leben, sofort mit lebhaftem
Eifer und nach großartigen Gesichtspunkten anfaßte.
Noch vor Erlaß des Circulars schrieb er an einige größere
Buchhandlungen, um gleich bei Eröffnung seines Geschäfts wohlgerüstet
auftreten zu können. Nur zwei solcher Briefe sind uns erhalten, beide an
Breitkopf & Härtel in Leipzig gerichtet.[13]
In dem ersten, Amsterdam, 5. September 1805 datirt und noch nicht mit
der Firma des neuen Geschäfts, sondern »A. Brockhaus« unterzeichnet,
heißt es:
Einige Freunde der Literatur und schönen Künste haben sich
entschlossen, hierselbst eine Buch- und Kunsthandlung anzulegen nach
einem ganz neuen Plane, und dadurch für unsere Republik einem sehr
gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen. Es wird sich solche mit eigenem
Verlage und mit Sortiment befassen und sich überhaupt bemühen, der
Verbindungspunkt zwischen nationaler und ausländischer Wissenschaft
und Kunst zu werden. Der vollkommene Mangel eines solchen Instituts
in den Vereinigten Niederlanden, die glückliche Lage derselben zur
Unterhaltung eines Verkehrs mit allen Nationen, selbst mit fremden
Welttheilen, der Geist der Zeit überhaupt und endlich die Kenntnisse,
der Eifer und die Mittel der Unternehmer -- Alles dieses läßt der
Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit einen guten Erfolg hoffen.
Es sind noch einige Hindernisse, die in dem Zunft- und Gildenwesen
ihre Ursachen haben, zu beseitigen, und wir müssen also die
Herumsendung unserer Circulare, woraus Sie alles Nähere ersehen
werden, so lange aussetzen. In einigen Wochen wird solches aber
spätestens geschehen. Bis dahin habe ich, einer der Mitunternehmer,
übernommen, schon einige Einleitungscorrespondenz anzufangen,
und in dieser Qualität bin ich deshalb auch so frei, Ihnen das
Gegenwärtige zu adressiren. Es soll sich dasselbe heute allein auf
Ihren Musikverlag beziehen. Musikalienhandlung liegt vorzüglich
mit im Plane unsers Instituts, da wir darin uns des besten Erfolgs
schmeicheln dürfen, weil hierin fast nichts in unserer Republik gethan
ist, unerachtet in derselben eine ausgezeichnete Liebhaberei für jede
Gattung der Tonkunst statthat. Wir wünschen zu diesem Zwecke also mit
den vorzüglichsten Musikalienhandlungen in Deutschland, der Schweiz
und Frankreich in Verbindung zu treten und von denselben ihren Verlag
in Commission zu erhalten, indem -- wenigstens vor der Hand -- es ganz
unmöglich ist, sich selbigen gleich auf eigene Rechnung anzuschaffen.
Meine ergebenste Frage an Sie ist also hierdurch: ob Sie sich hierzu
wol entschließen möchten, und wenn das: ob Sie sich, was wir wünschen
müssen, auf uns für unsere Republik einschränken und künftige ähnliche
Anfragen zurückweisen wollen, solange unser Verkehr und Vertrieb Ihnen
ansteht, und drittens: welches Ihre Bedingungen, Vortheile und Rabatte
sind, die Sie zugestehen.
Aus einer Notiz auf dem Briefe ist zu ersehen, daß Breitkopf & Härtel in
Leipzig unterm 11. September antworteten:
40 Procent gegen Baarzahlung, wenn er für netto 100 Thlr. nimmt; das
franco Remittirte tauschen wir gegen andere Sachen aus.
Darauf erwidert Brockhaus unterm 27. September:
Ihre Zuschrift vom 11. d. M. habe ich wohl erhalten und sie unserm
Institute vorgelegt. Es hat dieses nichts dagegen, Ihnen zum Anfange
comptant zu zahlen, jedoch unter der von Ihnen selbst angebotenen
Bedingung, von Zeit zu Zeit das nicht Verkaufte gegen andere Artikel
vertauschen zu können, und unter der, daß Sie uns anstatt 40 : 50
Procent Rabatt geben. Wenn Ihnen dies convenirt, so wollen Sie für
circa 400 Thlr. der neuesten und am meisten gesuchten Sachen -- ein
Sortiment von Allem -- für uns auslegen und über Zwoll p. Adr. des
Herrn F. L. Schlingemann an mich mit dem Postwagen absenden. Wir
bitten Sie, diese Auswahl in jeder Rücksicht auf das sorgfältigste und
geschmackvollste zu treffen. Es ist unser Debüt in diesem Artikel und
also um so nöthiger. Den ungefähren Betrag _de circa_ 200 Thlr. wollen
Sie in zwei Monat dato in holländischen Ct. Fl. (Courant-Gulden) nach
dem dortigen Course auf mich bei der Absendung entnehmen. Factura und
Avis über Ihre Tratte erwarte mit der Briefpost.
Aus dieser Correspondenz ersieht man, wie leicht sich Brockhaus in die
neuen Geschäftsverhältnisse fand, die ihm bisher ganz fremd waren, da er
doch nie den Buchhandel oder gar den Musikalienhandel »erlernt« hatte,
und wie umsichtig er sein Geschäft begann. Für die bestellten Musikalien
fand er auch bald einen regelmäßigen Abnehmer, indem ihm die Direction
des großen Concerts die Lieferung ihres Bedarfs übertrug; dies geschah
indeß erst am 21. October, während er jene erste Bestellung bereits am
27. September aufgegeben hatte. Auch das Museum übertrug ihm sofort die
Lieferung seiner Zeitungen und Bücher.
Um mit dem deutschen Buchhandel ordnungsmäßig verkehren zu können, hatte
er, auch noch vor Erlaß seines Circulars, einen Commissionär in Leipzig
gesucht und in der Person des Herrn Heinrich Gräff gefunden; er erwähnt
seiner bereits am 5. September in dem ersten Briefe an Breitkopf &
Härtel.
Aber noch kühnere Ideen hegte er gleich bei Beginn seiner
buchhändlerischen Laufbahn: er dachte sofort auch an die Errichtung
einer Buchdruckerei in Amsterdam! In demselben Briefe heißt es:
Durch Herrn Gräff habe ich mir auch schon eine Probe von Ihrer
Schriftgießerei erbeten, da wir die Absicht haben, auch ehestens eine
Druckerei anzulegen, wozu wir wol gezwungen sind, da in unserer ganzen
Republik keine Buchdruckerei existirt, die nur etwas Erträgliches zu
liefern im Stande wäre.
Dieses Project kam freilich damals nicht zur Ausführung, sondern erst in
viel späterer Zeit (1818 in Leipzig), wie so manche Einrichtungen in dem
von ihm begründeten Geschäfte, zu denen er noch den Keim gelegt hatte.
Daß er sich überhaupt auch für das seinem Ideenkreise ferner liegende
technische Gebiet interessirte, geht noch aus folgendem, unterm 12.
Juli 1805 an Professor Gubitz in Berlin gerichteten Briefe hervor,
der zugleich zeigt, wie sorgfältig er schon damals die deutsche
Journalliteratur verfolgte:
Durch die Discussionen, die unlängst zwischen Ihnen und Hrn. N. N.
im »Freimüthigen« und in der »Zeitung für die elegante Welt« Platz
gehabt und meiner Meinung nach sich auf eine sehr schmeichelhafte
Weise für Sie und die schöne Kunst, der Sie mit einem so edlen
Enthusiasmus anhangen, geendigt haben[14], bin ich auf Ihre Bemerkung:
daß sich die Holzschneidekunst sehr zu unnachahmlichen Staatspapieren
u. dgl. eigne, und durch die Anzeige, daß Sie sich mit Versuchen
hierüber beschäftigten, insofern aufmerksam gemacht worden, daß
ich einen Freund hierselbst, der einen sehr ansehnlichen Debit in
gestochenen Wechseln (deutscher, holländischer und allen andern
Sprachen), in Assignationen, Leistungen u. dgl. hat und der jährlich
eine ganze Menge Platten abnutzt, ebenfalls aufmerksam gemacht habe,
daß sich Formen aus Holz hierzu wol besser eignen und ihm einen
ansehnlichern Vortheil abwerfen würden als Kupferplatten, die gleich
abgenutzt sind. Mein Freund hat meine Idee sehr gut gefunden, und er
hat mir demzufolge den Auftrag gegeben, mich mit Ihnen darüber zu
unterhalten, welches zu thun ich mir hierdurch also die Freiheit nehme.
Meine ergebenste Frage an Sie wäre also: ob Sie sich auch wol
schon mit solchen Gegenständen beschäftigt, als oben erwähnt, und ob
Sie mir darüber nicht einige Proben einsenden können? Wenn das aber
nicht wäre -- ob Sie dann glauben, daß sich Ihre Kunst auch sehr zu
Buchstaben und Zahlenzeichen eigne? Dann, was eine Platte, wie z. B.
zu einliegendem Wechsel, kosten werde? Und endlich, ob Sie in den
ersten drei Monaten wol Zeit haben würden, um ein halbes oder ganzes
Dutzend von solchen und ähnlichen Formen fertig zu machen?
Recht sehr angenehm wird es mir sein, hierüber baldmöglichst und
wenn's angeht mit umgehender Post ausführliche Antwort zu erhalten,
und in dieser Erwartung habe ich die Ehre, mich Ihnen auf das
höflichste und ergebenste zu empfehlen.
Als ein Zeichen von Vertrauen zu dem neuerrichteten Geschäfte darf es
wol betrachtet werden, daß das altberühmte Haus Breitkopf & Härtel in
Leipzig ihm schon auf den ersten Brief hin den Antrag machte, auch
für den Vertrieb der Erzeugnisse seiner Pianofortefabrikation thätig
zu sein. Diesen Vorschlag glaubte Brockhaus indeß doch vor der Hand
ablehnen zu müssen. Er schrieb:
Zu einem Geschäft mit Pianoforten oder sonstigen Instrumenten sind
wir noch nicht eingerichtet. Unser Institut ist erst im Beginnen und
kann nicht Alles zugleich unternehmen. Auch hält man hier nicht viel
von ausländischen Pianofortes, da man dafür hält, daß sie dem hiesigen
feuchten Klima nicht widerständen, sodaß man fast nur einheimische von
Van der Does, Meyer und andern ausgezeichneten Meistern gebraucht.
Da ich mir indessen selbst eins anschaffen will, so dürfte ich mich
vielleicht entschließen, dazu eins von Ihnen zu nehmen, und es könnte
solches dann als Muster dienen. Melden Sie mir also gefälligst die
Preise der verschiedenen Arten und Formen und melden Sie mir, welche
jetzt die beliebtesten und gesuchtesten sind.
So nach allen Seiten hin blickend, legte Brockhaus mit sicherer Hand die
Grundlagen zu seinem neuen Geschäfte.
3.
Erste journalistische Verlegerthätigkeit.
Neben dem Sortimentsgeschäft: der Einführung ausländischer, besonders
deutscher und französischer Literatur, mit Einschluß der musikalischen,
nach Holland, widmete sich Brockhaus gleich im Beginne seiner
buchhändlerischen Laufbahn mit fast noch größerm Eifer der Begründung
eines Verlagsgeschäfts, das später die Hauptthätigkeit der von ihm
begründeten Firma bilden sollte. Er fühlte, daß dieses allein seinem
regen Geiste genügende Nahrung darbieten könne, wenn er auch wol noch
keine Ahnung davon hatte, zu welchem Umfange dasselbe allmählich
erwachsen werde. Und während er als Sortimentsbuchhändler von Anfang
an die internationale Seite vorzugsweise ins Auge faßte und in seinem
Geschäfte einen Mittelpunkt für den buchhändlerischen Verkehr der
verschiedenen Nationen zu schaffen suchte (eine Idee, die von seiner
Firma stets als ein Lieblingsgedanke gepflegt und, freilich erst lange
nach seinem Tode, in einer Weise verwirklicht worden ist, wie sie
ihm selbst vielleicht nur als Ideal vorgeschwebt haben mag), erfaßte
er als Verleger zunächst die nationale Seite, indem er, um seinem
Programm gemäß auch »nationale Wissenschaft und Kunst zu befördern«,
journalistische Unternehmungen zu begründen suchte. Auch darin also hat
er den Grund gelegt zu einer der Hauptthätigkeiten seines Hauses.
Als Deutscher in Holland lebend und durch Vorliebe besonders zur
Literatur Frankreichs hingezogen, suchte er jeder dieser drei
Richtungen gerecht zu werden; er begründete kurz nacheinander eine
holländische politisch-literarische Zeitung: »_De Ster_«, eine deutsche
zeitgeschichtliche Monatsschrift: Cramer's »Individualitäten«,
endlich eine französische belletristische Vierteljahrsschrift: »_Le
Conservateur_«.
Ueber diesen Beginn seiner Verlegerthätigkeit spricht er sich in einem
Briefe an Karl Friedrich Cramer aus, der in dessen »Individualitäten«
abgedruckt ist (wir kommen auf dieses Werk und seinen Verfasser bald
näher zu sprechen) und auch seines sonstigen Inhalts wegen hier
mitgetheilt zu werden verdient. Er schreibt aus Amsterdam vom 17.
October 1805, also zwei Tage nach Erlaß seines Circulars:
Indem wir die Ehre haben, Ihnen angebogen ein Circular unsers
hierselbst angefangenen Geschäfts zu übersenden, können wir uns das
Vergnügen nicht versagen, uns noch näher mit Ihnen zu unterhalten;
sowol weil wir wünschen, mit Ihnen in eine fortlaufende Geschäfts- und
literarische Verbindung zu treten, als auch um Sie wegen Eines und
Andern um Rath zu fragen.
Hr. B. (Brockhaus), Schreiber dieses, der vorzüglichere Unternehmer
und Eigenthümer unsers Geschäfts, hat nämlich stets an Ihren
Schicksalen den innigsten Theil genommen, und es gibt vielleicht
wenige Personen, zu deren Individualität er sich von jeher so
hingezogen gefühlt hätte als zu der Ihrigen. Als Knabe und Jüngling
schon -- er ist jetzo in den Dreißigern -- interessirte ihn vielleicht
kein Schriftsteller in dem Grade als Sie, mit Ihren rhapsodischen,
kühnen, aber alles Edle und Schöne mit der innigsten Wärme
umfassenden Schriften. Er schwärmte mit Ihnen bei der Morgenröthe der
französischen Freiheit; Klopstock und Ihre Lieblingsschriftsteller
waren die seinen; jede von Ihnen herausgegebene Schrift wurde von ihm
mit Begierde gelesen; er litt mit Ihnen bei Ihrem Weggange von Kiel;
er indignirte sich über die Xenien wider Sie; er begleitete Sie mit
einem sorgsamen ängstlichen Auge nach Paris, wo er sich um dieselbe
Zeit wegen Handlungsgeschäften gerade einige Wochen aufhielt, in
denen Sie dort eben angekommen waren (kurz nach dem berühmten XIII.
Vendémiaire), was er freilich nicht eher erfuhr als durch Reichardt's
Journal.[15] Seitdem forschte er nach, wo er nur konnte, ob es Ihnen
wohlgehe; er suchte Alles zu lesen, was Sie von Zeit zu Zeit in
Deutschland und Paris bekannt machten, und es ist ihm schwerlich
etwas entgangen vom »Bardieten« an bis zu den »Tempelherren«, von der
»hehren Jungfrau« bis zu Fischer's -- seines persönlichen Freundes
-- »Valencia«.[16] Auch von den Arbeiten, wo Sie sich nicht nannten,
wie oft im Journal »Frankreich«, in der »Eleganten Zeitung«, in den
»Französischen Miscellen«, in den »Europäischen Annalen«, hat er Sie,
und gewiß selten unrecht, errathen -- Sie sehen also, daß wir uns wol
als alte Bekannte constituiren können.
Damit Sie aber auch wissen, wer dieser Ihr unbekannter Freund ist,
so wollen wir Ihnen das auch mit ein paar Worten sagen, Ihnen, der so
viel auf Namen und individuelle Hinstellung hält. Ihr Freund heißt
also .. Wilibald[17], ist ein Westfälinger, von Dortmund gebürtig ...
In Düsseldorf lernte er die Handlung. In Leipzig studirte er, wie man
sagt .. nach Ablauf der Lehrzeit. Im Jahre 1798 etablirte er sich
in seiner Vaterstadt und heirathete ein liebes Weib. Seine Handlung
zog ihn im Jahre 1802 nach Holland, wo er sich denn diese Zeit her
in Amsterdam niederließ und seine Handlung mit .... fortsetzt.[18] Es
geht ihm hier wohl und er lebt seinen Geschäften, seiner Familie und
nebenher den Wissenschaften. Das jetzige Prohibitivsystem unserer
Regierung gibt ihm in seiner Handlung mehr als gewöhnlich Muße, und
aus alter Liebhaberei für Literatur und schöne Künste hat er die Idee
zur Errichtung eines Kunst- und Industrie-Comptoirs gefaßt, und glaubt
Zeit und Kenntnisse genug zu haben, es neben seinen andern Geschäften
leiten zu können.
Die Geschäfte unsers Comptoirs sollen in Buch-, Musik- und
Kunsthandel bestehen und in eigenen Verlagsunternehmungen, die uns
dem Geiste der Zeit angemessen scheinen. Zu unsern Commissionen in
Paris haben wir uns an Herrn Hinrichs gewendet .... besonders da wir
bereits den ehrenvollen Auftrag erhalten, für das hiesige Museum alle
und jede literarischen Neuigkeiten aller Sprachen zu liefern, ein
Auftrag, der in jeder Hinsicht so wichtig für uns ist, daß wir ihm
die größte Pünktlichkeit und Ordnung zu widmen schuldig sind. Wegen
unsers Musiklagers bleibt es uns durchaus nothwendig, daß wir uns auf
französische Musik legen. Die Mode will es; diese Musik ist jetzt hier
_à l'ordre du jour_ und da es in Amsterdam keine einzige gut oder auch
nur einmal erträglich organisirte Musikhandlung gibt, so würden wir ...
Ich komme jetzt auf das Fach unserer eigenen Unternehmungen, die wir
successive auszuführen suchen werden und worüber wir uns ebenfalls
Ihren Rath und Beistand erbitten. Die ersten davon dürften sein:
1) eine holländische politisch-literarische Zeitung,
2) eine dergleichen für ....[19]
Es gibt durchaus kein Land in der Welt, das ein größeres Interesse
an dem Wechsel der Weltbegebenheiten nimmt als das unsere, weil
keines ist, das den großen Herren in Westen, Süden, Osten und Norden
so viel Geld geliehen als unsere Nation und wo ein so großer Handel
mit Staatspapieren getrieben wird als hier. Man liest also in Holland
mit verschlingender Neugier Alles, was nur wie eine Zeitung aussieht.
Daher sind denn auch wol unsere Zeitungen ohne alle Ausnahme so
schlecht und Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine nach einem der
jetzigen Zeit mehr angemessenen Plane vielen Beifall und einen
brillanten Absatz haben würde. Wir haben also ....
Das wären mithin unsere Zeitungsunternehmungen. Andere literarische
werden wir jede Messe einige machen, um in Leipzig Tauschartikel
zu haben, da wir viel deutsche Bücher beziehen müssen. Sollten Sie
also selbst etwas auf dem Amboß haben oder von Ihren literarischen
Freunden dergleichen wissen, so bitten wir Sie recht sehr, dabei
an uns zu denken. Sie werden es so gut fühlen als wir, daß unser
Comptoir als ein junges neues Geschäft doppelt vorsichtig bei der
Wahl seiner Verlagsartikel sein muß, und uns also nur so was anrathen
und anbieten, dessen Beifall und guter Aufnahme Sie sicher wären. Ich
habe in einem der neuesten Stücke der »Französischen Miscellen« die
Ursache ersehen, warum Sie Ihr hinreißend interessantes Tagebuch nicht
fortgesetzt haben, daß Sie es aber fortsetzen wollen. Haben Sie dazu
schon einen Verleger? Sonst bin ich Ihr Mann. Es würde mir sehr viel
Freude machen, wenn wir dieses anziehende Werk herausgeben könnten.
Melden Sie mir mit umgehender Post doch das Nähere hierüber.
Ich denke, sollten Daunon, Chenier, Riouffe, Oelsner, Ginguené u. a.
nicht auch noch Memoiren oder andere Producte ähnlichen Inhalts in
ihrem Pulte besitzen? .... Sie kennen diese Männer alle. Denken Sie
dabei an uns. Wir bieten die Hand und besitzen jedes Mittel dazu;
u. s. w.
Bevor wir Cramer's Antwort auf diesen Brief mittheilen und die daraus
hervorgehende geschäftliche und freundschaftliche Verbindung zwischen
beiden Männern schildern, haben wir über die holländische Zeitschrift
»_De Ster_« (»Der Stern«) zu berichten, da sie Brockhaus' erstes
Verlagsunternehmen war.
Die erste Nummer dieser Zeitschrift erschien am 11. März 1806. Ein
Redacteur ist nicht genannt, jedenfalls besorgte Brockhaus selbst
die Redaction. Auch ein Verleger ist auf dem Blatte nicht namhaft
gemacht, wie überhaupt das Erforderniß solcher Angaben erst eine
Erfindung der spätern Preßgesetzgebung ist. Die Ankündigungen sind
entweder »Der Unternehmer« oder »Die Expedition des Stern« oder »Das
Expeditions-Comptoir in der Warmoesstraat No. 2« unterzeichnet. Gedruckt
wurde das Blatt von J. G. Rohloff, dem Firmaträger des Geschäfts.
Der »_Ster_«, der dreimal wöchentlich in Klein-Folio-Format erschien,
war keine politische Zeitung, sondern eine politisch-literarische
Zeitschrift. In dem von »den Unternehmern« in holländischer Sprache
ausgegebenen Programme heißt es ausdrücklich:
Das hauptsächlichste Ziel ihrer Zeitschrift soll nicht das sein, die
allgemeine Neugierde nach politischen Gegenständen auf die gewöhnliche
Art zu befriedigen, vielmehr werden alle sogenannten posttäglichen
Zeitungsnachrichten davon ausgeschlossen bleiben. Statt dessen werden
die Sammler dahin trachten, ihrer Nation die nähere Verbindung der
besondern Weltverhältnisse kennen zu lehren; den Fortschritt oder das
Zurückgehen der Cultur und Aufklärung bei andern Völkern zu ihrer
Wissenschaft zu bringen und ihr dadurch gewissermaßen einen Prüfstein
für ihre eigenen in die Hand zu geben; Nachrichten vom Zustande des
Handels, der Manufacturen und Fabriken in andern Ländern mitzutheilen;
Bemerkungen über dasjenige, was in dieser Rücksicht in unserm eigenen
Vaterlande Neues an den Tag tritt einzuschalten; das lesende Publikum
durch geistvolle Aufsätze aller Art angenehm und lehrreich zu
unterhalten; endlich durch unparteiische Beurtheilungen einen Versuch
zu machen, auf unsere Sitten, gesellschaftlichen Einrichtungen,
einige Zweige der Staatsverwaltung von einigem Einflusse zu sein:
eine Aussicht allerdings sehr weiten Umfangs, deren Nützlichkeit
aber Unternehmer und Redacteurs sich Mühe geben werden, nie aus dem
Gesichte zu verlieren.
Diesem Programm gemäß brachte »_De Ster_« neben Besprechungen von
literarischen und Theaterangelegenheiten, die den größten Raum einnehmen
und eigenthümlicherweise bisweilen auch in französischer und deutscher
Sprache geschrieben sind, keine politischen Nachrichten, sondern
Erörterungen über die politische Lage Europas. Bei aller Bewunderung
der Französischen Revolution und ihrer Principien, die nach der
damaligen Zeitströmung begreiflich ist und von dem Herausgeber Brockhaus
persönlich getheilt wurde, hielt sich das Blatt doch fern von einer
Verherrlichung Napoleon's und verrieth durchaus keine Sympathien für
dessen nivellirende Maßregeln und immer deutlicher hervortretende
Absicht, der am 16. Mai 1795 mit französischer Hülfe proclamirten
Batavischen Republik wieder ein Ende zu machen; ja seine Politik wird
bald offen gemisbilligt, bald durch versteckte Satire angegriffen.
Am 29. April 1805 war die Verfassung der Batavischen Republik auf
Napoleon's Wunsch zum dritten male umgeändert und der Patriot Rütger Jan
Schimmelpenninck, in dem er ein gefügiges Werkzeug für seine Plane zu
finden hoffte, als Groß- oder Rathspensionär (unter Erneuerung dieses
alten holländischen Staatsamtes) mit fast unbeschränkter königlicher
Macht an die Spitze derselben gestellt worden. Schimmelpenninck benutzte
seine Stellung aufs beste, um die durch Gebietsabtretungen an Frankreich
und England geschwächte und finanziell zerrüttete Republik wieder zu
heben. Doch gelang ihm dies nur zum kleinsten Theile, während er dadurch
Napoleon's Mistrauen erweckte. Als sich bald darauf ein Augenübel
Schimmelpenninck's so verschlimmerte, daß dieser fast ganz erblindete,
benutzte Napoleon diesen Umstand, um den ihm jetzt gefährlich
erscheinenden Patrioten zu beseitigen und mit seinem langgehegten Plane
offen hervorzutreten. Er schlug vor, seinen Bruder Ludwig Bonaparte zum
König von Holland zu wählen. Vergebens bemühte sich Schimmelpenninck,
diesem gewaltsamen Aufdrängen eines Fremdlings entgegenzuwirken;
Napoleon's Wunsch war damals so gut wie ein Befehl, und am 5. Juni 1806
wurde sein Bruder zum König von Holland ausgerufen, die Batavische
Republik war todt. Das Königreich Holland von Napoleon's Gnaden hatte
freilich auch keinen langen Bestand: die neuen Unglücksfälle, die das
Land trafen, veranlaßten den König schon am 1. Juli 1810 die Krone zu
Gunsten seines ältesten Sohnes (des ältern Bruders Napoleon's III.)
niederzulegen, doch Napoleon erkannte dies nicht an; ein Decret vom
9. Juli 1810 vereinigte das Königreich Holland mit dem französischen
Kaiserreiche, und erst im Herbste 1813 wurde durch die Schlacht bei
Leipzig auch Hollands staatliche Selbständigkeit wiederhergestellt.
Wir mußten an diese geschichtlichen Daten erinnern, weil durch sie die
Haltung und das Schicksal der jungen Zeitschrift erklärt wird. Als »_De
Ster_« am 11. März 1806 zu erscheinen begann, bestand die Batavische
Republik noch, und die Zeitschrift wirkte im Sinne des mit Brockhaus
persönlich befreundeten Großpensionärs Schimmelpenninck. Indeß schon
in ihrer Nummer 37 vom 3. Juni hat sie die Umwandlung der Republik in
ein Königreich zu melden; in der zweitfolgenden Nummer 39 vom 7. Juni
muß sie erklären, daß sie »auf Wunsch der Herren Magistratspersonen
der Stadt Amsterdam« nicht fortfahren kann, »betrachtende Artikel, den
gegenwärtigen Zustand unsers Vaterlandes betreffend«, aufzunehmen; die
nächste Nummer aber, Nr. 40 vom 10. Juni, ist zugleich die letzte: »_De
Ster_« war durch königlichen Befehl vom 9. Juni unterdrückt worden!
Gründe dieses Verbots sind in dem betreffenden Decrete nicht angegeben;
sie lagen wol darin, daß die neuen Machthaber überhaupt kein politisches
Blatt dulden wollten, das nicht ganz ihren Absichten huldigte.
Trotz dieses Schlags verlor übrigens Brockhaus den Muth nicht; er
gründete sofort ein neues Blatt unter dem Titel »_Amsterdamsch
Avond-Journal_« oder vielmehr er änderte nur den bisherigen Titel
»_De Ster_« in jenen um, denn das neue Blatt gleicht dem alten
vollständig, sowol äußerlich wie innerlich, und tritt selbst so offen
als unmittelbare Fortsetzung desselben auf, daß Nr. 2 den Schluß eines
in der letzten Nummer des »_Ster_« begonnenen Artikels bringt! In
der vom 19. Juni (also nur neun Tage nach dem Erscheinen der letzten
Nummer des »_Ster_«) datirten Nr. 1 ist ein Auszug aus einem königlichen
Decrete vom 16. Juni abgedruckt, worin die Erlaubniß zu dem neuen
Blatte ertheilt ist. Dieses hielt sich indeß noch weniger lange als
das frühere; es erschienen davon nur zwanzig Nummern, die letzte am 2.
August, ohne daß über den Grund seines Aufhörens etwas mitgetheilt ist.
Einige Aeußerungen Cramer's (in seinen »Individualitäten«) über den
»_Ster_« mögen als die einzige uns bekannte öffentliche Besprechung und
zur Charakterisirung der Zeitschrift wie ihres Begründers hier folgen.
Cramer schreibt aus Amsterdam vom 17. Februar 1806:
Es werden noch manche Sterne aufgehen, denke ich, am hiesigen sowie
an allen Horizonten der Welt. Einer, an dem ich einen so lebhaften
Antheil nehme, als hätte ich ihn selber hervorgerufen aus dem Nichts,
ist der, den uns unser Freund Wilibald[20] gleich in seinem ersten
Briefe an mich angekündigt hat, und womit er jetzo in voller Arbeit
begriffen ist. Die Zeitung, die er so nach einem bereits in Engelland
funkelnden benennt, aber die durchaus nicht ganz politisch sein soll,
scheint nun, nach den vorläufigen unvermeidlichen Geburtswehen, ihrem
ans Lichttreten ziemlich nah. Welch schönes Feld hat er darin, in
Gemeinschaft mit so vielen der besten hiesigen Geister, die daran
theilnehmen werden, für Wirkung auf Wissenschaft und Geschmack in all
den mannichfaltigen Aesten und Zweigen des großen Baums der Erkenntniß
Gutes und Böses vor sich! Es ist ein völlig jungfräulicher Boden; von
keinem -- zu meinem großen Verwundern! bisher in den sieben Provinzen
urbar gemacht; eine Idee, um die man beneiden ihn muß. Ich will nicht
sagen, daß sie unter den andern _Couranten_ von Amsterdam, Rotterdam,
Haag schimmern wird, »wie unter den Sternen der Mond«; -- denn diese
haben gar keinen Glanz; geben nichts als die magerste politische
Kost, ohne jemals ein Fünkchen Raisonnement, in einem Schwall der
tädiösesten Edictalcitationen, Tod- und Geburtannoncen, Nachrichten
angekommener Schiffer, oder Gewürzkrämer- und anderer Notizen
ersäuft, größtentheils auf schändlichem Papier mit noch schändlicher
stumpfen Lettern gedruckt .... sie wird durch ihren Inhalt für
denkende, gebildete Leser, für jeden Erkenntnißbegierigen ein
Komet, ein wahres Phänomen von neuem Weltkörper sein. Alle möglichen
literarischen auswärtigen Mittel, außer vielen inländischen, stehen
ihm, der ein Kaufmann aus unsers Sieveking's Kategorie ist, zu Gebot;
und da er im Kopfe den Zeug, aus Allem die Quintessenz zu wählen,
besitzt, wird es sehr leicht für ihn werden, daß er an Interesse die
»Freymüthigen«, die »Eleganten Zeitungen«, die »Auroren«, »Sphinxe«,
und was weiß ich, wie sie alle heißen? so weit übertreffe, als der
wieder aufgeweckte brüsselsche »_Esprit des Journaux_« nach dem ich
unter allen Tag- und Monatsschriften in Paris am happigsten greife,
die einzelnen Journale, aus denen ihn der Verfasser distillirt. Ueber
die Organisation und Nativitätstellung dieses Sterns haben wir uns in
den vergangenen Wochen fast tagtäglich unterredt; und uns gestern noch
mit Bestimmung des emblematischen Druckerstockes dazu amüsirt. Einer
aus Gille's Carte hat uns dazu zum Muster gedient, mit den gehörigen
Veränderungen jedoch; so daß der blitzführende Adler unten in den
siebenpfeiletragenden Löwen, und die Kaiserkrone in den batavischen
Freiheitshut umgewandelt worden ist; zur Seite ein Eichen- und
Lorbeerzweig, das Schöne zum Ernsten! -- dessen Kreis der Stern denn
durchstrahlt. Sobald was davon dem Telescop oder Auge sichtbar werden
wird, gebe ich Dir weitere Nachricht.
Diese Nachricht findet sich in einem Briefe Cramer's vom 30. März,
ebenfalls aus Amsterdam:
Als ich aus dem Ballet wieder zu Wilibald kam, fand ich seinen
Landsmann, den Kaufmann Mallinckrodt aus Arnheim[21], noch bei ihm,
einen vortrefflichen Gesellschafter und humanen Mann ..... Vom
»Sterne« hat er eben noch die ersten drei oder vier Blätter gesehen
und einstecken gekonnt, die mit sehr piquanter Speise angefüllt
sind; auf den ersten Netzwurf hat Wilibald doch gleich so viel
Abonnenten gehabt, daß die Kosten gedeckt sind durch den Fang, und
Tag vor Tag laufen der Schäflein mehr in die Hürden ein. Es stehen
leckere politische, ästhetische, mercantilische Artikel drin; jedem
Fremden, der holländisch mit Vergnügen lernen will, gibt der »Stern«
die empfehlungswürdigste Uebungschrestomathie ab; schon erste der
hiesigen Köpfe arbeiten daran (z. E. eine Kritik der Aufführung des
Trauerspiels »Tancred«), es wird also eine Elite wahrscheinlich
von Sprache, ein Schatz werden für das Lexikon und den Stil der
Nation. Im vierten Stücke steht eine treffliche Uebersetzung von
Sturzens Reise nach dem Deister, depaysirt, und hier nach Soesdyk
hinversetzt; auch kömmt die hiesige Plantage darin vor. Ich denke:
es wird den amsterdammer Damen gefallen, das Stück; und warum nicht
den Rotterdammerinnen Haagerinnen, Delfterinnen, Gröningerinnen &c.
auch? Giebt es Eine, in welcher Stadt auf der Erde es sei, der dies
Schalksstück nicht aus dem Herzen und dem Wandel wie abgeschrieben
gleichsam ist?
Cramer's schon mehrfach erwähnte »Individualitäten« waren das zweite
journalistische Unternehmen des jungen Verlegers, ein deutsches neben
dem holländischen »_Ster_« und dem französischen »_Conservateur_«. Denn
wenn es uns auch nur in Buchform vorliegt, in vier Bändchen, die »Hefte«
genannt sind, so zeigt doch die ganze innere und äußere Einrichtung
(die Eintheilung in einzelne Abschnitte und Briefe mit fortlaufenden
Daten, vom 2. August 1805 bis 26. September 1806) den journalistischen
Charakter. Noch mehr geht dies aus dem am 15. März 1806 zwischen
Brockhaus und Cramer darüber abgeschlossenen Verlagscontracte hervor.
Danach handelte es sich um den in »freien Heften« herauszugebenden
»ersten Jahrgang« eines Werks unter dem Titel: »Individualitäten aus
und über Paris von Karl Friedrich Cramer und seinen Freunden.« Dieser
erste Jahrgang sollte in zwölf Heften (die also wol als Monatshefte
gedacht waren), jedes zu zwölf Bogen erscheinen; je drei Hefte sollten
gleichzeitig einen zweiten Titel erhalten und dadurch als neue
Theile des in den Jahren 1792-97 in Altona und Leipzig von Cramer
herausgegebenen »Menschlichen Leben« bezeichnet werden. Das Werk
sollte in Leipzig in der Breitkopf'schen Druckerei gedruckt werden und
jedes Heft die Handschrift eines Gelehrten u. s. w. in einem Facsimile
bringen, dessen Platte in Paris unter Cramer's Leitung zu stechen wäre.
Ueber eine Fortsetzung des Werks in einem zweiten, dritten u. s. w.
Jahrgange sollte neue Verständigung stattfinden. Also der Verleger in
Amsterdam, der Redacteur in Paris, der Drucker in Leipzig, monatlich 12
Bogen (jährlich 144!), dazu artistische Beilagen und ein für damalige
Zeiten und ein derartiges Monatsjournal ansehnliches Honorar (24
resp. 30 Francs für den Bogen klein Octav) -- jedenfalls ein kühnes
Unternehmen für einen angehenden deutschen Verleger im Auslande! Die
Ausführung entsprach denn auch nur theilweise diesem Vorhaben: statt
zwölf Heften erschienen nur vier (wenn auch meist mehr als zwölf Bogen
enthaltend und jedes mit einem Facsimile) im Laufe von dreiviertel
Jahren. Der Gehalt der Zeitschrift war indeß ein werthvoller, der ein
etwas näheres Eingehen verdient, zumal darin auch einige biographische
Mittheilungen über Brockhaus enthalten sind und der Herausgeber seinem
Verleger persönlich nahetrat.
Vor allem müssen wir den Herausgeber selbst näher kennen lernen. Karl
Friedlich Cramer war eine eigenthümliche Natur, in vieler Hinsicht
der von Brockhaus ähnlich und diesen deshalb anziehend, wie Brockhaus
in seinem ersten Briefe an ihn (vgl. S. 61 fg.) selbst schildert. Am
7. März 1752 in Quedlinburg geboren, wo sein Vater, der verdiente
Kanzelredner Johann Andreas Cramer (auch als religiöser Dichter und
Biograph Gellert's bekannt), damals Oberhofprediger war, kam er mit
diesem noch als Kind nach Kopenhagen, dann nach Lübeck und Kiel. Er
studirte in Göttingen, wo er Anfang 1773 in den Göttinger Dichterbund
aufgenommen wurde, und lebte seitdem in Kiel, wo er erst Privatdocent,
1775 außerordentlicher und 1780 ordentlicher Professor der griechischen
Sprache, der orientalischen Sprachen und der Homiletik an der
Universität wurde. Als ein leidenschaftlicher Anhänger der Französischen
Revolution wurde er 1794 seines Amtes entsetzt und selbst aus Kiel
verwiesen. Den nächsten Anlaß dazu scheint er dadurch gegeben zu haben,
daß er den bekannten französischen Revolutionsmann Péthion (der erst
Jakobiner, dann Girondist war, als Royalist verdächtigt aus Paris
entfloh und im Juli 1793 in der Gegend von Bordeaux todt aufgefunden
wurde) in einer Ankündigung der Uebersetzung von dessen Werken einen
Mann von »menschenfreundlichstem Geiste«, »einen Märtyrer seiner
Rechtschaffenheit« genannt hatte! Nach kurzem Aufenthalt in Hamburg
ging er 1795 nach Paris und errichtete dort eine Buchhandlung und
Buchdruckerei, scheint damit aber schlechte Geschäfte gemacht und dabei
sein ganzes Vermögen eingebüßt zu haben. Eine Zeit lang war er deshalb
genöthigt, sich aus Paris zu entfernen. Er wendete sich nun wieder
literarischen Arbeiten zu und starb in Paris am 8. December 1807.
Cramer war ein fruchtbarer, talentvoller und kenntnißreicher
Schriftsteller, der lange Zeit auch großes Ansehen genoß, aber
excentrisch und von einem Hang zum Sonderbaren beherrscht. Anfangs
concentrirte sich seine literarische Thätigkeit um seinen fast 30
Jahre ältern Landsmann Klopstock (geb. 2. Juli 1724 in Quedlinburg),
der mit Cramer's Vater befreundet war und z. B. 1754 dessen Berufung
nach Kopenhagen veranlaßt hatte, nachdem dieser selbst 1751 auf
Graf Bernstorff's Veranlassung dorthin gegangen war. Auch war der
Göttinger Dichterbund, dem Cramer angehörte, der Mittelpunkt der
damaligen begeisterten Verehrung Klopstock's. Cramer schrieb in den
Jahren 1777-92 zwei große Werke über Klopstock, das eine aus zwei, das
andere aus fünf Bänden bestehend, und übersetzte unter anderm dessen
»Hermannsschlacht« ins Französische. Daß Klopstock auch seinerseits
viel auf Cramer hielt, geht schon daraus hervor, daß er eine seiner
schönsten Oden an ihn richtete; es ist die 1790 gedichtete Ode »An
Cramer, den Franken«, in der er das französische Volk vor neuen
Ueberschreitungen warnt, zugleich aber die Fürsten mahnt, sich durch das
Gespenst des untergegangenen Königthums warnen zu lassen. Ein zweites
Stadium der Schriftstellerlaufbahn Cramer's bildet das bereits erwähnte
Werk »Menschliches Leben«, ein drittes umfaßt drei von ihm in Paris
geschriebene Werke: ein »Tagebuch aus Paris« (2 Bände, Paris 1800), die
»Individualitäten aus und über Paris« und ein gleichfalls von Brockhaus
verlegtes Buch »Ansichten der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs
vom Jahre 1806 an. Von Pinkerton, Mercier und C. F. Cramer« (2 Bände,
1807-8), außerdem ein Wörterbuch der deutschen und französischen Sprache
(2 Bände, Braunschweig und Paris 1805) und zahlreiche Uebersetzungen aus
dem Französischen ins Deutsche und umgekehrt, auch aus dem Dänischen,
sowie Artikel in französischen und deutschen Journalen.
Brockhaus trat mit Cramer erst im Herbst 1805 in Beziehungen, indem
er am 17. October jenen Brief an ihn richtete, in welchem er ihm
seine Verehrung aussprach und mehrere literarische Anträge stellte.
Ihre Verbindung dauerte gerade nur zwei Jahre, da Cramer, wie eben
erwähnt, am 8. December 1807 starb, war aber in dieser kurzen Zeit eine
sehr freundschaftliche und selbst innige. Cramer antwortete auf den
erwähnten Brief sofort am 24. October, sichtlich erfreut über die warme
Begrüßung (seine Antwort folgt weiter unten) und es entspann sich daraus
ein lebhafter Briefwechsel, ja Cramer kam im Februar des nächsten Jahres
nach Amsterdam und blieb dort drei Monate, in täglichem geschäftlichen
und persönlichen Verkehr mit Brockhaus. Als diesem am 28. Januar dieses
Jahres (1806) der dritte Sohn geboren war, gab er ihm auf Cramer's Rath
den Namen Hermann. Er schreibt darüber unterm 25. Februar folgende Worte
an seinen Bruder Gottlieb, die am besten das Verhältniß zwischen ihm und
Cramer charakterisiren:
Die Wahl dieses Namens machte mein Freund, der Professor Cramer
aus Paris, der sich seit einigen Wochen hier aufhält und während
seines hiesigen Aufenthalts unser unzertrennlicher Gesellschafter
ist, da vielleicht keine zwei Menschen auf der Erde existiren, die
eine größere Aehnlichkeit in ihren Neigungen, in ihrem Geschmacke und
in ihren Ansichten der Welt zusammen haben, als wir Beide. Er ist
überhaupt einer der interessantesten Menschen, die ich kenne, und
ich rechne die Wochen, die ich mit ihm verlebt, zu den glücklichsten
meines Lebens.
Cramer äußert sich seinerseits mehrfach in ähnlicher Weise über
Brockhaus. So schreibt er aus Amsterdam unterm 30. März 1806 in den
»Individualitäten«:
Fast alle meine Abende, wenn mir nicht gar zu arg von Morpheus
zugesetzt wird, bring' ich bei unserm Freund Wilibald zu und seinem
lieben Weibe, die an schöner deutscher Häuslichkeit, Gutheit,
Freundlichkeit und Verstand zu meinen Idealen gehört; ich glaube
mich manchmal in Eutin bei Vossen wieder zu sehen, dessen Ernestine
sie sehr gleicht. Bei Erdäpfeln, fast noch nationaler hier, als die
Canäle und Alexandriner sind, und die ich gebraten (_à l'italienne_)
sehr gern mag, Fischen und trefflichem Beaunewein schwatzen wir oft
bis tief in die Nächte hinein, schlummern dann und wann auch an der
Torfglut des englischen Camins ein Duettchen zusammen; ich habe
bei meiner Modehändlerin, Madame Müller, bei der ich, zehn Schritt
ab von seinem Hause, mich einquartirt, meine Zerstreutheit so in
Credit zu setzen gewußt, daß sie mir den Schlüssel zu ihrer Boutique
anvertraut und ich in der Kunst, sie mit einer eisernen Stange wieder
zu schließen, von ihr unterrichtet worden bin; so schlüpfe ich denn
manchmal des Nachts um 12 oder 1 erst wieder zu mir herein.
Das obige schöne Wort über Brockhaus' Frau verdient um so mehr
mitgetheilt zu werden, als uns über dieselbe sonst leider sehr wenig
bekannt ist. Später richtet Cramer einmal einen (im vierten Hefte der
»Individualitäten« abgedruckten) Brief »An Sophie« statt »an Ihren
unmusikalischen Mann«, weil er über den Componisten Grétry spricht, und
fügt hinzu:
Indem ich dies Stück Tagebuch schreibe, kömmt es mir vor als säße
ich bei Ihnen und läse Ihnen daraus, indem Sie die Fliegen von der
Wiege Ihres kleinen Hermann's verscheuchen ... ach! welch ein Name für
mein Herz.
Brockhaus ließ in dieser Zeit auch das Porträt Cramer's für sich malen
(wahrscheinlich von dem ihm befreundeten Scheffer, dem Vater Ary
Scheffer's), und trennte sich später nur schwer davon, um es Cramer's
Witwe zu schenken.
Cramer's früher schon erwähnte Antwort an Brockhaus, datirt Paris 2.
Brumaire XIV (24. October 1805), lautet:
Seit langer Zeit ist mir kein lieber Brief zugekommen, der mir so
viel Freude gemacht, als der Ihrige; Freund Kühnwille! der Sie sind.
Wie sachte es einem so vielfach angefeindeten, gescheuchten, so oft
vorschnell verurtheilten Ismael thut, wenn er in den arabischen Syrten
auf einen Esau-Kühnwille trifft, einerlei zottigen Haares mit ihm;
davon hat nur ein Wüstenbewohner Begriff. Eng verbündet er sich und
willig mit ihm, der ihm so frank seine Gleichförmigkeit enthüllt; so
viel Edles von jugendlichem Antheil ihm sagt; ihn kennt und erkennt;
wie eng und wie gern, dazu schenken Sie ihm der Worte Weitläufigkeit
wohl. Er fühlt es, daß seine Seele mit der Ihrigen gebrochen ward aus
einerlei Gestein. Also kurz und bündig, wie er's izt kann, in dieser
herben und schnöden Zeit, zur Sache. Er nimmt die ihm vorgelegten
Materien sogleich Punktweise vor ....
Wegen Ihres dritten Gedankens, mein weitaussehender Herr: _alors
comme alors_! Kömmt Zeit, kömmt auch Rath! Ich gehe mithin sogleich
an Ihren vierten Punkt, der die Uebernehmung der Fortsetzung meines
Tagebuches betrifft. Hätt' ich doch niemals geglaubt, ich Strauß,
der seine Eier sogleich, wie er sie gelegt, im Sande vergißt, daß
jenes seit acht Jahren verscharrte ausgebrütet worden sei; und ein
klein Sträußchen geworden, das sich bis zu Ihnen nach Amsterdam hin
verirrt! Ich wenigstens habe von keinem Menschen, über Aufnahme
oder Nichtaufnahme davon (außer von Klopstock, der mir mit meinem
»Marcus Sextus« darin seine vollste Zufriedenheit bezeugt) auch nur
ein Sylbchen gehört. Es ward, da ich mich in Frankreich nicht mehr
mit deutschem Verlage befassen gewollt, und August Campe mir dazu
seine »Vermittlerschaft« versagt, von ihm wider meinen Wunsch an
Kaven vertraut; bei dessen plötzlichem Hinschied auf einem Dorfe
zwischen Hamburg und Lüneburg, es in seine Masse, dann justizmäßig in
die Gläubigerklauen gerieth; so daß mir auch kein einziger kupferner
Sechsling Billons nur dafür ward. Nun -- da mich denn neulich von
Ohngefähr, bei Gelegenheit Raynouard's, der Fortsetzungskitzel dazu
stach, und Ihre Sympathie nebst Kühnwillen Sie hinreizt, zu meiner
»rhapsodischen kühnen Manier« -- wohlan, so seien Sie vor allen
Andern dazu denn mein .. Mann. An Stoff, in meiner und meines Vaters
Correspondenz, die gar manche Artikel von Ersten Nahmen aus unserm und
andern Vaterlanden enthält, und meinem Umherblick auf den Wüsten und
Aeckern der Menschheit, fehlt es mir eben nicht; unser Babylon hier
reichte mir deren allein schon genug. Ich brauche gegen Sie, der sich
auf _Dotem_ und Nicht-_Dotem Libellorum_ versteht, keiner weitläufigen
Verständigung deshalb. Die »Individualitäten« werden ohngefähr geben,
was mein »Menschliches Leben«, und jenes vergessene Ei, das von jenem
den zwanzigsten Theil füllt, enthielt; und da es, Ihrem Wunsche
gemäß, zu einer Art von periodischen _Salmi_ (aber um Gotteswillen,
in freien Heften! denken Sie ans .. Mühlenpferd!) gedeiht, gleich
den »Sphinxen«, »Auroren«, »Freymüthigen«, »Eleganten« u. s. w.,
deren jedes »_Pages_« (siehe Diderot) und einige Quadersteine, nebst
vielen Sandbröckeln, Moëllons, und Kalkausfüllseln, euch gibt; nicht
bloß wilde Tellow-Ismaelitische Aufsätze reichen, im stricten und
strictissimen Verstand, sondern auch, als Schnabelweide für die
»Million«, eßbarere Hausmannskost, wie sie seit einigen Jahren, für
den allgemeinen Gaumen der Neugier, in den »Miscellen«, »Politischen
Annalen«, u. s. w. regelrechterer Art, und nicht ganz mit Verschmähung
abseiten des Leservolks, gargekocht, zurechtgestutzt und aufgetischt
worden sind. Ihr neuer Titel: »Individualitäten« bestimmt ihren ..
Tadel und ihren Zweck; sie werden von Ismael Abdallah, der auch
Artikel darin macht, herausgegeben und commentirt .. Die Tendenz
dieser .. Kriegsnahmen ist Ihnen aus meinem »Tagebuche« bekannt.
Die Sosiasbedingungen dabei anlangend denn nun .... Ich erwarte
über diese, mit der nächsten Post, Wilibald's #Ja# oder #Nein#: --
(»Euer Ja sei Ja! und Euer Nein sei Nein!«) .. vielleicht schreibe ich
Ihnen alsdann auch noch über ein andres Werk, das mich seit Jahr und
Tag in poetischer und prosaischer Zweisprache beschäftiget; und das,
von manchen Bauleuten verworfen bisher, zum Ecksteine Ihres jungen
Buchhandels vielleicht wird. Dieser Marmor ist -- wunderbar genug!
von einem .. Weibe in England, aus dem schönsten parischen Bruche
gehaun .. ich ciselire für Deutschland nur ein wenig daran; gelt,
Sie haben wie jeder Andre, der nicht etwa der Berlepsch »Caledonia«
las .. niemals etwas von .. Joanna Baillie gehört? Solch wunderbar
Unbekanntbleiben, selbst in unserer alles Ausländische verschlingenden
Lesenation, muß jeden Unbekannten für ein ähnlich Schicksal trösten
darin. Für heute soviel genug, und .. Allah's heiligem und würdigem
Schutze befohlen hiermit! ..
Brockhaus erwiderte sofort mit folgendem Briefe, datirt Amsterdam, 7.
November 1805:
Hätte ich den Raum von 50 oder 60 Meilen, der uns von einander
trennt, am Dienstage, wo ich Ihren lieben Brief vom 24. October
erhielt, doch durchfliegen können, um Sie an meine Brust zu drücken
und Sie zum Zeugen meiner Empfindungen über Ihre freundschaftlichen
gegen mich geäußerten Gesinnungen zu machen! Ja, in Wahrheit, ein
sympathetischer Zug treibt mich zu Ihnen hin, und mit Kindlichkeit
sehe ich zu Ihnen hinauf, Klopstock's, Gerstenberg's, Kunzens,
Schulzens, Baggesen's Freund ist mir ......[22] Aber so soll es auch
mit der innigsten Liebe, Freundschaft und .. zwischen uns bestehn,
bis Sie oder ich vom Freunde Charon in jenes unbekannte Land hinüber
gesteuert werden. So lange wir aber noch hienieden pilgern, und uns
mit dem prosaischen Troste des bürgerlichen Lebens herumschlagen, oder
uns wenigstens durchzuwinden haben, lassen Sie uns Einer dem Andern
nützlich sein; uns helfen und rathen; zusammen uns freuen und -- dem
Gemeinbesten frommen, wo und wie die Gelegenheit sich zeigt. Ich gebe
Ihnen meine Hand, daß Sie auf mich wie auf Ihr eignes Selbst rechnen
können. Wenn Sie mich einmal näher kennen, werden Sie mir, hoffe ich,
ein Gleiches zusichern. Sehr wahrscheinlich komme ich noch im Winter
auf einige Wochen zu Ihnen. Ich will Ihnen also lieber von meiner
Sehnsucht nach dorten Nichts sagen; denn wo könnte meine Prosa Worte
finden, mein glühendes Verlangen auszudrücken?
Das dem Freunde; jetzt dem Geschäftsmann und Verfasser! .... Ich
komme zu dem mich am vorzüglichsten interessirenden Punkte davon:
der Herausgabe Ihres »Tagebuchs«. Sie haben also so wenig Urtheile
darüber vernommen? Ich glaube das wohl; und es ist auch wirklich
in Deutschland sehr wenig bekannt geworden. Ich selbst habe mir
unsägliche Mühe gegeben, ehe ich's erhalten konnte. Ich ruhte indeß
eher nicht, bis ich's hatte; und seitdem hat es immer mit zu meiner
Leibgarde gehört, die mich nicht verlassen darf. Noch gestern Abend
habe ich meinem lieben Weibe die beiden schönen Briefe an Kunzen
daraus vorgelesen und mich aufs neue an dem Freundschaftsbunde
gefreut, der zwischen Ihnen und jenem Edlen muß geschlossen sein.
Und dann las ich wieder die für mich hinreißende Stelle vor, wo Sie
von dem Funde des _Colchicum_ und Ihrer Begeisterung dabei erzählen.
Ach, wie haben wir Sie recht lieb; wie unsern Bruder und unsre
Jugendfreunde.
Ich nehme Ihre Vorschläge zur Herausgabe alle an .... Der von Ihnen
gewählte Titel ist sehr gut; bis auf die _Noms de guerre_. Diese,
liebster Freund, wünschte ich ließen Sie weg. Ich könnte Ihnen diesen
Wunsch mit einer Menge von Gründen motiviren; ich unterlasse es aber,
da Sie, glaube ich, den größten Theil derselben ahnden werden. Nur
Das: daß ich sicher bin, daß dem Werke dadurch häufig der Eingang wird
erschwert werden; besonders hier in unserer Republik, wo ich doch auf
einen ansehnlichen Absatz rechnen muß ..... Ich sagte vorhin: ich
vermuthe, daß Sie meine übrigen Gründe wegen dieser Nahmen ahnden
werden. Thun Sie Das aber nicht, so werde ich sie Ihnen nächstens
mittheilen ... Ich wünschte, daß der Titel folgenden Zusatz erhielte:
von Cramer »und seinen Freunden«, damit Sie von diesen einige bewegen
möchten, dann und wann ... mitzutheilen.
Auch glaube ich, daß es sehr gut wäre, wenn Sie anfingen, Ihre im
Journal »Frankreich« und anderswo zerstreuten Aufsätze und Briefe zu
sammeln; und besonders, als Supplement zu den »Individualitäten«,
oder als Vor- oder Nebenläufer derselben, herauszugeben. Es ist sehr
Vieles darunter, das, in der großen Masse jetzo ersäuft, so aufs neue
zusammengestellt, und allenfalls mit einigen neuen Schüsseln vermehrt,
als Ihr specielles Eigenthum Aufnahme finden dürfte; einige Artikel,
wo die Kurzsichtigkeit des Menschen scheiterte, als die Triumphgesänge
über den 18. Fructidor, die Erwartungen von Mercier's »Neuem Paris«
.. die allein, däucht mich, wären wegzulassen. Was denken Sie zu
dieser Idee? und wenn Sie sie goutiren und ausführen können, bin ich
Ihr Mann. Ihr ersticktes »Tagebuch« fände aufs neue einen Platz darin
..... Da Sie mit Ihren Anspielungen ein solcher Sphinx nun einmal
sind, und es nur wenig Oedipe im Leservolke gibt, so dächte ich gar
sehr: Sie behielten allerdings Ihre exegetische Tagebuchmethode,
mit den angehängten Anmerkungen und Citaten, unten und hinter
den Capiteln, selbst auf die Gefahr hin ein Pedant ein wenig zu
erscheinen, bei .....
Cramer ging auf alle Wünsche seines Verlegers ein: die Veränderung des
Titels und selbst die Weglassung der »_noms de guerre_«, obwol nur
ungern, da er die Manie der Kriegsnamen nun einmal liebe und sie von
jeher geliebt habe; er beruft sich deshalb auf das Beispiel von Lorenz
Sterne (Yorik), Jung-Stilling und Jean Paul.
Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der »Individualitäten« hier
näher einzugehen, obwol dieselben viele interessante Beiträge zur
Beurtheilung jener Zeit enthalten. Klopstock, Mirabeau, Grétry --
literarische, musikalische, Theaterzustände von Paris und Amsterdam
-- feuilletonistische Plaudereien über die verschiedenartigsten
Themata: dies der bunte Inhalt jenes wunderlichen Mitteldings
zwischen Zeitschrift und Buch. Es ist nicht zu verwundern, daß die
»Individualitäten« keine weitere Verbreitung und kein längeres Leben
hatten: Cramer war trotz seiner unleugbaren Genialität nicht der
geeignete Herausgeber, Amsterdam und Paris waren nicht die richtigen
Ausgangspunkte einer für Deutschland bestimmten literarisch-politischen
Zeitschrift. Die Absicht, die der Verleger damit verfolgte, hat er
später -- im »Hermes« und im »Literarischen Wochenblatt« -- besser zu
verwirklichen vermocht.
* * * * *
Ein drittes journalistisches Unternehmen des jungen Verlegers neben
der deutschen Monatsschrift und der holländischen Zeitung war, wie
bereits erwähnt, eine französische Zeitschrift rein belletristischen
Charakters: »_Le Conservateur. Journal de littérature, de sciences et de
beaux-arts._« Dieselbe trat Anfang 1807 ins Leben, war also ebenfalls
schon im Laufe des Jahres 1806, gleichzeitig mit den beiden andern
Zeitschriften, vorbereitet worden. Sie erschien in Monatsheften von
acht bis zehn Octavbogen, wovon je drei einen Band mit besonderm Titel
bildeten, und war somit äußerlich wie auch innerlich ganz wie die großen
französischen Revuen unserer Tage, z. B. die »_Revue des deux Mondes_«,
angelegt. Die Zeitschrift bestand anderthalb Jahre lang, bis Mitte 1808,
sodaß im ganzen sechs Bände davon erschienen sind. Nur zwei derselben,
der dritte und vierte Band, liegen uns vor, die zugleich wenigstens ein
Inhaltsverzeichniß der ersten beiden Bände enthalten, während weder ein
Prospect noch ein Vorwort oder Schlußwort vorhanden ist.
Den Inhalt dieser Zeitschrift bildeten historische (namentlich
zeitgeschichtliche), biographische, kunstgeschichtliche und
literargeschichtliche Abhandlungen; ferner Erzählungen, Novellen und
Gedichte; drittens Berichte über neue literarische Erscheinungen und
über die Theater von Paris und Amsterdam; endlich kleinere Artikel über
Verschiedenes, »_Variétés_« genannt.
Unter den Mitarbeitern, die fast stets mit ihren Namen unterzeichnet
sind, befinden sich die besten französischen Schriftsteller jener Zeit,
wie Bonald, Boufflers, Chateaubriand, Chénier, Ch. de Dalberg, Despréz,
Dubois, Guingené, Lacretelle, Lebrun, Legouvé, Mercier, Bernardin de
Saint-Pierre, Charles de Villers u. s. w.
Diesen Namen entsprechend ist der Inhalt der Zeitschrift ein sehr
gediegener, und manche Abhandlungen haben bleibenden Werth. Natürlich
beschäftigt sich die Mehrzahl der Artikel mit Frankreich; indeß hat
diese Zeitschrift ebenfalls einen entschieden internationalen Charakter,
indem sie auch England, in zweiter Linie Holland und am meisten
Deutschland berücksichtigt. Fast in jedem Hefte finden sich Artikel
aus oder über Deutschland. So bringt gleich das erste Heft einen Brief
des Professor Erhard über eine Audienz der Deputirten der Universität
Leipzig bei dem Kaiser Napoleon. In demselben Hefte beginnt Charles
de Villers (der später in nähere Beziehungen zu Brockhaus trat) eine
sich durch drei Hefte erstreckende Abhandlung über die wesentlich
verschiedene Weise, wie die französischen und die deutschen Dichter
die Liebe behandeln, wozu später noch ein Nachtrag kommt, der durch
eine Tabelle erläutert wird. Ferner schreibt Charles de Dalberg,
»_Prince-Primat de Germanie_«, über den Einfluß der schönen Künste
auf das allgemeine Wohlbefinden. Später folgt eine Beschreibung der
Düsseldorfer Galerie als Bruchstück einer noch nicht veröffentlichten
Reise, ohne Namensnennung. Daran schließt sich der Abdruck einer von
dem »_historiographe prussien_« Johannes von Müller am 20. Januar 1807
in der berliner Akademie gehaltenen Rede über den Ruhm Friedrich's des
Großen. Im Aprilhefte von 1807 erschien auch zuerst der später als
besondere Schrift gedruckte (und von uns noch näher zu erwähnende)
Brief von Charles de Villers an die Gräfin Fanny von Beauharnais über
die Ereignisse in Lübeck am 6. November 1806, der Villers viele
Unannehmlichkeiten bereitete; er schildert darin offen die von seinen
Landsleuten bei der Erstürmung Lübecks begangenen Greuel. Vielleicht
als Gegengewicht gegen diesen Aufsatz ist in demselben Hefte eine
von Villers angefertigte Uebersetzung der Rede enthalten, welche der
bekannte Kirchenhistoriker Henke am 2. December 1806 zur Jahresfeier
der Krönung des Kaisers Napoleon in der Universitätskirche zu Helmstedt
hielt.
* * * * *
Ehe wir uns den übrigen Verlagsunternehmungen von Brockhaus in dieser
Zeit außer den drei journalistischen zuwenden, mögen noch zwei Briefe
desselben an seinen Bruder Gottlieb einschaltet werden.
Der erste ist der schon oben erwähnte vom 25. Februar 1806, den er aus
Anlaß der Geburt seines dritten Sohnes schrieb:
Hermann, lieber Bruder, so heißt das Schäflein, womit der Himmel
unsere kleine Heerde wieder vermehrt hat. So hieß der Edelste der
Deutschen! Wir müssen uns ja jetzt wohl an Namen halten! Wo sind jetzt
Männer unter unserer Nation? Oder vielmehr unter unsern Fürsten?
Würden wir sonst die Schmach kennen, die jetzt schwer beladen auf uns
liegt? O der schändlichen Rolle Preußens! Freilich für die Menschheit
ist es gut, daß Bonaparte mit seiner Herkuleskeule die Pinsel und
Knaben mit einem Schlage dahingestreckt hat. Wie würde Deutschland
von zahllosen, sich immer neu recrutirenden Armeen von Kosacken,
Kalmucken, Kroaten, italienischen und französischen Völkern zerrissen,
geplündert und zerfleischt worden sein, wenn die Vortheile der Armeen
sich balancirt hätten und nicht Schläge wie die von Ulm und Austerlitz
gefallen wären. Aber Deutschlands Ehre? -- sie ist zernichtet.
Unnennbar groß ist aber Bonaparte geworden! Es ist wirklich fast kein
Mensch, es ist ein Halbgott. Wäre er immer, was er zu zeiten ist, als
Mensch, denn über ihn als Krieger und Regenten kann nur eine Stimme
sein, wer würde ihn nicht unbedingt verehren, ja vor ihm niedersinken?
Verzeih diese Digression, zu dem der Name meines kleinen Hermann
mich verleitet.
Hier folgt die früher abgedruckte Stelle über Cramer, dem er die Wahl
dieses Namens verdanke. Darauf heißt es weiter:
Ueber die politische Lage unsers Landes circuliren tausend
Gerüchte. Sehr fatal ist es, daß Schimmelpenninck so gut wie blind
ist, -- und daß man wenig Wahrscheinlichkeit zur Besserung hat. Das
gibt nun den besten Vorwand für ihn, sich zu entfernen, oder für die
Franzosen, sich unsers Gouvernements zu bemächtigen. Man spricht
von einem Könige von Batavien, das Louis, ein elender Mensch, sein
würde, Ostfriesland soll mit unserem Lande vereinigt werden u. s. w.,
doch wer kann wissen? Daß Dortmund ebenfalls wieder unter andere
Herrschaft kommen wird, ist auch wol sicher. Wol Darmstädtisch oder
Braunschweigisch. Was denkt man bei Euch davon?
Mit unserer literarischen Entreprise geht es immer _crescendo_.
Wir erhalten jetzt einen Factor aus Deutschland. Mit _medio_ März
wird ein eigenes Haus dazu bezogen. Die Unternehmung kann eben
so hochwichtig als sehr lucrativ werden. Mit dem 11. März fängt
sie mit der Herausgabe einer Zeitschrift an, deren Wichtigkeit
nicht berechnet werden kann, wenn sie einschlägt. Es ist dies eine
politisch-literarisch-historische Zeitung, wie noch keine ....
Hier schließt der erste Briefbogen, der zweite ist leider nicht mehr
vorhanden; die eigenen Aeußerungen von Brockhaus über den »_Ster_« wären
von besonderm Interesse gewesen.
Der zweite Brief ist der von ihm unterm 25. August 1807 geschriebene,
dessen auf sein Etablissement bezügliche wichtigste Stellen bereits
mitgetheilt wurden, während der in anderer Beziehung interessante Anfang
desselben hier folgen möge. Er schreibt:
Dein Brief war meiner guten vortrefflichen Sophie und mir am
Donnerstag, als wir ihn erhielten, ein Fest der Erquickung, und
bis spät in die Nacht unterhielten wir uns über euch, ihr Lieben,
über Vergangenheit, Zukunft, und wie es einst noch werden möchte!
und werden könnte! und werden mag. So sitzen wir alle Abend, einen
wie den andern, da ich allein niemahlen für mich ausgehe, wenn ich
Abends 8 oder 9 Uhr vom Comptoir abkomme, zusammen und verplaudern
dann süße, dann bittere Stunden, je nachdem der Gegenstand heiter
oder traurig ist. Wie ich mich so an diese Häuslichkeit habe gewöhnen
können, daß es mir auch unmöglich ist, nur eine Stunde oder ein paar
es anderwärts auszuhalten, ohne von Langeweile und Ueberdruß bis zum
Aeußersten gefoltert zu werden; wie ich auch gar nicht mehr für diese
Abendgesellschaften, wo es lustig und fidel hergeht, passe und eine
recht alberne Figur darin spielen würde; wenn ich über diese wie
so manche Veränderung nachdenke, so fühle ich freilich wohl, welch
einen großen Theil daran die Begebenheiten meines stürmischen Lebens
haben, allein in dieser Hinsicht kann ich die Resultate davon doch
nicht anders als höchst beglückend finden. Dieses #innere# Leben!
diese Veredlung unserer ehelichen Verhältnisse und Rückwirkung von
da auf unser ganzes Gemüth, wodurch dieses etwas Hehres und Heiliges
erhalten, hat wirklich etwas so Beseligendes, daß ich nicht wünschen
kann, es möchte anders sein.
Unsere Bekanntschaften sind jetzt noch eingeschränkter als
ehemals, und nur mit zweien Familien stehen wir auf einem wahren
freundschaftlichen Fuß: die eine ist die unsers Arztes, eines
vortrefflichen Mannes, der ein edles wackeres Weib hat; -- sie sind
nie einen Augenblick an uns irre geworden und ihre Freundschaft und
ihr Edelmuth hat alle Proben ausgehalten. Die andere ist eine wackere
Künstlerfamilie: er ein Deutscher, sie eine Holländerin. Beide große
Maler und sie wieder eine der liebenswürdigsten und gebildetesten
Frauen, die ich kenne. Auch ihr zwölfjähriger Sohn ist schon großer
Künstler. Alle drei: Vater, Mutter und Sohn, haben Baggesen gemalt,
wie er hier war, und nach der Zeichnung der Mutter lassen wir jetzt
einen Kupferstich machen. Sie wird auch Sophie und mich malen -- für
dich, mein bester theuerster Bruder, Schwester, Vater. Harry wird
Gustchen und Fritz malen, und das sollst du auch haben. Außer diesen
beiden Familien, mit denen wir innigst verbunden sind, haben wir
nur noch ein paar Bekanntschaften: wir sehnen uns aber auch nicht
nach mehreren, da uns diese genug sind. Desto mehr lebe und webe ich
dagegen im Briefwechsel mit mehreren auswärtigen Freunden, der eine
zweite Würze meines Lebens ist: Baggesen ist der erste darunter, von
Villers, der berühmte Verfasser des unsterblichen Werks über die
Reformation, der zweite, Professor Fischer in Würzburg und mehrere
andere schließen sich an sie an. So lebe ich.
Die in diesem Briefe erwähnten beiden Familien waren die des Arztes
Nieuwenhuys und des Malers Jan Baptist Scheffer nebst seiner Gattin
Cornelia, Aeltern des hier als zwölfjähriger Knabe erwähnten, später
berühmt gewordenen Malers Ary Scheffer. Jan Baptist Scheffer war in
Manheim geboren; er ging nach Holland, wurde zum Hofmaler des Königs
Ludwig ernannt, starb aber schon 1809 in Amsterdam. Seine Gattin
Cornelia, eine Holländerin, war ebenfalls Künstlerin und eine sehr
anmuthige, auch literarisch gebildete Frau. Später zog sie mit ihren
Söhnen Ary und Heinrich nach Paris und starb dort 1839. Ary Scheffer
war am 10. Februar 1795 in Dordrecht geboren, kam dann mit seinen
Aeltern nach Amsterdam und verließ dieses erst 1812, um sich in Paris
weiter auszubilden; hier wirkte er bis zu seinem 1858 erfolgten Tode.
In Amsterdam war er der Spielgefährte der ältesten Kinder von Brockhaus
gewesen.
Die hier erwähnten Porträts scheinen leider nicht mehr vorhanden zu
sein; über ihren Verbleib hat sich auch bei spätern durch Ary Scheffer
selbst angestellten Nachforschungen nichts ermitteln lassen.
4.
Weitere Verlagsthätigkeit.
Gleich im Beginne seiner Verlegerlaufbahn entwickelte Brockhaus auch auf
andern Gebieten der Literatur einen nicht minder regen, vielseitigen und
für einen Anfänger kühnen Unternehmungsgeist als den eben geschilderten
in der Herausgabe von Journalen.
Von Cramer verlegte er außer den »Individualitäten« zunächst noch
Uebersetzungen von sechs Dramen der von diesem enthusiastisch verehrten
und Shakspeare zur Seite gestellten englischen Dichterin Joanna Baillie
(geb. 1762, gest. 1851). Sie erschienen noch 1806 unter dem von Cramer
herrührenden Titel »Die Leidenschaften« in drei Theilen, deren jeder
wieder einen ähnlichen charakterisirenden Titel führt: »Die Liebe«;
»Der Haß«; »Der Ehrgeiz«, später (1808 und 1809) auch einzeln in sechs
Separatausgaben unter ihren Originaltiteln.
Außerdem veröffentlichte er noch (1807 und 1808) Cramer's deutsche
Bearbeitung der Werke des Engländers Pinkerton und des Franzosen Mercier
über das damalige Paris unter dem Titel: »Ansichten der Hauptstadt des
französischen Kaiserreichs vom Jahre 1806 an« (zwei Bände, jeder mit
einem Titelkupfer), von Cramer durch eigene Beiträge vervollständigt.
Die Idee zu diesem Werke scheint von Brockhaus ausgegangen zu sein;
Cramer sagt darüber in dem Vorberichte:
Mein Freund Wilibald, Pflegevater meiner »Individualitäten«, glaubte
daher (und vielleicht nicht mit Unrecht), daß dieses Gemälde eines
Engländers (Pinkerton) ... eines deutschen Kupferstichs nicht unwerth
... Er trug mir dieses Geschäft auf ... bat mich endlich sogar, von
dem Meinigen noch hinzuzuthun und Pinkerton's Gemälde mit einigen (wie
ich es für gut finden würde) Verzierungen oder _hors d'oeuvres_ zu
vermehren. Wenn ich (wünschte er weiter) den ersten großen Vorläufer
aller dieser Maler -- »_notre maître à nous tous!_« -- Mercier, dazu
bewegen könnte, mir sein Atelier zu öffnen ... so (meinte er) würde
diese Vereinbarung eines Engelländers, Deutschen und Franzosen eine
vielleicht nicht unpikante Sache sein, und an jener ursprünglich
hauptsächlich britischen Zeichnung wenigstens nichts verderben.
Neben Cramer war Jens Baggesen, der bekannte dänische Dichter, der
gleichzeitig auch in deutscher Sprache schrieb (geb. 15. Februar
1764 zu Korsör, gest. 3. October 1826 zu Hamburg), einer der
ersten Schriftsteller, mit denen Brockhaus in geschäftliche und
freundschaftliche Verbindung trat. Er schloß mit Baggesen schon am 17.
Juni 1806 in Amsterdam, wo dieser damals zum Besuche war, einen Contract
über eine neue umgearbeitete Auflage seines idyllischen Epos »Parthenais
oder Die Alpenreise«, die 1808 erschien, und wenig Tage darauf (21.
Juni) über eine Sammlung seiner Briefe, die aber erst 25 Jahre später
(1831), als beide Contrahenten gestorben waren, herausgegeben wurde.
Im folgenden Jahre (16. Juli 1807) wurde dann ein neuer Contract über
Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die fast gleichzeitig mit der
»Parthenais« (auch 1808) unter dem Titel: »Heideblumen. Vom Verfasser
der Parthenais. Nebst einigen Proben der Oceania«, erschienen. Von der
»Parthenais« verlegte er außerdem eine französische Uebersetzung in
Prosa, von dem bekannten Gelehrten Fauriel gefertigt; hieran knüpfte
sich eine längere Correspondenz zwischen Brockhaus und Fauriel über das
durch Baggesen's Schuld vielfach getrübte Verhältniß zwischen diesem und
Brockhaus, worüber wir weiter unten Näheres mittheilen.
Allein nicht blos journalistische und poetische Werke waren es, mit
denen sich der junge Verleger beschäftigte; er wagte sich sofort auch
an strengwissenschaftliche Werke größern Umfangs, deren Verlag zu allen
Zeiten mit Opfern verbunden zu sein pflegt.
Schon 1807 erschien in seinem Verlage der erste starke Band einer
lateinisch geschriebenen Geschichte der Botanik von dem gelehrten Arzt
und Botaniker Kurt Sprengel in Halle: »_Historia rei herbariae_«, und
im nächsten Jahre folgte der zweite Band; eine deutsche Bearbeitung
desselben Werkes unter dem Titel: »Geschichte der Botanik«, erschien
erst 1817-18 in seinem Verlage.
Fast gleichzeitig begann er ein noch umfangreicheres Werk desselben
Verfassers zu verlegen: »_Institutiones medicae_«, in sechs Bänden,
wovon der erste 1809 ausgegeben wurde, während die übrigen Bände in
den Jahren 1810, 1813, 1814 und 1816, in einer für den Verleger theils
seiner persönlichen, theils der politischen Verhältnisse wegen sehr
schwierigen Zeit, erschienen. Indeß wurde bei diesem Werke sein Muth
belohnt, indem er bereits wenige Jahre nach der Vollendung (1819) eine
zweite vermehrte und verbesserte Auflage desselben veranstalten konnte.
Ein drittes wissenschaftliches Verlagswerk, das er gleich im Anfange
seiner Verlegerthätigkeit übernahm, war die berühmte Naturgeschichte
der Eingeweidewürmer von dem greifswalder (später berliner) Professor
Karl Asmund Rudolphi (aus Stockholm); sie erschien unter dem Titel:
»_Entozoorum sive vermium intestinalium historia naturalis_« (2 Bände,
Band 2 in 2 Abtheilungen, 1808-10, mit 12 Kupfertafeln).
Ein viertes ebenfalls naturwissenschaftliches Werk, das er indeß
wahrscheinlich nur als Commissionsartikel übernahm (auf dem Titel sind
die Gebrüder van Cleef im Haag als Verleger genannt, während Heinsius'
»Bücher-Lexikon« das Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam als
solche bezeichnet) ist das Werk des bekannten französischen Botanikers
Brisseau-Mirbel (damals im Haag, später in Paris) über eine Theorie
des Gewächsbaues, mit französischem und deutschem Titel, herausgegeben
von dem holländischen Dichter Bilderdijk, der sich vielfach auch mit
naturwissenschaftlichen Studien beschäftigte. Eigenthümlicherweise
ist der Text des Werks gleichzeitig französisch (links) und deutsch
(rechts), während die Widmung an den König von Holland, die Vorrede
Bilderdijk's und die ausführlichen Noten blos französisch sind.
Bilderdijk entschuldigt sich in der Vorrede, daß er, in Amsterdam
geboren, weder das Französische wie ein Pariser, noch das Deutsche wie
ein »Sachse« schreibe; hiernach scheint auch die deutsche Uebersetzung
von dem holländischen Dichter herzurühren.
* * * * *
Dem Jahre 1807 gehören noch drei Werke an, die von geringerer Bedeutung
sind, aber gleich von Anfang an erkennen lassen, daß der Verleger die
möglichste Vielseitigkeit seines Verlags erstrebte: ein französisches
Reisehandbuch für Deutschland: »_Itinéraire de l'Allemagne_« (von dem
Postmeister Raabe in Holzminden verfaßt), mit einer Karte; eine deutsche
Uebersetzung des hauptsächlich nach Bossuet's Katechismus bearbeiteten,
vom päpstlichen Legaten in Paris approbirten und von Napoleon
obligatorisch eingeführten »Katechismus zum Gebrauche in allen Kirchen
des französischen Kaiserreichs«; endlich eine deutsche Uebersetzung der
berühmten Memoiren des französischen, in englische Dienste getretenen
Schriftstellers Louis Dutens, der 1812 als britischer Historiograph in
London starb, unter dem Titel: »Dutens Lebensbeschreibung oder Memoiren
eines Gereiseten, der ausruht« (2 Bände), von dem durch sein Bibelwerk
bekannten Johann Friedrich von Meyer in Frankfurt a. M. bearbeitet.
* * * * *
In dieser Zeit kam Brockhaus auch zuerst mit Villers in Beziehungen,
die sich bald in freundschaftliche verwandelten und bis zu des Letztern
Tode fortdauerten. Er veröffentlichte nämlich dessen berühmten »Brief an
die Gräfin Fanny von Beauharnois«, worin Villers die Erstürmung Lübecks
durch die Franzosen am 6. November 1806 und die dabei von denselben
verübten Greuel als Augenzeuge schildert.
Charles François Dominique de Villers, geboren 4. November 1765 zu
Bolchen in Lothringen, 1792 Artilleriehauptmann, floh bei Ausbruch des
Revolutionskriegs 1793, von den Jakobinern bedroht, nach Deutschland,
das fortan seine zweite Heimat wurde, und lebte meist in Lübeck, wo er
viel mit der Familie Rodde verkehrte, besonders mit seiner geistreichen
Freundin Dorothea Rodde, der Tochter des Geschichtschreibers Schlözer;
1811 wurde er zum Professor der Philologe an der Universität Göttingen
ernannt, nachdem ihm 1809 wegen seiner »ausgezeichneten Verdienste um
die deutsche Literatur« und besonders auch wegen seiner Bemühungen um
das Wohl der Freien Hansestädte das Ehrenbürgerrecht von Bremen ertheilt
worden war. Er wurde erst von französischer, dann von deutscher Seite
mehrfach belästigt und starb 26. Februar 1815 in Leipzig.[23] Villers
machte es sich zur Lebensaufgabe, deutscher Literatur und deutschem
Wesen dieselbe Anerkennung und Achtung in Frankreich zu verschaffen, die
er selbst dafür empfand, und so beiden Ländern zu nützen. Wurm bemerkt
über Villers:
Wie sehr es ihm Ernst war mit der wissenschaftlichen Erforschung
deutscher Zustände, das beweisen seine größern Arbeiten: die
Darstellung der Kant'schen Philosophie, und die gekrönte Preisschrift
über die Folgen der Reformation für die politische Lage der
verschiedenen Staaten Europas und für den Fortschritt der Aufklärung.
Das letztere Werk ist in wiederholten starken Auflagen und in einer
holländischen, zwei englischen und drei deutschen Uebersetzungen
verbreitet.
In der Würdigung deutschen Geistes wetteiferten mit ihm Benjamin
Constant und Frau von Staël. Mit Beiden war Villers innig befreundet.
Constant hatte in Deutschland eine geistige Heimat gefunden, nur nach
und nach söhnte er mit dem Entschluß sich aus, den die Ereignisse ihm
fast wider Willen aufdrängten, seine wissenschaftliche Thätigkeit mit
einer politischen in Paris zu vertauschen. Frau von Staël gefiel sich
eine Weile in dem Gedanken, mit Villers vereint dahin zu arbeiten,
daß der Gegensatz zwischen deutschem und französischem Wesen sich
ausgleichen möge. Bald aber fand sie sich verletzt durch seine
ausgesprochene Vorliebe für Deutschland, die sie ihm in tadelnden,
selbst in harten Worten vorwarf. Als ihr selbst derselbe Vorwurf
-- freilich von ganz anderer Seite her und in ganz anderm Sinn --
zurückgegeben ward, da flüchtete sie mit ihren Klagen zu dem alten
Freunde.
Während ihrer langen Verbannung, der endlich der Sieg der fremden
Waffen ein Ziel setzte, hatte ihre Liebe zur Heimat nur noch stärkere
Wurzeln geschlagen. Anders war es mit Villers. Lebensschicksale,
geistige Gewohnheiten hielten ihn von Frankreich fern, nicht
irgendeine äußere, gebieterische Nothwendigkeit. In den frühern
geflügelten Worten der Frau von Staël lag ein Stachel, den er tief und
schmerzlich empfand. Glücklich, selbst inmitten einer ehrenvollen und
vielbewunderten Thätigkeit, ist seine Lage nicht gewesen. Sie konnte
es nicht sein.
Wir Deutschen sind am spätesten zu dem Bewußtsein gelangt, daß die
Nationalität nichts Zufälliges, daß sie nicht ein Ding ist, das man
nach Belieben festhalten oder abstreifen und vertauschen mag. Es würde
besser um unser Vaterland bestellt sein, wenn wir eher aus unsern
weltbürgerlichen Träumen erwacht wären. Nicht daß es an kräftigen
Stimmen gefehlt hätte, die uns zuriefen, das heilige Feuer zu hüten.
Aber wir, wir schliefen und träumten.[24]
In dieser beschämenden Betrachtung liegt gutentheils der Schlüssel
zu demjenigen, was Villers' Ruhm und was sein Unglück ausmachte.
Gewiß, wenn irgend Einer, so war er berufen, den geistigen Verkehr
zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Aber er fand sich
zwischen beide Nationen gestellt. Und er trat zu uns herüber, als
die Gewaltherrschaft seiner Landsleute, ein unholder Alp, über unser
Vaterland sich ausbreitete, und jegliches Eigenthümliche zu erdrücken
drohte. Das Ritterliche seines Charakters hat ihn herübergeführt. Aber
seinen Landsleuten gegenüber, wie sollt' er da den Schein abwehren,
als habe er die eigene Heimat verleugnet?
Daß er uns näher angehörte, können wir nicht bezweifeln, da er
selbst es eingestanden hat. Der Anlaß aber, bei welchem ihm das
Bekenntniß entschlüpfte, war der bitterste, der unverdienteste,
der ihm widerfahren konnte. Es war die unerhörte Behandlung, die
er von der wiederhergestellten hannoverschen Regierung erfuhr; das
absichtsvolle Misverständniß, als wär' er in Göttingen eben nur ein
Eindringling des westfälischen Zwitterreichs gewesen; das Abfinden
durch einen Gnadengehalt, in der Voraussetzung, er werde denselben in
Frankreich verzehren. Durch die spätere Erlaubniß, in Göttingen zu
bleiben, und durch eine Pensionszulage war das nicht wieder gut zu
machen. Die Kränkung hat sein Herz gebrochen.
Uns Deutschen geziemt es, eingedenk zu sein, was er uns zum Opfer
gebracht hat.
Villers' Brief an die Gräfin von Beauharnais wurde dadurch veranlaßt,
daß diese, die Tante der Kaiserin Josephine, nach den schrecklichen
Ereignissen von Lübeck der Villers wie ihr befreundeten Familie Rodde
Theilnahme ausdrücken und ihre Hülfe anbieten ließ. Villers benutzte
dies, um der einflußreichen geistvollen Dame, die in Paris seine
persönliche Bekanntschaft gesucht hatte, die traurige Lage Lübecks
vorzustellen. Der Brief, vom 15. December 1806 datirt, ging erst am
12. Februar 1807 an seine Adresse nach Paris; am 4. März traf die
Antwort ein, daß die Gräfin bereit sei, dem Kaiser den Brief vorzulegen
und aufs wärmste zu befürworten. Inzwischen hatte Villers denselben
in Lübeck als Manuscript drucken lassen und sandte am 5. März vier
Exemplare nach Paris, darunter eins an Bernadotte und eins an Daru.
Gleichzeitig schickte er auch ein Exemplar an Brockhaus; dieser ließ
schon im Aprilhefte seines »_Conservateur_« den Brief abdrucken (vgl.
S. 78) und außerdem Separatausgaben davon in französischer und deutscher
Sprache erscheinen, die großes Aufsehen erregten und rasch drei Auflagen
erlebten. Auch zu diesen Separatausgaben hatte Brockhaus jedenfalls
Villers' Zustimmung, denn in einem (nicht unterzeichneten) Vorberichte
heißt es: der Brief sei erst blos als Manuscript gedruckt worden, »da
aber diese Schrift schon hier und da herumgekommen und ihr Verfasser
sah, wie zweifelhaft es sei, einer voreiligen unerlaubten Bekanntmachung
zuvorkommen zu können, so hat er unserm Wunsche gern nachgegeben und
uns den Druck erlaubt« u. s. w. Der Brief war gleichzeitig in Paris
gedruckt, aber dort wie später auch in Amsterdam confiscirt worden. Wurm
sagt darüber:
Hat nun bei den »hohen und höchsten Herrschaften« diese beredte
Fürsprache irgend Etwas ausgewirkt? Nein, nicht das Mindeste. Aber
die Darstellung selbst, die, wie sich erweisen läßt, nur für das
Auge einiger Wenigen bestimmt war, hat mit einem male die größte
Oeffentlichkeit erlangt. Wenige Flugschriften in jener bewegten Zeit
sind so verschlungen worden. Der Eindruck war tief und nachhaltig.
Ein richtiger Instinct sagte den Feldherren, daß der französischen
Herrschaft, daß dem Vertrauen der Völker zu französischer
Gerechtigkeit und zu französischem Schutz ein sehr schlechter Dienst
geleistet sei, indem die Wahrheit an den Tag komme.
So fehlte es denn auch nicht an den Maßregeln, durch welche das böse
Gewissen sich zu verrathen pflegt. Die Schrift von Villers ward in
Paris confiscirt[25]: Baggesen, in einem ergötzlichen Brief, wünschte
dem Verfasser Glück dazu. Die Aufregung unter den Franzosen war so
groß, daß selbst die lübecker Censur sich endlich gemüßigt fand, die
Buchhändleranzeige, welche die Schrift zum Verkauf anbot, zu streichen.
Bedenklicher war, daß Villers von sicherer Hand erfahren mußte, auch
Bernadotte habe an der Schrift Anstoß genommen. Doch war das gute
Vernehmen, wie man aus dem Schreiben eines Adjutanten des Prinzen
ersieht, dadurch nicht auf die Dauer gestört. Keinenfalls ließ Villers
sich irre machen. Er war sich keiner Uebertreibung bewußt, und
erklärte dies öffentlich im Vorwort zu einer spätern Auflage.
Der von Wurm erwähnte Brief Baggesen's an Villers, aus Hamburg vom 27.
Juni 1807 datirt, lautete:
Ich schicke Dir hier die ganze Saisirungsgeschichte aus Amsterdam
und Paris, die, wie ich hoffe, Dich mehr freuen als befremden wird.
In der That war es nicht leicht möglich, Dir und der Sache einen
größern Dienst zu erweisen, als eben durch diesen erzdummen Streich
der pariser Polizei geleistet worden ist. Eine Schrift, wovon schon
mehrere tausend Exemplare im Umlauf sind, zu confisciren, hieß
derselben außer dem Umlauf auch Einlauf -- Interesse ins Unendliche
-- außer dem moralischen auch religiösen Einfluß und selbst (das
Höchste, was in unsern Tagen ein Buch gewinnen kann) den Reiz der
Sünde, _vel quasi_ des Verbotenen, verschaffen. Wüßte ich nur mit
Gewißheit, daß man auch meine Sachen auf diese Weise saisiren würde,
den Augenblick gäbe ich die göttlichsten Dinger heraus -- allein ich
fürchte, man würde #mich# statt der Sachen saisiren. So wird dem
großen Sieger mitgespielt! Wäre ich an seiner Stelle, ich setzte meine
Polizei den Augenblick ab. Das Buch hätte sie, wenn sie ihr Geschäft
recht verstanden, laufen lassen sollen und dagegen von einem lübecker
Rathsherrn öffentlich bekannt machen lassen, daß der Verfasser nicht
gewußt, was er geschrieben, daß sie (die Lübecker) betheuern können,
es sei gerade das Gegentheil wahr u. s. w. Die Pariser, die nicht
nach Lübeck laufen können, um Syndicus den oder den zu fragen: »Haben
Sie das wirklich geschrieben?«, wären angeführt worden, wenigstens im
Zweifel -- jetzt wissen sie, was an der Sache ist.
Diese Schrift sollte aber für Villers doch noch verhängnißvoll werden.
Vier Jahre nach ihrem Erscheinen, als er eben im Begriff stand,
Lübeck zu verlassen, um einem Rufe an die Universität Göttingen Folge
zu leisten, ließ ihn Marschall Davoust wegen derselben verhaften und
seine Papiere durchsuchen. Da man nichts ihn Compromittirendes fand,
ward er wieder freigelassen, aber aus den »von den französischen Waffen
besetzten« Ländern verwiesen. Er verließ Lübeck am 8. März 1811, die
Verfolgung ruhte auch in Göttingen nicht, und es ist unzweifelhaft, daß,
wie Wurm sagt, die damit verknüpften Kränkungen sein Herz gebrochen
haben; er starb, wie schon erwähnt, vier Jahre darauf (1815), kaum 50
Jahre alt.[26]
Brockhaus verlegte bald nach jenem Briefe noch ein anderes kleines Werk
von Villers: eine französische Uebersetzung der 1808 bei Friedrich
Perthes in Hamburg erschienenen Schrift »Der Kaufmann« von Johann
Albert Heinrich Reimarus, dem eigentlich auf einem andern Gebiete,
als Physiker, bekannten Sohne des Verfassers der »Wolfenbüttelschen
Fragmente«, Hermann Samuel Reimarus. Die Uebersetzung führt den Titel
»_Le commerce_« (1808) und ist mit einem Vorwort von Villers versehen.
Außerdem druckte Brockhaus 1807 in dem ersten Hefte seines
»_Conservateur_« eine längere Abhandlung von Villers: »_Sur la manière
essentiellement différente, dont les poètes français et les allemands
traitent l'amour_«, und 1809 eine Schrift »_Coup d'oeil sur l'état
actuel de la littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne_«, die
als ein Bericht an das _Institut de France_ und in einer Nachschrift als
eine Rechtfertigungsschrift seines »_Coup d'oeil sur les universités
allemandes_« (Kassel 1808) bezeichnet ist.
Auch in späterer Zeit und bis zu Villers' Tode blieb Brockhaus mit
demselben in geschäftlicher Verbindung. So verlegte er 1814 dessen
letzte Schrift, in der die Wiederherstellung der drei Hansestädte warm
befürwortet wird: »_Constitutions des trois villes libres anséatiques,
Lubeck, Brêmen et Hambourg. Avec un mémoire sur le rang que doivent
occuper ces villes dans l'organisation commerciale de l'Europe._« Vorher
noch hatte er auf Brockhaus' Wunsch und zugleich auf den der Frau von
Staël eine Einführung zu ihrem berühmten Buche »_De l'Allemagne_«,
datirt Göttingen, 20. Juli 1814, geschrieben, die mit einer neuen
Ausgabe desselben 1815 bei Brockhaus erschien. Die erste 1810 in Paris
in 10000 Exemplaren gedruckte Auflage dieses Buchs war dort vor der
Ausgabe von der kaiserlichen Polizei confiscirt und vernichtet, die
Verfasserin aber aus Frankreich verbannt worden. Sie ließ es darauf 1814
in London, 1815 in Genf und in Leipzig drucken und erst im folgenden
Jahre konnte in Frankreich selbst wieder eine neue Auflage erscheinen.
* * * * *
Von größern Verlagsunternehmungen Brockhaus' aus dieser Zeit ist
zunächst das »Historisch-militärische Handbuch für die Kriegsgeschichte
der Jahre 1792 bis 1808« von dem ehemaligen niederländischen
Oberstlieutenant A. G. Freiherrn von Groß (Amsterdam 1808) zu erwähnen.
Dasselbe war von einem großen »Historisch-militärischen Atlas« in
siebzehn in Kupfer gestochenen Tafeln begleitet, den Brockhaus in Weimar
von Legationsrath Bertuch, Besitzer des Landes-Industrie-Comptoirs,
herstellen ließ. Der Verfasser, 6. December 1756 geboren, diente zur
Zeit der Revolutionskriege in der niederländischen Armee, vertheidigte
unter anderm 1794 die Festung Grave gegen die Franzosen unter
Pichegru, lebte dann zurückgezogen mit dem Titel eines herzoglich
sachsen-weimarischen Kammerherrn in Weimar und starb daselbst am 18.
November 1809. Er war als Militärschriftsteller geschätzt, namentlich
wegen des genannten Werks und wegen eines frühern über die höhere Taktik
(Gera 1804).
Im Jahre 1808 trat Brockhaus auch mit einem Manne in Verbindung, der
ihn in die ersten, für ihn später so verhängnißvollen Conflicte mit
der preußischen Regierung verwickelte. Es war der preußische Oberst
August Ludwig Christian von Massenbach. Dieser, 1758 geboren, in dem
unglücklichen Jahre 1806 Generalquartiermeister des Fürsten Hohenlohe,
veranlaßte, wie es scheint durch eine irrthümliche Meldung, die Ergebung
seines Corps bei Prenzlau. Deshalb in eine Untersuchung verwickelt,
lebte er erst auf einem ihm vom Könige von Preußen geschenkten Landgute
im Posenschen, dann in Würtemberg, und verfaßte dort drei Werke, die bei
Brockhaus erschienen und großes Aufsehen erregten. Nachdem er wiederholt
um seine Entlassung aus dem preußischen Kriegsdienste angehalten,
stellte er 1817 an den preußischen Hof und an den König persönlich
verschiedene Anträge, unter der Drohung, im Nichtgewährungsfalle
wichtige in seinem Besitze befindliche Papiere zu veröffentlichen.
Darauf in Würtemberg auf Ansuchen Preußens verhaftet, wurde er nach
Küstrin gebracht, dort kriegsgerichtlich zu 14 Jahren Festungshaft
verurtheilt (wegen beabsichtigten Landesverraths durch Bekanntmachung
amtlicher Schriften), 1820 nach Glatz gebracht, aber 1826 vom Könige
begnadigt. Er starb bald darauf, 27. November 1827.
Massenbach war ein geistvoller politischer und militärischer
Schriftsteller, und seine Werke haben hohen Werth für die
Zeitgeschichte. Indessen litt er an großer Selbstüberhebung, indem er
fortwährend darzuthun suchte, daß er durch seine Rathschläge das Unglück
des preußischen Staats abgewendet haben würde, wenn sie befolgt worden
wären. Außerdem ließ er sich oft zu rücksichtslosen und unberechtigten
Angriffen auf die leitenden Persönlichkeiten des preußischen Staates
hinreißen.
Die erwähnten drei Werke Massenbach's sind: »Rückerinnerungen an große
Männer« (2 Abtheilungen, Amsterdam 1808); »Memoiren zur Geschichte
des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II.
und Friedrich Wilhelm III.« (3 Bände, Amsterdam 1809); »Historische
Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit
dem Jahre 1794 nebst meinem Tagebuche über den Feldzug von 1806« (2
Theile, Amsterdam 1809). Letzteres und das vorige Werk enthalten mehrere
Karten und Pläne.
Noch drei andere Verlagswerke gehören in diese Zeit: »Parallelen«
von Christian Daniel Voß (Professor des Staatsrechts und der
Kameralwissenschaften in Halle, geb. 1761, gest. 1821), in zwei
Theilen (1808 und 1811 erschienen), eine vergleichende Darstellung der
Jahrhunderte Ludwig's XIV. und Napoleon's I.; Dschami's persischer
Liebesroman »Medschnun und Leila«, aus dem Französischen übersetzt
und erklärt von Anton Theodor Hartmann (damals in Oldenburg, später
schwerinischer Consistorialrath und Professor in Rostock, verdienter
Orientalist, geb. 1774, gest. 1838), 1808 in zwei Bändchen erschienen;
endlich, ebenfalls 1808, das dramatische Gedicht »Aladdin oder die
Wunderlampe« von Adam Oehlenschläger, dem bekannten dänischen Dichter
(geb. 1779, gest. 1850), der seine meisten Werke gleichzeitig auch in
deutscher Sprache veröffentlichte.
Mit diesen drei hervorragenden Schriftstellern trat Brockhaus dadurch in
eine dauernde Verbindung, besonders mit Oehlenschläger.
* * * * *
Bei dieser für einen jungen Verleger mit beschränkten Mitteln
staunenswerthen Ausdehnung seiner Unternehmungen war es nicht zu
verwundern, daß Brockhaus bald wieder in finanzielle Verlegenheiten
gerieth. Die Früchte seiner Arbeit, wenn es überhaupt zu solchen kam,
reiften nicht so schnell, als seine sanguinische Natur es erwartete;
auch war er als früherer Kaufmann noch nicht daran gewöhnt, daß der
Verlagsbuchhändler im besten Falle ein Jahr lang auf das Erträgniß
seiner Thätigkeit zu warten hat. Es handelte sich zwar nicht um so große
Summen, wie in seinem frühern Geschäftsleben, aber um so ärgerlicher
war ihm bei seinem regen Streben und dem guten Gang des Geschäfts das
Ausbleiben der zum Fortbetriebe desselben erforderlichen mäßigen Gelder.
In seiner Sorge wandte er sich natürlich wieder an seinen »einzigen
Freund«, wie er ihn oft nennt -- seinen Bruder in Dortmund. Er schreibt
ihm in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 25. August 1807:
In dieser Zeit faßte ich den Gedanken, vor meine Person und
Familie aufs Land zu gehen und für mich nur die Direction der
Verlagsunternehmungen zu halten, meine andere sehr lucrative, aber
lästige Unternehmung[27] zu verkaufen, wenn ich 10000 Fl. dafür
erhalten könnte, da mir 6000 Fl. dafür geboten wurden, und die
Sortimentsgeschäfte mit Jemandem in Compagnie zu treiben, der sie
dann leiten sollte. Es war mein Lieblingsgedanke, der auch um so
eher ausführbar war, da ich auf dem Lande mit der Hälfte hätte leben
können und ich die mir vorbehaltenen Geschäfte von dort so gut wie
von hier (Amsterdam) hätte besorgen können. Indessen aus diesem
Idyllenplane wurde nichts, und ich fuhr dann fort, unser Geschäft
immer zu erweitern und zu consolidiren. Im Herbst vorigen Jahres
bekam ich von Hannover einen sehr geschickten Commis, der seitdem
den eigentlichen Sortimentshandel dirigirt und das Meßgeschäft
(er war auch Ostern in Leipzig), und mein Departement ist dagegen
Verlagsgeschäft, Correspondenz mit den Gelehrten und andere dahin
einschlagende Arbeit .... Das Geschäft ist übrigens vortrefflich,
und es wird und kann, wenn es so fort geht, mich nicht blos zu
einem wohlhabenden Manne machen, sondern auch recht innig zufrieden
mit meinem Schicksale und meiner Lage. Von unsern ostensibeln und
inostensibeln Verlagsunternehmungen haben wir bisjetzt an keinem
Schaden gehabt, an mehrern aber viel gewonnen. Ich werde Dir von
beiden Arten (unter den letztern sind die berühmten »Vertrauten Briefe
über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe«[28], woran ich zum
Viertel interessirt bin), mit Gelegenheit ein Exemplar senden, daß
Du mal sehen kannst, was wir in diesem Fache getrieben haben. Außer
diesen Verlagsunternehmungen ist unser Sortimentsgeschäft (Verkauf
fremden Verlags hier im Lande) schon so bedeutend, daß wir monatlich
im Durchschnitt an 3000 Fl. debitiren. Es wird Dir bekannt sein, daß
man auf Bücher an 33 Procent Rabatt hat, und ist ein solcher Umsatz
also sehr ansehnlich, und kann sich derselbe, besonders wenn wir
mal Frieden bekommen, noch sehr vermehren. Da wir nun sogar unser
Sortiment großentheils wieder gegen Verlag changiren und wir am
Verlag wieder stark verdienen, so ist es mathematisch klar, daß mein
jetziges Geschäft recht sehr vortheilhaft ist und ich, ohne daß ich
mir unberufen schmeichele, die wahrhaft glücklichsten Resultate davon
erwarten kann.
Nur in einem, aber in einem sehr wesentlichen Punkte finde ich
mich gedrückt, und ich erzähle Dir diesen nun um so eher, da ich auf
Sophiens Rath Dich darin zu meinem Vertrauten mache. Ich hätte es ohne
diesen nicht übers Herz bringen können, da es nun einmal leider mein
Charakter ist, daß ich mich lieber hindrücke und hinwürme, als über
solche Sachen laut zu werden. Es ist dies, daß, da wir bei diesen
Geschäften Alles und Alles auf Jahresrechnung stellen müssen und wir
etwa nur ein Funfzigstel baar verkaufen, alles Andere aber nicht vor
dem Anfang des folgenden Jahres einkommt, daß es mir da gegen Ende
des Jahres knapp in Casse wird, weil wir so unsaglich viel an Porten,
Frachten, Papieren, Buchdrucker- und Buchbinderlohnen beständig
ausgeben müssen, dabei die schweren Haushaltungsausgaben, Miethen
und Abgaben zu tragen haben, die alle so viele beständige Ausgaben
erfordern, wogegen wir im Laufe des Jahres fast nichts, sondern Alles
erst im Januar und Februar einnehmen. Dies genirt mich nun in diesem
Jahre besonders, da ich für mehrere Unternehmungen ein Ansehnliches
habe aufwenden müssen, das sich aber erst zu Ostern 1808 rentirt.
Recht sehr wünschte ich also, mit einigen Fonds in diesem Jahre
ausgeholfen zu werden, und ich frage Dich nun darum, ob Du das möglich
machen kannst, sei es durch Dich selbst oder durch Deinen Credit ....
Es ist mir schwer gefallen, über diesen Punkt offen zu werden, und
ohne das Zureden Sophiens hätte ich es unmöglich gekonnt. Ich füge
weiter nichts hinzu, lieber Bruder, als daß jede Zeile, die ich Dir
heute schrieb, lautere nackte Wahrheit ist, und daß #ältere# Schulden
mich #keine# drückt noch ihrer mehr existirt.
Auf diesen Brief erfolgte sofort in echt brüderlicher Weise Hülfe durch
Uebersendung einer ansehnlichen Summe. Brockhaus antwortete in einem
Briefe vom 18. September, dessen Anfang eine gemüthvolle Erinnerung an
seine Kinderzeit enthält:
Woran erinnerst Du mich, lieber Bruder, durch die Erzählung Deiner
Reise zum guten lieben Onkel? An die auch für mich glücklichsten
Stunden meines Lebens, das damals so eben und heiter dahinfloß wie ein
rieselnder Bach! An die Jahre meiner Kindheit, meines Jünglingsalters,
die des jungen Mannes, wo ich, noch unbekannt mit den Täuschungen
des wirklichen Lebens, an der Pforte desselben stand und mit
hochfliegendem Sinne und Herzen, ach! die schönsten Hoffnungen von
der Zukunft und den Menschen überhaupt hatte und auch wol berufen und
geeignet war, sie haben zu dürfen. Damals ahndete ich den giftigen
Mehlthau nicht, der sich auf die Blume meines Lebens setzen und Jahre
lang desselben würde vergiften machen! O #die# Zeiten, lieber Bruder!
wie wir mit dem guten und geistvollen Onkel[29] dann durch die langen
und fruchtbaren Aecker und zwischen dem wogenden Meer der vollen sich
niedersenkenden Aehren einhergingen nach dem Kloster Welver, oder
nach Dinker oder zur Kirmeß -- ich weiß nicht wo, wie heitere und
seelenvolle Gespräche uns erquickten, ländliche Kost uns erfreute, wie
wir von Alt und Jung gegrüßt, ehrerbietig gegrüßt wurden, von allen
Menschen als Freunde behandelt und zärtlich gepflegt wurden.
Mir ist der Onkel immer wie der ehrwürdige Pfarrer zu Grünau, von
dem Voß in seiner »Luise« ein so hinreißend entzückendes Gemälde
aufgestellt hat. Damals litt der gute Onkel immer viel, er war
kränklich und seinem Leben schienen nur noch kurze Tage zu harren. Es
freut mich unendlich, daß unsere Furcht sich darin nicht bewahrheitet,
und ich gebe noch keineswegs die Hoffnung auf, ihn noch einmal, ehe
er oder ich jene furchtbare Reise antreten, von der kein Wanderer
zurückkommt, an meine Brust zu drücken. Vielleicht ist diese Zeit
selbst näher als ich noch vor kurzem hätte denken können. Es ist
nämlich sehr wahrscheinlich, daß ich nächste Ostern selbst mit nach
Leipzig gehen werde. Unsere dortigen Geschäfte und Berechnungen,
Tausche, Einkäufe, Arrangements mit Druckereien, Papierhandlungen,
Autoren u. s. w. sind wichtig und mannichfaltig genug, um die Kräfte
eines Mannes alleine zu übersteigen und auch von zu bedeutenden
Folgen, um sie einem auch noch so guten Commis anvertrauen zu
können. Wenn es mir also nur irgend möglich ist, so habe ich zur
Absicht, alle Jahre, so Gott will, selbst Ostern nach Leipzig zu
gehen in Begleitung eines Gehülfen, der den mechanischen Theil des
Geschäftes und der Berechnungen besorgt. Ich habe zu einer solchen
Reise mehrere Reiserouten vor mir, werde aber gewiß, wenn meine
dortigen Angelegenheiten einmal in Ordnung sind, wofür ich möglichst
sorgen werde, zur Hin- oder Herreise immer die über Dortmund nehmen.
Bei Lesung Deines letzten Briefs, lieber Bruder, ist mir dabei der
Gedanke eingefallen, wie außerordentlich nützlich für Dein Geschäft,
erhebend für Deine Seele und stärkend für Deinen Körper es sein würde,
wenn auch Du es einrichtetest, alle Jahre einmal abwechselnd nach
Frankfurt oder Leipzig zu gehen, und wir dann vielleicht dann und wann
solche Reisen hin oder zurück zusammen machen könnten. Der Gedanke,
theuerster Bruder, ist mir so ausführbar vorgekommen, daß ich ihn gar
nicht loswerden kann! und doch ist es mir zu reizend, als daß ich es
mir wieder zu schmeicheln wagen mag, daß er wirklich werde ausgeführt
werden ....
Zu meinem jetzigen Geschäfte, wie es jetzt geht, bedarf ich
durchaus noch einiger Fonds, und es ist nicht dem allermindesten
Zweifel unterworfen, daß, wenn ich nur noch so viele habe, als ich
oben gedachte, es mir möglich sein wird, dasselbe auf einen solchen
Fuß zu halten und zu setzen, daß für mich und meine Familie die
segensreichsten Folgen daraus entstehen werden. Die Zeiten der
Chimären und der Luftschlösser sind bei mir vorbei: was ich jetzt thue
und treibe, beruht auf dem sichersten Calcul. Nur der sehr gute Erfolg
mehrerer unserer Unternehmungen hat übrigens auch nur diese noch
nöthige Alimentation veranlaßt, da wir nicht im Stande sind, diese
Unternehmungen aufzuhalten, die Fonds dafür aber erst im nächsten
Jahre u. s. w. eingehen. So müssen wir von Villers' Briefe über Lübeck
schon wieder zwei neue deutsche und französische Auflagen machen,
ob wir gleich viele Tausend von der ersten haben drucken lassen. So
von einem französischen Handbuche für Reisende durch Deutschland
ebenfalls schon wieder die zweite Auflage, obgleich die erste von
2000 Exemplaren erst im Januar und Februar erschienen. So ist das
Glück, das die »Vertrauten Briefe« machen, woran ich ein Viertel habe,
außerordentlich. Aber diese glücklichen Unternehmungen erfordern
gerade deswegen Nachschüsse, worauf ich nicht gerechnet, und die,
da wir im Laufe des Jahres so wenig einnehmen, mich sehr _en peine_
setzen für den Rest des Jahres, besonders da es hier platterdings
gar keine Ressourcen für mich gibt, und ich Alles und Alles aus mir
selbst schöpfen muß. Es sind indessen keine großen Summen, deren ich
jetzt bedarf, und mit einigen tausend Gulden, die ehemals ein Tropfen
im Eimer gewesen wären, kann ich über die kleinen Sorgen nun alle
wegkommen. Und doch drücken solche außerordentlich und sie müssen auf
immer weggeräumt werden.
Darauf folgt, unter herzlichem Danke für das zunächst Gewährte, die
Bitte um eine weitere größere Summe, die er bestimmt im nächsten Jahre
zurückerstatten will: »Du könntest darauf wie auf Deine Existenz
rechnen!« Er schließt:
Du kennst nun meine Sorgen und meine Hoffnungen alle. Vertraue,
vertraue auf mich. Mein Dank, Sophiens Dank, unser Aller Dank wird
Dich für alles Gute, was Du uns schon gethan, Du allein uns gethan,
bis zum letzten Odemzuge begleiten .... Wir Alle grüßen euch Alle
tausendmal.
Als auf diesen Brief eine abschlägige Antwort kam, weil der Bruder,
trotz seiner steten Bereitwilligkeit zu helfen, diesmal die Bitte
nicht erfüllen konnte, entschloß sich Brockhaus' Frau ohne Vorwissen
ihres Mannes nochmals an den Schwager zu schreiben. Ihr Brief, einer
der wenigen, die von ihr erhalten sind, gibt ein treues Bild ihrer
einfachen, aber gediegenen und gesunden Natur. Das im Eingang des Briefs
erwähnte sechste Kind, Max, war wenige Monate vorher, am 19. Juni 1807,
geboren worden; es starb übrigens nach kaum drei Jahren, im März 1810,
in Dortmund. Sie schreibt aus Amsterdam vom 29. September 1807:
Lieber Herr Bruder!
Ich schreibe Ihnen diesen Brief ohne Vorwissen meines guten
Brockhaus; dieser ist auf Comptoir, und ich sitze hier im Kreise aller
meiner Sechse, Max schläft eben, und das Kindermädchen mag sehen,
wie sie ein halb Stündchen mit den übrigen fertig wird, denn ich muß
absolut mit Ihnen sprechen.
Daß es uns gut geht, daß wir zufrieden sind, daß Brockhaus in
seinen Geschäften glücklich ist, sich glücklich darin fühlt, daß wir
bei dem schrecklichen Lauf der Weltbegebenheiten und der Zernichtung
des englischen Handels hier (für den, der nicht über große Fonds zu
disponiren hat) sehr froh sind, die Trümmer unsers Vermögens in ein
Geschäft gerettet zu haben, das, wenn es, wie es scheint, mit dem
Glücke fortgeht, als es angefangen wurde, uns ein redliches Bestehen
sichern wird -- dies Alles, werthester Bruder, wissen Sie wohl und
gewiß von Brockhaus. Aber Brockhaus findet gerade jetzt in dem guten
Fortgange seines Geschäfts Veranlassung zu Sorgen, auf die er nicht
gefaßt war und die ihn erstaunlich angreifen, da er sich möglich
denkt, daß, wenn er gar nicht im Stande wäre Hülfe zu finden, alle
unsere guten Aussichten wieder zusammenfallen, er seinen unbegrenzten
Credit in Leipzig, den er sich so mühsam angebaut, verlieren, und wir
Alle dann eigentlich unglücklich werden könnten. Sie wie ich würden
ihm hier dann die Erinnerung machen können, daß er sich nach seinen
Mitteln hätte einschränken müssen; allein er bemerkt darauf, daß sich
das nicht auf ein paar tausend Gulden im ganzen Jahre lang berechnen
ließe &c. Das kann ich auch nicht beurtheilen. Aber die Sache ist,
daß hier in Brockhaus seinem Geschäft Alles auf Jahresrechnung geht,
er aber Vieles beständig bezahlen muß, Frachten, Papier, Druckerlohn
&c. beständig viel Geld wegnehmen, und daß Brockhaus, um Credit zu
kriegen, Vieles hat prompt bezahlen müssen, wo er in Zukunft Credit
haben wird -- kurz, Brockhaus hat für den Lauf dieses Jahres noch ein
paar tausend Gulden zu bezahlen, wozu er hier keine Aussicht hat,
um sie in diesem Jahre anschaffen zu können. Wir leben erstaunlich
eingezogen, haben fast mit keinem Menschen Umgang, und wo wir
Freundschaft mit haben, die haben keine Mittel, worüber sie disponiren
können, und in Amsterdam muß man nicht mit Geldfragen kommen: eine
kalte abschlägige Antwort ist, was man zu erwarten hat, und ihre
Achtung und Freundschaft, ja gar Vertrauen -- Alles ist weg.
Brockhaus hat sich also, lieber Bruder, in seinen Sorgen um die paar
tausend Gulden, die ihm die Kohlen auf den Fuß legen, an Sie gewendet,
weil er hoffte, daß Sie in Ihrem Verhältnisse eher Rath dazu schaffen
könnten und aus Liebe für uns Alles thun würden, was in Ihren Kräften
wäre. Schrecklich war daher gestern seine Täuschung, als Ihr Brief
ihm sagte, daß Sie jetzt nicht könnten. Der Himmel weiß es, wie er es
machen wird, da ich weiß, daß er in acht Tagen schon ein paar Wechsel
bezahlen muß und im nächsten Monat Alles gebraucht. Mir ist also
eingefallen, ob Sie in Verbindung und in Ueberlegung mit Luise[30] und
Rittershaus die doch nicht gar große Summe zusammenbringen könnten.
Rittershaus hat Vermögen und Credit, und ich vertraue auf Luise,
daß sie etwas auf Rittershaus vermag und er ihr und mir eine solche
Gefälligkeit nicht abschlagen werde. Ich weiß auch, daß Brockhaus
im Stande ist, es ihm nöthigenfalls im Januar oder zur Ostermesse
wieder zurückzugeben, vielleicht könnte er ihm Kleie dafür senden.
Das Wenige, was mir früher oder später zufallen wird, gebe ich auch
gern bis zum Ersatz. Ueberlegen Sie es also mit Luise. Thun Sie, was
Sie können, Sie machen mich dadurch zum glücklichsten Weibe. Ich habe
nicht nöthig, Ihnen zu erinnern, daß es mir lieb sei, wenn darüber
kein Gerede entstehe. An Luise schreibe ich nur ein paar Zeilen,
Sie werden die Güte haben, sie von der wahren Lage der Sachen zu
unterrichten, daß es nicht Mangel überhaupt ist, sondern Verlegenheit
gegen Ende des Jahres und unvorhergesehene starke Ausgaben und da
wir keine Ressourcen haben. O wie glücklich würde ich sein, wenn der
nächste Posttag mir sagte, daß Sie etwas für uns thun könnten -- Ihr
Herz bürgt mir für Ihren Willen.
Nicht mit ganz frohem Herzen sage ich Ihnen Lebewohl. An Lottchen
und Papa tausend Grüße. Ich bin Ihre Sie hochschätzende Schwester
Sophie Brockhaus.
Ob ihre Bitte Erfolg hatte, geht aus den wenigen aus dieser Zeit
erhaltenen Briefen nicht hervor, doch ist es wahrscheinlich, da in den
nächsten Monaten von finanziellen Verlegenheiten nicht weiter die Rede
ist.
5.
Reisen zur leipziger Buchhändlermesse.
Bei der Bedeutung und Ausdehnung, die Brockhaus' buchhändlerisches
Geschäft rasch erlangt hatte, war es (wie er auch unterm 18. September
1807 seinem Bruder schrieb) seine bestimmte Absicht, alljährlich Ostern
zur Buchhändlermesse nach Leipzig zu reisen. Ein Besuch derselben war zu
jener Zeit noch wichtiger als er es gegenwärtig ist, besonders für den
Besitzer eines neuerrichteten Geschäfts; auch hatte er bereits vielfache
geschäftliche Beziehungen in Leipzig, deren Pflege und Erweiterung ihm
am Herren lag; endlich freute er sich darauf, die Stadt wiederzusehen,
in der er als junger Mann eifrigen Studien obgelegen und wol zuerst den
Entschluß gefaßt hatte, selbst einmal den Buchhändlerstand zu wählen.
Im Frühjahr 1808 hoffte er den langgehegten Plan zum ersten male
ausführen zu können, allein seine Hoffnung wurde wieder vereitelt.
Kurz nach der Michaelismesse 1807 hatte er plötzlich denjenigen
Gehülfen verloren, der, wie er in einem Circulare sagt, »zeither
unser schnell wichtig gewordenes deutsches Sortimentsgeschäft allein
besorgt und dirigirt hatte«; es war der in seinem Briefe vom 25.
August 1807 erwähnte Gehülfe, der im Herbst 1806 aus Hannover in
das Geschäft getreten war und in der Ostermesse 1807 das Kunst- und
Industrie-Comptoir in Leipzig vertreten hatte, doch ist uns weder sein
Name noch der Grund seines plötzlichen Wiederaustritts aus dem Geschäfte
bekannt. Brockhaus engagirte zwar sofort einen andern Gehülfen, Namens
Zinkernagel, der bisher in der Buchhandlung von Heinsius in Leipzig
angestellt gewesen war, schloß mit ihm nach damaliger Sitte sogar
einen Contract ab und schickte ihm Reisegeld sowie einen Vorschuß;
aber statt des sehnlichst erwarteten Gehülfen traf im Februar 1808
ein Brief von dessen bisherigem Principale ein, worin dieser bat, ihm
denselben ganz oder wenigstens noch bis zur Ostermesse zu lassen,
wo er dann ja zugleich die Geschäfte seines neuen Hauses besorgen
könne. Brockhaus lehnte unterm 29. Februar diese »Zumuthung«, die ihm
»sehr auffallend und befremdend« sei, mit der ihm eigenthümlichen
Bestimmtheit und Offenheit ab, indem er dem Briefe an Heinsius in einem
Gemisch von Ironie und Zorn hinzufügte: »So vielen Antheil wir auch
an Ihrer persönlichen Wohlfahrt und an dem regelmäßigen Gange Ihrer
Geschäfte immerhin nehmen, so kann dieser Antheil sich doch nicht so
weit erstrecken, daß wir darum unsere eigene Wohlfahrt aufopfern und
unsere nicht unbedeutenden Geschäfte nur in Wirrwarr sich auflösen
lassen sollen. Es entspricht ebensowenig der Lage unserer Geschäfte,
Herrn Zinkernagel die Ostermeßgeschäfte thun zu lassen und ihm oder
Ihnen zuzugestehen, daß er in Erwartung derselben einstweilen dorten
bleibe. Der Chef unserer Handlung wird selbst diese Messe besuchen, und
geschieht das nicht, so werden wir diejenigen Maßregeln nehmen, die uns
am zweckmäßigsten dünken. Wir geben heute Herrn Zinkernagel wiederholt
auf, ohne Verzug eines einzigen Tags seine Reise hierher anzutreten.«
Trotz alledem scheint Zinkernagel gar nicht nach Amsterdam gekommen zu
sein.
Nur wenige Wochen nach diesem Briefwechsel, am 12. April, schreibt
Brockhaus an den Buchhändler Heyse in Bremen: er habe von Herrn
Culemann in Hannover gehört, daß sich bei ihm ein junger Mann befinde,
der sich zum Gehülfen in seiner Handlung eigne, und bitte ihn um
Auskunft über denselben; er stehe zwar bereits mit einem andern in
Unterhandlung, diese werde sich aber wahrscheinlich zerschlagen. Heyse
scheint dem jungen Manne ein gutes Zeugniß gegeben zu haben, denn am
30. April meldet Brockhaus wieder an Heyse, daß er ihn engagire. Der
Betreffende kam denn auch wirklich nach Amsterdam. Es war dies Friedrich
Bornträger, der spätere Verlagsbuchhändler in Königsberg; er blieb
drei Jahre lang bei Brockhaus und wurde während dieser Zeit dessen
Vertrauter, sodaß wir ihm fortan viel begegnen werden.
Leider konnte auch er nicht sofort, sondern erst im Sommer seine Stelle
antreten, wahrscheinlich weil Heyse ihn nicht eher entbehren konnte.
Brockhaus schreibt darüber an Letztern:
Nun, es sei denn, haben wir uns seit 4-5 Monaten durchgeschlagen
und darüber sogar die Messe versäumen müssen, so mag es denn auch
noch 4 _à_ 5 Wochen hingehen. Aber wir rechnen auf Ihr Wort auf das
unbedingteste, daß Herr Bornträger am 12. Juni von Bremen abreisen
kann. Wir machen darüber nicht weiter viele Worte. Ein Wort für
hundert.
Wir wünschen Ihnen die beste Reise zur Messe, und bedauern wir nur,
daß durch das Ausbleiben unsers engagirten Gehülfen es uns persönlich
reine Unmöglichkeit geworden ist, ebenfalls die Messe zu besuchen, da
wir in jeder Hinsicht so nothwendig dorten wären. Ob wir gleich Herrn
Reclam gefunden haben, der unsere Meßgeschäfte wahrnehmen will, so
kann er es doch nur halb. Vieles muß ganz versäumt werden, Vieles muß
noch besorgt werden, das für Herrn Bornträger seine erste Arbeit sein
muß.
An Bornträger selbst meldet er unterm 27. Mai, daß er ihm einige seiner
letzten Kataloge mit Gelegenheit nach Aurich geschickt habe, und fügt
folgende Worte hinzu, aus denen hervorgeht, wie er jede Gelegenheit zum
Weiterausbau seines Geschäfts benutzte:
Nehmen Sie solche in Empfang und machen Sie davon auf Ihrer
Hierherreise den möglichst nützlichsten Gebrauch. Da Ostfriesland
jetzt zu Holland gehört, mithin von dort viele Berührungen mit
Amsterdam, als dem Sitze des Gouvernements, Platz haben werden, wo
der reiche Adel hierhin zu Aemtern und Ehrenstellen gezogen wird und
manche andere Connexion stattfinden wird, so könnte Ostfriesland auch
für uns nicht ganz ohne Bedeutung werden. Früher haben wir dies sonst
nicht ambitionirt, weil damals Bremen und Hannover passender war.
In der Besorgniß, daß der junge Mann sich deshalb zu lange unterwegs
aufhalten könne, warnt er ihn übrigens sofort, dies ja nicht zu thun,
und schließt:
Wie gedenken Sie Ihre Reise hierhin zu machen? Und wann werden Sie
abreisen? Wir erwarten Sie mit dem lebhaftesten Verlangen und sind
Ihnen mit Freundschaft zugethan.
Der Gebrauch des »wir« statt »ich« selbst in solchen Briefen
persönlicher Art erklärt sich daraus, daß Brockhaus in dieser Zeit alle
Briefe, auch eigenhändige, mit der Firma »Kunst- und Industrie-Comptoir«
unterschrieb und nur bisweilen noch seinen Namen hinzufügte.
Daß er nicht nach Leipzig zur Messe kommen könne, zeigte er dem
Buchhandel in einem vom 24. April aus Amsterdam datirten Circulare
ausdrücklich an, vermuthlich, weil er schon Vielen sein Hinkommen
in Aussicht gestellt hatte. Er erwähnt darin, wie gegen Heyse, daß
auf seine Bitte Herr Karl Heinrich Reclam sich entschlossen habe,
diesmal für das Kunst- und Industrie-Comptoir zu rechnen und das ganze
Meßgeschäft zu besorgen. Daß Herr Gräff, sein bisheriger leipziger
Commissionär, dies nicht besorge, erklärt er damit, daß »unsere
Meßgeschäfte seinen ganzen Mann erfordern und Herr Gräff so sehr
mit eigener Arbeit überhäuft ist, daß wir diesem die unserige mit
wahrzunehmen nicht zumuthen konnten«; doch wird dies wol nur eine der
bei einem Wechsel des Commissionärs auch heutzutage noch üblichen
Höflichkeitsphrasen gewesen sein und der wahre Grund in Differenzen mit
Gräff gelegen haben. Zugleich kündigt er an, daß er in Ansehung der
ihm für sein Sortimentsgeschäft zu sendenden Neuigkeiten nothgedrungen
»eine neue Ordnung einführen« müsse; er erhalte zu viel für ihn unnütze
Artikel, werde deshalb künftig nach dem Meßkataloge selbst wählen und
bitte daraus einen Maßstab für seine Bedürfnisse außer den Messen zu
entnehmen. Dann fährt er fort:
Bei der ununterbrochenen Aufmerksamkeit, die wir auf Alles haben,
was in Deutschland erscheint, entgehen uns ohnehin diejenigen
Artikel nicht leicht, welche wir hier besonders gebrauchen können.
Wir interessiren uns für die Verbreitung der deutschen Literatur
in Holland auf das lebhafteste, wie Ihnen nach dem Maße unsers
seitherigen Bedürfnisses bei so kurzer Dauer unsers Etablissements
schon wird bemerkbar gewesen sein. Jetzt, da unsere Stadt noch zur
königlichen Residenz erhoben worden ist, da sich das Gouvernement
und das diplomatische Corps ebenfalls hierher begibt, jetzt haben
wir bei unserer Thätigkeit Aussicht, daß unsere Geschäfte sich noch
bedeutend heben werden, besonders wenn wir einmal Frieden mit England
bekommen sollten. Uns in diesem Bestreben zu unterstützen, ist unsere
ergebenste Bitte an Sie. Wir werden uns bemühen, Ihnen dadurch selbst
nützlich zu werden, und Ihr Vertrauen gebührend zu achten wissen.
Dem Circulare ist ein Verzeichniß seiner »Novitäten zur Ostermesse
1808«, der in seinem Verlage neu erschienenen und, wie damals üblich,
auf die Messe mitgebrachten Werke, beigefügt. Auch zahlreiche
»Commissionsartikel« werden dabei vorgeführt, meist Verlagsartikel
holländischer Buchhändler, darunter auch »der Schenkische Atlas von
Sachsen«, und Musikalien, mit der Bemerkung, daß das Kunst- und
Industrie-Comptoir es »gern übernehme, alle in Holland herausgekommenen
und herauskommenden Bücher zu besorgen, wenn solche noch im Buchhandel
zu haben« -- ein Zeichen, daß Brockhaus sein Geschäft nach allen
Richtungen hin ausdehnte und ihm namentlich immer mehr einen
internationalen Charakter zu geben suchte.
Unter den »gegen Ende des Jahres erscheinenden Neuigkeiten« werden in
dem Circulare zwei Werke aufgeführt, die später weder bei ihm noch
unsers Wissens überhaupt erschienen sind: ein »Lehrbuch des Staatsrechts
des Rheinischen Bundes« von Hofrath und Professor Seidensticker in
Jena und eine »Deutsche und französische Encyklopädie für die Jugend
gebildeter Stände, in einem dreijährigen Cursus zum Unterricht in den
nöthigsten Vorkenntnissen und zur Beförderung der Fertigkeit, beide
Sprachen verstehen, schreiben und sprechen zu lernen«, von Hofrath und
Professor C. G. Schütz in Halle. Ueber letzteres Werk finden sich auch
zwei Briefe von Brockhaus an Schütz, in deren erstem (vom 22. Februar
1808) er den nähern Plan und einige Proben der ihm zuerst von Schütz
angebotenen Encyklopädie verlangt, während er in dem zweiten, ein volles
Jahr später (am 8. Mai 1809) geschriebenen, kurz sagt, daß er jetzt auf
die Anerbietung nicht eingehen könne. Charakteristisch ist die Vorsicht,
mit der er gleich anfangs das Anerbieten beantwortet:
Wenn das Werk nur nicht zu bändereich werden sollte, was wir bei
unsern Unternehmungen gar nicht lieben, und es in nicht langer Zeit
kann complet geliefert werden, Ew. Wohlgeboren uns auch in Rücksicht
des Honorars nur sehr billige Bedingungen machten und der Plan
übrigens unsern Beifall erhielte, so dürften wir vielleicht auf die
Anerbietung eingehen.
Noch interessanter für uns ist aber folgende Stelle desselben Briefs:
Wir erlauben uns bei dieser Gelegenheit die Anfrage: ob nicht das
von Ew. Wohlgeboren schon seit geraumer Zeit angekündigt gewesene
Lehrbuch über encyklopädische Literatur bald erscheinen werde?
Schreiber Dieses erinnert sich mit sehr vielem Vergnügen einiger
Vorlesungen, die er vor etwa 10 Jahren bei einer Reise durch Jena
hierüber von Ew. Wohlgeboren hörte, und war es, glaubt er, schon
damals ein allgemeiner Wunsch, einen gedruckten Grundriß zu diesem
von Ew. Wohlgeboren jährlich wiederholten Cursus zu besitzen; seitdem
ist derselbe, wenn wir nicht irren, mehrmalen in den Meßkatalogen
angekündigt worden, aber, soviel wir wissen, immer nicht erschienen.
Sollten von seiten der Verlagshandlung Schwierigkeiten dabei
stattfinden, so würden wir uns darüber mit Ew. Wohlgeboren zu einigen
wünschen.
Der hier erwähnte kurze Besuch in Jena hatte jedenfalls 1794 oder 1795
während Brockhaus' Aufenthalts in Leipzig zu seiner Ausbildung oder nach
Beendigung desselben auf der Rückreise nach Dortmund stattgefunden;
er benutzte also die wenigen Tage seines Aufenthalts in Jena zum
Besuche der Vorlesungen des damals sehr angesehenen Hofraths Schütz und
wahrscheinlich noch anderer Professoren: ein neuer Beweis seines schon
damals regen Interesses für Literatur und Wissenschaft.
Gleich in dieser ersten Zeit seiner Verlegerthätigkeit begnügte sich
Brockhaus nicht damit, die Manuscripte einfach so abzudrucken, wie sie
ihm von den Verfassern zukamen, vielmehr prüfte er sie genau und wirkte
oft auf ihre Abänderung hin. So sagt er in einem Briefe an Legationsrath
Bertuch in Weimar vom 12. Juli 1808, mit welchem er diesem das
Manuscript des (ebenfalls in Weimar lebenden) Freiherrn von Groß über
die Kriegsgeschichte der Jahre 1792-1808 zum Druck schickte:
Wir schreiben dem Herrn Verfasser heute weitläuftiger über Titel,
Form und Inhalt, welche unsere Bemerkungen er Ihnen zur gefälligen
Mitbeurtheilung communiciren wird. Der Inhalt und der Plan wie die
ganze Idee des Werks hat unsern Beifall und wir haben daran nichts
oder wenig zu erinnern. Die Form und der Stil aber ist nicht so, wie
er sein könnte und wie er im jetzigen Zeitalter gefordert wird. Es
könnte diesem aber ohne besondere Mühe nachgeholfen werden, wenn vor
dem Drucke ein guter Stilist das Manuscript revidirte und hin und
wieder wegschnitte oder nachhülfe. Sie würden uns unendlich verbinden,
wenn Sie dazu Jemanden auffinden wollten. Wir verstehen uns gern zu
einer billigen Vergütung. Zum Titel haben wir dem Herrn Verfasser
zwei Vorschläge gemacht. Prüfen Sie solche gefälligst. Wir lassen uns
gerne sagen ..... Wir empfehlen Ihnen das Werk des Herrn von Groß
so, als wäre es Ihr eigenes. Dies ist genug gesagt. Rechnen Sie auf
unsern Dank und unsere Erkenntlichkeit. Es wird nicht möglich sein
wahrscheinlich, Ihnen in den ersten vier Wochen darüber näher zu
schreiben, da Schreiber dieses wahrscheinlich in der andern Woche nach
Paris reisen muß, indem wir mit einer französischen Buchhandlung wegen
Ueberlassung der Massenbach'schen Memoiren (im Manuscript) zu einer
französischen Uebersetzung in Unterhandlung sind, was auch mit Philips
in London der Fall ist. Handeln Sie darum in zweifelhaften Fällen nach
bester eigener Einsicht. Alles, was Sie thun, ist und wird wohlgethan
sein. Michaelis muß nur Alles fertig sein. Bei irgendeiner Möglichkeit
kommt Schreiber dieses zu Michaelis nach Leipzig. Die Verhältnisse
unserer Handlungen werden gewiß zu Ihrer Zufriedenheit auseinander-
und fortgesetzt werden.
Ueber die Massenbach'schen Werke sagt er noch in demselben Briefe:
Vom Obersten von Massenbach haben wir nun sein Tagebuch, seine
Memoiren von 1787 bis 1807 und Rückerinnerungen an große Männer
übernommen: ohne Zweifel mit die interessantesten Werke, welche über
die neuere Geschichte seit zwanzig Jahren sind bekannt gemacht worden.
Das bei Sander von Massenbach angekündigte Werk erscheint nicht und
wird in eins dieser verschmolzen. Die in Berlin gestochenen Karten
und Pläne, von denen schon sechs fertig sind, werden Ihnen als Kenner
viele Freude machen. Wir haben in Deutschland noch nichts von gleicher
Vollendung gesehen.
Die mit einer französischen Handlung (Treuttel & Würtz in Paris)
angeknüpften Verhandlungen wegen einer Uebersetzung oder Bearbeitung der
Massenbach'schen Memoiren zerschlugen sich übrigens, und infolge dessen
unterblieb auch vorläufig die Reise nach Paris.
Brockhaus reiste dagegen im Herbst 1808 zur Michaelismesse nach Leipzig;
es war das erste mal, daß er diese Stadt als Buchhändler besuchte,
damals wol nicht ahnend, daß er daselbst einen großen Theil der nächsten
Jahre, während sein Geschäft noch in Amsterdam war, zubringen und später
selbst mit seinem Geschäfte, nach einer kurzen Zwischenperiode in
Altenburg, bleibend dahin übersiedeln werde.
Die Michaelismesse in Leipzig hatte damals für den Buchhandel eine
größere Wichtigkeit als jetzt, wo sie nur noch den Endtermin für die in
der Ostermesse nicht vollständig erledigten Zahlungen bildet. Brockhaus
wollte seine zu Ostern dieses Jahres unmöglich gewordene Reise nach
Leipzig nicht wieder bis zur Ostermesse des nächsten Jahres aufschieben,
weil es ihm nach dem im Juni erfolgten Eintritte des neuen Gehülfen
Bornträger eher möglich war, sich auf einige Wochen von Amsterdam zu
entfernen, und außerdem der Stand seiner Angelegenheiten in Leipzig eine
persönliche Anwesenheit daselbst dringend nöthig machte.
Der dortige neue Commissionär Reclam hatte nämlich die ihm übertragenen
Meßgeschäfte durchaus nicht zu Brockhaus' Zufriedenheit besorgt. Ohne in
diesem Falle, wie in manchem ähnlichen, uns auf die eine oder die andere
Seite der streitenden Parteien zu stellen -- wozu die noch vorhandenen
Actenstücke meistens auch nicht ausreichen -- suchen wir die Sachlage
möglichst objectiv darzulegen.
Brockhaus veröffentlichte sofort nach seiner Ende September erfolgten
Ankunft in Leipzig ein Circular, datirt Leipziger Michaelismesse 1808,
dem wir Folgendes entnehmen:
Der Chef unserer Handlung, Herr Brockhaus, findet bei seiner
Ankunft in Leipzig zur Messe ein Circular des Herrn Reclam vor, worin
sich dieser Mann über die Vorwürfe, die wir ihm privatim wegen der
Besorgung unserer Geschäfte gemacht haben, öffentlich verantwortet.
Die Pflichten, die wir gegen unsere Handlung haben, erlauben es uns
nicht, zu diesem so ungewöhnlichen Circulare des Herrn Reclam ganz zu
schweigen, ob wir gleich glauben, daß Herr Reclam durch den Charakter
dieses seines Circulars gerade unsere Vertheidigung führe, da es nicht
auffallen kann, daß man mit Jemandem, dessen Seele sich so ausspricht,
als hier in diesem Circulare geschieht, leicht zerfallen könne und
mit ihm nicht gut zu leben und zu wirken sein müsse. Hier jedoch eine
kurze Erwiderung.
Darauf folgt zunächst eine Erzählung der uns bereits bekannten Umstände,
daß er seit der Michaelismesse des vorigen Jahres seinen bisherigen
Gehülfen verloren habe u. s. w.; »noch nicht an das Mechanische dieses
Geschäfts gewöhnt und im Gedränge unserer sonstigen mannichfaltigen
Arbeiten, konnte es nicht anders sein, als daß in der Zwischenzeit
von Michaelis bis Ostern Manches nicht mit der Ordnung besorgt werden
konnte, die allerdings strenge genommen gefordert werden kann.« Er
habe trotzdem Ende April die Meßstrazzen an Reclam sowie die Noten der
Remittenden gesandt und ihn dadurch in den Stand gesetzt, wenigstens mit
allen Handlungen rechnen zu können. Dies sei aber großentheils nicht
geschehen und darüber ein Briefwechsel entstanden, »der von unserer
Seite vielleicht nicht ohne Heftigkeit (!), von der Seite des Herrn
Reclam mit roher Plumpheit (!) geführt wurde«. Leider ist dieser gewiß
auch für Brockhaus charakteristische Briefwechsel unsers Wissens nicht
erhalten, und ebenso wenig war es uns möglich, das betreffende Circular
Reclam's zu erhalten, dessen Fehlen uns verhindert, auch die andere
Partei zu hören.
Brockhaus fährt fort:
Wir eilten nun, alle Verhältnisse mit ihm abzubrechen, und wir
drangen mit Ungestüm auf Abrechnung und auf das Zurücksenden der
Bücher. Erstere erfolgte endlich gegen Ende Juli. Unser Soll und
Haben glichen sich ganz aus. Die Bücher aber haben wir erst den 9.
September, also vier Monate nach der Ostermesse, zurückerhalten!!
Diese unerhörte Vernachlässigung war für uns um so empfindlicher, da
wir, wie schon gesagt, ohne alle und jede detaillirte Berichte von
Herrn Reclam geblieben waren und wir uns ganz außer Stand gesetzt
sahen, irgendetwas zu unternehmen, was die Ausgleichung der offen
gebliebenen Contis _pro_ und _contra_ hätte befördern können. Daß
wir uns hierüber mit Nachdruck geäußert haben, wird Jeder begreifen,
der sich in unsere Lage hineindenken will, da durch die Folgen des
Betragens und der Geschäftsführung des Herrn Reclam sich unser ganzes
Sortimentsgeschäft aufzulösen drohte. Die Entschuldigungen des Herrn
Reclam, oder die Invectiven vielmehr, womit er uns zu überschütten
beliebt, sind ohne allen Grund: er war unser Commissionär, nicht
unser Chef. Er mußte entweder unser Geschäft nach unsern Angaben und
Aufträgen ausführen, oder -- es gleich #abgeben#. Dies hat er nicht
gethan; wir sind gezwungen gewesen, es ihm zu #nehmen#.
So weit unsere Antwort durch #Worte#. Jetzt die durch die #That#.
Wir haben am 9. September unsere Bücher zurückerhalten. Zwölf Tage
nachher ging der Chef unserer Handlung schon wieder nach Leipzig. Es
war natürlich unmöglich, in dieser Zwischenzeit von Hause aus etwas
zur finalen Ausgleichung der für und gegen offenstehenden Rechnungen
zu thun. Es wird dies jetzt zur Messe geschehen: wir werden alle noch
restirenden Saldi rein und baar abbezahlen, sollte auch an uns, die
weit mehr zu empfangen als zu zahlen hatten, kein einziger Pfennig
hier eingehen.
Jetzt beurtheile jeder rechtliche Mann das Betragen des Herrn Reclam
gegen uns, und Ton und Farbe seines Circulares!
Wir haben uns hier an eine trockene Darstellung der Thatsachen
gehalten; wir achten uns zu sehr, um die Invectiven des Herrn Reclam
mit gleichen zu beantworten. Wir trauen es auch wenigstens seinem
eigenen Verstande zu, daß er -- um uns hier milde auszudrücken --
seine Leidenschaftlichkeit und Unvorsichtigkeit erkennen, und darüber
nicht ohne Schamgefühl bleiben werde.
Wie die Angelegenheit mit Reclam geordnet wurde, ist uns nicht bekannt;
wir wissen nur, daß zunächst der Buchhändler Johann August Gottlob
Weigel an Reclam's Stelle die leipziger Commission für Brockhaus
übernahm. Letzterer sagt in dem ersten aus Leipzig an Bornträger nach
Amsterdam geschriebenen Briefe vom 4. October: »Ich habe meiner Frau
über die wichtigsten Angelegenheiten direct geschrieben; sie wird
Ihnen das mittheilen, und ich beziehe mich darauf, um mich nicht zu
wiederholen, wozu es mir an Zeit fehlt.« Dieser Brief an seine Frau ist
aber leider nicht mehr vorhanden.
Dagegen ist von dieser ersten Geschäftsreise nach Leipzig ein Actenstück
erhalten, dessen Gegenstand von der größten Wichtigkeit für sein ganzes
Leben wurde: der Contract über den Ankauf des »Conversations-Lexikon«.
Brockhaus ist nicht sozusagen der »Erfinder« des
»Conversations-Lexikon«, wie Viele meinen; es hat vor seiner Zeit in
der deutschen wie in mancher andern Literatur ähnliche Werke gegeben,
und selbst dasjenige »Conversations-Lexikon«, das zum Grundstein seines
nach harten Schicksalsprüfungen endlich festbegründeten Hauses wurde und
seitdem den Mittelpunkt der umfassenden Verlagsthätigkeit desselben
gebildet hat, ist nicht von ihm selbst begonnen worden, sondern war in
der ersten Auflage bereits fast ganz vollendet, als er es ankaufte,
wie auch der Name »Conversations-Lexikon« nicht von ihm herrührt. Und
dennoch ist er als der eigentliche Begründer des Werks anzusehen und
gilt auch in der deutschen Literatur mit Recht als solcher, da er erst
durch seine Energie, Intelligenz und Umsicht dasselbe zu dem machte,
was es für ihn, für sein Geschäft und für die Welt geworden ist. Wenn
es überhaupt bei buchhändlerischen Unternehmungen viel weniger auf die
erste Idee, als auf die geschickte und praktische Ausführung derselben
ankommt, so trifft dies besonders in diesem Falle zu.
Dasjenige Werk, welches in den Verlagskatalogen der Firma F. A.
Brockhaus als die erste Auflage ihres »Conversations-Lexikon«
bezeichnet ist, mit den spätern Auflagen desselben aber nicht viel mehr
noch als den Titel gemein hat, wurde im Jahre 1796 unter dem Titel:
»Conversations-Lexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen
Zeiten«, begonnen. Der (übrigens nicht genannte) Herausgeber war ein
sonst nicht weiter bekannter _Dr._ Renatus Gotthelf Löbel in Leipzig
(geb. 1. April 1767 zu Thallwitz bei Eilenburg, gest. 14. oder 4.
Februar 1799 zu Leipzig), der Verleger Friedrich August Leupold
daselbst. In der Vorrede ist gesagt: Vor 30, 40 Jahren habe Hübner's
»Zeitungs- und Conversations-Lexikon« hingereicht, das Bedürfniß
nach politischen Kenntnissen, die damals fast allein Gegenstand der
Conversation gewesen, zu befriedigen; jetzt aber, wo »ein allgemeineres
Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Scheine derselben«
herrsche, sei »ein dem gegenwärtigen Umfange der Conversation
angemessenes Wörterbuch« nothwendig. Am Schlusse heißt es, daß der
Verleger, um auch das »schöne Geschlecht« auf das Werk aufmerksam
zu machen, dasselbe auch unter dem Titel: »Frauenzimmer-Lexikon zur
Erleichterung der Conversation und Lectüre«, ausgeben werde, doch
scheint dies nicht geschehen zu sein. In den Jahren 1796-1800 erschienen
die vier ersten Theile, also kaum jedes Jahr ein Theil. Das Werk war
damit erst bis zum Ende des Buchstaben R gediehen und schien unvollendet
bleiben zu sollen. Endlich, nach einer Pause von sechs Jahren, 1806,
wurde der fünfte Theil bei einem andern Verleger, Johann Karl Werther
in Leipzig, und wieder zwei Jahre später, 1808, abermals bei einem neuen
Verleger, Johann Gottfried Herzog in Leipzig, der sechste und letzte
Theil veröffentlicht. Vor der Ausgabe desselben hatte indeß bereits
Brockhaus das Werk gekauft, jedoch nicht von dem letzten, auch auf dem
Titel genannten Verleger Herzog, sondern von dem Buchdrucker Friedrich
Richter in Leipzig. Dieser, der Besitzer des Leipziger Tageblattes,
hatte vermuthlich das Werk gedruckt und an Zahlungsstatt behalten
müssen; kein Wunder, daß er es gern wieder abgab, als sich ein Käufer
fand.
Der darüber abgeschlossene Kaufcontract trägt das Datum des 25. October
1808. Das Werk war schon bis zur ersten Hälfte des sechsten (letzten)
Theils gedruckt und ausgegeben; es fehlte nur noch die zweite Hälfte
(das zweite Heft) desselben und der Verkäufer machte sich selbst bei
einer Conventionalstrafe von 100 Thalern verbindlich, dieses Heft,
das 16, höchstens aber 20 Bogen umfassen und das Werk zu Ende führen
sollte, bis zum 5. December desselben Jahres an den Käufer abzuliefern.
Wir stehen nicht an, ohne Rücksicht auf das in solchen Angelegenheiten
herrschende Geschäftsgeheimniß, die Kaufsumme zu nennen, für die
Brockhaus das »Conversations-Lexikon«, die gesammten (freilich wol
nicht bedeutenden) Vorräthe des Werks »mit allen Verlags- und sonstigen
Rechten« erwarb. Sie betrug 1800 Thaler, die in vier Terminen bezahlt
werden sollten: blos 100 Thaler sofort, 500 Thaler Ende Februar, je
600 Thaler zur Oster- und Michaelismesse des nächsten Jahres. Diese
Summe erscheint sehr klein gegenüber der großen Verbreitung, die das
Werk erlangt hat, und ist es auch in der That, selbst wenn man dabei
den damaligen höhern Werth des Geldes in Anschlag bringt. Indeß darf
dabei nicht übersehen werden, daß diese Verbreitung wesentlich das
Verdienst des neuen Besitzers, nicht der dem Werke zu Grunde liegenden
Idee war, deren ausschließliches Verlagsrecht er nicht erwerben konnte,
wie sie ja vor wie nach ihm von so Manchem, freilich meist mit weniger
Geschick und geringerm Erfolge, und vorzugsweise allerdings erst
nach seinem Vorgange und mit offener oder versteckter Nachahmung und
Benutzung seines Werks, ausgebeutet wurde. Ferner war es (und ist es
noch gegenwärtig) bei diesem Werke nicht wie bei andern sogenannten
»guten« Verlagsartikeln mit dem einfachen Abdruck eines druckfertigen
Manuscripts gethan, sondern dasselbe verlangte Umsicht in der geistigen
Herstellung, Thatkraft und Geschick in dem Vertriebe, vor allem aber
bedeutende Herstellungskosten, da es zunächst durch Nachträge, auf zwei
Bände berechnet, vervollständigt und eine völlige Neubearbeitung des
Ganzen sofort ins Auge gefaßt werden mußte. Endlich ist die genannte
Summe gegenüber den damaligen Vermögensverhältnissen des erst seit drei
Jahren etablirten und doch bereits durch zahlreiche und umfangreiche
Verlagsunternehmungen in Anspruch genommenen Verlegers, sowie bei dem
bisherigen geringen Erfolge des Werks, das schon viermal den Besitzer
gewechselt hatte, durchaus keine geringe zu nennen. Jedenfalls machte
ihm keine der damaligen großen Verlagshandlungen in Leipzig oder im
übrigen Deutschland den Besitz des ihnen lange bekannten Werks streitig
und hatte den Muth und das Vertrauen, dieselbe oder eine höhere Summe
dafür zu zahlen.
Gleichzeitig mit dem Contracte über den Ankauf des Werks hatte
Brockhaus (am 16. November 1808) einen Vertrag mit dem »Redacteur und
Herausgeber der letzten Bände des bei Leupold und zuletzt bei Herzog
erschienenen Conversations-Lexikon«, dem Advocaten Christian Wilhelm
Franke zu Leipzig, abgeschlossen. In diesem Vertrage wurde derselbe
Schlußtermin für Ablieferung des Manuscripts wie in dem Contracte mit
Richter für Vollendung des Drucks und Ablieferung der fertigen Exemplare
festgesetzt, nämlich der 5. December des laufenden Jahres, nur ohne
Conventionalstrafe und mit eventueller Verlängerung um -- drei Tage:
»nach und nach bis zum 5., spätestens 8. December dieses Jahres, sodaß
der Druck in ungefähr derselben Zeit beendet werden kann«. Der Verleger
wird wol noch manchmal die Erfahrung gemacht haben, daß solche Termine
mit oder ohne Conventionalstrafe nicht gerade auf den Tag eingehalten
zu werden pflegen und oft nicht eingehalten werden können, wie es auch
diesmal schwerlich der Fall war. Außerdem wurde in diesem Vertrage
bestimmt, daß der Redacteur die (schon von den frühern Verlegern
beabsichtigten) Nachträge zu dem Werke in zwei Bänden zu je 30 Bogen
sofort in Angriff nehmen und das Manuscript zum ersten Bande (A-M)
bis Ende April, zum zweiten Bande (N-Z) bis Michaelis 1809 abliefern
solle. Als Honorar erhielt der Redacteur, wie bisher, für den Druckbogen
8 Thaler, wofür er, wie es scheint, das Manuscript ganz druckfertig
herzustellen, also auch etwaige Mitarbeiter zu entschädigen hatte --
ebenfalls ein nicht eben kleiner Unterschied gegen die Honorare, die
heutigentags bei diesem Werke und ähnlichen Verlagsunternehmungen
gezahlt werden!
Brockhaus' eigene Thätigkeit bei dieser Vervollständigung der ersten
Auflage des Conversations-Lexikon ist im Zusammenhange mit dem
Verdienste, das er sich überhaupt um dieses Werk und namentlich um die
spätern Umarbeitungen desselben erworben, an einer spätern Stelle zu
schildern. Hier sei nur noch erwähnt, daß der erste Band der »Nachträge«
1809, der zweite Band 1811 erschien und Brockhaus sofort auch (1809) das
Werk unter einem neuen, etwas veränderten Titel versandte. Er nannte
es: »Conversations-Lexikon oder kurzgefaßtes Handwörterbuch für die in
der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten
vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse
der ältern und neuern Zeit.«
Auffallenderweise findet sich in Brockhaus' Briefen aus diesem und
den nächsten Jahren keine einzige Aeußerung über den für ihn doch so
wichtigen Ankauf des »Conversations-Lexikon«. Seine Correspondenz ist
indeß leider auch aus dieser Zeit nur theilweise erhalten und so kann
man daraus nicht folgern, daß er dem Unternehmen anfangs selbst keine
große Wichtigkeit beigelegt habe.
* * * * *
Wie lange Brockhaus seinen ersten Besuch Leipzigs als Buchhändler
ausgedehnt, ist nicht genau bekannt; am 16. November (1808) war er
jedenfalls noch dort, da an diesem Tage der Vertrag mit Advocat
Franke in Leipzig von ihm unterzeichnet wurde. Vermuthlich ist
er entweder im December 1808 oder aber erst im Februar 1809 nach
Amsterdam zurückgekehrt. Er schreibt aus Amsterdam vom 27. Februar
1809 an Bornträger: »Durch die Störungen vom December an bis zu meiner
Zurückkunft in diesem Monat sind wir auch wol um einen Monat mit den
Rechnungen hintenausgesetzt, wie Sie wol denken können.« Dieser Brief
ist nach Leipzig gerichtet, wo Bornträger sich seit kurzem befand,
und die »Störungen«, von denen die Rede ist, beziehen sich wol auf
dessen Abreise aus Amsterdam, die weniger durch geschäftliche als durch
persönliche Verhältnisse Bornträger's veranlaßt worden zu sein scheint.
Bornträger mußte nämlich plötzlich aus Amsterdam flüchten, um der Gefahr
zu entgehen, als Conscriptionspflichtiger in das Militär eingereiht zu
werden. So unangenehm dies gewiß auch für Brockhaus war, der in ihm
endlich einen fähigen und zuverlässigen Gehülfen gefunden, so wußte er
doch sofort mit der ihm eigenthümlichen Umsicht und Thatkraft aus der
Noth eine Tugend zu machen: er behielt Bornträger in seinen Diensten
und veranlaßte ihn nach Leipzig zu gehen, um dort seine Geschäfte zu
besorgen, deren immer wachsende Bedeutung ohnedem neben dem dortigen
Commissionär eine directe Vertretung in Leipzig wünschenswerth machte.
Bornträger nahm dort den Namen Friedrich Schmidt an, um allen weitern
Unannehmlichkeiten zu entgehen, und blieb daselbst als Brockhaus'
Bevollmächtigter mit kurzen Unterbrechungen vom Februar 1809 bis August
1810. Dieser Aufenthalt Bornträger's in Leipzig war nicht nur für die
geschäftlichen Angelegenheiten seines Principals sehr förderlich,
sondern er hat nebenbei auch das Gute gehabt, daß er Veranlassung zu
einem lebhaften Briefwechsel zwischen Beiden gab, in welchem sich
Brockhaus in der eingehendsten und offensten Weise, wie man es nur
einem vertrauten Gehülfen und Freunde gegenüber thut, über seine
geschäftlichen und persönlichen Verhältnisse aussprach. Diese Briefe
von Brockhaus an Bornträger, die dann noch bis Anfang 1811 fortgesetzt
wurden, nachdem der Aufenthaltsort Beider seit Mitte 1810 sich geändert
hatte, sind glücklicherweise vollständig erhalten geblieben, da sie der
Adressat als eine theuere Erinnerung sorgfältig aufbewahrte und im Jahre
1862 der Verlagshandlung übergab. Sie bilden die hauptsächlichste Quelle
für die Lebensgeschichte von Brockhaus in den Jahren 1808-1811, deren
Darstellung ohne sie fast unmöglich gewesen wäre.
Gleich jener eben erwähnte erste Brief, den Brockhaus nach Leipzig an
Bornträger richtete, enthält charakteristische Aeußerungen und zeigt,
wie offen, vertrauend und zugleich wie väterlich er sich gegen den
jungen Gehülfen ausspricht. Er schreibt:
Ich habe dies Jahr weit geringere Engagements als die vorigen
Jahre und, so Gott will, werde ich noch vor der Ostermesse so
ziemlich im Stande sein, Alles oder doch das Meiste zu reguliren
.... Allerdings muß man suchen, den edlen vortrefflichen Friedrich
Christian Richter[31] zu erhalten. Sie kennen mich, mein Gemüth, meinen
Charakter! Am Wollen wird es nie fehlen. Am Können auch nicht, sobald
die Störungen, wie sie der Krieg und solche schlechte Leute wie ...
u. s. w. mir immer verursacht, nicht mehr statthaben. Ich werde alles
Ersinnliche thun, um mehrere Widersacher zu beschämen, und schmeichle
ich mir, daß es uns in keiner Hinsicht dazu an Kräften mangelt ....
Suchen Sie durch Ruhe, Anstand, Würde im Betragen günstig auf die
Leute zu wirken. Es thut dies sehr viel. Der elende ... verdarb Alles
durch seine Pinselhaftigkeit. Treten Sie aber allenthalben leise auf.
Nirgends Prahlen oder Großthun. Stille und bescheiden immer. Das ist
ja auch Ihr guter und liebenswürdiger ursprünglicher Charakter, den
ich, wie Sie wissen, mit Innigkeit verehre.
Uebrigens kam Brockhaus trotz Bornträger's Anwesenheit in Leipzig
schon zur Ostermesse 1809 wieder dorthin, diesmal aber nur für kürzere
Zeit, denn am 15. Juni bereits war er wieder in Amsterdam. Vom 8. Mai
liegt uns ein Contract über eine von Brockhaus in Leipzig gemiethete
Niederlage vor; der Vermiether hieß Johann Georg Bering aus Naumburg,
und die Niederlage, wol die erste, die er in Leipzig besaß, befand sich
im Deutrich'schen Hause auf der Reichsstraße.
In dieser Zeit wurde er in Leipzig durch Johann Friedrich Pierer aus
Altenburg zuerst mit dem Kammerverwalter Ludwig bekannt, der später
einer seiner vertrautesten Freunde werden sollte. Derselbe lebte in
Altenburg in einem literarisch und künstlerisch sehr regsamen Kreise und
trat auch selbst als Schriftsteller auf.
Brockhaus schreibt an ihn aus Leipzig vom 12. Mai 1809:
Ich rechne die Stunden, welche ich in dieser Messe an Ihrer Seite
und in Ihrer Unterhaltung verlebt und verplaudert, mit zu den
angenehmsten meines Lebens, und ich bedaure es unendlich, daß erst
so spät unsere Bekanntschaft etwas genauer wurde. Ich beschwöre Sie,
mit der Herausgabe Ihrer Ansichten und Bemerkungen zu eilen, und
ohne meinen Freunden Gräff und Nauck im mindesten zu nahe treten zu
wollen, füge ich nur noch die Versicherung hinzu, daß, im Fall diese
aus irgendeiner Ursache diese Herausgabe möchten hinhalten oder
hinaussetzen wollen, meine Handlung bereit sein würde, darin jeden
Ihrer Wünsche zu befriedigen.
Auf jeden Fall habe ich aber doch noch eine Bitte an Sie, die Sie
mir, ich hoffe es, nicht abschlagen werden.
Die Hofräthin Spazier hier in Leipzig gibt im Verlage meiner
Handlung noch in diesem Jahre ein neues Taschenbuch heraus unter dem
Titel »Urania«. Es haben sich die ausgezeichnetsten Männer und Frauen
(Jean Paul, Mahlmann, Kind, Böttiger, Seume, Frau von Ahlefeldt,
Luise Brachmann und viele Andere) an sie angeschlossen, und dieses
Taschenbuch wird in allen Hinsichten mit den vorzüglichsten wetteifern
und sie selbst zu übertreffen suchen.
Ob die Herausgeberin gleich bereits viel mehr Aufsätze hat, als sie
im ersten Jahrgang aufnehmen kann, so wird sie doch auf mein Ersuchen
noch für einen Beitrag von Ihnen Raum finden, wenn Sie uns damit
beehren wollen.
Ich ersuche Sie darum im Namen der Herausgeberin und in meinem
eigenen Namen. Irgendein oder mehrere Fragmente Ihrer Reise würden uns
dazu die liebsten sein. Hätten Sie aber auch sonst noch irgendetwas in
Ihrem Portefeuille, was Sie uns zu diesem Gebrauch mittheilen wollen,
so würden wir solches dankbar annehmen.
Ich bleibe noch bis künftigen Sonnabend (vor Pfingsten) hier. Wäre
es Ihnen möglich, bis dahin mir mit einigen Zeilen zu antworten, oder
gar mir bereits dasjenige wirklich zu senden, was Sie uns möchten
bestimmen wollen, so würden Sie mich unendlich verbinden.
Meine Idee, vielleicht über Altenburg selbst zurückzureisen, kann
ich leider nicht ausführen, da es in einer ganz andern Richtung liegt,
als ich mir gedacht hatte.
Ein zweiter Brief an denselben, vom 22. Mai, lautet:
Ich reise diesen Abend zurück nach den Ufern der Amstel. Vorher aber
noch ein paar Worte zur Antwort auf Ihren gütigen Brief vom 17. dieses.
Sollte Gräff Ihr Manuscript nicht für den jetzigen Augenblick
gleich übernehmen wollen, so übernehme ich es gerne, um es Michaelis
zu liefern. Gräff muß aber freiwillig davon zurückstehen, und er
muß über das ganze Arrangement und über die Entstehung desselben
reine unterrichtet werden. Er ist zu sehr mein Freund, als daß
ich um irgendeinen Preis ihm nur Unzufriedenheit mit mir einflößen
möchte. Tritt er aber freiwillig zurück, und wollen Sie es mir dann
anvertrauen, so bitte ich Sie, das Manuscript baldmöglichst hiehin
nach Leipzig zu senden, an untenverzeichnete Adresse. Ich erhalte
es dann zur Post nach Amsterdam und sorge für schönen und eleganten
Druck, wie dies bei allen unsern Verlagsartikeln der Fall ist.
Die nähern Bedingungen erlauben Sie mir seiner Zeit nach Kenntniß
der Sache selbst zu bestimmen.
Da in diesem Falle der Kalender[32] mit dem Buche gleichzeitig
erscheinen würde, so dürfte eine Ausstellung aus demselben allerdings
nicht passend sein. Wollen Sie der Frau Hofräthin Spazier indessen
sonst etwas aus Ihrem Portefeuille mittheilen, so wird sie es gewiß
mit Vergnügen aufnehmen. Auch kleine Gedichte gehören allerdings in
ihren Plan. Ihre Adresse ist auf der Post bekannt genug, und also blos
einfach: an die Frau Hofräthin Spazier.
Nun, auf alle Fälle beehren Sie mich mit Ihrer gütigen Antwort.
Leben Sie wohl bis zum Wiedersehen. Möge es unter glücklichern
Aussichten sein, als wir uns diesmal hier sahen.
Brockhaus war damals oder schon im Herbst 1808 mit der Hofräthin Spazier
bekannt geworden und hatte mit ihr die Herausgabe eines Taschenbuchs
unter dem Titel »Urania« verabredet; dieses bekannte Sammelwerk erschien
zum ersten male für das Jahr 1810. Die Herausgeberin wird uns später
noch näher und in anderer Weise entgegentreten.
* * * * *
Außer mit der »Urania« und dem »Conversations-Lexikon« beschäftigte sich
Brockhaus in dieser Zeit auch noch mit manchen andern Verlagsartikeln
größern oder geringern Umfangs und entwickelte dabei fortwährend die
regste Thätigkeit. Die bekannten Schriften Massenbach's erschienen meist
im Jahre 1809, ebenso der erste Band von Sprengel's »_Institutiones
medicae_« und Villers' »_Coup d'oeil sur l'état actuel de la
littérature ancienne et de l'histoire en Allemagne_«. Neben diesen schon
früher von uns erwähnten Werken verlegte er in dieser Zeit besonders
noch drei andere: erstens »Die Hebräerin am Putztische und als Braut«,
von dem mit ihm bereits durch eine Uebersetzung Dschami's in Verbindung
getretenen Schriftsteller Anton Theodor Hartmann (3 Theile, Amsterdam
1809-10), ein damals sehr geschätztes Buch, das ein Seitenstück zu Karl
August Böttiger's 1803 erschienenem Werke: »Sabina oder Morgenscenen
einer reichen Römerin«, bilden sollte; ferner »Ansichten von der
Gegenwart und Aussicht in die Zukunft« von Friedrich August Koethe,
dem bekannten theologischen Schriftsteller (geb. 1781 zu Lübben, gest.
1850 zu Allstädt), von dem später noch mehrere Werke in seinem Verlage
erschienen, ein religiös-politisches Werk von patriotischem Schwunge,
»dem gesammten, untheilbaren theuern deutschen Vaterlande geweiht«;
drittens »Grundzüge der reinen Strategie, wissenschaftlich dargestellt«
von August Wagner (geb. 1777 zu Weißenfels, erst österreichischer,
dann preußischer Offizier, gest. 1854 zu Berlin als Generalmajor), ein
werthvolles kriegswissenschaftliches Werk.
Endlich schloß Brockhaus in diesem Sommer noch mehrere wichtige
Verlagscontracte ab.
Am 3. Juli einigte er sich mit dem verdienstvollen Begründer der
wissenschaftlichen deutschen Bibliographie, Johann Samuel Ersch (geb.
1766 zu Großglogau, Professor und Oberbibliothekar in Halle, gest.
daselbst 1828), über dessen berühmtes »Handbuch der deutschen Literatur
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit«, das
wesentlich von Brockhaus veranlaßt und hervorgerufen wurde; dasselbe
erschien indeß erst später (2 Bände in je 4 Abtheilungen, Amsterdam
und Leipzig 1812-14; neue Ausgabe [zweite Auflage], 4 Bände in je 2
Abtheilungen, Leipzig 1822-27).
Am 13. Juli unterzeichnete er einen Contract mit dem bekannten
Jugendschriftsteller Jakob Glatz (geb. 1776 zu Poprad in Ungarn, erst
Lehrer in Schnepfenthal, dann evangelischer Geistlicher in Wien, gest.
1831 zu Preßburg) über dessen rühmlichst bekannt gewordenes Werk: »Die
Familie von Karlsberg oder die Tugendlehre. Anschaulich dargestellt in
einer Familiengeschichte. Ein Buch für den Geist und das Herz der Jugend
beiderlei Geschlechts«, das bald darauf auch ausgegeben wurde (2 Theile,
Amsterdam 1810; zweite Auflage, 2 Bände, Leipzig 1829).
Zwei Tage darauf, am 15. Juli, schloß er noch einen Verlagscontract,
der aber nicht zur Ausführung kam: mit Geh. Rath Sigismund Hermbstaedt
in Berlin über ein »Technologisches Handwörterbuch«, das in zwei starken
Bänden erscheinen sollte.
Die Jahreszahl 1810 tragen außer dem Werke von Jakob Glatz und dem
ersten Jahrgange der »Urania« noch folgende drei, ebenfalls im Jahre
1809 von Brockhaus verlegte Werke: »Ueber die Mittel, den öffentlichen
Credit in einem Staate herzustellen, dessen politische Oekonomie
zerstört worden ist«, von Herrenschwand, einem wenig bekannten
staatswirthschaftlichen Schriftsteller, nach dem Französischen deutsch
herausgegeben von dem Obersten von Massenbach; zweitens »Vertraute
Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen
Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809« von Johann
Friedrich Reichardt, dem bekannten Componisten und Musiktheoretiker,
scharfe Beobachtungen über die musikalischen, literarischen und
gesellschaftlichen Zustände Wiens enthaltend; drittens der erste
Band der deutschen Bearbeitung eines Geschichtswerks des englischen
Historikers William Coxe (geb. 1747, gest. 1828): »Geschichte des
Hauses Oestreich von Rudolph von Habsburg bis auf Leopold des Zweiten
Tod, 1218-1792«, herausgegeben von Hans Karl Dippold und Adolf Wagner
(der zweite Band erschien 1811, der dritte und vierte erst 1817), für
welche sich unter anderm Freiherr von Hormayr sehr interessirte und die
in Oesterreich selbst solchen Beifall fand, daß man dort 1817 einen
Nachdruck derselben veranstaltete.
* * * * *
Ueberblickt man diese Reihe von Verlagswerken, die Brockhaus in den
ersten Jahren seiner buchhändlerischen Wirksamkeit übernahm, so muß
man ebenso sehr den vielseitigen Geist, das Geschick und das feine
Verständniß für den Geschmack und die Bedürfnisse des Publikums, wovon
er dadurch Beweise gab, anerkennen, wie man über seinen Muth und sein
Selbstvertrauen staunen muß.
6.
Zerwürfnisse mit Baggesen.
Außer durch seine umfassende Verlegerthätigkeit wurde Brockhaus während
der Jahre 1808 und 1809 geistig und gemüthlich vielfach durch eine
Angelegenheit in Anspruch genommen, die ihn zwar zunächst auch als
Verleger benachtheiligte, aber weit mehr innerlich afficirte. Es waren
dies Zerwürfnisse mit Jens Baggesen, dem ausgezeichneten, aber zugleich
übermäßig eiteln und empfindlichen Dichter, die ein Beispiel liefern,
daß es auch Mishandlungen eines Verlegers durch einen Schriftsteller
gibt, während die Literaturgeschichte meist nur von umgekehrten Fällen
zu berichten pflegt.
Die Kenntniß der nähern Umstände dieses literarischen Streits (den
wir eingehender darstellen zu sollen glaubten, als vielleicht der
Gegenstand, um den es sich handelte, es erheischte, weil er für
Brockhaus' Verhalten in solchen Angelegenheiten charakteristisch ist)
verdanken wir einem längern Briefwechsel, den Brockhaus darüber mit
dem bekannten französischen Gelehrten Fauriel führte.[33] Dieser hatte
Baggesen's »Parthenais«, die 1808 von Brockhaus in neuer Ausgabe verlegt
wurde, nachdem das Gedicht zuerst 1804 bei einem andern Verleger
(Vollmer in Hamburg und Mainz) erschienen war, ins Französische
übersetzt, und seine Uebersetzung erschien unter dem Titeln »_La
Parthénéide. Poëme de M. J. Baggesen. Traduit de l'allemand_«, aber
ohne seinen Namen, ebenfalls bei Brockhaus (Amsterdam 1810, gleichzeitig
eine pariser Firma: Treuttel & Würtz, auf dem Titel tragend).
Claude Charles Fauriel war 1772 zu St.-Etienne (Loire) geboren, lebte
meist in Paris und starb daselbst 1844; er hat zahlreiche ausgezeichnete
geschichtliche und literarhistorische Arbeiten geliefert, wie unter
anderm aus einem ihm von Sainte-Beuve in der »_Revue des deux mondes_«
(1845) gewidmeten Essay hervorgeht. Besonders interessirte er sich auch
für die deutsche Literatur und erwarb sich gleich Villers das Verdienst,
seine Landsleute mit derselben bekannt zu machen.
Brockhaus war, wie wir bereits berichtet haben, im Sommer 1806 mit
Baggesen in Amsterdam, das dieser auf seinen häufigen Reisen öfters
besuchte, bekannt geworden und hatte mit ihm schon damals nicht nur über
die »Parthenais«, sondern fast gleichzeitig (am 21. Juni) auch über
eine Sammlung seiner Briefe einen Contract abgeschlossen. Der Umfang
des letzten Werks war nicht festgesetzt, sondern nur bestimmt worden,
daß die Verleger (damals noch Rohloff & Comp.) sich verpflichteten, die
Briefe »bandweise herauszugeben nach Bequemlichkeit des Verfassers,
der sie zu keinem bestimmten Termine unbedingt versprechen kann, den
ersten Band ausgenommen«; das Manuscript des letztern sollte »erst nach
Verlauf von vier Wochen _a dato_«, also eigentlich am 21. October 1806,
abgeliefert werden -- das Werk erschien aber erst 25 Jahre später,
1831, als beide Contrahenten längst gestorben waren! Als Honorar wurden
4 Louisdor per Druckbogen, »unmittelbar nach der Ablieferung des
Manuscripts zu zahlen«, festgesetzt.
Im darauffolgenden Sommer (1807) war Baggesen wieder in Amsterdam, und
der beste Beweis seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Brockhaus
liegt wol darin, daß er bei dessen viertem Sohne Max Pathenstelle
vertrat. Auch wurde in dieser Zeit (am 16. Juli) zwischen Beiden ein
neuer Contract über Baggesen's neueste Gedichte abgeschlossen, die 1808
unter dem Titel »Heideblumen« erschienen.
Aus dieser Zeit datirt der einzige uns bekannte Brief Baggesen's an
Brockhaus, am 1. August 1807 (also kurz nach seiner Abreise aus
Amsterdam) in Marly bei Paris, wo Baggesen damals wohnte, geschrieben,
der ebenfalls Zeugniß von ihrem herzlichen Verhältnisse gibt. Baggesen
schreibt:
Indem ich mein Packet an Sie abschicken will, erhalte ich Ihren
Brief, mein Theuerster, vom 27. -- und ich kann nicht umhin, das
Packet wieder zu öffnen, um meinen herzlichen Dank dafür mit
hineinzulegen.
Ich bin während acht Tagen im strengsten Sinne des Worts nicht
von der Seite meiner holdseligen Fanny und des kleinen vollkommenen
Engels Paul gewichen -- es schienen mir acht Minuten. Erst in den zwei
letzten Tagen habe ich des Morgens, bevor sie erwacht, angefangen
wieder zu arbeiten.
Dank für Ihr warmes Interesse für das herrliche Weib, dessen höhere
Bedeutung ich sogleich, noch ehe ich wußte, daß sie Künstlerin sei,
wahrnahm. Sie schätzt Sie hoch und ist Ihnen und Ihrer holden Frau
herzlich ergeben. Gönnen Sie ihr öfters Ihren balsamischen, in
Amsterdam unschätzbaren Umgang! Ich kann ihr, ihrem Mann und ihrem
herrlichen Sohn noch nicht schreiben -- weil ich, zu betäubt und
entzückt vom glücklichen Wiedersehen, Niemandem ein vernünftiges Wort
schreiben kann -- und weil ich vor dem Empfang des Portraits von Ary
nicht schreiben will. Dieses erwarte ich mit Ungeduld, sowie die
Cramer'schen Musikalien, und die Recension, die schwerlich von Voß ist
....
Mit den »Heideblumen« wird es rasch gehen. Und die »Briefe« und die
»Dichterwanderungen« werden folgen. Wahrlich, das alles interessirt
mich von ganzer Seele. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob ich wirklich
wieder nach Norden kehre -- doch lassen Sie sich noch keinen Zweifel
darüber merken!
Ihr Baggesen.
Die hier erwähnte Künstlerin ist jedenfalls die Mutter Ary Scheffer's,
Cornelia, die nebst ihrem Manne zu dem nächsten Umgange Brockhaus'
gehörte und Baggesen also wahrscheinlich erst bei diesem kennen gelernt
hatte.
Die neben den »Briefen« noch genannten »Dichterwanderungen« waren ein
zweites Project Baggesen's, das ebenso wenig als jenes erstere zur
Ausführung kam. Er hatte darüber mit Brockhaus zwar keinen schriftlichen
Contract abgeschlossen, ihm das Werk aber wiederholt schriftlich und
mündlich versprochen, wie aus einem weiter unten folgenden Briefe
ersichtlich ist.
Wir lassen nun die Briefe von Brockhaus an Fauriel ihrem Hauptinhalte
nach folgen, auch diejenigen Stellen, welche andere Angelegenheiten
betreffen, da sie für die literarischen oder persönlichen Verhältnisse
des Briefschreibers theilweise von hohem Werthe sind.
Der erste, Amsterdam 15. November 1807 datirt, lautet:
Ich habe allerdings eine recht große Schuld gegen Sie, daß ich
Ihren so gütigen und freundschaftlichen Brief, den ich durch die
Vermittelung des Herrn Cramer erhielt -- gar nicht, daß ich Ihren
letzten Brief auch erst jetzt beantworte. Entschuldigen, hoffe ich,
werden Sie mich, wenn Sie den etwas nähern Zusammenhang, die Ursachen
hören werden, die mein Stillschweigen veranlaßten.
Ihr erster Brief hatte die hauptsächliche Tendenz, mir die Ursachen
zu entwickeln, warum eine partielle Bekanntmachung der »_Parthénéide_«
nicht frommen und nützen könne. Ihren Gründen gebe ich meine
Beistimmung, da sie mir ebenfalls entscheidend vorkamen, und ich that
auf den Wunsch dazu Verzicht. Er enthielt weiter eine Angabe der
Schwierigkeiten, die sich der gänzlichen Vollendung Ihrer Uebersetzung
entgegenstellten, da Sie Aenderungen für nothwendig hielten, welche
Sie jedoch ohne Zustimmung und Zuratheziehung des Verfassers nicht
eigenwillig zu übernehmen wagten. Auch in diesem Punkte konnte ich
meine Beistimmung und Genehmigung nicht versagen. Solange indessen das
Manuscript nicht ganz vollendet war, konnte nicht an Bekanntmachung
des Werkes selbst gedacht werden; diese Vollendung hing von Baggesen's
Zurückkunft ab: dieser Zurückkunft sah ich acht Monate lang täglich
entgegen; ich wurde täglich getäuscht: mein Schweigen bis zur
Zurückkunft von Baggesen wird sich also, wie ich glaube, wenn auch
nicht ganz rechtfertigen, doch entschuldigen lassen. Baggesen kam
endlich im Juni, im Juli war er in Paris; an die endliche Vollendung
des Werks konnte nun gedacht werden, wie an die Bekanntmachung. Ich
erhielt darüber Ihren gütigen Brief, und ich würde mich beeifert
haben, ihn mit umgehender Post zu erwidern und auf der Stelle alle
und jede Anstalten zur Bekanntmachung zu machen, wären nicht in der
Zwischenzeit über die deutsche Taschenausgabe zwischen Baggesen und
mir Mistöne entstanden, die mir das ganze Werk, woran ich wie am
Verfasser bisher mit Begeisterung gehangen hatte, bis zum Namen hin
zum Ekel gemacht hätten.
Es würde zu weitläufig sein, Ihnen die Discussionen, welche zwischen
mir und Baggesen darüber entstanden, in allen ihren Details zu
entwickeln: meine Discretion verbietet mir dies auch, wie ich auch
fühle, daß Ihnen wie mir die Kenntnißnehmung fremder Angelegenheiten
eine peinliche Aufgabe und Zumuthung sei.
Etwas muß ich Ihnen aber doch darüber sagen: Baggesen bot mir
eine »Parthenais« zweite Ausgabe zum Verlag an. Er forderte 150,
sage hundertfunfzig Louisdor Honorar (circa 30 Bogen, jede Seite
zu 11 Hexameter, _à_ 5 Louisdor). Ohne daß Baggesen mir eine Zeile
Manuscript gab, zahlte ich ihm und Madame Baggesen gleich zwei Fünftel
voraus, als Avance. Ich zahlte die übrigen drei Fünftel dieses
Honorars ein paar Monate nachher und noch etwa 30 Louisdor mehr als
Avance auf künftige Werke, worüber Baggesen mit mir mündlich und
schriftlich contrahirt hatte. Die Umstände erlaubten es Baggesen und
mir indessen nicht, daß der ganze Contract konnte vollzogen werden.
Baggesen sollte die Zeichnung und den Stich der Kupfer in Paris
leiten und -- Baggesen kam gar nicht nach Paris zurück (erst ein Jahr
nachher), mir war die Ausführung dadurch also ganz unmöglich gemacht;
aber auch dadurch war die Ausgabe einer Luxus-Edition unvernünftig
geworden, daß in #der# Epoche ganz Deutschland bis aufs Blut durch
Contributionen und die Kriegsverheerungen aufgesogen wurde, sodaß
eine Luxus-Ausgabe eines Dichtwerkes in der Zeit zu den wahrhaft
unsinnigen Unternehmungen hätte müssen gezählt werden! Baggesen litt
darunter aber als Verfasser nichts! Ich hatte ihm sein volles Honorar
von 150 Louisdor circa bereits vergütet! Ich litt nur darunter, denn
ich war nur im Stande, die kleine Ausgabe, die fertig gemacht worden
war, freilich auch verspätet und unter den ungünstigsten Umständen
in Circulation zu setzen. Für das Alles konnte Baggesen nichts,
das erkannte ich, und wenn also Schaden statt Vortheil aus der
Unternehmung resultirte, so war dies nicht Baggesen's, sondern die
Schuld der Umstände.
Aber nun kam und zeigte sich auch zum Schaden noch der Verdruß und
doppelter Schaden: Der Verleger der ersten Ausgabe der »Parthenais«
trat auf und behauptete, daß Baggesen #noch nicht# das Recht gehabt
hätte, eine zweite Ausgabe an einen andern Verleger als ihn zu
verkaufen. Als ich Baggesen dies nach Kopenhagen meldete, antwortete
er mir wie ein wackerer Mann: er werde das mit dem ersten Verleger
ausmachen, er werde mich gegen ihn schützen. Baggesen that aber nichts
für diesen Schutz, und der erste Verleger, der ohne alle Satisfaction
oder gar ohne Nachricht einmal von Baggesen blieb, druckte meine mit
150 Louisdor bezahlte zweite Ausgabe vermöge seines angeblichen,
von Baggesen ihm #nicht# (durch vorgehaltenen Contract) widerlegten
Rechts nach und setzte sie in ganz Deutschland zur Hälfte des Preises
in Circulation! Meine Ausgabe sank nun ganz unter, denn jene war
um die Hälfte wohlfeiler, und da ich ein neuer Verleger war, jener
aber der erste Verleger, so galt #ich# für einen Nachdrucker, #er#
für den rechtmäßigen Besitzer! Ich forderte Baggesen auf, die Sache
auszugleichen: Baggesen war oder kam zu der Zeit in Hamburg, wo
es ihm ein Leichtes sein mußte, die Sache zu ordnen, da der erste
Verleger nur Satisfaction und geringe Entschädigung verlangte,
Baggesen that aber in Hamburg nichts Wesentliches. Die Sache blieb
hangen -- Baggesen kam her. In der Freude, ihn bei uns zu sehen,
wurde über diesen Punkt leicht weggeglitten: wie wollte es auch mit
Gastfreundschaft bestanden haben, ihn zu mahnen, mir mein Eigenthum,
das er mir freilich verkauft hatte, gegen einen #andern Käufer#
(#nicht# gegen einen #Dieb#, wie Baggesen es erklären will: Vollmer
constituirt sich nicht wie ein Nachdrucker, als Dieb, sondern als
Besitzer; er behandelt mich als Nachdrucker, mich, der 150 Louisdor
Honorar bezahlt habe) zu schützen; das konnte, mußte Baggesen durch
öffentliche Erklärung (keine Zeile ist von ihm darüber bekannt
gemacht worden!!) wehren und mich schützen! Ich sage: mein Gefühl von
Gastfreundschaft erlaubte mir nicht, Baggesen bei seiner Anwesenheit
in Amsterdam, in meinem Hause, an solche Verpflichtungen zu mahnen. O!
ich dachte, die sprächen sich auch selbst aus. Baggesen reisete nach
Paris. Ich erfahre in der Zwischenzeit die definitiven Reclamationen
des ersten Verlegers; sie scheinen mir billig, ich rathe Baggesen zum
Vergleich mit ihm, und ob Baggesen gleich zehnmal erklärt hatte, er
allein wolle mich schützen -- denn ich, wie auch recht war, habe in
jedem Falle nichts verbrochen --, so erbiete ich mich dennoch, #die
Hälfte desjenigen zu tragen#, was man dem ersten Verleger möchte als
Abmachung zuwenden müssen, und wolle ich den Vorschuß zum Ganzen
leisten. Auf jeden Fall, erkläre ich aber, müsse die Sache beendigt
werden, und da einer von uns Recht oder Unrecht haben müsse, so
schlage ich als Schiedsrichter darin #Baggesen's Freunde# _Dr._ Kerner
und Buchhändler Perthes in Hamburg vor. Mit deren Entscheidung erkläre
ich mich zufriedengeben zu wollen. Auf diesen meinen Brief habe ich
nun von Baggesen eine Antwort erhalten, worin er mir erklärt: »daß
#ihn# die ganze Reclamation des ersten Verlegers nichts anginge, daß
sie mich allein beträfe, und ich zu sehen habe, wie ich fertig mit
ihm würde, daß er die Sache einem Advocaten zur Betreibung übergeben
würde, daß er seine weitern Werke nicht bei mir herausgeben wolle, daß
es aber meine Pflicht sei, gleich eine Prachtausgabe der «Parthenais»
zu machen«, und dergleichen Kränkungen und Unvernunften viel mehr,
alle durch einen Schwall von Worten, aber mit keinem einzigen Belege
unterstützt, und alle Verhältnisse des Danks, der Verpflichtung, der
Freundschaft, der Zufriedenheit rein verleugnend!!
Daß der Troß der Menschen so handelt, Worte für Thaten geben will,
und wo er Thaten geben soll, nur Worte hingibt, das hatte meine
Erfahrung mich schon gelehrt; aber daß Baggesen, den ich für einen der
edelsten Menschen, nicht blos für einen geistreichen Dichter hielt,
gegen mich so handeln könnte, dies hatte ich nicht erwartet.
In der Einlage habe ich ihm mit Ruhe und Einfachheit Alles
beantwortet; ich adressire diese Antwort Ihnen mit der freundlichen
Bitte, sie Baggesen zu übergeben: es geschieht dies darum, damit der
wirkliche Empfang dieses Briefes, der meine heiligsten Rechte enthält,
nicht kann ignorirt werden.[34]
Was die größere Ausgabe der »Parthenais« betrifft, von der Sie
schreiben, so kann diese unter den obwaltenden Umständen noch nicht
erscheinen. Die Ursache davon ist:
1) Baggesen hat durch seine spätere Zurückkunft nach Paris die
Erscheinung nach dem Buchstaben des Contractes unmöglich gemacht.
Die Umstände in Deutschland machten sie übrigens auch nicht möglich.
2) Jetzt, nachdem die kleine Ausgabe von uns und der Abdruck des
ersten Verlegers seit 18 Monaten in Deutschland circulirt, ist
eine große Luxus-Ausgabe aus folgenden Gründen unthunlich:
Sie erschiene entweder unverändert nach der zweiten Ausgabe, oder
umgearbeitet als neue Ausgabe.
Im ersten Falle wird sie sehr wenig gekauft werden, weil der
Reiz der Neuheit des Gedichts ganz vorüber ist. Nur Liebhaber von
Luxus-Ausgaben würden sie kaufen. Dieser Liebhaber existiren jetzt
aber in dem ausgesogenen Deutschland fast keine. Kein Buchhändler
in Deutschland macht jetzt Luxus-Ausgaben. Göschen läßt selbst die
Fortsetzungen von Klopstock, Wieland &c. beruhen bis auf bessere
Zeiten.
Im zweiten Falle aber, daß Baggesen das Gedicht etwas verändere,
wird mir die des Mitabdrucks des ersten Verlegers wegen kaum zur
Hälfte verkaufte Auflage wieder Maculatur. Mein Schaden vermehrt sich
wieder, und da der erste Verleger das Recht zu haben versichert (was
Baggesen wol durch #Worte#, aber nicht durch #Documente# widerlegt),
sich die »Parthenais«, in welcher Form sie auch sei, anzueignen, so
lange sein erster Contract nicht abgelaufen, so würde er auch diese
Auflage (möge sie bei Didot oder bei Unger gedruckt sein) wieder
abdrucken, und das arme deutsche Publikum würde seine wohlfeile
Ausgabe lieber kaufen als unsere theure.
Jetzt also ist in keinem Falle an die große Ausgabe der deutschen
»Parthenais« zu denken. Wenn Baggesen mich gegen den ersten Verleger
schützt, sei es unmittelbar, oder durch die Edition von Documenten
(Worte, Raisonniren hilft zu nichts), die mich in Stand setzen, den
ersten Verleger als Dieb zu behandeln (was in Leipzig auf der Messe
angeht, wo #alle# deutsche Buchhändler eine Jurisdiction haben) --
dann soll sie erscheinen, sobald es vernünftig ist, d. h. sobald
die erste Auflage größtentheils verkauft ist, und das Publikum
empfänglicher für Luxus-Ausgaben ist. Schützt mich Baggesen aber nicht
gegen den ersten Verleger, so kann und wird nie eine größere Ausgabe
erscheinen und wird sicher nie irgendein anderer deutscher Buchhändler
darüber mit Baggesen contrahiren oder nie dagegen aufkommen.
Es hängt ganz von Baggesen ab, wie er die Sache beendigen will. Ich
habe sie ihm auf das äußerste leicht gemacht, indem ich mich erboten,
die Hälfte desjenigen zu tragen, was man seinem ersten Verleger würde
zur Abmachung geben müssen, und das Ganze zu avanciren, und da diese
Hälfte etwa 12 Louisdor betragen würde, so glaube ich, daß Baggesen,
der 150 Louisdor Honorar erhalten, diese erbärmlichen 12 Louisdor,
da er offenbar die Verpflichtung zur #ganzen# Abmachung gegen mich
hat, könnte beigeben lassen, ohne dieserhalb, wie er thut, die
innigsten und freundschaftlichsten Verhältnisse mit mir zu brechen
und mich auf das unwürdigste zu mishandeln, als wolle ich ihn zu
hintergehen, zu misleiten, zu betrügen suchen! Mein Ehrgeiz und meine
Pflicht gegen meine Handlung erlaubt mir keine Linie weiter zu gehen
als ich gegangen bin, und wenn der Gegenstand einen Liard oder 1000
Louis betrüge, der davon abhängen möchte! Baggesen hat meine Ehre
hineingezogen und nun hat Alles das schärfste Ziel.
Verzeihen Sie tausendmal, werthester Herr Fauriel, daß ich Sie so
lange hiermit aufgehalten habe. Ich mußte es aber thun, da ich gewiß
bin, daß Baggesen gegen Sie beständig davon sprechen wird, da Sie mich
in Ihrem Brief selbst davon unterhalten, und da es Ihnen zeigen wird,
wie mir Alles, was auf die »Parthenais« bis zum Namen hin Beziehung
haben konnte, zuwider sein mußte.
Ich hoffe indessen von Baggesen's Redlichkeit und Rechtlichkeit das
Beste, und ich denke also, daß Alles sich wieder ins Gleiche fügen
werde.
Wäre dies aber auch nicht, so bleibe ich, wie sich versteht, meinem
Ihnen durch Herrn Cramer gegebenen Worte aufs heiligste getreu. Die
französische Uebersetzung der »Parthenais« erscheint und mache ich
hiermit darüber folgende Bestimmungen .....
Hiermit ist diese Verhandlung, denke ich, fest bestimmt, wie sich
ja jede Verhandlung fest bestimmen läßt in Kürze, wenn man es recht
miteinander meint.
Ich bitte Sie indessen, nie weiter irgend Jemanden mit Aufträgen
hierüber an mich zu chargiren, sondern mir Alles selbst zu sagen; auch
würden Sie mich sehr verbinden, ebenfalls keine Aufträge von diesen
Andern an mich wieder anzunehmen.
Es ist mir unendlich leid, daß ich Sie in meinem ersten Briefe mit
so vielem Odiösen habe unterhalten müssen! Die Nothwendigkeit dazu
ist mir peinlich und lästig genug gewesen. Sie werden mir dies gern
glauben.
Dieser Brief und der eingeschlossene an Baggesen scheinen ihre
Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn der nächste berichtet von einer
Wiederversöhnung Beider, ohne freilich anzugeben, worin diese bestanden,
und ohne daß Brockhaus ahnen mochte, von welch kurzer Dauer sie sein
werde. Brockhaus schreibt nämlich an Fauriel unterm 16. Juni, also
gerade ein halbes Jahr nach dem ersten Briefe: Er habe in langer Zeit
keinen Brief erhalten, den er mit wahrerer Theilnahme gelesen. Auf
die französische Uebersetzung der »Parthenais« habe er schon beinahe
nicht mehr gerechnet und sei sehr gespannt auf die ersten Bogen, »da
es mir eine der außerordentlichsten Aufgaben scheint, Dichtungen wie
die 'Parthenais' mit ihren griechischen Silbenmaßen glücklich in
die französische Sprache zu übertragen«; Fauriel's Uebersetzung der
»Parthenais« wurde übrigens in Prosa abgefaßt. Darauf fährt Brockhaus
fort:
Was meine Verhältnisse mit Baggesen selbst betrifft, so sind
sie insoweit wiederhergestellt, daß ich alle Kränkungen, die mir
widerfahren, längst vergessen habe. Baggesen ist einer der am eigenst
organisirten Menschen, die auf der Erde leben, und ich glaube, daß
er mehr wie Rousseau von sich sagen könnte, daß Niemand auf der
Erde ihm gleiche. Um Baggesen zu messen und zu beurtheilen, muß man
einen ganz andern Maßstab haben als für andere Menschen! Ich habe
dies zu Zeiten vergessen, daher viele Misverständnisse, Störungen,
Unannehmlichkeiten. Doch ich will mich darüber hier nun auch nicht
weiter verbreiten. Ich liebe und verehre Baggesen unendlich.
Was Ihre gütige Mittheilung über Baggesen's Verhältnisse betrifft,
so sehe ich solche als einen Beweis Ihres Vertrauens gegen mich an.
Empfangen Sie dafür meinen herzlichsten Dank. Ich werde Ihnen ganz
aufrichtig darauf antworten. Wäre ich reich, so würde, um einen so
trefflichen Mann und Freund wie Baggesen zu unterstützen und ihm
bis auf bessere Zeiten Vorschüsse zu thun, bei mir keine Secunde
Bedenkzeit oder Bedenklichkeit stattfinden. Aber ich bin nicht reich,
und bei meiner Unternehmungslust, Thätigkeit und bei meinen jetzigen
vielfältigen Verbindungen mit den Koryphäen der Gelehrten-Republik in
Deutschland fehlt es mir an genügendem Fonds, als daß ich auch nur
etwas davon #da# gebrauchen könnte, wo Freundes-Gesinnung es mir wie
hier gebieten würde, ihn zu theilen. Daß ich als Hausvater und als
Vorsteher einer zahlreichen Familie auch in dieser Hinsicht Pflichten
habe, kann ich auch noch wol anführen. Indessen ist es auch eine nicht
mindere Pflicht, dem wackern und durch Umstände gedrückten Freunde
zu helfen, soviel man kann und soweit man darf. Kann unser Baggesen
also berechnen, daß er mir in einem gewissen Zeitraum, etwa in 2 _à_
3 Monaten, das Manuscript zu den mir seit langer Zeit zugesagten
»Dichterwanderungen« besorgen kann, so erlaube ich ihm selbst oder
Ihnen, dann gleich auf mich die Summe von 50 Louis _à_ 3 Monat dato
ziehen zu können, und, wenn ich bis dahin einiges Manuscript erhalten
habe, den 15. August nochmalen 50 Louis auf gleiche Weise ziehen
zu dürfen. Herr Toberheim oder ein Anderer wird, denke ich, diese
Tratten gern nehmen und Baggesen gleich den Betrag dafür auszahlen.
Ich lege Ihnen zu diesem Zweck eine Declaration hier bei, von welcher
Sie Gebrauch machen können. Fühlt Baggesen aber, daß seine physischen
und geistigen Kräfte ihm in diesem Augenblicke die Redaction jenes
Werks nicht erlauben, so werden die Tratten unterbleiben. Ich sage
»Redaction«, denn der Stoff des Werks liegt da, ist bereits von ihm
erschaffen, und es bedarf nur einer Form und Anordnung. Will er,
was unser und sein Plan war, aus seiner früher wirklich geführten
Correspondenz -- und wer schreibt Briefe wie er? -- das Werk
bereichern, so glaube ich, dürfte Baggesen nur einer kurzen Ermannung
und des ernsten Wollens bedürfen, um in kurzer Zeit unsern und den
Wunsch seiner zahlreichen Verehrer zu erfüllen, und zugleich sich und
seiner Familie, außer dem Danke des Publikums, eine ehrenvolle, wenn
auch kleine Unterstützung zu bereiten.
Machen Sie, werthester Herr Fauriel, von diesen Eröffnungen den
zartesten und delicatesten Gebrauch. Baggesen ist oft wie die
Sensitive: nähert man sich ihr, so zieht sie sich zusammen; so auch
Baggesen nicht selten.
Ich habe seit Ihrem Briefe noch nichts von Baggesen gesehen und bin
nun wol seit vier Monaten ohne alle Berichte von ihm.
In zwei kurz darauf geschriebenen Briefen ist nichts Wichtiges enthalten.
Brockhaus sagt unterm 25. Juli, daß er beabsichtige, bald nach Paris
zu kommen, und sich unendlich freuen würde, Fauriel's persönliche
Bekanntschaft zu machen; Baggesen, der Fauriel's Nachrichten zufolge
schon längst in Amsterdam hätte angekommen sein müssen, sei übrigens
noch nicht erschienen, und rechne er nun also schon nicht mehr auf seine
Ankunft. »Dies ist mir aber nicht neu mehr am Dichter der 'Parthenais'«,
fügt er lakonisch hinzu.
Der nächste Brief, vom 15. August, handelt ebenfalls nicht näher von
den Baggesen'schen Angelegenheiten, sondern im Eingange von dem (später
wieder aufgegebenen) Projecte einer französischen Bearbeitung der
Massenbach'schen Manuscripte und dann von andern literarischen Dingen,
doch lassen wir ihn gleich hier mit folgen. Er lautet:
Meinen herzlichsten Dank für die Eröffnungen Ihres letzten Briefes,
den Barometer Ihrer Preßfreiheit betreffend. Ja, man muß gestehen, daß
die große Nation ganz rasend frei ist und die Engländer z. B., bei
denen man Alles sagen darf, was ein gebildeter Mensch denken mag, in
einer schrecklichen Sklaverei leben!
Von Treuttel & Würtz habe ich noch keine nähere Antwort. Aber sie
kann nicht bejahend oder einladend sein. Vor der Hand bleibe also das
Project suspendirt! Wir werden erst nur einen Theil des Originals
bekannt machen. Vielleicht findet sich dann die Sache eher ausführbar.
Eine nähere Analyse des Inhalts sende ich Ihnen lieber durch Treuttel
& Würtz.
Auch für Frankreich würde ohnstreitig ein Werk dieser Art großes
Interesse haben. Haben Thiébault's »_Souvenirs_«, Mirabeau's
»_Lettres_«, Séguis' »_Histoires_«, jetzt Lamband's »_Matériaux_«
und die »_Caractères prussiens_« doch alle mehrere Auflagen erlebt;
haben Masson's »_Mémoires_«, Rulhière's und Carteras' Berichte nicht
großen Beifall gefunden? Diese Werke sämmtlich sind aber mit den
Memoiren, die wir jetzt herausgeben, in Hinsicht auf Originalität,
inneres Interesse und ihre historischen Enthüllungen keineswegs
zu vergleichen. Durch _coupures_ und Verschmelzungen von I-II und
französischen National-Zuschnitt würde, wir glauben es gewiß zu
sein, ein für ganz Europa von höchstem Interesse seiendes Werk
daraus geschaffen werden, da die französische Sprache es für ganz
Europa lesbar macht. Die individuelle Geschichte der Zernichtung
eines Staates wie der preußische, den ganz Europa seit einem halben
Jahrhundert als ein hohes Muster innerer und äußerer Vollkommenheit
betrachtete oder bewunderte, und durch dessen Fall der ganze Continent
in Sklaverei gerathen, diese Geschichte von einem höchst geistvollen
und genialen Manne, der Alles zu sehen und zu untersuchen Gelegenheit
hatte, der selbst auf dem höchsten Posten stand, in ihren Ursachen
und Wirkungen zerlegt und aufgehellt zu sehen, kann nicht anders als
für Mit- und Nachwelt das lebendigste Interesse haben. Es gibt hier
keine Abstractionen nach geschehenem Factum eines müßigen Scribenten.
Es ist hier die lebendige Erzählung eines Augenzeugen, der, mit der
reichsten Intelligenz ausgestattet, schon seit einer Reihe von Jahren
die Auflösung des für Europas Cultur und Freiheit wichtigsten Staates
herannahen sah, der Alles anwendete, ihr zu steuern, der endlich in
Augenblicken der höchsten Gefahr mit ans Steuerruder gesetzt wurde,
aber, da nichts mehr zu retten war, das Schiff zertrümmern sah.
Freilich sind die Werke für Deutschland vom #ersten# Interesse.
Allerdings. Sie werden dies dort auch erwägen, und sind wir einer
guten Unternehmung dadurch schon sicher. Wenn die ersten Bände heraus
sind, werde ich mir die Freiheit nehmen, sie Ihnen zu senden, und
bitte ich mir dann einmal Ihre nähere Meinung aus.
Da ich in Paris noch mancherlei zu besorgen habe, so werde ich, um
all' das zusammen zu berichtigen, vielleicht gegen den Herbst oder
im Winter mal die im Grunde so kleine und doch in so vieler Hinsicht
angenehme Reise machen.
Wenn Ihre »Parthenais«, von der Baggesen mir so unendlich viel
Gutes sagt, fertig ist, komme ich vielleicht dann, um den seltsamen
Eindruck zu beobachten, den dieser germanische ernste Gesang auf die
verweichlichten Nerven der verbildeten Bewohner der europäischen
Hauptstadt machen möchte!
Für Ihre gefällige Anerbietung, mein Cicerone sein zu wollen, meinen
herzlichsten Dank. Ich werde Sie gewiß daran erinnern.
Baggesen schreibe ich heute recht viel, auch von Ihnen! Er wird es
Ihnen schon sagen.
Den »Aladdin« von Oehlenschläger, der bei uns herausgekommen, werden
Sie von Herrn Würtz erhalten. Sie wollen gütigst das Exemplar als ein
Zeichen meiner Ergebenheit annehmen.
Von Herrn B. Constant habe ich auch Briefe von Coppet. Herr von
Villers hat mich schon vor einiger Zeit mit ihm in Verbindung gesetzt,
um sowol von ihm selbst einmal irgend ein interessantes Werk in Verlag
zu erhalten, als insbesondere durch ihn eins von Madame von Staël.
Hierzu ist auch Hoffnung da. Madame de Staël schreibt Briefe
über Deutschland, seine gesellschaftliche und literarische Cultur,
und sie ist, wie mir Herr Constant schreibt, nicht abgeneigt, ihre
Bekanntmachung meiner Handlung zu übergeben. Dies würde für meine
Handlung ein kleines Glück sein! Sollten Sie gelegentlich und füglich
bei Herrn Constant zur Beförderung meines Wunsches mitzuwirken
thunlich finden, so bitte ich Sie, es zu thun.
Nachschrift. Ich adressire meinen Brief an Baggesen nach Marly. Er
ist doch noch da, sodaß der Brief ihn treffen kann?
Der nächste Brief ist aus Leipzig vom 20. October 1808 datirt und also
während der ersten Anwesenheit von Brockhaus auf der Buchhändlermesse
geschrieben. Brockhaus war wieder lange ohne Nachricht von Baggesen und
namentlich ohne Manuscript geblieben, obwol dieser zwei Wechsel auf
ihn abgegeben und versprochen hatte, selbst nach Leipzig zu kommen. So
wendet er sich denn wieder an Fauriel mit der Bitte um Auskunft über
Baggesen. Sein Brief lautet:
Ich schreibe Ihnen, werthester Herr Fauriel, diese Zeilen von der
Messe aus im Gedränge meiner sonstigen Geschäfte.
Ihren letzten Brief, den ich noch in Amsterdam erhielt, habe ich
nicht gleich zur Hand, und ich behalte mir dessen Beantwortung bis zu
einer gelegenern und ruhigen Zeit bevor. Heute will ich mich mit Ihnen
blos über unsern Baggesen unterhalten.
Baggesen zog im Juli circa 55 Louis auf mich. Im Wechsel stand:
»_suivant l'avis_«. Diesen Avis hatte ich bei der Präsentation
nicht erhalten. Ich hätte also die Tratte mit Protest eigentlich
zurückweisen müssen, »_car il faut faire des affaires comme des
affaires_«. Ich that das aber doch nicht. Ich acceptirte den Wechsel
und ist er auch schon längst bezahlt. Den Avis habe ich nicht
erhalten. Ehe dieser erste Wechsel aber verfallen war, kam schon
wieder ein zweiter von auch 55 Louis, wieder »_suivant l'avis_«, aber
ich hatte wieder keinen »Avis«. Was hätte ich thun müssen? Denke sich
jeder in meine Lage als Geschäftsmann! Ich that das aber wieder nicht,
was ich als solcher thun #mußte#.
Vor einigen Tagen erhalte ich nun aber endlich einen Brief von
Baggesen vom 15. September, der über Amsterdam gelaufen und mir
von da zugesandt worden. Hier erwähnt denn Baggesen dieser Tratten
beiläufig und ersucht mich, daß ich Toberheim vom Accept derselben
benachrichtigen möchte. Ich thue dies in der Einlage, die Sie die Güte
haben wollen an Herrn Toberheim abzugeben. Baggesen schreibt mir, daß
er auf dem Punkte stünde, Paris zu verlassen, daß er über Frankfurt
reisen, von dort nach Leipzig kommen und mich hier zur Messe besuchen
würde. Seit dem 15. September sind aber jetzt schon über fünf Wochen
verflossen, und ich muß also vermuthen, daß aus der Reise entweder gar
nichts geworden, oder daß Baggesen eine andere Route genommen. Ich
bleibe noch circa 14 Tage hier, eine Zeit, die hinreichend ist, um von
Ihnen, wenn Sie mir mit umgehender Post zu antworten die Güte haben,
hier noch Ihre Auskunft hierüber zu erhalten.
Sie wissen, werthester Herr Fauriel, daß ich mich auf das
bestimmteste erklärt habe, daß, wenn Baggesen die Tratten auf mich
machte, ich auch dann schnell in Besitz einiges für den Druck fertigen
Manuscripts müßte gesetzt werden, um davon noch für dieses Jahr
Gebrauch machen zu können. Ich habe mich ohne Scheu und Scham über
meine Verhältnisse erklärt, offen gesagt, daß meine Lage mir durchaus
nicht erlaubte, unter andern Bedingungen diese Zahlungen zu leisten
und anzunehmen. Jetzt ist aber schon die eine Tratte von 55 Louis
bezahlt, und die andere ist acceptirt, was so gut ist als bezahlt.
Noch aber habe ich bis heute, Ende October, kein Blatt Manuscript.
Meine Bitte an Sie ist also, daß, wenn Baggesen noch dort ist,
Sie ihm den Inhalt dieses Briefes mittheilen und mir mit umgehender
Post hierher Auskunft über Baggesen's Intentionen sowol, als über das
Gefördertsein des Manuscripts und wann und wie ich solches erhalten
soll, geben wollen. Die Pflichten, die ich gegen meine Handlung habe,
zwingen mich, daß ich darüber Gewißheit haben müsse. Baggesen kann
und wird es mir nicht übelnehmen, daß ich mich darüber an Sie und
nicht an ihn direct wende. Er ist nicht pünktlich im Antworten, Sie
sind es. Sie kennen aber auch außerdem alle unsere Verhältnisse; Sie
sind Baggesen's Freund, Sie sind gegen mich gütig gesinnt, Sie werden
meinen Auftrag mit all der Zartheit und Delicatesse, die er erfordert,
ausrichten. Sie werden meine Lage und meine Verhältnisse fassen und
würdigen.
Ich wiederhole meine Bitte, mir mit umgehender Post darüber hierher
nach Leipzig zu schreiben.
Wegen Ihrer »Parthenais« hoffe ich nun bald Ihren und Treuttel's
Bericht zu empfangen, daß mit dem Druck begonnen werde. Den mir
gütigst im Manuscript versprochenen Gesang werden Sie wol nach
Amsterdam gesandt haben.
Die Massenbach'schen Werke sind noch nicht so weit gediehen, daß
ich Ihnen solche habe senden können bisjetzt. In Zeit von acht Tagen
werde ich Ihnen aber einen Theil derselben zusenden und für die Herren
Treuttel und Ihren Freund (Oelsner?) Exemplare beilegen. Was ich Ihnen
jetzt sende, ist das zweite und dritte Werk, welches wir angekündigt
haben. Von dem interessantesten: den Memoiren in drei oder vier
Bänden, erscheint der erste Band erst in vier Wochen, den Sie auch
sogleich erhalten sollen.
Soweit auch ich das französische Publikum beurtheilen kann,
wird eine Bearbeitung und Ineinander-Verschmelzung dieser Werke
in Frankreich ein großes Publikum finden. In Deutschland ist die
Erwartung so darauf gespannt, daß wir so viele Bestellungen darauf
haben, um gezwungen zu sein, ehe die erste Auflage fertig ist, schon
eine zweite drucken zu lassen.
Leben Sie wohl. Wenn Baggesen noch in Paris ist, tausend
Empfehlungen an ihn!
Ihr Ihnen von ganzer Seele zugethaner
Brockhaus.
Adr. Herrn Heinr. Graeff in Leipzig.
Fauriel's Vermittelung scheint diesmal ganz ohne Erfolg gewesen zu sein.
Brockhaus ging nun die lange mit Baggesen geübte Geduld endlich aus. Er
schreibt an Fauriel aus Amsterdam vom 15. Juni 1809:
Es ist beinahe ein ganzes Jahr, daß Sie nichts von mir, ich nichts
von Ihnen gehört habe. Sind wir uns auf einmal so fremd geworden?
Welch ein böser Genius hat die zarten freundschaftlichen Verhältnisse,
womit Sie mich zu beehren schienen, auf einmal so locker gemacht? Ich
weiß es nicht, was mich verhindert hat, Ihnen zu schreiben. Ich weiß
noch weniger, was allenfalls Sie könnte bewogen haben, gegen mich zu
schweigen: es sei denn, daß vielleicht _à la lettre_ Sie mir zuletzt
geschrieben hätten. Aber werden Sie dies so streng nehmen? Sie wissen
wie geschäftsvoll wir Geschäftsleute oft sind, und wie uns da oft
unser Gedächtniß über Brief-Beantwortungen, die nicht unmittelbar in
das kaufmännische Verhältniß eingreifen, untreu wird! Sie verdammen
mich deshalb gewiß nicht. Ich Sie auch nicht, daß Sie mir nicht
geschrieben haben. Wer weiß, was Sie daran verhindert hat? Sie werden
mir es sagen, auch wenn ein kleiner Groll die Ursache davon gewesen.
Mit Baggesen bin ich leider ganz zerfallen. Ich möchte darüber
ganz gegen Sie schweigen, da es sonst den Anschein erhalten könnte,
als suchte ich ihn vielleicht bei Ihnen zu verkleinern, mich zu
entschuldigen oder ihn zu beschuldigen. Allein das Alles mag ich nicht
und kommt mir nicht in den Sinn. Nur historisch muß ich es Ihnen
doch sagen, daß wir zusammen zerfallen und warum wir es sind. Sie
erinnern sich, wie Sie mir im vorigen Jahre Baggesen's _abattement_
und die Ursache davon, seine pecuniären Verlegenheiten, schilderten.
Sie wünschten, daß ich ihm 50 Louis avanciren möchte; Sie hatten
den Edelmuth, solche mit Ihrem künftigen Honorare zu garantiren.
Sie wissen, daß ich antwortete: »ich sei für den Augenblick und
überhaupt nicht in der Lage, Vorschüsse geben zu können; ich bedürfe
jedes Francs meines Capitals für mein laufendes Geschäft«; wenn also
Baggesen nicht moralisch und physisch gewiß sei, mir diejenigen
Manuscripte, worüber zwischen uns schriftliche Contracte oder
mündliche Zusagen existirten, in einer gewissen Zeit (ich glaube,
ich setzte drei Monate dazu) zu liefern, so könnte und dürfte ich
die verlangten 50 Louis nicht zugestehen; wäre aber, fuhr ich fort,
Baggesen dessen gewiß, so könnte er selbst 100 Louis auf mich
trassiren. Sie werden sich Alles dessen erinnern. Auch dessen, daß
Baggesen die Zusage machte, und daß er 100 Louis auf mich trassirte.
Sie werden sich erinnern, daß er seine Arbeiten, worauf diese 100
Louis entnommen, unterbrach, weil ihm ein anderes Gedicht, der
»Faust«, in den Sinn gekommen war. Sie werden sich erinnern, wie Sie
selbst mir über diese neue Idee Baggesen's schrieben, und wie Sie
wünschten, daß ich solche der andern möchte vorgehen lassen. Baggesen
selbst sandte mir den ersten Act per reitende Post von Paris zu als
Probe und äußerte mit Ihnen gleichförmige Wünsche. Sechs Monate
verstrichen indessen und ich erhielt keine Zeile Manuscript irgend
einer Art, weder vom »Faust« noch von den mir zuerst zugesagten
Manuscripten. In der Zwischenzeit war Baggesen freilich einige Zeit in
Frankfurt unpäßlich geworden, und hatte mir dies Gelegenheit gegeben,
ihm aufs Neue meinen guten Willen zu zeigen, ihm dienen zu wollen.
Die Unpäßlichkeit war aber vorüber, und es fand sich dadurch jeder
Grund aufgehoben, das eine oder das andere seiner Versprechen zu
erfüllen. Es war dies unbedingt selbst seine Pflicht. Aber ich erhielt
immer keine Zeile Manuscript, wol aber beleidigende, ausweichende
Briefe. So ließ ich endlich gezwungen die zweiten 50 Louis, die
noch nicht bezahlt waren, protestiren (die ersten 50 Louis waren
bezahlt), da ich vollends hörte, daß er den mir zugesagten »Faust«
an einen andern Buchhändler in D. verhandelt hatte. Ich mag und will
die unangenehmen Discussionen, die hierüber zwischen Baggesen und
mir vorgefallen, nicht alle entwickeln; ich kann nur sagen, daß ich
in mir das Bewußtsein habe, zu jeder Zeit und in jedem Verhältnisse
gegen Baggesen als höchst rechtlicher Mann gehandelt zu haben; ich
habe vergebens Schiedsrichter aus unsern Freunden vorgeschlagen, im
Fall sich wirklich etwas zwischen uns zu erörtern fände (ich habe dazu
Villers und Perthes vorgeschlagen; ich schlage noch Sie und Herrn
Würtz dazu vor), Alles umsonst. Ich habe keine Zeile Manuscript bis
heute! Ich habe keinen Sou Rembours für die bezahlten 50 Louis und
noch etwa 300 Louisdor von sonstigen Avancen. Ich habe keine Antwort
auf meine Vorschläge: etwaige Differenzen, ob ich gleich im Grunde
dergleichen nicht kenne, da seit der Epoche, wo ich ihm auf Ihre
Vorsprache das Geld dargeliehen, nichts Anders zwischen uns verhandelt
ist. Baggesen will freilich diese 50 Louis anders compensiren: so
soll ich von den »Heideblumen«, wie er in seiner Idee glaubt, mehr
Exemplare haben drucken lassen als contractmäßig war (indem er
annimmt, sonst müsse die erste Auflage schon verkauft sein!!) u. s. w.
Das heißt nun wol leeres Stroh gedroschen, aber was wollen Sie,
daß ich anders thun soll, anders thun kann, als zu sagen: »wenn Sie,
Baggesen, glauben, daß ich Ihnen zu wehe gethan habe, so entscheide
hier Ihr und mein Freund Perthes in Hamburg oder Würtz in Paris als
Buchhändler, Villers in Lübeck oder Fauriel in Paris als Gelehrte«?
Dann hatte man mit Ehre und Rechtlichkeit die Discussion geführt und
sie beendigt, anstatt daß sie jetzt tiefe Spuren der Erbitterung
hinterlassen und beide Theile beim neugierigen Publikum compromittiren
wird. Ich schweige darüber. Etwas mußte ich Ihnen doch darüber sagen.
Vielleicht kommt Baggesen nach Paris zurück, vielleicht auch nicht.
Ich weiß nicht, wo er ist und wohin er geht.
Sie haben für die 50 Louis garantirt. Darum schreibe ich Ihnen
aber nicht. Ich werde Sie dieser Garantie unbedingt entlassen, wenn
nicht ein dritter Freund von uns Beiden (etwa Herr Würtz oder wen Sie
wollen) sein erklärtes oder bestimmtes Votum darüber gibt. Ich würde
hier gleich unbedingt Verzicht darauf thun, wenn ich nicht überzeugt
wäre, daß Ihre Delicatesse dieses nicht erlauben würde. Ich habe
Ihnen heute nur die Facta, die zwischen Baggesen und mir stattgehabt,
melden wollen: daß ich bis heute keine Zeile Manuscript erhalten, daß
Baggesen sich allen Verbindlichkeiten gegen mich zu entziehen sucht,
daß er in längst abgemachten Sachen Phrasen aufsucht, um mich damit
abzufertigen &c. &c.
Wie leid es mir thut, in Baggesen den Menschen nicht so verehren
zu können als den Dichter, werden Sie mir ohne Versicherung glauben.
Auch die an Baggesen avancirten 50 und 25 Louis entbehre ich ungern.
Ich habe Ihnen und Baggesen oft und ohne Hehl gesagt: ich bin nicht
reich; ich #kann# nicht vorschießen, ich bedarf jedes Louisdor für
mein Geschäft und für meine zahlreiche Familie (ich bin Gatte und
Vater von sechs Kindern). Mein Geschäft erfordert beständig Fonds,
und so entbehre ich diese 75 Louis ebenfalls sehr schmerzlich. Ich
habe auch Baggesen das gesagt, aber der gefällt sich in seinen neuen
Verbindungen zu gut und ist zu wohl darin, als daß es ihm einfiele,
darauf zu achten einmal.
Ob nun noch wol die französische »Parthenais« erscheinen wird in
meinem Verlage? Mein Wort ist und bleibt mir heilig darin, unerachtet
des nicht zu überwindenden Widerwillens an Allem, was von Baggesen
herkommt, solange mein ganzes Verhältniß zu ihm nicht hergestellt ist.
Ich werde gewiß Baggesen nicht nachahmen, der alle Verbindlichkeiten
für nicht verbindlich hält, wenn kein förmlicher Contract darüber da
ist. Sie sind ein zu edler Mann, um gleiche Grundsätze zu haben. Ihnen
und mir wird ein einfach gegebenes #Wort# selbst heiliger sein als ein
förmlicher Contract. Also ich bleibe der Verleger der französischen
»Parthenais«, und ich bin bereit, auf der Stelle damit anfangen zu
lassen, sobald Sie mir melden, daß das Manuscript vollendet sei. Herr
Würtz hat mir dies in Leipzig versichert. Ob ihm so ist, sagen Sie mir
selbst. Einstweilen bitte ich Sie aber dringend, mir doch irgend eine
Episode oder einen Gesang davon per Brief zuzusenden. Sie haben mir
dies lange versprochen, und ich mahne Sie daran.
Mit dem Werke des Herrn von Massenbach geht es in Deutschland sehr
gut. Die »Memoiren« werden unstreitig das wichtigste Werk für die
neueste Geschichte Deutschlands. Sie werden dazu weit developpirter
als zuerst im Plan vorlag, und es dürften statt drei jetzt vier Bände
werden (außer den »Rückerinnerungen« und den »Denkwürdigkeiten«). Der
zweite Band ist eben erschienen, und ich schicke Ihnen denselben in
acht Tagen zu. Der dritte Band erscheint in sechs Wochen. Sobald Sie
diesen dritten Band der »Memoiren« erhalten haben, erbitte ich mir
Ihre Meinung darüber; eher nicht.
Herr Würtz sagte mir, daß Sie die Güte haben wollten, eine Anzeige
der classischen Geschichte der Botanik, die in meinem Verlage
erschien[35], für den »Publicisten« zu besorgen. Ich danke Ihnen im
voraus dafür. Senden Sie mir die Anzeige aber doch zu, da ich den
»Publicisten« nicht mehr lese.
Leben Sie wohl! Ich verbleibe Ihnen mit der innigsten Liebe
Freundschaft zugethan.
Brockhaus.
Fauriel antwortet bald auf diesen Brief, und es kommt nun wenigstens die
Angelegenheit über die französische Uebersetzung der »Parthenais« in
Ordnung. Brockhaus schreibt an Fauriel aus Amsterdam am 1. August 1809:
Ich erfülle Ihren Wunsch, Ihnen recht bald auf Ihren gütigen Brief
vom 22. Juli zu antworten, dadurch, daß ich es gleich auf der Stelle
nach seinem Empfange thue. Sie werden dadurch mit mir zufrieden sein.
Das Geschäft, worüber wir nun seit länger als zwei Jahren
miteinander correspondiren, muß doch auch endlich zu Ende gebracht
werden. Daß es das noch nicht ist, will ich Ihnen gewiß nicht
anrechnen, und Sie werden es mir auch nicht thun. Indessen lassen Sie
uns jetzt Beide zusammenwirken, daß nicht wieder ein neuer Aufenthalt
darin stattfinde. Meine Gesinnungen darüber haben sich im wesentlichen
in nichts geändert. Ich habe dazu einmal darin einen Entschluß
gefaßt gehabt, und da ich gewohnt bin, zu überlegen, #ehe# ich einen
Entschluß fasse, so bleibt es bei mir auch dabei und ich pflege davon
selten oder nie zurückzukommen. Daß meine persönlichen Verhältnisse
zum ursprünglichen Verfasser sich verändert, wirkt noch weniger auf
mich in Rücksicht meiner Bestimmungen darin. Es bleibt also damit ganz
so, wie wir darüber ein für allemal eins geworden. Ich schreibe heute
an die Herren Treuttel & Würtz, und gebe diesen die unbeschränkteste
Vollmacht, mit Ihnen alle die Maßregeln zu concertiren, welche zur
Herausgabe nöthig sind, als ich ihnen auch gleich für die dazu seiner
Zeit nöthigen Fonds bereits den erforderlichen Credit eröffne. Die
Stärke der Auflage überlasse ich Ihnen und Herrn Würtz zu bestimmen.
Für Holland, England, wohin ich Gelegenheit habe, Einiges zu
senden, und für Deutschland wünschte ich 4-500 Exemplare zu meiner
Disposition zu haben. Da man es für eine Art relativer Unmöglichkeit
hält, die »Parthenais« in französischer Sprache darzustellen, so
wird schon, abgesehen vom höhern ästhetischen Interesse, eine Art
von Neugierde den Verkauf der französischen »Parthenais« ziemlich
befördern. Da ich also 4-500 Exemplare für das Ausland hier bedarf,
so dürfte vielleicht eine Auflage von 1500 Exemplaren im Ganzen nicht
übertrieben sein. Ich überlasse aber, wie gesagt, die Bestimmung
derselben Herrn Würtz und Ihnen .....
So wäre denn alles Nöthige von mir besorgt, und ich überlasse es
nun Ihrer Sorgfalt, alle weitern Veranstaltungen zur wirklichen
Ausführung zu treffen. Benachrichtigen Sie mich bald vom Geschehenen.
Werden Sie mir aber nicht böse, wenn ich Sie nochmalen an Ihr altes,
altes Versprechen erinnere, mir doch einstweilen irgend ein isolirt
zu genießendes _morceau_ aus Ihrer »_Parthénéide_« mitzutheilen! Ich
bitte Sie selbst wiederholt darum, und ich werde es sehr gern sehen,
wenn Sie es mit Ihrer gütigen nächsten Antwort mittheilen wollen.
Ich will Ihnen -- Sie sehen, daß ich dankbar bin -- auch noch etwas
mittheilen, das für Sie nicht ohne Interesse sein möchte; und zwar
für Ihren _Discours préliminaire_, auf den Sie ein wenig, wie wir
Alle recht viel halten. Sie erinnern sich der interessanten Recension
der »Parthenais«, welche vor etwa 1½ Jahr in der »Neuen Leipziger
Literatur-Zeitung« befindlich war. Baggesen glaubte, daß solche von
Professor Jacobs, damals in Gotha und jetzt in München, herrühre.
Es wird Baggesen interessiren zu hören, und ich bitte Sie es ihm
zu sagen, daß er sich darin geirrt. Ich habe auf meiner letzten
Reise zur leipziger Messe den Verfasser derselben persönlich kennen
gelernt und mir sein Vertrauen wie seine Freundschaft erworben. Es
ist der Doctor Apel in Leipzig, unstreitig einer der scharfsinnigsten
und geistvollsten Kritiker im ästhetischen Fache, den wir jetzt in
Deutschland besitzen, und zugleich selbst trefflicher und genialer
Dichter, obgleich ziemlich unbekannt und seinen Namen nicht
preisgebend, noch nicht von der Nation, sondern nur von den wenigen
Vertrauten seiner Muse gefeiert. Nun, von demselben ist auch unlängst
eine ganz treffliche und sehr umständliche Recension der »Louise«
von Voß erschienen, einem Gedichte, das man in Deutschland immer in
eine gewisse Art von Parallele mit Baggesen's »Parthenais« zu setzen
pflegt, eine Rezension, die in das Wesen dieser Dichtungsarten, den
Geist und das Technische derselben höchst geistvolle Blicke thut,
und deren Kenntniß Ihnen, wie ich glaube, recht lieb sein wird, wenn
Sie auch nichts besonderes Neues dadurch erfahren möchten. Ich will
Ihnen auch noch eine ganz herrliche Recension meines Freundes über
Jean Paul's »Vorschule der Aesthetik« mittheilen, die eben in der
»Jenaischen Literatur-Zeitung« befindlich, und die Ihnen ebenfalls
manche neue Ansicht wird kennen lehren. Das Buch selbst besitzt
Baggesen, wie ich weiß. Diese beiden Recensionen sende ich Ihnen mit
erster Gelegenheit durch die Herren Treuttel & Würtz.
Ich werde Alles, was Baggesen und meine Verhältnisse mit demselben
_directe_ als _indirecte_ seinetwegen mit Ihnen betrifft, nie
weiter in meine Briefe an Sie aufnehmen, sondern darüber, so lange
Sie einigen Antheil daran nehmen wollen, separate Memoires lieber
beilegen. Ich werde dies auch heute thun und übergehe alles hierauf
Bezug Habende hier und in meinen weitern Briefen.
Ich danke Ihnen schon vorläufig für Ihren guten Willen, über
Sprengel's »_Historia rei herbariae_« ein bedeutendes Wort im
»_Mercure_« sagen zu wollen. Uebrigens lese ich den »_Mercure_« ganz
regelmäßig, und haben Sie nicht nöthig, sich wegen der Zusendung der
Nummern besondere Mühe zu geben; es wäre denn dazu, daß ich sie dem
würdigen Verfasser mittheilen möchte.
Von demselben Verfasser ist eben bei mir der erste Theil eines
andern vortrefflichen Werkes erschienen: »_Institutiones medicae_«
welches den ersten Theil der Physiologie enthält. Die vorläufige
Ankündigung davon lege ich Ihnen hier bei. Den ersten Theil selbst
werde ich so frei sein, Ihnen durch Herrn Würtz einhändigen zu lassen.
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie Gelegenheit haben möchten, auch
für dieses Werk von irgend einem ganz der Wissenschaft gewachsenen
Manne für eines der größern Journale eine wahrhaft beurtheilende
Recension zu veranstalten .....
Ich höre nicht auf, Sie mit Bitten zu belästigen. Ich habe ihrer
noch einige an Sie.
Dem vor etwa 14 Tagen durch Treuttel & Würtz an Sie abgesandten
Packete habe ich noch beigelegt ein Cahier Umrisse von Flaxman zu
Dante's »_Commedia divina_« und drei Hefte von Umrissen zu Ossian.
Jene bilden blos das erste Heft, und folgen demselben noch zwei Hefte
von gleicher Stärke. Es sind Nachstiche nur. Dieses -- die Umrisse zum
Ossian -- bilden aber ein Ganzes und Original und rühren von einem
gerühmten deutschen Künstler her mit Namen Rühl. Ich habe die Platten
dieser Zeichnungen (_les cuivres_) von der Handlung, welche solche hat
machen lassen, und welche Handlung durch Unglücksfälle zurückgegangen
ist, in vergangener leipziger Messe käuflich an mich gebracht; ich
lasse solche jetzt completiren, neu abdrucken, elegant cartonniren
u. s. w. Zu den deutschen Umrissen gehören zwei Abdrücke des Originals
in 4° und in 8°, ganz elegant gedruckt und höchst correct, und
zugleich eine deutsche Uebersetzung dieses Dichters von einem der
vorzüglichsten deutschen Schriftsteller und Dichter. Alles freilich
nach Willkür der Käufer, was sie nehmen wollen. Ueber den artistischen
Werth dieser Umrisse will ich mich hier nicht besonders auslassen,
sondern diesen Ihrem Urtheil anheimstellen und nur bemerken, daß von
Flaxman's Umrissen zu Dante das Original nicht allein im Buchhandel
gänzlich fehlt, sondern auch nur ganz wenige Exemplare im Publikum
existiren, daß die Platten selbst zernichtet und diese Copien höchst
genau sind. Die Frage wäre nur, und dies betrifft mein ganzes
Interesse dabei, ob nicht auch für Frankreich von dem einen und andern
ein kleiner Vortheil für mich zu ziehen und wie das am besten zu
befördern? Meine Wünsche sind darin sehr mäßig, da ich die Platten
auch sehr billig angekauft habe und ich in Deutschland meine Kosten
gewiß gedeckt erhalten werde; aber ob ich nicht vielleicht 50 _à_
100 Exemplare per Change gegen andere gute Bücher und Kunstsachen
in Paris möchte anbringen können, und ob ich nicht beides leichter
bewerkstelligen könne, wenn sowol zum Dante als zum Ossian ein
kurzer erklärender französischer Text gegeben würde, wie z. B. die
Loudon'schen Umrisse vom »_Museo_« mit einem solchen Text begleitet
sind -- dieses ist es, worüber ich wol Ihre Meinung wissen möchte .....
Ich begreife vollkommen, daß im Grunde meine Anfrage und
Angelegenheit blos mercantiler Art ist. Sie, werthester Herr Fauriel,
frage ich nun darüber, ob Sie die Ausführung der Zeichnungen zum
Ossian und zum Dante nicht ohne künstlerisches Verdienst finden, und
ob Sie einen kleinen Commentar darüber räthlich und thunlich finden,
und wie ich es wol anfangen müsse, mir denselben zu verschaffen?
Es ist und bleibt mein fester Vorsatz, diesen Herbst noch eine
kleine Reise nach Paris zu machen. Mancherlei Geschäfte und
Verhältnisse zwingen mich dazu. Mein inneres Streben wünscht es
ebenfalls. Ich muß und werde suchen mir die Reise zugleich so nützlich
als möglich zu machen. Zu diesem Endzwecke möchte ich auch eine
Anzahl meiner dazu passenden Artikel _de fond_, als die beiden Werke
von Sprengel und Rudolphi, die beiden schönen 4° und 8° Ausgaben von
Dante, die »Umrisse« dazu und zum Ossian, ein paar kleine Schriften
von Villers und etwa noch 5 _à_ 6 andere interessante neue Artikel
meines Verlags in französischer und lateinischer Sprache gegen andere
gute französische Artikel zu changiren suchen, und mein Bestreben
muß also sein, diese meine Artikel so passend als möglich für den
französischen Buchhandel zu machen.
Der dritte Band der Memoiren des Obersten von Massenbach wird
nun auch in einigen Tagen ganz fertig. Ich werde ihn Ihnen gleich
zuschicken und Sie bitten, mir aufrichtig Ihre Meinung zu sagen,
ob Sie glauben, daß ein »_Précis_« daraus für Frankreich Interesse
haben könne. Das Ganze dieser Memoiren wird sechs Bände betragen, die
sich schnell folgen werden. Aus den drei ersten läßt sich aber doch
einigermaßen das Interesse dieses Werks übersehen.
Ich schließe meinen langen Brief. Wegen Baggesen wird's mir heute
zu spät zu schreiben. Das also ein andermal. Es eilt auch so sehr
nicht damit.
Antworten Sie mir bald und vergessen Sie ja nicht mir eine kleine
Probe der französischen »Parthenais« beizulegen.
Das hier versprochene »Mémoire« über Baggesen folgt unterm 11. August
in Form eines Briefs und enthält eine so eingehende, klare und ruhig
gehaltene Auseinandersetzung der Verhältnisse zwischen Brockhaus und
Baggesen, daß es keines weitern Commentars bedarf. Das Mémoire lautet:
Vor einigen Tagen habe ich Ihnen über unsere persönlichen
Angelegenheiten geschrieben, heute schreibe ich Ihnen blos über
Baggesen.
Sie haben einmal das mühselige und delicate Geschäft übernommen,
zwischen uns als Vermittler aufzutreten! Es ist mir dies unendlich
lieb. Wer sollte es sonst thun? Und eine persönliche Ausgleichung
scheint mir nicht möglich. Ich habe bereits vorgeschlagen und
auch Ihnen schon mehrmals gesagt, daß ich mich über die etwaigen
Differenzen zwischen uns dem Gutachten jedes verständigen und
unparteiischen Mannes unterwerfen will. Ich habe gleich eine Anzahl
solcher Männer vorgeschlagen: Villers, Perthes, Kerner, Würtz, Sie
selbst, wenn Sie wollen! Baggesen antwortet hierauf nicht und nichts.
Er sagt, Cotta würde die Sache in sich berichtigen. Diesem muß ich
widersprechen, wenn Cotta gegen mich wahr gewesen ist. Mir hat er auf
der leipziger Messe persönlich gesagt, daß er auch nicht das Geringste
von Baggesen's Verhältnissen zu mir wissen wolle und er auf keine
Weise ferner darin wirken oder eingreifen möchte. Ich erkläre indessen
wiederholt: daß ich mich unbedingt dem Gutachten jedes verständigen
Mannes bei meinen Differenzen mit Baggesen unterwerfen werde, wenn
Baggesen eine gleiche Erklärung und Gewährleistung gibt, und habe
ich selbst dagegen nichts, wenn wir diesen Schiedsrichter blos in
Paris wählen, wo Baggesen die Bequemlichkeit hat, demselben mündlich
alle nähern Elucidationen zu geben, wogegen ich blos mit todten
schriftlichen Erinnerungen einkommen könnte. Legen Sie oder Baggesen
dies nicht als Uebermuth aus; es ist blos die innere Ruhe meines
Bewußtseins, gegen Baggesen immer als ein rechtlicher und braver Mann
gehandelt zu haben. So kann, denke ich, nie ein Urtheil einfacher,
verständiger Menschen auch gegen mich sein, es sei denn in Sachen des
Verstandes, worin ich irren kann: und davon überzeugt zu werden, thut
mir nicht weh. Sie, Herr Fauriel, sind indessen jetzt einstweilen
zwischen uns getreten: es ist möglich, daß dadurch eine Ausgleichung
in unsern Geschäftsangelegenheiten kann bewirkt werden; und da ich
nichts mehr verlange als das, so folge ich Ihrer Einladung: genau
anzugeben, was ich von Baggesen verlange.
Sie, Herr Fauriel, sagen: »stricte genommen, könne ich nichts
verlangen als _quelques volumes de correspondance_«. Es ist wahr,
nur hierüber existirt zwischen Baggesen und mir ein Contract in
#Form#. Ich bin indessen der Meinung gewesen, daß ein schriftlich
oder mündlich gegebenes #Wort# einen rechtlichen Mann noch weit mehr
binde als ein Contract. Diesen (einen Contract) muß auch ein Schurke
halten, weil ihn die Gesetze dazu zwingen, -- das gegebene #Wort# zu
halten, ist dagegen ein Wahrzeichen des Mannes von Ehre und reiner
Rechtlichkeit. Diesem ist das Wort #mehr# als der Contract. Zwischen
Ihnen, Herr Fauriel, und mir existirt auch kein Contract in Form, aber
ich bin moralisch gewiß, daß es Ihnen nie in den Sinn kommen werde,
darum unserer Abrede nicht nachkommen zu wollen; es wird mir ebenso
wenig je einfallen.
Habe ich Unrecht, wenn ich diese Grundsätze auf Baggesen's
Verhältnisse zu mir anwandte? oder auf meine Verhältnisse zu Baggesen?
Ich wenigstens habe darnach gehandelt und würde nicht aufgehört haben
darnach zu handeln.
Also Baggesen hat mir außer den contractmäßig zugesagten »Briefen«
auch sein liebstes, ihm theuerstes, seinen Genius am klarsten
aussprechendes Werk, die humoristische Beschreibung seiner Reisen
unter dem Titel: »Dichterwanderungen«, hundertmal mündlich und
ebenso oft schriftlich, oder vielmehr das in jedem Briefe seit zwei
Jahren zugesagt. Die Zeit der Ablieferung des Manuscripts dazu ist
nicht im Allgemeinen nur bestimmt worden; nein, der Monat, die Tage
gar waren es von Baggesen selbst. Auf beides geschahen auch die _à
conto_-Zahlungen, die auf Ihre Vermittelung statt hatten. Ich habe sie
auf diese so bestimmten und von meiner Seite nach meinen Grundsätzen
verbindend geglaubten Zusagen mehrmalen dem ganzen deutschen Publikum
nach deutscher Buchhändler-Sitte als erscheinend angekündigt. Die
Ehre meiner Buchhandlung erfordert, daß ich diese im Vertrauen auf
Baggesen's Worte dem deutschen Publikum und dem deutschen Buchhandel
gegebene Zusage halte; ich kann es darum nie zugeben, daß eine andere
Buchhandlung diese Werke je herausgebe. #Ich muß mein, im Vertrauen
auf Baggesen's Wort gegebenes Wort erfüllen.# Baggesen muß mich
darin unterstützen. #Er kann es.# Es ist hier von keiner genialen
Schöpfung irgend eines dichterischen Werks die Rede, sondern nur
von der Herausgabe von Collectaneen, die existiren und bereits in
Baggesen's Händen sein müssen (den Briefen); #dann# von der Herausgabe
einer Reise, die schon einmal oder gar zweimal in dänischer Sprache
(wenigstens zum Theil) von Baggesen herausgegeben ist, und zu der,
um sie mir im Manuscript deutsch zu liefern, nur einige _assiduité_
erforderlich ist. Hätte Baggesen mit mir einen Contract über die
Vollendung der »Oceania« gemacht, ich würde auf dessen Erfüllung,
insofern Baggesen nicht in seinem Innern dazu den Beruf und den Impuls
fühlen möchte, nie dringen. Es ist klar wie der Tag, daß zur Haltung
eines solchen Contracts der höchste innere Beruf da sein müsse,
weshalb über solche Werke auch nie im voraus Contracte gemacht werden.
Es ist das aber durchaus nicht der Fall mit der Herausgabe von
#wirklich geschriebenen#, also schon daseienden Briefen über
philosophische und literarische Gegenstände, die sich in Baggesen's
Portefeuille befinden werden oder befinden müssen, weil er darüber
contrahirt. Es ist dies derselbe Fall mit der Herausgabe seiner
Reisen, von denen wenigstens ein Theil (mehrere Bände) bereits in
dänischer und auch in deutscher Sprache erschienen sind, und die
nur, wenn Baggesen ihnen keinen höhern und andern Charakter geben
will, allenfalls von ihm übersetzt oder überarbeitet zu werden
brauchen. Voltaire konnte z. B. von einem Buchhändler nicht angehalten
werden, seine »Henriade« zu dichten, aber es konnte von Voltaire
verlangt werden, #wenn er darüber contrahirt hatte#, -- daß er seine
Correspondenz mit Friedrich, d'Alembert &c. herausgab oder die
#französische# Ausgabe eines Werks, das von ihm früher in irgend einer
#andern# Sprache geschrieben war.
Ich glaube, man muß diese von mir hier aufgestellten Fälle sehr
bestimmt unterscheiden und dadurch fühlen, daß ich keineswegs etwas
Absurdes verlange, wenn ich von Baggesen das mir Zugesagte wirklich
fordere. Auch hat Baggesen mir so oft geschrieben, daß dies Alles nur
noch der letzten Revision und Feile bedürfe, daß alle Materialien
da und schon geordnet seien, um nicht annehmen zu #müssen#, daß es
auch wahr und es ihm mithin ein Leichtes sei, seine Zusage gegen mich
zu erfüllen und mich dadurch von dem Versprechen zu acquittiren,
was ich im #Vertrauen auf Baggesen# dem ganzen deutschen Publikum
mehrmalen und wiederholt gegeben habe -- und das also, meiner Ehre
als Buchhändler wegen, ich auch halten muß. Daß diese Rechtlichkeit
und dieser Ehrgeiz mich bei dieser Transaction hauptsächlich allein
leiten und nicht anderes Interesse, kann Baggesen gewiß am besten
beurtheilen, da es ihm nicht unbekannt sein wird, daß meiner
Buchhandlung jede Verbindung mit den ersten Talenten Deutschlands
leicht ist, und er es gewiß sehr gut weiß, wie geringen pecuniären
Vortheil ich seither vom Verlage seiner Werke gehabt habe.
Was dagegen Herr Baggesen von #mir# verlangt, sei es in Rücksicht
des Honorars oder sonstiger Verbindlichkeiten, wird er mir nun eben so
offen und einfach sagen, als ich ihm Vorstehendes gesagt habe. Ob ich
gleich vollkommen weiß, was meine Verbindlichkeiten sind, so halte ich
es doch für unziemlich, darin die Initiative anzugeben.
In Rücksicht Ihrer Garantie, Herr Fauriel, wegen der bezahlten 50
Louis (500 Fl.), so nehme ich Ihre #neuere# Garantie gewiß nicht an.
Ich habe geglaubt, daß die #ältere# unbedingt wäre. Irrte ich mich
darin, so thue ich gern Verzicht darauf auch. Eine spätere anzunehmen,
verbieten mir meine Grundsätze.
In dem nächsten Briefe, aus Amsterdam vom 15. October 1809, schreibt
Brockhaus an Fauriel:
.... Da Sie einmal Herrn Baggesen meinen Brief vom 11. August
mitgetheilt haben, so habe ich Herrn Baggesen weiter nichts zu
sagen, als ihm den Inhalt dieses Briefs in seinem ganzen Umfange zu
bestätigen. Ihn zu wiederholen, würde für mich Zeitverschwendung sein
-- ihm nur eine, wenn auch nur geringe Ausgabe verursachen. Bei mir
gilt es überhaupt nur des alten deutschen Grundsatzes: »Ein Wort ein
Mann; ein Mann ein Wort.« Was ich Herrn Baggesen von jeher und Ihnen
in diesem Briefe vom 11. August zugesagt habe, wird mir immer der
heiligste Contract sein.
#Ich# habe ihn indessen schon seit Jahren erfüllt, an Herrn Baggesen
ist die Reihe jetzt, zu handeln ....
Was Sie von den Memoiren des Colonel Massenbach sagen, kann richtig
sein; Sie werden sich aber erinnern, daß Sie nach der Ankündigung doch
meinten: ein »_Précis_« davon würde für Frankreich viel Interesse
haben können, und das Werk ist auf jeden Fall weit anziehender,
als die erste Ankündigung noch erwarten ließ. Indessen ist es mir
sehr gleichgültig, ob diese Werke in Frankreich erscheinen, da, als
kaufmännische Entreprise betrachtet, der Debit in Deutschland &c. mich
zu meiner Genugthuung entschädigt. Der dritte Band ist eben erschienen.
Weder auf das Mémoire vom 11. August noch auf vorstehende Bestätigung
desselben vom 15. October scheint eine Antwort Baggesen's in Worten oder
Thaten erfolgt zu sein.
Brockhaus entsagte jetzt allen weitern Versuchen, durch Fauriel auf
Baggesen einzuwirken, obwol Fauriel selbst darin nicht nachließ, und
resignirte sich, von Baggesen trotz wiederholter Vertröstungen weder
die ihm geleistete Vorausbezahlung zurückerstattet, noch die ihm
versprochenen Manuscripte gesandt zu erhalten.
In seinen beiden nächsten Briefen an Fauriel wird wieder Anderes
besprochen und Baggesen nur nebenbei erwähnt. Indessen mögen sie des
Zusammenhangs wegen gleich hier folgen.
Unterm 8. November 1809 schreibt Brockhaus:
Mit recht großer Ungeduld sehe ich Berichten von Ihnen entgegen wie
von Herrn Würtz über das, was Sie mit dem Druck der »_Parthénéide_«
beschlossen haben, und hoffe ich zugleich, daß mit dem Druck bereits
der Anfang gemacht sein wird. Ich habe von Ihnen einen Brief (ohne
Datum) erhalten, worin Sie mir Ihren Vorsatz melden, ehestens mit
Didot zu Würtz zu gehen. Es wird das geschehen sein seitdem, worüber
ich nun Ihre Berichte erwarte.
Den sonstigen Inhalt dieses Ihres Briefs werde ich ein andermal
beantworten. Heute habe ich eine besondere Ursache, Ihnen zu schreiben.
Kapellmeister J. F. Reichardt, bekannt unter anderm durch seine
»_Lettres confidentielles sur Paris_«, worüber zur Zeit der
Erscheinung auch in Paris viel in Journalen geschrieben wurde,
übrigens als einer der größten Componisten unserer Zeit berühmt,
gibt in unserm Verlage unter dem Titel: »Briefe über Wien und die
österreichischen Staaten; geschrieben auf einer Reise dahin in den
Jahren 1808 und 1809 von J. F. Reichardt« ein Werk heraus (in zwei
Bänden), das sicher allenthalben mit Begierde wird gelesen werden.
Ich bin überzeugt, daß es auch in Frankreich sehr viel Käufer finden
wird, wenn davon zeitig eine französische Ausgabe erschiene. Ich
könnte eine solche Unternehmung dadurch sehr begünstigen, wenn ich zu
dem Endzwecke die Bogen, sowie sie einzeln aus der Druckerei kommen,
gleich nach Paris schickte, und wäre es dadurch möglich, daß die
französische Ausgabe auf einige Tage noch mit dem Original zugleich
erschiene. Um einigermaßen Stil und Manier des Verfassers beurtheilen
zu können, sende ich Ihnen heute vier Aushängebogen davon _sous bande_
zu. Es kommt mir vor, daß zu dieser Entreprise sich leicht eine
pariser Buchhandlung verstehen würde, sei es nun für gemeinschaftliche
Rechnung, oder daß sie mir ein gewisses Honorar bezahle für die
Mittheilung der einzelnen Bogen. Mir ist beides gleich und füge ich
hierunter für jeden Fall meine Bedingungen bei. Sehr angenehm wäre
es mir, wenn Sie die Güte hätten, über diese Entreprise mit einigen
Buchhandlungen zu sprechen und im Fall auf eine meiner Bedingungen
entrirt würde, mir davon gleich Nachricht zu geben, damit ich die
übrigen Bogen, sowie sie fertig würden, gleich absenden könne. Noch
in diesem Monate wird der erste Band und im December der zweite Band
fertig.
Ich sollte denken, daß diese Entreprise etwas für Buisson oder
Nicolle oder Collin, oder auch für Treuttel & Würtz passend wäre.
Verzeihen Sie, daß ich Sie wieder damit belästige. Ich hoffe, Sie
geben mir Gelegenheit, Ihnen wieder einmal nützlich zu sein.
Nichts Neues von Baggesen?
Darauf folgen zwei detaillirte Contractsvorschläge zu einer
französischen Uebersetzung des Reichardt'schen Werks, die in mehrfacher
Hinsicht interessant sind. Sie zeigen, daß Brockhaus in einer Zeit,
die weder den Schutz des geistigen Eigenthums noch viel weniger
internationale Verträge zum Schutz von Uebersetzungen kannte, diese
Verhältnisse bereits ins Auge faßte, und daß er in sehr geschickter
Weise Versuche machte, trotzdem auch von dem ausländischen Markte Nutzen
zu ziehen.
Die beiden Vorschläge, die Fauriel einem französischen Verleger zur
Auswahl vorlegen sollte, lauten:
Erster Vorschlag.
1) Ich theile die einzelnen Bogen, sowie sie aus der Druckerei
kommen, in doppelten Exemplaren sogleich mit und sende sie an die mir
aufgegebene Adresse _sous bande_ nach Paris.
2) Ich erhalte für diese Mittheilung für jeden Bogen 1 Louis,
zahlbar per Billet _à_ Ordre _à 3 mois de date_ vom Datum der
Lieferung des ersten Bogens.
3) Das Billet bleibt in den Händen eines Dritten, bis der letzte
Bogen jeden Bandes abgeliefert ist. Sobald dies geschehen, wird mir
das Billet zugestellt und für den zweiten Band wieder ein gleiches
Billet gemacht, womit es ebenso gehalten wird. Jeder Band wird zu 30
Bogen gerechnet.
4) Bis zum 15. December circa wird der erste Band und bis zum 15.
Januar der zweite Band ganz ausgedruckt sein.
Zweiter Vorschlag.
1) N. N. in Paris verbindet sich mit uns zur gemeinschaftlichen
Herausgabe auf gemeinschaftliche Kosten.
2) Wir erhalten für die Mittheilung der Idee und der Bogen per jeden
Bogen 1 Louis, die mit in die generale Unkostenrechnung kommen, sodaß
wir selbst die Hälfte davon tragen.
3) N. in Paris besorgt Uebersetzung, Druck und Papier.
4) Nach Vollendung des Druckes werden die generalen Unkosten
aufgemacht und N. in Paris remboursirt sich für die Hälfte der
Unkosten auf uns per Tratte _à 3 mois_, wobei uns indessen die
Vergütung des 1 Louis per Bogen in Abzug gebracht wird.
5) N. in Paris besorgt den Debit in Frankreich und Alles, was von
Paris aus verlangt wird. Wir besorgen ihn in Deutschland und Holland
und rechnen zu dem Zwecke 200 Exemplare für unsere Rechnung, wofür
wir ein Billet, zahlbar in 12 Monaten, an N. geben, der bei finaler
Abrechnung uns selbst eventuell damit bezahlen kann.
6) Nach Verlauf von 6 Monaten gibt Herr N. in Paris an, was verkauft
ist und was eingenommen, und wird derselbe die Hälfte der Einnahme per
Billet _à 3 mois_ an mich bezahlen.
7) N. in Paris erhält für Delcredere und für seine Bemühungen 10
Procent Provision vom reinen Ertrage des Verkauften.
8) Bei einer zweiten und weitern Auflage wird nach denselben
Grundsätzen verfahren.
9) Es wird eine Conventionalstrafe von 50 Louis für Den festgesetzt,
der irgend eine Bedingung nicht hält.
10) Es wird ein förmlicher Contract gemacht, den beide Theile
zeichnen.
Das hier besprochene Project selbst ließ Brockhaus übrigens auf
Fauriel's Rath fallen, wie aus seinem nächsten Briefe an diesen vom
4. December 1809, der zugleich wieder interessante Einblicke in seine
Verlegerthätigkeit gewährt, hervorgeht. Er schreibt:
Sie haben Recht, es ist zum Tollwerden mit der »_Parthénéide_«. Mir
ist es nun auch wirklich zum Nachtheil, daß sie nicht im December
fertig wird. In Deutschland, Oesterreich u. s. w. kommt, was nicht
im December versandt wird, auf sogenannte neue Rechnung, die ein
Jahr später bezahlt wird. Ich empfehle Ihnen nochmal dringend die
schleunigste Beförderung an, und daß mir die Bogen einzeln, wie sie
aus der Druckerei kommen, zugesandt werden. Von Forssel's Gravüre
hätte ich gern einen Probeabdruck erhalten! Daß auch weder Sie, noch
Würtz, noch Forssel daran gedacht haben!
Ich bin Ihnen recht vielen Dank schuldig für Ihre Mittheilung wegen
Reichardt. Ihre Bemerkungen über dieses Werk sind vollkommen richtig:
er ist sehr discret geworden! Das Buch paßt nicht für Frankreich. Was
für Frankreich Interessantes darin wäre, darf nicht in Frankreich
gedruckt werden, und was dort darf gedruckt werden, ist zu individuell
für Deutschland geschrieben, als daß man es in Frankreich goutiren
könnte. Ich habe also, aus Sorge für Würtzens Interesse mit, auf
die ganze Idee für Frankreich Verzicht gethan. Ich werde Ihnen ein
Exemplar davon zusenden.
Es erscheint noch ein zweites Werk bei uns über Wien, wozu der
Verfasser sich nicht nennt. Kann dieses in Paris übersetzt werden, so
würde es außerordentliches Aufsehen machen. Aber ich zweifle daran,
da wir wegen des Druckes selbst in Deutschland große Schwierigkeiten
finden. Sie werden auf jeden Fall das Original von mir erhalten.
Hierbei eine kleine Pièce, von der wir hier in acht Tagen 3000
Exemplare verkauft haben. Man wundert sich, daß sie nicht verboten
wurde.
Man erhält dorten leichter englische Bücher und Journale als hier.
Sollte es nicht möglich sein, daß Sie mir von Galignani, Borrdis
oder irgend Jemandem, der die englischen Journale regelmäßig erhält,
folgende drei Werke verschafften:
1) _The life of W^m. Pitt by Gifford, 5 vol._
2) Coxe's _History of Austria, 2 vol._
3) J. Adolphus: _The political State of the British Empire, 4 vol. (1809)._
Wenn es Ihnen gelänge, diese drei Werke mir bald (etwa mit den
Gelegenheiten, womit die englischen Journale dort so regelmäßig
ankommen) verschaffen zu können, so würden Sie mich sehr verpflichten.
Die Regierung soll darin liberal sein.
An das, was Sie mir von Baggesen sagen, glaube ich blutwenig. Er
wird nicht nach Dänemark reisen, er wird mir nicht schreiben, er wird
nicht nach Amsterdam kommen, er wird mir nichts liefern.
Ich habe nichts dagegen, daß Sie einige Exemplare Ihrer
»_Parthénéide_« auf dem schönsten Velin drucken lassen! Für Ihr
Bedürfniß nehmen Sie übrigens so viel Exemplare der gewöhnlichen
Ausgabe als Sie wollen. In Deutschland bewilligt man dem Verfasser
gemeiniglich 12 -- 16 -- 18.
Leben Sie wohl. Und melden Sie mir ja endlich etwas Endliches über
die ewige »_Parthénéide_«.
Ganz Ihr
Brockhaus.
Nur wenige Wochen liegen zwischen diesem Briefe und dem folgenden, dem
letzten, den Brockhaus, soviel wir wissen, an Fauriel richtete; aber
diese Wochen schließen den größten Schmerz in sich, von dem er in seinem
schweren Leben betroffen wurde: den Verlust seiner heißgeliebten Frau.
Tief erschüttert theilt er dem Freunde diese Trauerkunde mit und bittet
ihn, auch Baggesen davon zu unterrichten, indem er diesem in edler Weise
die Hand der Versöhnung reicht.
Er schreibt an Fauriel am Heiligen Abende vor dem Weihnachtsfeste, wol
dem traurigsten, das er je erlebte, am 24. December 1809:
Ich erhalte in diesem Augenblicke Ihren Brief vom 18. d. M. Ich
antworte Ihnen heute gleich einige Zeilen darauf, da ich im Begriff
stehe, aus der unglücklichsten aller Ursachen eine Reise zu machen,
die mich drei Wochen von hier wegweisen wird.
Ich habe am 8. dieses an den Folgen einer etwas zu zeitigen
Niederkunft meine theure angebetete Gattin verloren! Für mich ist
jetzt keine Ruhe, kein Glück mehr auf der Welt. Ich habe mit ihr Alles
verloren, was mich mit der Menschheit verband. Auch meine Kinder --
fesseln mich nicht mehr, denn sie mahnen mich an die Verklärte. Der
namenloseste Schmerz drückt mich nieder. Ich bin unsaglich unglücklich
geworden!
Sagen Sie Baggesen mein Unglück. Er kannte die Verewigte. Er war vor
zwei Jahren Pathe bei unserm Max. Glücklicher Tag! Wie hat sich durch
diesen Tod für mich Alles -- Alles -- in finstere Nacht verwandelt.
Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Meine Reise hat zur nächsten Absicht,
meine Kinder von hier weg, und zu unserm Vaterlande, nach Deutschland,
zurückzubringen, zu unsern Aeltern, Verwandten und Freunden. Wir waren
hier fremd und durch einen Orkan aus unsern primären Verhältnissen
dort gerissen, hier an dieses unwirthliche Ufer verschlagen worden.
Sophie sah das gute Vaterland nicht wieder! Ich kehre einstweilen in
einigen Wochen zurück, bis ich Gelegenheit finde, Amsterdam ganz zu
verlassen -- hier ist kein Glück mehr für mich.
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, damit Sie wissen, warum Sie in
einigen Wochen nichts von mir hören. Ich sage Ihnen heute nichts von
Geschäften, nichts von der »_Parthénéide_«, nichts von allen weitern
Ideen Ihres interessanten Briefes.
Sie sind gewiß ein wackerer und ein gefühlvoller Mann. Sie werden
ahnden, wie gleichgültig mir für den Augenblick jedes mercantilische
Geschäft sein müsse. Nur was Pflicht unbedingt von mir fordert, kann
jetzt geschehen. Darum wird auch nichts von meinem Comptoir versäumt
werden, was auf die Beförderung der »_Parthénéide_« Bezug hat. Ich
erlaube mir selbst Sie und Herrn Würtz dringend zu bitten, die
wirkliche Erscheinung derselben möglichst zu beschleunigen.
Die Aushängebogen erwarte ich, sowie sie aus der Presse kommen,
einzeln hierhin. Ich werde sie mir nachkommen lassen. Lassen Sie Herrn
Würtz nicht die 500 Exemplare, die wir für Deutschland bestimmen, auf
einmal hierhin senden: 250 Exemplare sende Herr Würtz über Frankfurt
nach Leipzig, und hierhin 100 Exemplare, beides _par diligence_.
Jeder Sendung werden 5 Velin-Exemplare beigefügt. Die Exemplare
hierhin müssen zur Hälfte brochirt sein. Die leipziger brauchen es gar
nicht zu sein. Die Kupfer werden sorgfältig eingelegt, und wir von
Allem unterrichtet per directen Brief. Ich hoffe und erwarte selbst,
daß die Absendung noch im Januar geschehen könne.
Lassen Sie Baggesen in meinem Namen 5 Exemplare auf Velin anbieten,
als ein Zeichen meiner Verehrung und Freundschaft. Die Wehmuth, die
jetzt meine Seele erfüllt, läßt mir keinen Raum mehr für feindselige
Verhältnisse irgend einer Art. Sagen Sie auch dies Baggesen. Er verlor
einst ebenfalls eine #Sophie#! Er ist ein gefühlvoller Mann; er
#kannte# auch #meine Sophie#! Er weiß also Alles, was ich verloren. In
solchen furchtbaren Momenten schließen sich menschliche Herzen wieder
aneinander. Ich bitte ihn selbst um diese neue Näherung!
Leben Sie wohl und bedauern Sie
Ihren unglücklichen
Brockhaus.
Dieser Brief bildet einen schmerzlichen, aber gewiß für Brockhaus
höchst ehrenvollen Abschluß seiner Zerwürfnisse mit Baggesen: er
reicht dem frühern Freunde, obwol dieser ihm als Geschäftsmann den
empfindlichsten Schaden bereitet, die Hand, unfähig, den Streit über das
Grab seiner Frau hinaus, die auch von Baggesen verehrt worden war, noch
fortzusetzen. Fauriel's und Baggesen's Antworten auf diesen Brief sind
uns nicht bekannt.
Während der ganzen unerquicklichen Verhandlungen mit Baggesen hatte
sich Brockhaus übrigens stets edel, uneigennützig und versöhnlich
gezeigt. Ein aus Schriftstellern und Buchhändlern zusammengesetztes
Schiedsgericht, wie er es Baggesen wiederholt vorgeschlagen, würde
schwerlich damals anders entschieden haben oder heutigentags anders
entscheiden, als daß Brockhaus im Rechte gewesen und richtig
gehandelt, daß Baggesen aber seine gegen Brockhaus eingegangenen
Verpflichtungen nicht gehalten und gegen ihn, ganz abgesehen von ihren
freundschaftlichen Beziehungen, überhaupt nicht so verfahren habe,
wie es glücklicherweise sonst Brauch ist zwischen Schriftstellern und
Buchhändlern.
* * * * *
Der hier als Versöhnung wirkende Tod bildete nach vielen Seiten hin
einen Wendepunkt in Brockhaus' Leben: er war die nächste Veranlassung,
daß dieser Amsterdam bald für immer verließ; er nahm ihm die treue
Gefährtin seines Wirkens und Schaffens, zu der er sich immer geflüchtet
hatte aus all dem Widrigen, das ihm im Leben beschieden war; er brachte
ihn in neue Verhältnisse, die zunächst verwirrend und betäubend auf ihn
wirkten und aus denen er sich nur schwer hindurchzuarbeiten vermochte.
Diese unmittelbar auf den Tod seiner Frau folgende Zeit, die als die
eigentliche Sturm- und Drangperiode seines Lebens bezeichnet werden
kann, obwol es ihm auch bisher nicht an Sturm und Drang gefehlt hatte,
umfaßt die anderthalb Jahre von Ende 1809 bis zum Frühjahre 1811.
Dritter Abschnitt.
Von Amsterdam nach Altenburg.
1.
Ende des amsterdamer Aufenthalts.
Am 8. December 1809 war Sophie Brockhaus gestorben, nachdem sie am 24.
November einer Tochter das Leben gegeben, die nach ihr Sophie genannt
wurde. Schon in den letzten Monaten hatte sie viel gelitten; während
ihrer Krankheit und dann während des Wochenbetts war sie von ihrer
jüngsten Schwester Josina (die später den in holländischen Diensten
stehenden Obersten Eichler heirathete) gepflegt worden. Die ersten
Tage nach der Entbindung waren schon glücklich überstanden, als sie
sich durch zu zeitiges Aufstehen eine Erkältung zuzog, die ihren Tod
herbeiführte.
Die damals zehn Jahre zählende älteste Tochter Auguste erinnert sich
gehört zu haben, daß in diesen Tagen ihr Vater sehr aufgeregt in das
Zimmer seiner Frau gekommen sei und unter deren Sachen eifrig nach
einem Briefe gesucht habe, der ihm wegen der traurigen Hiltrop'schen
Angelegenheit von Wichtigkeit war; da er den Brief nicht fand, sei
ihre Mutter dann selbst aufgestanden, um, wiewol ebenfalls vergeblich,
danach zu suchen, und infolge dieses vorzeitigen Aufstehens erkrankt.
In dem betreffenden Processe war kurz vorher (am 16. November 1809)
das für Brockhaus ungünstige erste Urtheil erfolgt, das ihn zu einer
(am 28. Februar 1810 erlassenen) Appellation veranlaßte, und jener
Brief war vermuthlich der von uns bei Darstellung dieser Angelegenheit
(S. 24) mitgetheilte Brief seiner Schwägerin Elisabeth Hiltrop, von dem
Brockhaus bei Abdruck desselben unter den Actenstücken des Processes
erwähnt, er habe ihn erst nach dem Tode seiner Frau unter ihren Papieren
vorgefunden. Ist diese Annahme begründet, so hat jener unglückselige
Proceß, der ihm das Leben so verbitterte und überhaupt so verhängnißvoll
für ihn war, selbst den Tod seiner Frau veranlaßt!
Brockhaus hatte mit seiner Frau elf Jahre in der glücklichsten Ehe
gelebt. Sie hatte ihm sieben Kinder geboren, vier Söhne und drei
Töchter, die bei ihrem Tode noch sämmtlich am Leben waren. Wie glücklich
er mit ihr lebte, wie sie seine treueste Freundin und Beratherin in
den vielen schweren Zeiten war, die er bis dahin zu überstehen hatte,
ist aus manchen seiner von uns mitgetheilten Briefe zu ersehen; aus
den Briefen Anderer, daß ihr Werth auch von seinen nähern Freunden,
wie Cramer und Baggesen, erkannt wurde. Schrieb doch Cramer von ihr,
wie ebenfalls bereits mitgetheilt: »daß sie an schöner deutscher
Häuslichkeit, Gutheit, Freundlichkeit und Verstand zu seinen Idealen
gehöre« und der Gattin von Voß, Ernestine, sehr gleiche. Brockhaus hatte
ihr Porträt (wol von Cornelia Scheffer, der Mutter Ary Scheffer's) malen
und auch eine Büste seiner Frau anfertigen lassen, doch ist leider
nichts davon erhalten.
Als er kurz nach ihrem Tode in Dortmund war und zuerst wieder das Haus
ihres Vaters betrat, warf er sich, vom Schmerz übermannt, auf den Boden
nieder und küßte die Schwelle des Hauses; auf die erstaunte Frage seines
jungen Neffen, der ihn begleitete, erwiderte er: »Hier habe ich meine
Sophie zum ersten male gesehen!« Und als er anderthalb Jahre später
wieder kurze Zeit in Amsterdam verweilte, da bildete das zwei Stunden
von der Stadt schön am Y gelegene Dorf Muiden, auf dessen Kirchhof er
sie begraben, seinen Lieblingsspaziergang und er brachte viele Abende
dort in stiller Wehmuth zu.
* * * * *
Der Tod seiner Frau wurde aber auch die entscheidende Veranlassung, daß
Brockhaus Amsterdam bald darauf für immer verließ.
Die politischen Verhältnisse hatten ihm allerdings den Aufenthalt
daselbst schon seit einiger Zeit verleidet, da sie den buchhändlerischen
Verkehr nach allen Richtungen hin erschwerten. Brockhaus ließ seine
Verlagswerke meist in Deutschland drucken: in Leipzig bei Breitkopf &
Härtel, Hirschfeld und andern Buchdruckern, in Weimar bei Bertuch, in
Braunschweig bei Vieweg, in Halle und noch an andern Orten. Seitdem
nun Holland französisch geworden war, konnte er von seinen eigenen
Verlagswerken kein Exemplar nach Amsterdam zum Verkaufe in seinem
Sortimentsgeschäfte erhalten, ohne erst in Paris die Erlaubniß dazu
erbeten und die Anzahl der einzuführenden Exemplare dort »declarirt« zu
haben. Es läßt sich denken, welche Belästigungen und Umständlichkeiten
damit verbunden waren. In derselben Lage befanden sich freilich auch
die Sortimentshandlungen in den französisch gewordenen Provinzen
Norddeutschlands, im Hannöverschen, Westfalen, Bremen, Hamburg u. s.
w. Friedrich Perthes in Hamburg organisirte deshalb förmlich für sich
und befreundete Handlungen die mit vielen Formalitäten verknüpften
Manipulationen bei diesem Geschäftsgange und ließ selbst eine
Instruction darüber drucken. Auch Brockhaus fand einen einigermaßen
praktischen Ausweg, indem er für seine Geschäftsfreunde in den drei
französischen Departements Norddeutschlands die Anzahl der an sie zu
sendenden Verlagsartikel in Paris selbst declarirte und die Sendung dann
jedesmal nur an Eine Handlung zur Vertheilung an die übrigen gehen ließ.
So hätte er wol noch längere Zeit in Amsterdam zu bleiben versucht,
und war selbst unablässig bemüht, sein Sortimentsgeschäft weiter
auszudehnen, besonders, um den eben geschilderten Uebelständen zu
begegnen.
Am 11. November 1809 schreibt er an Heyse in Bremen: Er könne ihm
nicht direct von Amsterdam seine Verlagsartikel senden, sondern nur
von Leipzig aus, nach vorausgegangener Declaration in Paris; aber in
Zukunft könne sich Heyse deshalb nach Aurich (in Ostfriesland) wenden,
wo er, vom Gouvernement selbst dazu aufgefordert, »was sich nicht
wohl refusiren ließ«, ein Etablissement zu errichten versuchen werde.
Dieses Vorhaben kam auch wirklich zur Ausführung, und Bornträger, der
inzwischen von Leipzig nach Amsterdam zurückgekehrt war, wurde von ihm
deshalb nach Aurich geschickt. Indeß hatte das Etablissement in Aurich
nur einen sehr kurzen Bestand, aber nicht weil es sich als unzweckmäßig
herausstellte, sondern weil Bornträger seiner persönlichen Sicherheit
wegen dort ebenso wenig bleiben konnte wie früher in Amsterdam.
Bornträger war Ende November 1809 über Groningen nach Aurich gereist,
aber kaum dort angekommen, machte er Brockhaus die Mittheilung, daß er
auch dort fürchten müsse, zum Militär ausgehoben zu werden.
Brockhaus fügte darauf dem ersten an sein auricher Geschäft abgegangenen
Briefe vom 30. November, der zugleich der letzte sein sollte, folgende
Zuschrift an Bornträger vom 2. December hinzu:
Ich danke Ihnen für die umständlichen Berichte. Bei dieser Lage ist
keine Wahl. Zurückkommen können Sie aus hundert Ursachen aber auch
nicht. Mein Entschluß ist also gefaßt: Sie gehen in Gottes Namen nach
Leipzig und treten in Weigel's[36] Stelle. Ich hatte gestern, durch
wiederholte Beschwerden über Weigeln zur Verzweiflung gebracht, einen
sehr umständlichen Brief an Gräff geschrieben und Weigeln das Geschäft
abgenommen und ihm (Gräff) oder Cnobloch übertragen. Sie finden diesen
Brief, den ich aus Gründen an meine Freundin, die Hofräthin Spazier,
offen schicken wollte und auch heute schicke, Ihnen also heute nicht
schicken kann, bei dieser. Hieraus werden Sie alles Nähere ersehen und
darin vorläufig alle zuerst nöthigen Instructionen finden.
Sie kehren bei Ihrer Ankunft in Leipzig im Großen Joachimsthale
ein, wo Sie beim Wirth einstweilen accreditirt sein werden, der mich
von der Messe her sehr gut kennt. Sie werden dort auch von mir Briefe
vorfinden, die Ihnen sagen werden, wie Sie Ihre ersten Schritte
einzurichten haben. Heute annoncire ich einstweilen Ihre Ankunft.
Darauf ertheilt er ihm noch genaue Instructionen über die Auflösung
des kaum begründeten auricher Etablissements, z. B. daß er mit den von
Leipzig beziehenden ostfriesischen Buchhändlern Verbindungen schließen
solle, um sie von Leipzig aus zu bedienen, und gibt ihm auch väterliche
Ermahnungen, die von der herzlichsten Theilnahme dictirt sind, wobei er
es ihm besonders zur Pflicht macht, den schon früher angenommenen Namen
Friedrich Schmidt streng festzuhalten. Er schließt:
Sie reisen, nachdem dies Alles besorgt, mit erster Post ab. #Fr.
Schmidt# reist ab. Ich lege es demselben auf und mache es ihm zur
heiligsten und unerläßlichsten Pflicht (in Rücksicht seiner und
meiner!), diesem Charakter treu zu bleiben und in Bremen so wenig als
irgendwo, auch in Hannover nicht, irgend einen Menschen, er sei wer
er sei, zu besuchen! Dies #muß# sein! Seinetwegen und meinetwegen!
Sie müssen Niemanden aufsuchen oder besuchen! Einen Paß werden Sie in
Aurich oder Oldenburg leicht erhalten können.
Benachrichtigen Sie mich von Ihrer Abreise, Ihrer Ankunft in
Braunschweig und augenblicklich von Ihrer Ankunft in Leipzig. Leben
Sie wohl! Der Himmel nehme Sie in seinen Schutz!! Der Himmel begleite
Sie! Bleiben Sie ein guter Mensch! Bleiben Sie im ganzen Sinne des
Worts #getreu#!! Thränen stürzen mir in die Augen! Zu Ostern drücke
ich Sie an meine Brust. Leben Sie wohl! Reisen Sie glücklich!
(Nachschrift.) Wenn Sie den Muth haben, Vieweg zu sehen, so gehen
Sie zu ihm. Vielleicht kennt er Sie gar nicht. Ueberlegen Sie dann
Alles reiflich mit ihm, so weit etwas zu überlegen ist. -- Vielleicht
könnten Sie über Quedlinburg reisen und mit Basse fertig werden. -- In
Halle gehen Sie bei Sprengel vor. Sie werden auch da einen Brief von
mir erhalten.
Die letztern Bemerkungen über Vieweg und Basse, durch die er seinen
strengen Befehl, daß Bornträger auf seiner Reise durchaus Niemand
besuchen solle, wieder einschränkte, beziehen sich auf eine frühere
Stelle jenes Briefs, die für die damaligen Censurverhältnisse
charakteristisch ist. Sie lautet:
Das zweite Werk von R--dt[37] kann in Leipzig nicht gedruckt werden,
da man es zu frei findet. Wirklich ist es nach den mir mitgetheilten
Proben sehr keck und dreist, allein auch von außerordentlichem
Interesse, und bedürfte es nach meiner Einsicht, um es ausgeben zu
können, nur eines verständigen Redacteurs, der die Worte zu wägen und
anstößige gegen mildere umzuwechseln verstände. Ich habe das selbst
versucht und ist es mir, glaube ich, mit den paar Bogen, die ich
gehabt, erträglich gelungen.
Ich leugne nicht, daß ich außerordentlich wünschte, daß es
erschiene. Es wird ungeheuere Abnahme finden. Bei dieser meiner
Neigung habe ich Viewegen den Vorschlag zum Drucke gemacht und diesem
gesagt, daß er allenfalls Basse in Quedlinburg darüber sprechen
möchte, und nach Leipzig habe ich Ordre gegeben, das ganze Manuscript
sofort an Viewegen zu senden. Ob nun Vieweg entrirt oder entriren
darf, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ihm nun aber noch mit dieser
Post näher, daß er, im Fall er dorten nichts mit dem Manuscript
machen könne, es Ihnen nach Aurich schicken möchte. Vorläufig trage
ich Ihnen nun auf, sich in Oldenburg, Delmenhorst und Burgsteinfurt
zu informiren, ob man da etwas könne ohne besondere Censur gedruckt
erhalten und hoffen könne, es rasch fertig zu bekommen, wöchentlich
drei Bogen wenigstens. In Burgsteinfurt ist, wie ich weiß, eine gute
Druckerei und ohne alle Censur .... Sie werden anführen, daß gegen die
Franzosen nichts gesagt, es aber sonst frei geschrieben sei, weshalb
man wünschen müsse, eine liberale oder keine Censur zu haben.
Bornträger verließ Aurich in den ersten Tagen des December und reiste
über Oldenburg und Celle zunächst nach Braunschweig. Dorthin schreibt
ihm Brockhaus unterm 19. December einen sieben Quartseiten langen Brief
mit den genauesten Vorschriften, wie er sich auf seiner weitern Reise,
in Braunschweig, Halberstadt, Halle, und bei seiner Ankunft in Leipzig
den betreffenden Personen gegenüber, die mit einigen scharfen Strichen
gezeichnet werden, zu verhalten habe. Er geht dabei, wie er selbst
schreibt, »nach meiner Ihnen bekannten Methode ganz systematisch zu
Werke«, indem er das Ganze in Form einer Tabelle schreibt, mit A, B, C
und darunter wieder mit Ziffern.
Einige charakteristische Züge seien aus diesem Briefe hier mitgetheilt.
Er bemerkt über den Tod seiner Frau: »Sie werden aus unsern frühern
Briefen Alles wissen, mein namenloses Unglück durch den Verlust Sophiens
und alle daraus entgehenden Folgen«, und fährt dann fort: »Vieweg ist
uns, glaube ich, sehr zugethan. Er wird eine höhere Idee von uns haben
als wir verdienen möchten. Sie werden sehr besonnen gegen ihn sprechen«
-- ein Beweis, daß Brockhaus bei allem ihm oft wol nicht mit Unrecht
vorgeworfenen zu starken Selbstbewußtsein doch auch bescheiden war. In
Halle empfiehlt er unter anderm, den »Romanschreiber A. G. Eberhardt«,
den »Directeur« der Renger'schen Buchhandlung zu besuchen, und nennt
ihn einen »feinen gewandten Kopf«, während er einen Buchdrucker, um
ihn kurz zu charakterisiren, einen »alten steifen Kerl« nennt und über
einen Professor, übrigens keinen namhaften, gar zu schreiben wagt:
»N. N. besuchen Sie nicht. Sollte er Sie aber treffen, so sagen Sie
ihm, daß wir, wenn Sie nicht irrten, von ihm Antwort erwarteten. Er
ist ein Esel.« Den Botaniker Sprengel in Halle bezeichnet er als einen
»höchst freundschaftlichen, aber sehr verständigen Mann«, den bekannten
Professor Ersch als einen »noch liebern, einfachern und uneigennützigern
Mann als Sprengel«. Ueber Reichardt's Individualität, seine Familie
u. s. w. verlangt er genauen Bericht.
Für Leipzig endlich lautet die vorläufige, besonders charakteristische
Instruction:
Ihr einziger erster Besuch sei bei der Hofräthin Spazier. Sie
erklären aber dort, daß Sie erst Ihre Instructionen abwarteten und
Sie bis dahin nichts sagen oder thun könnten. Sie werden diese
Instructionen mit nächster Post _poste restante_ erhalten und sich
auf der Post den Brief holen. Sie werden gegen die Hofräthin Spazier
einstweilen ernst und höflich, gegen Weigeln dasselbe sein, und sich,
unter jenem Vorwande, durchaus in keine Vertraulichkeiten einlassen,
sondern ganz denselben Ton annehmen, den man gegen Sie annimmt und der
wahrscheinlich kalt, feierlich und süffisant sein wird. Ich werde Sie
mit nächster Post ganz _au fait_ setzen.
Leben Sie wohl! Ich vertraue Ihnen, wie Sie sehen, das Glück meines
Lebens an. Ich vertraue und schätze Sie. Sie werden mir im ganzen
Sinne des Worts treu und bieder dienen. Wir werden dort bald zusammen
sein.
Uebrigens handelte es sich augenblicklich gar nicht, wie es nach
diesen emphatischen Worten scheinen könnte, um besonders wichtige
Entscheidungen, sondern um einige geschäftliche Verhandlungen
gewöhnlicher Art, und Brockhaus wünschte nur, daß der von ihm
sehr geschätzte, aber doch noch sehr jugendliche Gehülfe sich der
Schwierigkeit der Aufgabe, ihn überall richtig zu vertreten, recht
bewußt werde.
Am 23. December schreibt Brockhaus an Bornträger, der ihm herzliche
Theilnahme an dem Verlust seiner Frau ausgesprochen hatte:
Die paar Zeilen, die Sie mir von Braunschweig geschrieben, haben
mich tief erschüttert. Ja, Sie kannten das edle Gemüth der Verklärten
vielleicht mehr wie viele Menschen! Sie hielt auch unendlich viel
von Ihnen, und wir haben in den letzten Tagen ihres Lebens uns noch
zweimal sehr umständlich von Ihnen unterhalten. Sophie liebte Sie wie
eine zärtliche Mutter, wie eine treue Schwester. Sie erkannte das
viele Gute, das in Ihrer Seele liegt, nur fürchtete sie in der letzten
Epoche Ihres Hierseins für Sie, wie ich es auch that. Darüber sprachen
wir noch viel zusammen, als Ihr letzter Brief von Aurich eintraf und
ich mich entschloß, Sie zu bitten, nach Leipzig zu gehen. Sie stimmte
diesem Entschlusse vollkommen bei, da sie den namenlosen Verdruß
kannte, den mir und Ihnen die Besorgung der dortigen Geschäfte durch
Weigel verursacht hatte.
Sie kennen die zahllosen Ursachen, die Weigel uns zu Klagen gegeben
hat. Sie wollen dies Alles aber nicht urgiren. Sie wollen Weigel mit
Liebe und Zartheit begegnen, denn er ist ein guter und ein edler und
ein unglücklicher Mensch. Er ist nur kein Geschäftsmann, besonders in
so verwickelten Verhältnissen, als die unserigen es sind .... Gegen
Jeden werden Sie sagen, ohne bestimmt Weigeln anzuklagen, daß ich
mich veranlaßt gefunden hätte, Jemanden, der sich ganz meinen dasigen
Geschäften widmen könnte, dort zu halten .... Der Frau Hofräthin
Spazier vertrauen Sie ganz. Sie wird Ihnen rathen und helfen, wo sie
kann. Sie ist meine wahre Freundin.
Obwol Brockhaus so Alles that, um seinem Gehülfen die Ordnung und
Besorgung der für ihn in seiner Doppelstellung als Verlags- und als
Sortimentsbuchhändler besonders wichtigen Beziehungen in Leipzig zu
erleichtern, und das beste Vertrauen zu ihm hatte, ging er doch schon
seit dem Tode seiner Frau mit der Idee um, Amsterdam zu verlassen und
sein Geschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Die Stadt, in der er acht
Jahre an der Seite seiner Frau und von blühenden Kindern umgeben verlebt
hatte, zwar nicht so glückliche und ungetrübte wie die ersten drei Jahre
in Dortmund, aber in einem neuen, seinem Geiste endlich genügenden
Wirkungskreise, sie war ihm jetzt für immer verleidet. Dazu kamen die
schon erwähnten politischen und geschäftlichen Unannehmlichkeiten.
Endlich aber sah er immer mehr ein, daß der geeignete Boden für ihn
nicht eine holländische, jetzt gar französische Stadt sei, sondern
daß er sein Geschäft nach Deutschland und womöglich nach Leipzig, dem
Mittelpunkte des deutschen Buchhandels, verlegen müsse, um das von ihm
in kühnen Umrissen angelegte Gebäude auf festem Grund aufzubauen und
seine weitgehenden Plane zur Ausführung zu bringen.
Aber freilich war eine solche Uebersiedelung mit vielen Schwierigkeiten
verbunden und jedenfalls erst nach und nach zu ermöglichen. Besondere
Sorge machte ihm dabei die Zukunft seiner Kinder, von denen das älteste
bei dem Tode der Mutter zehn Jahre, das jüngste erst wenige Wochen
zählte. Sollte er sie mit nach Leipzig nehmen, während er noch nicht
wußte, ob er dort selbst eine Heimat finden werde? Könnte er sie
in Amsterdam lassen, allein in der fremden Stadt, wo er zwar viele
Freunde, aber keine Verwandten hatte? Weder zu dem einen noch zu dem
andere vermochte er sich zu entschließen. Dagegen nahm er das herzliche
Anerbieten seiner dortmunder Verwandten und Freunde an, die Kinder, bis
er wieder einen festen Wohnsitz gefunden, in ihren Familien aufnehmen zu
wollen. Dazu kam, daß er selbst noch schwankte, ob er nicht doch lieber
in seine Vaterstadt Dortmund zurückkehren als nach dem fremden Leipzig
ziehen solle. Ersteres schien auch seine Frau gewünscht zu haben,
wenigstens hatte er ihr noch auf dem Todtenbette versprechen müssen, die
Kinder zunächst nach Dortmund zu bringen. Er schreibt darüber an den ihm
befreundeten Bankier Friedrich Christian Richter in Leipzig am 2. Januar
1810 aus Amsterdam:
Morgen verreise ich von hier, um dem Willen meiner verewigten
Gattin gemäß meine Kinder zum Vaterlande zurückzubringen, zu meinem
noch lebenden Vater und meinem Bruder und zu den verheiratheten
Geschwistern meiner Frau. Es wäre mir hier auch unmöglich gewesen,
für die gute physische und moralische Erziehung derselben zu sorgen.
Ich bin selbst zu zernichtet, auch fürs künftige Leben. Zu Ostern
werde ich diesen Ort der Trauer auch wol ganz verlassen, mein hiesiges
Geschäft verkaufen oder administriren lassen und mich bei Ihnen in
Leipzig oder bei meinen Kindern in unserer guten Vaterstadt etabliren.
Es wurde ihm gewiß ebenso schwer, sich von den Kindern, die ihn ja auch
fortwährend an ihre Mutter erinnerten, zu trennen, als es für diese hart
war, daß sie außer der Mutter vielleicht für längere Zeit auch den Vater
entbehren sollten. Indeß war es doch der einzige Ausweg, der sich ihm
darbot.
Am 3. Januar 1810 trat er die traurige Reise mit seinen Kindern an,
von deren treuer Pflegerin seit dem Tode der Mutter, Tante Josina,
begleitet. Er wollte sie doch wenigstens selbst nach Dortmund bringen
und zugleich seinen alten Vater nach so langer Trennung und nach dem
schweren Verluste, den er erlitten, wiedersehen.
Nur die kleine Sophie mußte er in Amsterdam zurücklassen, da er ihr die
beschwerliche Reise im Winter noch nicht zumuthen durfte; sein Freund
Kaufmann Trippler und dessen Frau baten sich die Kleine aus, zumal sie
selbst keine Kinder hatten, und sie blieb bei ihnen mehrere Jahre unter
der sorgsamsten Pflege.
Die andern sechs Kinder wurden einzeln bei den dortmunder Verwandten,
bei dem Großvater, dem Onkel Gottlieb und den Familien Beurhaus,
Brökelmann, Rittershaus und Schmeemann untergebracht. Hier blieben sie
mehrere Jahre unter liebevollster Behandlung, bis sie nach und nach in
das neubegründete Haus des Vaters zurückkehrten.
* * * * *
Vor seiner Abreise nach Dortmund war es Brockhaus gelungen, an
Bornträger's Stelle außer einem holländischen einen neuen deutschen
Gehülfen Namens Krieger zu erhalten, der während seiner Abwesenheit
wenigstens das laufende Geschäft besorgen konnte. Dieser kam aus
Leipzig, wo er vor Bornträger's abermaliger Hinkunft auch schon eine
Zeit lang für Brockhaus beschäftigt gewesen war, vermuthlich bei dessen
Commissionär.
Mit Bornträger blieb Brockhaus fortwährend im lebhaftesten Briefwechsel
und hatte die Freude, daß dessen Ankunft und erstes Auftreten in Leipzig
manche Uebelstände rasch beseitigte. Namentlich war es Bornträger
gelungen, die durch verschiedene Umstände gestörte Geschäftsverbindung
mit dem leipziger Bankier Richter wiederherzustellen.
Schon im Herbst 1809 hatte Brockhaus ausführlich an Richter geschrieben,
weil einige von ihm ausgestellte und an Richter gegebene Wechsel von den
Betreffenden nicht honorirt worden waren. Dieser Brief, der wieder einen
vollen Einblick in sein Inneres gewährt, lautet:
Sie werden es meinem Herzen und meinem Verstande zutrauen, wie sehr
der unangenehme Vorfall, worüber ich heut Ihrer Handlung Bericht gebe,
auf mich wirken muß. Obgleich persönlich und sachlich einigermaßen
entschuldigt durch die Lage der Sache, worüber die eingelegten
Briefe Sie unterrichtet, bin ich doch zu sehr mit der über solche
Punkte eingeführten Delikatesse bekannt, um nicht vollkommen den
schmerzlichen und unangenehmen Eindruck vorherzusehen, den dieser
Vorfall auf Sie als Kaufmann machen wird und machen muß. Ich sehe
dies Alles so sehr ein, daß ich kein Wort in dieser Hinsicht an Sie
adressiren will, um es zu versuchen, diesen Eindruck zu schwächen. Ich
weiß es, es gibt darin keine Rechtfertigung! Ich kenne die Strenge
der kaufmännischen Ansicht darin in ihrem ganzen Umfang! Ich muß es
zufrieden sein, wenn Sie mir Ihr Zutrauen augenblicklich ganz und rein
entziehen, gleich alle Verbindung mit mir aufheben.
Ich wende mich also auch nicht an Sie als Kaufmann. Ich wende mich
an Sie als Mensch! An den Menschen adressire ich mich alleine!
Ich bin ein ehrlicher, ein rechtlicher Mann! Ich werde Sie, Herr
Richter, nie täuschen! Ich habe ein Capital von circa .... Gulden in
meinem Geschäfte. Ich habe keine fremden Fonds darin. Alles ist mein
Eigenthum. Nur die jetzigen Zeiten drücken mich sehr und stark, und
der deutsche Buchhandel ist in den Händen so vieler .... und ....
Menschen, daß man durchaus nicht auf sie in Hinsicht auf die Fonds,
die man von ihnen zu erwarten hat, rechnen kann; ihre Effronterie im
Zurückhalten der Einem schuldigen Gelder ist ungeheuer. Ich habe im
vorigen Jahr auf einmal über 40000 Gulden in die Ihnen größtentheils
bekannten Unternehmungen gesteckt -- die Unternehmungen sind sämmtlich
vom Publikum gut aufgenommen worden! Ich mußte die Ostermesse einen
bedeutenden Betrag nothwendig zurückerhalten. Sie wissen, wie die
Ostermesse ausgefallen. Es hat mir dies um 10000 Gulden wenigstens in
meiner Einnahme geschadet. Es genirt mich dies, ich gestehe es. Hier
in Amsterdam gibt es überhaupt keine, durchaus keine Ressourcen. Der
Einwohner steht #nie# mit einem Banquier auf dem Platze in einiger
Verbindung. Der Cassier arbeitet nur mit größern Handlungen und er
avancirt nie. Man muß hier Alles in und aus sich selbst holen! Jeden
Gulden! Es ist nie in Holland ein Geschäft gewesen wie das meinige.
Man vermag es gar nicht zu beurtheilen, weil man es nie gesehen hat,
also nicht kennt. Man beurtheilt mich also oft falsch; -- man hält
mich für einen excentrischen Menschen! Ich weiß dies Alles: ich kann
es nicht ändern! Ich muß die Menschen gehen lassen! Ich schließe
Ihnen mein ganzes Herz auf, Herr Richter; Sie sind gewiß ein edler,
vortrefflicher Mann, Sie sind ein guter Mensch! Mein Inneres sagt mir
das! Ich darf und kann mich Ihnen ganz anvertrauen. Ich werde Ihr
Vertrauen dadurch nicht verlieren.
Wollen Sie mir Ihr ferneres Vertrauen lassen, -- ich werde, ich
kann es nie misbrauchen. Wollen Sie mich ferner ein wenig und selbst
noch etwas mehr als seither -- um mich den kleinen _gênes_, die mich
noch dies Jahr drücken, zu entziehen -- unterstützen, so werden Sie
sich einem dankbaren Manne und einer dankbaren Familie für immer
verpflichten. Kann ich Ihnen dorten eine Art von Garantie geben --
über mein dortiges Lager -- Lebens oder Sterbens wegen, ich bitte Sie,
geben Sie mir die Idee an, wie ich es anzufangen. Es geschieht gern.
Die Zeiten werden wieder besser werden. Der vor einigen Monaten
erfolgte Tod meiner Schwiegermutter bringt mir wieder neue Fonds. Ich
werde mich einschränken, da ich jetzt schon mehr aus Erfahrung die
.... Menschen, die Mehrzahl der deutschen Buchhändler, kenne!
Sie sehen, ich plaudere zu Ihnen wie zum Bruder, wie zum jahrelangen
Freunde! Möchten Sie mir der letztere werden!
Leben Sie wohl! Ich erbitte mir auf diesen Brief einige Zeilen
Antwort, ebenso offen, wie es die meinigen gewesen sind!
Infolge dieses Briefs scheint Richter schon damals die
Geschäftsverbindung mit Brockhaus wieder aufgenommen zu haben. Jetzt,
bei Bornträger's Uebersiedelung nach Leipzig, bedurfte Brockhaus
der Vermittelung und des Vertrauens Richter's noch mehr als früher.
Er schrieb ihm deshalb am 2. Januar 1810 folgenden, sein Innerstes
enthüllenden Brief:
Ich habe Ihnen mit voriger Post 1100 Mark Bco. remittirt auf Fr.
Perthes in Hamburg. Hiermit gleichen sich ohngefähr jene beiden
unglücklichen Posten von 500 Fl. aus. Ich werde Ihnen weiter von
Monat zu Monat verhältnißmäßige Rimessen machen. Seien Sie ganz
und unbedingt ruhig! Ich habe kaufmännisch gegen Sie sehr gefehlt,
moralisch -- nicht! Ich will gegen Sie keine Exposition davon machen;
ich bin zu routinirt in Geschäften, um nicht den ganzen Umfang meiner
Abweichungen -- wenn auch gezwungen, doch immer Abweichungen -- zu
fühlen und in Klarheit zu erkennen. Ich will auch eine Entschuldigung
nicht einmal versuchen! Ich könnte Vieles, vielleicht sehr Vieles und
gar Genügendes zu meiner moralischen Entschuldigung vorbringen. Ich
thue es aber nicht! Ich schweige. Nur das sage ich, und #das# darf ich
sagen: Seien Sie ganz ruhig. Nur das Gedränge drückender, zu leicht
eingegangener Engagements; nur unverzeihliche Vernachlässigung dort
in Besorgung mancher bedeutenden Geschäfte und Verrichtungen, wodurch
ich mich veranlaßt gefunden habe, selbst jetzt mitten im Winter
einen Commis von hier nach dort zu senden; nur nicht zu gebieten
gewesene Täuschung über den Eingang erwarteter und nicht eingegangener
Fonds; endlich die Krankheit und zuletzt der Tod einer geliebten,
angebeteten Gattin und die daraus resultirte Zerstörung meines
Denk- und Ordnungsvermögens -- in diesen Grundzügen müßte ich meine
Entschuldigung suchen.
Ich erkenne aber in voller Klarheit, daß ich #keine# Entschuldigung,
aus blos kaufmännischem Gesichtspunkte betrachtet, gegen Sie habe. Ich
verdamme mich darin selbst unbedingt.
Nur das sage ich und das darf ich sagen: Seien Sie vollkommen ruhig.
Sie sind ein edler Mensch. Ich bin Ihrer Achtung und Werthschätzung
nicht unwerth. Es ist eine reine Unmöglichkeit, für mich individuell
und aus meiner ganzen Geschäftslage betrachtet, daß Sie je einen
Thaler an mich verlieren könnten. Wäre es mir möglich, den Gedanken
darüber zu fassen, ich würde Ihnen nie einen Wunsch weiter mittheilen.
Handlungen müssen hier aber entscheiden. Ich erkenne das. Meine
erste sei, daß ich Ihnen, noch nicht außer dem Gedränge kleiner
Verlegenheiten, die aber sich zusammenwickelnd nicht ohne Bedeutung
sind, aber befreit von unmittelbaren Engagements, meine erste freie
Disposition widme, die ich habe erübrigen können: die 1100 Mark Bco.
per Hamburg. Ob Sie in diesem Zuge mich und meine Gesinnungen errathen
werden, muß ich erwarten. Ich erwarte es mit Resignation.
Das hohe Vertrauen, das ich zu Ihnen als Mensch habe, erlaubt es
mir, Sie zu bitten, mich unerachtet aller stattgehabten Störungen
dennoch nicht ganz zu verlassen .... Ich habe, debarrassirt von meinen
drückenden Verbindlichkeiten, die Aussicht, im Laufe der nächsten
Monate aus meinem Sortimentsgeschäfte (worin alles auf Jahresrechnung
geht) bedeutende Summen einzunehmen. Ich habe keine einzige schlechte
Unternehmung gemacht. Ich bin nicht ohne eigene und nicht unbedeutende
Fonds. Ich bin ein häuslicher, ordentlicher, guter Mensch -- das darf
ich ja wol Alles sagen, ohne daß ich in den Schein von Ruhmredigkeit
falle. Darum sage ich es Ihnen, zu dem ich reines und großes
moralisches Vertrauen habe.
Dieser Brief sei aber auch nur Ihnen geschrieben. Außer Ihnen muß
ihn Niemand sehen. Nur Sie werden mir ihn nachfühlen.
Sie werden mir keine Vorwürfe machen über das Vergangene. Ich mache
sie mir selbst. Haben Sie die Güte, mich Ihres Vertrauens nicht ganz
unwerth zu finden. Ich darf es ja wol sagen, daß ich nicht glaube,
desselben unwerth zu sein im Innern ....
Hier folgt die bereits früher mitgetheilte Stelle über seine Absicht,
nach Dortmund zu reisen, um die Kinder dort erziehen zu lassen. Der
Brief schließt dann:
Daß ich Ihnen das Alles sage?
Ich weiß selbst nicht oder kaum, wie ich dazu komme! Nur das erkenne
und weiß ich, daß ich mich einem edlen und wackern Biedermanne
anvertraue.
Ob Sie in meine _vues_, die Geschäfte betreffend, eingehen oder
nicht, ist von meinem Urtheile und meiner Empfindung über Sie ganz
unabhängig.
Leben Sie wohl. Ich bin Ihnen mit ganzer Seele zugethan.
(Nachschrift.) Alle Geschäfte und Transactionen, die Herr Schmidt
macht, sind verbindlich, da er mit vollkommener gerichtlicher
Vollmacht versehen ist.
An Bornträger schrieb Brockhaus gleichzeitig:
Herr Richter ist ein höchst rechtlicher und wackerer Mann, auch ein
Freund von Literatur u. s. w., und es hängt unendlich viel davon ab,
sich mit ihm wieder zu einigen. Ich werde auch alles Mögliche thun, um
dies zu bewerkstelligen, und verzweifle ich keineswegs an dem Erfolg
davon, da ich die innere Ueberzeugung habe, sein Zutrauen wie das
Zutrauen jedes rechtlichen Mannes vollkommen zu verdienen.
Besuchen Sie ihn in einer ruhigen Stunde in seinem Hause, sprechen
Sie mit Besonnenheit und Zuversicht. Deuten Sie auf die Stockungen
und Verwirrungen, ohne irgend Jemanden anzuklagen. Versichern Sie
ihn meiner unbegrenzten Ergebenheit und meines besten Willens, auch
meiner vollkommenen Kräfte. Sagen Sie etwas von dem verhängnißvollen
Schicksal, das jetzt auf mir ruht und mich zerschmettert hat. Seien
Sie in Allem wahr und ernst und bieder. Sprechen Sie zu meinem Besten,
aber mit Bescheidenheit.
Die Antworten Richter's auf obige Briefe sind nicht erhalten, aber
jedenfalls lautete auch die auf den zweiten befriedigend, da Brockhaus
unmittelbar darauf wie auch später geschäftlich und freundschaftlich mit
ihm verkehrte.
* * * * *
Der Aufenthalt in Dortmund währte länger, als Brockhaus erwartete,
ungefähr einen Monat, bis Anfang Februar 1810. Die Ausgleichung alter
verwickelter Familienverhältnisse nahm viel Zeit in Anspruch, und
außerdem verfaßte er hier die Appellation gegen das erste Urtel im
Hiltrop'schen Processe, obwol sie vom 28. Februar dieses Jahres aus
Amsterdam datirt ist.
Noch in Dortmund erhielt er die ersten günstigern Berichte von
Bornträger aus Leipzig. Er antwortet ihm am 21. Januar:
Es freut mich, daß Sie durch ein männliches, ruhiges und gesetztes
Betragen schon Manches ins Gleiche gebracht haben. Es wird sich alles
Weitere geben, wenn nur einmal alle Verhältnisse zwischen dort und
Amsterdam ganz ineinander greifen, die Bücher in Ordnung sind und wir
uns so bemühen können, unsere ausstehenden Gelder beizutreiben, als
man uns, wenn wir schuldig sind, damit auf der Haut sitzt.
Ob ich gleich in diesem Jahre gewiß noch viel zu kämpfen haben
werde, so ist von der andern Seite in diesem Jahre auch viel zu
hoffen. Es kommt hinzu, daß, so unglücklich ich auch als Mensch
durch den unersetzlichen Verlust meiner guten Sophie geworden bin,
ich durch die neuen Verhältnisse, worein ich dadurch getreten, von
den beinahe unerschwinglichen Kosten, womit mein Etat in Amsterdam
verknüpft wurde, befreit worden bin. Ich werde allerdings in meinen
Verlagsunternehmungen mich um so mehr auch einschränken können, da ich
gegenwärtig nur wenig bedarf und es meine feste Absicht ist, für die
Zukunft mir ein ruhigeres Leben zu erringen.
Sie, guter Bornträger, gehören mit in meinen künftigen Lebensplan.
Entwickeln Sie die guten Anlagen, die zum Theil nur noch als Keime
in Ihnen liegen. Zerstören Sie das Feindselige, was gegen das Gute
in Ihnen kämpft, und gewöhnen Sie sich insbesondere an Manches,
was besonders in diesem Fache allein den guten Geschäftsmann im
Praktischen macht: an Besonnenheit, Ruhe und die pünktlichste Ordnung
in den Arbeiten. Krieger ist in diesen drei Punkten wirklich ein
Ideal. Auch ist er es in Rücksicht der Thätigkeit, da er keine
Arbeitszeit oder Stunde kennt, sondern nur fragt: was ist noch zu thun?
Weiter spricht er darüber, wie er sich seine künftige Einrichtung in
Leipzig denke; seine Ansprüche waren sehr bescheiden:
Ein Gewölbe wie jetzt bedürfen wir nicht. Es ist unbequem, feucht,
fatal zum Arbeiten; es ist unmöglich, darin ein ordentliches Comptoir
zu halten; es ist dazu theuer. Wir bedürfen nur eines geräumigen
Zimmers in einer ersten Etage, das man heizen kann allenfalls und
welches man mit Regalen versehen läßt. Es muß darin Raum genug sein,
um 20 Exemplare von jedem Verlagsartikel zur Hand zu haben, und
sonst Platz, um eingehende Artikel ordnen und packen und weggehende
einpacken zu können. In diesem Zimmer könnte allenfalls ein Pult
gestellt werden, woran zwei Personen ordentlich arbeiten können,
wenn es groß genug wäre, daß man Briefrepositorien, Platz für Bücher
u. s. w. auf eine ordentliche Weise daran mit anbringen könnte. Besser
wäre es aber noch, wenn ein kleines Comptoir als Nebenzimmer dabei
wäre.
Außerdem wünschte ich, daß Sie und ich unmittelbar dabei schliefen
und wohnten, da dies die Leichtigkeit im Arbeiten so sehr befördert;
womöglich also zwei Schlafzimmer für mich und Sie, und außerdem ein
Wohn- oder Besuchzimmer. Also zusammen fünf Piècen, von denen zwei was
man in Leipzig Kammern nennt wol sein könnten.
Die Frage und Aufgabe wäre also: sollte dazu Gelegenheit zu finden
sein und wo? Mir wäre es gleichgültig, ob es in oder außer Leipzig
(etwa in Reichel's Garten) sei. Ich fühle die kleinen Inconvenienzen,
die entstehen, wenn es außer der Stadt wäre, aber gewonnen würde
auch wol wieder durch größere Annehmlichkeit, wahrscheinlich
größere Wohlfeilheit; auch könnten manche Inconvenienzen durch
Gegeneinrichtungen gehoben werden.
Meine Absicht ist durchaus nicht, ein Haus in Leipzig zu machen.
Sie wissen, wie einfach und prunklos ich bin, und wie mich alles das
anekelt, was auf Ostentation hinausläuft. Nur eine angenehme Existenz
möchte ich mir sichern. Ich werde nicht, was man nennt, in Leipzig
immer wohnen. Ich werde viel da sein; aber auch hier bei meinen
Kindern, Geschwistern und Jugendfreunden werde ich zu Zeiten sein. Ich
muß auch in Amsterdam ein paar Monate zubringen.
Die Abreise von Amsterdam, wohin Brockhaus gegen Mitte Februar
zurückgekehrt war, mußte er von Woche zu Woche verschieben und konnte
sie erst Mitte Mai ausführen.
Zunächst wurde er durch eine Untersuchung in Anspruch genommen, welche
über das Manuscript zu Reichardt's »Vertrauten Briefen auf einer Reise
nach Wien« eingeleitet worden war. Schon in Dortmund hatte er die erste
Nachricht darüber erhalten und auch deshalb seinen dortigen Aufenthalt
verlängert. In dem Briefe vom 21. Januar schreibt er an Bornträger:
Auch habe ich noch einen geheimen Grund, hier zu bleiben. Das
Rdt'sche Manuscript über Wien ist von der Censur in Braunschweig
nicht zurückgegeben, sondern an das Justizministerium nach Kassel
geschickt worden. Ich möchte also auch gern hier abwarten, ob das
kasseler Ministerium nach Amsterdam Requisition erlassen wird, den
Verfasser zu erforschen, dessen Handschrift indessen in Kassel
hinreichend bekannt sein wird. Es möchte doch sehr gut sein, wenn Sie
auf irgendeine Weise R. davon prävenirten und Maßregeln beredeten, da
ich ihm nicht zu schreiben wage und Vieweg es auch gewiß nicht gethan
hat; auch daß er das weitere Manuscript zurückhielte. Ich überlasse
es Ihrer Klugheit, da Sie so nahe sind, was Sie darin thun wollen.
Für mich kann natürlich nichts Unangenehmes entstehen, da ich es der
Censur übergeben, nur die ersten Bogen gesehen, darin selbst Vieles
gestrichen und unbedingt verlangt habe, daß nichts gegen Napoleon
dürfe gesagt werden. Nur möchte ich den Verfasser auch nicht verrathen.
Am 28. Januar schreibt er nochmals und ausführlicher darüber: Von
Amsterdam habe ihm sein Gehülfe Krieger gemeldet, daß man nach ihm
geschickt habe, und er könne nun nicht eher nach Amsterdam zurück, bis
das beseitigt sei. Bornträger solle deshalb lieber selbst nach Halle zu
Reichardt gehen, wenn dieser nicht etwa schon arretirt sei. Er könne
schließlich der Gewalt nicht widerstehen, ihn nennen zu müssen, wenn
er dazu irgendwo vom Gouvernement angehalten werde. Vielleicht auch
sei Reichardt von Halle weggegangen, doch werde Bornträger von dessen
Töchtern den Aufenthaltsort wol erfahren. Treffe er ihn, so solle er
ihn veranlassen, seine Papiere und Notizen zu retten. Uebrigens möge er
doch auch gleich über den beabsichtigten zweiten Theil mit ihm sprechen
und ihn auffordern, was er ihm auch schon selbst geschrieben habe, »mehr
Geist und Salz hineinzulegen«.
Inzwischen müssen die Nachrichten von Amsterdam doch beruhigender
gelautet haben, denn Brockhaus reist dahin zurück und schreibt um 16.
Februar von dort an Bornträger:
Wegen Rdt's »Wien« bin ich ganz unangefochten und wahrscheinlich
ist das ganze Wesen hier Cabale von N. N. und ähnlichen Schuften
gewesen, um mich von hier zu vertreiben. Der westfälische Gesandte
weiß von nichts, der Polizeiminister weiß von nichts, der Minister
der auswärtigen Angelegenheiten weiß ebenso wenig von etwas. Und der
_Hoofdofficier_ (Oberoffizier), dem ich geschrieben habe, daß ich hier
sei, hat mir antworten lassen, er habe mir nichts zu sagen. Dagegen
bin ich fortdauernd in anonymen Briefen gewarnt und ist mir gerathen
worden, von hier wegzugehen oder nicht zurückzukommen!
Indessen hatte er zu früh gefrohlockt und ebenso war auch sein daran
geknüpfter Verdacht unbegründet gewesen. Denn schon am 24. Februar
schreibt er an Bornträger:
Heute bin ich doch noch von der geheimen Polizei wegen »Wien«
verhört, aber sehr human behandelt worden. Den Namen des Verfassers,
den man wissen wollte, habe ich nicht genannt, sondern erklärt: »daß
ich dem Verfasser mein Ehrenwort gegeben habe, ihn nicht zu nennen,
also auf eine bloße Anfrage des westfälischen Gouvernements dies mein
Wort nicht brechen könne und nicht anders mich desselben entschlagen
urtheilen könnte als durch einen ausdrücklichen Befehl meines Königs;
daß aber, da _in casu_ Verfasser wie Verleger den gesetzmäßigen Weg
gegangen, indem sie dem Gouvernement ihre Gedanken -- das Manuscript
-- mitgetheilt und angefragt hätten, ob solche dürften bekannt
gemacht werden, der Name des Verfassers hier eine sehr fremdartige
Sache sei, die das Gouvernement nicht weiter interessiren könne;
wenigstens glaube ich für meine Person nicht, darin dem Gouvernement
als rechtlicher Mann an die Hand gehen zu dürfen«. Man ist hiermit
einstweilen zufrieden gewesen, und hat man nun das Nähere zu erwarten.
Ich denke aber, die Sache wird nun wol todt bluten.
Damit scheint die Untersuchung allerdings erledigt gewesen zu sein; sie
wird in den fernern Briefen nicht weiter erwähnt, und Reichardt's Buch
erschien auch noch in demselben Jahre. Als ein Scherz ist es wol nur
anzusehen, wenn Brockhaus in einem Briefe erwähnt, daß er daran gedacht
habe, in höchster Noth den kurz vorher (1809) verstorbenen Freiherrn von
Groß in Weimar, von dem er auch ein Werk verlegt hatte, als Verfasser
anzugeben!
Bornträger hatte sich übrigens entschlossen, der größern Sicherheit
wegen zu Fuße von Leipzig nach Halle und Giebichenstein zu gehen, um
Reichardt von der Sachlage zu benachrichtigen. Brockhaus trägt ihm auf,
bei dieser Gelegenheit Reichardt zu einem neuen Buche aufzufordern. Er
schreibt:
Ich möchte ihm den Vorschlag thun, ein Buch zu schreiben wie die
vortrefflichen Briefe von Risbeck seiner Zeit waren: »Briefe eines
reisenden Franzosen«[38], Reichardt wäre ganz der Mann dazu. Man
könnte es betiteln: »Kreuz- und Querzüge eines reisenden Franzosen«
oder »eines reisenden Deutschen«. Theilen Sie Reichardt auch diese
Idee mit, die ich ihm jetzt nicht direct schreiben mag. Ich möchte
es erstaunlich gern, daß er darauf entrirte, da er vollkommen dafür
berechnet ist. Ein solches Buch, mit _sagacité_ geschrieben, würde
erstaunlichen Debit haben.
Diese Anregung hat jedenfalls Reichardt zu seinen Ende 1811 bei
Brockhaus (unter der bekannten fingirten Firma »Köln bei Peter Hammer«)
anonym erschienenen »Briefen eines reisenden Nordländers. Geschrieben
in den Jahren 1807 bis 1809« veranlaßt und zeigt wieder, daß Brockhaus
sich nicht darauf beschränkte, ihm angebotene Manuscripte zu verlegen,
sondern daß er auch Schriftstellern eigene Ideen zur Ausführung neuer
Werke mittheilte. So rührt die Idee zu dem »Handbuch der deutschen
Literatur« von Ersch ebenfalls von Brockhaus her; er schreibt darüber
einmal an Bornträger: »Sie ist aus meiner Seele allein hervorgegangen.«
Ein in dieser Zeit geschriebener Brief zeigt, daß Brockhaus auch mit
dem damals in Leipzig wohnenden Dichter Johann Gottfried Seume, den
er wahrscheinlich persönlich dort kennen gelernt, in Beziehungen
stand, und dieser ihm einen Verlagsantrag gemacht hatte. Er trägt
Bornträger auf, Seume zu sagen, daß er eine Copie seines Manuscripts
nach England geschickt habe; »es sei zu gefährlich, es in Holland zu
drucken; erzählen Sie ihm den Umstand jetzt mit 'Wien'; ich würde ihm
sein Original zu Ostern selbst zurückbringen oder auf Verlangen gleich
einschicken.« Seume starb indeß bald darauf (13. Juni 1810); jenes
Manuscript war vermuthlich Seume's Selbstbiographie, die nach seinem
Tode von Clodius herausgegeben wurde (Leipzig 1813).
* * * * *
Brockhaus sah bald ein, daß er Amsterdam doch noch nicht gleich
verlassen könne, besonders weil er das Geschäft seinem neuen Gehülfen
Krieger nicht allein anvertrauen mochte. Während er diesen früher gegen
Bornträger sehr gelobt, schreibt er letzterm jetzt am 6. März: Krieger
sei »zu weiter nichts gut als aus einem vollen Sacke Geld zu nehmen und
damit zu zahlen und es sich sonst sehr gut sein zu lassen«! Er fährt
fort:
Ich opfere also lieber mich auf als mein Geschäft, und ich werde
nach der Ostermesse (aus Leipzig) gleich zurückkehren, dagegen im
Sommer eine Reise nach Paris machen. Sie, der Sie alle Verhältnisse
kennen, werden dies gut finden. Darum aber gebe ich meinen Plan für
die Zukunft nicht auf. Nur dies Jahr geht es noch nicht, und in diesem
Jahre muß sich Vieles entwickeln. Ich hoffe, Alles ziemlich gut! Die
Messe kann nicht schlecht werden, da durch die Verbindung Oesterreichs
mit Frankreich die Ruhe des Continents vorläufig sehr gewinnt und
namentlich Oesterreich einer bessern Epoche dadurch entgegengeht.
Oesterreich wird kaufen und zahlen, und von keiner Seite her wird man
Ursache haben, nicht zur Messe zu kommen. Sehr gut ist es auch, daß
die Messe so spät eintritt, weil selbst die Russen u. s. w. jetzt gut
eintreffen können.
Die beabsichtigte Reise nach Paris sollte sechs Wochen dauern und
besonders wegen der Verlagswerke von Sprengel, Rudolphi, Villers,
Fauriel und Massenbach unternommen werden; sie unterblieb aber, ebenso
wie ein von ihm für den Herbst, »um einen Monat meinen Kindern zu
leben«, gehoffter wiederholter Aufenthalt in Dortmund.
Gegenüber den vermehrten Ausgaben in Leipzig und in der Absicht, sein
amsterdamer Geschäft früher oder später aufzulösen, war er unablässig
bemüht, seine Außenstände in Holland einzuziehen. Er machte zu diesem
Zweck im März und April mehrere Reisen nach Utrecht, Rotterdam und
Harderwijk, Schiedam, Delft und dem Haag, leider aber meist mit
geringem Erfolge. Die Geldkrisis und die politischen Verhältnisse
wirkten lähmend auf Handel und Verkehr, und die Buchhändler wie die
Privatkunden vertrösteten ihn mit Versprechungen, während er selbst von
Schriftstellern und Buchdruckern in Deutschland gedrängt wurde. Bei der
Rückkehr von einem solchen Ausflug schreibt er einmal:
Auf dieser Reise ist es mir unsaglich schlecht mit dem Einkassiren
gegangen: circa 2400 Fl. ausstehen, und ich habe kaum 200 Fl. Kassa
und circa 250 Fl. Papier mitgebracht. Entweder verreist oder nicht bei
Kasse! Das heißt Einen rasend machen!
Er sah jetzt oft recht trüb in die Zukunft, ohne indeß den Muth zu
verlieren. So schreibt er am 6. März an Bornträger:
Beruhigen Sie sich insbesondere wegen meiner äußern Lage. Ich bin
dies Jahr weniger gedrückt wie vorig Jahr und vor zwei Jahren, ob
ich gleich so unendlich schwere Ausgaben gehabt und dadurch so Vieles
anticipirt habe .... Demohnerachtet weiß ich vollkommen, daß es mir
noch sauer werden wird, aber ich sehe doch Durchkommen und habe mehr
Muth wie je, besonders da Sie jetzt dort sind.
Und am 3. April schreibt er:
Ich werde alle meine Kräfte aufbieten, um Sieger zu bleiben. Vieles
ist verloren. Aber nicht Alles. Durch Besonnenheit und Muth wird sich
Vieles, vielleicht Alles retten lassen.
Aber nicht nur den Muth verlor er nicht, sondern bewahrte sich selbst
den Humor, wie folgende Anekdote über einen spaßhaften Handel mit einem
amsterdamer Antiquar oder vielmehr mit dessen Frau beweist. Er schreibt
an Bornträger unterm 16. März:
Ich habe heut einen Handel gemacht, der Ihnen possirlich vorkommen
wird. Gestern gehe ich, wie ich aus dem Wappen von Bern, wo ich
oft esse, nach dem Museum gehen will, um die Zeitungen des Tages
zu lesen, dem Bücher-Antiquar Ros in Rooseboomsteeg vorbei und
bleibe wie gewöhnlich vor seinen ausgestellten Büchern stehen, um
die Titel zu beschauen. Ich finde zufällig einen alten Jahrgang des
historischen Calenders, der bei Haude herauskam, über Amerika, der
jetzt selten ist. Ich möchte den gern haben, denke ich, er wird wol
für ein Dübbelchen zu erstehen sein, und gehe hinein. »Wieviel für
_dat boekje_ (das Büchelchen)?«, frage ich. -- »_Vier Sestehalven._«
-- »Wie, vier Sestehalven? Ist sie klug?«, sage ich zu der Frau,
»_voor zoo een oud ding, dat al voor 20 jaar verschenen is?_« (für
so ein altes Ding, das schon vor 20 Jahren erschienen ist?) -- Ja,
unter 3 Shillings gebe sie es nicht. -- Kurz, wollte ich wohl oder
übel, nachdem ich wie ein Grasmäher gefeilscht hatte, einmal aus der
Boutique schon weggegangen war, und der Versuch, zurückgerufen zu
werden, ohne Erfolg war gemacht worden: ich mußte 15 Stüber geben.
»Aber«, sage ich, wie das Geld bezahlt war, »meine liebe Frau, #ich#
habe die 15 Stüber für _dat boekje_ gegeben, weil es eine Seltenheit
ist. Das weiß #Sie# nun aber nicht. Anders wäre es mir nichts werth
gewesen. Wie kann Sie ein solches Ding so hartnäckig auf einem solchen
Preis halten?« -- Ja, sagte sie, diese »_boekjens met platen_«
(Büchlein mit Illustrationen), die könnte sie sehr gut verkaufen, und
die fänden immer ihre Liebhaber. -- Hm, denke ich, dann könntest du
ja den Ueberschuß der »Urania« trefflich gebrauchen, welcher deinem
Auge sonst doch Verdruß genug sein wird. Ich theile ihr die Idee mit,
worauf sie gleich entrirt. »Aber ich habe viel«, sage ich. -- »Ja,
das macht nichts, _en als de Heer ook een paar honderd heeft_« (wenn
der Herr auch ein paar hundert hat). -- Ich bin wie aus den Wolken
gefallen. Wo bleibt das Weib damit? Ich renne wie besessen nach Hause,
hole ein hübsches in Maroquin, bringe das zur Probe und werde nun
Verkäufer statt Käufer. _Enfin_, einen Shilling bot sie mir noch am
Abend, und diesen Morgen haben wir es zu 8 Stüber hinaufgetrieben,
wozu ich ihr unsern traurigen Vorrath von 223 Stück -- leider sind
die 160 Ex., die nach Ostfriesland gegangen sind, alle angekommen und
gleich als Makulatur bei Seite gelegt worden -- gegen gleich comptante
Zahlung von ca. 90 Gulden.
Ich habe mich halb krank über die _négociation_ gelacht, die wir
aber unter uns halten müssen, weil, wenn es die deutschen Buchhändler
erführen, daß man alte abgelebte Almanache beinahe für einen halben
Gulden loswerden könne, bald alle Landstraßen damit bedeckt sein
und der Handel _de fond à comble_ verdorben sein würde. Ein Triumph
meiner Phantasie würde es sein, wenn ich der Frau auch noch den
leipziger Ueberschuß, der eine ganz andere Masse bilden wird,
aufhängen könnte. Ich habe darauf angespielt; sie meinte aber, daß
an 223 sie einstweilen (!) doch genug habe. Ich denke es auch und
fürchte: für immer. Aber es ist wahr: in Amsterdam ist doch auch Alles
zu verkaufen! Indessen bin ich noch mit ihr im Handel über unsern
hiesigen Rest von .... (folgen einige Titel älterer Verlagswerke),
worüber ich bis Dienstag Rapport haben soll. Einzelne Exemplare kauft
das Weib nicht; sie macht Alles im Großen, _en bloc_. Original!
Infolge der geistigen Aufregung und Ueberanstrengung in dieser ganzen
Zeit, wozu noch die häufigen rasch zurückgelegten Reisen kamen, wurde
Brockhaus bald darauf ernstlich unwohl. Schon am 24. März sagt er,
daß er sich seit kurzem gar nicht wohl fühle, keine Eßlust habe und
beständig ein kleines Fieber mit sich herumschleppe. Eine Folge dieses
Uebelbefindens und seiner Erregung ist es wol, wenn er weiter schreibt,
er habe in Erwartung eines Berichts von Bornträger mehrere Tage nicht
schlafen können, und in Bezug auf einige unberechtigte Forderungen von
Schriftstellern hinzufügt:
Ich bin keineswegs geneigt, diesen Leuten einen Schritt zu weichen.
Göschen zeigte mir einmal ein dickes Convolut Papiere: »Dieses
enthält Documente zur Schande der Menschheit«, sagte er; »es sind die
Verhandlungen mit unsern berühmten Autoren.«
Lange wehrte er sich gegen die Krankheit, ohne sich zu schonen; so
fuhr er einmal in einer Nacht nach Leyden und kehrte in der nächsten
Nacht nach Amsterdam zurück, um schon einige Tage darauf in ähnlicher
Weise nach Rotterdam und zurück zu reisen. Endlich aber mußte er sich
doch darein ergeben, seine Thätigkeit zu unterbrechen und sich zu
pflegen. Die Krankheit stellte sich als Gelenkrheumatismus und Gicht
heraus. Sechs Wochen lang, bis Anfang Mai, wurde er davon geplagt, und
mußte also so lange die Abreise nach Leipzig verschieben, obwol seine
Anwesenheit dort besonders während der Messe so nothwendig war. Während
dieser Zeit erhielt er auch aus Dortmund die Trauerkunde vom Tode seines
jüngsten, noch nicht ganz drei Jahre alten Sohnes Max, des Pathen
Baggesen's.
Am 10. April schreibt er an Bornträger:
Ich habe von meinem Rheumatism einen solchen fürchterlichen Rückfall
bekommen, daß ich seit Sonnabend, wo ich Ihnen schrieb, nicht aus dem
Hause gewesen bin und fast immer das Bett gehütet habe. Auch diese
Zeilen schreibe ich Ihnen aus dem Bette, und habe ich in diesen Tagen
nicht anders als durch Dictiren arbeiten können. Ich habe sehr heftige
Schmerzen in den Muskeln des Halses und des Kreuzes, sodaß ich leider
weder gut liegen noch irgendeine ruhige Stellung annehmen kann. Es
ist mir erstaunlich fatal, wie Sie denken können. Indessen hoffe ich
doch, daß durch Ruhe und Wärme sich Alles bald geben wird .... Mich
fatiguirt das Schreiben außerordentlich und ich schließe daher in Eile.
Wenige Tage darauf, am 14. April, klagt er:
Ich bin noch immer sehr krank, und wenn auch auf der Besserung, so
geht's doch langsam. Mein Rheumatismus hat einen heftigen Charakter,
der sich gar nicht fügsam beugen will. Indessen schreibe ich Ihnen
doch wieder außer dem Bette. Die Stube darf ich aber noch nicht
verlassen. Und morgen über vier Wochen soll ich schon in Leipzig sein!
Wie mich dies ergreift! Und doch muß und soll es möglich werden! Nur
Hygiea verlasse mich nicht, oder komme vielmehr, deine stärkende Hand
über mich zu erheben!
In einem Briefe vom 21. April heißt es:
Ich habe Ihnen Dienstag nicht geschrieben, weil ich Ihnen dann
hätte melden müssen, daß ich aller Berechnung nach nicht zur Messe
kommen könne. Ich war an diesem Tage von meiner vert........ Gicht in
Nacken, Rücken und Fußgelenken so gelähmt und so gepeinigt, daß ich
mich nicht rühren konnte. Es scheint aber das Maximum gewesen zu sein,
und ich gehe seit vorgestern an einem Stocke im Zimmer herum. Ich
hoffe nur jetzt, daß ich werde kommen können! Ich #hoffe# es und ich
#glaube# es! Schon wollte ich Ihnen alle Bücher schicken und Sie wie
mein Geschäft Gott anbefehlen.
Ich habe hier übrigens Mühe mich durchzuwinden, wie Sie denken
können, besonders da ich krank bin; indessen guter Muth und Hoffnung,
die menschliche, verläßt mich nicht.
Daß Sie auf sechs gute Groschen reducirt waren, hat mir ein wenig
Spaß gemacht, denn bei allem Ungemach und Sorgen verläßt mich mein
guter Humor nicht ganz. Vor der Messe unmittelbar ist die Auslieferung
immer schlecht. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen!
Im nächsten Briefe, vom 24. April, schreibt er:
Seit Sonnabend bin ich mit meinem Uebel nichts gefördert. Es ist
um gar nichts besser geworden, und ich habe die beiden Ostertage
recht traurig zugebracht und die Nächte unter vielen und heftigen
Schmerzen, da es des Nachts immer schlimmer ist als am Tage. Aller
Gichtstoff hat sich jetzt auf den linken Fuß geworfen, der dadurch
sehr angeschwollen, sodaß die Haut außerordentlich gespannt ist ....
Da ich indessen, diesen Punkt ausgenommen, vollkommen gesund bin
und vielleicht jetzt der höchste Punkt des Uebels erreicht ist, so
bleiben meine Aerzte dabei, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach an
meiner Reise nicht werde gehindert werden. Ich begreife es selbst, daß
zwei bis drei Tage mir hinreichende Genesung geben können, aber Sie
können denken, wie angstvoll ich bin. Der Himmel wird mich nicht ganz
verlassen!
Die gehoffte Besserung trat endlich ein und die Ausführung der Reise
nach Leipzig wurde fest beschlossen. Er schreibt an Bornträger unterm
28. April:
Erst seit gestern Morgen darf ich jetzt wahre Hoffnung haben, die
Reise nach Leipzig noch machen zu können. Erst seit gestern ist
wahre Besserung da! Erst seit gestern Abend kann ich mich im Zimmer
herumbewegen. Noch ist aber nur der Anfang der Besserung da. Es muß
kein Rück-, kein Incidenzfall eintreten. Alles muß vortrefflich gehen,
wenn es möglich werden soll, daß die Reise geschehe. Wie sehr ich
aber auf diese Begünstigung der Glücksgöttin vertraue, sage Ihnen
der Umstand, daß ich am Mittwoch unter den heftigsten Zufällen, die
ich aber zu verschmerzen noch die Kraft hatte, mit Jemandem Abrede
wegen der Zusammenreise nahm und diese beschlossen wurde; wir stehen
jetzt selbst noch in Unterhandlung über den Kauf eines Reisewagens,
dessen ich besonders sehr bedurfte für diesmal. Auf jeden Fall riskire
ich freilich bei dieser Reise mein Leben oder den Verlust meiner
Gesundheit für immer. Aber gibt es hierin eine Wahl? Kann ich hier
bleiben, darf ich es, wenn nicht die gebieterischste Nothwendigkeit
mich ans Krankenbette fesselt? Mein Körper ist sehr schwach. Meine
Nerven sind in einem unglaublichen Grade gespannt und angegriffen;
mein furchtbarer Seelenzustand ist die Ursache meiner Krankheit;
diese fängt eben an, der sorglichsten Behandlung und aller Kunst
meiner Aerzte zu weichen, und schon im ersten Genesen soll ich diesen
zerrütteten schwachen Körper allen Beschwerlichkeiten und Gefahren
einer solchen Reise aussetzen, wo ich auf schlechten Wegen, in rauher,
kalter Witterung, und selbst des Nachts in der für mich unangenehmsten
Lage des Körpers in elenden offenen Wagen (wenn wir den Reisewagen
nicht kaufen) eine Reise von 150 Meilen machen soll! Indessen Pflicht
und Ehre rufen mich, und ich werde nicht wanken, wenn nur die Elemente
der Kraft dazu da sind.
In den beiden letzten Briefen, die Brockhaus vor seiner Abreise von
Amsterdam am 1. und 5. Mai an Bornträger schreibt, spricht er die
zuversichtliche Hoffnung aus, daß seine Anwesenheit in Leipzig alles
Geschäftliche in Ordnung bringen werde. Er sagt:
Wie Alles werden, sich ordnen und lösen solle, weiß ich nicht,
und um es zu wissen, müßte ich ein Halbgott sein .... Ich werde der
Gefahr ruhig unter die Augen treten und von der Gegenwart etwas
Erträgliches erkämpfen, für die Zukunft Besseres bereiten .... Ich
habe hierüber wie über hundert andere Dinge sehr Vieles mit Ihnen zu
sprechen. Besonders von der jetzt möglichen ganz neuen Einrichtung
unsers Geschäfts habe ich Ihnen sehr wichtige Ideen mitzutheilen.
Auf Sie, lieber Bornträger, vertraue ich Alles, und nur durch Ihre
Mitwirkung können diese Ideen ausgeführt werden. Ich glaube indessen
gewiß zu sein, daß bei ihrer Befolgung wir in ein paar Jahren sehr
glücklich leben werden und keine der Sorgen mehr kennen, die uns
Beiden jetzt das Leben verbittern. Mündlich von dem Allen .... Dies
ist eine jener Maßregeln mit: Oekonomie ist die Basis des Mehrsten.
Und die Unmöglichkeit, mich mit Oekonomie einrichten zu können,
das Unermeßliche, was meine Haushaltung verschlang, der Kampf
zwischen Gewohnheiten und nothwendigen Annehmungen, die _fierté_
meines persönlichen Charakters, der alle die Wege nicht paßten, die
im jetzigen Berufe liegen -- dies war es, was mich gedrückt und
zurückgebracht, mich ausgesogen hat. Aber noch ist für Alles Rettung,
denke ich. Ich habe mit Ruhe auf meinem jetzigen Schmerzenslager
einen neuen Geschäfts- und Lebensplan entworfen, in den Sie, lieber
Bornträger, aber als ein nothwendiges Glied eingreifen. Sonst Niemand!
Auf den 10. Mai setzt er nun seine Abreise von Amsterdam fest. Freilich
fügt er hinzu: er werde wol abreisen können, aber ob er bis nach Leipzig
komme, wisse der Himmel; er sei am Genesen, aber noch keineswegs
wirklich genesen.
Indessen scheint er glücklich und ohne neue Erkrankung in Leipzig
angelangt zu sein, da sich kein weiterer Brief aus Amsterdam vorfindet,
wohl aber ein von ihm schon am 18. Mai in Leipzig unterzeichnetes
Actenstück.
Ueber seinen Abschied von Amsterdam, das er nur noch einmal nach
Jahresfrist auf kurze Zeit wiedersah, und über die Reise, auf der er
wahrscheinlich Dortmund berührte, um seine Kinder wiederzusehen, ist uns
nichts bekannt.
2.
Vier Monate in Leipzig.
Noch während der Buchhändlermesse in Leipzig eingetroffen, gelang es
Brockhaus im Verein mit Bornträger alle geschäftlichen Verhältnisse
rasch in Ordnung zu bringen und dadurch das vielfach gegen ihn
entstandene Mistrauen zu beseitigen. Näheres darüber vermögen wir
nicht zu berichten, da unsere Hauptquelle für diesen Zeitabschnitt,
die Correspondenz mit Bornträger, während ihres Zusammenseins aufhört
und Brockhaus keinen andern Vertrauten für seine geschäftlichen
Mittheilungen hatte.
Dagegen ist wenigstens ein von ihm unterzeichnetes Schriftstück aus
dieser Zeit erhalten. Dasselbe trägt das Datum: Leipzig, 18. Mai 1810,
und zeigt also, daß er, wie vorher erwähnt, an diesem Tage bereits
in Leipzig anwesend war. Der Inhalt dieses Actenstücks ist in vieler
Hinsicht interessant.
* * * * *
Die von uns schon mehrfach erwähnten Werke des Obersten von Massenbach,
die Brockhaus verlegte, hatten in hohem Grade das Misfallen der
preußischen Regierung erregt, besonders die »Memoiren zur Geschichte
des preußischen Staats unter den Regierungen Friedrich Wilhelm II. und
Friedrich Wilhelm III.«, wovon 1809 die ersten drei Bände erschienen
waren und lebhaften Absatz gefunden hatten. Es sollten noch drei weitere
Bände folgen und der Verleger hatte dies bereits öffentlich angekündigt.
Der vierte Band war auch bereits in der Druckerei von Mauke & Söhne
in Jena bis auf die beiden letzten Bogen im Druck vollendet, als die
herzoglich weimarische Regierung, wahrscheinlich auf Requisition der
preußischen, die ganze Auflage in Jena mit Beschlag belegen ließ.
Gleichzeitig kam der preußische Oberstlieutenant Gustav von Rauch
nach Leipzig, um im Auftrage seiner Regierung den Verleger des Werks
zur Verzichtleistung auf die fernere Veröffentlichung desselben zu
bestimmen. Welche Gründe er dafür anführte, ist uns nicht bekannt, doch
waren es jedenfalls solche, die keine Ablehnung zuließen, denn Brockhaus
schloß mit ihm als dem Bevollmächtigen der preußischen Regierung einen
diese Verzichtleistung aussprechenden Vertrag ab. Dieses ist das
Actenstück vom 18. Mai 1810.
In dem Vertrage wurde zunächst ausgesprochen: Brockhaus bewillige,
daß der zwischen ihm und dem Obersten von Massenbach über jenes
Werk abgeschlossene Vertrag aufgehoben und der Verfasser seiner
contractmäßigen Verpflichtung, dasselbe complet zu liefern, entbunden
werde; ferner, daß der vierte Band nicht erscheine oder im Publikum
ausgegeben werde, vielmehr, daß alle davon gedruckten Exemplare mit
Einschluß der an Brockhaus gesandten (in Amsterdam befindlichen)
sogenannten Aushängebogen, ohne Ausschluß eines einzigen, an Herrn
von Rauch abgeliefert würden. Sodann gab Brockhaus sein Ehrenwort,
daß er nie und in irgendeinem Falle den Versuch machen werde, diese
Memoiren fortzusetzen, und daß er die ihm darüber gemachten oder noch zu
machenden Anerbietungen gänzlich abweisen werde. Dagegen übernahm Herr
von Rauch die Bezahlung der Druckrechnung für den vierten Band sowie die
Regelung des Honorarverhältnisses zwischen Brockhaus und dem Obersten
von Massenbach, da letzterer von ersterm bereits das gesammte Honorar
auch für die letzten drei Bände (in drei Wechseln, jeder zu 500 Thlr.)
erhalten hatte. Brockhaus glaubte außerdem, und gewiß mit vollem Rechte,
wie es in dem Vertrage heißt, »daß für die Unterbrechung der Herausgabe
dieses Werks gerade in der Periode, wo es für den Haufen des Publikums
ein höheres Interesse erhalten mußte, daß ferner für die Nichtvollendung
des Werks, worauf er ansehnliche Kosten verwandt hat, die sich noch
nicht rentirt haben können, weil das Werk noch nicht vollständig
war, ihm eine Entschädigung gebühre«. Die Höhe dieser Entschädigung
hatte er »als Kaufmann und als Hausvater nach dem billigsten Maßstabe
festgesetzt«, doch stellte er dieselbe auf Wunsch des Herrn von Rauch,
»im Fall Se. Majestät von Preußen diese Entschädigungssumme unbillig
finden sollten, unbedingt der allerhöchsten Entscheidung Sr. Majestät
anheim, womit er in jedem Falle zufrieden zu sein hiermit förmlich
erklärt und also seine ad 1, 2, 3 und 4 gegebenen Versprechen durchaus
zu erfüllen bereit ist«. Nur die Berichtigung einer Summe von 500
Thlrn., die Massenbach von Brockhaus noch zu fordern hatte, versprach
Herr von Rauch jedenfalls zu übernehmen.
Weiter wurde festgesetzt, es solle »zur Sicherung der mercantilischen
Ehre des Herrn Brockhaus« in den öffentlichen Blättern eine Anzeige
erlassen werden: »daß auf Intercession eines hohen Gouvernements die
Verlagshandlung sich veranlaßt gefunden habe, die bereits im Werke
begriffen gewesene Herausgabe des vierten Bandes der Massenbach'schen
Memoiren zu unterdrücken, wie auch auf die Herausgabe des fünften und
sechsten Bandes Verzicht zu thun«.
Freiwillig hatte Brockhaus Herrn von Rauch noch mitgetheilt, daß er
eine Anzahl Originalbriefe des verstorbenen regierenden Herzogs von
Braunschweig von dem Obersten von Massenbach erhalten habe, welche in
vieler Hinsicht höchst interessant wären und besonders den preußischen
Staat beträfen; er erklärte sich zur Auslieferung derselben bereit, wenn
dies verlangt würde.
Schließlich verpflichtete sich Herr von Rauch, sobald als möglich,
spätestens aber in Zeit von drei Wochen, über die mit Brockhaus
gepflogenen Unterhandlungen bestimmte Auskunft zu ertheilen, während
beide Theile sich verbindlich machten, »der Schicklichkeit und anderer
verschiedener Rücksichten wegen« den Vertrag unter sich geheimzuhalten
und solchen zu keiner weitern Kenntniß zu bringen.
Ein zweites Actenstück über diese Angelegenheit liegt uns nicht vor,
auch keine briefliche Aeußerung, und wir wissen also nicht, ob die vom
Oberstlieutenant von Rauch versprochene weitere »Auskunft« und die
Genehmigung des Vertrags durch den König von Preußen erfolgte, doch ist
beides wol nicht zu bezweifeln. Jedenfalls aber hat Brockhaus das von
ihm in loyaler Weise gegebene Versprechen auf das gewissenhafteste
gehalten. Selbst als ihm in späterer Zeit ein Exemplar des vierten
Bandes, so weit er gedruckt worden, zum Kauf angeboten wurde, wies
er diesen Antrag, seines Wortes eingedenk, zurück. In den vierziger
Jahren wurde von Berlin aus an die Firma das Ansuchen gestellt, die
an dem vierten Bande eines Exemplars fehlenden Bogen zu ergänzen, was
zu thun sie natürlich außer Stande war. Das Werk ist somit ein Torso
geblieben (die ersten drei Bände sind noch jetzt im Buchhandel, da
ihre Vernichtung, die ohnedem kaum ausführbar gewesen wäre, von der
preußischen Regierung gar nicht verlangt wurde), und es liegt hier der
seltene Fall vor, daß es gelungen ist, die theilweise bereits gedruckte
Fortsetzung eines Werks vollständig der Oeffentlichkeit zu entziehen.
Höchstens dürfte sich ein Exemplar an unzugänglicher Stelle in Berlin
befinden.
* * * * *
Wir lassen gleich hier einen mehrere Monate nach der Verhandlung mit
Herrn von Rauch geschriebenen und mit derselben nicht zusammenhängenden
Brief des preußischen Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg an Brockhaus
folgen, weil er eine ähnliche Angelegenheit betrifft. Der auch für
Hardenberg's Charakterisirung wichtige Brief, aus Berlin vom 15.
October 1810 datirt, also kurz nach der am 6. Juni erfolgten Erhebung
Hardenberg's zum Staatskanzler nach Stein's Rücktritt geschrieben,
lautet:
Wohlgeborener, hochgeehrter Herr!
Durch ein anonymes Schreiben bin ich benachrichtigt worden,
daß in einem unter der Presse befindlichen Buche ein Artikel mit
Privat-Anekdoten über mich abzudrucken beabsichtigt werde, und daß
ich, wenn ich solches verhindern wolle, mich an Ew. Wohlgeboren
unter Couvert des Herrn Buchhändler Rein in Leipzig wenden müsse.
Ich erkenne zwar die gute Absicht, welche dem anonymen Schreiben zu
Grunde liegt, sehr dankbar; aber warum wählte der Herr Schreiber
dieses Briefs die Anonymität? Ich liebe sie nicht. Was die Anekdoten
anbetrifft, womit man das Publikum über mich unterhalten will, so
wünsche ich, mehr um des Verfassers als um meinetwillen, daß sie
ungedruckt bleiben mögen, weil das wenige Wahre, was ihnen zum Grunde
liegt, dergestalt mit ganz falschen Umständen und irrigen Folgerungen
durchwebt und dadurch entstellt ist, daß dadurch das Ganze nothwendig
gleich in dem verdächtigsten Lichte erscheinen muß. Ich scheue die
Publicität gar nicht. Der rechtliche Theil des Publikums unterscheidet
bald das Wahre und Glaubwürdige von dem Falschen und absichtlich oder
leichtsinnig Verdrehten und Ausstaffirten. Mein Bewußtsein genügt
mir als Mensch; es #muß# mir als Staatsmann genügen, da ich mich
als solcher nicht vertheidigen #darf#. Um desto unedler ist aber
der Angriff auf ganz unrichtige oder halbwahre Thatsachen und auf
Grundsätze, die man nicht kennen und würdigen kann. So habe ich ganz
falsche Darstellungen meiner politischen Handlungen und Ansichten
betrachtet und werde sie forthin so betrachten.
Hiernach überlasse ich es Ew. Wohlgeboren eigenem Gefühl, was Sie
wegen Verhinderung des Drucks des gedachten Artikels oder dessen
Einrückung in das erwähnte Buch veranlassen wollen, und beharre mit
vollkommenster Hochachtung
Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster
Hardenberg.
Das Buch, um welches es sich handelte, war jedenfalls die erst ein
Jahr darauf, Ende 1811 (mit der Jahreszahl 1812), in Brockhaus'
Verlage anonym und, wie es scheint, ohne Verlagsort oder unter der
Firma »Peter Hammer in Köln« erschienene Schrift, die ihm auch andere
Unannehmlichkeiten zuzog: »Handzeichnungen aus dem Kreise des höhern
politischen und gesellschaftlichen Lebens. Zur Charakteristik der
letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts«, in welcher ein Abschnitt
»Minister Hardenberg« enthalten ist. Weshalb Brockhaus den Wunsch des
Staatskanzlers nicht erfüllte, ist uns nicht bekannt, da weder seine
Antwort auf obigen Brief noch irgendeine weitere Notiz darüber vorliegt.
Jedenfalls war es die erste Berührung, die Brockhaus mit dem lange Jahre
allmächtigen Staatskanzler Preußens hatte, und wenn sich daran auch
zunächst keine weitern Folgen knüpften, während er später mit demselben
in für ihn sehr verhängnißvolle Conflicte gerieth, so ist in ihr doch
vielleicht die erste Ursache zu letztern zu suchen.
* * * * *
Nachdem Brockhaus die mit der Ostermesse zusammenhängenden Arbeiten
erledigt und seine Beziehungen mit den Buchhändlern, Buchdruckern
und Schriftstellern in Leipzig und dessen Nähe geordnet hatte,
ging er mit Eifer an die Regelung seines Geschäfts in Amsterdam.
Es war ein eigenthümliches Verhältniß: er selbst nebst seinem
vertrautesten Commis in Leipzig, mit der Absicht, hier zu
bleiben und seine Verlagsunternehmungen von diesem dazu so viel
geeignetern Mittelpunkte des deutschen Buchhandels aus zu leiten;
sein eigentliches buchhändlerisches Geschäft, wenigstens der den
Sortimentsbuchhandel betreffende Theil desselben, unter der Firma
Kunst- und Industrie-Comptoir fortwährend noch in Amsterdam, unter
der Leitung eines zweiten Gehülfen, Krieger, der durchaus nicht sein
volles Vertrauen besaß. Er blieb zwar bei seinem Entschlusse, das
amsterdamer Geschäft aufzulösen, und sah auch bald ein, daß es für
ihn am besten sei, den Sortimentsbuchhandel ganz aufzugeben und nur
das Verlagsgeschäft ganz nach Leipzig zu verlegen. Aber mit welchen
Schwierigkeiten war das verbunden, mit welchen unvermeidlichen
Verlusten! Er selbst mochte nicht wieder nach Amsterdam zurückkehren,
das ihm seit dem Tode seiner Frau und nach seiner letzten Krankheit
ganz verleidet worden war und wo ihm außerdem wegen des Hiltrop'schen
Processes und der früher von uns kurz erwähnten Geldgeschäfte
mit zwei französischen Emigranten persönliche Unannehmlichkeiten
drohten. Es blieb kein anderer Ausweg übrig: Bornträger mußte sich
entschließen, wieder nach Amsterdam zu gehen, um dort zu retten, was
noch zu retten war, die ausstehenden Forderungen einzutreiben und das
Sortimentsgeschäft bestmöglich zu verkaufen.
Aber auch dies hatte seine besondern Schwierigkeiten. Bornträger
erkannte in dem Antrage, den ihm Brockhaus machte, einen großen Beweis
von Vertrauen seitens seines Principals, die beste Anerkennung seiner
bisherigen Leistungen. Die Annahme schloß aber, ganz abgesehen von der
großen Verantwortlichkeit, eine persönliche Gefahr für ihn ein. Unter
seinem wirklichen Namen Bornträger in Amsterdam vielfach gekannt, sollte
er nun unter dem von ihm angenommenen Namen Friedrich Schmidt dort
auftreten, mit denselben Leuten in Berührung kommen, die sich seiner
aus der Zeit seines frühern dortigen Aufenthalts noch erinnern mußten,
und selbst die Vermittelung der Behörden in Anspruch nehmen. Wie leicht
konnte er von den Franzosen denuncirt werden und der ihm dann drohenden
harten Strafe als _conscrit réfractaire_ verfallen. Doch jugendlicher
Muth sowie Anhänglichkeit an seinen Principal, dem er sich vielfach
zu Dank verpflichtet fühlte und dessen verstorbener Frau er als seiner
mütterlichen Freundin das treueste Andenken bewahrte, bewogen ihn,
jenem Wunsche nachzugeben. Er verließ Leipzig und langte am 15. August
glücklich in Amsterdam an.
Schon am 7. August schreibt Brockhaus wieder an ihn, wenn auch, wie er
sagt, der Brief wol früher als der Empfänger in Amsterdam sein werde.
Er verspricht ihm, mit nächster Post eine provisorische Cessionsacte zu
schicken, wahrscheinlich damit Bornträger formell als Eigenthümer des
Geschäfts erscheine, und wünscht ihm Muth und Kraft.
Am 11. August schreibt er:
Es bedarf wol keiner Erinnerung von mir, daß da, wo sich Gelegenheit
findet, von meinen hiesigen jetzigen und künftigen Verhältnissen, wenn
auch gewiß nicht ruhmredig, doch mit einer gewissen _assurance_ und
Bedeutung muß gesprochen werden.
Am folgenden Tage bittet er ihn, in Amsterdam Niemand zu sagen, daß
er in Leipzig sei, sondern etwa, er wohne in Weimar oder Dresden.
Damit stimmt überein, wenn er ihn kurze Zeit darauf veranlaßt, in die
amsterdamer Blätter folgende Anzeige zu setzen:
Die jetzigen Zeitumstände und meine bekanntlich veränderten
häuslichen Verhältnisse bewegen mich, vor der Hand nicht persönlich
nach Amsterdam zurückzukehren. Indem ich meinen Freunden und Bekannten
hiervon Nachricht gebe, ersuche ich Diejenigen, welche noch etwa
Forderungen an mich haben möchten, solche Herrn N. N. aufzugeben,
durch welchen sie, wenn solche richtig, auch baldigst ihre Bezahlung
erhalten werden.
Weimar.
Friedrich Arnold Brockhaus.
Als Bevollmächtigter soll ein amsterdamer Advocat, den Bornträger
unter mehrern ihm vorgeschlagenen auszuwählen hat, genannt werden;
gleichzeitig soll Bornträger an alle Correspondenten des Geschäfts,
damit diese und das Publikum nicht glauben, als ob das Geschäft ganz
aufhören werde, ein Circular etwa folgenden Inhalts richten:
Amsterdam, .....
Herr Brockhaus, der seither unser hiesiges Sortimentsgeschäft
dirigirt hat, wird sich in Zukunft unserm Verlagsgeschäfte in
Deutschland widmen. Um Misverständnissen hierüber vorzubeugen,
zeigen wir hiermit an, daß hierdurch nicht die geringste Veränderung
in unserm hiesigen Geschäfte entstehen, sondern dasselbe mit der
nämlichen Thätigkeit wie seithero unter der Direction von dem
Mitunterzeichneten, Friedrich Bornträger genannt Schmidt, wird
fortgesetzt werden.
Friedrich Bornträger genannt
Schmidt wird unterzeichnen: Kunst- und Industrie-Comptoir.
Kunst- und Industrie-Comptoir.
Friedrich Schmidt.
Auffallend ist in diesen Veröffentlichungen, daß Bornträger's früher so
streng gehütete Pseudonymität auf einmal aufgegeben wird, und ferner,
daß Brockhaus Weimar statt Leipzig als seinen Aufenthaltsort angibt.
Letzteres hatte wol darin seinen Grund, daß er sich vor persönlichen
Behelligungen infolge der vorher erwähnten Processe schützen wollte.
Uebrigens war er auch noch nicht fest entschlossen, in Leipzig zu
bleiben; er schwankte zwischen mehrern Orten und schreibt in dieser Zeit
einmal an Bornträger: er wolle nächstens nach Berlin reisen, und es
sei auch gar nicht unwahrscheinlich, daß er sich vielleicht dort ganz
fixiren werde.
* * * * *
Brockhaus war seit Bornträger's Abreise aus Leipzig unablässig bemüht,
Klarheit in seine Verhältnisse zu bringen und vor allem über den Stand
des amsterdamer Geschäfts klar zu werden. Bornträger widmete sich zwar
der ihm übertragenen schweren Aufgabe mit vollem Eifer, vermochte sie
aber doch nicht vollständig zu lösen. Die ihm von Brockhaus übersandte
Cessionsurkunde trug er Bedenken zu unterzeichnen, obwol ihm sein
Principal wiederholt versicherte, daß dies ungefährlich sei und Niemand
dadurch benachtheiligt werde. Auch war der bisherige zweite Gehülfe
in Amsterdam, Krieger, von Bornträger bald nach seiner Rückkehr
in Brockhaus' Auftrage entlassen worden, da er seit des Letztern
Abreise von Amsterdam die dortigen Geschäfte durchaus nicht zu dessen
Zufriedenheit besorgt hatte, und Bornträger mochte Mühe haben, allein
fertig zu werden.
Unter diesen Umständen verwickelten sich die Verhältnisse immer mehr,
statt sich zu klären, und es entsprangen daraus auch für Brockhaus
persönliche Unannehmlichkeiten der gefährlichsten Art. Er hatte an die
Gleditsch'sche Buchhandlung in Leipzig einen auf sein amsterdamer Haus
ausgestellten Wechsel gegeben, der noch vor Bornträger's Ankunft in
Amsterdam präsentirt und von dem zweiten Gehülfen Krieger zurückgewiesen
wurde, obwol die Deckung dafür von Brockhaus eingesandt worden war.
Daraus entstanden die ärgerlichsten Verhandlungen, die schließlich
Brockhaus veranlaßten, am 17. September Leipzig zu verlassen und sich
nach Altenburg zu wenden.
* * * * *
So wurde nicht Leipzig, wie er gehofft hatte, sondern Altenburg der
Rettungshafen, in dem er Schutz suchte vor den auf ihn anstürmenden
Wogen, die sein kühn aufgebautes und mit Beharrlichkeit gegen mancherlei
Stürme glücklich vertheidigtes Lebensschiff plötzlich, als er schon ganz
nahe am Ziele zu sein glaubte, völlig zu Grunde zu richten drohten. Und
hier endlich, wo er mit kurzen Unterbrechungen die Zeit vom September
1810 bis Ostern 1817 zubrachte, sollte er, wenn auch nicht die ersehnte
Ruhe, die ihm überhaupt eigentlich nie im Leben beschieden war, doch den
festen Grund finden, auf dem er das Gebäude seines Geschäfts endlich
dauerhaft begründen konnte.
Zunächst freilich schlugen die Wogen fast über ihm zusammen, und diese
Zeit, wol die allertrübste seines schweren Lebens, haben wir noch vor
der Schilderung seiner Niederlassung in Altenburg vorzuführen. Sie
knüpft sich an den Namen einer Frau, die in verhängnißvoller Weise in
sein Leben eingriff.
3.
Beziehungen zur Hofräthin Spazier.
Als Brockhaus am 18. September 1810 Altenburg zum ersten male betrat,
geschah dies in Begleitung einer Freundin, an die er sich seit dem Tode
seiner Frau mehr und mehr angeschlossen, die während der letzten vier
Monate in Leipzig seine treue Beratherin gewesen war und ihn auch in der
Stunde der Gefahr nicht verließ. Es war dies die Hofräthin Spazier, die
bald seine erklärte Braut werden sollte.
* * * * *
Minna Spazier, mit ihrem vollen Vornamen Johanne Karoline Wilhelmine
und nach ihrem zweiten Manne gewöhnlich Uthe-Spazier genannt, von der
wir bisher meist nur als Herausgeberin des Taschenbuchs »Urania« zu
sprechen hatten, lebte seit dem Tode ihres Mannes, des am 19. Januar
1805 in Leipzig verstorbenen Hofraths _Dr._ Karl Spazier, Herausgebers
der »Zeitung für die elegante Welt«, zuerst in Neustrelitz, dann wieder
in Leipzig. Sie war die zweite Tochter des Geh. Tribunalraths Mayer in
Berlin und daselbst am 10. Mai 1779 (oder 1777) geboren. Ihre ältere
Schwester, Karoline, war an Jean Paul Friedrich Richter in Baireuth
verheirathet, die jüngere, Ernestine, die aber schon 1805 starb, an den
Hofrath August Mahlmann in Leipzig, der nach dem Tode seines Schwagers
Spazier die »Zeitung für die elegante Welt«, später (1810-18) zugleich
die »Leipziger Zeitung« redigirte und sich auch als Dichter einen Namen
gemacht hat. Mit ihren beiden Schwägern stand sie in guten Beziehungen,
und wurde von ihnen auch in ihrer literarischen Thätigkeit unterstützt.
Sie war Mitarbeiterin an verschiedenen Zeitschriften, gab seit 1801
das »Taschenbuch der Liebe und Freundschaft« heraus, redigirte die
ersten beiden Jahrgänge (1810 und 1812) des von Brockhaus begründeten
Taschenbuchs »Urania«, übersetzte die von Frau von Staël französisch
herausgegebenen »Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl
von Ligne« (Leipzig 1812) und die »Briefe der Lespinasse« (2 Bände,
Elberfeld 1810), die von Jean Paul günstig recensirt wurden, und gab
später auch eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel: »Sinngrün,
eine Folge romantischer Erzählungen, mit Theilnahme Jean Paul Richter's
und einiger deutscher Frauen Unterstützung« (Berlin 1819) heraus. In
Leipzig bewegte sie sich in den literarischen Kreisen und war namentlich
mit dem als Uebersetzer bekannten Adolf Wagner (dem Onkel Richard
Wagner's) und dem Dichter August Apel befreundet.
Auch mit Varnhagen von Ense und dessen Gattin Rahel war sie näher
bekannt. Ersterer[39] schildert sie (1807) als »eine schriftstellernde,
lebhafte, liebenswürdige, nicht gleichgültig lassende Frau« und fügt
hinzu:
Sie bekannte mir ihre ganze Lage, wie ihr Witwenstand sie dazu
dränge, sich irgendwo wieder anzuschließen, wie sie einige Bande
leichter Neigung festzuhalten gesucht, aber noch unentschieden
zwischen mehrern schwanke, die einstweilen gleicherweise von ihr
begünstigt wurden; auch ich sollte diese Begünstigung erfahren und
an solchem Band oder Bändchen mich gehalten fühlen, allein ich war
durch so viele scharfe Geschichten abgehärtet genug, um diesmal ohne
Zagen die noch schwachen Fäden gleich wieder abzureißen, obgleich mehr
gebunden war und zerrissen wurde, als ich damals ahndete und nachher
glauben wollte.
Außer durch reichen Geist und Liebenswürdigkeit war sie auch durch
hervorragende Schönheit ausgezeichnet.
Brockhaus hatte sie schon im Herbste 1808, als er Leipzig zum ersten
male als Buchhändler besuchte, kennen gelernt und, wie es scheint,
schon damals mit ihr wegen Herausgabe der »Urania« verhandelt. In einem
von ihm an Bornträger in Leipzig gerichteten Briefe aus Amsterdam vom
27. Februar 1809 finden wir sie zum ersten male erwähnt. Während der
Ostermesse 1809 verkehrte er viel mit ihr in Leipzig wegen der »Urania«.
Als Bornträger im Spätherbst 1809 wieder nach Leipzig reist, schickt
Brockhaus wichtige Geschäftsbriefe statt an seinen bisherigen dortigen
Commissionär Weigel an seine »Freundin«, die Hofräthin Spazier, und
weist Bornträger an, die Briefe bei ihr in Empfang zu nehmen. Der
betreffende Brief an Bornträger ist am 30. November 1809, also kurz
vor dem (am 8. December) erfolgten Tode seiner Frau geschrieben, und
bald nach diesem, in den früher von uns erwähnten Briefen vom 19. und
23. December, nennt er sie seine »wahre Freundin«, der Bornträger ganz
vertrauen könne, und fordert ihn auf, in Leipzig zunächst Niemand als
sie zu besuchen.
Bornträger scheint ihr indeß doch nicht so vollständig wie Brockhaus
vertraut und diesen selbst vor ihr gewarnt zu haben, namentlich wol
unter Hinweisung auf ihren, auch von Varnhagen erwähnten vertrauten
Verkehr mit Andern. Darauf bezieht sich folgende Antwort von Brockhaus
in einem Briefe vom 21. Januar 1810:
Ich habe noch ein Wort im Vertrauen mit Ihnen zu sprechen über mein
Verhältniß zur Hofräthin. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß
dies Verhältniß sehr innig sein müsse. Dies ist es. Ich glaube an ihr
eine treue und edle Freundin zu haben im ganzen Umfange des Worts.
Ich bin von Weibern und Männern in der Welt oft getäuscht worden,
ich glaube nicht, daß sie mich täuschen wird. Ich weiß es, daß ihr,
wie fast Jedem widerfährt, der sich von der Landstraße des Gemeinen
entfernt, vom geschwätzigen Publikum vieles Ueble nachgesagt wird
oder ist nachgesagt worden, und ich glaube selbst, daß Manches davon
nicht ungegründet sein mag. Mich kümmert das aber nicht. Ich werfe
darum keinen Stein auf sie, sondern frage nur: ist sie dir als treue
und biedere Freundin getreu? Ist und bleibt sie das, so kümmert mich
nichts weiter.
Ihre Sorge, guter Bornträger, sei nur, dieses zu beobachten. Finden
Sie dies nach Ihrem unbefangenen Sinne bestätigt, so vertrauen Sie
ihr, wie ich ihr vertraut habe und noch vertraue. Finden Sie es aber
nur nach Ihrer Ansicht anders, so überlasse ich Ihnen, wie Sie handeln
wollen, und mache Ihnen nur das zur Pflicht, mich nicht eher von
Ihren Gegenideen zu unterhalten, bis Sie eine wenigstens relative Art
von Gewißheit über diese Ansichten möchten erworben haben.
Noch füge ich hinzu, daß mein Verhältniß zur Hofräthin in Zukunft
nie einen andern Charakter erhalten kann, als den es jetzt hat.
Nach diesem Briefe dachte Brockhaus damals gewiß noch nicht daran, Frau
Spazier zu heirathen. Noch deutlicher geht dies aus einem folgenden
Briefe vom 16. März hervor, in dem es heißt: Er beabsichtige in Leipzig
wieder eine kleine Haushaltung anzufangen und zwei seiner (eben in
Dortmund untergebrachten) Kinder abwechselnd um sich zu haben, wozu er
eine Haushälterin suche, die gebildet genug sei, auch das häusliche
Leben etwas erheitern zu können; heirathen werde er nicht wieder, aus
Gemüths- und aus Verstandesgründen.
In einem der nächsten Briefe freut er sich, Bornträger melden zu können,
daß die Hofräthin auch ihn, der mit ihr so viel zu verkehren hatte,
liebgewonnen habe. Freilich findet sich auch einmal ein Zeichen von
Mistrauen gegen sie, indem er unterm 1. Mai 1810 schreibt:
Die Entschuldigung der Hofräthin gegen Varnhagen war nicht edel,
und nur eigene drückende Verlegenheit kann sie dafür entschuldigen in
etwas. Ich vertraue auf die Hofräthin viel, ob zu viel, wird die Zeit
würdigen.
Seit seiner bald nach diesem Briefe in den ersten Tagen des Mai
erfolgten Ankunft in Leipzig trat er allerdings in ein näheres
Verhältniß zu ihr; aus dieser Zeit, bis zu der Anfang August erfolgten
Abreise Bornträger's nach Amsterdam, fehlt indeß jede intimere
Correspondenz, die darüber Aufschluß geben könnte. Jedenfalls war er
bald darauf fest entschlossen, sie zu heirathen. Schon in dem ersten an
Bornträger nach Amsterdam gerichteten Briefe vom 7. August heißt es:
»Minna und ich werden Ihnen ewig danken, wenn Sie dort mit Mannessinn
handeln«; am 11. August schreibt er: »Sobald wir hier einigermaßen
rangirt sind, reisen wir bestimmt nach Berlin« (wo ihr Vater wohnte),
und trägt Bornträger auf, aus den Musikvorräthen des amsterdamer
Sortimentsgeschäfts zu schicken »was für Minna's Studien paßt«,
besonders Guitarrenmusik; am 25. August endlich sagt er: »Von Berlin
haben wir von Minna's Vater sehr angenehme Nachrichten jetzt, und wir
wünschten nun bald hinreisen zu können.«
Bornträger machte den Versuch, ihn von der Heirath, der er von Anfang
an entgegen war, abzuhalten, und wählte dazu ein Mittel, das er bei dem
ihm wohlbekannten edeln Charakter seines Principals für das wirksamste
halten mochte.
Er schrieb ihm in einem Briefe (dessen Concept uns jedoch nur vorliegt):
Nun noch eine Bitte, die nicht mich betrifft, die ich aber auf die
Gefahr, Sie zu erzürnen, wage, die Sie aber lesen müssen.
Niemand kann den Werth der Frau, die Sie an Ihr Leben und Ihr
Schicksal fesseln wollen, besser erkennen als Sie, und Niemand kann
den Stand Ihrer eigenen Geschäfte wieder besser kennen als Sie. Seien
Sie einmal ehrlich gegen sich selbst und thun Sie nicht eher einen
Schritt, von dem das Glück eben dieser Frau ganz abhängt, als bis Sie
sicher sind, daß Ihnen Beiden kein Unglück mehr droht. Sie wissen, wie
Vieles noch unentschieden ist. Sie wissen, wie viel auf dem Spiele
steht. Warten Sie den Erfolg erst ab, ehe Sie handeln -- wie edel
und wie uneigennützig die Frau denkt, wissen Sie; sollte sie es wol
verdienen, dieses Alles büßen zu müssen?
Brockhaus antwortete auf diese wohlgemeinte und verständige Warnung zwar
nicht erzürnt, aber doch ausweichend unterm 28. August:
In dem, was Sie mir über Minna sagen, erkenne ich Ihr gefühlvolles
theilnehmendes Freundesgemüth. Ich danke Ihnen dafür. Ich vertraue
und glaube, Alles wird wohl werden. Nur Muth, Thätigkeit und festes
Wollen, moralisch gut zu handeln! Ich und Minna vertrauen für dort auf
Sie. Vertrauen Sie auf uns!
Am 1. September meldet er: »Minna ist diese Woche recht krank gewesen,
seit heute aber wieder wohler«, und einige Tage darauf fügt er hinzu:
»Mit unserer Heirath eilt es und eilen wir nicht.«
* * * * *
So standen die Sachen, als sich Brockhaus am 17. September 1810
entschloß, Leipzig zu verlassen und nach Altenburg überzusiedeln.
Wir knüpfen hier den früher unterbrochenen Faden der Erzählung seiner
nächsten Lebensschicksale wieder an.
Brockhaus schreibt an Bornträger noch an jenem Tage aus Leipzig in einer
Nachschrift zu einem längern Briefe:
Unsere Schicksalsstunde hat geschlagen .... Wir reisen diese Nacht
ab. Nach Altenburg. Gott erhalte uns und die edle Minna, die wie eine
Römerin jetzt begeistert ihr Schicksal zu dem meinigen machen will.
Nur als meine Gattin kann Minna mein Schicksal theilen. Wir werden
thun, was denkbar ist, aber das Schicksal ist schwer.
In Altenburg kannte Brockhaus den Kammerverwalter Ludwig (mit dem er
1808 in Leipzig zusammengetroffen war), den Buchhändler _Dr._ Pierer
und den Kriegsrath von Cölln, der jetzt hier lebte und den er erst
kurz vorher in Leipzig persönlich kennen gelernt hatte, obwol er an
dem Verlage seiner »Vertrauten Briefe über den preußischen Hof« mit
betheiligt war. Er schreibt über ihn:
Dieser ist ein tüchtiger Mensch und voller _liaisons_ und Ideen. Auf
seine Verlagsanerbietungen sind wir nicht entrirt und sind darum um so
freier. Er hat sich aber sonst sehr an uns attachirt, und seine genaue
Freundschaft mit Schnorr[40] ist uns auch Bürge mit, daß er ein in sich
rechtlicher Mensch ist.
Mit diesen Männern, die ihn sehr freundlich aufnahmen, und mit dem
Hofgerichtsadvocaten Ferdinand Hempel, den ihm Pierer zuführte und
der bald sein vertrautester Freund und Rathgeber wurde, besprach
Brockhaus seine Lage, und ihrem Rathe folgend entschloß er sich zu dem
verzweifelten, aber den Umständen nach gerechtfertigten und praktischen
Ausweg: sein Geschäft an seine zukünftige Braut zu verkaufen. Er glaubte
sich dann mit seinen Creditoren leichter arrangiren zu können, ohne
befürchten zu müssen, durch sofortiges Einschreiten einzelner derselben
der Möglichkeit, alle zu befriedigen, beraubt zu werden. Der Kaufvertrag
wurde am 5. resp. 6. October abgeschlossen, Kammerverwalter Ludwig zum
Curator der neuen Besitzerin, Hempel zu Brockhaus' Vertreter ernannt.
Die Betheiligten reisten nach Leipzig, um die Uebergabe des Geschäfts an
die neue Besitzerin zu vollziehen, zuerst Ludwig mit Frau Spazier, am
nächsten Tage Hempel, einen Tag später Brockhaus selbst. Die Uebergabe
ging ohne besondere Schwierigkeiten von statten.
Die hierüber erlassenen Anzeigen und Circulare dürfen als zur Geschichte
der Firma F. A. Brockhaus gehörig, zumal das Geschäft dadurch sogar
eine neue Firma erhalten sollte, an dieser Stelle nicht fehlen, obwol
zweifelhaft ist, ob sie in die Oeffentlichkeit gelangten, und es
außerdem nur ein Scheinkauf war, der bereits zehn Tage darauf, am 16.
October, von den Betheiligten wieder aufgehoben wurde.
Die zwei in Altenburg gedruckten Anzeigen, die uns in dem von Brockhaus
an Bornträger gesandten Exemplare (in Circularform) vorliegen, lauten:
Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810.
Als Eigenthümer der unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir,
bekannten Verlags- und Sortiments-Buchhandlung zeige ich hiermit
an, daß ich diese Handlung mit allen Vorräthen, Verlags-Rechten und
sämmtlichen Activ-Schulden an die Witwe Hofräthin Spazier, geb. Mayer,
verkauft habe; hiernächst aber die Liquidation der Passiven, insofern
diese nicht durch Gegenrechnungen, so weit sich solche bis _à dato_ in
den Handlungsbüchern verzeichnet finden, ausgeglichen werden könnten,
mir selbst vorbehalte.
Friedrich Arnold Brockhaus.
-----
Amsterdam und Leipzig, den 6. October 1810.
Indem ich Obiges bestätige, füge ich hinzu, daß in Verbindung mit
mehrern Freunden eine neue Buchhandlung, unter der Firma:
Typographisch-litterarisches Institut
in Amsterdam und Leipzig,
errichtet ist, von welcher Firma hinführo der seitherige Verlag des
Kunst- und Industrie-Comptoirs allein wird zu erhalten sein.
Es verbittet sich dies neue Geschäft jedoch einstweilen, bei den
in Holland eintretenden Veränderungen in Rücksicht des deutschen
Buchhandels, alle und jede Zusendung von Novitäten, bis es darüber
etwas Näheres anzeigen wird, und begnügt es sich vorläufig mit dem
Empfange der Continuationen, um deren prompte Zusendung gebeten wird.
Was die Sortiments-Handlung des neuen Geschäfts gebrauchen möchte,
wird es für feste Rechnung verlangen.
Das, was von heute an noch für das Kunst- und Industrie-Comptoir
eingeht, wird von dem Typographisch-litterarischen Institute
verrechnet werden.
Die Herren W. Rein und Comp. in Leipzig haben die Güte, die
Commission für dieses neue Geschäft zu übernehmen, und ich ersuche
dieserhalb, die mir als Käuferin des Kunst- und Industrie-Comptoirs
competirenden Saldo-Reste und alles Weitere diesen unsern
Commissionärs zuzustellen.
Johanne Caroline Wilhelmine, Witwe Hofräthin Spazier,
geb. Mayer.
-----
Das in Amsterdam gleichzeitig in deutscher und holländischer Fassung
gedruckte Circular lautet in ersterer:
Leipzig und Amsterdam, 5. October 1810.
Ich zeige Ihnen hiermit an, daß ich die Direction und meinen
Theil an dem seit 1806 hier in Amsterdam wie in Leipzig, unter
der Firma von Kunst- und Industrie-Comptoir, bestanden habenden
Buchhandlungs-Etablissement abgegeben und an die Hofräthin Witwe Joh.
Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer, unter heutigem Dato verkauft habe,
wodurch diese alleinige Eigenthümerin beider Geschäfte mit allen
Vorräthen, Verlagsrechten und ausstehenden Activ-Schulden geworden ist.
F. A. Brockhaus.
-----
Indem ich Obiges bestätige und hinzufüge, daß ich für Amsterdam
Herrn F. Schmidt zu meinem Commissionär ernannt, und ihn mit allen
nöthigen notariellen Vollmachten versehen habe, an den Sie sich also
von jetzt an, in Rücksicht alles dessen was Ihre Verhältnisse zum
ehemaligen Kunst- und Industrie-Comptoir betrifft allein wenden, und
dem, was von ihm darin geschieht, ganzen Glauben beimessen wollen,
zeige ich zugleich an, daß ich künftig allein das Verlagsgeschäft
und zwar unter der Firma Typographisch-litterarisches Institut
in Leipzig fortführen, hingegen die in Amsterdam bestehende
Sortiments-Buchhandlung aufheben werde, weil der deutsche Buchhandel
durch die franz. Gesetze sehr beschränkt und gehemmt werden wird, und
derselbe ohne gänzliche Freiheit nicht mit Vortheil bestehen kann.
Um nun mein daselbst vorhandenes großes Lager noch möglichst
verkleinern zu können, biete ich Ihnen hierdurch alles ohne Ausnahme,
was Sie noch von den vorräthigen Artikeln, nach unsern bereits
erhaltenen Katalogen, zu acquiriren wünschen, gegen comptante Zahlung
mit 33 1/3 p. Ct. Rabatt an, doch erbitte ich mir Ihre Orders so bald
als möglich, da sie späterhin nicht gut mehr möchten ausgeführt werden
können.
Joh. Carol. Wilh. Spazier, geb. Mayer.
-----
Mit vollem Rechte konnte Brockhaus am 21. October an Bornträger
schreiben: der kühne Schritt sei gelungen und das Geschäft gerettet;
jedermann habe eingesehen, daß der Verkauf fingirt sei; derselbe habe
deshalb gesetzmäßig umgestoßen werden können, wenn man den Verdacht der
Insolvenz gehegt hätte, das sei aber glücklicherweise nicht der Fall,
wie auch kein Grund irgendwelcher Art zu einem solchen Verdacht vorliege.
Ueber die Einwirkung aller dieser Verhältnisse auf seine dadurch
scheinbar so viel näher gerückte Heirath schreibt Brockhaus an
Bornträger unterm 14. October:
Was unter diesen Umständen aus unserer Verbindung werden wird, weiß
Gott! Es versteht sich von selbst, daß sie nicht eher statthaben darf,
bis sie einigermaßen geordnet sind. Für mich fürchte ich in Rücksicht
meiner Gesinnungen nichts, da mir Minna theurer wie mein Leben ist
und ich höchst unglücklich sein würde, wenn ich sie verlöre. Von der
andern Seite denke ich aber auch zu zart, als daß ich auch nur auf die
leiseste Weise Ueberredung gebrauchen möchte, im Fall ich auch nur
einigermaßen ahnden könnte, als seien ihre Gesinnungen und ihre Liebe
verändert. Ich begreife vollkommen, wie diese Geschichten alle auf sie
influenciren müssen, und wie es geschäftige Rathgeber geben wird, die
ihr die Verhältnisse und mich mit Farben darstellen, die sie sicher
ängstlich machen müssen. Haben sich solche Rathgeber ja auch bei mir
eingefunden in Rücksicht auf sie. Man muß ihre und meine Verhältnisse
so genau und in allen ihren hundertfältigen Beziehungen kennen, als
Sie es thun, muß wissen, wie isolirt und verloren wir Beide standen
und getrennt wieder stehen würden, man muß unsere achtzehnmonatliche
genaue und innige Freundschaft kennen, man muß dies Alles genau
wissen, um unser Verhältniß ganz würdigen zu können ....
Ich werde Minna nie freiwillig und aus Gründen, die in mir selbst
liegen könnten, verlassen. Ich kann es nicht, und ich würde es für
ein Verbrechen halten, wenn ich es wollen könnte. Aber ich werde sie
verlassen, sobald sie es wünscht, und gehe ich darüber auch, wie
ich voraussehe, ganz zu Grunde. Dies habe ich ihr auch mehrmalen in
schweren Momenten gesagt! Sie hat bisher immer erklärt, daß sie ihr
Leben dem meinigen unzertrennlich anschließen werde. Wenn das ihre
Gesinnung bleibt, so glaube ich, daß Alles wohl und gut enden werde
und enden könne. Voneinander getrennt, glaube ich aber, daß sie wie
ich moralisch und bürgerlich werden zu Grunde gehen ....
Noch gereicht mir sehr zur Beruhigung, daß ich auch bei aller meiner
innigen Liebe, ja Anbetung für sie mich dennoch lange, wie Sie es
selbst wissen, sehr lange gesträubt habe, ehe ich zu einer Verbindung
mich entschlossen habe, und daß die Initiativen dazu nicht von mir,
sondern von ihr selbst ausgegangen sind. Auch hat sie das Verhältniß
meiner Handlung im ganzen gekannt wie es ist.
Nach einigen Wochen, die er in der eifrigsten Thätigkeit für Ordnung
seiner Angelegenheiten und in angenehmem Verkehr mit seinen neuen
Bekannten in Altenburg verbrachte, äußert er gegen Bornträger unterm 10.
November:
Ich habe Ihnen letzthin viel über meine und Minna's Verhältnisse
geschrieben. Sie haben sich wieder enger als je geknüpft, und sobald
die bürgerlichen Schwierigkeiten besiegt sind, werden wir heirathen.
Seit acht Tagen leidet sie erstaunlich an Krämpfen, ist seit heute
etwas wohler, aber noch unendlich krank und schwach.
Uebrigens sind wir sehr geneigt, wenn Alles erträglich geht, uns
hier zu fixiren. Altenburg ist ein Ort von circa 10-12000 Einwohnern,
wo sich die Langeweile der ganz kleinen Städte nicht findet und
wirklich ein sehr angenehmer Ton herrscht. Es gibt höchst interessante
Cirkel, und Minna, die in mehrern Jahren in Leipzig beinahe keinen
Menschen mehr sah, ist wie in einer neuen Welt, wo sie durch ihre
Talente und ihren Geist sehr geschätzt ist. Das Reichenbach'sche Haus,
mit Reichenbach's zwei höchst interessanten verheiratheten Schwestern,
einer Madame Hoffmann und Madame Pierer, und das von Ludwig, der
einen Engel an Weib und reich an Talenten zur Frau hat, bilden den
Centralpunkt der bessern gesellschaftlichen Cirkel, worin Minna auch
aufgenommen ist und ich es bin, wie ich es wollen werde. Man kann mit
1000 Thlr. hier ein ganz anständiges Haus machen und wird nicht blos,
wie in Amsterdam und in Leipzig, nach dem, was man mit Geld wiegt,
gewogen. Ueberhaupt ist das Land von allen Kriegsverheerungen beinahe
ganz verschont geblieben und ist unter der sanften Gothaischen
Regierung wol noch eins der glücklichsten Ländchen, die es in dem
jetzigen Sturme aller Verwirrung geben mag.
So aufs neue Hoffnung schöpfend und mitten unter Stürmen dem ihm
vorschwebenden bescheidenen Ziele ganz nahe, wurde Brockhaus abermals
und in der entsetzlichsten Weise vom Schicksale getroffen, das wie ein
Blitz aus der schwülen Luft, die ihn umgab, herniederfuhr: seine Braut
-- wurde wahnsinnig! Und wenn sie auch wieder genesen sollte, sie war
auf immer für ihn verloren!
Mit ergreifenden Worten schildert er selbst diese Vorgänge in einem
Briefe an Bornträger vom 21. November:
Wo soll ich Worte hernehmen, um Ihnen den namenlosen Jammer
auszudrücken, worin ich gestürzt bin! O Gott! welch ein fürchterliches
Schicksal verfolgt mich, und wie wird sich Alles noch enden! Mein
letzter Brief an Sie war vom 9./11. November. Seit der Schreibung
desselben habe ich von Ihnen auch weiter keine Nachrichten erhalten,
sodaß also wohl morgen mehrere Briefe zusammen von Ihnen eintreffen
werden. Aber wo würde ich auch den Muth und die Zeit hergenommen
haben, Ihnen etwas sagen zu können? Wo nehme ich ihn jetzt her, am
Abend der fürchterlichsten Katastrophe meines Lebens?
Schon in meinem letzten Briefe muß ich Ihnen gesagt haben, daß
Minna krank sei. Sie ist es geblieben -- sie ist es noch -- sie ist
-- entsetzen Sie sich nicht -- sie ist -- wahnsinnig! Ich vermag
es nicht, Ihnen den ganzen Hergang der fürchterlichen Krankheit zu
erzählen. Etwa gegen den 1. d. M. fing es mit einem Gliederreißen
an. Aus dem Gliederreißen wurde ein rheumatisches Fieber; dieses
artete in ein nervöses aus, es kamen hysterische Zufälle -- lebhaftes
Phantasiren -- Irrereden hinzu, und dies Alles hat mit dem Zustande
geendet, den ich Ihnen oben genannt habe, nicht aber nochmal nennen
kann. Ob eine Heilung möglich ist, steht dahin, das jetzt Factische
ist da, und mir ist jenes unwahrscheinlich -- aus psychologischen
Gründen. Wir haben täglich die rührendsten und herzerschütterndsten
Auftritte, aber auch die entsetzlichsten, wie die wildeste Phantasie
sie sich nur schaffen kann. Einer der entsetzlichsten hatte in der
Nacht vom Sonntag auf Montag statt, wo außer sonstigen Wächtern
Madame Ludwig -- ein Engel von Weib -- mit mir, der seit 16 Tagen
jetzt nicht aus den Kleidern gekommen, die oberste Wache hatte, und
wo sie einen heftigen Anfall von Wuth bekam, daß ich in Gefahr war
erdrosselt zu werden -- daß sie wüthend um sich und Emma in den Hals
biß -- und nachdem ich eine Viertelstunde lang den schrecklichsten
Kampf mit ihr gekämpft hatte, in dem Gott mich wunderbar stärkte,
und nachdem endlich Hülfe kam, sechs Männer es kaum vermochten,
sie zu bändigen, um sie binden zu können. Diese Anfälle haben sich
wiederholt, wenn auch mit minderer Stärke, sodaß wir wieder gewagt
haben, zu ihr zu gehen. Heute hat aber wieder ein Zufall stattgehabt,
der es mir verbietet und unmöglich macht, wieder zu ihr zu gehen,
wenigstens einstweilen nicht. Ein Charakter ihres Wahnsinns war
seither die außerordentlichste Liebe und Anhänglichkeit zu mir, sodaß
ich durch Zureden Alles vermochte, und meine nothwendigen, wenn auch
nur augenblicklichen Entfernungen immer die rührendsten Erscheinungen
hervorbrachten. Heute aber, gerade zu Mittag, wo ich mit Emma, einem
Wächter und unserm Hauswirthe bei ihr war, bekam sie einen Anfall, der
zunächst auf mich gerichtet war, und wo sie auf mich einstürzte, mich
anzufallen wagte, und mit geballten Händen auf mich einschlug, daß
Ströme Blut mir aus der Nase stürzten. Nur mit Mühe gelang es uns, sie
zu binden! Ich sehe sie seitdem nicht wieder und werde es einstweilen
nicht thun.
Auch von der Möglichkeit ihrer Genesung abgesehen, könnte Minna doch
nie -- mein Weib mehr werden. In einer Stunde, die sie glaubte ihre
Todesstunde werden zu sollen, hat sie mir über alle ihre seitherigen
Verhältnisse die vollständigsten Aufschlüsse gegeben und mir die
schriftlichen Belege darüber zu Händen gestellt! Diese Aufschlüsse
machen es mir unmöglich -- ihr je meine Hand zu geben! O Gott, aus
welchem Himmel bin ich gestürzt! Wie bin ich argloser, gutmüthiger
Mensch getäuscht, betrogen, hintergangen worden! Diese Aufschlüsse
kann ich Ihnen vielleicht -- und nur Ihnen -- einst mittheilen,
wenn, wie ich wünschen muß, Minna sterben sollte! O Gott -- Gott --
was habe ich in diesen vierzehn Tagen erfahren, geduldet, erlitten!
Welch einen Jammer, welch ein Zerreißen in meinem Innern! Diese
fürchterlichen Entdeckungen in Minna's Geschichte haben aber auf mein
äußeres Benehmen gegen sie in ihrem Unglück ebenso wenig Einfluß
gehabt, als sie mich auch sonst nicht bestimmen werden, wenn sie leben
bleibt, meine Hand von ihr abzuziehen. Aber für mich ist sie für immer
verloren! Denken Sie sich zu diesen meinen Empfindungen nun auch die
über ihren jetzigen Seelenzustand oder ihre Krankheit! Ich bin der
unglücklichste aller Menschen!
Unser bürgerliches Verhältniß ist regulirt durch ihr Testament, das
sie ein paar Stunden nach jenen Entdeckungen machte, und durch einen
Rückkauf.
Sonst ist durch diese Vorfälle Alles in Stocken gerathen, und kein
Circular weder ausgegeben, noch sonst das Geringste gethan worden. Sie
können sich die ganze Verwirrung denken ....
Adieu, guter Schmidt! Gott stärke Sie und mich!
Ihr unglücklicher Brockhaus.
Vor allem hielt es Brockhaus für seine Pflicht, dem Vater Minna's,
Geh. Tribunalrath Mayer in Berlin, gleich Nachricht über das traurige
Schicksal der Tochter zu geben. Indeß konnte er es nicht über das Herz
bringen, ihm auch sofort die Auflösung der Verlobung mit ihr anzuzeigen,
zumal noch nicht entschieden war, ob nicht der Tod die versöhnendste
und für alle Theile wünschenswertheste Lösung der traurigen Katastrophe
herbeiführen werde.
Er schrieb an ihn unterm 28. November:
Hochwohlgebohrner Herr Geheimerrath!
Es ist für mich diesmal die traurigste aller Veranlassungen, die
mich zu einer Unterhaltung mit Ew. führt. Anstatt, wie ich hoffte und
wie es mein innigster Wunsch war, Ihnen in diesem Briefe Nachricht
von dem Abschluß meiner ehelichen Verbindung mit Ihrer Frau Tochter
geben zu können, wozu Sie die Güte gehabt haben, Ihre väterliche
Einwilligung zu ertheilen, muß er leider Nachrichten enthalten, die
Ihrem väterlichen Herzen sehr wehe thun werden.
Aus dem letzten Briefe Minna's wissen Sie zum Theil die
Schwierigkeiten, die unserer Verbindung in bürgerlicher Hinsicht
noch entgegenstanden, kennen jedoch auch die Unwandelbarkeit meiner
und ihrer Gesinnungen, und daß wir mit Sehnsucht dem Tage entgegen
verlangten, der uns für dieses Leben aufs innigste verbinden sollte,
und daß wir uns gegenwärtig nur mit den Mitteln beschäftigten, jene
Schwierigkeiten zu beseitigen und für unser künftiges Leben die
dauerhaftesten Grundlagen zu beiderseitigem Glücke zu legen.
Ihre Frau Tochter hat Ihnen zugleich, wie sie mir gesagt hat, die
Veranlassung unsers hiesigen Aufenthalts mitgetheilt, Sie auch von
den Geschäftsverhältnissen unterrichtet, die bereits zwischen uns zum
allgemeinen und beiderseitigen Besten getroffen waren; sie hat mir
die nähere Angabe und Entwickelung von diesem Allen überlassen, und
würde ich mich -- da es mir zum Vergnügen gereichen muß -- darüber
auch schon gegen Ew. umständlich erklärt haben, wenn nicht die kurz
nachher eingetretene Krankheit meiner theuern Freundin alle meine
Aufmerksamkeit erfordert und mir jede andere Beschäftigung als die mit
der geliebten Kranken unmöglich gemacht hätte. Dieser ihr Zustand ist
auch jetzt noch so bedenklich, daß ich mich billig und allein hierüber
mit Ew. unterhalten darf.
Dieser Krankheitszustand dauert jetzt schon in die vierte Woche,
und würden sowol ich als die übrigen edeln Freunde der Tochter dem
liebenden Vater längst Nachricht hiervon gegeben haben, wenn nicht
der Zustand selbst von einer so delicaten Natur gewesen wäre, daß
wir uns Alle nur sehr ungern darüber erklären können und wir, die
wir täglich Besserung oder Linderung erwarteten, diese auch nicht
unmöglich war, wünschen mußten, mit der Nachricht von der Krankheit
auch die von Aussichten zur Besserung geben zu können. Wirklich
scheint jetzt einige Besserung einzutreten, und ich beeile mich daher
in Verbindung mit einem andern Freunde, dem Herrn Kammerverwalter
Ludwig, der die Güte hat über Minna hier die Curatel zu übernehmen --
welches nach hiesigen Landesgesetzen bei dem bürgerlichen Transact,
der zwischen ihr und mir am 6. October abgeschlossen wurde und von
welchem ich Ew., wie schon erwähnt, gelegentlich nähere Kenntniß geben
werde, nöthig war -- Ihnen alle die Nachrichten zu ertheilen, welche
den Krankheitszustand Ihrer Frau Tochter betreffen.
Dieser äußerte sich zuerst zu Anfange dieses Monats durch ein
heftiges Gliederreißen, dem sie einestheils wol nicht zweckmäßig
begegnete, als es auch eben nicht sehr achtete, und es war bei der
diesjährigen allgemeinen Disposition zu rheumatischen Krankheiten
daher nicht zu verwundern, daß bald ein heftiges rheumatisches
Fieber eintrat. Unerachtet der sorgfältigsten ärztlichen Hülfe und
Freundespflege verschlimmerte sich der Zustand steigend und nahm die
mannichfaltigsten Formen an. Die außerordentliche Nervenreizbarkeit,
ein sehr afficirtes und bewegtes Gemüth und die unendlich lebhafte
Phantasie der Kranken war wol mit die Ursache, daß der rheumatische
Zustand noch mit den heftigsten Krämpfen begleitet wurde -- daß sehr
bestimmte und bedenkliche Nervenzufälle eintraten, die bald ein
Irrereden und endlich eine gänzliche Geistesverwirrung herbeiführten.
So unendlich schmerzhaft es mir ist, Ew. diese Nachrichten geben zu
müssen, so erfordert es doch meine Pflicht, darin nichts Wesentliches
zu verschweigen, und ich darf es Ihnen selbst nicht verhehlen, daß
die Aerzte sich bisjetzt darüber noch nicht entschieden haben, ob bei
etwaiger Genesung des Körpers die Vernunft wieder ganz zurückkehren
werde oder wenigstens nicht Recidive zu erwarten seien. In diesem
Augenblicke hat die Kranke nur noch mäßiges Fieber, die Krämpfe sind
dagegen noch sehr lebhaft und erregen immer außerordentliche innere
Beängstigung. Schlaf ist selten und war noch nie beruhigend, sondern
nur immer ein Vorläufer großer Bewegung. Die Geistesverwirrung hat
seit zwei Tagen wieder wilde und excentrische Ausbrüche und ist mehr
fortwährendes Irrereden, obgleich es auch Momente gibt, wo sie den
ganzen Gebrauch ihrer Vernunft zu haben scheint.
Von unserm allgemeinen Jammer und dem meinigen insbesondere will ich
den liebenden Vater hier nicht unterhalten, ihm aber die Beruhigung
geben, daß die unglückliche Kranke der allerherzlichsten Pflege
genießt, daß sie einen vortrefflichen Arzt hat, und daß von mir und
ihren edeln Freunden hier auch nichts versäumt wird, was ihr Zustand
verlangen und die zärtlichste Sorgfalt erfordern möchte.
Ich werde es mir von jetzt an zur Pflicht machen, Ihnen von jeder
Veränderung im Guten und im Schlimmen Nachricht zu geben, und hoffe
ich, daß die jetzigen leisen Spuren eines verbesserten Zustandes sich
weiter entwickeln werden, ich also nur Nachrichten im Guten werde zu
melden haben ....
Emma ist immer um die Mutter und gewährt ihr vielen Trost; das
Schicksal der Kinder beschäftigt die arme Kranke oft selbst in
erregten Momenten.
Lassen Sie uns zur Vorsehung hoffen, daß Besserung zurückkehren
und Alles gut enden werde; vielleicht war diese Katastrophe nöthig
zur Gründung eines neuen und bessern Lebens! Erst im Laufe dieser
Krankheit hat die unglückliche Minna mir ihr ganzes Vertrauen im
vollsten Sinne des Wortes gegeben! Warum mußte sie es nicht früher
schon dem edeln Vater gegeben haben!
Ich überlasse es Ihnen, ob Sie bei der jetzigen vollkommenen
Kenntniß des Zustandes von Minna glauben, etwas Besonderes für sie
thun zu können, oder darauf einwirken zu wollen; auf jeden Fall können
Sie als Vater versichert sein, daß sie von guten und theilnehmenden
Menschen umgeben ist, die sie innig lieben und die Alles aufbieten,
ihr Unglück zu mindern und einen bessern Zustand herbeizuführen.
Ich bitte Sie, Ihrer Frau Gemahlin mich gehorsamst zu empfehlen
und den wackern Julius wie die beiden Andern herzlich zu grüßen, und
übrigens von meiner vollkommenen und innigen Ergebenheit und Verehrung
überzeugt zu sein.
Die Antwort des Vaters an Brockhaus liegt nicht vor, dagegen ein Brief
desselben an den Kammerverwalter Ludwig, dem die Antwort an Brockhaus
beigeschlossen war. In diesem Briefe vom 8. December dankt Mayer für
die ihm auch von Ludwig gegebenen Nachrichten; sie hätten ihn tief
erschüttert und nur der Gedanke an die Theilnahme, die seine Tochter
von ihm (Ludwig) und den Seinigen sowie von Herrn Brockhaus erfahren,
habe ihn und seine Frau einigermaßen beruhigen können. Der Anlaß zu
der Geistesverwirrung seiner Tochter, wenigstens der nächste und
unmittelbarste, könne indeß kein anderer sein als die Verlegenheiten,
in denen sie sich befinde und die sie durch den Antheil, den sie an den
Angelegenheiten des Herrn Brockhaus genommen, noch mehr auf sich gehäuft
habe. Er wolle nicht bestreiten, daß auch übermäßige Anstrengung in
ihren literarischen Productionen den Zustand befördert haben könne,
zumal bei den körperlichen Fatiguen, die ihr der Abzug von Leipzig und
das Hin- und Herreisen zugezogen haben müsse. Jedenfalls müsse jetzt
alle Sorge nur dahin eingeschränkt sein, die Kranke wieder zur Vernunft
zurückzubringen. Er lege einige Zeilen an seine Tochter bei, worin er
sie auffordere, zu ihrer völligen Herstellung nach Berlin zu kommen, und
bitte, ihr dieselben in lichten Augenblicken mitzutheilen.
Brockhaus fühlte sich durch diesen Brief, den ihm Ludwig glaubte
mittheilen zu müssen, begreiflicherweise sehr verletzt. Er schrieb
darüber an diesen:
Freitag Morgen.
Hierbei, lieber Ludwig, der Brief vom Vater zurück. Ich leugne
nicht, daß mich derselbe sehr afficirt hat, und daß ich wünschte, ihn
nicht gelesen zu haben. Wenn es vom Vater darin als etwas unbedingt
Ausgemachtes angenommen wird, daß der Zustand von Minna nur und
alleine aus ihrer Exaltation über meine persönlichen Angelegenheiten
#könne# entstanden sein, so setzt er mich auf einen Standpunkt zu
unserer Freundin, der mein ganzes Innere in Anspruch nimmt, und mich
-- ich muß es nur heraussagen -- wirklich empört.
Es ist auch für den psychologischen Arzt, und wäre es ein zweiter
Willis[41], wol immer eine der schwersten Aufgaben, auch bei der
vollständigsten Kenntniß aller Verhältnisse und der sorgfältigsten
Beobachtung bei Kranken dieser Art, die Ursachen positiv anzugeben,
die die Entfernung des gesunden Denkvermögens bewirkt haben, und es
erfordert unendliche Zartheit, sich über solche mögliche Ursachen
auszusprechen. Der Vater handelt also sehr übereilt, wenn er bei
seiner mangelhaften Kenntniß aller Verhältnisse dennoch ein so
absprechendes und mich auch mit sehr verletzendes Urtheil wagt.
Ich für mich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß allerdings
jene äußern Ursachen auch etwas zur physischen Krankheit -- dem
rheumatischen Nervenfieber und den Krämpfen -- können beigetragen
haben, daß aber im Innersten von Minna's Seele der Keim zu der
eingetretenen Desorganisation ihres Seelenzustandes längst gelegen
hat und daß dieser früher oder später ausbrechen mußte. Die Ursachen
zu diesen Keimen gehören aber zu den unaussprechlichen Dingen und
sind also auch dem Vater, der in seiner Arglosigkeit nichts von ihnen
ahndet, nicht mitzutheilen.
Ebenso unrichtig ist es, wenn der Vater annimmt, daß durch geistige
Anstrengung bei ihren literarischen Arbeiten Minna sich sehr könne
überspannt haben. In diesem ganzen Jahre hat Minna sich nur so
unbedeutend mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt, daß es gar
nicht nennenswerth ist und, den gegebenen Stoff mitgerechnet, der blos
überarbeitet zu werden brauchte, gedruckt kaum fünf bis sechs Bogen
betragen würde.
Durch diese unverdiente Kränkung ließ sich Brockhaus indeß in seiner
Sorge für die arme Kranke nicht stören. Er schreibt an Bornträger am 9.
December:
Minna's Zustand bleibt bessernd, aber er ist immer noch
herzerschütternd. Ihre Nervenreizbarkeit ist wahrhaft sublimirt, wie
ihr Geist nie in solcher Blüte und Ueppigkeit gewesen. Ihre fixen
Ideen haben noch immer denselben Zirkel: Liebe, Eifersucht, Besorgniß
mich zu verlieren, Glauben, daß ich schon anderwärts verheirathet sei,
daß ich ein Zauberer wäre, auch andere: daß wir mit überirdischen
Wesen in Verbindung ständen u. dgl. Sie spricht eine Stunde wie ein
Gott, und in einer Minute, wenn sie auf irgendeine Idee kommt, die sie
an einer ihrer schwachen Seiten berührt, ist ihre Besonnenheit auf
einmal hin. Wir hoffen Alle indessen das Beste.
Inzwischen war Minna's Schwester, Karoline Richter, die Gattin
Jean Paul's, aus Baireuth zu ihrer Pflege eingetroffen, die bisher
von der Tochter der Kranken, Emma, von Frau Ludwig und deren noch
unverheiratheten Schwester, Jeannette von Zschock, besorgt worden war.
Auf die erste flüchtige Nachricht über das Befinden der Kranken
antwortete Jean Paul seiner Frau am 8. December:
Die Krämpfe Deiner Schwester, so fürchterlich sie für den Zuschauer
sind, habe ich bei .... und Andern oft erlebt, sie sind ohne
Bedeutung, ja sogar ohne Empfindung, außer für das Auge.
Am 20. December schreibt Karoline Richter ihrem Manne:
Der Gesundheitszustand meiner Schwester hat sich seit ich hier bin
noch nicht sehr gebessert. Ob sie je zu völliger Klarheit des Geistes
kommen kann, ist ein Problem. Sie ist in einem Zustande des Traums
und je melancholischer, je mehr sie unter Menschen ist. Man redet
ihr zu, auszugehen, sich zu zerstreuen, besucht sie fleißig, und in
der That interessirt sie allgemein; aber es gleitet meist Alles ohne
Eindruck an ihr vorüber. Sollte sie wieder allein stehen, ohne mich,
so wäre sie sehr zu beklagen. Denn so sehr Herr Brockhaus sie liebt,
so äußerst aufopfernd und gefällig er ihre Stütze ist, so kann er ihr
in häuslichen Dingen nicht helfen. Sie ist wie ein Lamm, wie ein Kind,
und läßt Alles über sich ergehen. So kann die Verbindung natürlich
nicht vollzogen werden, solange sie nicht genesen ist, und bis dahin
muß sie unter Aufsicht theilnehmender Menschen sein. Wenn sie jetzt
zum Vater geht, ist es das Natürlichste und Beste. Brockhaus wünscht
das zwar nicht; er fürchtet sie alsdann zu verlieren; allein ich
glaube nicht, daß ihr Aufenthalt in Berlin ein Hinderniß sein würde.[42]
Die Uebersiedelung Minna's in das älterliche Haus nach Berlin erschien
endlich allen Betheiligten doch als das Gerathenste, und Brockhaus
entschloß sich zu dem in seiner Gemüthsstimmung doppelt schweren
Opfer, sie dahin zu begleiten. In einem langen an verschiedenen Tagen
geschriebenen Briefe an Bornträger kommen neben geschäftlichen Notizen
mehrere darauf bezügliche Stellen vor.
Am 29. December schreibt er:
Der jetzige Zustand der Hofräthin läßt sich nicht gut beschreiben.
Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen -- alle
Elasticität der Seele ist von ihr gewichen, und ohne daß man sagen
könne: ihr Verstand sei noch in Unordnung, zeigen sich doch häufig
viele Irrungen und Besonderheiten, die darthun, daß sie durchaus
noch nicht zu klaren Begriffen gekommen. Gegen mich hat sie oft die
rührendste Innigkeit und dann auch wieder die schneidendste Kälte.
Ebenso geht's der Schwester und den besten Freunden. Am zerknicktesten
ist sie, sobald viele Menschen um sie sind.
Wenn keine Aenderung statthat, so werden wir in acht Tagen zusammen
nach Berlin reisen, ich aber sogleich wieder hierhin zurückkommen.
Am 3. Januar 1811 fügt er hinzu:
Ich habe diesen Brief bisjetzt hier behalten, um Ihnen über
die berliner Reise noch bestimmter schreiben zu können. Es ist
diese jetzt auf morgen Abend festgesetzt. Ich mache sie mit der
Hofräthin und Emma alleine, da Madame Richter durchaus nicht mit
kann. Wir gedenken bis Dienstag Abend in Berlin zu sein. Da wir
einen Lohnkutscher von hier mitnehmen, so ist meine Absicht, 3
_à_ 4 Tage in Berlin zu bleiben und dann hierher zurückzukehren,
wo ich bis zum 15./16. wieder einzutreffen gedenke. Der geistige
Zustand der Hofräthin ist noch immer derselbe, und sicher nur
unter andern Umgebungen, die sie nicht, wie jetzt hier, an den
dagewesenen traurigen Zustand beständig erinnern, und -- von der Alles
heilenden Zeit gänzliche Genesung zu hoffen. Die Zukunft ist mit dem
undurchdringlichsten Schleier über ihr und mein Schicksal bedeckt!
Lassen Sie es uns nicht versuchen, ihn mit frevelnder Hand lüften zu
wollen. Lassen Sie uns unser Schicksal mit Resignation erwarten, und
folgen, wie es uns in seiner Strenge führen will ....
Mein Gemüth ist heute wieder sehr zerrissen. Das arme, arme
unglückliche Weib! Sie sollten sie jetzt sehen, die sonst von Leben,
Geist und Witz überfließende, wie sie stille und in sich gesenkt ihr
oft in Thränen schwimmendes Auge gen Himmel schlägt, Stunden lang kein
Wort spricht, über jedes Geräusch zusammenfährt, dann aufspringt und
mit zerrinnender Wehmuth mir in die Arme sinkt. Und dann wieder, wie
sie Jeden anfeindet, wie es ihr Niemand recht macht! Ach Gott!
Welch ein Verhängniß, lieber Schmidt! Im vorigen Jahre #an demselben
Tage# trat ich die furchtbare Reise von Amsterdam nach Dortmund an!
Und #dies# Jahr mit Minna in diesem Zustande von Altenburg nach
Berlin! Finde ich Schicksals Deutung darin? Daß es anders werden
müßte? Wer weiß es!
Am 4. Januar 1811 reiste Brockhaus mit der Kranken und ihrer Tochter
Emma (außer dieser hatte Minna Spazier noch drei Kinder aus ihrer ersten
Ehe, zwei Söhne und eine Tochter, die sich in Berlin bei den Großältern
befanden) von Altenburg ab und traf mit ihnen am 8. Januar abends in
Berlin ein.
Von unterwegs, aus Leipzig, schreibt er an Ludwig:
Wir haben es schlimm gehabt, da die Kälte herz- und hautzerschneidend
war und ist. Minna ist gut und duldend, Emma die leidendste. Ich --
empfand wenig davon, wie ich kaum selbst begreife.
Frau Spazier fügt folgende Zeilen für ihre Schwester bei:
Liebste Karoline! Ich melde Dir mit wenigen Worten, daß wir der
harten Kälte ohnerachtet wohl angekommen sind. Theile diese Nachricht
Herrn und Madame Ludwig mit, sie werden sehr besorgt unsertwegen
sein. Lebe wohl, liebste Karoline, ich kann Dir nicht sagen, wie mir
zu Muthe ist. Emma hat sehr gefroren, ich freue mich sehr über das
Wiedersehen.
Von Berlin aus schreibt Brockhaus gleich am 9. Januar an Ludwig:
Ich eile, Ihnen mit wenigen Worten zu melden, daß wir gestern Abend
nach einer allerdings unendlich beschwerlichen und peniblen Reise hier
glücklich angekommen sind. Die Zusammenkunft Minna's mit ihren Kindern
und ihrem Vater war herzzerschneidend. Ich behalte mir vor, Ihnen bei
meiner Zurückkunft von Allem sehr umständlich Bericht zu geben. Da
zwischen Berlin und Leipzig ein bedeckter Postwagen fährt, so werde
ich mich dessen zu meiner Retour bedienen und Sonntag oder heute acht
Tage zurückreisen.
Die ganze Mayer'sche Familie und Minna tragen mir auf, sie Ihnen und
den edeln Frauen Ihres Hauses, auch Herrn Hempel bestens und innigst
zu empfehlen und Sie vorläufig ihres ganzen Dankes zu versichern.
Meine Gesinnungen für Sie Alle sind Ihnen bekannt.
Ganz Ihr
Brockhaus.
Geben Sie Karolinen von diesem Briefe Kenntniß, da ich keine Zeit
habe, ihr selbst zu schreiben.
Auf der Rückreise schreibt er aus Leipzig vom 15. Januar an Bornträger
(Schmidt) nach Amsterdam:
Von meiner Reise nach Berlin mit der armen Minna in der
furchtbarsten Kälte, von unsern Beschwerden auf derselben, meinen
Sorgen und meinem Jammer, von unserer Ankunft im Hause des Vaters, von
der Scene der Zusammenkunft mit diesem und Julius, von dem allgemeinen
und besondern Benehmen des Vaters und der (Stief-) Mutter, endlich
von der herzzerreißenden Stunde des Abschieds und der Trennung --
von allem Diesem, lieber Schmidt, kann ich Ihnen nur einmal mündlich
erzählen!
Minna's Zustand ist immer derselbe noch: gänzliche Erschlaffung im
Geistigen. Sie denkt und spricht fast immer richtig, und wann sie es
nicht thut, so hat's Beziehung auf die Furcht, mich zu verlieren.
Sonst ist ihr #Alles# gleichgültig, was um sie her ist, und ihre
einzige Beschäftigung, wenn man sie nicht gleichsam gewaltsam
darin unterbricht, fortwährendes Stricken, wobei sie denn immer
so vor sich hin brütet und oft wehmüthig mit ihren schönen Augen
zum Himmel aufsieht. Es ist herzzerschneidend. Meine Theilnahme an
ihrem Schicksal ist, so sehr ich auch moralisch verletzt worden bin,
unveränderlich, und kann ich es möglich machen, ohne darüber zu Grunde
zu gehen, ihr Schicksal noch an das meinige zu ketten, so wird's
geschehen, wenn sie nur geneset und in geistiger Energie wieder die
alte göttliche Minna wird.
Am 27. Februar schreibt er aus Altenburg an denselben, nachdem dieser
ihm in einem Privatbriefe offen seine Ansichten über Frau Spazier
ausgesprochen hatte:
Gewiß sind Ihre Deutungen über der Hofräthin Betragen in vielen
Stücken richtig, und so wehe mir das Geständniß thut, so habe ich
jedoch immer noch Vertrauen genug, um mir ein zwiefaches Wesen in ihr
zu denken, von dem das Eine: die edle, gute und großherzige Minna,
das Ursprüngliche wäre, und das Andere: die astucieuse, coquette,
heuchelnde Hofräthin, die durch die Collisionen mit der Welt, ihrem
Blute und verkehrten ästhetischen Richtungen erst gebildet worden sei.
Ihr eigentliches, vielleicht später durch unsern hiesigen genauern
Umgang erst entstandenes Gefühl für mich spricht sich vielleicht
nirgends wahrer aus als in zwei Briefen, welche sie kurz nach der
heftigsten Epoche ihrer Krankheit, als sie anfing freie Stunden zu
haben, in denen sie wieder mit Klarheit dachte, an Karoline und an
ihren Sohn Julius schrieb, solche aber nicht abgehen ließ, sondern
wie ein Amulet seitdem immer an ihrem Herzen trug, bis sie sie einst
verlor. Es grenzt ans Wunderbare, wie dieses außerordentliche Wesen
in einem solchen Zustand von halber Zerstörung fähig gewesen, solche
Briefe, die wahre Meisterstücke von Diction sind, in einem Zuge
hinzuwerfen!
Noch vor einigen Tagen habe ich von ihr directe Briefe. Sie leidet
körperlich und geistig noch sehr, und Gott weiß, wie es mit ihr werden
wird.
Brockhaus war zunächst zwar nur durch Mitleid mit der Kranken sowie
durch den Wunsch, sich mit ihrem Vater über die eben verlebte furchtbare
Zeit auszusprechen und dann das Verhältniß auf eine möglichst schonende
Art zu lösen, zu der Reise nach Berlin veranlaßt worden. Aber
fortwährend hatte er einen innern Kampf zu bestehen, ob er im Fall der
Wiedergenesung seiner einstigen Braut nicht alles Vergangene vergessen
und ihr aufs neue die Hand zur Versöhnung und zur wirklichen Vereinigung
bieten solle. Durch das Benehmen ihres Vaters wurde ihm dieser Kampf
erleichtert, das Opfer, das er vielleicht doch noch gebracht hätte,
erspart, indem dieser jetzt selbst die Lösung des Verhältnisses betrieb
und ihm, den er als den Urheber des Unglücks seiner Tochter betrachtete,
überhaupt nicht freundlich und vertrauensvoll entgegenkam.
Brockhaus spricht sich darüber in einem an Ludwig gerichteten Briefe vom
23. März aus, der in Amsterdam geschrieben ist; was ihn auf kurze Zeit
dahin zurückgeführt hatte, wird später zur Sprache kommen. Er schreibt:
Hätte der Vater, wie ich ihn sonst zu nennen pflegte, oder, wie
ich ihn jetzt ferner nennen werde, Herr Geheime Rath Mayer mich
gewürdigt, genaue Kenntniß von meinen Verhältnissen zu nehmen, wozu
das Schicksal seiner unglücklichen Tochter ihn wol hätte bewegen
sollen, so konnte sich Alles schön und edel für mein und der armen
Minna Schicksal lösen. Mich würde Dankbarkeit -- der hervorstechendste
Zug meines Herzens -- an ihn und an sie dafür gefesselt haben, und
kein Opfer, das ich der Welt und meinem Innern hätte bringen müssen,
wäre mir dann zu hoch oder zu groß gewesen! Minna wäre auch genesen
dann, und bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und mit edeln
Menschen, besonders edeln Frauen, umgeben, würde sie auch edel gewesen
sein -- und anstatt daß jetzt durch ihr grauses Schicksal das ihrer
Kinder ewig mit zerrissen wird, anstatt daß selbst ins Leben des
Vaters kaum wieder reine Freude zurückkehren kann und auch seine
eigenen Verhältnisse dadurch furchtbar gestört bleiben müssen, wäre
ein ursprünglich gewiß herrliches und reiches Gemüth, das in den
Collisionen mit der Welt zu Grunde gegangen war, wieder neu geboren
worden, eine Seele war gerettet; wieder dem Leben zurückgegeben,
konnte die unglückliche Tochter durch Uebung und Erfüllung von
Pflichten Alles mit sich versöhnen, ihre Kinder ehren und deren
Laufbahn ordnen, dem Vater selbst wieder die schönsten Blumen auf den
Pfad seines Lebens streuen!
So wollten Sie es, edler braver Ludwig, so wollte auch ich es! Und
nun werfe man noch einen Stein auf uns!
Daß ich es nicht verstand, wie Karoline mir vorwarf, den Vater,
außer meiner Persönlichkeit, auch sonst zu interessiren für mein
Schicksal, kann ich mir nicht zum Vorwurf machen lassen. Es ist
freilich wahr, und es ist mit ein Grund auch meines allgemeinen
Schicksals, daß ich es so wenig verstehe mich geltend zu machen. Von
der einen Seite fühle ich, daß ich einigen Werth habe, und wenn ich
mich dann verkannt oder gar mishandelt sehe, so ist meine Erwiderung
entweder stolzes in mich Zurückziehen, oder es sind -- Thränen!
Karoline sagte darum auch wol nicht mit Unrecht: Sie sind halb Weib,
halb Mann! Von der andern Seite bin ich wenig beredt über mich selbst;
ich weiß auf keine Anklage etwas zu antworten, weil ich mir, wenn sie
gegründet auch nur in etwa, immer zehnmal mehr Vorwürfe mache als
Andere; ich bin furchtsam, ängstlich, dränge mich nirgends hervor oder
ein, weiß mit meinem Pfunde nicht zu wuchern, und welche negative
Eigenthümlichkeiten ich denn mehr habe.
So wie ich nun also bin, konnte ich dem Vater freilich nichts anders
als das simple Factische ohne Schmuck oder Beredtsamkeit vorbringen,
aber mir dünkt, daß den wahren Menschenkenner diese Einfachheit eher
für die Wahrheit gewinnen als davon entfernen muß.
Allerdings war ich nun auch bald stolz gegen ihn, und gewiß würde
ich es noch mehr sein, wenn sich weitere Gelegenheit finden möchte in
Contact zu kommen. Diese Gelegenheit wird sich aber wol nicht weiter
finden.
Ich habe seit meiner Abreise von Altenburg weder von Berlin noch von
Baireuth Briefe, aber auch von Altenburg selbst noch keine. Der armen
Minna habe ich meine Reise aber gemeldet, damit sie wenigstens weiß,
wo ich bin. Die arme Minna!
Wenige Tage darauf, am 26. März, schreibt er abermals an Ludwig:
Heute etwas über der armen Minna Schicksal. Gestern erhielt ich von
Karolinen Briefe. Auch sie betrachtet unsere Trennung -- Minna's und
meine -- als entschieden durch den Willen des Vaters. Mein Herz zuckt
krampfhaft bei dieser Entscheidung, denn Minna war mir unendlich und
ist mir noch sehr theuer. Mein Verstand tritt aber der Entscheidung
des Vaters mit Beifall bei. Er sagt mir trocken weg, daß eine Ehe
ohne Schönheit und Reinheit der Gefühle, ohne innige Achtung, ohne
Vertrauen mich nur höchst unglücklich würde gemacht haben. »Der
Wahn ist kurz, die Reu' ist lang«, sagt Schiller so bedeutend, und
allerdings: das Leben ist zu ernst, als daß man poetische Gefühle
allein Gewalt darin dürfte über sich ausüben lassen. Ich habe schweres
Lehrgeld dafür gegeben!
In seiner Antwort an Minna's Schwester, Karoline Richter, vom 30. März
heißt es:
Mein eigenes Leben darf ich jetzt hoffen bald gerettet zu sehen.
Wäre es nur auch das von Minna, wenn auch von mir getrennt! Es werden
aber Wunder geschehen müssen, wenn sie nicht auf die eine oder andere
Weise zu Grunde gehen soll.
Ich werde gewiß ihr Freund fürs Leben bleiben und wohlthätig auf
ihr Schicksal einzuwirken suchen, soviel es meine Pflichten erlauben.
Worin sie mich gekränkt und mir wehe gethan, das Unrecht, das sie
an mir geübt, den nachtheiligen Einfluß, den sie auf alle meine
Verhältnisse so gebietend gehabt -- ich verzeihe ihr Alles. Kein Groll
gegen sie ist in meinem Herzen. Auch ich habe gefehlt. Wie aber und
durch welche Motive geleitet oder bewogen, darüber richte derjenige,
der die Herzen der Menschen prüfet und würdiget in Wahrheit! ....
Jene von dem Vater ausgesprochene Entsagung kann auch nicht wieder
zurückgenommen werden. Nicht daß Minna aufhörte mir theuer zu sein,
nein, gewiß nicht; aber ich betrachte diesen Ausspruch als eine neue
Weisung des Schicksals, das schon so oft deutlich über diese meine
Verbindung mit ihr gesprochen, die ich diesmal achten und nicht
zurückweisen will und dies um so mehr thun muß, da mein Verstand
diesen Ausspruch in allen Hinsichten bestätigt. Denn konnte, sagt mein
Verstand, eine Ehe glücklich sein, wo von der einen Seite alle schönen
und reinen Beziehungen verloren gegangen waren, wo echte innere
Hochachtung und Verehrung nicht mehr da sein konnte, wo kein Vertrauen
weiter möglich war beinahe, wo alle Energie fürs weitere Leben mußte
gebrochen sein, wo jede Rückerinnerung an die Vergangenheit nur mit
Vorwürfen oder mit bittern Gefühlen konnte gepaart sein, wo überhaupt
der wahre Charakter noch so problematisch?
Mitleiden, Theilnahme, Herzensgefühle, der Wunsch, glücklich zu
machen, die Begehr, in den Augen der Welt consequent zu erscheinen --
konnten jenes Fehlende nicht ersetzen, und wenn überhaupt schon Ehen
im Leben selten schön-glücklich sind, wie viel weniger konnte es diese
sein, wo so viele Elemente dazu fehlten!
Auch mein Gefühl hat mich, wie fast immer, hierin sehr richtig
geleitet. Es sagte mir gleich in der ersten Stunde, wo die
Vergangenheit vor mir aufgerollt wurde: Minna kann nie dein Weib
werden! Es ist für mich eine Genugthuung, dieses Gefühl selbst gegen
die edelsten meiner Freunde, die mein ganzes Vertrauen hatten,
ausgesprochen zu haben. Man könnte es sonst jetzt für eine _arrière
pensée_ halten ....
Ob ich fortfahren soll, dann und wann noch an Minna zu schreiben?
Mir dünkt das Unterlassen wol das Räthlichste. Wozu jetzt noch auch
nur die entferntesten Hoffnungen unterhalten oder Gefühle anfachen, da
dies nur das große Unglück der Armen vergrößern kann? ....
Welch ein Spiegel fürs Leben wäre Minna's Geschichte, von Goethe,
Richter oder einem andern Richardson der Mit- und Nachwelt aufbewahrt!
Ja, der Vater hat recht gehabt, zu zerhauen, was sich nicht lösen
konnte! Er hat recht gethan! Er ist das Orakel geworden, das ich mir
ersehnte!
Noch entschiedener spricht er seinen Entschluß, das Verhältniß ganz
zu lösen, und die Motive dazu in einem Briefe von demselben Tage an
Ferdinand Hempel in Altenburg aus:
Je mehr ich jetzt überzeugt bin, daß meine Bekanntschaft mit der
Hofräthin und mein Verhältniß zu derselben die vorzüglichste Ursache
meines seitherigen Unglücks gewesen ist, je fester bin ich jetzt
entschlossen, die Bande, die zwar schon sehr gelockert mich noch an
sie knüpften, schnell zu zerreißen und für immer alle Verbindung
mit ihr aufzuheben. Ich bedarf Ruhe, und ich finde keine, so lange
noch auf die eine oder andere Weise mein Schicksal mit dem ihrigen
verflochten ist, oder auch nur meine Verbindung durch Briefe selbst
noch fortdauert.
Das Schicksal der armen Frau geht mir unsäglich nah, und wo nicht
Pflichten in Collision kommen, da werde ich auf alle Weise wohlthätig
darauf einzuwirken suchen, so sehr ich auch überzeugt bin, daß sie
allein sich dieses Schicksal bereitet hat. Jedes Weib wird zu Grunde
gehen, moralisch oder physisch, das es wagt und unternimmt, so --
aus dem Kreise herauszutreten, den die Natur und die bürgerliche
Gesellschaft den Frauen gezeichnet hat, und sicher würde ich einst
fürchterlich aus dem Traume sein aufgeschreckt worden, in welchen
die Künstliche mich durch Zauberlieder und lieblichen Sirenen-Gesang
einzulullen gesucht und auch verstanden hatte!
Der Vater in Berlin hat weise gehandelt, daß er den Kampf, der in
meiner Seele vom ersten Augenblicke an mit tiefem Schmerz statthatte,
wo ich erkannte, daß meine kindliche Arglosigkeit, daß das edle
Vertrauen, das ich gehabt, so grausam war gegen mich selbst gewendet
worden, und daß ich nur als ein Faden hatte sollen gebraucht werden,
um aus dem Labyrinthe, worin man sich verwickelt hatte, sich nur
retten zu können -- und welcher Kampf sich so oft gegen Sie und die
edeln Mitglieder des Ludwig'schen Hauses ausgesprochen -- durch sein
Benehmen der Entscheidung so nahe gebracht hat.
Diese Entscheidung ist jetzt in mir fest und unwiderruflich
beschlossen. Meine Ehre, die Ehre meiner Kinder, die Ehre meiner
respectabeln unbescholtenen Familie, die Ehre meiner vortrefflichen,
im Grabe ruhenden Frau, mein Glück und das Glück Aller, die durch
irgendein Band an mein Schicksal gekettet sind -- hat diesen Entschluß
geboten. Ich will und ich muß mein Leben neu ordnen. Ich kann es nur
frei von diesen Banden und mit Ruhe im Gemüthe.
Die entscheidenden Briefe zwischen Brockhaus und Frau Spazier sind, wie
die ganze Correspondenz zwischen ihnen, nicht in unserm Besitze und
wahrscheinlich überhaupt nicht erhalten. Dagegen liegen aus dieser Zeit
einige Briefe von ihr selbst an ihre Schwester und einige Andere sowie
von diesen über sie vor.
Am 8. März schreibt sie an Ludwig in Altenburg, um ihn als ihren Freund
und Curator zu bitten, ihre dortigen Angelegenheiten zu ordnen, ihre
zurückgebliebenen Möbel u. s. w. zu schicken; sie sagt:
Es leidet keinen Zweifel, daß Ihnen aus meinen Briefen an Brockhaus
sowie aus dem, was er Ihnen aus der Zeit seines kurzen Aufenthalts
hier mitgetheilt haben wird, bekannt sei, welche Wendung meine äußern
Verhältnisse genommen! Wie das väterliche Herz die Erhaltung der
Tochter innig gewünscht, wie nach langem Kränkeln, wenngleich noch
unvollkommen, die gewohnte Thätigkeit zurückgekehrt scheint, und wie
auf diese Hoffnung der Plan meines Vaters gegründet ward, mich wenn
auch nicht in seinem Hause, doch unter seinen Augen leben zu lassen
.... Ich habe den Muth, mich an Sie zu wenden, aber es gehört mit
unter die qualvollsten Empfindungen meines Lebens, wenn ich mir denke,
wie ich Ihnen und Ihrem theuern Hause nun wieder als ein Gegenstand
der Beschwerde und nie, wie ich doch so schön in hoffnungsvollern
Tagen geträumt, als ein werthes Mitglied Ihres häuslichen Kreises
erscheinen dürfte. Dies Gefühl drängt alles Bittere des langen Kampfes
in sich zusammen, der mein Leben ausmacht und von dem sich noch immer
nicht sagen läßt, daß er vollbracht sei! ....
In welcher Stimmung ich diese Zeilen schreibe, wird Ihr Herz Ihnen
sagen. Ich sehe Ihrer Antwort mit Spannung entgegen. Ebenso oft zu
Ihrer und der Ihrigen Erinnerung hingezogen, als durch eine tiefe
unüberwindliche Wehmuth davon zurückgescheucht, folge ich heute einer
äußern Veranlassung und fühle es doch schmerzlich, daß es eine äußere
Veranlassung gewesen, die mir nach so langem Schweigen den ersten
Brief an Sie eingibt.
Lassen Sie mich bald ein Zeichen Ihres Andenkens sehen! Emma, der
Sie so gütige Theilnahme gönnten, empfiehlt sich Ihnen.
Genehmigen Sie die Versicherung der innigen Liebe und Dankbarkeit,
mit welcher meine Seele in Gedanken unter Ihnen weilt; ich bin bis in
den Tod
Ihre innig Sie verehrende
M. Spazier,
geb. Mayer.
Ludwig, der ihren Wunsch nicht sofort erfüllen konnte, antwortet ihr
unterm 31. März:
Der Anblick Ihrer Schriftzüge, eines Briefes von Ihnen, meine
verehrte Freundin, worauf wir nun schon lange Verzicht gethan hatten,
that meinem Herzen wohl und weh zugleich.
Es war uns Freude, nach so langem gänzlichen Schweigen ein Zeichen
Ihres Lebens und die Ueberzeugung zu erhalten, daß die Lebenskraft,
wenn auch noch nicht der Lebensmuth, bei Ihnen zugenommen habe; es war
uns Schmerz, daß es eines dringenden äußern Antriebs bedurft hatte, um
Sie zum Schreiben an Freunde zu vermögen, die diesen Namen durch die
That bewährt zu haben glauben dürfen.
Ich sehe mit Betrübniß in Ihrem Briefe noch Spuren einer gewissen
Verschlossenheit und Niedergeschlagenheit, die uns in den Wochen Ihrer
Genesung und den letzten Ihres Hierseins oft so weh thaten, und die
damals in dem Grade zunahmen, als die Beweise von Liebe und Wohlwollen
der Sie umgebenden Menschen gerade Vertrauen und Ruhe in Ihrer Brust
hervorzurufen geeignet schienen. Mögen Sie mich, theuere Freundin, in
dieser Aeußerung ja nicht misverstehen! Sie ist nichts als der reine
Wunsch, daß Sie, welcher das Schicksal ohnehin so viel zu tragen
auflegte, sich nicht auch von den Wenigen selbst entfremden mögen,
die es wahrhaft gut mit Ihnen meinen, die in der Zeit der Noth ohne
Eigennutz, ohne Parteilichkeit und Leidenschaft Ihre Freunde waren.
Glauben Sie indessen nicht, daß mir ein Schmerz nicht heilig sei,
der Ihre Brust nothwendig in diesem Augenblicke erfüllen muß, wenn
ich mich nicht in Ihrem Herzen geirrt habe -- ich meine den über
Ihre ausgesprochene Trennung von Brockhaus, der eine so seltene
Anhänglichkeit für Sie hatte und (ich bin überzeugt) noch hat, wenn er
gleich nun völlig außer Stand gesetzt ist, sie auf die zeitherige Art
zu äußern. Diesen Schmerz theile ich mit Ihnen, schweige aber darüber,
weil ich ihn nicht bei Ihnen erneuern will und nicht befugt bin,
über einen Schritt abzuurtheilen, von welchem ich nicht einmal weiß,
inwiefern er von einem fremden Willen, inwiefern er von Ihrer eigenen
Einsicht ausgeht, und auf welche Gründe gestützt diese über Gefühl und
Herz gesiegt hat.
Nur das weiß ich, daß ich immer Ihr Freund bleiben und daher nichts
zugeben werde, was im geringsten wider Gesetz und Recht Ihnen zum
Nachtheil, von wem es auch sei, unternommen werden könnte.
Sollten Sie diese Versicherung mit dem Nichtempfang Ihrer Sachen im
Widerspruch finden, sollten Sie unmuthig über mein Schweigen mehrerer
Wochen sein, so werden Ihnen die folgenden Zeilen gleichwol Alles
erklären.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Möge ich durch das bisher Gesagte in Ihren Augen nun gerechtfertigt
erscheinen. Mit wehmüthiger Erinnerung gedenke ich der vergangenen
Zeit, denn ich schreibe Ihnen auf derselben Stelle, wo Sie oft mit
mir und den Meinigen zusammensaßen, sich der Hoffnung einer heitern
Zukunft überlassend. Unserm Kreise näher angehörend wollten Sie leben;
das Schicksal hat es anders gewollt, wie es scheint -- doch, wenn auch
entfernt, mögen Sie nur glücklich und unsere Freundin sein! Meine
Achtung für Ihren seltenen Geist und meine Theilnahme für die Ruhe
Ihres Herzens werden immer dieselben sein.
Karoline Richter hatte aus Liebe zu ihrer Schwester fortwährend auf die
Wiedervereinigung mit Brockhaus hinzuwirken gesucht. So schrieb sie an
Ludwig aus Baireuth vom 13. März, sie habe soeben von ihrer Schwester
einen Brief erhalten, welcher, was ihr zu wissen am wichtigsten sei,
deren eigentliche Gesinnung gegen Brockhaus ausdrücke:
Diese ist nun immer dieselbe, wie wir sie Alle gekannt. Sie jammert
darin über seine größere Entfernung von ihr durch die Reise nach
Amsterdam, und es tönt Hoffnung der Vereinigung überall durch. Mir
bricht fast das Herz bei diesen Aeußerungen, und ich kann nicht
glauben, daß irgend Jemand, der die Unterordnung ihres Verfahrens
unter die väterliche Gewalt anerkennt, das kraftlose Opfer feindlich
behandeln kann.
Sie erwartet deshalb von Brockhaus' Großherzigkeit und Ludwig's
freundschaftlichem Antheil die ganze bürgerliche Rettung ihrer
unglücklichen Schwester, selbst wenn die Trennung entschieden bleibe.
Brockhaus sei zu edel, um nicht Alles, was er vermöge, dazu beizutragen.
In einem andern Briefe aus dieser Zeit (ohne Datum) bittet sie ihre
und ihrer Schwester Freundin Karoline von Ehrenberg in Altenburg um
Nachrichten:
Schreibe mir etwas von Brockhaus, der mir mit Entzücken von Deiner
Amnestie erzählte. Sage mir, wie er Dir in der letzten Zeit erschienen
ist und was Minna von ihm wol noch zu erwarten hat. Ich kann Dir nicht
sagen, wie ich um ihretwillen leide; welche Fehler wären nicht durch
solches Unglück abgebüßt!
Mehrere von Frau Spazier an Ludwig gerichtete Briefe aus dieser Zeit
legen von einer ruhigern Stimmung Zeugniß ab und können unser Mitleid
mit ihr nur vermehren.
Sie schreibt ihm am 10. April wieder, noch ohne seinen oben
mitgetheilten Brief, der vom 31. März datirt, aber vielleicht erst
einige Tage später abgegangen war, empfangen zu haben, und wiederholt
ihre frühern Bitten: Er sei ja stets bereit, Bedrängten zu helfen, und
wenn er ihre jetzige Lage bedenke und auf die lange Folge schmerzvoller
Ereignisse zurücksehe, die sie seit ihrer Entfernung aus Leipzig
überstanden, so werde er sich gewiß nicht weigern, ihr den Namen einer
»Bedrängten« zuzugestehen. Sie fährt fort:
Meiner Vorstellung kann nichts Gehässigeres sich aufdringen als
der Gedanke, daß zur völlig klaren Entscheidung dieser Angelegenheit
zuletzt noch gerichtliche Schritte gemacht werden könnten. Und würde
ich diese hintertreiben können?
Mit der größten Bereitwilligkeit Alles aufzuopfern, was den Schmuck
des Lebens ausmacht, mit der überlegtesten Resignation, würde ich doch
nur für meine eigene Handelsweise gutsagen können, nicht aber für die
Maßregeln meines Vaters.
Es mußte noch mehr hinzukommen, mich die Nichtigkeit meines Strebens
nach außen kennen zu lernen -- mehr noch als das lange Gefolge von
Widerwärtigkeiten, das zum Theil vor Ihren Augen an mir vorüberzog.
Wenn meine körperliche Gesundheit, wenn meine ruhige Besonnenheit
sich in der letzten Zeit rühmen dürften, Fortschritte gemacht zu
haben, so scheinen geistige und leibliche Kräfte nur darum mir
wiedergeschenkt, um sie an dem Krankenlager meines ältesten Sohnes
zu üben, der seit vierzehn Tagen an einer Lungenentzündung schwer
daniederliegt, in sechsunddreißig Stunden fünfmal zur Ader gelassen
werden mußte, dessen völlige Wiederherstellung noch in diesem
Augenblicke ein Problem ist. Ich bin seine Wärterin -- es ist mir
möglich gewesen, elf Nächte hintereinander an seinem Lager zu wachen,
und an diesem merkwürdigen Falle sehe ich -- daß nicht unnütz war der
Gang, den mein Leben nahm, als er mich wieder hierherführte.
Finden Sie, theuerer Herr Ludwig, in der Art und Weise, wie in
diesem Augenblick darauf hingearbeitet wird, die Trümmer meines
äußern Glücks zu retten, etwas Zweckwidriges, so bitte ich Sie nur,
die Nüchternheit, womit ich in diesem Augenblick mich den Maßregeln
desjenigen Willens unterwerfe, von dem der meinige völlig abhängig
geworden ist, keineswegs als eine feindselige Erkaltung gegen die
Bilder von Glück und Freude anzusehen, die ich mir noch vor wenigen
Monaten träumen durfte!
Wenn irgend Jemand geneigt ist, den Grund des Mislingens seiner
theuersten Hoffnungen in sich selber zu suchen, so bin ich es. Das
Erwachen aus einem Zustande, in welchem man so gern seinen Kräften
vertrauen möchte, sich frei und im Besitz der Liebe achtungswerther
Menschen glaubte, ist schmerzhaft genug, auch ohne das Einsinken
äußerer Vortheile! ....
Ich kenne in diesem Augenblick nur #ein# Verlangen: Friede mit mir
selbst und meinen Umgebungen!
Einige Monate später, am 3. Juni, schreibt sie dankerfüllt über die von
Ludwig gegebene Aussicht auf endlichen Empfang ihrer Möbel und zugleich
hocherfreut über den Besuch einer Freundin aus Altenburg, der oben
erwähnten Karoline von Ehrenberg:
Den Eindruck zu schildern, den das unerwartete Wiedersehen unserer
Freundin auf mich hervorgebracht hat, vermag dies ohnmächtige Wort
nicht, o mein theuerer Freund! Ich hatte mich am Freitag auf wenige
Minuten aus meiner Wohnung entfernt, die eben von rüstigen Händen
festtäglich gesäubert wurde, als ich beim Wiedereröffnen der Thür eine
Gestalt erblickte, über die mein Herz auch nicht einen Augenblick
zweifelhaft blieb. Es war Frau von Ehrenberg! Ich schloß sie in meine
Arme als eine theuere Bürgschaft #Ihrer# -- als eine Bürgschaft der
Gesinnungen so manches mir ewig unvergeßlichen Wesens aus Ihrer Mitte.
Ich fühlte es, daß ihr Kommen mir die Gewähr leiste, wie ich Sie Alle
früher oder später doch gewiß einmal wiedersehen und mit unbewölktem,
freiem, leidenschaftslosem Sinne mich an Ihre Brust werfen werde.
Sie wollen von meinem Leben und Weben, von der Rückkehr meiner
moralischen und physischen Kraft ein deutliches Bild haben? Ich bin
wieder völlig wohl, und wenn mein voriges Sein wirklich etwas gewesen
wäre, wovon man eine freudige Selbstanschauung haben könnte, so dürfte
ich mich freuen, dieselbe wieder geworden zu sein, die ich war.
Dagegen sind die von Außen auf mich einstürmenden Uebel noch immer
im lebhaftesten Wettstreit miteinander, welchem von ihnen es gelingen
möchte, in meinem Gefühl als das vornehmste zu gelten.
Für meinen armen, noch immer in völliger Kraftlosigkeit
hinschwindenden Julius sind vor acht Tagen zwei Krücken vom Tischler
geliefert worden -- die er aber, als sie ankamen, als für jetzt
noch unbrauchbar auf die Seite stellen ließ. Und als ich am zweiten
Pfingstmorgen mich anschickte, mit unserer lieben Angekommenen die
Frische nach einem erquicklichen Regen in den schönsten Frühstunden
auf einem Gange durch den Thiergarten zu genießen, fand ich meinen
Richard in seinem Bette ächzend und in Fieberglut, und seit gestern
hat er das Scharlachfieber. So bin ich denn außer den wenigen Stunden,
die unsere Freundin uns hier auf meinem Zimmer gönnen konnte, zu
keinem vollständigen Genusse ihrer lieben Gegenwart gekommen.
Mit welchem Antheil ich dagegen nach allen Einzelnheiten des
schönen Verhältnisses fragte, das zwischen ihr und Ihrem lieben Hause
obwalte, wie freudig ich den Beschreibungen Ihrer Kunstgenüsse, Ihrer
gesellschaftlichen Einrichtungen, Ihres Stilllebens mich hingab -- das
mag Frau von Ehrenberg's eigene seelenvolle Rede Ihnen sagen.
Ich hatte mich auf einen recht langen Brief an Sie gefreut, mein
verehrter Freund, aber ich sehe nun doch, daß es anders kommt, als ich
dachte, und ich eilen muß, wenn ich der Unruhe meines kranken Richard,
an dessen Bett ich dies schreibe, die paar ruhigen Augenblicke
noch abgewinnen will, die ich dem leidigen Geschäftsinhalt unserer
Correspondenz noch zu widmen habe.
Meine Antwort auf Hempel's Brief, mein letztes Schreiben an
Brockhaus werden Sie gelesen haben. Nichts also mehr über meine
allgemeine Ansicht, über die Entschließung, welche ich gefaßt haben
würde, wenn ich freie Hand gehabt hätte. Mir däucht's, daß Sie Ihrem
Sinne nach mit beiden Briefen zufrieden sein müßten. Diejenigen
jedoch, an welche diese Briefe gerichtet waren, scheinen dies nicht;
warum sollten sie mir nicht schon längst geantwortet haben? Denn auch
den Brief von Brockhaus, worauf Sie mich als auf eine Bestätigung der
frohen Hoffnung zur endlichen Ausgleichung verweisen, habe ich bis
heute noch nicht erhalten ....
Frau von Ehrenberg übernimmt es, mündlich hinzuzufügen, was meinen
Worten versagt ist: den vollen, wahren Ausdruck der Liebe, des
sehnsuchtsvollen Antheils, mit welchem ich ewig sein werde
Ihre M. Spazier, geb. Mayer.
Brockhaus betrachtete sein Verhältniß zu ihr als definitiv gelöst, und
sie selbst schien sich auch darein zu ergeben, wie sich denn auch die
hier von ihr ausgesprochene Hoffnung auf »endliche Ausgleichung« nur auf
die noch immer nicht geordneten finanziellen Verwickelungen aus der Zeit
ihres Aufenthalts in Altenburg bezieht. Diese Verhandlungen berührten
Brockhaus nicht direct und wurden auch meist nur zwischen ihrem Vater
und dem Advocaten Hempel geführt. Doch gab sich Brockhaus alle Mühe, wie
er einmal schreibt, »die Verwickelung mit Milde zu lösen«. Auch blieb
er trotz allem Vorgefallenen mit ihr selbst in freundschaftlichem und
selbst geschäftlichem Verkehr, ohne daß ihr Verhältniß je wieder ein
näheres geworden wäre.
Er schreibt darüber an Bornträger aus Altenburg vom 30. August 1811,
nachdem er ihm obige Verhandlungen mitgetheilt:
Uebrigens ist die Hofräthin auf das vollkommenste hergestellt,
und ihr Geist blüht schöner als je. Zwischen uns ist ein rein und
innig freundschaftliches Verhältniß geblieben. Ich erhalte oft die
herrlichsten Briefe, worin sich ihr reiches und tiefes Gemüth auf die
außerordentlichste und mannichfaltigste Weise entwickelt. Auch schön
und edel, und ich zweifle nicht, daß bei bürgerlich ganz geordneten
Verhältnissen und wenn es möglich wäre, die Pfade der Vergangenheit
aus dem zerrissenen Herzen zu reißen, sie nach dieser Katastrophe ein
gutes und herrliches Weib sein würde. Offenbar sucht sie auf mich
lebhaft wieder einzuwirken und mich aufs neue zu fesseln. So sagte sie
in ihrem letzten Briefe:
»Zuweilen bilde ich mir ein, daß Du mich liebst wie sonst, daß in
Dir dasselbe vorgeht, was meine geheimsten Gedanken beschäftigt, und
daß unsere Wiedervereinigung uns Beiden unbewußt das entfernte Ziel
unsers Hoffens und Ausharrens ist!«
Brockhaus fügt dem hinzu:
Ich würde gewiß außerordentlich zu kämpfen haben, wenn wir zusammen
wären ....
Sie übersetzte in dieser Zeit für Brockhaus die von Frau von
Staël-Holstein französisch herausgegebenen »Briefe, Charaktere und
Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« ins Deutsche[43]; an der Herausgabe
der »Urania« war sie dagegen nicht weiter betheiligt, indem Brockhaus
diese vom dritten Jahrgange an selbst übernahm.
* * * * *
Während Brockhaus' fernere Schicksale später im Zusammenhange mit der
weitern Gestaltung seiner geschäftlichen Thätigkeit zur Darstellung
kommen, sei der Lebenslauf Minna Spazier's gleich hier kurz bis zu
seinem Ende verfolgt, zumal derselbe Brockhaus' Lebenswege nicht weiter
durchkreuzte.
Nachdem sie die Jahre 1811-1814 im älterlichen Hause in Berlin
verbracht, folgte sie einem Rufe nach Neustrelitz als Lehrerin an der
dortigen herzoglichen Töchterschule, gab diese Stellung aber bald wieder
auf, um die Erziehung zweier Söhne eines Herrn von Jasmund daselbst zu
übernehmen. Im Jahre 1816 zog sie nach Dresden und verheirathete sich
mit dem dortigen auch als Physiker und Chemiker geschätzten königlichen
Hoforgelbauer Johann Andreas Uthe, nach dem sie sich auf ihren spätern
Schriften Uthe-Spazier nennt. Hier starb sie am 11. März 1825.
Ihr jüngster Sohn erster Ehe, Richard Otto Spazier (geb. 1803), widmete
sich ebenfalls der literarischen Laufbahn. Nach dem Tode seiner Mutter
rief ihn sein Oheim Jean Paul im Herbst 1825 zu sich nach Baireuth,
um bei einer neuen Ausgabe seiner Werke sich von ihm unterstützen zu
lassen, doch starb Jean Paul bald darauf (am 14. November). Spazier
schrieb ein kleines Werk über Jean Paul's letzte Tage und Tod (Breslau
1826) und später eine Biographie desselben: »Jean Paul Friedrich
Richter. Ein biographischer Commentar zu dessen Werken« (5 Bände,
Leipzig 1833). Von Baireuth ging er erst nach Nürnberg, 1831 nach
Leipzig, wo er lebhaften Antheil an dem Schicksal Polens nahm und eine
Geschichte des polnischen Aufstandes der Jahre 1830 und 1831 in drei
Bänden schrieb, endlich 1833 nach Paris, wo er sich bleibend niederließ;
in sein Vaterland zurückgekehrt, starb er 1854, an Körper und Geist
gebrochen.
Nach einer Angabe in einem Nekrolog seiner Mutter[44] hatte er die
Absicht, eine Beschreibung ihres Lebens herauszugeben, doch ist eine
solche unsers Wissens nie erschienen.
4.
Abschluß der amsterdamer Zeit.
Während der stürmischen Zeit, die sich an die Katastrophe mit der
Hofräthin Spazier anschloß, hatte Brockhaus nicht nur heftige Kämpfe
in seinem Innern zu bestehen, er hatte um seine ganze Existenz, um die
Aufrechthaltung seines mühsam aus kleinen Anfängen bereits zu Ansehen
gelangten buchhändlerischen Geschäfts zu ringen. Und es bedurfte seiner
ganzen Energie und Zähigkeit, seines rastlosen Fleißes und seines
Vertrauens auf die eigene Kraft, um in diesem doppelten Kampfe nicht zu
unterliegen.
* * * * *
Sofort nach seiner Ankunft in Altenburg und nach der nur zur Gewinnung
einer vorläufigen Ruhe erfolgten Abtretung seines Geschäfts an Frau
Spazier hatte er theils persönlich, theils durch seine altenburger
Freunde Schritte gethan, um die Gläubiger in Leipzig, die ihn am
meisten drängten, zu befriedigen. Es waren dies meist Buchdrucker,
bei denen er seine Verlagswerke drucken ließ, und Buchhändler, deren
Verlag er für sein amsterdamer Sortimentsgeschäft bezogen hatte. Die
Mehrzahl war auf seine Vorschläge und Anerbietungen eingegangen. Einige
aber wollten mit der Bezahlung ihrer ansehnlichen Forderungen nicht
warten. Dabei fehlte es ihm an allen Einnahmen, denn das von seinem
amsterdamer Sortimentsgeschäft Eingehende mußte zur Abwickelung dortiger
Verbindlichkeiten verwandt werden, und Bornträger konnte ihm somit
trotz wiederholter dringender Bitten keine Rimessen machen. Aus seinem
Verlagsgeschäfte aber konnte er nach der Einrichtung des deutschen
Buchhandels vor der Ostermesse keine Einnahmen erwarten. So war seine
finanzielle Lage in Altenburg nach der Rückkehr von Berlin eine äußerst
beengte, zumal er die neugewonnenen Freunde nicht um Unterstützung
ansprechen mochte. Am 8. Februar schreibt er an Bornträger: er habe
mit dem von der berliner Reise übrig behaltenen einzigen Louisdor bis
jetzt, also drei Wochen lang, auszukommen gesucht und zu dem Ende die
allerstrengste Oekonomie eingeführt, nie zu Abend gegessen, nicht
ordentlich gefrühstückt u. s. w.!
Und dabei beschäftigte er sich in dieser selben Zeit außer mit der
Regelung seiner geschäftlichen Verhältnisse mit den Vorbereitungen
zu einer neuen Auflage des »Conversations-Lexikon«, nicht blos als
Verleger, sondern als Redacteur!
In solcher Lage konnte er nicht lange bleiben, wenn er nicht ganz
untergehen sollte. Er hatte gehofft, daß es Bornträger gelingen
werde, das amsterdamer Geschäft entweder wieder in Schwung zu bringen
oder aber zu verkaufen, um ihm dadurch die Mittel zur vollständigen
Regelung seiner Angelegenheiten zu bieten. Als aber weder das Eine
noch das Andere erfolgte, obwol über jenen Verkauf schon mehrfache
Unterhandlungen stattgefunden hatten, da faßte er mit seiner gewohnten
Energie den raschen Entschluß: selbst wieder nach Amsterdam zu reisen.
* * * * *
Die nähern Umstände seiner plötzlichen Abreise von Altenburg am 5. März
und seine Ankunft in der Nähe von Amsterdam am 11. März schildert er in
folgendem an Bornträger gerichteten Briefe, der unterwegs in mehrern
Pausen geschrieben ist:
Deventer, Nachts 12 Uhr, Sonntag, 10. März 1811.
Sie werden nicht wenig erstaunen, lieber Schmidt, wenn Sie die
Ueberschrift Deventer erblicken von meiner Hand und den Datum
desselben Tags, wo Ihnen der Brief auch schon zukommt. Ich bin Ihnen
bei Empfang desselben noch viel näher, vielleicht gar nur wenige
Schritte von Ihnen entfernt! Mit Recht neues Erstaunen! Wie dem
eigentlich sei, erfahren Sie am Schluß dieses, da ich in diesem
Augenblicke selbst darüber noch keinen Entschluß genommen habe. Und
nun den Zusammenhang dieser phantastischen Nähe?
Die unglückliche Unbestimmtheit und nichtssagende Kürze Ihres
Briefs vom 19. Februar, den ich erst am 3. März erhielt, hatte mich
gleich vom ersten Augenblicke an gewaltsam ergriffen und mich über
Ihre Indolenz bei einer so wichtigen Verhandlung in Verzweiflung
gebracht. Was blieb mir aber übrig anders als die traurige Ressource,
Ihnen in einem Briefe zu sagen, wie viel daran fehlt, daß Sie mich
in Stand gesetzt hätten, einmal ein Urtheil zu fällen, geschweige
denn einen Entschluß nehmen zu können! Hempel und Ludwig, denen ich
meine Ansichten mittheilte, theilten sie ganz, und wir alle konnten
nicht begreifen, wie Sie einen Gegenstand von so majeurer Wichtigkeit
mit einer solchen Indifferenz hatten behandeln können. Ich schrieb
also den Brief, den Sie einliegend finden. Als ich bis zu dem Punkt
gekommen war, wo Sie ihn abgebrochen finden, tritt Hempel zu mir
ins Zimmer und sagt: »Brockhaus, wie wär's, wenn Sie jetzt selbst
nach Amsterdam gingen und auf einem oder dem andern Wege Resultate
herbeiführten? Glauben Sie ohne persönliche Gefahr die Reise machen
zu können? Reisegeld steht Ihnen von mir zu Diensten.« Ich wurde
wie elektrisirt von diesen Worten. Ich hatte den Gedanken ob seiner
Kühnheit nicht haben dürfen. Und da ich der persönlichen Gefahr
durch Klugheit und verständiges Benehmen entgehen konnte, so war
mein Entschluß in der Minute gefaßt. »Ich reise!« Die Feder wurde
nun fortgeworfen, und wir eilen zu Ludwigs, um hier zu verkünden und
näher zu überlegen. »Ja, ja, reisen Sie, machen Sie, daß Sie dort
schnell abschließen, oder doch finale Entschlüsse nehmen, und kommen
Sie bald, bald wieder!« Die Reise wurde gleich auf den andern Morgen
festgesetzt, und ich brachte den Rest des Tags mit kleinen Anordnungen
und mit Abschiednehmen der genauern Freunde hin. Den Abend hatte man
im Ludwig'schen Hause noch eine kleine Abschiedfête veranstaltet, die
ebenso heiter als meine Trennung von diesen vortrefflichen Menschen
traurig war.
Montag früh reiste ich nun über Leipzig ab, das nöthig war, weil ich
mir mit Mitzky[45] in Reudnitz ein Rendezvous gegeben hatte, das ich
nicht konnte absagen lassen aus Kürze der Zeit. Meine Unterhaltung
mit diesem in Reudnitz und wieder in Leipzig dauerte so lange, daß
ich erst Montag Abend um 10 Uhr von Leipzig nach Halle abfahren
konnte. Von Montag Abend 10 Uhr bis Sonnabend 11 Uhr habe ich also
die beschwerliche Reise von Leipzig bis Deventer gemacht, was bei den
grundlosen Wegen wirklich außerordentlich schnell gereist ist. Es sind
fünf Tage gerade. Ich bin aber auch wie gerädert!
Unstreitig hätten Sie, wenn Sie eine Stunde mehr Zeit zu Ihrem
Briefe genommen hätten, mir die ganze Reise, ihre Beschwerden, ihre
Gefahren und die großen Kosten, die hin und her wenigstens 6-700
Gulden betragen werden, ersparen können! Und Sie hätten mir dies
Alles, auch ohne Rücksichten auf die besondern Umstände, ersparen
sollen, da jeder Geschäftsbericht immer und nothwendig bestimmt und
erschöpfend sein muß.
Die Rettung meines ganzen künftigen Lebens hängt von Momenten ab.
Gehen diese Momente unbenutzt vorüber, so ist mein ganzes künftiges
Leben verloren. Ich konnte also kein Bedenken tragen, Alles zu wagen
und daranzusetzen, um nur zu einem Resultate zu kommen!
Ich komme aber gewiß nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen! Wir müssen
uns vereinigen, um schnell irgendein Resultat herbeizuführen.
Der Postillon bläst schon zum dritten mal. Für hier also genug.
Amersfoort, Morgens 10 Uhr.
Ich habe mich entschlossen, bis Muiden nur zu fahren, von dort
diese Briefe per Expressen nach Amsterdam (zwei Stunden von Muiden)
zu schicken und Sie einzuladen, wie es hierdurch geschieht, entweder
noch diesen Abend zu mir nach Muiden hinauszukommen, oder sonst
morgen früh. Mein Logis werde ich Ihnen unten bezeichnen. Es bedarf
keiner Erinnerung, daß Sie auch #keiner# Seele etwas von meiner Nähe
sagen! Wir werden überlegen, wo ich eine Zeit lang verweilen könnte!
Unstreitig in Amsterdam selbst am sichersten und unbemerktesten.
Denken Sie gleich darüber nach, und wo das Schild: »_Hier zyn
gestofferde kamers te huur_« (hier sind möblirte Zimmer zu vermiethen)
aushängt, auf einer etwas abgelegenen Straße oder Gracht.
Muiden, Abends halb 5 Uhr.
Ich bin hier bei Meyer logirt, dem ersten Gasthof über der Brücke
rechter Hand von Amsterdam her. Ich schicke Ihnen diesen Brief per
Expressen, um sicher zu sein, daß er Ihnen heute zugekommen ist. Sind
Sie zu Hause gerade, wenn er kommt, so habe ich es gern, Sie noch
diesen Abend zu sehen. Sind Sie aber nicht zu Hause, so ist es mir
recht, wenn Sie erst morgen kommen; da ich in acht Tagen nicht zu
Bette gekommen, so bedarf ich ohnehin heute Ruhe.
Nun, bis zum persönlichen Sehen!
Ganz Ihr Brockhaus.
In Muiden blieb Brockhaus ungefähr drei Wochen, hielt sich aber ab
und zu auch einen Tag in Amsterdam selbst auf. Seinem energischen
persönlichen Eingreifen gelang es bald, die seit Anfang des Jahres
schwebenden Unterhandlungen über den Verkauf des amsterdamer Geschäfts
zu einem erwünschten Abschlusse zu bringen. Dieser erfolgte am 21. März,
die Zahlung der Kaufsumme am 1. April. Käufer des Sortimentsgeschäfts
sammt dem ansehnlichen Lager war der Buchhändler Johannes Müller, der
zwei Jahre vorher (am 1. Mai 1809) eine Buchhandlung in Amsterdam unter
der Firma J. Müller & Co. errichtet hatte (1837 wurde diese Firma in
die noch jetzt bestehende: Johannes Müller, umgewandelt). Gleichzeitig
suchte Brockhaus, um die Transportkosten nach Leipzig zu ersparen, auch
die in Amsterdam lagernden Vorräthe seines ältern Verlags zu verkaufen,
ebenso die nicht unbedeutenden Außenstände seines bisherigen Geschäfts.
Es gelang ihm wenigstens, die Einleitungen dazu zu treffen, während
der Kaufvertrag darüber erst im folgenden Jahre, am 4. März 1812,
durch Bornträger in Amsterdam abgeschlossen wurde. Käufer hiervon war
der amsterdamer Buchhändler Christian George Sülpke, dessen Handlung
ebenfalls noch jetzt besteht. An keinen der beiden Käufer war übrigens
Brockhaus' bisherige Firma: »Kunst- und Industrie-Comptoir«, mit
verkauft worden. Diese behielt vielmehr Brockhaus auch in Altenburg
vorläufig bei, nur daß er meist »von Amsterdam«, und als Verlagsort
»Altenburg« oder »Leipzig« hinzusetzte.
* * * * *
Der Aufenthalt in Muiden war für Brockhaus mit mancherlei Gefahren
verbunden. Er wollte seine Anwesenheit in der Nähe von Amsterdam
geheimhalten, um allen neugierigen Nachfragen und persönlichen
Belästigungen wegen des Hiltrop'schen Processes und anderer noch
schwebender Verhandlungen zu entgehen. So verkehrte er wesentlich nur
mit Bornträger, der ihn fast täglich in seinem Versteck besuchte, da
eine regelmäßige Verbindung zu Wasser zwischen Amsterdam und Muiden
durch eine mehrmals des Tags hin- und hergehende Schuyt bestand;
außerdem sah er nur noch zwei seiner ältesten Freunde, deren Namen
er aber in seinen Briefen nicht nennt. Eine weitere Schwierigkeit
entstand daraus, daß er Altenburg bei seiner eiligen Abreise ohne
Paß, diesen damals so nothwendigen Reisebegleiter, verlassen hatte,
vielleicht absichtlich, um eben nicht erkannt zu werden. Diesem letztern
Uebelstande half er dadurch ab, daß er sich von Bornträger dessen Paß
geben ließ und der holländischen Dorfbehörde vorlegte. Freilich konnte
er denselben mit ebenso viel oder -- so wenig Recht wie Bornträger
führen, da der Paß auf den Namen Friedrich Schmidt lautete!
In einem der zahlreichen und oft ausführlichen Briefe, die er auch in
dieser Zeit trotz der häufigen Besprechungen an Bornträger sandte,
schreibt er:
Gestern Abend habe ich denn auch hier Namen, Wohnort, Dauer des
Aufenthalts, Paß von woher? aufgeben müssen. Da ich meinen Namen nicht
nennen konnte, noch sagen, der Paß sei vom König u. s. w., so habe ich
gesagt: »Schmidt von Leipzig mit Paß vom dortigen Magistrat«, und um
zu vermeiden, darüber viel inquirirt zu werden, habe ich nur zwei bis
drei Tage Aufenthalt angegeben. Gott gebe nur, daß man heute nicht den
Paß zu sehen verlangt! Auf alle Fälle bringen Sie mir diesen Abend den
Ihrigen mit. Langes Bleiben ist auf diese Weise hier nicht.
Und bevor er diesen Paß hat und weiß, ob er mit demselben sich
legitimiren kann, fordert er Bornträger auf, ihm noch einen andern Paß,
wieder auf dessen angenommenen Namen, zu einer Reise nach -- Paris zu
verschaffen! In demselben Briefe theilt er ihm nämlich mit, daß er
vorhabe, sobald der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen sei, einen
Abstecher nach Paris zu machen, um die Zwischenzeit während der weitern
Unterhandlungen über den Verkauf des ältern Verlags zweckmäßig in
geschäftlichem Interesse zu verwenden:
_Enfin_: Nothwendigkeit, Langeweile und Unsicherheit hier,
Interesse, Lust vereinigt sich, mir diese Reise, wozu drei Wochen
hinreichen würden, anzurathen. Es ist nur (!) für einen Paß zu sorgen.
Ich wünschte immerhin, daß Sie es wieder versuchten, auf Ihren Namen
diesen Paß zu erhalten. Auf die Beschreibung der Person wird doch
nicht gesehen, und da ich in Paris durch Forssel und Schöll doch allen
Beistand finden würde, so habe ich gar keine Bedenklichkeit. Und #Sie#
brauchen gar keine zu haben. Ich wünschte also sehr, daß Sie womöglich
noch heute den Versuch dazu machten.
Aus dieser Reise nach Paris wurde indeß nichts, vielleicht weil der
betreffende Paß doch nicht zu erlangen war; dagegen scheint der bereits
vorhandene Paß Bornträger's seine Schuldigkeit gethan zu haben, da
Brockhaus statt zwei bis drei Tage drei Wochen in Muiden und Amsterdam
blieb, ohne Anfechtungen zu erleiden; er benutzte denselben auch später
zur Rückreise nach Deutschland und schickte ihn auf halbem Wege, aus
Münster, mit bestem Dank an Bornträger zurück, mit der Bemerkung, daß er
ihn übrigens gar nicht gebraucht habe.
Anfangs freilich war er in Muiden wegen seiner Sicherheit noch sehr
besorgt; er ließ sich von Bornträger einen Hut mitbringen, weil er
mit seiner Mütze keinen Schritt thun könne, ohne daß die Kinder ihm
nachhöhnten, und bat ihn, die Briefe, die er ihm schicke, selbst auf der
Postschuyt abzuholen, damit die häufige Correspondenz dem Markthelfer
Jan nicht auffalle. Dieser schien aber doch die Anwesenheit seines
Principals, an dem er sehr hing, bemerkt zu haben und suchte ihn eines
Tags in Muiden auf. Brockhaus meldet dies gleich an Bornträger:
Ich hatte Ihnen schon die einliegende kleine Einlage geschrieben,
als zu meinem Entsetzen mir ein »Herr« gemeldet wird, der mich
sprechen wolle. Ich lasse seinen Namen fragen und da ist es denn --
Jan!
Wenn Bornträger einen Tag ausblieb, war Brockhaus gleich sehr gereizt.
So schreibt er ihm einmal:
Ich leugne Ihnen nicht, daß ich gestern über Ihr Nichtkommen pikirt
gewesen bin. Zufolge Abrede hatte ich für Sie Essen mit machen lassen,
und so erwartete Sie auch dies von 2 bis 4 Uhr, wo statt Ihrer selbst
ein Brief kam. Im gemeinsten Leben schon wird dies für eine sehr große
Unhöflichkeit gehalten. Daß Sie um 5 Uhr schon zurückgemußt hätten,
dazu sehe ich die Nothwendigkeit nicht ein. Es geht noch eine spätere
Schuyt, und Muiden ist auch nicht so weit von Amsterdam, daß man im
äußersten Falle die zwei Stündchen nicht zu Fuße machen könnte. Sie
konnten aber auch des Nachts bleiben. Wenn man, wie ich gethan habe
und thun muß, 360 Stunden reist, um mündlich Explicationen zu holen
und zu geben, die schriftlich zu geben war versäumt worden, so ist
man eifersüchtig darauf, wenigstens die daseiende Gelegenheit ganz zu
benutzen. Von meiner Einsamkeit hier will ich nicht sprechen, da ich
mich immer zu unterhalten weiß, wenn ich auch allein bin.
Einliegend ein Promemoria, dessen Ausführung ich Ihnen empfehle und
stete Wiedernachsehung und Fortführung desselben, bis Alles besorgt
ist. In einem Tage läßt es sich nicht besorgen, das weiß ich. Sie
heben dieses Promemoria auf. Wir werden es dann immer nachsehen und
beischreiben. Herüberkommen nach dem Reythuys werde ich weiter nicht;
es ist mir auch zu theuer. Könnte ich mit der Schuyt gehen, so würde
ich es thun, aber wegen der Menge Menschen, die darin, geht das nicht.
Kommen Sie also so oft hierhin, als es nöthig ist, oder schreiben Sie.
Jenes am besten per Schuyt, da das Reiten eher auffällt.
Jenes Promemoria (eine Form der Mittheilung, die Brockhaus sehr
liebte) füllt zwei engbeschriebene Folioseiten und enthält 28 Punkte,
geschäftliche und persönliche Angelegenheiten betreffend. Er benutzte
eben die Zeit und Einsamkeit, um alles in Amsterdam noch zu Erledigende
von hier aus in Ordnung zu bringen. Als Punkt 10 bemerkt er:
Ich wünschte meine Ihnen von August an geschriebenen Briefe mal
wieder durchzulesen. Legen Sie sie also zusammen und lassen sie durch
Jan heften, wie ich die Ihrigen habe. Meine Briefe lasse ich Ihnen
gern; ich möchte nur bei ihrem Durchlesen die furchtbare Zeit nochmal
durchleben.
Außer in dieser jüngsten Vergangenheit (in die ihn auch die früher
von uns mitgetheilten, von hier aus geschriebenen Briefe an Karoline
Richter und die altenburger Freunde über die definitive Lösung seines
Verhältnisses zur Hofräthin Spazier zurückversetzten) lebte er viel
in der wehmüthigen Erinnerung an die jener Katastrophe vorangegangene
traurige Zeit, in der er seine heißgeliebte Frau verloren hatte. War sie
doch auf dem Kirchhofe desselben Dorfes Muiden, in dem er durch eine
eigenthümliche Schicksalsfügung jetzt längere Zeit verweilen mußte,
begraben. Nach ihrem Grabe richtete er fast täglich seine Schritte. Er
schreibt einmal an Bornträger:
Ich war diesen Abend am Muiderberg. Ich habe Sophiens Grab wieder
besucht und zugleich die himmlischen Environs am Gestade des Y. Es
ist die schönste Partie, die ich je in Holland gesehen, und der Abend
war köstlich in seiner Linde und Heiterkeit. Wir müssen das nochmal
zusammen besuchen. Ich war sehr glücklich in meiner Wehmuth und
Trauer.
In einem Briefe an Frau Ludwig in Altenburg vom 22. März gibt er eine
anziehende Beschreibung seines Zufluchtsorts und des Lebens daselbst:
Meine hiesigen Geschäfte verlängern sich um einige Tage, eine Zeit,
die mir für meine Petulanz eine Ewigkeit dünkt. Ich hatte gehofft,
so viel Zeit zu gewinnen, um einen kleinen Abstecher nach dem
Sirenen-Gestade an der Seine zu machen, aber es ist nicht gelungen,
und ich muß darauf Verzicht thun.
Da ich hier nur einen einzigen Zweck habe, so bekümmere ich mich
auch um keinen andern. Ich sehe Niemanden als zwei vertraute Freunde
und Schmidten, meinen guten mir sehr anhängigen Manus (so verkürzt man
hier den Domestikennamen Hermann) und mein kleines armes Mädchen! Ich
bin abwechselnd in meinem Hause und in Muiden. Aus dem Briefe an Ihre
Schwester wissen Sie, welch ein theures Andenken hier für mich ruht.
Die Reize dieser Gegend sind mir erst jetzt bekannt geworden. Hätte
ich Matthisson's, Forster's oder Ludwig's Griffel oder van der Velde's
oder Claude's Pinsel, so würde ich es versuchen, Ihnen ein Bild davon
zu geben. Aber so kann ich Ihnen nur einfach sagen, daß es eins der
reizendsten holländischen Dörfer ist, in einem herrlichen Buchen-
und Lindenwalde gelegen, umgürtet von den angenehmsten _campagnes_,
wahren Idyllen der schönen Gartenkunst (lassen Sie sich von Ludwig die
holländischen Landhäuser mal beschreiben), und gelehnt an den schönen
Meerbusen, das Y genannt. Hier ist mein gewöhnlicher Spaziergang. Für
mich gibt es nichts Erhabeneres und mehr Hebendes in der Natur als das
unendliche, immer gährende, immer kämpfende, immer sich vereinigende
Spiel der Wellen des Oceans. Doch hier ist der Charakter desselben
milde, da, wie Sie auf der Karte sehen könnten, obgleich Ausfluß der
Nordsee, seine tobende Gewalt doch gebrochen ist. Ich denke mir, daß
die schönen schweizer Landseen mit einem solchen Meerbusen viele
Aehnlichkeit haben werden. Die Aussicht von Muiden aus über denselben
weg ist wunderschön. Links ist der äußerste Horizont mit den Hunderten
von Thürmen und Mastbäumen Amsterdams und seines Hafens begrenzt,
gegenüber mit den Beweisen der thätigsten Industrie dieses fleißigen
Volks: den Windmühlen Nordhollands; rechts nach dem Pampus hin, wo es
in die Nordsee hinausgeht, sieht man auf unzähligen Punkten, so weit
das Auge reicht, Fischer mit aufgespannten Segeln in ihren Kähnen und
Booten halten und ihrem mühseligen Gewerbe obliegen.
Einmal bin ich mit auf den Fang ausgewesen. Wir hatten eine tüchtige
Partie Heringe, die um die jetzige Zeit hier gefangen und getrocknet
werden, wo sie Bücklinge heißen, und auch einige Barsche gefangen,
welche eins der Lieblingsgerichte der Holländer und auch von mir
sind. Man kocht sie in Wasser mit Selleriewurzeln, und sie werden so
mit Butterbrot durchwürzt und mit gemengtem süßen weißen und rothen
Bordeauxwein als Zugabe genossen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß
ich ein wenig Gourmand bin, wo ich's haben kann, und so lasse ich
mir diese _waterzootjes_ (Gericht Barsche) oft herrlich schmecken.
Englische Austern, worauf ich mich so gefreut, gibt's aber dies
Jahr hier nicht, sie sind wol mit dem Englischen Pflaster und der
Englischen Krankheit in eine Kategorie gesetzt worden! Ueberhaupt hört
man nichts als Klagelieder und Verwünschungen der jetzigen Zeit und
ihres Beherrschers. Ich werde Ihnen über dies Alles mal viel erzählen
können.
Wie er hier berichtet, wagte er sich doch auch nach der Stadt hinein,
besonders um sein jüngstes Kind Sophie, jetzt anderthalb Jahre alt,
öfters zu sehen, die bei dem Kaufmann Trippler und dessen Frau
untergebracht war. Freilich war dies mit Gefahr für ihn verbunden,
zumal in seinem eigenen Hause, wo er öfters bei Bornträger wohnte, ein
französischer Oberst einquartiert war. Hier mußte er sich auch an dem
officiell befohlenen Jubel über die am 20. März 1811 erfolgte Geburt
des Sohnes Napoleon's (des am 22. Juli 1832 gestorbenen Herzogs von
Reichstadt) betheiligen.
Er beschreibt dies in folgendem, am 26. März an Ludwig gerichteten
Briefe, der zugleich über seine Stimmung und über sein Töchterchen
handelt:
Sonnabend (23. März) war allgemeine Illumination wegen der Geburt
des Sohnes von Bonaparte. Wir mußten auch illuminiren! Mit welchem
Herzen es von uns und allen Bürgern geschah, darüber mag Gott
urtheilen. Es that mir ordentlich wehe, daß Amsterdam sich einzig
schön bei einer solchen Illumination ausnimmt. Nur Venedig kann darin
mit ihm rivalisiren. In den herrlichen breiten Kanälen reflectirt
das tausendfarbige Spiel der Lichter wunderschön, und man glaubt in
Armidens bezauberten Palästen zu wandeln. Der Abend und die Nacht war
herrlich und ganz sternenklar, und mehr wie hunderttausend Menschen
wogten auf den Straßen und Grachten.
Mich drückte dies Alles aber sehr nieder. Ich fühle mich einsam
und verlassen hier, und meine Sehnsucht ist nur: wieder weg, zu
meiner neuen Heimat, die ich bei Ihnen, liebster Ludwig, setze. Wäre
Vieles nicht gewesen, so ließe sich vielleicht noch ein neues Leben
ordnen. Aber, was ist erst noch im alten Leben zu ordnen, ehe an eine
neue Ordnung kann gedacht werden! Ihre thätige Freundschaft, edler
Mensch, werde ich noch oft in Anspruch nehmen müssen. Ich bedarf einer
äußern Stütze immer. Immer habe ich den besten Willen, es fehlt mir
auch nicht an guten Ideen, aber ich bin muthlos geworden. Ich traue
mir selbst nicht recht mehr, und meine Kraft ist daher gelähmt. Die
bittern Erfahrungen, die ich in den letzten sechs Monaten gemacht
habe, haben meine Scheu und Furcht vor den Menschen sehr vermehrt, und
gewiß, hätte ich nicht in Ihnen und in Allem, was zu Ihrem Kreise,
lieber Ludwig, in der Nähe und Ferne gehört, ein Antidot gefunden,
das mich wieder mit der Welt versöhnt hätte, so würde ich Meinau's[46]
Charakter ins wirkliche Leben übergetragen haben.
Die Sorge für mein kleines armes Mädchen Sophiechen beschäftigt mich
hier sehr. Ich habe es auf allerhand Weise überlegt, ob ich es nicht
mit mir nehmen könnte. Aber es geht nicht. Mein eigenes Schicksal ist
noch zu ungeordnet. Ohne häusliche Einrichtung würde ich gar nicht
wissen mit dem Würmchen, wo dort bleiben. Und dann, wie will ich es
mit mir fortkriegen? Ein holländisches Wartemädchen könnte ich doch
nie in Sachsen bei mir behalten, müßte es also zurückschicken, das
sehr viel kosten würde. Ich reise dazu so schnell und muß so schnell
reisen, daß ein Kind von so zartem Alter darüber würde zu Grunde
gehen. Nach Dortmund habe ich darüber geschrieben, aber keine günstige
Antwort bekommen. Seit Luisens Tode, der Schwester Sophiens, die
gerade starb, wie Minna mit Ihnen auf der Michaelismesse in Leipzig
war, ist für meine armen Kinder die zweite Mutter auch verloren! Ich
muß daher das kleine Mädchen noch hier lassen, so sehr sich auch mein
Herz und Alles in mir dagegen sträubt. Es ist zwar hier bei sehr guten
Leuten, die es wie ihr eigenes Kind lieben, aber es widerstrebt mir
auch besonders, es in der Stadt zu wissen. Ich werde vielleicht noch
Gelegenheit finden, es aufs Land zu thun, und morgen deshalb mit einem
Freunde aus der Stadt gehen.
Verzeihen Sie, lieber Ludwig, daß ich Sie von diesen meinen
Particularissimis nur allein unterhalte. Aber wirklich, wofür kann ich
auch in diesem Augenblicke anders Sinn haben als dafür? Mein Schicksal
war seit funfzehn Monaten sehr schwer und düster. Einige Sonnenblicke
erhellen es jetzt. Darüber schweigt sich denn nicht gut. Man ist wie
ein genesender Kranker, der immer von seiner Krankheit erzählt.
Leben Sie wohl, lieber Ludwig. Gruß an Alle, die Ihnen angehören!
Ueber den hier erwähnten Tod seiner Schwägerin hatte er am 14. October
1810 aus Altenburg an Bornträger geschrieben:
Noch muß ich Ihnen eine traurige Begebenheit melden, die ebenfalls
auf mein häusliches Verhältniß vielen Einfluß haben wird. Es ist der
Tod von Sophiens ältester Schwester Luise, der Madame Rittershaus,
bei der Fritz mit war. Sie war eins der edelsten Weiber, die ich je
gekannt habe; sie hatte Sophiens himmlische Güte, aber mehr Energie,
Kraft und Würde. Ihr Verlust ist unersetzlich auch für mich. Und
für die Welt. Sie war Mutter von vier Kindern erster Ehe. Mit ihrem
zweiten Manne erhielt sie noch zwei. Außerdem nahm sie noch meinen
Fritz zu sich und eine Tochter des unglücklichen Hiltrop, der mit mir
den Ihnen bekannten Proceß hat. Acht Kinder beweinen also das edle
Weib, und mit ihnen ihr trostloser Gatte, ihre Geschwister, Alle,
die sie kannten. Noch nie hat vielleicht in Dortmund ein Todesfall
solche Sensation erregt als dieser. Ich werde dadurch um so mehr eilen
müssen, ein oder zwei Kinder zu mir zurückzunehmen. Und das in dieser
Katastrophe! Wieder welch ein schweres Verhängniß!
Nachdem endlich der Kauf mit Johannes Müller abgeschlossen war, rüstete
sich Brockhaus zur Abreise und beschäftigte sich nur noch mit dem Ordnen
der mitzunehmenden und der zurückbleibenden Gegenstände. Manches ihm
sehr Werthe mußte er in Amsterdam zurücklassen. »Wenn ich das Alles so
betrachte«, schreibt er, »so blutet mir das Herz. Die Beschäftigung
ist für mich unsäglich angreifend. Fast jedes Stück hat irgendeine mir
theuere Erinnerung.«
Die Zahlung der Kaufsumme hatte contractmäßig erst elf Tage nach
der Unterzeichnung des Kaufvertrags, am 1. April, zu erfolgen, und
da Johannes Müller diese Frist streng einhielt, so verzögerte sich
Brockhaus' Abreise wieder.
Er schreibt mit Bezug darauf an Bornträger:
Ich sitze wie auf Nadeln. Denken Sie sich meine Stimmung und rechten
Sie noch über Worte! Meine Empfindungen für Sie kennen Sie!
Heute sind zehn Dreispänner von Amersfoort hier durchgekommen, die
nach Amsterdam gingen, um dort morgen für Leipzig zu laden. Ich habe
selbst mit ihnen gesprochen. Wären nun unsere Sachen schon fertig, so
könnten sie mit versandt werden!
An Hempel in Altenburg richtet er in dem bereits mehrfach erwähnten
Briefe vom 30. März folgende Worte, die am besten seine Stimmung nach
dem endlichen Abschlusse der amsterdamer Angelegenheiten wiedergeben:
Gebe Gott, daß ich endlich zur Ruhe komme und aufs neue thätig und
nützlich wirken kann! Meine Sehnsucht nach dieser Ruhe und dieser
neuen fruchtbringenden Thätigkeit ist unaussprechlich!
Am 1. April mittags konnte er endlich Amsterdam verlassen. Sein nächstes
Ziel war Münster, wohin sein Bruder Gottlieb mit den Kindern von
Dortmund kommen wollte, da Brockhaus wegen des Hiltrop'schen Processes
Bedenken tragen mußte, jetzt seine Vaterstadt zu betreten. Er reiste
über Arnheim, um seinen frühern Associé Mallinckrodt zu besuchen, und
mußte dort wider Willen trotz seiner Ungeduld einen ganzen Tag bleiben,
weil durch ein Versehen des Postillons sein Mantel in Amersfoort liegen
geblieben war. So kam er einen vollen Tag später, als er gewollt, am
3. April abends, in Münster an. Dort fand er nur zwei seiner Kinder,
Friedrich und Karoline, während die drei andern, Auguste, Heinrich und
Hermann, in Dortmund zurückgeblieben waren.
Und noch ein anderer, größerer Schmerz sollte ihn hier treffen: die
Nachricht von dem Tode seines Vaters! Dieser war am 26. März in seinem
zweiundsiebzigsten Lebensjahre gestorben, und Gottlieb hatte es
seinem Bruder tags darauf gemeldet, doch war der Brief wol nicht mehr
rechtzeitig in Amsterdam eingetroffen. Dieser Trauerfall und die daraus
hervorgehende Störung in den Familienverhältnissen waren wol auch die
Ursache, daß weder die drei andern Kinder noch sein Bruder nach Münster
kamen.
In jenem Briefe schrieb Gottlieb:
Lieber Bruder! Ich habe Dir eine Nachricht zu melden, welche Dein
Herz auf das tiefste zerreißen wird. Unser guter, redlicher Vater
ist seit gestern Morgen nicht mehr unter uns. Er starb mit Ruhe und
Fassung; seine Leiden waren kurz. Wir haben Alles angewendet, um das
Leben des guten Greises zu retten, sein Arzt, der Herr Krupp, ist in
der Zeit mit mir fast nicht von seinem Bette gewichen, allein leider
blieben alle unsere Bemühungen fruchtlos.
Noch gestern vor acht Tagen befand er sich recht wohl und war den
ganzen Tag über besonders heiter, aß den Mittag noch mit vielem
Appetit, trank den Nachmittag wie gewöhnlich seinen Thee und geht
darauf nach dem Balken, um das Malz nachzusehen, weil wir brauen
wollen. Hier sinkt er plötzlich nieder; ein Glück, daß gerade Jemand
bei ihm war; mit Mühe wird er von oben heruntergetragen und legt sich
darauf zu Bett, wo er sehr über Seitenstiche klagte. Wir ließen gleich
unsern Arzt rufen, der ein Brustfieber prophezeite, welches auch den
folgenden Tag eintrat, wozu sich bald noch andere bedenkliche Umstände
gesellten.
Gern wäre der gute Vater noch bei uns geblieben, und er schied sehr
ungern von dieser Welt. Ich habe indeß die Beruhigung, daß wir ihn
immer mit Liebe behandelt, ihn in den vielen Krankheiten, die er in
den letzten Jahren erduldet, mit Sorgfalt verpfleget und seine, den
meisten alten Leuten anklebende Laune mit Nachsicht gern und willig
ertragen haben. Er fühlte dieses auch oft sehr tief, da er sah, wie
gern wir Alles gaben, um sein Alter so froh wie möglich zu machen.
Bei den vielen Unruhen, welche mich jetzt wegen dem Todesfalle
unsers Vaters umgeben, ist es mir nicht wohl möglich, Dir heute mehr
schreiben zu können; nur so viel, daß Dein Heinrich wohl und munter
ist und gut lernt.
Daß Du wohl, glücklich und zufrieden leben mögest, wünsche ich von
Herzen; Keiner in der Welt kann und wird daran innigern Antheil nehmen
als
Dein treuer Bruder
G. Brockhaus.
In einem flüchtigen Briefe von Brockhaus an Bornträger aus Münster vom
5. April heißt es:
Ich hatte gehofft, auch die andern Kinder hier zu finden, allein die
Freude war mir nicht gewährt. Noch hatte ich den Schmerz, hier auch
den Tod meines vortrefflichen Vaters zu erfahren! Gestern habe ich
mich hier verweilt. Heute geht's nun weiter, und ich hoffe bis Montag
(8. April) in Altenburg zu sein. Von da also mehr.
Nun adieu. Ich danke Ihnen für alles Liebe und Gute!
Brockhaus nahm die beiden Kinder, die nach Münster gekommen waren,
Friedrich und Karoline, gleich mit nach Altenburg, um daselbst, wie
er längst gewünscht hatte, endlich wieder einen eigenen Hausstand zu
begründen; die andern Kinder blieben einstweilen noch in Dortmund. Am
11. April schreibt er an Bornträger aus Altenburg, daß er glücklich dort
angekommen sei.
Am 23. April reiste er für einige Tage nach Leipzig, kehrte am 28. nach
Altenburg zurück, fuhr aber schon am 30. wieder nach Leipzig, um auf der
Buchhändlermesse seine Angelegenheiten ganz in Ordnung zu bringen. Hier
blieb er drei Wochen lang, bis zum 20. Mai, und hatte die Freude, seinen
Zweck endlich der Hauptsache nach zu erreichen.
In welcher Weise dies geschah, sei in der Kürze und ohne in Details
einzugehen mitgetheilt.
* * * * *
Die Berührung dieser Angelegenheit ist eine schmerzliche Pflicht
für den Verfasser, als einen Enkel des Geschilderten; sie ist aber
eben seine Pflicht, der er sich als gewissenhafter Biograph nicht
entziehen kann und nicht entziehen will, und sie wird ihm dadurch
wesentlich erleichtert, daß er gleichzeitig den für seinen Großvater
höchst ehrenvollen Ausgleich der Angelegenheit mittheilen kann. Es sei
also offen gesagt: daß Brockhaus sich in dieser Zeit genöthigt sah,
mit seinen Gläubigern für sie mit größern oder geringern Verlusten
verbundene Vergleiche abzuschließen, daß er aber später, sobald seine
sich günstiger gestaltenden Verhältnisse es ihm erlaubten, freiwillig
allen, trotz ihrer in aller Rechtsform ausgesprochenen Verzichtleistung,
den damaligen Verlust mit Zurechnung aller Zinsen ersetzt hat: ein in
der buchhändlerischen und überhaupt in der kaufmännischen Welt nicht
eben häufig vorkommender Fall.
Einen eigentlichen Accord proponirte Brockhaus seinen Gläubigern
nicht, sondern ließ ihnen zwischen zwei Modalitäten die Wahl: entweder
sollten die Forderungen ein für allemal ausgeglichen werden, theils
durch baare Zahlung (ein Drittel), theils durch Waaren (ein Drittel
in Verlagswerken, ein Drittel in gangbaren Werken fremden Verlags
aus dem amsterdamer Sortimentslager), oder sie sollten vollständig,
aber nach und nach in Terminen, baar bezahlt werden. Die Mehrzahl der
Gläubiger, besonders die Verlagsbuchhändler, wählten die erstere,
andere, namentlich Buchdrucker und einige größere Verleger, die zweite
Alternative, worüber die Verhandlungen sich theilweise noch bis zum
Frühjahr 1812 hinzogen. Zu den Baarzahlungen wurde der größte Theil der
aus dem Verkauf des amsterdamer Geschäfts gelösten Summe verwendet.
Brockhaus' Commissionär in Leipzig für den Verlag war bis gegen Ende
1810 die Buchhandlung Johann Friedrich Gleditsch gewesen, während
die Buchhandlung W. Rein & Comp. die Expedition an das amsterdamer
Sortimentsgeschäft besorgt hatte. Infolge seiner Differenzen mit der
erstern Handlung wollte Brockhaus in dem Circular über den Verkauf
seines Geschäfts an die Hofräthin Spazier die Rein'sche Buchhandlung als
neuen Commissionär nennen, allein der Besitzer der letztern, Wilhelm
Rein, war mit dem von Brockhaus beabsichtigten Arrangement nicht
einverstanden und wollte deshalb die ihm übersandten Circulare, in
denen er bereits als Commissionär genannt war, nicht ausgeben. Der von
Brockhaus nach seiner Abreise von Leipzig mit Vertretung seiner dortigen
Interessen beauftragte Professor _Dr._ Dabelow (der für ihn auch am 16.
Juli 1810 ein Gutachten wegen des Hiltrop'schen Prozesses verfaßte)
hatte sich ohne Brockhaus' Vorwissen an den Buchhändler Karl Heinrich
Reclam (mit dem Brockhaus 1808 einen heftigen Streit gehabt hatte, weil
er mit dessen Besorgung seiner Commission unzufrieden gewesen war) um
Rath gewandt. Zu Brockhaus' Ueberraschung hatte Reclam diesen Rath »in
sehr verständiger Form gegeben, und soll er bei dieser Gelegenheit
überhaupt durchaus keine Animosität gezeigt haben«, wie Brockhaus an
Bornträger schreibt. Reclam erklärte sich selbst zur Wiederübernahme der
Commission bereit. Außer ihm boten sich dafür noch zwei andere leipziger
Firmen an: Karl Cnobloch und Mitzky & Co. Brockhaus entschied sich für
letztere Firma, die im November 1810 die Commission übernahm und bis
Ende 1811 besorgte. Die Buchhandlung Mitzky & Co. wurde zu dieser Zeit
an einen bisher in derselben arbeitenden Gehülfen, Wilhelm Engelmann,
verkauft, der dieselbe am 20. December 1811 übernahm und unter seiner
eigenen Firma fortsetzte; dieser besorgte von da an auch Brockhaus'
Commission.
* * * * *
Die Buchhandlung, mit welcher es Brockhaus am schwersten wurde, zu einer
Einigung zu gelangen, war die Firma Johann Friedrich Gleditsch, die, wie
eben erwähnt, bis zu diesem Zeitpunkte Brockhaus' Commissionär gewesen
war. Der Besitzer derselben, Karl Friedrich Enoch Richter, war es,
der, wie früher mitgetheilt, zuerst streng gegen Brockhaus auftrat und
dadurch dessen Abreise nach Altenburg veranlaßte, indem er den Ersatz
für einen ihm von Brockhaus auf sein amsterdamer Geschäft gegebenen und
dort durch ein Zusammentreffen von Umständen nicht eingelösten Wechsel
in der dringendsten Weise verlangte. Brockhaus hat über Richter's
damaliges Auftreten selbst Folgendes niedergeschrieben:
Er schlug die inständigsten Bitten, nur einen Posttag zu warten, ab;
er wies alles _accomodement_ durchaus von der Hand und verlangte auf
den folgenden Tag baare und nur baare Zahlung. Herr Enoch Richter war
die alleinige und einzige Ursache meiner Entfernung von Leipzig, weil
er schlechterdings auf der Stelle in Geld befriedigt sein wollte.
Von Altenburg aus wurden weitere Unterhandlungen zwischen Brockhaus
und Enoch Richter eingeleitet. Letzterer wollte gegen Abtretung des
Verlagsrechts der »Urania« seine eigene Forderung und zugleich die
des Bankiers Christian Friedrich Richter als ausgeglichen betrachten.
Brockhaus war dazu auch bereit, zumal Enoch Richter ihm dafür eine
ihn selbst überraschende hohe Summe bot. Indeß reute Enoch Richter
dieses Anerbieten wieder, und er verlangte nun auch noch Abtretung
des »Conversations-Lexikon«! Darauf konnte und wollte Brockhaus nicht
eingehen. Nach langen Verhandlungen wurde endlich im Herbst 1811 eine
Verständigung auf andern Grundlagen abgeschlossen. Enoch Richter konnte
es sich dabei aber nicht versagen, Brockhaus' Auseinandersetzungen über
ihre Verständigung als »schöne Phrasen« zu bezeichnen, was diesen am 8.
December 1811 zu folgender Antwort veranlaßte:
Da von meinen Briefen Copie genommen wird, so habe ich mit der
größten Resignation diesen letzten nochmal überlesen, und ich muß mir
selbst das Zeugniß geben, daß ich endlich kein Wort darin habe zu
finden vermocht, was jene Bezeichnung und Charakteristik verdiente,
und ich kann dessen auch um so gewisser sein, da in meiner Seele
nichts liegt, was diesen Charakter trüge, auch überhaupt es mein
Wesen nur zu wenig ist, Phrasen zu machen, da ich alle Verhältnisse
um mich her immer nur zu sehr in Wahrheit auffasse und mich darüber
ausspreche. Da mir als Mensch dieser Ihr Vorwurf sehr schmerzhaft
gewesen, so ist dies der einzige Punkt, gegen den ich in Ihrem Briefe
reclamire, indem ich Ihnen die Versicherung gebe, daß der sonstige
Inhalt mich befriedigt hat .... Weiter weiß ich nichts, und so wäre
unsere Fehde doch nicht in Unehre geendet! Ich wünsche Ihnen alles
Gute.
In spätern Jahren veränderten sich die Verhältnisse der beiden Männer
und ihrer Firmen nicht unwesentlich; wir können nicht umhin, auf zwei
solcher Momente kurz hinzuweisen.
Im Jahre 1819 hatte Brockhaus Veranlassung, aus Leipzig, derselben
Stadt, in der sich die altberühmte Gleditsch'sche Buchhandlung seit
ihrer Begründung befand, an den Besitzer derselben, Enoch Richter, der
ihn acht Jahre vorher so hart behandelt und aus jener Stadt vertrieben
hatte, als Besitzer einer weit jüngern, aber inzwischen zu immer
größerer Bedeutung gelangten Buchhandlung, zu schreiben: er könne ihm
weder mit Kasse noch mit fremden Papieren »aushelfen« (wegen der damals
herrschenden Handelskrisis) und habe ihm die frühern 3000 Fl. nur »aus
Gefälligkeit« überlassen. Jener hatte sich also schon zum zweiten male
um Unterstützung an ihn gewandt.
Und eine noch eigenthümlichere Fügung des Schicksals ist es, daß die
Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem ihr Besitzer, Enoch Richter,
hatte liquidiren müssen, einige Jahre darauf mit dem größten Theile
ihrer umfassenden Verlagswerke für eine ansehnliche Kaufsumme in den
Besitz der Firma F. A. Brockhaus überging und Enoch Richter in den
letzten Jahren seines Lebens von dieser literarisch beschäftigt wurde!
Enoch Richter war übrigens ein intelligenter Buchhändler und überhaupt
ein begabter Mann. Von ihm rührt die Idee zu der großen »Allgemeinen
Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« von Ersch und Gruber her,
die seit 1818 in dem Gleditsch'schen Verlage erschien und mit diesem
1831 von der Firma F. A. Brockhaus erworben wurde. Ferner bearbeitete
er 1830 für letztere das »Vollständige Handwörterbuch der deutschen,
französischen und englischen Sprache«, welches so großen Beifall fand,
daß es 1870 in neunter umgearbeiteter Auflage erscheinen konnte. Richter
starb in Hamburg am 15. October 1831, und dies war gerade der Tag,
an dem die Gleditsch'sche Buchhandlung das Eigenthum der Firma F. A.
Brockhaus wurde!
Die Gleditsch'sche Buchhandlung (über deren Geschichte einige Angaben
hier wol am Platze sind) war 1693 von Johann Friedrich Gleditsch
in Leipzig gegründet worden, nachdem derselbe schon seit 1681 die
Buchhandlung von Johann Fritsch geleitet hatte. Nach seinem Tode
(26. März 1716) von einem Sohne fortgeführt, kam sie später in den
Besitz von Wilhelm Heinsius (bekannt durch das von ihm begründete und
herausgegebene, später ebenfalls in den Verlag von F. A. Brockhaus
übergegangene »Allgemeine Bücher-Lexikon«); 1805 von Enoch Richter
angekauft, wurde sie Ende 1827, als dieser sich genöthigt sah, zu
liquidiren, von Johann Friedrich Schindler übernommen, nach dessen Tode
(15. December 1828) von seiner Tochter Anna Therese, verehelichten _Dr._
Hahn; diese trat sie am 14. April 1830 an Christian Reichenbach's Erben
& Compagnie ab, worauf sie endlich, wie bereits erwähnt, am 15. October
1831 an die Firma F. A. Brockhaus überging. Von letzterer wurde die alte
Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem sie unter diesem Namen ihres
Begründers 138 Jahre lang bestanden und zu den angesehensten deutschen
Buchhandlungen gehört hatte, nicht weiter fortgeführt, sondern deren
Verlag (mit Ausnahme einiger vorher bereits an andere Verlagshandlungen
verkauften Werke) mit dem ihrigen vereinigt.
* * * * *
Fast so schwer wie mit Enoch Richter war für Brockhaus eine
Verständigung mit dem Bankier Friedrich Christian Richter, der mit
ihm während der letzten Jahre in lebhaftem geschäftlichen und selbst
in freundschaftlichem Verkehr gestanden hatte, wenn auch, wie die von
uns früher mitgetheilten Briefe zeigen, vorübergehend Störungen darin
eingetreten waren.
Der jetzt zwischen Beiden geführten Correspondenz verdanken wir
folgenden Brief, der Brockhaus' ganze Lage in dieser Periode mit manchen
bisher noch nicht erwähnten Details klar darlegt, am 21. April 1811 aus
Altenburg an den frühern Freund gerichtet:
Zwischen meinem Bevollmächtigten, Herrn Friedrich Ferdinand Hempel
hier, und Ew. Wohlgeboren haben seit dem vorigen October schriftliche
mich betreffende Unterhaltungen stattgehabt, die mir sämmtlich zur
Kenntniß gekommen sind.
In dem letzten Briefe, womit Ew. Wohlgeboren ihn beehrt haben,
erklärten Sie sich auf die Anfrage, ob Sie geneigter seien,
Ihre Forderung an mich auf Termine zu setzen und sie dann ganz
zu empfangen, oder ob Sie es vorzögen, mit der Lage der Dinge
angemessenen Aufopferungen eine sofortige Liquidation zu erhalten: daß
Sie auf jenes nie eingehen würden, wohl aber in Erwägung der Umstände
sich zu diesem verstehen dürften. Eine gleiche oder ähnliche Antwort
ging von allen übrigen Creditoren ein.
Die Aufgabe war also jetzt, Fonds zu finden, um dem Ansinnen und
dem Drange der Creditoren zu begegnen. Der Natur der Verhältnisse
wegen mußten die Creditoren sämmtlich und auf einmal befriedigt
werden, und es war demnach ein bedeutendes Kapital nothwendig. Wären
die Creditoren gleich nach der Michaelismesse dem Vorschlage des
Herrn Hempel beigetreten, mir provisorisch für eine gewisse Zeit
Ruhe zu lassen und persönliche Sicherheit zu garantiren, wogegen
er sich dann verpflichten wolle, ein den Umständen angemessenes
Kapital durch Negociation herbeizuschaffen, so würden die Creditoren
einerseits schneller sein befriedigt worden, sie würden gewiß
bessere Bedingungen als jetzt erhalten haben, und für mich wären
die schweren Aufopferungen nicht nöthig gewesen, die ich nachher
zu machen bin gezwungen worden. Die respectiven Creditoren wiesen
jenen gutgemeinten Vorschlag, der Alles vielleicht geeinigt hätte,
von der Hand, und so wie für sie selbst mit, so entstanden auch für
mich aus seiner Verwerfung sehr unangenehme Resultate. Einzelne von
den Creditoren suchten mich gerichtlich zu verfolgen, woraus odiose
und kostbare Processe entstanden. Hierdurch und durch die Heftigkeit
und die Leidenschaft, womit wieder Andere sich gegen mich erklärten,
wurde das Vertrauen, das man gegen mich und meine Angelegenheiten
gezeigt hatte und welches Vertrauen mir jene Fonds würde verschafft
haben, geschwächt! Das schwere neue häusliche Unglück, das durch die
fürchterliche Krankheit der Frau Hofräthin Spazier, die in jener
Periode nach einem heftigen Nervenfieber ihres Verstandes beraubt
wurde, mich traf und mich in namenlosen neuen Jammer stürzte, kam
hinzu, um jedes Vertrauen zu meiner äußern Lage, da ohnehin das
Geschäft jetzt ganz in Stockung gerieth, also täglich schlechter
wurde, vollends zu zernichten!
Bei diesem neuen Stande der Dinge blieb nichts Anderes übrig
als Concurs, der aber den Creditoren Alles entzogen hätte bei
der Priorität meiner Kinder, oder schnelle Aufopferung von allen
concurrirenden Theilen (den Creditoren, von mir und den Vormündern der
Kinder), wenn wenigstens Etwas gerettet, jene nicht Alles verlieren
und ich nicht ganz zu Grunde gehen sollte.
Pflicht der Menschlichkeit verbot es mir indessen, meine Freundin in
ihrem schrecklichen Zustande zu verlassen. Das habe ich auch damals
nicht gethan, trotz allen Gefahren, die mich umringten, obgleich
gegenwärtig unsere Verhältnisse gänzlich getrennt sind. Erst als ich
die arme unglückliche Frau nach einiger Genesung in Begleitung ihrer
Schwester, der Gattin Jean Paul Richter's, nach Berlin zu ihrem Vater
zurückgebracht hatte, konnte und durfte ich mich wieder mit meinen
eigenen Angelegenheiten beschäftigen! Wie sehr sich solche aber
verschlimmert hatten, bedarf keiner Ausführung!
In diesen Zeitpunkt ohngefähr oder etwas früher fällt Herrn Hempel's
obengedachte Anfrage und auch Ihre Antwort, und wir haben jetzt den
Stand- und Zeitpunkt wieder, von dem mein heutiges Schreiben oben
ausging.
Bei der Unmöglichkeit also, außer in mir selbst anderwärts Fonds zu
finden, blieb Nichts weiter übrig, als sich solche zu jedem Preise und
mit jeder Aufopferung durch Verkauf von Eigenthum zu verschaffen. Ich
beschloß demnach, die Sortimentshandlung in Amsterdam loszuschlagen,
und ich reiste zu diesem Endzweck Anfang März von Altenburg nach
Amsterdam. Meine dortige Bilanz, die ich Ihnen vorlegen kann, wie
ich Ihnen Alles, was ich sage, durch Documente zu beweisen im Stande
bin, hatte im November noch einen Ueberschuß von 30000 Fl. (nominell,
obgleich Alles ordentlich geschätzt und inventirt) dargeboten.
Allein sowol durch die jetzige Lage Hollands, da drei Viertel des
Nationalvermögens seit zwölf Monaten nach und nach verschwunden
ist, da alle öffentlichen Anstalten, Universitäten, Institute &c.,
denen ihre Fonds sämmtlich auf Nationalpapieren beruhen, durch die
Tiercirung der Zinsen unfähig sind zu zahlen und zu kaufen, da endlich
die eigentlichen Nahrungsquellen dieses Landes durch die jetzigen
Maßregeln versiegt sind, -- so war, wie man erwarten mußte, jetzt dort
Alles entwerthet.
Meine Handlung war ohnehin seit dem November größtentheils in
Stockung gerathen und unterbrochen worden; dagegen waren die Unkosten
fortgegangen; schwere Abgaben waren zu leisten gewesen, drückende
Einquartierungen hatten stattgehabt; mein und der Handlung Credit war
infolge aller Störungen zernichtet; mehrere Gläubiger auch dort hatten
alle disponibeln Kräfte durch ihren Druck ausgesogen.
Jeder Billige und Verständige wird einsehen, wie unter solchen
Verhältnissen der Kapitalwerth meines dortigen Eigenthums seit sechs
Monaten mußte geschwächt worden sein, wie er täglich mehr schwinden
mußte, und welche Aufopferungen ich werde zu machen gezwungen gewesen
sein, um dasjenige, was noch dort war, schnell oder vielmehr auf der
Stelle gegen gleich baare Zahlung oder doch solche Garantien, auf
welche ich baare Fonds negociiren könnte, zu realisiren! Ich habe aber
alle diese Aufopferungen nicht gescheut und nicht scheuen dürfen, und
so habe ich mit einem reellen Verluste von wenigstens 20000 Fl. dort
ein Kapital gerettet, das ich jetzt bei meiner Zurückkunft aus Holland
auf der Stelle meinen Creditoren hier anbiete!
Zwar gehört dies Kapital streng genommen meinen Kindern, und wenn
ich auf das Aeußerste hinauf- oder hinausgetrieben werde, so wird
es auch nur ihnen. Ich persönlich gehe dann zwar unter, und man
erreicht dann darin das, was man oft nur zu wollen geschienen hat oder
gesucht; aber Jene, die armen verwaisten Kinder, thun es doch nicht.
Ich sage, das Kapital gehört streng genommen zwar diesen, allein die
Hoffnung, daß, einmal gründlich debarrassirt von allen Störungen und
Hindernissen, es mir gelingen werde, durch neue Thätigkeit wieder zu
erwerben, was jetzt dahingegeben wird, hat mich den Entschluß fassen
lassen, es darauf zu wagen, jetzt alles Disponible nur hinzugeben, um
nur zu neuer und geregelter Thätigkeit zurückkehren zu können!
Was wir bei dieser Lage der Umstände anzubieten und zu geben im
Stande sind, haben wir auch Ew. Wohlgeboren durch Herrn Mitzky
anbieten lassen.
Es ist Niemand, der es schmerzhafter fühlt als ich selbst, wie
schwer jedem einzelnen Creditor die Aufopferung fallen muß, die ich
ihm zumuthe. Aber hier ist einmal kein anderes Mittel. Jetzt ist nicht
mehr da. Und es wird nie mehr da sein als jetzt. Jedem Creditor muß
die Wahrheit dieser Anführungen in die Augen springen.
Nur von dem, was vom Verlagsgeschäft nach und nach spärlich eingeht,
und weiter von zu hoffender fremder Unterstützung soll und kann das
neue Leben begonnen werden. Kann ich aber über Jenes anticipirend
verfügen? Kann ich diese einmal begehren oder suchen oder annehmen,
solange das Alte nicht vorab geordnet ist?
Gelingt es mir dagegen, einst neue Kräfte zu erhalten, so wird
mein Ehrgefühl mich von selbst bestimmen, das aus eigenem Motive
nachzuholen, was jetzt aufgeopfert wird.
Ew. Wohlgeboren haben mündlich und schriftlich gegen Hempel sich
mit Härte und Wegwerfung, ja selbst mit Beschimpfung über mich
ausgedrückt. Ich antworte darauf nur: Ich habe es nicht verdient!
Alles, was geschehen, ist durch das Gedränge der gebietendsten
Ursachen veranlaßt worden. Ich habe durch unverschuldete Verluste,
durch äußere Ursachen, die weder vorherzusehen noch zu berechnen
waren, schwere Verluste gehabt. Tod und Krankheit hat meine
moralischen und meine physischen Kräfte lange gelähmt.
Alles, was ich Ihnen je in vertrauten Stunden gesagt, Ihnen in
vertrauten Briefen geschrieben, ist wahr gewesen. Ich habe Ihnen nie
ein wesentliches Wort gelogen. Ueber den einen speciellen Vorwurf, den
Sie mir direct und indirect gemacht, kann ich mich rechtfertigen.
Werfen Sie jetzt noch einen Stein auf mich!
Das Einzige, worüber ich mir Vorwürfe mache, wozu aber Sie nicht
das Recht haben, waren meine Verhältnisse zu einer geistreichen und
liebenswürdigen Frau, deren eigene Verhältnisse zur Welt mir aber
unbekannt waren. Aber diese haben auch nur von mir dürfen entdeckt
werden, um eine Verbindung für immer in dem Augenblick aufzuheben, wo
es mein Gefühl für Menschlichkeit und die Gesetze der Ehre erlaubten!
Ich komme jetzt zur Hauptsache. (Folgen detaillirte Vorschläge.)....
Wer Geschäfte kennt und die Erfahrung hat wie Sie, der weiß, daß ein
einmal stockendes Geschäft täglich schlechter wird. Bewilligte man mir
im October provisorische persönliche Ruhe und Sicherheit, so konnten
und würden wir gewiß weit bessere Offerten machen wie jetzt. Schlägt
man diese jetzigen abermalen aus, so werden die, welche wir über sechs
Monate machen können, von neuem in derselben Progression schlechter
sein! Dies ist mathematisch nothwendig.
Ich will es nicht versuchen, Sie durch irgend weitere und andere
Mittel, als es die vorstehend gegebene einfache Exposition aller
Verhältnisse gewesen ist, überreden und bestimmen zu wollen! Sie sind
zu einsichtsvoll, um nicht die Lage der Dinge zu würdigen, und zu
edel, um mich zur Verzweiflung treiben und vindicativen Gesinnungen
Gehör geben zu wollen. Sollten Sie einen unserer Vorschläge annehmen,
so wird der Betrag nach Regulirung der Rechnung augenblicklich nach
empfangener Nachricht, die Sie gefälligst Herrn Mitzky mittheilen
wollen, baar angewiesen oder bezahlt.
Dieser Brief blieb nicht ohne Erfolg, und Richter nahm in der Hauptsache
die ihm gemachten Vorschläge an.
Brockhaus hatte so nach der Rückkehr von der leipziger Ostermesse
des Jahres 1811 zum ersten male nach langer Zeit die Beruhigung,
wieder festen Fuß fassen zu können. Die Regelung einiger anderer
Rechnungsverhältnisse (namentlich mit der J. G. Cotta'schen Buchhandlung
in Tübingen, Friedrich Vieweg in Braunschweig und Heinrich Gräff in
Leipzig) zog sich noch bis zur Ostermesse 1812 hin, ohne indeß den
Wiederbeginn seiner Thätigkeit zu stören.
Daß aber Brockhaus seines (auch in dem eben mitgetheilten Briefe
gegebenen) Versprechens eingedenk war und dasselbe im vollsten Sinne des
Wortes einlöste, zeigt der von einem angesehenen leipziger Advocaten
unterm 15. März 1820 an Brockhaus' frühere Creditoren in dessen Auftrage
gerichtete Circularbrief, welcher der Zeit vorgreifend gleich hier
folgen möge:
Ich bin von Herrn Brockhaus hier mit einem Auftrage beehrt worden,
dessen ich mich hierdurch mit besonderm Vergnügen entledige.
In den Jahren 1811-1812 kam, wie Sie sich erinnern werden, das
Geschäft unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam,
aus Ursachen mancherlei Art in die unangenehme Lage, seine Creditoren
um Nachsicht bitten zu müssen. Diejenigen derselben, welche diese
Nachsicht zugestanden, wurden innerhalb eines Jahres vollständig
befriedigt. Ein anderer Theil, wozu auch Ew. Wohlgeboren gehörten,
lehnte diese Nachsicht ab und zog die ihnen gegebene Alternative vor,
gegen gleich baare Zahlung einen Theil ihrer Forderungen freiwillig
aufzuopfern.
Zur Findung der hierzu erforderlichen Fonds wurde das
Sortimentsgeschäft der gedachten Firma für die Summe von 7000 Gulden
und mit einem Verluste von wol 30000 Gulden verkauft, ein Umstand, den
ich wie den, daß die im Laufe von 1811 nachgelieferten und während
1810 theilweise zurückgehaltenen Journale vom Jahre 1810 am Ende nicht
mehr in Holland, das in der Zwischenzeit die französischen Gesetze
bekommen hatte, eingeführt werden konnten und sämmtlich confiscirt
wurden, welches einen Verlust von abermals gegen 5000 Gulden an
Journalcontis nach sich zog, zur richtigen Beurtheilung der damaligen
Verhältnisse mir besonders deshalb anzuführen erlaube, weil dieses
amsterdamer Sortimentsgeschäft und was damit verbunden, eigentlich den
Kindern erster Ehe des Herrn Brockhaus hätte zugewendet werden müssen,
Herr Brockhaus es aber verlangte, daß es auf diese Weise verwendet
wurde.
Herr Brockhaus war der Chef der gedachten Firma sowie der alleinige
bekannte Eigenthümer derselben gewesen. Nach dieser Stockung hörte
die alte Firma auf, und das Geschäft wurde unter dem Namen des Herrn
Brockhaus und von jetzt an für seine alleinige Rechnung fortgesetzt.
Es war von jeher die Absicht des Herrn Brockhaus, jene Nachlasse, ob
sie gleich freiwillig zugestanden waren und eine einjährige Nachsicht
sie ganz überflüssig gemacht und auch jenes Geschäft gerettet hätte,
unter günstigern Umständen nachzuberichtigen, und er hat auch
diejenigen, welche ihm eine höhere moralische Verbindlichkeit zu haben
schienen, successive längst beseitigt und vollständig liquidirt.
Gegenwärtig, nachdem auch seine Kinder erster Ehe vorab für jene
Verluste beim Verkauf des amsterdamer Geschäfts vollständig von
ihm entschädigt worden sind, hat er infolge jener Absicht sich
entschlossen, diejenigen Nachlasse, welche in gedachten Jahren der
Firma des Kunst- und Industrie-Comptoirs zugestanden und die noch
nicht von ihm ersetzt worden, ohne Ausnahme und mit den Zinsen, vom
1. Januar 1813 an gerechnet, sämmtlich nachzuliquidiren, und ich bin
in Gemäßheit dieses Vorsatzes beauftragt, Ew. Wohlgeboren, welche
sich in diesem Fall befinden, über den damaligen Abschluß der Rechnung
mit dem Kunst- und Industrie-Comptoir um einen Abzug _in duplo_ zu
ersuchen.
Ich habe diese Notification folgenden Handlungen zu machen (folgen
die betreffenden Namen), indem diese, soviel Herrn Brockhaus bewußt,
die einzigen sind, gegen welche noch Verbindlichkeiten der gedachten
Art zu erfüllen wären. Da Herrn Brockhaus es beehrgeizt, daß auch
Niemand jetzt übergangen bleibe, so wünscht er, daß, im Fall Ihnen
noch Jemand bekannt sei, der hier nicht genannt ist und sich im
gleichen Falle befinde, Sie diesen veranlassen möchten, sich mir zu
erkennen zu geben.
Weil diese Angelegenheit sich nicht durch die Handlungsbücher des
Herrn Brockhaus ziehen läßt, sondern von ihm privatim liquidirt wird,
so wollen Ew. Wohlgeboren Ihre Mittheilungen darüber nebst den schon
gedachten Auszügen auch nicht direct an Herrn Brockhaus, sondern an
mich adressiren, wie Sie denn auch durch mich späterhin nach erfolgter
Verification die Valuta erhalten werden ....
Herr Brockhaus theilt Ihnen zugleich seinen aufrichtigen Wunsch mit,
daß, was zwischen Ihnen und ihm in jener Vergangenheit liege, und
das, wo man sich gegenseitig möge oder könne gekränkt haben, rein und
völlig vergessen sei oder es werde.
Er ersucht Sie, ihm dieselben wohlwollenden und freundschaftlichen
Gesinnungen zu widmen, welche er gegen Ew. Wohlgeboren zu hegen
vollkommen geneigt ist.
Dieses Schreiben bildet wol den würdigsten und versöhnendsten Abschluß
der Sturm- und Drangperiode in Brockhaus' Leben und bedarf keines
weitern Commentars von unserer Seite; wir versagen uns deshalb auch die
Wiedergabe der ebenso große Ueberraschung als Befriedigung zeigenden
Antworten, die darauf von allen Seiten eingingen.
Als jenes Schreiben in seinem Auftrage erlassen wurde, hatte Brockhaus
allerdings Altenburg schon wieder verlassen und war in dem Hafen
angelangt, der den Ziel- und Endpunkt seiner Lebenswanderungen bilden
sollte.
Bevor wir ihm aber dahin, nach Leipzig, folgen, haben wir die von ihm
dauernd in Altenburg zugebrachte Zeit vom Frühjahre 1811 bis Ostern 1817
mit ihm zu durchleben.
* * * * *
Blicken wir vorher noch einmal zurück auf die anderthalb Jahre, welche
Brockhaus seit dem Tode seiner Frau bis zur Festsetzung in Altenburg
verlebte, so erfüllt uns gewiß ebenso reges Mitleid mit seinen
Schicksalen als volle Anerkennung der Energie, mit der er diese zu
überwinden verstand. Er hatte die schwersten innern Kämpfe zu bestehen
und gleichzeitig um seine äußere Existenz zu ringen, aber aus beiden
Kämpfen ging er endlich doch siegreich hervor. Seinen Hauptzweck: das
amsterdamer Geschäft zu verkaufen und sich bleibend in Deutschland
niederzulassen, hatte er wenn auch mit schweren Opfern erreicht; er
hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen und konnte ein neues Leben
beginnen.
Vierter Abschnitt.
In Altenburg.
1.
Neues Leben.
Mit der Rückkehr von der leipziger Buchhändlermesse nach Altenburg im
Mai 1811 beginnt ein neuer Abschnitt in Brockhaus' Leben und Wirken.
Ein von ihm am 21. Mai geschriebener Brief, an Bornträger, der zur
vollständigen Abwickelung der alten Verhältnisse noch in Amsterdam
geblieben war, zeugt nach langer Zeit zum ersten male wieder von
besserer Stimmung, von wiedergewonnenem Vertrauen auf die eigene Kraft
und von energischer Wiederaufnahme der verlegerischen Thätigkeit.
Mit diesem Tage beginnt auch das erste im Besitz der Firma befindliche
Copirbuch seiner Geschäftsbriefe; ebenso sind die an ihn in
Geschäftsangelegenheiten gerichteten Briefe erst von dieser Zeit an
vorhanden.
* * * * *
Altenburg, das von dieser Zeit an sechs Jahre hindurch (bis Ostern
1817) Brockhaus' bleibenden Aufenthalt bildete, war damals nicht
Residenz, was es erst 1826 als Hauptstadt des der Regentenfamilie
von Sachsen-Hildburghausen zugefallenen selbständigen Herzogthums
wurde. Das Land Altenburg war zwar auch bis dahin ein selbständiges
Fürstenthum, aber mit Gotha durch eine Art Personalunion zu dem
Herzogthum Sachsen-Gotha-Altenburg verbunden. Der gemeinschaftliche
Herzog Emil August residirte in Gotha, doch hatte Altenburg eine
gesonderte Gesetzgebung und Verwaltung, eigene Landstände und
Centralbehörden (Landesregierung, Kammercollegium, Consistorium
u. s. w.). Aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen erklärt sich das
rege geistige Leben, das in diesen Jahren in Altenburg herrschte.
Der selbst geistig hervorragende Herzog hatte bedeutende Männer
an sich herangezogen, und diese bewegten sich, entfernt von den
unmittelbaren Einwirkungen einer fürstlichen Hofhaltung, um so freier.
Der Kammerpräsident, spätere Minister Hanns von Thümmel, Bruder des
Dichters und frühern sachsen-koburgischen Ministers Moritz August
von Thümmel, zeichnete sich durch geniale gesetzgeberische und
Verwaltungsthätigkeit aus; der Kanzler und Minister von Trützschler
durch juristische Werke; der Kammerrath, spätere Minister Bernhard
von Lindenau durch astronomische Werke und landständische Wirksamkeit
im liberalen Sinne. Andere hervorragende Mitglieder der altenburger
Gesellschaft waren: Generalsuperintendent Demme, Superintendent
Schuderoff, Gymnasialdirector Professor Matthiä (Verfasser der
bekannten griechischen Grammatik), Gymnasialprofessor Messerschmidt,
Kammerverwalter Ludwig, Regierungssecretär Hofrath Brümmer, Hofadvocat
Friedrich Ferdinand Hempel (durch seine satirischen Schriften unter
den Pseudonymen Spiritus Asper, Peregrinus Syntax u. s. w. bekannt),
Kammersecretär Lüders, Hofrath Buddeus, Geh. Kammerrath Zinkeisen,
Hofrath _Dr._ Pierer (Inhaber der Hofbuchdruckerei), endlich der
Bankier, spätere Geh. Finanzrath August Reichenbach.
Hauptmittelpunkte des geistigen und geselligen Verkehrs bildeten die
Häuser von Ludwig und Reichenbach, besonders durch die denselben
angehörenden geistvollen Frauen: die Gattin Ludwig's nebst ihrer
unverheiratheten Schwester, die drei Schwestern Reichenbach's, Frau
Hoffmann, Frau Klein und Frau Hofräthin Pierer, und Karoline Hempel,
die Schwester Ferdinand Hempel's. Man lebte überaus gesellig und
veranstaltete oft Bälle, Concerte und Theateraufführungen, während die
Männer auch noch allein zu geistigem Verkehre zusammenkamen.
In diesen Kreis, dessen Mitglieder uns zum Theil schon früher begegnet
sind, war Brockhaus gleich nach seiner Ankunft aufgenommen worden und
bildete bald einen Mittelpunkt desselben.
Frau Professor Luise Förster in Dresden, die Gattin Karl Förster's und
Schwester Ernst und Friedrich Förster's, theilt uns über diesen Kreis,
dem sie in ihrem älterlichen Hause ebenfalls angehörte, Folgendes mit:
Obschon Brockhaus als ein Fremder in Altenburg eintrat, wurde
er doch bald als ein willkommener Einheimischer betrachtet; sein
gediegener Charakter, eine tiefgehende Humanität, vielseitige
Kenntnisse, das ernste Streben, der Wissenschaft und durch dieselbe
allem Guten und Schönen förderlich zu werden, dabei ein nie
verletzender Humor, zu welchem eine gewinnende Persönlichkeit sich
gesellte, alle diese Vorzüge waren bald erkannt, und Brockhaus wurde
der Mittelpunkt der gebildeten kleinen Welt in Altenburg. Zu seinem
nähern Umgang gehörten: Hofrath Pierer, Professor Messerschmidt,
Ludwig, Brümmer, Hempel (Spiritus Asper), Bankier Reichenbach,
Königsdörfer, Minister von Thümmel und dessen Bruder, der durch
seine Schriften bekannte Moritz von Thümmel; auch der hochgeachtete
Generalsuperintendent Hermann Demme, durch seine literarische
Thätigkeit bekannt und gepriesen, stand dem geistverwandten Brockhaus
nicht fern. Der Umgang mit diesen Familien, wo das seichte Salonleben
weder unter Männern noch Frauen sich einbürgern konnte, war für
Brockhaus zusagend; er war für den geistigen Austausch in diesen
Kreisen das belebende Element, und obschon die zartern Formen der
Weltbildung ihm wol angeboren waren, so konnte man doch annehmen, daß
Goethe's Worte im »Tasso«:
Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edeln Frauen an,
ihm ein treuer Wegweiser für geselligen Umgang waren.
Der erwähnte kleine Kreis, welcher sich fast in jeder Woche einmal
vereinigte, wurde von den jenem Kreise Fernstehenden nicht ohne Ironie
die »Theegesellschaft« genannt; vielleicht auch, weil in jener Zeit
der Genuß des Thees, den nur die höhere Gesellschaft sich erlaubte,
als ein ungewöhnlicher, aber »matter« Luxus bezeichnet wurde.
Besonders fühlte sich Brockhaus von der Ludwig'schen Familie angezogen,
der er zunächst durch geschäftlichen Verkehr mit Ludwig, als dem Curator
der Hofräthin Spazier, näher getreten war. Als er Anfang März Altenburg
plötzlich verließ, um nach Amsterdam zu reisen, drängte es ihn, noch von
Halle aus Frau Ludwig seine Empfindungen darüber auszusprechen. Dieser
spät in der Nacht vor der Weiterfahrt geschriebene Brief lautet:
Ich wage es drauf, verehrteste Frau, und möchte ich auch
dafür ein wenig unbescheiden gehalten werden, Ihnen selbst und
ohne Vermittelung, die doch immer in etwas die Lebendigkeit der
Gedankenmittheilung unterbricht, zu sagen, wie sehr Sie und alle
Theile und Bilder Ihres würdigen Hauses mich beschäftigen, und
wie sehr es mein Wunsch ist, auch Ihnen Allen, die diesen schönen
Lebensverein bilden, in recht gutem Andenken zu bleiben. Ich kann
Ihnen die Empfindungen nicht durch Worte, noch weniger durch
Schriftzüge ausdrücken, die ich hatte, als ich Sonntag Morgen Ihnen,
Ihrer Schwester, Ludwig Lebewohl sagte. Es war mir, als hätte ich
für immer mit Ihnen Allen gelebt (so nahe fühlte ich mich Ihnen),
und wieder, als sei meine Trennung von Ihnen für ewig, so sehr
ergriff es mich. Wer weiß es auch, wie das Schicksal mein nun lange
her verworrenes Leben weiter noch verwirren will, oder auch, dies
ist ein Lichtstrahl durch den für mich umzogenen Himmel, ob sich
jetzt vielleicht Fäden zeigen werden, an die sich eine neue und
schöne Zukunft binden könnte. Seit dem 8. December -- es sind nun
15 Monate -- wo ich das Theuerste verlor, was ich auf Erden hatte,
und von welchem Tage an mein Leben sich auch verwirrte, habe ich
keine andern #rein# glücklichen Stunden gehabt als die, welche ich
in Ihrem Anschauen, verehrte Frau, in der Betrachtung und Würdigung
Ihrer himmlischen Anmuth und Ihres Edelsinns gehabt habe. Aus
diesem Gesichtspunkte genommen könnte ich diese so unglückschwanger
gewesene Zeit selbst für einen schönen Zeitraum halten, und auch ohne
diesen meinen höchsten Schwung der Empfindung gibt es noch andere
Standpunkte, aus welchen ich diese Zeit für sehr reich -- für üppig
reich selbst -- für mein geistiges Dasein halten muß. Ich habe in den
fünf Monaten meines altenburger Aufenthalts geistig mehr gelebt und
erlebt, als manchem Erdenkinde im ganzen Leben oft beschieden wird,
und wenn auch das Unglück sich über mich in demselben erschöpfen zu
wollen schien, so hat es doch auch wieder einen Reichthum in sich
gehabt, daß mir das Unglück selbst fast theuer geworden ist durch den
Umfang der Erfahrungen und Beobachtungen, die ich in demselben habe
machen müssen, und durch die Gelegenheit, die ich in ihm gefunden
habe, Sie, verehrte Frau, Ihre vortreffliche Fräulein Schwester, dann
die lebenskluge und herrliche Karoline, und von Männern Ludwig und
Hempel näher kennen zu lernen. Ich werde nie vergessen, in welche
Lage des Lebens ich auch möge versetzt werden, was ich Ihnen Allen,
besonders auch Ihrem edeln Manne und dem von mir sehr hochgehaltenen
Ferdinand (Hempel) schuldig bin, und mein Leben wird immer dem
lebhaftesten Danke geweiht sein.
Leben Sie wohl. Möge ich bald zu Ihnen zurückkehren können! Ihrer
von mir sehr verehrten Schwester die herzlichste Empfehlung.
In anderer Weise bezeichnend für Brockhaus' Schreibweise und für den
in dem altenburger Kreise herrschenden Ton ist folgender Brief, den er
einige Tage darauf, am 8. März, aus Osnabrück an Ludwig richtete:
Dem Himmel sei Dank, liebster Ludwig, mehr als zwei Drittel der
schweren Reise, nämlich 55 Meilen, sind zurückgelegt in den noch
nicht 4½ Tagen. Ich bin im Wesentlichen nie so schnell gereist
als diesmal. Den Montag vertrödelte ich nämlich ganz auf den wenigen
Meilen bis Leipzig und in Pourparlers mit meinem Commissionär, den ich
erst in Greudniz (Reudnitz) und nachher wieder in Leipzig sprach. Erst
um 8 Uhr abends kam ich von Leipzig weg.
Jetzt aber hätte ich auf den Flügeln des Sturmwindes mein Ziel
ereilen mögen! Ich fand jedoch so viele prosaische Hindernisse
an grundlosen Wegen, schlechten Pferden, groben Postmeistern und
betrunkenen Postillonen, die meine poetische Eile gar nicht verstehen
wollten, daß ich nur durch große Resignation auf Alles, was zur
Restauration und zur Bequemlichkeit des äußern Lebens gehört, und mit
Unterstützung der gegenwärtig wirklich sehr guten neuen westfälischen
Postordnung -- wenn der Reisende auf die Ausführung dringt! -- es so
weit habe bringen können, jetzt schon hier zu sein. Aber ich habe
mich auch was geeilt, lieber Ludwig. Nur immer vorwärts, dachte ich,
um schnell wieder rückwärts zu kommen zu den biedern Altenburgern.
Kein Abenteuer ist also bestanden, denn daß ich einmal bin umgeworfen
worden und die elende Postchaise in tausend Stücke, ich aber in
heiler Haut davonging, ob es gleich possirlich genug war, wie es
hätte gefährlich sein können, ist nicht dahin zu rechnen. Nach keiner
Merkwürdigkeit habe ich mich umgesehen, keinen berühmten Mann habe
ich besucht, kein bedeutendes Wort habe ich sprechen hören, und ich
würde wahrlich in Verlegenheit sein, wie ich eine Reisebeschreibung
auch nur im kleinsten Sedez zu Stande bringen sollte. Da stehe ich
recht beschämt vor meinem weiland Collegen, dem großen Nicolai, der
über Nürnberg, wo er eine Nacht schlief, einen dicken, dicken Band von
500 Seiten schrieb, und ich stehe auch neidisch gegen einen Spiritus
Asper, der über eine kleine Reise um seinen kleinen winzigen Tisch[47]
mehr Merkwürdiges und Geistreiches sagen wird als ich, wenn ich eine
Reise um die Welt machen und sie beschreiben sollte. Phantasie und
Reflexionen, wie Sie, liebster Ludwig, uns solche in so besonnener
Form gegeben -- oft zu besonnener, denn beim Reisen wie beim Leben muß
es oft heißen: _desipere in loco_ -- sind mir nun vollends gar nicht
viele in den Kopf gekommen, wie ich es ehrlich gestehen will. Es muß
mir am Zeuge dazu, den Gattungen selbst, wol ganz fehlen. Hätte ich
von meiner _étourderie_, denke ich mir, so 'nen vierten Theil, und
wäre es auch ein volles Drittel, weniger, und könnte ich mir dagegen
so ein Portiönchen Reflexion erkaufen! Von meiner Leidenschaftlichkeit
könnte ich wol gar die Hälfte missen, wenn ich sie auch mit 50%
Verlust gegen 25% Phantasie eintauschen könnte. Einen Tausch, lieber
Ludwig, will ich Ihnen nicht vorschlagen, weil meine Waare eigentlich
nicht, wie die Holländer sagen, _puyk puyk_ (fein, auserlesen) ist;
eher möchte ich ihn mit einem unserer modernen Philosophen und
Aesthetiker machen, die mir denn ihre Reste überließen und von dem,
was sie dagegen von mir erhielten, dann rein toll würden werden.
Was ich gethan habe denn eigentlich? Antwort: so viel geschlafen als
möglich, aufrichtig gesprochen. Mit dem Denken in der kalten feuchten
Luft, auf einem offenen Karren, auf harten Bänken sitzend, erfroren
und erstarrt am ganzen Leibe, zerrüttelt und zerstoßen auf den
Chausseen, in den Koth sinkend auf den Landwegen, miserabel gefüttert
und getränkt in den Gasthöfen -- so will's bei mir wenigstens mit dem
Denken gar nicht recht fort. Ich habe darin Sancho Pansa's Natur.
Eine gemeine. Ich denke nicht besser und lieber als hinterm warmen
Ofen, auf 'm weichen Sofa, oder am fein besetzten Tische und beim
vollen Becher. Hätte ich Ihres edeln Freundes, des Herrn Reichenbach,
bequemen Wagen und seinen herrlichen Burgunder, von dem er die Güte
hatte mir in Lobstädt bis zum Ueberflusse mitzutheilen, zu meiner
Disposition gehabt, d. h. hätte ich auf der Reise immer in seinem
Wagen gesessen und immer so 'nen Burgunder im beständig gefüllten
Flaschenfutter gehabt, ich glaube, ich würde dann auch ganz prächtige
Gedanken gehabt oder doch bekommen haben.
Das Posthorn ertönt, für mich wie auch für Sie wol eine
Sphärenmusik, und ich muß also schließen. Ich bin -- ernst gesprochen
-- außerordentlich fatiguirt, von dem schon viernächtigen Durchfahren
besonders. Es ist, weiß Gott, kein Spaß. So Gott will, bin ich Sonntag
früh in Amsterdam. Dienstag schreibe ich Ihnen von dort. Könnten nur
die Briefe immer in der Minute dort sein, wenn sie geschrieben sind.
Ist es nicht, als ob ihr Geist oft durch die lange Reise entflöge?
Die herzlichsten Grüße an den großen Theoretiker, der so wenig
Uebung im Praktischen hat, an Muhme Morgenroth, die, wie Fielding
oder Rebhuhn im »Tom Jones« von Garrick sagte, recht garstig war, und
der Mamsell Sophie, die für ihren Muthwillen schon noch wird bestraft
werden. Adieu lieber, lieber Ludwig.
Von Amsterdam aus schrieb Brockhaus an die Freunde in Altenburg
mehrere Briefe, aus denen wir schon früher Manches mittheilten. In
einem derselben sagt er, daß er gern ausführliche Briefe schreibe:
eine bekanntlich der ganzen damaligen Zeit eigenthümliche Liebhaberei,
der wir aber sehr werthvolle Beiträge zu seiner Biographie verdanken;
auch scheint es uns, daß er darin eine besondere Geschicklichkeit
entwickelte, sodaß seine Briefe oft als Muster ihrer Art gelten können
und man bisweilen denken könnte, sie seien ursprünglich für den Druck
bestimmt gewesen, was sicher nicht der Fall war. In demselben Briefe ist
eine Begegnung mit Klopstock erwähnt, von der uns sonst nichts bekannt
ist; da Klopstock bereits am 14. März 1803 starb, muß sie noch vor
Brockhaus' amsterdamer Aufenthalt oder während desselben stattgefunden
haben, wahrscheinlich durch den gemeinschaftlichen Freund Beider, Karl
Friedrich Cramer, veranlaßt.
Die betreffende Stelle des am 22. März an Frau Ludwig gerichteten Briefs
lautet:
Ob ich gleich hoffen darf, Sie, verehrte edle Frau, nicht viele Tage
später, als dieser Brief Ihnen kann zu Händen kommen, von Angesicht zu
Angesicht persönlich wiederzusehen und Ihnen meine Ergebenheit fürs
Leben zu bezeugen, so kann ich mir das Vergnügen doch nicht versagen,
bis dahin mich noch einmal mit Ihnen durchs Medium schriftlicher Worte
zu unterhalten. Ich liebe dieses Medium oft mehr als das der Rede
von Munde zu Munde. Es ist eine Art von Krankheit selbst, und ich
schreibe oft lieber einen eine ganze Seite langen Brief, ehe ich mich
entschließe, zwanzig Schritte zu gehen und dasselbe mit zwei Worten zu
sagen.
Rousseau erzählt in den »_Confessions_« von Jemandem, der seine
Geliebte verließ, um -- ihr schreiben zu können. Das kommt mir nun
sehr möglich vor. Mir fällt dabei eine Anekdote ein, die mir Klopstock
mal erzählte, und die ich Ihnen so gut wiedergeben will, als ich es
noch vermag.
Klopstock haßte nichts so sehr als das Briefschreiben. Es war seine
Schooßsünde oder, wie er sagte, seine Schooßtugend. Freilich, hätte
er darin sehr ordentlich sein wollen, so würde sein ganzes Leben nur
eine lange Correspondenz gewesen sein. Genies müssen sich mit solchen
kleinen Geschäften des menschlichen Lebens nicht befassen. Die Materie
des Briefschreibens war daher häufig eine der gewöhnlichsten seines
Scherzes und seiner Persiflage. Besonders mußten die Stolberge viel
darüber herhalten. Das Briefschreiben war und ist wol noch der ganzen
Familie wie angeboren, besonders dem Aeltesten Christian und der
Schwester Augusta Gräfin Schimmelmann. Feder und Tinte! -- erzählte
Klopstock nun -- ist das Erste, wonach der ruft, sobald er in ein
Wirthshaus tritt. Zu Hause, auf Reisen, wo es auch sei! Schreiben Sie
ihnen, und Sie haben den ersten Posttag Antwort. Die Gräfin Augusta
-- vom Morgen bis im Abend laufen die Depeschen bei ihr ein, wie bei
einem Staatsminister, und werden sorgfältiger abgefertigt als in einer
Kanzlei.
Letzthin allegorisirte ich darüber mit Tellow (der Liebesname seines
und meines Freundes Cramer).
Wo ist nun die Gräfin wieder? fragte ich (Klopstock).
Cramer: Oben; schreibt Briefe.
Klopstock: Das ist wahr! Die Stolbergs! Sie liegen am Briefschreiben
recht krank danieder.
Cramer: Freilich, es ist eine Krankheit zum Tode.
Klopstock: O! sie sind schon gestorben.
Cramer: Und begraben dazu.
Klopstock: Was? Sie sind schon auferstanden.
Cramer: Ei! sie sind schon selig.
Klopstock: Ja, nun -- kann ich nicht weiter.
Hierüber kommt die Gräfin herunter.
Wir sprachen, sagt ihr Klopstock, eben zusammen von Ihrer Krankheit,
Ihrem Begräbniß, Ihrer Auferstehung, Ihrer Seligkeit!
Wie so?
Ja, gestehen Sie es nur, schöne Gräfin, Ihr Briefschreiben ist doch
eine wahre Krankheit, eine Schwachheit, eine Seuche!
Sie mögen aber doch wol selbst gern Briefe haben?
Das mag ich wohl; -- o, das Briefe#lesen# ist eine ganz
vortreffliche Sache; aber das #Schreiben#! Es ist eine Schwachheit,
ein Fehler, sage ich, aber eine nicht eben unliebenswürdige
Schwachheit! Wenn sich die Briefe, die Antworten wenigstens, nur
selbst schrieben!
Meine Anekdote ist zu Ende. Die mußte man freilich von Klopstock
selbst erzählen hören!
In einem spätern Briefe, vom 30. März, an Ludwig findet sich eine
hübsche Stelle, die unter Weglassung anderer nicht hierher gehöriger
Bemerkungen hier noch folgen möge:
Bald, vielleicht wenige Stunden später, als Sie diese Zeilen
erhalten, drücke ich Sie an meine Brust und sage Ihnen mündlich,
wie sehr ich Sie liebe und verehre. Mehr wie je. Es ist mit der
Freundschaft wie mit der Liebe. Die Entfernung tödtet schwache, sie
stärkt die echte und wahre. Den Frauen Ihres Hauses küsse ich mit
Verehrung die schönen Hände.
Aus Amsterdam und dann von der leipziger Messe nach Altenburg wieder
zurückgekehrt, schreibt Brockhaus in dem schon erwähnten Briefe vom 21.
Mai an Bornträger:
Meine freundschaftlichen Verhältnisse mit Ludwigs, Hempels und
Andern dauern ununterbrochen fort und consolidiren sich selbst immer
mehr. Seit einer Reihe von Jahren ist dieser Sommer der erste, wo
ich meines Lebens wieder froh bin. Die Pfingstfeiertage werde ich
mit meinen Freunden eine Tour nach Dresden machen. Fritz und Lina
sind in demselben Hause, wo ich wohne, in Kost und unter Aufsicht.
Wahrscheinlich werde ich Fritz, um ihm mehr Reibung zu geben, hier
in der Nähe in ein sehr gutes Institut thun. Lina behalte ich aber
bei mir. Was aus Sophiechen werden soll? Ich habe von Ihnen beständig
Nachricht erwartet über ihre Unterbringung in dem Dorfe bei Muiden.
Wo das arme Kind gut ist, da ist es mir recht bis dahin, daß ich es
von dort zu mir nehmen kann. Wäre es einmal hier, so wäre es gut
aufgehoben. Aber wie hierher bringen?
Die für die Pfingstfeiertage 1811 beabsichtigte Reise mit Ludwigs nach
Dresden fand erst Mitte Juli statt. Brockhaus hatte von derselben
vielen Genuß, besonders von dem Aufenthalte in Dresden selbst, das er
wol zum ersten male sah, »dieser an Kunstschätzen und Naturschönheiten
einzigen Stadt«, wie er schreibt, ebenso von dem Zusammentreffen mit
interessanten Leuten. Unter diesen nennt er einen Baron von Heinse
aus Lübeck, mit dem zusammen er Ludwigs, die sich in Dresden von ihm
getrennt hatten, um einen längern Aufenthalt in dem Bade Teplitz zu
nehmen, dort besuchte und dann nach Dresden zurückkehrte. Anfang August
war er wieder in Altenburg, während Ludwigs erst am 4. September wieder
dort eintrafen. Die Schwester von Frau Ludwig, Jeannette von Zschock,
hatte nebst ihrer Freundin Karoline Hempel ebenfalls an der Reise nach
Dresden und Teplitz theilgenommen, Beide waren aber, wie es scheint, in
Brockhaus' Begleitung gleich mit nach Altenburg zurückgereist.
Diese gemeinschaftliche Reise und die unmittelbar darauffolgende Zeit
brachten in Brockhaus einen Entschluß zur Reife, den er schon lange
mit sich herumtrug und der auch oft zwischen den Zeilen seiner von
uns mitgetheilten Briefe an Herrn und Frau Ludwig durchschimmert: er
verlobte sich mit Jeannette von Zschock, und der Verlobung, die nach
der Rückkehr ihrer Schwester und ihres Schwagers zuerst nur im Stillen
gefeiert, bald darauf aber auch öffentlich erklärt wurde, folgte gegen
Ende des nächsten Jahres die Verheirathung.
Jeannette von Zschock (mit ihren vollen Vornamen Johanne Charlotte Luise
Rosine, aber gewöhnlich nur die französische Form des erstern führend)
war am 7. September 1775 in Offenbach geboren und lebte seit dem Tode
ihrer Mutter und ihres Vaters, der Rittmeister in schwäbischen Diensten
gewesen war, bei ihrer Schwester in Altenburg. Sie stand bei ihrer
Verlobung im siebenunddreißigsten Lebensjahre, Brockhaus im vierzigsten.
Die einzigen Mittheilungen über die mit der Verlobung zusammenhängenden
Umstände finden sich wieder in einem Briefe von Brockhaus an Bornträger.
Er schreibt diesem aus Altenburg vom 30. August 1811:
Heute endlich die Beantwortung Ihrer mehrmals geäußerten Wünsche,
mein jetziges inneres Leben zu kennen, meine Verhältnisse hier zur
Welt, zu meinen Freunden. Je wichtigere Nachrichten ich Ihnen über das
Höchste im Leben mitzutheilen habe, je mehr haben Sie Recht, darüber
etwas zu wissen, da Sie mit seltener Freundschaft mein Schicksal
theilen. Es hat sich in diesen Tagen viel entschieden.
Hier folgt die früher schon mitgetheilte Stelle über die in dieser Zeit
von der Hofräthin Spazier gemachten neuen Anknüpfungsversuche, und daran
schließen sich folgende von uns dort absichtlich noch weggelassenen
Worte:
Da aber der Verstand, beleidigte Ehre, Pflichtgefühl und auch zarte
und edle Neigung für ein anderes weibliches Wesen mich stärken und
schützen, so werde ich der Sirenenstimme, die von der Spree her zu mir
herüberschallt, nicht folgen.
Er fährt dann fort:
Mein Verhältniß hier zur Welt ist im ganzen noch dasselbe, wie ich
es Ihnen geschildert. Innige Freundschaft mit allen Gliedern des
Ludwig'schen Hauses ist jedoch das, was mich allein sehr anzieht.
Sie sind es auch allein, die mich ganz verstehen und würdigen. Ich
habe hier nämlich wieder das Schicksal, daß viele Menschen gegen mich
sind, daß mich diese für stolz, üppig, eingebildet und Gott weiß wofür
Alles halten, wozu ich freilich durch mein schneidendes, auch oft
sonst nie vorsichtiges Betragen Veranlassung gegeben habe. Ich bin
über die Ursachen und die einzelnen Gravamina lange in Unsicherheit
gewesen, da ich nur die Spuren in den Folgen entdeckte, ohne die
Ursachen errathen zu können, da die Winke, die ich von einer Seite
erhielt, nicht hinreichten, mir die nöthige Aufklärung zu geben. Jetzt
kenne ich aber alle Fäden der geheimsten Verhandlungen darüber und
auch alle Intriguen, die dabei stattgefunden und -finden.
Mein Genius, der mir jene Winke und jetzt alle Offenbarungen gegeben
hat; der mein Interesse vom ersten Augenblicke, daß ich hier vor einem
Jahre aufgetreten bin, zum eigensten gemacht hat; dem ich und die
Hofräthin alles Gute und Liebe verdanken, das wir hier genossen; der
mich und sie mit gleicher Energie verfochten und vertreten; der durch
einen wunderbar sympathetischen Zug sich zu mir wie ich mich zu ihm
hinneigte, als auch noch nicht die allerentfernteste Möglichkeit da
war, daß je ein näheres Verhältniß eintreten könnte -- dieser Genius
ist jenes herrliche Mädchen, Ludwig's Schwägerin, Fräulein Jeannette
von Zschock -- seit einer Woche meine still Verlobte! Sie wird mir
fürs Leben angehören, wenn ich es vermag, mein bürgerliches Schicksal
ganz zu ordnen, die Einwilligung Ludwig's und ihrer Schwester, die
noch nicht von Teplitz zurück sind, zu erhalten und die Welt ganz mit
mir zu versöhnen. Wir werden aber Vieles zu kämpfen haben, ehe wir ans
Ziel kommen.
Unsere Wahlverwandtschaft hat um so weniger unbeobachtet bleiben
können, da durch die Eifersucht der Hofräthin, die zu einer Zeit,
als der Gedanke daran zu den Märchen aus dem Monde gehörte, mich und
die arme Jeannette aufs Blut damit verfolgte, dies unser Verhältniß
die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, da es psychologisch
allerdings höchst interessant war und jetzt von neuem die Behauptung
Schubert's und Anderer gewissermaßen bestätigt, wie diese Art
Nervenkranker die Gabe der Voraussehung und Voraussagung haben.
Außerordentlich ist's, daß sie im Wahnsinn ihres Fiebers prophetisch
Alles ausgesprochen hat. »Ich bin«, sagte sie, indem sie unsere Hände
zusammenlegte, »Donna Elvira, mein Fräulein; ich werde nun gehen«....
Meinerseits bin ich überzeugt, daß meine Kinder eine vortreffliche
Mutter und Erzieherin, ich eine edle Freundin und treue Genossin
fürs Leben errungen habe, wenn es mir gelingt, unsere Verbindung zu
vollenden. Sie wissen, wie verarmt mein Leben war und wie es das
außerordentlichste Glück ist, wenn ich es auf diese Weise neu und
schön ordnen kann. Ich gedeihe nur in einem edeln Familienkreise, und
ohne solchen bin ich nichts. Und was wird und kann aus meinen Kindern
werden, wenn sie nicht wieder eine edle Mutter finden? Es ist der
lebhafteste Wunsch meiner Freundin, die kleine Sophie von Amsterdam
herüberzuhaben, und es werden daher ernste Ueberlegungen stattfinden
müssen, wenn Sie herüberkommen, wie dies zu bewerkstelligen.
Der Schluß des Briefs enthält eine anziehende Schilderung des
altenburger Vogelschießens, eines damals mit weit mehr Glanz als jetzt
gefeierten Volksfestes:
Ich würde Ihnen diesen Brief schon vor acht Tagen geschrieben haben,
wo er freilich noch nicht so klar und bestimmt hätte melden können,
was er jetzt enthält, wenn nicht in dieser Zeit gerade das hiesige
große Vogelschießen stattgefunden, das jede geregelte Arbeit beinahe
unmöglich macht. Sie können sich keinen Begriff davon bilden, mit
welchem Pompe, mit welchen Feierlichkeiten es begleitet ist, und wie
sich Geschmack und alle schönen Künste vereinigen, die Belustigungen
dabei zu veredeln und zu verschönern. Dies Jahr war noch eine neue
Loge erbaut worden, in der sich nun die Elite der Gesellschaft
versammelte, wo des Morgens _Déjeuner dansant_, dann _Dîner_, Abend
_Bal paré_, Spiel und _Souper_ unter den Colonnaden des Saals und in
den Nebenzimmern war. An einem Tage in den Zwischenzeiten war noch
Lotterie für Damen, an einem andern Tage Concert. Jeannette gewann
auf zwei von mir geschenkte Lose zwei Ringe! Sie können denken, wie
glücklich uns dieser Zufall oder diese Schicksalsdeutung machte.
Blos in dieser Loge speisten gewöhnlich 4-500 Personen. Ich glaube
nicht, daß es irgendwo brillantere oder angenehmere Bälle und Partien
geben könnte, als es die hier waren. Aus der ganzen Gegend bis von
Dresden her hatten sich lebenslustige Fremde in außerordentlicher
Zahl eingefunden, die täglich ab- und zuwogten. Dazu die zahlreichen
Buden auf der an einer sanften Anhöhe gelegenen Vogelwiese, von der
man eine wunderschöne Aussicht hat; die herrliche Witterung, die
schönen mondhellen Nächte, der Jubel der Volksmengen, denen diese
Woche das ist, was den Römern ihr Carneval; das Werfen der Schwärmer,
der Raketen, womit sich Jung und Alt amusirt; das ewige Musiciren
von zwanzig Orten her, das Trommeln bei jedem Schusse, der den Vogel
verwundet; die militärische Haltung aller Freunde und Bekannten, die
sämmtlich in ihren ebenso geschmackvollen als wohlkleidenden Uniformen
(dunkelgrün aufs brillanteste mit Silber gestickt, französischer
Offiziersschnitt) mit großen russischen Hüten und rothen Schwungfedern
erscheinen; die geputzten Weiber und Mädchen, von denen es wimmelt.
Sie wissen, wie arm man in Holland an allem ist, was Vergnügen
heißt, und Sie können daher denken, wie sehr es auf mich einwirken
mußte.
Ich war dazu doppelt glücklich, aber auch doppelt mäßig in jedem
Genusse, da am Vorabend des Festes meine edle Freundin mir mit ihrem
Herzen auch ihre Hand zugesagt hatte. Das geheimnißvolle Glück, das
eine ausgesprochene edle Liebe begleitet, deren Höhe von keinem Aber
geahndet wurde, goß einen besondern Reiz über unsere beiderseitige
Haltung und Wesen, die von unsern nähern Freunden nicht übersehen
wurde.
Ich komme nochmal auf unsere Widersacher. Niemand ahndet zwar, daß
zwischen uns eine Erklärung stattgefunden und wir uns Beide vollkommen
verstehen; allein Jeder bemerkt leicht unsere gegenseitige Neigung,
und da ich in allen öffentlichen Orten ihr den Arm gebe, bei Tisch
ihr immer zur Seite bin, jeden ersten Tanz mit ihr tanze, mich _par
préférence_ mit ihr unterhalte, sie beständig nach Hause führe,
so hat man natürlich unsere gegenseitige Neigung nicht übersehen
können, davon abgesehen, daß da, wo ich nicht bin, sie mich hebt oder
nöthigenfalls vertheidigt, wie ich schon oben gedacht habe.
Die weitere günstige Entwickelung der Verlobungsangelegenheit schildert
Brockhaus in einem fernern Briefe an Bornträger aus Leipzig vom 21.
September:
Ich bin seit meinem vorigen Briefe ein paar mal in Leipzig gewesen,
wo ich auch jetzt mich schon wieder seit acht Tagen befinde, um
mehrere Expeditionen zu beschleunigen und vieles Andere zu reguliren,
da die Niederlage muß geräumt werden und hundert andere Dinge zu thun
sind.
Seit jenem Briefe hat sich in den dort geschilderten Verhältnissen
viel geändert und zum Guten, sodaß ich hoffen darf, es werde sich
Alles schön und edel lösen. Ludwigs kamen den 4. September zurück.
Ich war in Leipzig und kam erst den 8. wieder nach Altenburg. Meine
Freundin hatte sich ihnen gleich erklärt und mit der entschiedensten
Energie sich ausgesprochen, daß nichts sie zurückhalten würde,
ihr Leben mit dem meinigen zu vereinigen, wenn meine bürgerlichen
Verhältnisse sich ordnen ließen. Ludwigs hatten es gut aufgenommen und
ihr allen Beistand zugesagt.
Zu den »Widersachern«, von denen er mehrfach spricht, gehörte besonders
der mit dem Ludwig'schen Hause eng befreundete Bankier August
Reichenbach. Indessen gelang es Brockhaus und Frau Ludwig, auch ihn zu
gewinnen, ja er wurde ihm bald ein treuer Freund, der ihn auch materiell
durch Credit bei seinen Verlagsunternehmungen unterstützte.
Wie sehr Brockhaus seine künftige Schwägerin Frau Ludwig verehrte,
zeigt folgendes Gratulationsschreiben, das er zu ihrem Geburtstage, 27.
December 1811, an sie richtete:
Als ich vor einem Jahre der »Schönen und Guten« am heutigen Tage
ein Zeichen meiner Verehrung brachte, wie wenig kannte ich da noch
den Umfang Ihres herrlichen Geistes, den Adel Ihrer Seele, die Tiefe
Ihres Gemüths, die Wärme Ihres Herzens, die, zusammen vereint, Sie
zum Stolze und zur Ersten Ihres Geschlechtes machen, und Allen, die
Ihnen nahen und die Ihnen angehören, der sicherste Leitstern sind
fürs eigene Streben. Sie werden heute vielfach begrüßt werden, liebe
Ludwig, und gewiß von Vielen in Liebe und Treue und Wahrheit. Ich
geselle mich zu den Vielen, und in kunstloser Rede sage ich Ihnen
denn auch, Keinem wenigstens an Wahrheit, Treue und Freundschaft
nachstehend, wie sehr ich Sie verehre und wie meine heißesten Wünsche
für Ihr Glück, für Ihren Seelenfrieden, für Ihr Wohlsein sich mit
denen Ihrer ältern und besten Freunde vereinigen! Seien Sie so
glücklich, als Sie verdienen es zu sein!
Wie fern stand ich Ihnen vor einem Jahre! Wie unglücklich war ich
damals! Vieles, wie Vieles hat sich in den schnell verflossenen
Monden geändert! Ich sehe für mich die Morgenröthe eines neuen Glücks
aufgehen, das um so größern Reiz für mich haben wird, je näher ich
Ihnen, Verehrte, dadurch zu stehen komme!
Möge ich Sie zur nächsten Feier des heutigen Tags mit einem Namen
begrüßen dürfen, der für mich, außer dem Herrlichen, was er an sich in
sich faßt, die schönste Lebensmusik sein wird.
Im Laufe dieses und des folgenden Jahres hatten sich Brockhaus'
geschäftliche Verhältnisse immer mehr befestigt. Die Verlobung wurde
jetzt veröffentlicht und den Verwandten und Freunden mitgetheilt. Von
allen Seiten kamen herzliche Glückwünsche; der kurze, aber treffende
Glückwunsch eines dortmunder Jugendfreundes, Johannes Rappe, an
Brockhaus lautete:
Dein Genie hat Dich durch so mancherlei Labyrinthe des bürgerlichen
Lebens gejagt und geführt, daß Du meinen Glückwunsch zu Deinem frohen
Lebensgenuß in ruhiger Wirksamkeit für aufrichtig anerkennen und
Deiner praktischen Vernunft zur Ausführung anvertrauen wirst.
Auch sein Bruder Gottlieb schrieb sehr herzlich, und die in Dortmund
noch weilenden drei Kinder feierten dort die Hochzeit ihres Vaters wol
deshalb besonders freudig, weil sie ihnen die Aussicht bot, wieder eine
Mutter zu bekommen und nunmehr bald in das älterliche Haus zurückkehren
zu können.
Die Hochzeit fand in Altenburg am 26. November 1812 statt, unter regster
Theilnahme der neuen und alten Freunde des Bräutigams, die sich in
zahlreichen ernsten und humoristischen Gedichten kundgab.
Mit Bedauern vermißte Brockhaus unter seinen anwesenden Freunden den
Professor Ersch aus Halle. Derselbe war im September bei ihm zu Besuch
gewesen und hatte ihm dann geschrieben:
Immer wird die Erinnerung meines Aufenthalts in Altenburg an die
erfreulichsten meines Lebens sich anreihen; immer werde ich mit frohem
Gefühle der Stunden denken, in welchen ich Bekanntschaften mit guten
Menschen erneuerte und stiftete.
Jetzt durch Krankheit abgehalten, an der Hochzeit theilzunehmen, schrieb
er an Brockhaus aus Halle vom 21. December:
Wahrlich, Sie hätten nicht nöthig gehabt, durch Ihre Nachrichten
von Ihrer frohen Hochzeit und den Feierlichkeiten, mit welchen Ihre
Freunde sie ausstatteten, meine Trauer über die Entbehrung dieser
Freuden zu schärfen, und doch waren sie mir ungemein lieb und
interessant, vorzüglich erfreuend aber die Bemerkung, daß Sie und Ihre
gute Jeannette in Altenburg so viele Freunde haben. Wer, wie ich, den
höchsten Lebensgenuß in dem Besitz von Freunden findet, weiß dies Gut
zu würdigen.
Die nächsten vier Jahre, 1813-1816, verbrachte Brockhaus meist in
Altenburg, im ruhigen Genusse seiner neuen Häuslichkeit, aber auch in
angestrengter Thätigkeit für den Wiederaufbau seines Geschäfts und
unter lebhafter Theilnahme an den großen Ereignissen dieser Zeit.
Außer häufigen Fahrten nach Leipzig machte er nur im Sommer 1814 in
Erbschaftsangelegenheiten seiner Frau eine dreimonatliche Reise nach
Stuttgart, Augsburg und München, von wo er über Strasburg, Frankfurt
a. M. und Braunschweig zurückkehrte, und kleinere Ausflüge nach Dresden,
Weimar, Dessau, Wittenberg, Berlin.
Von seinen Kindern hatte er Auguste und Hermann im April 1814 von
Dortmund nach Altenburg kommen lassen, während Heinrich erst im Mai
1816 folgte und die jüngste Tochter, Sophie, endlich im August 1817
von ihrem ältesten Bruder Friedrich aus Amsterdam abgeholt und nach
Altenburg gebracht wurde. Friedrich war im Herbst 1813 zu dem Pastor
Schlosser in Großzschocher bei Leipzig gekommen, wo er mit andern
Knaben zusammen erzogen und unterrichtet wurde; zu Neujahr 1816 nahm
ihn auf Wunsch seines Vaters der mit diesem befreundete und schon seit
der amsterdamer Zeit einen großen Theil seiner Verlagswerke druckende
Buchhändler und Buchdrucker Hans Friedrich Vieweg in Braunschweig
zu sich in die Lehre; er sollte hier gleichzeitig mit Vieweg's fast
gleichaltrigem Sohne Eduard die Buchdruckerkunst erlernen, weil sein
Vater die Absicht hatte, mit dem immer größere Ausdehnung erlangenden
Verlagsgeschäfte eine Druckerei zu errichten. Der jüngste Sohn Hermann
erhielt mit den Ludwig'schen Kindern zusammen Privatunterricht und kam
später gleich seinem ältern Bruder Heinrich, der an diesem Unterrichte
auch mit theilnahm, in die Erziehungsanstalt zu Wackerbarthsruhe bei
Dresden Die älteste Tochter Auguste wurde im Januar 1815 in eine Pension
nach Dresden gebracht und war dort bis zur Uebersiedelung ihres Vaters
nach Leipzig; die zweite Tochter, Karoline, blieb in Altenburg.
Von seiner Frau wurden ihm in dieser Zeit zwei Kinder geboren, Alexander
und Luise, die aber bald wieder starben, ersterer am 20. August 1814,
letztere am 4. August 1818. Später wurden ihm noch zwei Töchter geboren:
Johanne Wilhelmine am 29. December 1817 noch in Altenburg und Marie
Ottilie am 18. Mai 1821 in Leipzig.
* * * * *
Brockhaus' langjähriger vertrauter Gehülfe und treuer Freund Bornträger
war nach dem Verkaufe des amsterdamer Geschäfts noch bis zum Frühjahre
1812 in Amsterdam geblieben, um die von dem Käufer, Johannes Müller,
nicht mit übernommenen Außenstände einzuziehen und alle sonstigen
Verhältnisse daselbst zu regeln. Als ihm dies gelungen war und er am
4. März 1812 den schon früher erwähnten Vertrag mit dem amsterdamer
Buchhändler Sülpke abgeschlossen, schrieb ihm Brockhaus offen: er könne
ihm augenblicklich keine feste Stellung in Altenburg anbieten, da seine
Verhältnisse noch zu wenig consolidirt seien, und rathe ihm seiner
selbst wegen eine andere Condition anzunehmen, zu deren Erlangung er
ihm gern behülflich sein werde; für alle Fälle sei ihm in seinem Hause
ein Asyl gesichert. Durch diese Mittheilung und wol auch durch manche
Vorwürfe verletzt, die ihm während der allerdings sehr schwierigen Zeit
seiner Geschäftsführung gemacht worden waren, kündigte Bornträger und
nahm eine untergeordnete Stellung bei dem Buchhändler Tasché in Gießen
an. Er schrieb aber bald darauf selbst an Brockhaus, daß er seinen
Entschluß bereue, und in spätern Jahren, bei Bornträger's regelmäßigem
Besuche der leipziger Messe, glichen sich alle Differenzen zwischen
ihnen vollständig aus. Bornträger rühmt selbst in einem spätern Briefe,
er habe sich der Freundschaft seines frühern Principals bis zu dessen
Tode zu erfreuen gehabt.
In Gießen blieb Bornträger bis Anfang 1815, ging dann nach Berlin
zu Amelang und errichtete 1818 in Gemeinschaft mit seinem jüngern
Bruder Ludwig in Königsberg unter der Firma Gebrüder Bornträger eine
Sortimentsbuchhandlung, mit der bald auch Verlagsbuchhandel vereinigt
wurde. Diese Buchhandlung leitete er erst mit seinem Bruder, dann nach
dessen Tode (1843) allein bis zu seinem am 6. März 1866 in hohem Alter
(er war am 17. September 1787 zu Osterode am Harz geboren) erfolgten
Tode und wußte seiner (noch jetzt unter einem andern Besitzer in
Berlin fortblühenden) Verlagsbuchhandlung Ansehen zu verschaffen; sein
Sortimentsgeschäft war schon 1842 an Tag & Koch verkauft worden. Auch
persönlich genoß er hohe Achtung bei seinen Mitbürgern, die ihn 1843 zum
Stadtrath wählten.
Die Verdienste, die sich Bornträger um Brockhaus als treuer Freund und
Berather in schwieriger Zeit erworben, werden auch von dessen Nachkommen
vollkommen gewürdigt und sein Andenken wird bei ihnen stets in Ehren
gehalten werden.
* * * * *
Bornträger's Nachfolger als Brockhaus' vertrauter Gehülfe und bald in
noch höherm Grade wie dieser als Freund des Hauses wurde Karl Ferdinand
Bochmann, der am 10. Juli 1813 in das Geschäft eintrat. Am 11. Februar
1788 zu Thurm bei Glauchau geboren, hatte er in der Buchhandlung des
Magister Sommer in Leipzig sechs Jahre lang den Buchhandel erlernt und
dann, von Wanderlust getrieben, im August 1808 eine Gehülfenstelle in
Amsterdam bei dem Buchhändler Hesse angenommen. Bezeichnend für die
damaligen Verhältnisse ist es, daß Hesse mit seinem neuen Gehülfen einen
förmlichen Vertrag abschloß, in dem sich dieser verpflichten mußte, sich
niemals in Amsterdam zu etabliren, ja selbst »nie mit den Principalen
der andern zwei dortigen deutschen Buchhandlungen und mit deren Leuten
sich einzulassen und allen Umgang mit denselben zu vermeiden, ansonsten
Er augenblickliche Entlassung seiner Condition zu erwarten hat«.
Trotzdem war er in Amsterdam mit Brockhaus bekannt geworden. Als Hesse
im Sommer 1813 seine amsterdamer Buchhandlung aufgab und nach Paris zog,
nahm Bochmann die ihm jetzt durch Vermittelung seiner an _Dr._ Bernhardi
in Altenburg verheiratheten Schwester angebotene Stelle bei Brockhaus um
so lieber an, als es ihm bei den aufgeregten politischen Verhältnissen
Hollands in Amsterdam nicht mehr gefiel und er sich nach der Heimat
sehnte. War er doch 1809 sogar gezwungen worden, in die amsterdamer
Bürgerwehr (_Schutterij_) einzutreten. So ergriff er am 11. Juni 1813
den Wanderstab und legte die Reise nach Altenburg, wo er am 26. Juni
eintraf, zu Fuße zurück. Ueber seine Wanderung wie über die nächste so
ereignißreiche kriegerische Periode führte er ein Tagebuch, das manches
Interessante enthält. Er gewann bald Brockhaus' vollständiges Vertrauen
und war schon während der altenburger Zeit dessen Hauptstütze im
Geschäft.
* * * * *
Außer Bochmann hatte Brockhaus noch zwei Männer an sich gezogen, die ihn
bei seiner literarischen und redactionellen Thätigkeit unterstützten,
während Bochmann das rein Buchhändlerische besorgte: _Dr._ Ludwig Hain,
der im August 1812 eintrat, um ihn zunächst bei der Redaction des
»Conversations-Lexikon«, später auch bei der Herausgabe der »Deutschen
Blätter« zu unterstützen, und bis 1820 bei ihm blieb, und _Dr._ Sievers,
der im Herbst 1813 zu Hain's Unterstützung kam, seine Stellung aber
schon 1815 wieder aufgab.
Während dieser Zeit vollzog sich auch die Umänderung der bisherigen
Firma des Geschäfts »Kunst- und Industrie-Comptoir« in die seitdem
beibehaltene Firma: »F. A. Brockhaus.« Und zwar erfolgte diese
Umänderung in ganz formloser Weise, da man überhaupt auf alle solche
Dinge damals wenig Gewicht legte.
Wie schon früher erwähnt, gebrauchte Brockhaus seit Aufgabe des
amsterdamer Geschäfts die Firma desselben auch in Altenburg noch
fort, nur mit einem Zusatz, indem er »Kunst- und Industrie-Comptoir
von Amsterdam« firmirte und auf den Büchertiteln bald Altenburg, bald
Leipzig, bald beide Städte als Verlagsort nannte. In einem vom 15.
Januar 1814, und noch dazu nicht aus Altenburg, sondern aus Leipzig
(wo sich Brockhaus damals zufällig befand), datirten Circulare über
Rechnungsverhältnisse finden sich am Schluß ganz beiläufig folgende
Zeilen:
Noch bemerken wir Ihnen, daß wir von jetzt an blos nach dem
Eigenthümer unserer Handlung mit F. A. #Brockhaus# firmiren werden.
Diese Firmenzeichnung findet sich seitdem auf allen seinen
Verlagsartikeln, im Anfang noch abwechselnd mit »Altenburg« oder
»Leipzig« oder beiden Städten als Verlagsorten, seit 1817 meist und seit
1819 ausschließlich mit dem Verlagsort »Leipzig«.
2.
Neue Verlagsthätigkeit.
In Altenburg entfaltete Brockhaus, sobald er die Verwickelungen aus der
amsterdamer Periode zum Abschluß gebracht, gleich eine überaus rege und
umfassende Thätigkeit. Mit neuer Kraft und mit gewohnter Energie gelang
es ihm, von dem rasch wiederkehrenden Vertrauen der Buchhändlerwelt
gehoben und von seinen neugewonnenen Freunden in Altenburg moralisch und
materiell unterstützt, sein Verlagsgeschäft bald zu größerer Bedeutung
zu bringen, als es in Amsterdam gehabt, und dadurch auch seine äußere
Lage wieder zu einer günstigen zu gestalten.
* * * * *
Seine Verlagsthätigkeit in dieser altenburger Periode erstreckte sich
besonders nach drei Richtungen hin. Die eine umfaßt seine Thätigkeit
auf politisch-publicistischem Gebiete während der ereignißreichen
und für Deutschland so hochbedeutsamen Jahre 1813-1815. Die zweite
Hauptthätigkeit betrifft das »Conversations-Lexikon«, das er wesentlich
in diesen Jahren zu dem gestaltete, was es für ihn und für die deutsche
Literatur geworden ist. Die dritte Seite endlich ist die seiner
allgemeinen Verlagsthätigkeit auf fast allen Gebieten der Literatur.
Die beiden ersten Gruppen einer schon durch ihre Wichtigkeit geforderten
eingehendem Schilderung vorbehaltend, beginnen wir mit der dritten, auch
der Zeit nach den andern beiden meist vorangehenden Gruppe.
Zunächst hatte Brockhaus noch Unannehmlichkeiten wegen zweier früher
von ihm übernommener und von uns bereits erwähnter Verlagswerke, die im
Herbste 1811 mit der Jahreszahl 1812 und unter der bekannten fingirten
Verlegerfirma »Peter Hammer in Köln« erschienen waren: »Handzeichnungen
aus dem Kreise des höhern politischen und gesellschaftlichen Lebens« und
»Briefe eines reisenden Nordländers«.
Der ungenannte Verfasser des erstern Buchs ist auch unbekannt
geblieben. Aus einer von Brockhaus selbst herrührenden Notiz geht nur
hervor, daß die Hofräthin Spazier es vor dem Druck redigirt hatte und
dafür 50 Thlr. »Redactionsgebühren« erhielt; verfaßt ist es von ihr
schwerlich, vielleicht von dem Kriegsrath von Cölln. Das kleine Buch
enthält eine Reihe meist hochgestellte Persönlichkeiten betreffender
Anekdoten und Erzählungen, die, ihre Wahrheit vorausgesetzt, allerdings
»zur Charakteristik der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts«
(wie noch auf dem Titel steht) dienen, aber zum Theil Skandale und
Verbrechen unter voller Namensnennung der Betreffenden enthüllen und
deshalb bei diesen wie im Publikum großes Aufsehen erregten. Der daraus
entstandene Conflict mit dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg, aus
dessen früherm Leben eine pikante Anekdote erzählt wird, wurde bereits
früher berichtet. Jetzt verursachte Fürst Hatzfeld in Berlin, von dessen
verstorbenem Bruder in dem Buche ebenfalls eine schlimme Gerichte
erzählt wird, dem Verleger ernstere Unannehmlichkeiten, indem auf seine
Veranlassung dasselbe gleich den »Briefen eines reisenden Nordländers«
in Leipzig mit Beschlag belegt wurde, nachdem er außerdem eine Klage
gegen ihn anhängig gemacht hatte.
Die »Briefe eines reisenden Nordländers« sind von Reichardt, dem
bekannten Musiker und Reiseschriftsteller, verfaßt, von dem Brockhaus
bereits 1810 »Vertraute Briefe« über Wien und Oesterreich verlegt hatte,
und waren, wie früher erwähnt, von Brockhaus selbst hervorgerufen
worden. Das Buch erschien zuerst ebenfalls anonym, dagegen ist der
Verfasser auf der (1816 veranstalteten) neuen Auflage genannt, wenn auch
eigenthümlicherweise mit einem Druckfehler: Reichhardt statt Reichardt.
Ueber die Conflicte wegen dieser beiden Bücher schreibt Brockhaus am 5.
December 1811 aus Altenburg an Bornträger:
Ich befinde mich hier seit wenigen Tagen in einer besondern Krisis.
Von unserm Verlage haben die »Handzeichnungen« und die »Briefe des
Nordländers« große Sensation gemacht. Von den ersten sind in Leipzig
73 Exemplare confiscirt und sind solche in vielen Orten verboten
worden. Auch die »Briefe des Nordländers« sind in Leipzig vor der
Hand verboten, doch nur erst dort, weil sie erst seit kurzem versandt
sind. In Leipzig soll ich von der Büchercommission gar, wie Mitzky mir
meldet, zu sechswöchentlichem _prison_ verdammt worden sein, weil ich
die Firma Peter Hammer gebraucht habe.
Auch bin ich direct vom Fürsten von Hatzfeld in Berlin wegen
einer seinen verstorbenen Bruder betreffenden Anekdote in den
»Handzeichnungen« auf rechtlichem Wege in Anspruch genommen worden,
und habe ich deshalb heute eine Vernehmung zu erdulden gehabt.
Dies ist es indessen weniger, was mich afficirt gerade, ob ich
gleich glaube, daß noch von vielen Seiten Reclamen wegen der
»Handzeichnungen« erfolgen werden. Es schützt mich hier so ziemlich
die passirte Censur und die Erlaubniß der Nennung des Verfassers, den
ich aber bisjetzt noch nicht genannt habe.
Mehr bin ich besorgt wegen des »Nordländers« in Rücksicht des darin
wehenden Geistes, ob ich gleich alle marquanten Stellen gestrichen
habe. Die Gefahren scheinen aber demohnerachtet nicht unbedeutend zu
sein, da besonders heute sehr schreckbare Nachrichten eingelaufen
sind. So ist Hofrath Becker in Gotha vor drei Tagen durch 250, ich
sage 250 Mann französische Dragoner aus der Residenz ohne Vorwissen
des Herzogs und der Landesregierung aufgehoben und in Zeit von
10 Minuten aus der Stadt mit allen seinen Papieren fortgefahren
worden, ohne daß man weiß wohin. So ist Hofrath Voigt in Jena wegen
leichtsinniger Censur des dritten Bandes von Seume's »Reise nach
Syrakus« ebenfalls beim Kopf genommen. In Leipzig ist, wie ebenfalls
heute die Nachricht eintrifft, die alte Büchercommission cassirt
und ein Einziger statt derselben angestellt worden mit den größten
Vollmachten. Dieser Einzige heißt Brückner, das Alles ist, was ich bis
zur Minute von ihm weiß.
Von Gotha war ich von unbekannter Hand von der Hatzfeld'schen
Requisition vorab unterrichtet worden, und ich werde hier so leicht
nichts zu fürchten haben, wenn Alles im gewohnten rechtlichen Wege
ginge. Bei diesen außerordentlichen Begebenheiten ist aber für nichts
zu stehen, und die Freunde und die Freundinnen beschwören mich, mich
zu entfernen. Dies ist auch beschlossen, und werde ich eine längst
vorgehabte Reise unternehmen.
Einige Tage darauf, am 11. December, schrieb Brockhaus:
Ich habe die Idee, die ich Ihnen neulich mittheilte, wieder
aufgegeben, da mir die Gefahr bei näherer Ueberlegung minder dringlich
scheint. Adressiren Sie indessen Ihre Briefe nur immerhin an
Scholber[48], da doch ein Fall eintreten könnte. Wegen Becker weiß man
noch nichts Näheres. Man sagt, er sei nach Hamburg gebracht.
Rudolf Zacharias Becker, der bekannte Volksschriftsteller und
Buchhändler, war auf Davoust's Befehl in Gotha verhaftet und nach
Magdeburg gebracht worden, wo er bis zum April 1813 gefangen gehalten
wurde; er hat dies selbst in der interessanten Schrift: »Becker's Leiden
und Freuden in siebzehnmonatlicher französischer Gefangenschaft« (Gotha
1814), geschildert.
Wie die Angelegenheit mit jenen beiden Verlagswerken und speciell die
Klage des Fürsten Hatzfeld schließlich für Brockhaus verlief, wissen
wir nicht. Unter unsern Papieren findet sich darüber nur noch ein
eigenhändiges Concept folgender am 5. März 1812 von Brockhaus der
altenburger Regierung abgegebenen loyalen Erklärung:
Ich wiederhole vollkommen, was ich in der ersten Vernehmung vom 5.
December v. J. hierüber bereits gesagt habe, und trage daher jetzt
auf ein rechtliches Erkenntniß über diesen Gegenstand an, indem ich
nur noch wünsche, daß mir gestattet werden möge, die Grundsätze,
welche hier in Anwendung kommen könnten, meinerseits in einem
mir zu bestimmenden Termine in einer nähern Deduction genauer zu
entwickeln. Sollte dieses rechtliche Erkenntniß dahin lauten, daß
seitens des Herrn Fürsten von mir, nach rechtlichen dabei eintretenden
Grundsätzen, der oder die quästionirten Namen können verlangt und
müßten mitgetheilt werden, so erkläre ich hierdurch ausdrücklich und
bestimmt, daß ich mich demselben ebenso unweigerlich unterwerfen
werde, als es mir jetzt unrechtlich und meine Pflicht als Verleger
verletzend erscheinen würde, schon gegenwärtig darin dem Herrn Fürsten
zu willfahren. Ich würde mir selbst, dem Verfasser oder den Personen,
von welchen ich das quästionirte historische Factum in Manuscript
erhalten habe, als feig und unedel erscheinen, wenn ich auf die bloße
Instanz eines Individuums, das ich auch bei gleicher Namenslautung
bisjetzt doch nur als dritte dabei nicht concernirte Person betrachten
muß, gleich pliirte und den Verfasser dadurch vielleicht unmittelbar
persönlichen oder Privatverfolgungen oder Ahndungen aussetzte, die
ich von ihm oder ihnen so lange abzuwehren für meine Pflicht halte,
als anerkannte rechtliche Grundsätze mich nicht dazu moralisch und
bürgerlich verbinden. Der Herr Fürst kann sich übrigens ja auch
vollkommen mit dieser Erklärung zufriedengeben. Entweder ist seine
Frage rechtlich begründet, oder sie ist es nicht. Im erstern Falle
wird das von mir provocirte rechtliche Erkenntniß ihm beistimmen, und
ich, da alsdann meine Ehre als Verleger gegen den Verfasser gerettet
ist, unterwerfe mich unbedingt dem Erkenntniß, soweit dasselbe die mir
jetzt vorgelegte Frage betrifft. Im letztern Falle darf der Herr Fürst
ja überhaupt keine Bewilligung seiner Instanz erwarten.
Ein wichtigeres Verlagsunternehmen, dem sich Brockhaus seit seiner
Uebersiedelung nach Altenburg wieder mit Eifer widmete, und das er neben
dem »Conversations-Lexikon« mit besonderer Vorliebe pflegte, war das von
ihm begründete Taschenbuch »Urania«.
Der erste Jahrgang war unter dem Titel: »Urania. Taschenbuch für das
Jahr 1810«, im Herbst 1809 erschienen und hatte viele Theilnahme
gefunden. Das vom 1. September 1809 datirte Vorwort ist ohne Zweifel
von der Hofräthin Spazier geschrieben und der Jahrgang auch von
ihr zusammengestellt. Er wird durch einen Aufsatz von Jean Paul:
»Erden-Kreis-Relazion« eröffnet, worauf andere abwechselnd prosaische
und poetische Beiträge folgen: von Friedrich Kind, Charlotte
von Ahlefeld, Theodor Körner, Luise Brachmann, Varnhagen, De la
Motte Fouqué, Mahlmann, Apel u. a. Die Ausstattung ist elegant:
Miniaturformat, gutes Papier, scharfer Druck (wahrscheinlich von Vieweg
in Braunschweig), hübsche Kupferstiche; das zierliche Bändchen wurde
cartonnirt mit Goldschnitt ausgegeben.
Der zweite Jahrgang, in etwas größerm aber auch noch Miniaturformat,
erschien erst zwei Jahre nach dem ersten, im Herbste 1811, unter dem
Titel: »Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812«; er war
gleichfalls noch von der Hofräthin Spazier zusammengestellt worden, doch
übernahm Brockhaus selbst die schließliche Redaction und behielt diese
für die Folge der Hauptsache nach in seinen Händen.
Im December 1811 erließ er eine Aufforderung an zahlreiche
hervorragende deutsche Schriftsteller mit der Bitte um Beiträge für die
»Urania«. Der nächste Jahrgang erschien aber erst 1814 (für das Jahr
1815), während inzwischen (1812) der zweite Jahrgang nochmals mit einem
neuen Titel für 1813 und im Kriegsjahre 1813 überhaupt keiner ausgegeben
wurde. Jene Einladung erging an Zschokke, Oehlenschläger, Kotzebue,
August Wilhelm und Friedrich von Schlegel, Weißer, Haug, Therese Huber,
Henriette Schubart, Amalie von Helvig u. a.
Auch an Baggesen schickte Brockhaus die in Circularform gehaltene
Aufforderung und fügte selbst noch folgende Worte hinzu, die nach ihren
frühern Zerwürfnissen ihm gewiß Ehre machen:
Es würde mich sehr freuen, mein guter Baggesen, wenn wir auf diesem
Wege wieder zusammen in Berührung kämen. Wie Vieles hätte ich von
Ihnen zu erfragen, wie Vieles Ihnen zu erzählen! Ich bin Ihnen mit
alter Liebe und Freundschaft ergeben.
Ein Versuch, auch Goethe »für die 'Urania' zu erobern«, wie Brockhaus
sich ausdrückt, schlug zwar in der Hauptsache fehl, verschaffte ihm aber
doch die Gelegenheit, Goethe's persönliche Bekanntschaft zu machen. Wol
hauptsächlich zu diesem Zwecke reiste er Anfang Januar 1812 nach Jena,
Weimar und Gotha. In dem Jahrgange für 1812 hatte die »Urania« Scenen
aus Goethe's »Wahlverwandtschaften« in acht Kupfern nach Zeichnungen
von Dähling gebracht. Für den nächsten Jahrgang waren Darstellungen
aus »Faust«, »Egmont« und »Tasso« gewählt, meist nach Zeichnungen von
Heinrich Naeke in Dresden, und diese legte er jetzt dem Dichter vor.
Nach seiner Rückkehr schrieb er an Naeke:
Goethe war mit Ihren ersten beiden Zeichnungen (zum »Faust«)
sehr zufrieden, und er hat mir aufgetragen, Ihnen seinen Dank zu
bezeugen. Ihr erstes Bild, das Puttrich gekauft, war auch in Weimar,
und Schwerdgeburth hatte den Vorsatz, solches in großem Format in
Kupfer zu stechen. Er wird aber wahrscheinlich diese Idee aufgeben,
da ich auf eine andere gekommen bin: eine Goethe-Galerie in 12 oder
24 Blättern in der Größe Ihrer Zeichnungen herauszugeben, sobald die
Zeitläufte eine solche Unternehmung nur einigermaßen begünstigen und
das Publikum Ruhe findet, sich dafür interessiren zu können. Mündlich,
da ich Sie bald persönlich zu sehen hoffe, hierüber mehr.
Der Plan einer »Goethe-Galerie« in größern Kupferstichen kam nicht
zur Ausführung, zunächst wol der bald folgenden Kriegsjahre wegen.
Er ist, wie so manche von Brockhaus gefaßte Idee, von seiner Firma
in späterer Zeit ohne specielle Kenntniß dieser Absicht wieder
aufgenommen und ins Leben gerufen worden (in der 1863 von Friedrich
Pecht herausgegebenen »Goethe-Galerie«), ebenso ein im September 1817
von Brockhaus angekündigter Plan einer »Shakspeare-Galerie«. In der
»Urania« erschienen übrigens zahlreiche kleine Abbildungen zu Goethe's
und Shakspeare's Dramen.
Goethe interessirte sich fortgesetzt für die seine Dramen betreffenden
Zeichnungen und erhielt auf seinen Wunsch auch die übrigen zur
Begutachtung vorgelegt. Den Verkehr darüber vermittelte der seit 1793
in Weimar lebende und 1806 vom Großherzog zum Legationsrath ernannte
Schriftsteller Johannes Daniel Falk (geb. 1768, gest. 1826), über dessen
Beziehungen zu Goethe das auf seinen Wunsch erst nach dessen Tode aus
seinem Nachlasse veröffentlichte Werk: »Goethe aus näherm persönlichen
Umgange dargestellt« (Leipzig 1832, 3. Aufl. 1856), berichtet. Falk
stand mit Brockhaus in geschäftlichen wie in freundschaftlichen
Beziehungen und schrieb auch die Erläuterungen zu den in der »Urania«
gegebenen Abbildungen zu Goethe's Werken.
Ueber Goethe's Antheilnahme an diesen Zeichnungen schreibt Falk am 24.
April 1812 an Brockhaus:
Die Zeichnung zum »Egmont« von Naeke ist allerliebst: Goethe,
dem ich sie zeigte und der das Bemühen Naeke's aufs dankbarste
anerkennt, äußerte blos den Wunsch, daß es dem jungen genievollen und
gemüthlichen Künstler gefallen möge, ihm die Sachen ehe sie fertig und
im Umriß zuzuschicken, wo liebevolle Erinnerungen eines freundlichen
Mannes kleinen Irrthümern zuvorkommen und oft mit ein paar Strichen
abhelfen können. So z. B. an der Lage der Hand des Klärchen im
»Egmont« hat der junge Künstler in der Unschuld seines Herzens kein
Aergerniß genommen: Goethen fiel dies sogleich auf, und der hiesige
französische Gesandte, der die Zeichnung von ungefähr sah und ungemein
damit zufrieden war, bemerkte unverabredet: _que c'était hors de la
convenance_.
Eine jede Kritik muß einem so liebenden zarten Gemüth wie das von
Naeke nicht besser vorkommen als den Blumen ein Nachtfrost. Suchen
Sie es ihm nur beizubringen, daß diese Bemerkungen von Männern
herrühren, die sein schönes Bestreben mit Liebe zu umfassen aufs
allerbeste geneigt sind und die sich nie ein öffentliches liebloses
Wort gegen ihn erlauben würden.
In demselben Briefe kommen noch zwei andere Goethe betreffende Stellen
vor. In der ersten schreibt Falk:
Den Brief von Kestner, das Gedicht von Goethe, kann ich Ihnen nur
unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit in die Hände geben.
Und an einer andern Stelle, in der Falk die Bitte ausspricht, Brockhaus
möge ein Werk von ihm ja nicht auswärts, sondern unter seinen Augen in
Weimar drucken lassen, sagt er:
Es liegt etwas in dieser Bedingung für einen lebendigen Menschen,
und seien Sie versichert, daß Goethe z. B. mit Cotta, wie ich Goethe
kenne, nothwendig zerfallen müßte, wenn Cotta zur unerlaßlichen
Bedingung machte, die Sachen statt in Jena in Tübingen gedruckt zu
sehen. Nicht aus Eigensinn oder Bizarrerie von seiten Goethe's,
sondern aus einer Art von genialem Instinct, den Jeder begreift, der
selbst etwas zu produciren im Stande ist.
Außer daß Goethe jene Zeichnungen begutachtete, scheint er sich an der
»Urania« nicht betheiligt zu haben. Einmal noch wird sein Name darin
genannt; bei Mittheilung eines Preisausschreibens im Juli 1816 sagt
Brockhaus: die von ihm um das Richteramt dabei gebetenen Schriftsteller
hätten gewünscht, »ihr Urtheil, bevor es bekannt gemacht würde, dem
Herrn Geheimen Rath von Goethe zur Genehmigung vorzulegen und sich auf
diese Weise unter die Auspicien unsers größten Meisters zu stellen«; es
sei deshalb an diesen ein solches Ansuchen ergangen. Indeß findet sich
weder ein solcher Brief an Goethe noch dessen Antwort oder irgendeine
andere Notiz darüber.
Das ebenerwähnte Preisausschreiben wurde von Brockhaus im April 1816
erlassen und den Lesern der »Urania« in dem vom Juli datirten Vorwort
zum Jahrgange 1817 mitgetheilt. Es folgten deren noch mehrere in den
nächsten Jahrgängen, und da sie meist von Brockhaus selbst verfaßt sind
und ihn von einer ganz neuen Seite zeigen, der einer directen Einwirkung
auf die belletristische Production und genauer Vertrautheit mit der
schönen Literatur, so ist ein näheres Eingehen darauf gerechtfertigt,
zumal sich auch vielfach literarhistorisches Interesse daran knüpft.
In der »Urania« für 1817 theilt Brockhaus zunächst mit, daß er bereits
im April 1816 in Verbindung mit der Redaction der »Urania« folgende
Anzeige habe drucken lassen:
Jedem Freunde der deutschen Poesie wird sich die Bemerkung
aufdringen, daß wir, bei einer Menge von Dichtern, doch wenige
Gedichte besitzen, die, zwischen den größern epischen und dramatischen
Darstellungen und den kleinen lyrischen Gattungen die Mitte haltend,
durch das Interesse eines reichhaltigen Stoffs sowol als durch
den Reiz einer gediegenen Kunstform zu stets wiederholtem Genusse
einladen und, statt flüchtig und gleichsam spurlos vorüberzugehen, den
Verstand und das Gemüth auf gleiche Weise befriedigen. Diese Wahrheit
hat sich mir zunächst bei näherer Ansicht unserer Taschenbücher
und Musenalmanache dargeboten, in denen wir Lieder, Sonette, Oden,
Elegien, Romanzen u. s. w. in Ueberfluß finden, welche allerdings,
insofern sie von wahrem poetischen Leben durchdrungen sind, ihren
eigenthümlichen Werth behaupten; dagegen fehlt es fast ganz an
gehaltvollen Gedichten von größerm Umfang, und wir haben, abgesehen
von einzelnen hinreichend bekannten Meisterwerken, in der bezeichneten
Art in Vergleich mit der englischen und französischen Literatur
verhältnißmäßig nur wenig aufzuweisen. Ohne auf Pope, Buckingham,
Roscommon, Boileau, Voltaire, Gresset und andere ältere Dichter von
entschiedenem Werth zurückgehen zu wollen, nenne ich nur einige
neuere, als Laharpe, Malfilâtre, Delille, Parny, Legouvé, Mollevaut,
Millevoye, Victorin Fabre, Hayley, Walter Scott, Byron u. s. w., die,
wenn sie auch nicht als höchste Muster gelten können, doch mehr oder
weniger wahres Verdienst haben.
Der Wunsch, das bei mir erscheinende Taschenbuch »Urania« mit einem
immer reichern und gehaltvollen Inhalt auszustatten, hat mich auf
den Gedanken geführt, obige Bemerkung zu einigen Preisaufgaben zum
Behuf des genannten Taschenbuchs zu benutzen, und Alle, die sich der
Gunst der Musen erfreuen und die »Urania« mit ihrer Theilnahme zu
begünstigen geneigt sind, zu Versuchen in folgenden drei Gattungen
einzuladen:
1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung
der Wahl des Dichters überlassen bleibt;
2) in der Idylle, d. h. der poetischen Darstellung unschuldiger und
glücklicher Menschen, sie mag nun rein ideal oder mehr oder minder
aus der Wirklichkeit entlehnt sein;
3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der Kunst,
wobei nur die Heroide ausgeschlossen, dagegen eine didaktische
Tendenz als besonders willkommen bezeichnet wird.
Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung
bleibt billig der freiesten Willkür des Dichters überlassen; in
Ansehung des Umfangs, der einem solchen Gedichte zu geben sein
möchte, haben mir Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über
den Menschen« (1304 Verse) vorgeschwebt. Doch kann diese Bestimmung
bei den Schwierigkeiten, welche die harmonische Begrenzung eines
Kunstwerks hat, die einzig durch sich selbst bedingt wird, nur
andeutungsweise gemacht sein, und soll damit keineswegs ein festes Maß
angegeben sein.
Für das beste Gedicht in jeder der bezeichneten drei Gattungen,
das mir bis zum 1. Januar 1817 mit Beobachtung der in solchen
Fällen gewöhnlichen Formen eingesandt wird, bestimme ich, insofern
es überhaupt ein gutes ist, einen Preis von 20 Friedrichdor, nehme
dasselbe in die »Urania« für das Jahr 1818 auf und behalte mir das
Verlagsrecht auf die nächsten fünf Jahre vor, nach welchen es dem
Verfasser als freies Eigenthum wieder anheimfällt. Ueberdies erbiete
ich mich, das gelungenste Gedicht nach dem gekrönten in jeder Gattung,
sofern es sich zur Aufnahme eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen
zu honoriren.
Würdige und kunstverständige Männer werden Richter sein; ihre
Namen sollen, wenn sie es verstatten, in der noch vor Michaelis
erscheinenden »Urania« auf 1817 dem Publikum angezeigt werden.
Brockhaus fügt dieser frühern Anzeige jetzt noch folgende Bemerkungen
hinzu:
Alles Obige hiermit nochmals bestätigend und zu einer recht
zahlreichen Concurrenz einladend, hat Unterzeichneter nur noch das am
Schlusse obiger Anzeige gethane Versprechen zu erfüllen.
Eingeladen, das Richteramt zu übernehmen, sind worden die Herren
August Apel, Amadeus Wendt, Adolf Wagner in Leipzig, Messerschmid
in Altenburg, Riemer in Weimar und H. Voß der Sohn in Heidelberg.
Einige haben sich schon bereit erklärt, von den Andern dürfen wir eine
gleiche Willfährigkeit erwarten. (Hier folgt die oben mitgetheilte,
Goethe betreffende Stelle.) Ueber den Erfolg soll zu seiner Zeit die
bestimmteste Nachricht gegeben werden.
Unabhängig von diesen Preisaufgaben werden übrigens alle
dichterischen Freunde der »Urania« freundlichst und ergebenst
eingeladen, sie auch künftig mit ihren Beiträgen zu schmücken.
Das Preisausschreiben hatte den günstigsten Erfolg, indem infolge
desselben eine Dichtung eingesandt wurde, welche sofort als eine Zierde
der poetischen deutschen Literatur erkannt wurde und noch jetzt einen
ehrenvollen Platz in derselben einnimmt: »Die bezauberte Rose« von Ernst
Schulze, einem bis dahin fast ganz unbekannten jungen Dichter.
Brockhaus verkündete dies sowie die übrigen Ergebnisse des
Preisausschreibens in der von ihm als »Herausgeber der 'Urania'«
unterzeichneten und vom September 1817 datirten Vorrede zum Jahrgang
1818 der »Urania«, in welchem auch »Die bezauberte Rose« zum ersten male
gedruckt erschien. Er sagte:
Als wir zuerst im April 1816 drei poetische Preisaufgaben bekannt
machten, konnten wir uns allerdings einiger Bedenklichkeiten dabei
nicht erwehren. Einmal mußten wir besorgen, daß Tadelsucht oder
Ungunst uns einer Anmaßung beschuldigen möchte, die unserer Denkart
fremd ist, dann aber auch, daß wir uns in dem Vertrauen, welches
wir hegten und in Anspruch nahmen, getäuscht sehen könnten. Um so
erfreulicher muß es uns sein, bei der kurzen Rechenschaft, die wir
hiermit ablegen wollen, ein im ganzen sehr günstiges Resultat melden
und zugleich rühmen zu können, daß uns über unser Unternehmen kein
übelwollendes Urtheil, das irgend Werth für uns hätte haben können,
bekannt geworden ist.
Zwar die von uns gelegentlich ausgesprochene Hoffnung, daß wir in
jeder der drei Dichtungsgattungen, auf welche sich die erste Aufgabe
bezog, auch einen Preis würden ertheilen können, ist in diesem Umfange
nicht in Erfüllung gegangen, da wir der Sache, den Theilnehmern und
uns durchaus schuldig zu sein glaubten, von den hohen und strengen
Forderungen der Kunstkritik nicht abzuweichen. Aber auch bei diesen
Grundsätzen haben wir des Preiswürdigen nicht ermangelt.
Der gelungensten Arbeiten hat sich die poetische Erzählung zu
erfreuen gehabt. Der Ehrenplatz unter allen aber gebührt der
»Bezauberten Rose«, einer romantischen Erzählung in drei Gesängen
von Ernst Schulze. Ihr ist der erste Preis zuerkannt worden, und wir
achten sie für ein Werk von bleibendem Werthe in der vaterländischen
Poesie. Leider wird die Freude, ein Talent von echter Dichterweihe bei
dem Publikum einzuführen, durch den noch größern Schmerz getrübt, daß
uns dasselbe in dem Augenblicke, wo es sich in seiner Fülle entfaltet
hatte, auch schon wieder entrissen ist. Der junge Dichter starb,
nachdem er nur wenige Tage vorher die Nachricht von der Krönung seines
Gedichts erhalten hatte.
Einen zweiten Preis in derselben Gattung hat K. G. Prätzel's
poetische Erzählung »Der Todtenkopf« erhalten.
Von den übrigen zur Concurrenz eingesandten Erzählungen nennen wir
noch mit Auszeichnung »Saladin«, ein romantisches Gedicht in vier
Gesängen.
In der Gattung der poetischen Epistel wurde unter den eingegangenen
Gedichten »Des Dichters Weihe« als das vorzüglichste erkannt und mit
dem zweiten Preise gekrönt. Bei Eröffnung der versiegelten Devise fand
sich der Name Hesekiel.
Die für die Idylle ausgesetzten Preise haben von den vierzehn dafür
eingekommenen Gedichten keinem zuerkannt werden können; doch haben
drei derselben: »Die Hirten in der Herbstnacht«, »Amor und Hymen« und
»Ida«, sich vor den übrigen vortheilhaft auszuzeichnen geschienen.
Ueber Ernst Schulze und seinen Tod sowie über dessen poetischen Nachlaß
bemerkt Brockhaus noch in einer Anmerkung:
Er starb am 29. Juni (1817) zu Celle im achtundzwanzigsten Jahre
seines Lebens in den Armen seines tiefgebeugten Vaters, des _Dr._
Schulze, Bürgermeisters und Stadtsyndikus daselbst. Er war eben im
Begriff, eine literarische Reise nach Italien anzutreten, auf welcher
er einige Jahre zuzubringen dachte, als ihn eine schwere Krankheit
auf das Lager niederwarf, von dem er nicht wieder aufstand. Den Keim
seiner Krankheit hatte er sich in der Belagerung von Hamburg, welcher
er als freiwilliger Jäger beiwohnte, zugezogen, und auf einer Reise
nach den Rheingegenden war durch geringe Sorge um die Gesundheit
dieser Keim entwickelt worden. Als unser Dichter die Nachricht von
dem ihm zuerkannten Preise erhielt, war seine Empfänglichkeit zur
Freude schon sehr gesunken, indessen erregte diese Anerkennung
seines poetischen Talents doch seine lebendigste Theilnahme. Seine
nachgelassenen poetischen Schriften, unter denen sich insbesondere
ein Heldengedicht »Cäcilie« befindet, an welchem er viele Jahre
gearbeitet, werden von Bouterwek gesammelt herausgegeben und von einer
Biographie des herrlichen jungen Dichters begleitet werden. Wir dürfen
ihnen bald entgegensehen.
Die erste Separatausgabe der »Bezauberten Rose« erschien 1818, eine
Prachtausgabe in fünf verschiedenen Formen 1820. Das nachgelassene
größere Gedicht: »Cäcilie«, wurde 1818 und 1819 veröffentlicht als
erster und zweiter Band der von Professor Friedrich Bouterwek in
Göttingen, dem Lehrer und Freunde des Dichters, herausgegebenen
Gesammtausgabe der poetischen Werke Ernst Schulze's, deren zwei letzten
Bände (1819 und 1820 erschienen) die übrigen Dichtungen enthalten.
Ausführliche Mittheilungen über den so viel versprechenden, in der Blüte
seiner Jahre verstorbenen Dichter (er war am 22. März 1789 geboren und
starb am 29. Juni 1817) enthält eine von Hermann Marggraff verfaßte
Biographie (Leipzig 1855, zugleich den fünften Theil einer dritten
Auflage von Ernst Schulze's »Sämmtlichen poetischen Werken« bildend).
Im Jahre 1855 wurde des Dichters Grab in Celle von der Verlagshandlung
seiner Werke, gewiß im Geiste ihres Gründers, erneuert und mit einem
einfachen, würdigen Denkmal geschmückt.
Die übrigen von den Preisrichtern gekrönten Dichtungen wurden ebenfalls
in der »Urania« veröffentlicht (1818 und 1819), ohne jedoch eine
ähnliche Theilnahme wie Ernst Schulze's »Bezauberte Rose« zu finden.
Der günstige Erfolg des ersten Versuchs veranlaßte Brockhaus, ihn noch
mehrmals zu erneuern. Er sagt zunächst in demselben Vorwort noch:
Dieser im ganzen unsern Wünschen genügende Erfolg hat uns bewogen,
bereits unter dem 30. Januar 1817 bekannt zu machen, daß wir dieselben
Preisaufgaben für das laufende Jahr nicht nur wiederholen, sondern
auch noch drei neue Preise hinzufügen.
Demgemäß bestimmen wir einen Preis von 20 Friedrichdor für das beste
Gedicht, sofern es den Forderungen einer gerechten Kritik entspricht
und folglich ein vorzügliches ist:
1) in der poetischen Erzählung, wobei Stoff, Gattung und Einkleidung
dem Dichter frei bleiben;
2) in der Idylle, sie sei nun rein ideal oder mehr oder weniger der
Wirklichkeit entlehnt;
3) in der poetischen Epistel aus dem Gebiet des Lebens oder der
Wissenschaft und Kunst, wobei nur die Heroide ausgeschlossen, eine
didaktische Tendenz hingegen als besonders willkommen bezeichnet
wird.
Ueberdies erbieten wir uns, das gelungenste Gedicht nach dem
gekrönten in jeder Gattung, wenn es sich zur Aufnahme in die »Urania«
eignet, mit 4 Friedrichdor für den Bogen zu honoriren.
Die Wahl der Versart sowie die ganze äußere Form und Einrichtung
werden ganz der Willkür des Dichters anheimgegeben; ebenso können
wir nicht die Absicht haben, bei den Schwierigkeiten, welche die
harmonische Begrenzung eines Kunstwerks hat, die einzig durch sich
selbst bedingt wird, den Umfang scharf zu bestimmen, und wir fürchten
nicht, misverstanden zu werden, wenn wir andeutungsweise wiederholt
auf Pope's »Lockenraub« (798 Verse) und »Versuch über den Menschen«
(1304 Verse) hinweisen.
Ferner bestimmen wir drei Preise, jeden von 6 Friedrichdor, für
das vorzüglichste Gedicht in der Gattung der Ode, der Elegie und für
den schönsten Sonettenkranz, insofern sie überhaupt eines Preises
würdig befunden werden. Auch hier bleiben Stoff und Form, soweit sie
nicht durch die Aufgabe selbst bestimmt sind, der Wahl des Dichters
überlassen, und gleich willkommen wird eine mit pindarischem Feuer
oder in anakreontisch-tändelnder Weise gedichtete Ode, eine Elegie im
Geiste der Alten oder Neuern, eine mehr oder minder zusammenhängende
Sonettenreihe, im Geiste Petrarca's oder Berni's, A. W. Schlegel's
oder Freimund Raimar's sein.
Die gekrönten Gedichte werden in der »Urania« abgedruckt und der
Herausgeber derselben bedingt sich an ihnen das Verlagsrecht auf fünf
Jahre aus, nach welchen sie an ihre Verfasser als reines Eigenthum
zurückfallen.
Diesmal erfolgten noch zahlreichere Einsendungen, und wenn auch
kein erster Preis ertheilt werden konnte, so wurden doch mehrere
wohlgelungene Gedichte ausgezeichnet und auch in der »Urania«
veröffentlicht.
Für den nächsten Jahrgang (1820) beschränkte Brockhaus infolge des
»Urtheils stimmfähiger Kunstrichter und eigener Wahrnehmung« seine
Preisaufgaben auf die poetische Erzählung und die poetische Epistel, bei
letzterer einen bestimmten Stoff bezeichnend, indem er sich besonders an
diejenigen wandte, »die ihr poetisches Talent mehr im Stillen üben und
eine aufmunternde Veranlassung erwarten, um damit vor das große Publikum
zu treten«; zugleich konnte er freilich auch »den Wunsch nicht bergen,
mit Gedichten verschont zu bleiben, deren Unzulänglichkeit die Verfasser
bei einiger Selbstkenntniß und Selbstprüfung leicht selbst wahrnehmen
müssen«.
Obwol wiederum keine der eingegangenen Dichtungen mit dem ersten Preise
gekrönt werden konnte und nur einige trotzdem abgedruckt wurden, schrieb
Brockhaus im August 1819 für den Jahrgang 1821 neue Preise aus, und zwar
in der Gattung der poetischen Erzählung, der poetischen dramatischen
Dichtung und für die Uebersetzung eines Gesangs von Byron's »_Childe
Harold_«.
Ferner richtete er aber zum ersten male sein Augenmerk außer auf die
poetische auch auf die prosaische Production, indem er in seiner
Ankündigung fortfuhr:
Zugleich aber wünschte ich auch zu Ausarbeitungen in Prosa für
die »Urania« aufzumuntern. Sehr willkommen werden mir historische
Ausarbeitungen sein; und um auch hier einen Stoff zu bezeichnen,
schlage ich andeutungsweise den für die vaterländische Geschichte so
wichtigen und glorreichen Zeitraum der Kaiser Heinrich's I. und Otto's
des Großen vor, worüber treffliche Quellen vorhanden sind.
Nicht minder willkommen sollen mir Lobreden auf ausgezeichnete
Männer sein, doch dürften sie nicht blos rhetorische Lobrednerei,
sondern gediegene Charakterbilder mit Licht und Schatten sein und
müßten den Einfluß darlegen, den der Gepriesene auf das Leben und
Wesen seiner Zeit geübt habe. Ein solches Werk ist Johannes Müller's
Lobrede auf Friedrich den Großen. Ich schlage zunächst unsern
unsterblichen Lessing vor.
Für die beste Arbeit in jeder der genannten Gattungen in Prosa
bestimme ich, sofern sie die Forderungen, die man gerechterweise daran
machen muß, befriedigt, ebenfalls 12 Friedrichdor. Der Umfang dürfte
etwa drei, höchstens vier Druckbogen betragen.
Neben der »beifälligen und aufmunternden Zustimmung vieler Trefflichen
und Urtheilsfähigen« erwähnt Brockhaus jetzt zum ersten male auch
»Angriffe, die theils aus Uebelwollen und Ungunst mit Bitterkeit,
theils aus Lust zum Widerspruch auf mehr scherzhafte Weise gegen meine
Preisaufgaben gerichtet worden«, und fügt folgende Bemerkungen hinzu:
Man hat es sonderbar gefunden, daß man nicht erfahren soll, wer
denn eigentlich die Richter oder, wie man sie scherzhaft genannt
hat, »die unbekannten Obern« sind, welche über den Werth und Unwerth
der eingesandten Gedichte absprechen. Darauf erwidere ich, daß, wenn
nur das Urtheil sich durch sich selbst rechtfertigt, der Name des
Urtheilenden völlig gleichgültig sein kann.
Ist es doch bei allen unsern Recensiranstalten derselbe Fall.
Laufen Misbräuche mit unter, wohlan, die rüge man! Man zeige, daß
ein gelungeneres Gedicht einem minder gelungenen nachgesetzt, daß
einem Gedichte, dem der erste Preis gebührt hätte, nur der zweite
zuerkannt worden u. dgl. m. Letzteres, meint ein scharfsichtig in die
Zukunft Spähender, könne gar leicht geschehen, denn der Unternehmer
spare dabei. Diesem diene zur Antwort, daß bei der Art, wie das
Honorar für den zweiten Preis und jedes aufgenommene Gedicht bestimmt
ist, in dieser Hinsicht erster und zweiter Preis meistens ziemlich
gleich sind, daß also der Unternehmer schon aus diesem Grunde nichts
gewinnen, daß er vielmehr aus andern leicht sich darbietenden Gründen
dadurch verlieren würde. Doch wozu sich gegen so kleinliche und
unwürdige Bedenklichkeiten schützen wollen!
Diesmal war der Erfolg noch geringer als früher; namentlich entsprach
keiner der eingegangenen prosaischen Aufsätze den gestellten
Anforderungen. Brockhaus sagt bei Mittheilung dieses Ergebnisses,
daß er theils zu solchen Aufsätzen habe aufmuntern wollen, die
von den Engländern mit dem Worte _Essays_ bezeichnet würden (eine
bekanntlich erst viel später in der deutschen Literatur eingebürgerte
Gattung), theils zu Aufsätzen wie die _Eloges_ der Franzosen. Nach
diesem Miserfolg beschränkte er sich darauf, für 1822 nur zwei Preise
auszuschreiben: 30 Friedrichdor für eine poetische Erzählung und 25
Friedrichdor für eine prosaische Erzählung oder Novelle. Er bemerkt
dazu: »die Gewißheit, das Beste der Kunst nicht nur gewollt, sondern
auch gefördert zu haben«, sei der Redaction der »Urania« »das sicherste
Gegengift gegen die unrühmlichen und unredlichen Kämpfe« gewesen, »in
welche sie der hämische Geist des Widerspruchs, der alles Gute verfolgt,
zu verflechten gesucht hat«.
Als auch diese Preisausschreibung nur wenig günstige Ergebnisse
lieferte, gab Brockhaus die Idee ganz auf und erklärte dies in einem
Vorworte vom 15. Juli 1821, das folgendermaßen schließt:
Die zahlreichen und ausgezeichneten Verbindungen, deren der
Herausgeber der »Urania« sich erfreut, bewegen ihn zugleich, da er
in ihnen ein Mittel sieht, folgende Jahrgänge auf das reichhaltigste
auszustatten, auf künftige Preisaufgaben völlig Verzicht zu leisten.
Es sind ihm solche verschiedentlich gemisdeutet worden, und wenn
sich Misdeutungen dieser Art auch wol ertragen lassen, so können sie
wenigstens keine Aufmunterung sein, darin fortzufahren.
Cotta und Andere haben ähnliche Ideen gehabt, sie auszuführen
gesucht, und sie haben sie aufgegeben, ohne selbst so glücklich
gewesen zu sein wie wir, die wenigstens genug belohnt worden sind,
dadurch #ein# Gedicht veranlaßt zu haben, das in seiner Art von
keinem ähnlichen in unserer poetischen Literatur überboten und nicht
untergehen wird.
Der Herausgeber der »Urania« hat auch hier das gewöhnliche Schicksal
erfahren, das in den meisten Fällen Alles trifft, was der höhern
Entwickelung irgendeiner schönen, sich über das Alltägliche erhebenden
Idee gewidmet wird und, indem es blos allgemeine Zwecke verfolgt,
kleinlichen und persönlichen Interessen entgegentritt.
Er beschwert sich nicht darüber, da sein Bestreben ihm im Einzelnen
auch theuere und schätzbare Freunde zuführte, deren Anerkennung
und Wohlwollen für ihn einen größern Werth hat, als ihm erlittene
Kränkungen und rohe Verunglimpfungen mögen wehe gethan haben.
Jedenfalls war es Brockhaus gelungen, die »Urania« zu einem der
besten und gehaltvollsten Taschenbücher seiner Zeit zu gestalten,
und die Preisausschreibungen hatten theils direct, theils mittelbar
dazu beigetragen. Auf dem Gebiete der Poesie begegnen wir unter den
Mitarbeitern den besten Namen, die zum Theil darin zum ersten male
auftreten; außer Theodor Körner und Ernst Schulze seien nur folgende
genannt: Zacharias Werner (dessen »Vierundzwanzigster Februar« im
Jahrgange 1815 zuerst erschien), Friedrich Rückert, Adam Oehlenschläger,
Tiedge, Helmina von Chézy, Graf Kalckreuth, von der Malsburg, Graf von
Löben, Wilhelm Müller, Gustav Schwab, Adolf Streckfuß, Graf Platen. Noch
reicher ist die Liste der Mitarbeiter der »Urania« auf dem Gebiete der
Prosa, namentlich der Erzählung und Novelle, die in spätern Jahrgängen
immer mehr den Schwerpunkt der »Urania« bildete. Unter ihnen fehlt
kaum einer der beliebtesten Schriftsteller jener Zeit; neben Jean Paul
und den früher Genannten erwähnen wir noch: Friedrich Kind, Therese
Huber, De la Motte Fouqué, Winkler (Theodor Hell), Mosengeil, Böttiger.
Die eigentliche Blütezeit der deutschen Novelle, die in der »Urania«
ihre ausgezeichnetste Vertretung fand: in Ludwig Tieck, Wilhelm Häring
(Wilibald Alexis), Johanna Schopenhauer, Leopold Schefer, von Rehfues,
Sternberg, Eichendorff, Theodor Mügge, Ludwig Rellstab, Berthold
Auerbach, Karl Gutzkow, Levin Schücking u. a., fällt allerdings erst in
die Zeit nach dem Tode des Begründers der »Urania«.
Das Taschenbuch erhielt sich bis zum Jahre 1848, in welchem es von der
Verlagshandlung bei der aufgeregten politischen, für derartige Lektüre
weniger empfänglichen Stimmung aufgegeben wurde, nachdem es 38 Jahre
lang in 35 Jahrgängen einen würdigen Sammelpunkt der besten Erzeugnisse
der deutschen schönen Literatur gebildet hatte.
In der »Urania« trat Brockhaus auch selbst einmal als Schriftsteller
auf, wenn auch nicht unter seinem Namen und nur in der bescheidenen
Rolle eines Bearbeiters. Die im Jahrgange 1822 enthaltene Erzählung:
»Die Nebenbuhlerin ihrer selbst«, deren Verfasser »Guntram« genannt
ist, war von ihm nach dem Französischen bearbeitet; vielleicht war
sie nur ein Lückenbüßer zur Füllung des Bandes, zumal sie am Schluß
desselben steht und in dem Vorwort gesagt ist, die Redaction habe bei
dem zweifelhaften Ergebnisse der damaligen Preisausschreibung sich
selbst helfen müssen. Uebrigens hatte er wenig Lohn und Freude von
dieser seiner Arbeit, denn wegen derselben wurde dieser Jahrgang der
»Urania« für die österreichischen Staaten verboten, weil man in Wien
jene Erzählung auf eine vornehme österreichische Familie bezog. Nunmehr
erklärte Brockhaus in einer öffentlichen Anzeige unterm 29. October
1821: »daß diese Geschichte nach einer in den vorjährigen «_Annales de
la littérature_» von Quatremère de Quincy, Vanderbourg, Raoul Rochette,
wo sie '_Imprudence et bonheur_' heißt, von ihm selbst bearbeitet ist
und die gebrauchten Namen bloße Fictionen sind.« Die Bearbeitung der
spannenden, aber ästhetisch unerquicklichen Novelle ist übrigens sehr
geschickt und verräth kaum den nicht berufsmäßigen Schriftsteller.
* * * * *
Durch die »Urania« kam Brockhaus in interessante und auch geschäftlich
für ihn werthvolle Beziehungen zu hervorragenden Schriftstellern.
Der Philosoph Bachmann in Jena schickte ihm am 26. April 1812 »einige
Gedichte eines jungen Mannes« mit der Bitte, dieselben in den nächsten
Jahrgang aufzunehmen. Der junge Mann heiße -- _Dr._ Rückert und habe ihn
um diese Vermittelung gebeten. Seitdem brachte fast jeder der nächsten
Jahrgänge der »Urania« Gedichte von Friedrich Rückert, bald unter dessen
Namen, bald unter dem bekannten Pseudonym Freimund Raimar, das erste
mal unter dem sonst nicht vorkommenden Pseudonym Fr. Rikard. Rückert
war damals Privatdocent an der Universität Jena und als Dichter noch
wenig bekannt; er wurde dies erst durch seine 1814 in Heidelberg, wohin
er sich gewandt hatte, erschienenen »Deutschen Gedichte«, welche auch
die »Geharnischten Sonette« enthielten. Brockhaus blieb mit ihm in
dauernder Verbindung, wenn auch Rückert's hauptsächlichste Werke bei
andern Verlegern erschienen, und verlegte 1822 die »Oestlichen Rosen«.
Der Druck derselben verzögerte sich etwas, weshalb Rückert aus Koburg
vom 10. April 1821 an Brockhaus schrieb: an neuen Schriften und neuem
Papier sei ihm so viel nicht gelegen »als daran, daß meine jungen Rosen
nicht in Ihrem Pulte alt werden«! In Betreff der »Urania« fügte er noch
hinzu:
Dankbar bin ich Ihnen dagegen für die abermalige Einladung zur
»Urania«, ob ich gleich einige Abneigung fühle, mich auf die Scene
zu stellen, wo Ihre Preisconcurrenten figuriren; doch wenn der
Druck nicht ebenso schnell geht als meiner langsam, so will ich zum
Gründonnerstag noch mit einem Nachtrab eintreffen.
Friedrich Rückert (geb. 1788, gest. 1866) blieb mit der Firma F. A.
Brockhaus auch nach dem Tode ihres Begründers in Beziehungen und sandte
ihr sein letztes Werk: »Ein Dutzend Kampflieder für Schleswig-Holstein«,
die anonym mit der Bezeichnung: »Von F--r«, 1864 erschienen, aber gleich
als von ihm gedichtet erkannt wurden und rasch zwei Auflagen erlebten.[49]
* * * * *
Auch mit Franz Grillparzer (geb. 1791, gest. 1872) trat Brockhaus
zunächst der »Urania« wegen in Verbindung. Ein Brief Grillparzer's
aus Wien vom 6. April 1818 enthält das Nähere darüber und möge auch
wegen seines sonstigen, nach mancher Seite hin interessanten Inhalts
vollständig hier folgen:
Ew. Wohlgeboren Schreiben vom 26. März, das ich gestern erhielt, hat
mir um so größeres Vergnügen gemacht, je mehr ich mit ganz Deutschland
gewohnt bin, mit dem Namen Brockhaus nebst dem, daß er einen der
würdigsten Buchhändler bezeichnet, auch noch andere, nicht minder
ehrenvolle Begriffe zu verbinden.
In Bezug auf Ihren freundlichen Antrag wegen Aufnahme meiner
»Sappho« in das Taschenbuch »Urania« habe ich vor allem Folgendes zu
erwidern: Erstens scheint mir für ein Werk, das zur Aufführung auf
der Bühne bestimmt ist und daselbst auf einigen Erfolg rechnet, ein
Taschenbuch eben nicht der beste Platz zu sein. Abgesehen von dem
Ungewöhnlichen einer solchen Erscheinung beschränkt man sich dadurch
das lesende und abnehmende Publikum auf eine weder Gewinn noch andern
Vortheil bringende Art. Zur Darstellung gebrachte Schauspiele haben
nämlich, wie Sie wol wissen, nebst dem #Leser# im strengen Verstande
noch ein zweites Publikum, das sich sonst mit der Literatur oft nicht
sehr abgibt, das der #Theaterbesucher# nämlich. Die »Sappho« in einem
theuern Taschenbuche erscheinen lassen, hieße auf diese ganz Verzicht
leisten. Sollte übrigens das Stück auf den Bühnen von Wien, Berlin,
Dresden und Weimar, die es zur Aufführung bereits übernommen haben,
und auf mehrern andern, mit denen ich darüber in Unterhandlung zu
treten gesonnen bin, Glück machen und Sie Lust haben, den Verlag
desselben als eines abgesonderten Werks zu übernehmen, oder nebst dem
Abdruck in der »Urania« noch eine zugleich erscheinende besondere
Auflage davon zu veranstalten, so würde es mir großes Vergnügen
machen, es Ihnen vor allen überlassen zu können.
Wie wenig Sie übrigens -- vorausgesetzt, daß das Stück gefällt,
und das denke ich eben abzuwarten -- wie wenig Sie bei einem solchen
doppelten Abdruck riskiren, mag Ihnen der Umstand bezeugen, daß eben
jetzt, ein Jahr nach der Herausgabe meines ersten Trauerspiels »Die
Ahnfrau«, der wiener Verleger Wallishausser mir angekündigt hat, daß
die erste Auflage von 1500 Exemplaren fast vergriffen sei. Wenn das
der Fall mit einem Wallishausser ist, dessen Absatz und Verbindung mit
dem übrigen Deutschland so gering ist, daß ein Brockhaus ein Jahr nach
dem Erscheinen des gedruckten Werks fragen kann: ob es denn überhaupt
schon gedruckt sei? was wäre nicht bei dem Stande #Ihres# Verkehrs zu
hoffen; wozu noch kommt, daß mein Name gegenwärtig denn doch nicht
mehr so fremd in Deutschland klingt als beim Erscheinen der »Ahnfrau«.
Für jeden Fall aber forderte die _honnêteté_, mit der Herausgabe der
»Sappho« doch so lange zu warten, bis die Bühnen, welche mir das
Manuscript abgenommen haben, mit der Aufführung zu Stande gekommen
sind.
Was im Falle eines wechselseitigen Verständnisses das Honorar
betrifft, so müßte ich Sie ersuchen, einen bestimmten Betrag
auszusprechen, da ich mich auf Berechnung nach Seiten und Zeilen und
auf Vergleichung der Handschrift mit dem Druck nicht verstehe. Nur
muß ich bekennen, daß, soviel ich herausklügeln kann, das Honorar von
vier Karolin für den Bogen von sechzehn Seiten mit kleiner Schrift
den Preis nicht erreichen würde, den ich bei mir selbst ungefähr
festgesetzt habe. Vier Karolin mögen ein allerdings ansehnliches
Honorar für Erzählungen und Gedichte und historische Darstellungen
&c. sein, wie man sie, halb zur eigenen Unterhaltung, halb eben der
vier Karolin wegen, für Taschenbücher macht. Auf meine »Sappho« habe
ich die Frucht mühevoller Studien, vielleicht künftige Lebensjahre
verwendet, und -- ich hoffe, sie soll einige Almanachsjahrgänge
überleben. Sie haben die »Sappho« noch nicht gelesen; ich bitte, thun
Sie es, ehe Sie mir antworten.
Sie werden über meinen langen Brief, als Antwort auf Ihren kurzen,
lachen. Er gilt aber auch nur dem #Kunstfreund# Brockhaus, der
#Buchhändler# mag sich die Daten heraussuchen, die ihm zu wissen
noththun.
Leben Sie recht wohl.
Ihr ergebener F. Grillparzer.
Brockhaus dankte am 6. Mai Grillparzer für seine Bereitwilligkeit,
bemerkte aber dabei: nach dem, was ihm sein Freund Böttiger in Dresden
(von dem er »so viel Herrliches« über die »Sappho« gehört) über den
Umfang des Stücks mitgetheilt, könne es doch nicht in die »Urania«
aufgenommen werden, und da es vorab auf den ersten Bühnen gegeben werden
solle, so sei es überhaupt noch nicht an der Zeit, es drucken zu lassen.
Der Brief schließt:
Sobald Sie sich aber dazu bestimmen, haben Sie die Güte, mir Ihren
Entschluß mitzutheilen, sowie über das Honorar Ihrer Forderung. Ich
werde dann sehen, ob ich darauf eingehen kann. Es hat eine wunderbare
Bewandtniß mit dem Erfolg bei gedruckten Schauspielen. Noch habe ich
die kleine Auflage von Werner's »Vierundzwanzigstem Februar« und
die von Werners »Cunegunde« nicht abgesetzt. Ebenso wenig die von
Klingemann's »Faust«, so sehr dies -- übrigens sehr schlechte Stück
#meinem# Urtheile nach -- auf den deutschen Bühnen Glück gemacht hat
und fortwährend auf allen Repertoires ist. Diesen Erfahrungen gemäß
war meine Erbietung von vier Karolin per Bogen sehr bedeutend. Ihre
»Ahnfrau« habe ich mir verschafft, und ich lese sie eben. Auch wird
sie, wie ich höre, bald auf unsere Bühne kommen.
Am 22. Mai läßt er indeß einen zweiten Brief folgen, in welchem
er Grillparzer zu dem Erfolge der inzwischen stattgehabten ersten
Aufführung des Stücks in Wien Glück wünscht und sich wiederholt zum
Verlage desselben bereit erklärt. Die Ausgabe könne etwa zu Weihnachten
erfolgen, wenn Grillparzer dann durch seine Contracte mit den Bühnen,
denen er es als Manuscript überlassen, nicht weiter genirt sei. Auch
würde er einige gute Abbildungen dazu anfertigen lassen, da er mit
mehrern genialen Zeichnern in genauer Verbindung stehe. Er fügt noch
hinzu:
Endlich würde ich das wünschen, daß, wenn Sie einmal mit mir in
Verbindung träten, Sie diese Verbindung, solange ich Ihnen keine
Ursache zu Beschwerden gebe, nicht auflösen möchten. Der Dichter in
Weißenfels (Müllner) trägt seine Producte wie ein Waarenmäkler von
Bude zu Bude, feilscht sie in jeder aus, und wer einen Kreuzer mehr
gibt als der Nachbar, der ist sein Mann!
Noch erbietet er sich, auch eine Ausgabe der »Ahnfrau« für
Norddeutschland zu übernehmen, falls Grillparzer eine solche neben der
in Wien erschienenen veranstalten dürfe.
Grillparzer scheint sich aber inzwischen bereits mit seinem bisherigen
Verleger, Wallishausser in Wien, über den Verlag der »Sappho« geeinigt
zu haben, da sie kurz darauf bei diesem erschien, während uns keine
weitere Correspondenz zwischen Grillparzer und Brockhaus vorliegt.
Von Zacharias Werner (geb. 1768, gest. 1823) verlegte Brockhaus eine
Separatausgabe der in der »Urania« zuerst veröffentlichten Tragödie
in einem Act: »Der vierundzwanzigste Februar«, und gleichzeitig
auch dessen: »Cunegunde die Heilige, Römisch-Deutsche Kaiserin. Ein
romantisches Schauspiel in fünf Akten« (beide Stücke 1815).
Daß er übrigens die »Schicksalstragödien«, zu denen diese Dramen
gehören, selbst nicht überschätzte, zeigte er dadurch, daß er einige
Jahre darauf (1818) eine Parodie auf dieselben verlegte, die unter
dem Titel: »Der Schicksalsstrumpf. Tragödie in zwei Akten von den
Brüdern Fatalis« erschien. Die beiden Verfasser waren der bekannte
österreichische dramatische Dichter Ignaz Friedrich Castelli (geb. 1781,
gest. 1862) und der Arzt und Dramatiker Alois Jeitteles (geb. 1794,
gest. 1858). Castelli, wie es scheint der hauptsächlichste Verfasser,
schrieb an Brockhaus: »der Spuk der Schicksalstragödien gehe nachgerade
ein bischen zu weit«, weshalb er diese Parodie derselben geschrieben
habe, und ließ ihm das Manuscript durch Hofrath Winkler (in Dresden),
in dessen dresdener »Abendzeitung« ein Bruchstück davon veröffentlicht
worden war, zusenden. Brockhaus schreibt an Winkler: er habe des Spaßes
wegen »das närrische Ding« gleich in die Druckerei spedirt. Das Stück
fand großen Beifall und machte die Runde über die deutschen Bühnen.
Das in dem Briefe an Grillparzer neben Werner's beiden Dramen erwähnte
Trauerspiel »Faust« von Ernst August Friedrich Klingemann (geb. 1777,
gest. 1831) erschien 1815. Brockhaus verlegte gleichzeitig von demselben
Dichter ein »dramatisches Spiel mit Gesang«: »Don Quixote und Sancho
Panza oder: Die Hochzeit des Camacho« und eine Bühnenbearbeitung von
Shakspeare's »Hamlet«.
Von dramatischer Literatur erschienen in Altenburg in Brockhaus' Verlage
noch folgende Werke: »Dramatische Spiele« von Wenzel Lembert, mit
seinem Familiennamen Tremler (geb. 1780, gest. um 1838), langjährigem
Schauspieler an der Hofbühne zu Wien und Verfasser zahlreicher
bühnengerechter Theaterstücke; »Theater« von Adolf Wagner (geb. 1774,
gest. 1835), dem bekannten dramatischen Schriftsteller und Uebersetzer,
mit dem Brockhaus durch die Hofräthin Spazier näher bekannt geworden war
(beide Werke 1816); endlich (1817) »Jeanne d'Arc«, ein Trauerspiel von
Karl Friedrich Gottlob Wetzel (geb. 1779, gest. 1819), Redacteur des
»Fränkischen Merkur«. Von letzterm Schriftsteller hatte er kurz vorher
(1815) schon zwei Werke verlegt, eine Sammlung patriotischer Gedichte
unter dem Titel: »Aus dem Kriegs- und Siegesjahre Achtzehnhundert
Dreyzehn. Vierzig Lieder nebst Anhang«, und: »Prolog zum Großen Magen«,
eine gelungene Satire auf die Nützlichkeitstendenzen jener Zeit.
Die satirische Literatur ist außer durch letztere Schrift und den
»Schicksalsstrumpf« in Brockhaus' Verlage aus dieser Zeit besonders
durch seinen schon vielfach erwähnten Freund Friedrich Ferdinand Hempel
(geb. 1778, gest. 1836) vertreten, der unter verschiedenen Pseudonymen
politische und literarische Zustände der Zeit scharf geiselte. Brockhaus
verlegte von ihm: »Politische Stachelnüsse gereift in den Jahren
1813-1814 aufgetischt von Spiritus Asper« (ohne Verlagsort und Firma
1814); »Politische Stachelnüsse geschüttelt von Spiritus Asper. Zweite
Lieferung« (1815); »Ein Paar mercantilische Stachelnüsse. Zur Messe
gebracht von Spiritus Asper« (1816). Hempel lieferte auch mehrere
Beiträge für die »Urania«, gab 1818 in Brockhaus' Verlage ein von dessen
und seinem Freunde Moritz August von Thümmel (geb. 1738, gest. 1817)
gedichtetes Epos: »Der heilige Kilian und das Liebes-Paar« heraus,
1822 wieder eine satirische Schrift: »Nüsse. Gesammelt von Frater
Timoleon« (mit Köln als Verlagsort), sowie ein »Taschenbuch ohne Titel
auf das Jahr 1822« (dem 1830 und 1832 noch zwei Jahrgänge folgten), und
verfaßte später das »Allgemeine deutsche Reimlexikon. Herausgegeben von
Peregrinus Syntax« (2 Bände, Leipzig 1826), das noch jetzt als das beste
Werk seiner Art gilt.
Die poetische Literatur weist außer der »Urania« und den aus derselben
abgedruckten Dichtungen sowie den eben erwähnten Dramen in der
altenburger Zeit nur wenige Originalwerke auf, deren Verfasser meist
durch die »Urania« dem Verleger zugeführt worden waren.
Schon 1812 verlegte er zwei Dichtungen der durch »Die Schwestern von
Lesbos« (1801) bekannt gewordenen Dichterin Amalie von Helvig, geborenen
von Imhoff[50] (geb. 1776, gest. 1831): »Die Schwestern auf Corcyra.
Eine dramatische Idylle in zwei Abtheilungen« (mit dem Nebentitel:
»Taschenbuch für das Jahr 1812«), und: »Die Tageszeiten. Ein Cyclus
griechischer Zeit und Sitte. In vier Idyllen.«
Ein anderes größeres poetisches Werk seines Verlags ist eine Sammlung
von Dichtungen des Grafen Otto Heinrich von Loeben (geb. 1786,
gest. 1825) unter dem Titel: »Rosengarten« (2 Theile, 1817); als
Separatabdruck daraus erschien: »Cephalus und Procris.« Graf Loeben
schrieb sonst meist unter den Pseudonymen Isidorus Orientalis und
Kukuk Waldbruder; er lebte in Dresden und gehörte zu dem dortigen
»Liederkreise«.
Ein eigenthümliches Werk ist das didaktische Gedicht in vier Gesängen:
»Die Heilquellen am Taunus« von Johann Isaak Freiherrn von Gerning (geb.
1767, gest. 1837), das 1814 erschien, und zwar in einer Prachtausgabe in
Quartformat, mit sieben Kupfern, einer Karte und Erläuterungen.
Der altdeutschen Literatur gehören zwei Werke an: »Das Lied der
Nibelungen. Metrisch übersetzt« von Johann Gustav Büsching (geb. 1783,
gest. 1829), dem verdienten breslauer Professor der altdeutschen
Literatur, und: »Der Lobgesang auf den heiligen Anno«, mit Uebersetzung,
Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Georg August Friedrich
Goldmann, Rector des Gymnasiums zu Soest (Geburts- und Todesjahr
unbekannt); ersteres Werk 1815, letzteres 1816 erschienen.
Das Gebiet der Belletristik berührt eine 1815 erschienene »Blumenlese
aus dem Stammbuche der deutschen mimischen Künstlerin, Frauen Henriette
Hendel-Schütz, gebornen Schüler« (geb. 1772, gest. 1849), herausgegeben
von dem vierten Gatten dieser durch ihre mimisch-plastischen
Darstellungen auf Reisen in allen Hauptländern Europas berühmt
gewordenen Künstlerin, Professor Friedrich Karl Julius Schütz in Halle.
Schon in der »Urania« für 1812 war ein (später auch in Separatausgabe
erschienener) Aufsatz von Falk über diese pantomimischen Darstellungen
mit Abbildungen veröffentlicht worden.
Die Romanliteratur ist in dieser Zeit in Brockhaus' Verlage nur durch
ein Originalwerk vertreten: »Das Opfer« von Regina Frohberg (geb. 1783,
Todesjahr unbekannt), einen Roman, der gleich den zahlreichen übrigen
der Verfasserin jetzt vergessen ist; dann aber durch eine »Bibliothek
neuer englischer Romane« in sechs Bänden, deren erste beiden (1814) zwei
Werke von Maria Edgeworth brachten, übersetzt von Karoline von Woltmann
(geb. 1782, gest. 1847), der Gattin des bekannten Geschichtschreibers,
während die folgenden vier Bände (1816 und 1817) Romane von Amelia Opie
und Emma Parker, zwei gleich Maria Edgeworth damals sehr geschätzten
englischen Schriftstellerinnen, in Uebersetzungen von Henriette Schubart
(geb. 1770, gest. 1831) enthielten.
* * * * *
Die Uebersetzungsliteratur wurde überhaupt von Brockhaus in allen
Perioden seiner Verlagsthätigkeit mit besonderer Vorliebe gepflegt, weil
er sich persönlich für die fremden Literaturen, und insbesondere die
englische und französische, lebhaft interessirte.
Schon 1811 hatte er mit Johannes Daniel Falk, dem bereits erwähnten
Vermittler seiner Bekanntschaft mit Goethe, ein »Römisches Theater der
Engländer und Franzosen« begonnen. Der erste Band sollte Shakspeare's
»Coriolan« enthalten; Brockhaus nennt den Helden des Stücks in seiner
Ankündigung »den kühnsten männlichen Charakter, den vielleicht die alte
Zeit hervorgebracht und Shakspeare's Genius dargestellt«, und fügt
hinzu: »kein Mann, der noch in Zeiten wie die unsern Anspruch darauf
macht, einer zu sein, sollte dies kühne Product jenes Feuergeistes
ungelesen lassen«. Der zweite Band sollte Racine's »Britannicus«
bringen, der dritte und vierte Band Charakteristiken und Auszüge aus
»Antonius und Kleopatra«, »Cinna«, »Cäsar« u. s. w. von Shakspeare,
Corneille, Voltaire, Racine, Crébillon, Lee u. s. w. Doch erschien nur
der erste Band, und das Unternehmen fand keinen Anklang, wol weil die
»freie Bearbeitung« des Uebersetzers dem deutschen Publikum weniger
zusagte als die Uebersetzungen Shakspeare's von Wieland, Eschenburg und
besonders August Wilhelm von Schlegel.
Von Falk verlegte Brockhaus gleichzeitig eine Sammlung von Gedichten,
Erzählungen und Briefen unter dem Titel: »Ozeaniden«, und später:
»Johannes Falk's Liebe, Leben und Leiden in Gott. Zu Luther's Gedächtniß
herausgegeben von einem seiner Freunde und Verehrer im Jahr unsers
Herrn 1817« (mit der alterthümlichen Verlagsbezeichnung auf dem Titel:
»Altenburg, verlegt's F. A. Brockhaus«), sowie eine Auswahl aus dessen
Werken: »Johannes Falk's auserlesene Werke. (Alt und neu.)« in drei
Theilen (1819), deren erster die »Ozeaniden« unter dem neuen Titel:
»Seestücke« wieder enthält; letztere beiden Werke wurden von Falk's
Freunde Adolf Wagner in Leipzig veröffentlicht.
Aus der englischen Literatur ist außer Shakspeare's »Coriolan« und
den englischen Romanen nur noch eine Uebersetzung von Walter Scott's
»Schottischen Liedern und Balladen« von Henriette Schubart (1817) zu
nennen.
Noch mehr als die englische pflegte Brockhaus die französische
Literatur, wie zahlreiche Verlagswerke, Uebersetzungen und
Originalausgaben, beweisen.
Außer der schon früher erwähnten, von der Hofräthin Spazier gefertigten
Uebersetzung der von Frau von Staël-Holstein herausgegebenen »Briefe,
Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne« (1812) verlegte er:
ein »_Manuel pour la conversation dans les langues étrangères_«, ohne
Verfassernamen, aber von der berühmten französischen Schriftstellerin
Gräfin von Genlis herrührend, gleichzeitig auch eine deutsche
Uebersetzung davon (beide Werke ebenfalls 1812); eine freie Bearbeitung
des bekannten Werks Jean Nicolas Bouilly's »_Conseils à ma fille_«,
von dem schon genannten Mitredacteur des »Conversations-Lexikon« _Dr._
Ludwig Hain, unter dem Titel: »Rath an meine Tochter in Beispielen aus
der wirklichen Welt« (2 Bändchen, 1814); Abdrücke der Originalausgaben
von Chateaubriand's »_Souvenirs d'Italie, d'Angleterre et d'Amérique_«
und Frau von Staël-Holstein's berühmtem Werke: »_De l'Allemagne_«, mit
einer werthvollen Einleitung des auch mit der Verfasserin befreundeten
Charles de Villers (beide Werke 1815); die Uebersetzung eines von
dem Verfasser Louis Simond ursprünglich englisch, dann aber auch
französisch geschriebenen Werks: »Reise eines Gallo-Amerikaners (M.
Simond's) durch Großbritannien in den Jahren 1810-1811« (2 Theile,
1817-1818), von Ludwig Schlosser, dem Pastor zu Großzschocher bei
Leipzig, bei dem Brockhaus' ältester Sohn Friedrich erzogen wurde (geb.
1774, gest. 1859); endlich eine von _Dr._ Ludwig Hain bearbeitete
und mit Anmerkungen begleitete deutsche Ausgabe des werthvollen
literarhistorischen Werks: »_Littérature du midi de l'Europe_« von Jean
Charles Léonard Simonde de Sismondi, unter dem Titel: »Die Literatur
des südlichen Europas« (2 Bände, 1816 und 1819).
In der italienischen Literatur war es vor allem Dante, für dessen
Werke, insbesondere die »_Divina commedia_«, Brockhaus sich persönlich
interessirte, und er hat das Verdienst, der deutschen Literatur die
erste vollständige und noch jetzt als eine der besten anerkannte
Uebersetzung dieses Werks verschafft zu haben. Schon in Amsterdam begann
er die Veröffentlichung dieser von Karl Ludwig Kannegießer (geb. 1781,
gest. 1861) herausgegebenen Uebersetzung, die, wie dieser in seinem vom
April 1809 datirten Vorwort sagt, »von August Bode 1802 angefangen und
nach dessen Tode von Ludwig Hain und ihm fortgesetzt, vollendet und
gänzlich umgearbeitet wurde«. Der erste Theil: »Die Hölle«, erschien
1809, der zweite Theil: »Das Fegefeuer«, 1814 (nebst einer neuen, aber
nicht als solche bezeichneten Ausgabe des ersten Theils), der dritte
Theil: »Das Paradies«, erst 1821. Diese Uebersetzung wurde bei Lebzeiten
des Uebersetzers in vier Auflagen oder vielmehr Umarbeitungen ausgegeben
(1825, 1832 und 1843) und 1872 in fünfter Auflage gedruckt. Ebenfalls
in Amsterdam erschienen (1809) »Umrisse« zu Dante's »Hölle« von Hummel
nach Flaxman, 39 Kupferstiche in Querfolio enthaltend. Später übersetzte
Kannegießer auch die meisten übrigen Werke Dante's für denselben Verlag.
Von Ludwig Hain verlegte Brockhaus auch eine Uebersetzung der
»Denkwürdigkeiten aus dem Leben Vittorio Alfieri's. Von ihm selbst
geschrieben« (1812), und dieses Werk war es, durch das er mit Hain
zuerst in nähere Verbindung trat.
Einen würdigen Abschluß der den fremden Literaturen gewidmeten
Verlagsthätigkeit Brockhaus' in dieser Zeit bildet die von Georg
Bernhard Depping (geb. 1784 in Münster, gest. 1853 in Paris), dem
berühmten Kenner der spanischen Literatur, herausgegebene und mit einer
werthvollen Einleitung versehene »Sammlung der besten alten Spanischen
Historischen, Ritter- und Maurischen Romanzen« (1817), die später
in neuer vermehrter spanischer Ausgabe unter dem Titel: »_Romancero
castellano_« (2 Bände, 1844) erschien, wozu noch ein dritter Band: »_La
Rosa de Romances_« von Ferdinand Joseph Wolf hinzukam (1846).
Neben den fremden Literaturen wendete indeß Brockhaus auch in dieser
Zeit seine Verlagsthätigkeit hauptsächlich der deutschen Literatur
zu, und zwar nicht blos den von uns bereits vorgeführten Gebieten der
sogenannten schönen Literatur, der poetischen und belletristischen,
sondern auch denen der wissenschaftlichen und überhaupt der ernstern
Literatur.
* * * * *
In erster Linie ist hier das Werk zu nennen, das uns nebst seinem
Verfasser bereits mehrfach begegnet ist: »Handbuch der deutschen
Literatur seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf die
neueste Zeit, systematisch bearbeitet und mit den nöthigen Registern
versehen von Johann Samuel Ersch, Professor und Bibliothekar auf der
Universität zu Halle.« Wie früher erwähnt, hatte Brockhaus bereits am
3. Juli 1809 in Amsterdam einen Contract über dieses von ihm selbst
veranlaßte Werk mit dem Verfasser abgeschlossen; indeß erschien der
aus vier Abtheilungen bestehende erste Band erst 1812 und die beiden
ersten Abtheilungen des zweiten Bandes folgten 1813, die beiden letzten
Abheilungen 1814, womit das Werk, das somit aus zwei Bänden zu je vier
Abtheilungen oder eigentlich aus acht Theilen bestand, zum ersten male
vollständig vorlag. Durch dieses Werk ist Ersch, nachdem er schon früher
werthvolle bibliographische Arbeiten geliefert hatte, der eigentliche
Begründer der deutschen Bibliographie geworden; innere Trefflichkeit und
äußere zweckmäßige Einrichtung haben dasselbe zu einem Muster gemacht,
wie die Literatur eines Volks geordnet werden soll, und es bildet
die Grundlage aller ähnlichen spätern Werke. Der Verleger wurde auch
durch den äußern Erfolg dieses Verlagsartikels für die auf denselben
verwendeten Sorgen und Unkosten entschädigt: nach seinem eigenen Zeugniß
war es nebst dem »Conversations-Lexikon« hauptsächlich dieses Werk,
dessen Ertrag ihm nach der Wiederaufnahme seiner Verlagsthätigkeit in
Altenburg die Mittel zur Ausführung weiterer Unternehmungen gewährte.
Eine zweite Auflage oder Umarbeitung wurde noch bei Brockhaus' Lebzeiten
(1822) begonnen, wobei sich Ersch von verschiedenen andern Mitarbeitern
unterstützen ließ, aber erst 1840 (in welchem Jahre nach längerer
Pause die letzte Abtheilung des zweiten Bandes erschien) vollendet.
Von einer dritten Auflage oder Umarbeitung sind nur die Abtheilungen
der philologischen und philosophischen Literatur (1845 und 1850), von
Christian Anton Geißler bearbeitet, ausgegeben worden.
Daß Brockhaus die erste Idee zu dem Werke gegeben, zeigt außer seinen
Versicherungen auch folgende Stelle der aus Halle 14. September 1814
datirten Vorrede des Verfassers zum letzten Bande:
Aus mancherlei Gründen war ich, nach Vollendung des letzten
»Repertoriums der Literatur« (1796-1800) und nach einer noch längere
Zeit fortgesetzten Beschäftigung mit Vorarbeiten zu einer etwanigen
Fortsetzung, zu dem Entschlusse gekommen, für die Zukunft alle
bibliographischen Arbeiten für das Publikum aufzugeben und meine Muße
vorzugsweise dem Studium der Staatskunde und neuern Geschichte zu
widmen, als ich, eben mit ernstlichen Anstalten zu einem umfassenden
statistischen Werke beschäftigt, ganz unerwartet von dem Herrn
Buchhändler Brockhaus, damals zu Amsterdam, durch eine dringende
Aufforderung zu diesem neuen bibliographischen Werke überrascht
wurde. Nach den bisher von mir gelieferten Arbeiten mußte er dadurch
meinen eigenen Wünschen zu begegnen mit Gewißheit erwarten, und doch
war gerade damals der Fall anders. Lange sträubte ich mich daher
gegen die Ausführung des wohldurchdachten Plans, so sehr er auch im
ganzen meinen Beifall hatte. Endlich aber fand ich mich -- einerseits
durch die Vorliebe des Herrn Brockhaus für seinen Plan, die meine
eigene Neigung für diese Gattung von Arbeiten von neuem belebte,
und andererseits durch Hinsicht auf die Zeitumstände, die einer
freimüthigen Bearbeitung der Staatskunde und der neuern Geschichte
immer ungünstiger wurden -- zur Ausführung eines Werks bewogen, das
mir, statt eines andern jetzt weniger erfreulichen, eine jahrelange
Beschäftigung versprach, die, wie ich nach mehrmaliger Erfahrung nicht
ohne Grund hoffte, dazu beitragen würde, mir die trüben Zeitumstände
einigermaßen aufzuheitern.
Außer mit Ersch war Brockhaus gleich in der ersten Zeit seines
Aufenthalts in Leipzig und Altenburg auch mit dessen späterm Collegen
Professor Johann Gottfried Gruber (geb. 1774, gest. 1851) in Verbindung
gekommen, zunächst wegen des »Conversations-Lexikon«, an dessen zweiter
Auflage Beide thätige Mitarbeiter waren. Die Namen Ersch und Gruber sind
erst später durch die gemeinschaftliche Herausgabe der »Allgemeinen
Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« (seit 1818) in diejenige
enge Verbindung gekommen, in der sie noch mehr als durch ihre eigenen
Werke in der Literatur fortleben werden; seit Ende 1815 waren sie
Collegen an der Universität Halle, indem Gruber um diese Zeit dort
angestellt wurde, während Ersch schon seit 1803 daselbst wirkte. Als
Brockhaus mit Gruber in literarische Beziehungen trat, war Letzterer
Professor an der Universität zu Wittenberg; diese wurde 1812 infolge der
Kriegsunruhen aufgehoben, er ging nach Leipzig, als Ephorus der dahin
gewiesenen wittenberger Studenten, und wurde, wie erwähnt, Ende 1815
nach der Vereinigung der beiden Universitäten Wittenberg und Halle,
worüber er selbst die Unterhandlungen zu führen hatte, nach Halle
versetzt. In Leipzig verfaßte er eine Lebensbeschreibung Wieland's
(gest. 20. Januar 1813), zu der er bei seinem mehrjährigen Aufenthalte
in Jena und Weimar (1803-1810) in vertrautem Umgange mit Wieland, der
ihn selbst zu seinem Biographen bestimmte, die Materialien gesammelt
hatte; sie erschien in Brockhaus' Verlage unter dem Titel: »Christoph
Martin Wieland. Geschildert von J. G. Gruber« (2 Theile, 1815 und 1816).
Später schrieb Gruber noch eine größere Biographie Wieland's (4 Bände,
Leipzig 1827) für die von ihm besorgte neue Ausgabe von Wieland's
sämmtlichen Werken in Göschen's Verlage (1818-1828).
* * * * *
Ein dritter hervorragender Schriftsteller, der zu Brockhaus' nähern
Freunden gehörte, war Karl Heinrich Ludwig Pölitz (geb. 1772, gest.
1838), der bekannte Historiker und Statistiker, damals (seit 1803)
wie Gruber Professor in Wittenberg, seit 1815 bis zu seinem Tode in
Leipzig, erst als Professor der sächsischen Geschichte und Statistik,
dann der Politik und Staatswissenschaften wirkend. Für Brockhaus war
Pölitz zunächst ebenfalls als Mitarbeiter am »Conversations-Lexikon«
thätig, verfaßte aber bald auch ein eigenes Werk für dessen Verlag,
eine Biographie seines Freundes und Gönners, des bekannten Theologen
Reinhard. Dieser, 1753 geboren, starb am 6. September 1812 als
Oberhofprediger zu Dresden, in welcher Stellung er seit 1792 segensreich
gewirkt hatte. Das Werk führte den Titel: »_D._ Franz Volkmar Reinhard
nach seinem Leben und Wirken dargestellt von Karl Heinrich Ludwig
Pölitz« (2 Abtheilungen, 1815). Das Vorwort zur ersten Abtheilung trägt
das Datum: 12. März 1813; sie ist wahrscheinlich schon 1813 erschienen.
Das Vorwort zur zweiten Abtheilung ist vom 17. Januar 1815 datirt und
in Schmiedeberg bei Pretzsch geschrieben, wo Pölitz seit der Aufhebung
der wittenberger Universität bis zu seiner Uebersiedelung nach Leipzig
gelebt hatte.
Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus das Hauptwerk von Pölitz: »Die
Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren«
(ursprünglich zwei Theile), wozu 1820 und 1825 noch zwei weitere
Theile als dritter und vierter hinzukamen. Eine zweite umgearbeitete
Auflage dieses Werks wurde 1832 und 1833 unter dem veränderten Titel:
»Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste
Zeit«, in drei Bänden veranstaltet, während 1847 noch die von Professor
Friedrich Bülau herausgegebene erste Abtheilung eines vierten Bandes
hinzukam, die, mit dem ersten Bande vereinigt, auch als ein besonderes
Werk unter dem Titel: »Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit
dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit«, erschienen ist.
* * * * *
Dem Gebiete der Politik und Staatswirthschaft gehören noch folgende
Verlagsartikel aus diesen Jahren an: eine Schrift über »Das
Continentalsystem« (1812) von dem zu Brockhaus' nähern Bekannten in
Altenburg gehörenden Rath und Kammersecretär Ludwig Lüders (geb. um
1778, gest. 1822); die schon früher erwähnte Schrift von Charles de
Villers: »_Constitutions des trois villes libres-anséatiques, Lubeck,
Brêmen et Hambourg_« (1814); Chateaubriand's »_Essai historique,
politique et moral sur les révolutions, anciennes et modernes_« (2
Bände, 1816); »Theorie des Geldes und der Münze« von _Dr._ Johann
Karl Adam Murhard in Kassel (geb. 1781, gest. 1863); »Grundzüge der
philosophischen Politik« von Gustav Anton Freiherrn von Seckendorff
(bekannter unter dem Namen Patrick Peale, geb. 1775 im Altenburgischen,
gest. 1823 in Nordamerika), letztere beiden Werke 1817 erschienen. Die
der Geschichte gewidmeten Verlagsartikel werden später erwähnt werden.
Auch das Gebiet der Naturwissenschaften, dem Brockhaus von Anfang
an besondere Beachtung geschenkt hatte, weist mehrere gediegene
Verlagswerke auf.
So veröffentlichte er in den Jahren 1817 und 1818 von Kurt Sprengel's
»_Historia rei herbariae_«, die 1807 und 1808 einen seiner ersten
Verlagsartikel in Amsterdam bildete, eine neue deutsche Bearbeitung des
Verfassers unter dem Titel: »Geschichte der Botanik« (2 Theile).
Dann kaufte er aus dem Verlage von Achenwall & Co. in Berlin den bereits
gedruckten ersten Band eines »Handwörterbuch der allgemeinen Chemie« von
Johann Friedrich John, Professor an der Universität zu Frankfurt a. O.
und nach deren Aufhebung zu Berlin (geb. 1782, gest. 1847), und führte
es in vier Bänden (1817-1819) zu Ende.
Ferner begann er den Verlag eines »Archiv für den Thierischen
Magnetismus«, von Professor Dietrich Georg Kiefer in Jena (geb. 1779,
gest. 1862) in Verbindung mit Professor Karl Adolf von Eschenmayer in
Tübingen (geb. 1768, gest. 1852) und Professor Christian Friedrich
Nasse (geb. 1778, gest. 1851) herausgegeben. Indeß veröffentlichte
Brockhaus blos vier Hefte (1817) und verkaufte das »Archiv« dann an die
Buchhandlung Hemmerde & Schwetschke in Halle, in deren Verlag bis 1827
zwölf Bände davon erschienen.
Uebrigens interessirte sich Brockhaus auch persönlich für diese nach
ihrem Erfinder Anton Mesmer gewöhnlich Mesmerismus genannte neue Lehre
von den geheimnißvollen Kräften des thierischen Magnetismus, welche in
Frankreich und Deutschland bis über das erste Viertel des Jahrhunderts
hinaus großes Aufsehen erregte. Er verlegte später Wolfart's »Jahrbücher
für den Lebens-Magnetismus oder Neues Askläpieion« (5 Bände,
1818-1823) und »Der Magnetismus nach der allseitigen Beziehung seines
Wesens, seiner Erscheinungen, Anwendung und Enträthselung in einer
geschichtlichen Entwickelung von allen Zeiten und bei allen Völkern
wissenschaftlich dargestellt«, von Professor Joseph Ennemoser in Bonn,
einem der Hauptvertreter dieser Lehre. Letzteres Werk erschien 1844 in
zweiter umgearbeiteter Auflage unter dem Doppeltitel: »Geschichte des
thierischen Magnetismus« und »Geschichte der Magie«.
* * * * *
Einen besonders werthvollen Zuwachs seines medicinischen Verlags erhielt
Brockhaus dadurch, daß er 1816 den gesammten Verlag der unter der
Firma »Literarisches Comptoir« in Altenburg bestehenden Pierer'schen
Buchhandlung übernahm. Die beiden wichtigsten Verlagswerke derselben
waren: »Medizinisches Realwörterbuch zum Handgebrauch praktischer Aerzte
und Wundärzte und zu belehrender Nachweisung für gebildete Personen
aller Stände«, und: »Allgemeine medizinische Annalen des neunzehnten
Jahrhunderts«. Beide Werke waren von dem Besitzer der Pierer'schen
Verlagsbuchhandlung begründet und wurden von ihm unter seinem Namen
herausgegeben, auch noch nach diesem Verkaufe.
Johann Friedrich Pierer wurde schon mehrfach genannt: er hatte Brockhaus
1808 auf der leipziger Messe kennen gelernt und ihn dann bei seiner
Ankunft in Altenburg mit Rath und That unterstützt. Schon als Besitzer
der Hofbuchdruckerei, als Schwager des Bankiers Reichenbach und Freund
des Ludwig'schen Hauses nahm Pierer eine sehr hervorragende Stellung
in der altenburger Gesellschaft ein. Im Jahre 1767 geboren, studirte
er die Medicin und ließ sich 1790 in seiner Vaterstadt Altenburg
als praktischer Arzt nieder, begründete 1798 eine »Medizinische
Nationalzeitung für Deutschland«, die er 1800 »Allgemeine medizinische
Annalen« nannte, und kaufte 1799 die Richter'sche Hofbuchdruckerei in
Altenburg, mit der er 1801 ein buchhändlerisches Verlagsgeschäft für
seine Zeitschrift unter der Firma »Literarisches Comptoir« verband.
Dieses letztere verkaufte er sammt jener Zeitschrift, einigen andern
Verlagsartikeln und dem eben im Druck begonnenen »Medizinischen
Realwörterbuche« 1816 an Brockhaus. Nachdem er 1814 Amts- und
Stadtphysikus mit dem Titel Hofrath geworden war, wurde er 1826 zum
Obermedicinalrath und Leibarzt des Herzogs ernannt und starb 1832.
Im Jahre 1823 (nach Brockhaus' Tode) nahm Johann Friedrich Pierer
sein Verlagsgeschäft unter der nur wenig veränderten Firma
»Literatur-Comptoir« wieder auf und übertrug die Leitung desselben
seinem Sohne Heinrich August Pierer (geb. 1794, gest. 1850), der
zuerst ebenfalls Medicin studirt hatte, aber 1813 mit ins Feld gezogen
war und 1831 seinen Abschied nahm, worauf er sich ausschließlich dem
Verlagsgeschäft widmete. Er hat sich namentlich durch Herausgabe
des »Universal-Lexikon« bekannt gemacht, das er 1824 noch bei
Lebzeiten seines Vaters und von diesem unterstützt unter dem Titel
»Encyklopädisches Wörterbuch« begonnen hatte.
Von dem erstgenannten jener beiden von Brockhaus mit dem Pierer'schen
Verlage erworbenen Werke, dem »Medizinischen Realwörterbuch«, erschienen
in den Jahren 1816, 1818, 1819 und 1821 die ersten vier Bände, der
vierte mit herausgegeben von _Dr._ Ludwig Choulant (geb. 1791, gest.
1861 als Geh. Obermedicinalrath in Dresden), den Pierer zu seiner
Unterstützung 1817 aus Dresden nach Altenburg berufen hatte, wo er
bis 1821 blieb. Doch wurden diese vier Bände später an Pierer wieder
verkauft und von diesem die das Werk abschließenden Bände 5-8 in den
Jahren 1823-1829 selbst verlegt.
Die »Allgemeinen medizinischen Annalen«, deren Redaction Pierer
ebenfalls beibehielt, seit 1821 auch dabei von Choulant unterstützt,
blieben nach der Wiedererrichtung der Pierer'schen Verlagsbuchhandlung
im Jahre 1823 doch im Verlage von F. A. Brockhaus, und zwar bis 1830,
worauf sie in die im Pierer'schen Verlage erscheinende »Allgemeine
medizinische Zeitung« umgewandelt wurden; letztere wurde nach Pierer's
Tode seit 1833 von _Dr._ Karl Pabst herausgegeben, ging 1837 wieder an
F. A. Brockhaus über, hörte aber mit Ende 1838 ganz auf.
In dem am 11. Juni 1816 zwischen Pierer und Brockhaus abgeschlossenen
Vertrage über den Verkauf des »Literarischen Comptoir« verpflichtete
sich Letzterer zugleich, »die bisher bestandenen Druckereigeschäfte« mit
Ersterm fortzusetzen und nicht nur die von ihm übernommenen Verlagswerke
und »die noch rückständigen Bände des 'Conversations-Lexikon'« (zweite
Auflage) in Pierer's Druckerei anfertigen zu lassen, »sondern auch
dessen Pressen, deren Zahl um deswillen erhöht und mit dem nöthigen
Druckereipersonale versehen worden sind, auf längere Zeit hinaus
hinreichend und soviel es nur die Verhältnisse verstatten wollen zu
beschäftigen«.
Verschiedenen Gebieten gehören endlich die folgenden drei von
Brockhaus im Jahre 1817 verlegten Werke an: »Reise nach Dalmatien und
in das Gebiet von Ragusa«, von Ernst Friedrich Germar, Professor der
Mineralogie zu Halle (geb. 1786, gest. 1853), ein Werk von zugleich
wissenschaftlichem Werthe, mit Kupfern und Karten; zweitens eine zwar
kleine Schrift, aber die erste bedeutendere Arbeit des später berühmt
gewordenen Geschichtschreibers der Philosophie Heinrich Ritter (geb.
1791, gest. 1869, erst Docent in Berlin und Kiel, seit 1837 eine Zierde
der Universität Göttingen) unter dem Titel: »Welchen Einfluß hat die
Philosophie des Cartesius auf die Ausbildung der des Spinoza gehabt,
und welche Berührungspunkte haben beide Philosophien mit einander
gemein? Nebst einer Zugabe: Ueber die Bildung des Philosophen durch
die Geschichte der Philosophie«; drittens: »Die Elemente der reinen
Mathematik« von dem königlich sächsischen Oberlandfeldmesser Wilhelm
Ernst August von Schlieben (geb. 1781, gest. 1829), wovon indeß nur
die erste Abtheilung: »Die Rechenkunst und Algebra«, in zwei Theilen
erschien.
Eine gleichzeitig von Brockhaus mit dem Verfasser des letztern Werks
begonnene kriegsgeschichtliche Zeitschrift gehört in das Gebiet der
Publicistik, Geschichte und encyklopädischen Literatur, das einen
Hauptbestandtheil seiner Verlagsthätigkeit in den Jahren 1812-1817
bildete und deshalb eine besondere Schilderung beansprucht.
Vorher ist indeß noch ein einzelnes Verlagsunternehmen zu
charakterisiren, das Brockhaus vor allen andern in dieser Zeit
beschäftigte: die von ihm begründeten und herausgegebenen »Deutschen
Blätter«.
3.
Die »Deutschen Blätter«.
Wie Brockhaus seine Verlegerlaufbahn mit einer politisch-literarischen
Zeitung begonnen hatte (im Jahre 1806 mit dem holländischen Blatte »_De
Ster_«), so beschäftigte er sich auch gleich nach seiner Festsetzung
in Altenburg mit dem Gedanken, ein ähnliches in die Zeitverhältnisse
eingreifendes Unternehmen zu begründen. Ueberhaupt erkannte er stets
in vollem Maße die Bedeutung des Journalismus für ein Verlagsgeschäft,
das zu einer einflußreichen Stellung in der Literatur gelangen oder
diese behaupten will. In der mannichfachsten Weise hat er es in
den verschiedenen Perioden seiner Verlegerlaufbahn versucht, durch
Zeitschriften auf die öffentliche Meinung einzuwirken, bald auf rein
politischem, bald auf literarischem Gebiete, meist aber auf beiden
gleichzeitig, was der Zeitströmung und seiner eigenen Neigung am meisten
zusagte.
Freilich waren die Zeitumstände in den Jahren 1811 und 1812 einer
solchen Absicht wenig günstig, ganz abgesehen davon, daß Altenburg ein
wenig geeigneter Ort für die Verwirklichung derselben schien und seine
pecuniären Mittel beschränkte waren.
* * * * *
Das erste Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts bildet eine der
traurigsten Epochen in der deutschen Geschichte: das Deutsche Reich
bricht nach tausendjährigem Bestande in sich selbst zusammen;
Frankreich verübt ungestraft Gewaltthaten gegen deutsche Länder;
Oesterreichs erste Erhebung gegen Napoleon (1805) mislingt und führt
zur Errichtung des Rheinbundes schmachvollen Andenkens, welcher ein
Drittheil des deutschen Landes in ein Vasallenverhältniß zu Frankreich
bringt; Preußens verspätete Erhebung gegen Napoleon (1806) scheitert
gleichfalls und kostet ihm die Hälfte seines Landes; Oesterreichs neuer
Versuch, die Napoleonische Herrschaft zu brechen (1809), mislingt
abermals; die ganze Nordseeküste Deutschlands wird (1810) mit Frankreich
vereinigt.
In solch trüber Zeit ein politisches Blatt in Deutschland zu gründen,
wäre Vermessenheit gewesen, zumal die deutschen Fürsten nach und nach
eine Censur einführten, wie man sie bisher in Deutschland nicht gekannt
hatte; Napoleon hatte sie für den Verlust ihrer Unabhängigkeit dadurch
entschädigt, daß er ihnen einen neuen Begriff von der Souveränetät, die
er ihnen garantirte, beibrachte und sie zu unumschränkten Herren ihrer
Unterthanen machte.
Die Besten des deutschen Volks fühlten von Anfang an die Schmach dieser
Zustände: die Namen eines Hofer, eines Schill, eines Dörnberg sind die
besten Zeugen dafür. Ihre kühnen Unternehmungen verunglückten, weil
sie von den Regierungen im Stich gelassen wurden und das deutsche Volk
zu allen Zeiten sich nur langsam zur That aufgerafft hat. Die Reformen
des Grafen Stadion in Oesterreich, Stein's und Scharnhorst's in Preußen
waren ein Zeichen der bald heranbrechenden Morgenröthe. Aber erst das
Scheitern des Zugs Napoleon's gegen Rußland (1812) gab das Signal zu
einer allgemeinen Erhebung in Deutschland. Alles athmete auf: der
Usurpator war nicht unbezwinglich. Stein's Verdienst ist es, Rußland
zur Verfolgung des fliehenden Feindes bis auf deutschen Boden vermocht
zu haben; Preußen wurde durch York's Capitulation mit fortgerissen zum
Kampfe gegen Napoleon auf Leben und Tod. Am 3. Februar 1813 erließ der
König von Preußen den Aufruf »An mein Volk«; die großartige Erhebung des
preußischen und bald auch des ganzen deutschen Volks war die Antwort.
Am 27. Februar schloß Preußen mit Rußland ein Bündniß und erklärte am
16. März Frankreich den Krieg. Das französische Heer hatte sich hinter
die Elbe zurückgezogen, behauptete aber diese Linie. Im Sommer traten
Schweden, England und Oesterreich dem preußisch-russischen Bündniß bei.
Von allen Seiten rückten die Heere nach Mitteldeutschland vor: hier
sollte die Entscheidung fallen.
* * * * *
Der Stadt Altenburg wurde in dieser denkwürdigen Zeit die Ehre zutheil,
mehrere Tage das Hauptquartier der verbündeten Armeen zu bilden.
Im Sommer 1813 oft von den Franzosen und den leider noch mit ihnen
verbündeten Baiern besetzt, wurde die Stadt zuerst am 24. August von
diesen verlassen, weil die Oesterreicher im Anmarsche waren. Am nächsten
Morgen rückten die ersten Oesterreicher und einige Kosacken ein. Am 2.
September erschienen die Franzosen wieder, flohen aber schon drei Tage
darauf, und am 8. September besetzte der österreichische Graf Mensdorff
mit einem österreichisch-russischen Corps die Stadt. Am 24. September
fand ein Gefecht bei Altenburg statt, General Thielmann zog sich vor
Oberst Lefèvre zurück, die Franzosen besetzten die Stadt wieder, bis
Thielmann, von dem Kosackenhetman Platow unterstützt, sie am 28.
September aufs neue daraus verjagte. Am 3. October rückten Polen unter
Fürst Poniatowski ein, zogen aber nach einigen Tagen wieder fort. Jetzt
begannen zahlreiche Durchmärsche der Verbündeten. Fürst Wittgenstein und
General Kleist kamen am 9. October mit ihren Corps an. Am folgenden Tage
verlegte Fürst Schwarzenberg, der Generalissimus der verbündeten Armeen,
sein Hauptquartier von Penig nach Altenburg, wo es bis zum 15. October
blieb. Der Kaiser Alexander von Rußland war kurz nach Schwarzenberg,
am Abend des 10. October, in Altenburg angekommen und ihm zu Ehren die
Stadt beleuchtet worden. Mit ihm kamen Großfürst Konstantin, Barclay
de Tolly und etwa vierzig russische, österreichische und preußische
Generale. In den Vormittagsstunden des 15. October brach alles, was zum
Hauptquartier gehörte, auf, nach Leipzig zu. Der Kaiser von Oesterreich
traf kurz darauf in Altenburg ein, ebenso der König von Preußen.
* * * * *
In diesen für Altenburg und seine Bewohner so ereignißreichen Tagen
reifte in Brockhaus der lange gehegte Entschluß, ein politisches Blatt
zu gründen, um auch an seinem Theile mitzuhelfen zur Befreiung des
Vaterlandes. In einem solchen Augenblicke konnte ein derartiges Blatt ja
nur Kriegsberichte bringen, und er beschloß, die günstige Gelegenheit,
die sich ihm durch die Anwesenheit des Hauptquartiers in Altenburg bot,
rasch zur Förderung seiner Absichten zu benutzen. Er erbat und erhielt
Audienzen beim Kaiser von Rußland und bei dem Fürsten Schwarzenberg.
Das Ergebniß derselben, über deren sonstigen Verlauf uns leider nichts
weiter bekannt ist, war ein »Befehl« zur Herausgabe eines »periodischen
Blattes« -- ein in der Geschichte der Journalistik gewiß seltener
Vorgang.
Das geschichtlich denkwürdige Actenstück lautet:
#Befehl.#
Dem Buchhändler, Herrn Brockhaus, von hier wird hiermit befohlen,
alle von Seiten der Hohen Alliirten theils schon erschienene, theils
in der Zukunft noch zu erscheinende Nachrichten und officielle
Schriften durch den Druck bekannt zu machen und sie mittelst eines
periodischen Blattes, welches jedoch der Censur des jedesmaligen Herrn
Platz-Commandanten unterliegt, dem Publico mitzutheilen.
Hauptquartier Altenburg, den 13. October 1813.
Auf Befehl Sr. Durchlaucht des k. k. _en chef_
commandirenden Herrn Feldmarschalls Fürsten
von Schwarzenberg.
(Gez.) Langenau.
Auf Grund dessen richtete Brockhaus sofort eine Eingabe an die
einheimische Behörde und erhielt darauf nachstehende Resolution:
Dem Buchhändler Friedrich Arnold Brockhaus wird auf seine Eingabe
vom 14. d. M., die Herausgabe eines die von Seiten der Hohen Alliirten
theils schon erschienenen, theils noch erscheinenden Armee-Nachrichten
und officiellen Schriften liefernden periodischen Blattes und dessen
Censur betreffend, zur Resolution hiermit vermeldet: daß er dem
diesfalls von des _en chef_ commandirenden Herrn Feldmarschalls,
Fürsten von Schwarzenberg, Durchlaucht erhaltenen Befehle
lediglich nachzukommen und die Censur von dem jedesmaligen Herrn
Platz-Commandanten zu erwarten habe, daher bei diesen Blättern eine
Durchsicht der dießortigen Censur-Behörde nicht eintrete.
Altenburg, am 18. October 1813.
Herzogl. Sächs. verordnete Canzler u. Räthe das.
(Gez.) F. C. A. von Trützschler.
Brockhaus verlor keine Stunde mit der Ausführung des »Befehls«. Er ließ
sofort sein neues Blatt ins Leben treten, nannte es »Deutsche Blätter«
und stellte jenen Befehl an die Spitze der ersten Nummer, die schon vom
folgenden Tage, 14. October, datirt und wol noch an diesem oder dem
folgenden Tage erschienen ist. Unter den »Befehl« setzte er folgende
Benachrichtigung:
In Beziehung auf obigen ehrenvollen Auftrag werden von den
»Deutschen Blättern« an unbestimmten Tagen, in Nummern von
halben und ganzen Bogen, wöchentlich mehrere erscheinen und
durch alle Buchhandlungen, Postämter u. s. w. zu erhalten sein.
Vierzig ganze Bogen bilden einen Band und erhalten Haupttitel und
Inhaltsverzeichniß. Bei Veranlassung werden Karten und Pläne beigefügt
werden. Der Pränumerationspreis für einen Band oder vierzig ganze
Bogen beträgt 1 Thlr. 8 Gr. sächsisch. Einzelne Nummern von einem
ganzen Bogen kosten 1 Gr. 6 Pf. und von einem halben Bogen 1 Gr.
Bestellungen sowie dem Zweck der Blätter entsprechende Beiträge
werden adressirt: an die Expedition der »Deutschen Blätter« in
Altenburg.
F. A. Brockhaus.
Dies ist die Entstehungsgeschichte der »Deutschen Blätter«, die vom
Herbst 1813 bis zum Frühjahr 1816 bestanden und anerkanntermaßen zu den
besten der durch die Freiheitskriege hervorgerufenen und die Erhebung
des deutschen Volks auf das kräftigste fördernden Erzeugnissen der
deutschen politischen Presse gehörten. Sie sind nach Idee, Titel,
Form und Inhalt als eine Schöpfung von Brockhaus anzusehen, der auch
fortwährend die Seele des Blattes blieb, während _Dr._ Hain und _Dr._
Sievers die Geschäfte der Redaction besorgten. Auf dem Blatte selbst
war übrigens nach damaliger Sitte zunächst weder der Redacteur noch der
Herausgeber, Verleger oder Drucker genannt; erst vom zweiten Bande an
nannte sich Brockhaus als Herausgeber.
Daß Brockhaus sich einen »Befehl« zur Herausgabe des Blattes erwirkte,
geschah gewiß nicht aus Vorsicht, um etwa den französischen Militär- und
Civilbehörden gegenüber bei ungünstigem Verlaufe der Kriegsoperationen
durch diesen gedeckt zu sein. Denn wären die Franzosen nach dem am 15.
October, also einen Tag nach dem Datum der ersten Nummer, erfolgten
Wegzuge des Hauptquartiers aus Altenburg wieder einmal, wie in den
Wochen vorher öfters geschehen war, in die Stadt eingerückt, so hätte
jener »Befehl« den Herausgeber der »Deutschen Blätter« schwerlich vor
dem Schicksale Palm's oder wenigstens Becker's bewahrt, zumal er sofort
(in der dritten Nummer vom 17. October) einen über seine patriotische
Gesinnung keinen Zweifel lassenden Aufsatz: »Was ist (war) der
rheinische Bund?« brachte. Er erbat sich jenen »Befehl« vielmehr nur,
um die offiziellen Berichte über die Kriegsoperationen aus erster Hand
zu erhalten und dadurch seinem Blatte einen um so größern Leserkreis zu
sichern.
Das Glück begünstigte ihn dabei insofern, als wenige Tage darauf
die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen wurde und die »Deutschen
Blätter« bei ihren Beziehungen zu dem Hauptquartiere das erste Blatt
sein konnten, welches dem deutschen Volke die Kunde seiner Befreiung
und authentische Berichte über diese ewig denkwürdigen Tage brachte.
Die Geburt der »Deutschen Blätter« fiel so zusammen mit der Geburt der
deutschen Unabhängigkeit: ein günstiger Umstand, den der Herausgeber
trefflich zu benutzen verstand.
* * * * *
Das Hauptquartier der verbündeten Armeen war am 15. October von
Altenburg nach Pegau verlegt worden, und am Morgen des folgenden
Tags begann die leipziger Schlacht. Der Kaiser von Oesterreich hatte
Altenburg am 16. October früh 7 Uhr verlassen, der König von Preußen
erst einige Stunden später, Beide, um den Kaiser von Rußland und das
Hauptquartier in Pegau zu treffen. Schon auf der Fahrt dahin hörten sie
die heftige Kanonade dieses ersten Schlachttags: es war die Schlacht bei
Wachau, die gleichzeitig mit der von Blücher bei Möckern geschlagenen
Schlacht siegreich für die Verbündeten ausfiel und den 16. October zu
dem ersten Siegestage bei Leipzig machte. Die drei verbündeten Monarchen
hatten der Schlacht vom Wachberge aus beigewohnt; auch Napoleon war auf
dem Schlachtfelde und hatte bei der ersten für ihn günstigen Wendung der
Schlacht bereits den Befehl gegeben, in Leipzig zur Feier seines Siegs
die Glocken zu läuten.
Der folgende Tag, der 17. October, ein Sonntag, verging ruhiger:
Napoleon unterhandelte und versäumte darüber den rechtzeitigen Rückzug.
Am 18. October erfolgte der Hauptangriff der Verbündeten in drei
Colonnen auf die Stellung der Franzosen in und um Leipzig: überall,
wenn auch unter mörderischem Kampfe siegreich vordringend, hatten sie
am Abende dieses Hauptschlachttags die Franzosen von drei Seiten so
fest eingeschlossen, daß diesen nur der eine Rückzugsweg nach Westen
übrigblieb und Napoleon den Rückzug bereits um 11 Uhr vormittags
beginnen ließ.
Am 19. October wurden die Vorstädte Leipzigs erstürmt; die drei
verbündeten Monarchen hielten um 1 Uhr mittags ihren Einzug in die
Stadt, die Napoleon um 10 Uhr erst verlassen hatte.
Napoleon's Macht hatte den Todesstoß erhalten, Deutschland war frei: der
Einzug des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen in Paris am
31. März, Napoleon's Abdankung am 11. April, der Erste Pariser Friede
vom 30. Mai 1814 waren Folgen der Völkerschlacht bei Leipzig.
* * * * *
Die »Deutschen Blätter« brachten wol die ersten Nachrichten über
die große Entscheidungsschlacht. Sie vermochten dies aber nicht nur
deshalb, weil sie das officielle Organ des Hauptquartiers waren, sondern
ihr Herausgeber hatte, mit gewohnter Energie den rechten Augenblick
erfassend, sich sofort nach schnell nachgesuchter und erhaltener
Erlaubniß dem Hauptquartier angeschlossen, und konnte so seinem neu
gegründeten Blatte zugleich als erster Berichterstatter über die
wichtigste Schlacht des ganzen Kriegs dienen. Brockhaus war Augenzeuge
der Schlacht bei Wachau gewesen und sofort nach der Einnahme Leipzigs
von Rötha aus in die Stadt geeilt.
Schon am Nachmittag des 18. October sandte er zwei kurze Berichte an
_Dr._ Hain in Altenburg, die dieser am nächsten Morgen sofort durch
ein »Extrablatt« (also nicht erst eine Erfindung der neuern Zeit!) dem
Publikum mittheilte und in Nr. 5 der »Deutschen Blätter« vom 19. October
nochmals abdruckte. Diese Briefe waren in Borna geschrieben, wo auch der
Kaiser von Oesterreich und der König von Preußen übernachtet hatten;
beide Fürsten begaben sich von hier nach Rötha zum Kaiser von Rußland,
um mit diesem zusammen am folgenden Mittag in Leipzig einzuziehen.
Brockhaus folgte ihnen mit dem Hauptquartier.
Von Leipzig aus schrieb er gleich am Morgen des 20. October einen
längern Bericht über seine Erlebnisse für die »Deutschen Blätter«, der
mit der Ueberschrift »Brief an J.« (unter J. ist jedenfalls Jeannette,
seine Frau, gemeint) in Nr. 11 vom 21. October veröffentlicht wurde.
Wir theilen daraus unter Weglassung der bekannten Einzelheiten der
Schlachttage folgende theils für den Schreiber charakteristische, theils
auch sonst interessante Stellen hier mit:
Ich bin auf den Flügeln des Windes hierher geeilt, sobald ich in
Rötha die Nachricht von der Einnahme Leipzigs erhielt. Es sind zwei
göttliche Tage für mich gewesen. Am ersten die #Ahnung# und späterhin
am Abend schon die #Nachricht# von der Hermanns-Schlacht; der zweite
die vollendete Besiegung des stolzen Feindes, der nun seit zehn Jahren
mit ehrnem Fuß uns auf den Nacken trat und alle schönen Lebenskeime
zerstörte. Es ist der vollständigste Sieg, den die neuere Geschichte
kennt, erfochten worden, und die Folgen werden noch unermeßlicher
sein. Ich hoffe, auch kein Franzose werde über den Rhein zurückkehren,
um die Kunde ihrer Niederlagen in ihre Heimat zu bringen. So geht das
in Erfüllung, was ich oft sagte, wenn sie in nicht aufhörenden Zügen
an unsern friedlichen Wohnungen vorbeieilten ....
Der Einzug in Leipzig ist ebenso rührend als verherrlichend gewesen.
Mit lautem Jubel bewillkommneten die Einwohner die Sieger und sahen
sie für ihre Befreier an. Aus allen Fenstern wurde ihnen mit weißen
Tüchern entgegengeflaggt. »Seid willkommen, seid willkommen!« --
»Es lebe Franz, Alexander, Friedrich Wilhelm und der Kronprinz von
Schweden!« ist von tausend und wieder tausend Stimmen gerufen und von
den Siegern mit unaufhörlichem Hurrah beantwortet worden. Freunde,
Bekannte, Fremde umarmen sich auf öffentlicher Straße, und Thränen
der Freude und der Wehmuth stürzen ihnen aus den Augen. Auch haben
sich die Sieger wie wackere Männer in ihrem Triumphe gezeigt. Leipzig
war mit Sturm genommen und noch in den Straßen der Stadt lebhaft
gefochten worden. Das Los jeder so eroberten Stadt ist gewöhnlich die
Plünderung. Hier aber ist nicht im geringsten geplündert, sondern die
strengste Mannszucht gehalten worden. Wer erinnert sich hier nicht an
Lübeck, das 1806 drei Tage lang von den Marschällen Soult und Murat
allen Greueln der Verwüstung preisgegeben wurde! Auch damals schon
zeigte sich der Sinn des Kronprinzen von Schweden als edler Mann,
indem er bei seinem Corps die strengste Ordnung zu erhalten wußte.
Man ziehe hier Parallele zwischen diesen »Barbaren des Nordens« und
jenen »cultivirten Männern des Südens«! So auch nach der Schlacht bei
Lützen, die wir unter unsern Augen liefern sahen: die »Barbaren« zogen
sich in musterhafter Ordnung zurück und ihr Betragen war ebenfalls
musterhaft. Wie sich aber die »Sieger« benahmen, darüber frage man an
allen den Orten, wo ihr verheerender Zug sie hinführte.
Selbst die Wohnungen, die Napoleon bezog, waren nicht vor Plünderung
sicher, wie wir in unserer Nähe ein empörendes Beispiel vernommen
haben, worüber ich jetzt aufs neue die Bestätigung erhielt.
Meine Reise gestern von Rötha hierher war ohne die geringste
Unannehmlichkeit und Störung, was beinahe unbegreiflich scheint, wenn
man bedenkt, daß wir durch 100000 Mann Truppen fuhren, die in mehrern
Colonnen und in unabsehbaren Zügen nach Pegau defilirten. Man hatte
selbst die Gutmüthigkeit, uns, wo es sich thun ließ, Platz zu machen
oder sogar innezuhalten, damit wir nur um so rascher fahren könnten.
Keine Erkundigung nach Pässen fand statt. Man sah es uns wol an den
Gesichtern an, daß wir wackere Deutsche seien, die es mit der großen
Sache, für die sie Blut und Leben opfern, gut meinen. Wir brachten
jeder Truppenart auch immer ein freundliches: »Vivat Franz, Alexander
und Friedrich Wilhelm!« zu. Auch Sachsen begegneten uns; wir riefen
ihnen zu: »Es leben die braven Sachsen!« Auf der ganzen Straße von
Rötha bis Leipzig sieht man eine ungeheuere Verwüstung. Fast alle
Dörfer sind ganz oder theilweise beinahe stets von den Franzosen
abgebrannt, alle Gärten sind verwüstet, alle Landhäuser niedergerissen
oder doch spoliirt; man sieht keine Hecke, alle noch stehenden
Scheunen sind geleert, das Vieh ist weggeführt, und die Einwohner
halten sich, von Allem entblößt, in den Wäldern auf; keine Spur mehr
von alle dem, was in einer langen Reihe glücklicher Jahre in frühern
Zeiten für Bequemlichkeit und Schönheit gebildet und geschaffen worden
war.
Mit welchen Gefühlen muß Napoleon aus Sachsen geschieden sein, mit
welchen muß er aus Aegypten, aus Rußland, aus Spanien, aus Schlesien,
aus Preußen, aus Oesterreich geschieden sein! Sollte er nicht endlich
einmal fühlen, daß Millionen Flüche ihn immer verfolgen und kein
einziger Segensruf ihn je begleitet?
Eine Stunde von Rötha fängt das Schlachtfeld vom 16. October
an; eine Stunde weiterhin das vom 18., dem Tage der eigentlichen
Hermanns-Schlacht. Man sieht sowol auf dem Wege selbst als auf den
nahe gelegenen Feldern unzählige todte menschliche Leichname und
todte Pferde. Das Ganze erweckt die grausigsten Gefühle, die nur die
Glorreichheit des Tages mildern kann.
In der Nähe von Leipzig mag es noch schlimmer aussehen. Die
Dunkelheit des Abends verhinderte mich, dies genau zu erkennen. Es
soll dies heute mein Geschäft sein.
Gestern sind die Kaiser Franz und Alexander, der König von Preußen
und der Kronprinz hier gewesen und mit außerordentlichem Jubel
empfangen worden. Am Abend sind sie wieder zurückgegangen. Alle
besuchten sogleich, wie man mir sagte, was ich aber sehr bezweifle,
bei ihrer Ankunft den König von Sachsen, bei dem Napoleon früh von
9 bis 10 Uhr gewesen war, der sich standhaft geweigert hatte, ihn
auf seiner Flucht zu begleiten. Kaiser Franz begegnete uns mit dem
Minister Metternich, den Generalen Meerfeld, Duka, Kutschera. Wir
wurden freundlich von allen gegrüßt ....
Napoleon ist gegen 10 Uhr von hier weggeritten. Murat hat ihn
begleitet. Man hat vom Markt her beobachten können, wie er sich mit
der königlichen Familie unterhalten hat ....
Am Tage der ersten Schlacht hat man zuerst Siegesnachrichten
verbreitet. Es sind Kuriere hereingesprengt gekommen, die auf allen
Straßen ausgerufen haben: »_Victoire! Vive l'Empereur!_« Allein es hat
dies nicht lange gedauert, weil im Augenblicke der Siegesverkündigung
sowol die Oesterreicher vorrückten, als auch der Kronprinz von
Schweden gar zu gewaltige Fortschritte machte und bis auf eine halbe
Stunde von der Stadt kam. Alle französischen Colonnen wurden geworfen,
und der Sieg der Alliirten lag den Tausenden der Zuschauer, die sich
auf allen Thürmen und hohen Häusern befanden, gar zu deutlich vor
Augen.
Der Anblick des sonst so freundlichen Leipzig und seiner herrlichen
Umgebungen ist schauder- und ekelerregend. Viele der schönen Alleen
sind ganz umgehauen, alle Promenaden, alle Gärten sind zerstört
und verwüstet, die Landhäuser demolirt oder der Dächer und Fenster
beraubt. Auf jedem Schritte in den äußern Straßen und nahen Feldern
sieht man Leichname oder todte Pferde. Die Franzosen haben am 19.
viele Tausende hier verloren.
Folgende Stelle eines spätern Briefs von Brockhaus, am 24. December
desselben Jahres aus Altenburg an Villers in Göttingen gerichtet[51], sei
gleich hier angefügt:
O mein Gott, wer hätte es ahnen oder hoffen dürfen, daß man diese
Wiedergeburt der Welt selbst noch erleben würde! Und #wie# erleben
würde! Ich bin sehr glücklich darin gewesen und habe in den Tagen
der Hermanns-Schlacht wahrhaft göttliche Tage gelebt, da Alles
sich selbst unter meinen Augen ereignete und ich immer die von des
Feindes Blute getränkten Felder nur wenige Minuten später betrat,
als sein fliehender Fuß sie verlassen hatte. Ich war vom General _en
chef_ aller verbündeten Armeen mit dem Auftrag beehrt worden, ein
periodisches Blatt herauszugeben, woraus unsere »Deutschen Blätter«
entstanden, und so folgte ich nicht blos dem Hauptquartier, als es
am 14. (15.) October von hier aufbrach, sondern war auch -- »_vif et
étourdi, que je suis_«, der Schlacht möglichst nahe und oft nicht
geringen Gefahren ausgesetzt. Die Nächte vom 17.-18. und vom 18.-19.
brachte ich mitten in den österreichischen Bivuaks zu, und am 19.
war ich wenige Stunden nach der Einnahme von Leipzig schon in dieser
Stadt! Doch von dem Allen darf ich nicht anfangen zu erzählen. Wo da
das Ende finden?
Die Nummer der »Deutschen Blätter«, in der Brockhaus' Brief vom 20.
October veröffentlicht wurde (Nr. 11 vom 21. October) war, wie es
scheint, gleich in Leipzig gedruckt und ausgegeben worden, nicht in
Altenburg, wie die frühern. Die Expedition des Blattes blieb von jetzt
an in Leipzig, und zwar bei Brockhaus' Commissionär W. Engelmann (in
der Ritterstraße), während der Druck abwechselnd hier und in Altenburg
erfolgte; in späterer Zeit ließ Brockhaus alle Nummern, in denen
irgendwie bedenkliche patriotische Artikel enthalten waren, in Altenburg
drucken, weil dort die Censur viel milder als in Leipzig gehandhabt
wurde.
Aus jener Verlegung des Drucks und der Expedition nach Leipzig erklärt
es sich, daß die (in Altenburg gedruckten) Nummern 7-10 dieselben Daten:
21.-24. October, tragen wie die (in Leipzig gedruckten) Nummern 10-14.
Nr. 7 vom 21. October enthält am Schlusse die erste vorläufige Nachricht
von der wirklich erfolgten Entscheidung in folgender Fassung:
Altenburg, den 20. October 1813.
Leipzig ist infolge #des vollständigsten und glänzendsten Sieges#
am 19. von den Alliirten besetzt worden. Die officiellen und
ausführlichen Berichte von den Ereignissen der letzten Tage, welche
das Schicksal der französischen Armee und die Befreiung Deutschlands
entschieden haben, werden unverzüglich folgen.
Die erste Nachricht über den Beginn der Schlacht vom 16. October
findet sich schon in Nr. 3 vom 17. October, freilich erst nur von
einer »äußerst heftigen Kanonade« berichtend, die man den ganzen Tag
über in Altenburg gehört habe. In Nr. 4 und 5 vom 18. und 19. October
wurden dann die ersten kurzen Mittheilungen von Brockhaus aus Borna
und einige andere vorläufige Notizen gebracht. Der erste officielle
Bericht über die Schlacht ist in Nr. 12 vom 22. October enthalten,
noch aus dem Hauptquartier Rötha, 19. October, datirt. Nr. 13 vom 23.
October bringt einen weitern kurzen Armeebericht aus Leipzig vom 22.,
ein vorläufiges Bulletin des Kronprinzen von Schweden vom 20. und den
Brief eines Augenzeugen (der aber Brockhaus nicht gewesen sein kann)
über die Erstürmung von Leipzig; Nr. 14 vom 24. October enthält endlich
den ersten ausführlichen officiellen Bericht über die Schlacht in dem
»Dreiundzwanzigsten Armeebericht Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen
von Schweden«, datirt: »Hauptquartier Leipzig, den 21. October 1813«,
und wahrscheinlich von August Wilhelm von Schlegel, damals Geh.
Cabinetssecretär des Kronprinzen, verfaßt. Die betreffende Nummer der
»Deutschen Blätter« wurde, wie in der vorhergehenden angezeigt wird,
»im großen Fürsten-Collegio auf der Ritterstraße« ausgegeben, da die
Expedition der »Deutschen Blätter« in der Engelmann'schen Buchhandlung
Sonntags geschlossen sei.
In dem (in der folgenden Nummer mitgetheilten) Schlusse dieses
officiellen Berichts heißt es unter anderm:
Die Resultate der Schlachten von Leipzig sind unermeßlich und
entscheidend. Schon am 18. hatte der Kaiser Napoleon angefangen, seine
Armee auf den Straßen nach Lützen und Weißenfels den Rückzug antreten
zu lassen .... Die deutschen und polnischen Truppen verlassen seine
Fahnen in Scharen, und Alles zeigt an, daß die Freiheit Deutschlands
zu Leipzig erobert worden ist.
Man begreift nicht, wie ein Mann, der in dreißig förmlichen
Schlachten befehligt und sich durch großen Kriegsruhm emporgeschwungen
hat, indem er sich jenen aller ehemaligen französischen Generale
zueignete, seine Armee in einer so ungünstigen Stellung hat
zusammendrängen können, wie diejenige ist, wo er sich aufgestellt
hatte. Die Elster und Pleiße im Rücken, eine morastige Gegend und blos
eine einzige Brücke, um 100000 Mann und 3000 Bagagewagen darüberziehen
zu lassen. Man fragt sich: ist dies der große Heerführer, vor dem
bisjetzt ganz Europa zitterte?
Als Seitenstück und als Beweis, daß die Franzosen es zu allen Zeiten
verstanden haben, ihre Niederlagen als Siege auszurufen, eine Kunst, in
der Napoleon I. allerdings der anerkannte Meister war, seien auch einige
Stellen aus dem in spätern Nummern der »Deutschen Blätter« (vom 8. und
9. November) veröffentlichten und mit Anmerkungen begleiteten amtlichen
französischen Berichte über die Schlachten bei Leipzig mitgetheilt.
Nachdem schon die beiden Schlachten des 16. October, bei Wachau und
Möckern, als Siege der Franzosen bezeichnet worden sind, heißt es über
den 18. October:
Das Schlachtfeld blieb ganz in unserer Gewalt, und die französische
Armee war auf den Gefilden von Leipzig wie bei Wachau siegreich. Das
Feuer unserer Kanonen hatte bei Nacht auf allen Punkten eine Stunde
weit vom Schlachtfelde das Feuer des Feindes zum Schweigen gebracht.
Wer dies liest, wird, auch wenn er schon an solche Verkehrung der
Wahrheit gewöhnt ist, wenigstens neugierig sein, wie der trotz dieser
»Siege« angetretene Rückzug der Franzosen erklärt worden sei. Napoleon
ist über eine solche Erklärung nicht verlegen: es war lediglich der
Mangel an Munition, der ihn zwang, sich trotz seiner Siege bei Leipzig
auf sein großes Depot in Erfurt zurückzuziehen, wo er dann freilich auch
nicht gar lange blieb! Er sagt wörtlich:
Dieser Umstand zwang die französische Armee, auf die Früchte zweier
Siege Verzicht zu leisten, worin sie mit so viel Ruhm viel stärkere
Truppen und die Armeen vom ganzen Continent geschlagen hatte .... Der
Feind, der seit den Schlachten vom 16. und 18. bestürzt war, faßte
durch die Unfälle am 19. wieder Muth und betrachtete sich als Sieger.
Die französische Armee hat nach so glänzenden Erfolgen ihre siegreiche
Stellung verloren.
Die Redaction der »Deutschen Blätter« bemerkt zu einer dieser Stellen,
die fast so viel Unwahrheiten als Worte enthalten, lakonisch:
Hätten die Franzosen jederzeit so »gesiegt« wie bei Leipzig, so wäre
Napoleon weder erster Consul noch Kaiser geworden.
Während der entscheidenden Tage und unmittelbar nach diesen hatte
übrigens die Redaction in Altenburg einen schweren Stand gehabt: Alles
verlangte nach Nachrichten, und diese gingen damals doch so viel
langsamer als gegenwärtig.
_Dr._ Hain schrieb darüber aus Altenburg vom 21. October an Brockhaus
nach Leipzig:
Die Nachrichten, welche Sie uns durch Staffette von Borna zusandten,
sind mir am Dienstag (19. October) früh halb acht Uhr mitgetheilt
worden. Um 10 Uhr war das Extrablatt gedruckt. Der Zulauf war für
einen Ort wie Altenburg ungeheuer. Die Druckerei hat sonst bei dem
halben Preise nur 300 Exemplare verkauft; wir haben circa 20 Thlr.
gelöst. Außerdem aber hatte das Extrablatt die gute Folge, daß viele
Personen dadurch auf die »Deutschen Blätter« aufmerksam gemacht und
zur Pränumeration bewogen wurden. Man fing an, unser Comptoir als die
Quelle der Neuigkeiten zu betrachten. Um so übler war es, daß wir von
der gewonnenen Schlacht den ganzen Mittwoch nichts mittheilen konnten,
während die ganze Stadt von den Siegesnachrichten ertönte. Die
Spannung war so groß, daß ich glaube, 50 Thlr. wären rein zu gewinnen
gewesen. Wir wurden von Neugierigen überlaufen. Was sollten wir aber
thun? Der Commandant wußte nichts; Nachforschungen anzustellen war
unmöglich; auch konnte es zu nichts führen, das Allgemeinbekannte
drucken zu lassen. Wir warteten stündlich auf Nachricht von Ihnen
und vertrösteten die Leute längstens auf heute früh. Indeß kam Ihr
Brief, der nichts von den Vorfällen enthielt; ebenso wenig kam sonst
etwas. Jetzt glaubte ich nicht länger unthätig sein zu dürfen; der
günstigste Zeitpunkt war, wie ich wol sah, schon vorübergegangen;
der Reichenbach'sche Brief[52] fing an zu circuliren. Dennoch schien
es mir nöthig, zu zeigen, daß wir wenigstens etwas wüßten, und zu
hintertreiben, daß Pierer etwas drucken ließe, was nach des Factors
Erklärung geschehen sollte. Ich ging daher zu Reichenbach, mit
dem Ihre Frau Gemahlin schon gesprochen hatte; dieser hatte die
Gefälligkeit, mir seinen Brief vorzulesen. Ich lief sogleich mit
brennendem Kopf zurück, schrieb nieder, was ich noch wußte, und
schickte es ungelesen in die Druckerei. Sievers las die Correctur, und
um 1 Uhr war ein Extrablatt gedruckt, das allerdings etwas schwach
aussieht, das aber die Leute dennoch satisfacirt und nebenbei 10-12
Thlr. Gewinn gebracht hat.
Von den »Deutschen Blättern« ist heute das siebente Stück
erschienen, morgen erscheint das achte von einem ganzen Bogen, welches
den Anfang des österreichischen Manifestes und das zweite Extrablatt
enthält; das neunte Stück wird dann den Schluß des Manifestes und das
Gedicht von Fouqué enthalten, wenn Sie nicht, wie ich gewiß hoffe, bis
dahin anders verfügen.
Unterm 23. October schrieb _Dr._ Hain weiter, nach Empfang der
inzwischen in Leipzig gedruckten Nummern:
Herr Bochmann wird Ihnen gesagt haben, wie es hier geht. Die
»Deutschen Blätter« haben einen solchen Zulauf, daß Ihre Sendung
ein Tropfen auf einen heißen Stein war. Wir haben unsere Abonnenten
nicht alle befriedigen können und mehrere hundert Neugierige abweisen
müssen. Pierer hat den officiellen Bericht gleich gestern Abend
nachdrucken und heute verkaufen lassen. Ich bitte Sie, uns von jedem
neuen Blatt 6-800 zu schicken. An die Auswärtigen ist bisjetzt leider
nur wenig gekommen. An den Fürsten Auersperg und den Grafen Joseph von
Nostitz, Beide im Hoflager des Kaisers von Oesterreich, werden Sie die
Expedition leichter von Leipzig aus effectuiren. Sie haben Beide die
ersten acht Nummern.
Ich muß mich jetzt ganz der Expedition widmen, die keinen Augenblick
Ruhe läßt. Sehr peinlich ist es, die Neugierde der Menschen nicht
befriedigen zu können; senden Sie also ja große Massen!
Unterm 26. October endlich schreibt _Dr._ Hain:
Es melden sich täglich Abonnenten zu den »Deutschen Blättern«, und
wir würden mehr verkaufen, wenn wir mehr hätten. Die auswärtigen
Versendungen haben noch ganz unterbleiben müssen. Wir hoffen sehr
auf die Ankunft Wagner's[53], in der Erwartung, mit ihm zu erhalten,
was wir brauchen, um Alles zu befriedigen, und besonders auch die
auswärtigen Versendungen zu machen.
Ich beneide Sie der höchst interessanten Verbindungen wegen, in
die Sie getreten sind; sie sind ebenso viel werth als der ebenfalls
sehr interessante Gewinn. Stürmer ist einer unserer ausgezeichnetsten
Orientalisten, wenn es nämlich derselbe ist, der früher in
Konstantinopel war.[54] Ich bitte Sie, ihm von mir zu sprechen, da
mir eine Verbindung mit ihm für die Zukunft sehr wünschenswerth wäre.
Messerschmid aber bittet Sie, ihn A. W. Schlegeln zu empfehlen.
Die Theilnahme für die »Deutschen Blätter« war, wie aus diesen
Mittheilungen hervorgeht, eine für den Unternehmer sehr erfreuliche.
Es scheint, daß man ihm um diese Zeit das Blatt habe abkaufen wollen;
wenigstens deuten folgende von _Dr._ Sievers, der _Dr._ Hain bei der
Redaction der »Deutschen Blätter« unterstützte, dem vorstehenden Briefe
beigefügte Zeilen darauf hin:
Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück zu dem Absatze der
»Deutschen Blätter« und lebe der gerechten Erwartung, daß Sie die
von Fleischer angebotenen 1000 Dukaten durch den Debit derselben
hundertfältig wiedergewinnen mögen.
Währenddessen hatte indeß Brockhaus in Leipzig nicht geringere Sorgen,
nicht blos weil er die Redaction des jetzt dort gedruckten Blattes
allein besorgen mußte, sondern auch wegen des Verkaufs und der Zukunft
desselben. Er hatte den Druck und die Expedition sofort nach der
leipziger Schlacht von Altenburg nach Leipzig verlegt, d. h. er ließ
einfach die nächsten Nummern der Beschleunigung wegen gleich in Leipzig
drucken und diese nicht nur an die Abonnenten abgeben, sondern natürlich
auch an das übrige Publikum verkaufen, das nach authentischen Berichten
über die eben unter seinen Augen vor sich gegangenen welthistorischen
Ereignisse verlangte. Indeß bestand damals weder Gewerbefreiheit
noch Preßfreiheit, es war im Gegentheil die Zeit des starrsten
Innungszwanges, der peinlichsten Censur, ja selbst der sonderbarsten
Privilegien. So hatte er nicht bedacht, daß die königliche »Leipziger
Zeitung« ein Privilegium hatte, wonach in ganz Sachsen keine tägliche
Zeitung oder Wochenschrift erscheinen durfte, ohne daß der Pachter
derselben es erlaubte!
Pachter und Redacteur der »Leipziger Zeitung« war aber damals
(1810-1818) glücklicherweise der mit Brockhaus schon seit längerer
Zeit befreundete Hofrath Mahlmann, ein Schwager der Hofräthin Spazier.
Dieser machte ihn in freundschaftlicher Weise auf das Ungesetzliche
seines Vorgehens aufmerksam. Daraus entspann sich ein Briefwechsel
zwischen Beiden, der auch zu einer Verständigung führte. Die in dieser
Angelegenheit gewechselten beiden Briefe sind nicht nur für Brockhaus
selbst sehr charakteristisch, sondern auch in andern Hinsichten so
interessant, daß sie nachstehend vollständig folgen mögen.
Brockhaus richtete an Mahlmann aus Leipzig vom 26. October 1813,
also wenige Tage nach der Schlacht, das folgende von ihm selbst als
»Promemoria« bezeichnete Schreiben:
Werthester Herr Hofrath! Ich pflege Alles, was geschäftlich ist
(»_Il faut faire les affaires comme des affaires_«, sagte mir Mercier
einmal), lieber schriftlich als mündlich vorzubereiten, weil ich aus
Erfahrung weiß, daß man sich so besser verständigt und sein Ziel
sicherer erreicht. Sie werden mir also erlauben, daß ich auch jetzt
diesen Weg einschlage und Sie bitte, mir Ihre Bestimmungen ebenfalls
schriftlich mitzutheilen.
Sie haben geäußert, daß Sie dagegen nichts zu erinnern hätten, daß
wir in der Expedition der »Deutschen Blätter« Abonnements annähmen,
daß Sie jedoch den einzelnen Verkauf nicht zugeben könnten, sich aber
zu einer Abfindung verstehen wollen.
Indem ich diese Erklärung vorläufig acceptire, versichere ich Ihnen,
daß, sobald ich mich überzeuge, daß Ihr Recht ganz gegründet und Ihre
vorzuschlagende Abfindung billig sei, ich mich dieser gern unterwerfen
werde.
Um Ihre zu machende Erklärung desto richtiger motiviren zu können,
erlaube ich mir Ihnen folgende Bemerkungen zu machen:
1) Es findet, dünkt mir, ein entschiedener Unterschied statt
zwischen einer Zeitung und einem politischen Volksblatte wie das
unserige. Dieser Unterschied besteht in der Form und im Inhalt. Eine
Zeitung erscheint an fixen Tagen, sie kündigt sich im Titel als
Zeitung an, sie umfaßt die ganze Zeitgeschichte, sie referirt blos,
sie nimmt keine Partei, und Raisonnements sind ihr fremd, sie ist das
Vehikel, um dem Publikum Alles zur Kenntniß zu bringen, was der Staat
diesem mitzutheilen hat und ein Bürger dem andern. Unser Blatt hat
eine ganz andere Gestalt. Es erscheint an unbestimmten Tagen und nur
vor der Hand täglich und erhält durch Titel, Register und Repertorium
die Form eines Buchs. Außer den Armeebulletins -- die es #auf Befehl#
des Feldmarschalls Schwarzenberg bekannt machen _muß_, die aber
Tauchnitz und jeder Andere auch verkauft -- liefert es keine Artikel,
die an eine politische Zeitung erinnern. Sie finden Raisonnements,
historische Darstellungen, humoristische Artikel, gemüthliche
Briefe, Gedichte u. s. w., lauter Sachen, die nie in eine politische
Zeitung aufgenommen zu werden pflegen. Es scheint mir also, daß Ihr
Privilegium nicht streng auf die »Deutschen Blätter« paßt. In Berlin
hat sich gerade derselbe Fall ereignet. Auch die beiden berliner
Zeitungen zahlen Pacht und haben Privilegium. Kaum war indeß die
russische Armee dort eingerückt, als Herr v. K. von Graf Wittgenstein
den Auftrag erhielt, ein Volksblatt herauszugeben, und ebenso Herr
von Niebuhr vom Gouvernement selbst autorisirt wurde, die Preußische
Correspondenz zu schreiben. Ebenso ist es mit mir. Ich habe von Sr.
Durchlaucht dem Fürsten von Schwarzenberg einen ähnlichen Befehl
erhalten, und es liegt in der Natur der Sache und speciell in den
empfangenen Instructionen, daß ich dem Blatte die größte Verbreitung
muß zu geben suchen, indem es bestimmt ist, auf den öffentlichen Geist
wohlthätig einzuwirken.
2) Der Verkauf einzelner Blätter wird von der höchsten
Unbedeutendheit sein, wie schon jetzt die Erfahrung lehrt. Ich werde
Ihnen am Schluß dieses Promemoria auf meine Ehre angeben, was diesen
Morgen an einzelnen Blättern ist verkauft worden, woraus Sie sich
einen Maßstab für den einzelnen Verkauf werden machen können. Es
ist sehr natürlich, daß dieser einzelne Verkauf gering sein müsse,
weil wir das Abonnement so niedrig gesetzt haben. Wer sich für
die »Deutschen Blätter« interessirt, wird ja lieber 1 Thlr. 8 Gr.
Abonnement als 3 Thlr. 8 Gr. einzeln bezahlen. Es ist hier noch zu
bemerken, daß den Buchhandlungen und Colporteurs doch nicht konnte
verwehrt werden, wie mir dünkt, auf irgendeine Anzahl zu abonniren
und sie wieder nach Belieben einzeln zu verkaufen, wodurch immer ein
einzelner Verkauf stattfände, wenn er auch von der Expedition müßte
aufgegeben werden.
3) Ist mir bekannt, daß in mehrern Zeitpunkten viele Blätter hier
bei andern Buchhändlern erschienen sind, die eine ähnliche Tendenz
wie die »Deutschen Blätter« hatten, ohne daß den Verlegern der
einzelne Verkauf wäre benommen gewesen. Ich erinnere hier an das
Intelligenzblatt zu den »Feuerbränden«, an den »Europäischen Aufseher«
u. s. w.
Dies sind meine Ansichten, werthester Herr Hofrath -- wenn ich in
diesen irre, so wird Niemand geneigter sein als ich, es zu gestehen,
wenn es mir gezeigt wird. Ich glaube indessen, daß unser Beider
Interesse sich gewissermaßen vereinigen lasse, wenn Sie sich in Ihrem
großen Wirkungskreise für den Vertrieb unserer patriotischen Blätter
verwenden wollen, und ich meinerseits dadurch meinen Dank bezeige,
was Sie auch als eine Art von Schadloshaltung ansehen könnten, daß
ich Ihnen oder Ihrer Expedition 50% Rabatt für alle debitirten
Exemplare zugestände. Da ich es für möglich halte, daß Sie eine große
Anzahl Exemplare mit der Zeit gebrauchen könnten, so würde der Debit
derselben mit Ihren Vortheilen immer gleichen Schritt halten.
In dem großen Zeitpunkte, worin wir leben, müssen alle kleinen
Interessen schweigen und alle Männer von Geist und Gemüth nur Ein
großes Interesse haben: den Sieg der Wahrheit und des Rechts über das
Reich der Lüge und der Unterjochung. Sie werden sich daher gewiß auf
alle Weise für unsere »Deutschen Blätter« mit verwenden, sie selbst
mit Beiträgen unterstützen, wozu ich Sie hiermit ausdrücklich einladen
will, da diese keinen andern Zweck als diesen zu erlangenden Sieg
haben.
Genehmigen Sie meine freundschaftlichen Empfehlungen.
Brockhaus.
Hofrath Mahlmann antwortete darauf noch an demselben Tage:
Es ist im vorliegenden Falle nicht von #meinem# Rechte die
Rede, sondern von dem der Königl. Zeitungsexpedition, welches ich
zu bewahren eidlich verpflichtet worden bin, und da sämmtliche
königlichen Pachtungen in ihrer Integrität fortbestehen und die
Pachter, ungeachtet alle Einnahmen seit zwei Monaten sistiren, die
fälligen Termingelder einzahlen sollen, so ist doppelt nothwendig, die
_Regalia_ vor allen Eingriffen zu sichern.
Der §. 1 des _Generalis_ vom 23. November 1809 lautet wörtlich
folgendermaßen:
»Niemand darf in Sr. Königl. Majestät gesammten Landen einige
historisch-politische Zeitungen oder wöchentliche Blätter, welche
Zeitungs-Artikel enthalten, drucken und ausgeben, er habe denn sich
mit dem Zeitungs-Pachter darüber vernommen und einverstanden. Wer ohne
ein solches Einverständniß dergleichen Blätter ausgeben würde, soll
für jedes Stück mit zehn Thalern bestraft werden.«
Wenn Ihr Blatt auch, wie Sie sagen, keine eigentliche Zeitung ist,
so enthält es doch Zeitungsartikel, das heißt neueste Nachrichten von
den Zeitereignissen. Auch lautet der Befehl des Generals Langenau
aus Altenburg und nicht aus Leipzig. Das »Politische Journal«, die
»Minerva«, die »Feuerbrände« u. s. w. waren Journale und erschienen
heftweise und enthielten Reflexionen über die Ereignisse, nicht
Zeitungsberichte.
Sie irren ferner, wenn Sie voraussetzen, daß in Berlin dieselben
Verhältnisse obwalteten. Erstlich ist in Berlin kein Zeitungspacht wie
in Sachsen. Zweitens haben die Herausgeber der genannten Blätter sich
ebenfalls über sämmtlichen Debit, den dortigen Verhältnissen zufolge,
mit dem Generalpostamte einverstanden. Die Regierung in Sachsen
zieht weit mehr von dem Zeitungswesen als die in Preußen, und das
Hofpostamt in Berlin befolgt die strengsten Maßregeln in Rücksicht des
Zeitungsdebits.
Ich bin nicht sowol gegen den Verkauf der einzelnen Blätter als
dagegen, daß durch diesen sich eine politische Zeitungsexpedition in
Leipzig etablirt, welches unmöglich mit dem Zeitungspacht bestehen
kann. Auch bin ich überzeugt, es wird kaum noch eine Woche hingehen,
und es werden Nachahmungen Ihres Blattes hier erscheinen, und mehrere
Buchhandlungen werden sich Expeditionen politischer Blätter nennen.
Bereits haben Buchhändler bei mir darüber Erkundigungen eingezogen,
anfragend: ob das nun erlaubt sei, und ob den leipziger Buchhändlern
verweigert werden würde, was man einem fremden erlaubt? Sie sehen,
meine Schritte zur Aufrechthaltung der bestehenden Verfassung sind
selbst Ihr eigener Vortheil.
Ich wiederhole, daß Sie bei dieser Entreprise am meisten gewinnen
würden, wenn Sie eine altenburger Zeitung in dem Maße, wie ich bereits
mündlich Ihnen erwähnte, herausgäben. Das Gute würde nicht weniger
gefördert, Ihr erhaltener Befehl autorisirt Sie, Sie sind ohne
Nachahmer, und Ihre Unternehmung ist bleibend.
Indeß bin ich aus den Rücksichten, die Sie am Schlusse Ihres Briefs
anführen, bereit, mit Ihnen einen Vertrag abzuschließen, wenn Sie
Ihrem Anerbieten zufolge
1) der Zeitungsexpedition 50% (funfzig Procent) Rabatt von den
debitirten Exemplaren zugestehen;
2) öffentlich bekannt machen, daß die Erscheinung des Blattes
in Leipzig mit Vorwissen und im Einverständnis der Königl.
Zeitungsexpedition der Verabredung gemäß erfolge, damit die Nachahmer
nicht glauben, das Thor sei nun jedem Unberufenen geöffnet;
3) daß dieses Einverständnis fürs Erste nur bis zu Ende des
laufenden Jahres dauere; in dieser Zeit werden wir Beide sehen können,
inwiefern es vortheilhaft ist oder nicht, es ferner bestehen zu lassen
oder es aufzuheben.
Durch dieses Entgegenkommen von seiten des Pachters der »Leipziger
Zeitung« war der Conflict zwischen der Königl. Zeitungsexpedition
und der in Leipzig eingerichteten Expedition der »Deutschen Blätter«
gehoben, und Brockhaus erließ nun in Nr. 18 vom 28. October nachstehende
Bekanntmachung:
#Anzeige.#
Der Eigenthümer der »Deutschen Blätter« zeigt hierdurch an, daß
die Erscheinung dieses Blattes -- welches seine Entstehung einem
speciellen Befehle Sr. Durchlaucht des Feldmarschalls Fürsten
von Schwarzenberg verdankt -- in Leipzig mit Vorwissen und im
Einverständniß der Königl. Sächs. Zeitungsexpedition verfassungsmäßig
geschehe.
Es sind bis Donnerstag den 28. October von diesen Blättern achtzehn
Stücke erschienen, und ist die Einrichtung getroffen, daß solche von
jetzt an vor der Hand täglich des Morgens von 9-12 und von 2-6 Uhr
in der löbl. Königl. Sächs. Zeitungsexpedition und in der Expedition
der »Deutschen Blätter«, der Engelmann'schen und allen andern
Buchhandlungen zu erhalten sein werden.
Expedition der »Deutschen Blätter«.
Außer mit dieser formellen Schwierigkeit hatten aber die »Deutschen
Blätter« gleich in ihrer ersten Zeit auch mit Censurbelästigungen zu
kämpfen. Ein am 28. October, also zwei Tage nach dem an Hofrath Mahlmann
gerichteten Promemoria, von Brockhaus an den Chef der Ersten Section des
Generalgouvernements, Freiherrn von Miltitz, erlassenes Schreiben sagt
darüber:
Ohngeachtet der Inhalt der jetzt hier gedruckt werdenden, auf Befehl
Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg erscheinenden »Deutschen
Blätter« zum großen Theile aus andern bereits gedruckten Schriften
und Zeitungen genommen wird, welche schon anderweitig die Censur
(vornehmlich in Wien und Berlin) von Behörden, welche mit dem System
der alliirten Mächte bekannt sein müssen, passirt sind, so findet Herr
Hofrath Brückner dennoch Schwierigkeiten, ihm das Imprimatur zu geben,
weil in seiner Instruction enthalten ist, daß »alle Anzüglichkeiten
gegen irgendeine Person oder Macht« zu unterdrücken seien. Herr
Hofrath Brückner verwirft daher dieser Instruction wegen, um ein
Beispiel anzuführen, einen Artikel über das Betragen des französischen
Kaisers gegen den Papst, ohnerachtet wir solchen aus der »Preußischen
Feldzeitung« genommen haben, einem Blatte, von welchem es bekannt ist,
daß Se. Exc. der Staatskanzler Freiherr von Hardenberg die Censur
eigenhändig besorgen.
Jene Instruction des Herrn Hofrath Brückner dürfte also näher zu
motiviren -- der angezogene Ausdruck: daß nichts Anzügliches gegen
irgendeine Person oder Macht solle gedruckt werden, ist so allgemein
und vague, daß bei einem ängstlichen Censor auch keine einzige
politische Wahrheit kann und darf gedruckt werden! -- und ihm dabei
aufzugeben sein, daß solche Artikel, welche in den Staaten der
alliirten Mächte bereits gedruckt erschienen wären, hier keineswegs
weiterer Censur bedürften.
Weiter sagen Ew. Hochwohlgeboren in einem Billet an Herrn Hofrath
Brückner vom 27. October, welches mir derselbe mitgetheilt hat,
»daß, insofern die 'Deutschen Blätter' wöchentlich oder in noch
kürzern Fristen erscheinen, ihre Censur zu der unmittelbaren Cognition
des Chefs der Ersten Section des Gouvernementraths gehöre«. Da nun
die »Deutschen Blätter« allerdings wöchentlich und in noch kürzern
Fristen -- nämlich vor der Hand täglich -- erscheinen, so cessirte
durch obige Erklärung von Ew. Hochwohlgeboren die Censurfähigkeit für
Herrn Hofrath Brückner, insofern dabei kein Misverständniß obwaltet,
weil, wenn Herr Hofrath Brückner den ganzen Umfang der ihm bisher
obgelegenen Geschäfte als politischer Censor beibehalten soll, es
alsdann auch in seinem Geschäftskreise liegt, die Censur der Zeitungen
und sonstigen periodischen politischen Schriften wahrzunehmen.
Hierüber einer gefälligen und schnellen Antwort entgegensehend,
verbleibe mit tiefstem Respect u. s. w.
Eine Antwort auf diesen Brief scheint Brockhaus nicht abgewartet zu
haben, indem er schon tags darauf, am 29. October, über Halle und
Dessau nach Berlin abreiste. Der Anlaß zu dieser Reise ist uns ebenso
wenig bekannt als irgendein Erlebniß auf derselben. Vermuthlich hatte
er einen officiellen Auftrag erhalten, der einen zuverlässigen und
muthigen Besorger erforderte, da er sich sonst schwerlich in diesem
für sein neubegründetes Blatt so wichtigen Zeitpunkte den Gefahren und
Beschwerden einer solchen Reise ausgesetzt haben würde. Am 8. November,
also nach zehn Tagen, war er wieder in Leipzig, reiste am 15. nach
Altenburg, kehrte aber schon am 19. nach Leipzig zurück und blieb hier
bis Anfang December.
Vor seiner ersten Abreise von Leipzig hatte er seinen Gehülfen Bochmann
aus Altenburg kommen lassen, der nun mehrere Wochen in Leipzig blieb.
Dieser hatte jetzt ebenfalls Noth mit den inzwischen nicht gebesserten
Censurverhältnissen und klagt darüber in einem an die Redaction in
Altenburg gerichteten Briefe vom 30. October:
In der Erwartung, daß ich so wie gewöhnlich die neue Nummer (der
»Deutschen Blätter«) heute früh 8 Uhr von der Druckerei empfangen
würde, meldete ich Ihnen deren Zusendung schon im voraus; jedoch
zu meinem Schrecken verkündete mir anstatt dessen Hirschfeld (der
Buchdrucker), daß das Blatt die Censur nicht passirt habe. Die
Preßfreiheit ist hier wenigstens noch lange nicht errungen. Mündlich
mehr darüber. Nur so viel, daß die sächsischen Behörden, denen von
Repnin die Censur übertragen ist und die, wie mir scheint, weder
mit den Franzosen noch mit dem Könige von Sachsen es verderben
wollen, nicht einmal erlauben wollen, Berichte abdrucken zu lassen,
die in preußischen Blättern von Gouvernements wegen, von L'Estocq
und Sack unterzeichnet, abgedruckt sind. Ich bin heute gelaufen
wie ein Schneider und habe so viel Treppen gestiegen, daß ich ganz
lungensüchtig wieder nach Hause (in seine Heimat Altenburg) kommen
werde, aber das Resultat war am Ende doch: das ganze Blatt kann
heute nicht ausgegeben werden (nämlich Nr. 20), und ich ersuche Sie,
sich der Mäßigung zu befleißigen, damit ich nicht wieder in die
Nothwendigkeit versetzt werde, Ihnen dergleichen sagen zu müssen oder
gar dem ganzen Blatte ein Ende zu machen.
Indessen wird morgen doch wieder ein Blatt erscheinen, das Sie
sobald wie möglich erhalten sollen, vielleicht durch Expressen. Bis zu
Herrn Brockhaus' Zurückkunft werden also wol sehr unschuldige Sachen
in den »Deutschen Blättern« zu finden sein. Ich hoffe aber, daß dieser
vielleicht noch ein Expediens finden wird.
Brockhaus fand allerdings ein solches »Expediens«. Dieses bestand einmal
darin, daß er sich nicht so leicht einschüchtern ließ wie wol sein
Gehülfe, sondern in jedem einzelnen Falle gegen willkürliche Censur
protestirte und so doch manche Artikel zum Druck frei erhielt; dann
aber kam er auf den (schon früher erwähnten) Ausweg, einzelne Nummern,
die besonders bedenkliche Artikel enthielten, in Altenburg drucken zu
lassen. Da diese nach und nach die Mehrzahl bildeten, so erfolgte der
Druck der »Deutschen Blätter« später wieder wie früher der Hauptsache
nach in Altenburg (bei Pierer), und nur einzelne Nummern wurden noch in
Leipzig (bei Hirschfeld) gedruckt.
Er sagt darüber in einem Briefe an Villers, datirt Altenburg, 9. Februar
1814:
Da die »Deutschen Blätter« jetzt hier gedruckt werden, so habe ich
wegen der Censur wenig Schwierigkeiten oder vielmehr keine. In Leipzig
selbst ist man allerdings oft genirt, allein ich lasse daher dort
nur solche Artikel drucken, wobei keine Gewissenszweifel eintreten
können. Wenn Sie oder Freunde von Ihnen daher etwas Pikantes haben, so
haben Sie nicht nöthig besorgt zu sein, daß der Druck Schwierigkeiten
finden werde. Es ist das ja einer der schönsten Vorzüge Deutschlands,
daß die Unabhängigkeit der kleinern Staaten es unmöglich macht,
_grandes mesures_ gegen Druck und Preßfreiheit zu nehmen. Nur Ihrem
»Schinderknechte« konnte so etwas eine Zeit lang gelingen.
Des Zusammenhangs wegen mögen hier gleich noch zwei an denselben Freund
gerichtete Briefe folgen.
In einem Briefe vom 7. Mai 1814 spricht Brockhaus seine Gesinnung
über Napoleon und die Franzosen noch drastischer aus als in dem
vorhergehenden. Er schreibt:
Welch ein elender Wicht ist denn dieser Napoleon! Pfui! er ist
eigentlich nicht werth, daß man ihn anspuckt. Nicht den Muth zu haben,
ein so geschändetes Leben zu enden! Kann es hier denn noch Frage sein,
mit Hamlet zu sagen: »_To be, or not to be, that is the question_«?
Aber auch Ihre Franzosen erregen mir Ekel mit ihren Sprüngen und
ihrer elenden Constitution. Und diese Senatoren, Marschälle und
Pfaffen, die vorher im Staube krochen vor Napoleon, wie sie ihn nun
mit Füßen treten und für #ihre# Verewigung Sorge tragen, und daß ihre
Dotationen fein bei der Familie bleiben!
Ich werde diese Geschichten in den »Deutschen Blättern« nach
Verdienst und Würden abhandeln.
Von den »Fanfaronaden«[55] lasse ich Ihrem Wunsche gemäß Ihren und
Saalfeld's Namen weg. Hätte man die Anmerkungen jetzt zu schreiben, so
würde man sie noch pikanter machen können.
Der andere Brief, schon am 24. December 1813 geschrieben, ist derselbe,
aus dem oben eine die leipziger Schlacht betreffende Stelle mitgetheilt
wurde, und lautet in seinem weitern Inhalte, der im Anfange wenigstens
direct die »Deutschen Blätter« betrifft:
.... Seit der Mitte October beschäftigt mich die Politik nun sehr,
wozu unsere »Deutschen Blätter« denn die nächste Veranlassung gegeben
haben. Auch diese Unternehmung gehört zu den glücklichen und sich
rasch belohnenden. Der erste Band ist fertig, und ich sende Ihnen
solchen durch Dieterich. Wenn Sie von dem Geiste dieses Blattes noch
nicht unterrichtet sind, so werden die drei beikommenden neuesten
Blätter Sie damit bekannt machen. Das Mehrste sind Originalaufsätze.
Ich würde sehr wünschen, wenn Sie solche mit Beiträgen beehren wollen.
Böttiger, der viel dazu liefert, hat mir ausdrücklich gesagt, ich
möchte Sie aus allen Kräften dazu anspornen. Vielleicht können Sie
auch andere Ihrer Freunde dazu bewegen. Wir honoriren die Beiträge
honnet. Da Sie einen Bruder in Moskau haben, würde es da nicht möglich
sein, von diesem ebenfalls über jene ungeheuern Begebenheiten im
September und October 1812, aus dem die Weltfreiheit wie ein Phönix
hervorgegangen, nähere Nachrichten zu erhalten? Vielleicht besitzen
Sie selbige schon in mittheilbaren Briefen!
Da Schlegel lange in Göttingen war, so werden Sie wissen, daß ich
hier seine »_Remarques_« herausgegeben habe.[56] Vierzehn Tage hielt
mich die Censur hin, und am Ende wurde doch das Imprimatur verweigert.
Ich förderte es aber nun ohne dasselbe auf meinen Kopf in die Welt.
Man hat jetzt wenigstens Becker's und Palm's Schicksale nicht mehr zu
fürchten. Es war mir nur leid, daß Schlegel geglaubt hat im Anfang,
als sei ich die Schuld der Verzögerung.
Hamburgs Schicksal im Juni hat mir das Herz zerrissen. Der Himmel
möge es denen verzeihen, die schuld daran gewesen. Seien es nun die
Dänen oder die, welche die Dänen reizten. Ich bin mit mir darüber
nicht im Klaren, wo hier das Recht oder Unrecht war. Aber bald, denke
ich, wird Hamburgs Schicksal abermalen entschieden sein. Auf ein so
schweres Unglück folgen wieder selige Tage! So im Leben, so in den
Weltbegebenheiten. Wie einzig herrlich steht nicht Preußen da! Welche
Bürgertugenden, welcher Heldengeist haben sich nicht unter diesem so
gebeugten Volke entwickelt!
Auch ich habe mich unter die Reserven der Landwehr hier als
Freiwilliger gestellt, und ich exercire schon tüchtig. Kommt Napoleon
wieder über den Rhein, so verlasse ich Weib und Kinder und ziehe ihm
auch entgegen und falle oder helfe siegen. Was bleibt uns anderes
übrig!
Ich habe mich hier, um auch etwas über das Persönliche zu sagen,
zum zweiten male verheirathet. Schon vor einem Jahre. Ohne besonderes
Vermögen, ist mein gutes Weib bieder, brav, liebenswürdig und eine
vortreffliche Mutter meiner Kinder erster Ehe. So bin ich also
wieder ganz ans bürgerliche Leben festgeknüpft. Es ist hier eine
freundliche, angenehme Existenz. Lauter gebildete Menschen in unserm
Familienkreise, der der erste des Orts ist. Ich lebe hier viel
glücklicher wie in Holland, wo man reich sein muß, um glücklich zu
sein und seines Daseins froh zu werden.
Sie sehen, ich bin schwatzhaft wie ein Kind, aber was kann man
Besseres sein. Erzählen Sie mir auch etwas von Ihrem Treiben, Leben
und Weben!
Adieu. Antworten Sie mir bald und in Liebe. Senden Sie mir auch
recht viele Manuscripte zugleich!
Ueber die hier erwähnte Errichtung der altenburger Landwehr, unter
die sich Brockhaus als Freiwilliger aufnehmen ließ, und die dabei
stattgefundenen Feierlichkeiten brachten die »Deutschen Blätter« in
Nr. 37 vom 24. November 1813 einen ausführlichen Bericht, der die
begeisterte Stimmung der damaligen Zeit treu widerspiegelt.
* * * * *
Bevor Brockhaus sich der weitern Pflege seines neugegründeten Blattes
nach der ersten stürmischen Zeit der leipziger Schlacht in Ruhe
widmen konnte, hatte er außer den oben geschilderten Debits- und
Censurschwierigkeiten noch eine andere Anfechtung zu bestehen, die
ihm ebenso unerwartet als unangenehm war. Er hörte plötzlich, daß die
Herder'sche Buchhandlung zu Freiburg im Breisgau eine »Fortsetzung«
seiner kaum begonnenen und in der besten Entwickelung begriffenen
»Deutschen Blätter«, an deren Aufgeben er gar nicht dachte, angekündigt
habe. Auf seine verwunderte Anfrage schickte ihm die Herder'sche
Buchhandlung folgenden Erlaß des k. k. Armeecommandos in vidimirter
Abschrift:
Dem Buchhändler Herrn Bartholomä Herder in Freyburg wird hiemit
der Auftrag ertheilt, die »Deutschen Blätter«, wie selbe bisjetzt
bei Herrn Brockhaus in Altenburg und Leipzig erschienen sind, ferner
fortzusetzen, mit der Bedingung jedoch, daß selbe wie bisher der
österreichischen Censur zu unterstehen haben.
K. K. Hauptquartier Lörrach
den 27. December 1813.
Sr. k. k. Apostolischen Majestät
Generalfeldwachtmeister im
(_L. S._) Generalquartiermeister-Stabe,
Commandeur des kaiserl. österr.
Leopolds-Orden &c. &c.
(Gez.) Langenau.
Brockhaus' Erstaunen über dieses Actenstück mag noch dadurch gesteigert
worden sein, daß es von demselben General von Langenau unterzeichnet
war, der ihm im Auftrage des Feldmarschalls und obersten Befehlshabers
Fürsten von Schwarzenberg den »Befehl« zur Herausgabe eines politischen
Blattes ertheilt hatte. Das Armeecommando konnte beim weitern Vorrücken
der Heere nach Frankreich gewiß auch noch andern Personen »Aufträge«
oder »Befehle« zur Herausgabe politischer Blätter geben; zur raschesten
Verbreitung der offiziellen Kriegsnachrichten war das selbst ohne
Zweifel ganz zweckmäßig. Aber einem andern Buchhändler den »Auftrag« zur
»Fortsetzung« der bei Brockhaus noch erscheinenden »Deutschen Blätter«,
die doch jedenfalls dessen Eigenthum waren, ohne sein Vorwissen zu
geben, das verrieth in der That ganz eigenthümliche Begriffe über das
literarische Eigenthum! Selbst in der damaligen Zeit, die jenes Wort
kaum kannte und in der im Gegentheil der Nachdruck blühte, und auch bei
einem mit solchen Angelegenheiten wenig vertrauten Militär war das doch
überraschend! Dazu kam noch, daß die »Deutschen Blätter« in einer ihrer
ersten Nummern (Nr. 15 vom 25. October 1813) einen von dem General von
Langenau selbst eingesandten Artikel, seine Entlassung aus sächsischen
Diensten betreffend, gebracht hatten. Dieser war zwei Monate vor Anfang
des Kriegs nach ehrenvoller Entlassung in österreichische Kriegsdienste
getreten, und die königlich sächsische »Leipziger Zeitung« hatte ihn,
freilich vor der leipziger Schlacht, am 4. September als »aus den
sächsischen Diensten desertirt« bezeichnet!
Die Herder'sche Buchhandlung antwortete auf Brockhaus' Anfrage unterm
30. December 1813 nur: sie habe diesen Auftrag erhalten, sei übrigens
gern bereit, ihm gegen Mittheilung der Abnehmer der »Deutschen Blätter«
eine »Vergütung« zu machen; wolle er die Versendung übernehmen, so könne
er die Verrechnung darüber mit den Abnehmern besorgen, und man werde
sich schon arrangiren.
Brockhaus' Antwort auf diesen Brief und sein jedenfalls erfolgter Brief
an General von Langenau liegen uns leider nicht vor.[57] Doch ist nicht
zu bezweifeln, daß die erstere eine ablehnende, der zweite ein Protest
war. Beide Briefe werden sicherlich auch nicht in den höflichsten
Ausdrücken abgefaßt gewesen sein.
Einen Ersatz für diese Briefe bietet nachstehende Erklärung in Nr. 70
der »Deutschen Blätter« vom 24. Januar 1814:
Der Herr Buchhändler Herder zu Freiburg im Breisgau hat angezeigt,
daß er durch einen Auftrag des Herrn General von Langenau veranlaßt
worden, die seither bei mir erschienenen »Deutschen Blätter«
fortsetzen.
Gegen diese ebenso unerwartete als befremdende Anzeige sehe ich
mich bewogen, zu erklären, daß die Idee, der Titel und der ganze Plan
zu dieser Zeitschrift einzig und allein von mir herrühren; daß die
Genehmigung Sr. Durchlaucht des Fürsten von Schwarzenberg nur der Form
wegen erfolgte, indem ich mir, theils um allen Censur- und andern
Schwierigkeiten im voraus zu begegnen, theils um auf keinen denkbaren
Fall die Landesbehörden zu compromittiren, den Befehl dazu erbat;
daß ich endlich, mit Zurücksetzung aller persönlichen Rücksichten,
in einem Zeitpunkte, wo die französischen Heere noch in dem Herzen
von Sachsen standen (12. October) und der entscheidende Streich, der
Deutschland von ihnen befreite, erst vorbereitet ward, wo mithin die
Aeußerung freimüthiger patriotischer Gesinnungen etwas verdienstlicher
war als gegenwärtig, wo man mit hinlänglicher Sicherheit den Patrioten
spielen kann, das Unternehmen mit dem 14. October begann.
Wenn ich folglich sowol nach den über literarisches Eigenthum
in allen Staaten bestehenden Grundsätzen als auch aus Gründen der
Billigkeit die »Deutschen Blätter« als mein vollkommenes Eigenthum
betrachten darf, so kann offenbar die Fortsetzung derselben weder
von irgendeiner Behörde befohlen, noch von irgendjemandem ohne meine
ausdrückliche Einwilligung unternommen werden.
Wurde bei dem jetzigen Stande des Kriegstheaters für nöthig
erachtet, zur Verbreitung der Armeenachrichten ein neues Blatt
zu gründen, so konnte und mußte dies ohne meine Beeinträchtigung
geschehen.
Ich hege daher die Hoffnung, der Herr Buchhändler Herder werde,
sobald ihm diese Verhältnisse bekannt geworden, sich beeilen, seiner
Zeitschrift, gegen deren Herausgabe an und für sich von meiner
Seite nicht das Allergeringste einzuwenden ist, einen andern Titel
zu geben, und sie nicht ferner eine Fortsetzung meiner »Deutschen
Blätter« nennen, da ich diese selbst fortsetzen und bis zum künftigen
allgemeinen Frieden fortsetzen werde.
Der immer steigende Beifall des Publikums ist der sicherste
Beweis, daß ein politisches Blatt von dem Charakter, welchen die
Redaction seither den »Deutschen Blättern« zu geben gewußt hat, den
Zeitverhältnissen angemessen ist. Aber eben darin hat die Redaction
auch den größten Sporn für sich gefunden, das Interesse derselben
immer mehr zu erhöhen und zu verallgemeinern. Zahlreiche Mitarbeiter,
und unter diesen mehrere der vorzüglichsten Schriftsteller
Deutschlands, eine ausgebreitete Correspondenz, directe Verbindungen
mit Holland, England und den verschiedenen Hauptquartieren, die
günstige Lage der Redaction im Mittelpunkte von Deutschland
und am Stapelplatze des deutschen Buchhandels: dies Alles sind
Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, welche ohnehin mit dem bloßen Titel
nicht erworben werden könnten.
Sämmtliche Mitarbeiter und Correspondenten der »Deutschen Blätter«
werden daher fortfahren, ihre Beiträge nach Leipzig oder nach
Altenburg zu adressiren.
Altenburg und Leipzig, den 18. Januar 1814.
Friedr. Arn. Brockhaus.
Herder setzte trotzdem sein Blatt fort, gab es aber schon nach kaum
einem halben Jahre wieder auf, wie aus folgender »Nachricht« in Nr. 158
der »Deutschen Blätter« vom 16. Juli 1814 hervorgeht:
Die »Teutschen Blätter«, welche sich in Freiburg im Breisgau mit
einer in der deutschen Literatur unerhörten #Frechheit# als eine
Fortsetzung der unserigen, während diese nie aufgehört hatten zu
erscheinen, ankündigten, sind, öffentlichen Nachrichten zufolge, mit
der 76. Nummer geschlossen worden.
Von dem bekannten Geschichtschreiber Karl Ludwig von Woltmann wurde
gleichfalls eine Zeitschrift unter dem Titel »Deutsche Blätter« in
den Jahren 1813 und 1814 in Berlin herausgegeben, doch war dies keine
politische, sondern eine historische Zeitschrift, die mit dem von
Brockhaus herausgegebenen Blatte in keiner Weise concurrirte. Woltmann,
der mit Brockhaus schon seit längerer Zeit in Verbindung stand, erbot
sich selbst zu Beiträgen für dessen Blatt und schrieb ihm im Januar 1814
aus Prag, wohin er im Sommer 1813 geflohen war, um der Rache Napoleon's
auszuweichen:
Ihre »Deutschen Blätter« kenne ich noch nicht. Mein Journal unter
diesem Titel setze ich in diesem Jahre fort. Wahrscheinlich ist das
Ihrige ein politisches.
Unbeirrt durch alle Schwierigkeiten und Anfechtungen ging Brockhaus mit
frischem Muthe an die weitere Förderung seiner »Deutschen Blätter«. Er
hatte auch die Genugthuung, daß sie in Deutschland rasch Anklang und
Verbreitung fanden. Die Auflage betrug in der ersten Zeit über 4000
Exemplare, eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Zahl, und der erste
Band wurde so vielfach nachverlangt, daß die meisten Nummern desselben
mehr als einmal neu gesetzt und gedruckt werden mußten.
Uebrigens fühlte Brockhaus die Verpflichtung, nunmehr ein förmliches
Programm der Zeitschrift zu veröffentlichen, was in der ersten Zeit
weder nöthig noch thunlich gewesen war. Dieses erschien gerade vier
Wochen nach dem Beginn des Blattes, in Nr. 31 vom 13. November 1813, und
lautet:
=Erklärung der Redaction der »Deutschen Blätter«.=
So unerwartet günstig unsere »Deutschen Blätter« auch vom Publikum
aufgenommen worden sind, so verkennt die Redaction derselben
keineswegs, daß sie diese günstige Aufnahme mehr dem Interesse an den
großen Begebenheiten, welche sich unter unsern Augen ereigneten, und
der Idee, welche jeder Wohlgesinnte in den »Deutschen Blättern« ahnte
und finden konnte, zu verdanken habe als ihrer bisherigen Ausführung.
Jetzt, da durch größere Entfernung des Kriegstheaters der Drang
der Begebenheiten nicht mehr so nahe auf uns einwirkt und auch die
Redaction sich mit größerer Ruhe und weniger Störung der Herausgabe
dieser Blätter widmen kann, sei es ihr erlaubt, sich näher über das
auszusprechen, was die »Deutschen Blätter« eigentlich sein wollen
und was sie nicht sein wollen, damit zwischen ihr und dem Publikum
hierüber künftig kein Misverständniß eintreten kann.
Die »Deutschen Blätter«
#wollen keine Zeitung sein#.
Zur Organisirung einer Zeitung, wenn sie dem Ideale entsprechen
soll, das der Redaction darüber vorschwebt und welches einst in der
guten alten Zeit durch den »Hamburger unparth. Correspondenten«
wirklich erreicht wurde, gehören große Vorbereitungen, eine so
umfassende Correspondenz, so mannichfaltige Verbindungen, auch
sind dabei überhaupt so viele Verhältnisse zu berücksichtigen, daß
es der Redaction wie der Verlagshandlung der »Deutschen Blätter«,
welche beide ebenso sehr die Schwierigkeiten als die Bedingungen
der Herausgabe einer guten Zeitung zu erwägen wissen, nicht in den
Sinn gekommen ist, eine solche unternehmen zu wollen. Die Zwecke,
welche die Redaction durch die »Deutschen Blätter« erreichen wollte,
konnten aber auch durch eine Zeitung nicht erreicht werden, da diese
eigentlich nur referiren soll, was in der Gegenwart geschieht, und
ohne für oder gegen eine der handelnden Personen oder Völker Partei zu
nehmen.
Die »Deutschen Blätter« wollen also keine Zeitung sein, sondern
#ein politisches Volksblatt#,
das Wort »Volk« hier im höhern und edlern Sinne genommen, ein
Blatt, das in allen Ländern deutscher Zunge mit Theilnahme kann
gelesen werden, welches bei einem bloßen Zeitungsblatte, das in einer
gewissen Entfernung bald alles Interesse verliert, nicht der Fall sein
kann. Sie thun daher von jetzt an, wo sich das Kriegstheater aus der
Nähe der Redaction weggezogen hat, auf die Mittheilung alles dessen
Verzicht, was man im engern Sinne gewöhnlich »Zeitungsneuigkeiten« und
»Zeitungsnachrichten« zu nennen pflegt, insofern sie nicht den Zweck
haben wollen, das Publikum mit den Begebenheiten des Tags so schnell
als möglich oder wol gar zuerst und vollständig bekannt zu machen.
Die »Deutschen Blätter« werden zwar nicht versäumen, die glorreichen
Ereignisse, welche wir den verbündeten Armeen, an welche sich bald die
gesammte deutsche Nationalkraft wird angeschlossen haben, auch ferner
bis zur gänzlichen Befreiung unsers gemeinsamen Vaterlandes verdanken
werden, mitzutheilen, allein es wird in einer andern Form geschehen,
als es bisher geschehen konnte. Es werden nämlich größere Zeitpunkte
nach bedeutenden Abschnitten der Begebenheiten dazu festgesetzt
werden, die Darstellung der in dieselben fallenden Begebenheiten
wird historisch zusammenhängend in größern erklärenden Uebersichten
erfolgen und von den wichtigsten officiellen Bekanntmachungen der
verschiedenen Armeen begleitet sein.
Hauptsächlich aber wird das Streben der »Deutschen Blätter« dahin
gehen, #Gemeinsinn# zu erwecken, die deutsche Nationalwürde zu
erheben, Haß gegen fremde Unterjochung und Vertrauen gegen uns selbst
einzuflößen. Auch die belehrende und warnende Geschichte der letzten
zehn traurigen Jahre, in welchen Deutschlands herrliche Nationalkräfte
von Fremdlingen, die sich durch List und Gewalt auf unsern Boden
eingeschlichen hatten, nur gebraucht wurden, damit die deutschen
Völker sich untereinander selbst aufrieben und das zerstörten
oder lähmten, was eigentlich unsere Nationalkraft war und unsern
Nationalcharakter bildete, wird daher von dem Gegenstande unserer
Blätter nicht ausgeschlossen sein. Alles, was mithin dazu dienen kann,
die Tyrannei und Willkür, womit ein fremder Usurpator uns und -- das
freie stolze Britannien ausgenommen -- ganz Europa bedrückte, nach
wahrhaften Quellen genauer kennen zu lernen, ferner historische Data
über einen in der Weltgeschichte einzigen, bisher aber noch nicht
unparteiisch geschilderten Zeitpunkt, in welchem es für Staaten wie
für Individuen weder Sicherheit des Besitzes noch der Personen gab,
werden daher von den »Deutschen Blättern« gern aufgenommen werden. Es
werden sich solche auch ein besonderes Geschäft daraus machen, das
systematische Lügengewebe der französischen Nachrichten zu entwirren
und die Sophismen ihrer diplomatischen Verhandlungen zu widerlegen.
Alles endlich, was dazu führen kann, über Deutschlands künftige
politische Verfassung im allgemeinen und im besondern gemeinnützige
und aufgeklärte Ideen zu verbreiten und fruchtbare Gedanken über
die Verbesserung unsers politischen Zustandes zu wecken, soll ein
besonderer Gegenstand der »Deutschen Blätter« sein.
Zur Erreichung dieser Zwecke hat sich die Redaction schon mit
mehrern ausgezeichneten Schriftstellern und Geschäftsmännern in
Verbindung gesetzt; sie rechnet aber auch auf die freie Unterstützung
anderer aufgeklärter Männer in unserm ganzen gemeinsamen Vaterlande,
um so mehr, »da die Freiheit der Rede und der Schrift uns
wiedergegeben ist, wie die des Handelns«; und wird sie endlich auch
aus andern Blättern manches aufnehmen, was dazu beitragen kann, diese
Blätter zu einem »Nationalarchiv der Deutschen« zu erheben.
Was die Art der künftigen Erscheinung betrifft, so wird die
Verlagshandlung nachstehend das Nähere darüber bekanntmachen.
Die Redaction der »Deutschen Blätter«.
Die darauffolgende Mittheilung der Verlagshandlung beschränkt sich auf
Angaben über Preis, Erscheinungsweise (künftig wöchentlich viermal,
statt täglich wie bisher, gleichzeitige Ausgabe in Leipzig und
Altenburg) u. s. w. mit dem Zusatze: die ganze Form und Anlage der
»Deutschen Blätter« gehe dahin, daß sie eine »Nationalchronik« bilden
sollen, welche gesammelt immer ihr Interesse behalten werde.
Vom April 1814 an wurden wöchentlich nur drei Nummern ausgegeben. Von
Mitte April 1815 an, bis zu welchem Zeitpunkte in den anderthalb Jahren
seit Mitte October 1813 sechs Bände erschienen waren, wurden wöchentlich
zwei bis drei Bogen (ohne Datum als »Stücke« bezeichnet) ausgegeben,
und zu dem Titel wurde »Neue Folge« hinzugesetzt; vom 10. Juni 1815 an
(nach dem Wiederausbruche des Kriegs) wurden den regelmäßigen Stücken
wöchentlich besondere Beilagen unter dem Titel: »Tagesgeschichte. Zu den
Deutschen Blättern. Neue Folge« beigegeben, die Ende September (mit dem
zweiten Bande der Neuen Folge) wieder eingestellt wurden.
Mit dem dritten Bande der Neuen Folge, dem neunten im Ganzen, hörten die
»Deutschen Blätter« im Frühjahre 1816 auf, nachdem sie gerade zwei und
ein halbes Jahr lang erschienen waren.
Das oben mitgetheilte Programm der »Deutschen Blätter« wurde von ihnen
während der ganzen Dauer ihrer Wirksamkeit treu eingehalten. Nur
erhielt es durch die Zeitereignisse mitunter eine Erweiterung oder
Vervollständigung. Einige der hierauf bezüglichen Erklärungen sind
für die Zeitschrift wie für deren Herausgeber des Blattes besonders
bezeichnend.
So heißt es beim Schlusse des dritten Bandes am 21. Mai 1814:
Die »Deutschen Blätter« sehen einen großen Zweck, zu dem auch sie
mitgewirkt haben und über welchen sie in Deutschland mit zuerst
öffentlich und furchtlos gesprochen zu haben sich zu einigem
Verdienste anrechnen dürfen, erreicht. Nicht durch die Waffen
allein ist der Tyrann besiegt worden, sondern auch durch die
öffentliche Meinung, welche zu bilden und zu leiten das Geschäft der
Schriftsteller ist. Er ist untergegangen in einer Schmach, für welche
die Geschichte kein Gegenstück aufzuweisen hat. Der Nimbus seiner
Größe ist verschwunden und tiefe Verachtung der Furcht und dem Hasse
gefolgt, die der elende Heuchler seit zwölf Jahren Europa eingeflößt
hatte. Aber wenn auch er untergegangen ist, so sind es nicht mit ihm
seine Helfershelfer, die, mit Verbrechen beladen, dennoch zum Bedauern
der Welt scheinen Verzeihung erhalten zu sollen; nicht ist mit ihm
untergegangen jener gallische Uebermuth, jene Verderbtheit dieses
Volks, das seit fünfundzwanzig Jahren eine Geisel der Welt gewesen
ist und alle Stufen menschlicher Verbrechen durchlaufen hat. Ohne die
Schlechtigkeit dieses Volks, ohne die Verworfenheit seiner Räthe,
Minister und Generale konnte Bonaparte nicht der Tyrann und Despot
werden, welcher er geworden ist. Nicht er allein war es, den wir zu
bekämpfen hatten, auch gegen diese sind unsere Waffen gerichtet.
Die »Deutschen Blätter« werden daher auch fernerhin, so lange sie
fortgesetzt werden, insbesondere gegen gallischen Uebermuth und
Afterweisheit für alle Zeiten sprechen und Bewahrer des deutschen
Nationalsinnes bleiben.
Bei Vollendung des vierten Bandes am 23. August 1814 sagt die Redaction:
Noch ist zu dem Wiederaufbau des deutschen Staatsgebäudes nur der
Grundstein gelegt, nur der Umriß entworfen. Es hoch und herrlich und
dauerhaft aufzuführen, alle seine Theile zu einem wohlgeordneten und
wohleingerichteten Ganzen zu verbinden, damit es seinen Bewohnern
Schutz und Sicherheit und bequemen Aufenthalt gewähre, den Nachbarn
Vertrauen und Ehrfurcht einflöße, das wird das Werk der nächsten
Zukunft sein. Vieles und Großes ist gethan, aber mehr und Größeres
ist noch zu thun, damit aus der Zerstörung ein dauerndes Wohl der
Menschheit aufblühe. Mit diesem heiligen Zwecke wird sich der Wiener
Congreß beschäftigen, auf den vornehmlich die Blicke der Deutschen
gerichtet sein müssen.
Es war Brockhaus' Absicht gewesen, die »Deutschen Blätter« schon mit
diesem fünften Bande abzuschließen. Da aber von den Resultaten des
Wiener Congresses nur erst Weniges und Unbestimmtes bekannt geworden
war, so erklärte er am 1. December 1814, daß er noch einen sechsten Band
erscheinen lassen wolle.
Bevor dieser noch vollständig geworden war, hatte Napoleon die Insel
Elba, auf die man ihn für seine Lebenszeit verbannen zu können in
kurzsichtiger Verblendung gehofft hatte, plötzlich verlassen, war am
1. März 1815 an der französischen Küste gelandet und bereits am 20.
März in Paris eingezogen. Der Wiener Congreß war auseinandergestoben,
aber die Alliirten hatten sich aufs neue verbündet und unterm 13. März
eine Achtserklärung gegen Napoleon als allgemeinen Feind und Ruhestörer
erlassen: der Krieg entbrannte aufs neue.
So konnten auch die »Deutschen Blätter« ihre Aufgabe noch immer nicht
als ganz erfüllt ansehen; sie begannen eine »Neue Folge«, und auch als
die Herrlichkeit der »Hundert Tage« durch die Schlacht bei Waterloo am
18. Juni und Napoleon's zweite Abdankung am 22. Juni ein rasches Ende
gefunden, erschienen sie noch eine Zeit lang fort. Am 7. Juli waren die
Verbündeten zum zweiten male in Paris eingezogen, am 20. November wurde
der zweite Pariser Friede geschlossen, nachdem schon am 8. Juni der
Deutsche Bund errichtet, tags darauf die Wiener Schlußacte unterzeichnet
worden war. Jetzt war der Krieg wirklich beendet, und die »Deutschen
Blätter« konnten nun vom Schauplatz abtreten. Am 22. Februar 1816 zeigte
Brockhaus vorläufig an, daß er mit dem im Erscheinen begriffenen neunten
Bande die »Deutschen Blätter« schließen werde, und einige Wochen darauf
wurde die letzte Nummer ausgegeben.
Das Schlußwort der Redaction gibt einen Gesammtüberblick über die
Wirksamkeit der »Deutschen Blätter« und sei deshalb auszugsweise hier
mitgetheilt.
Die Redaction spricht zunächst offen aus, daß die wahrhaft glänzende
Theilnahme, die das Blatt im Anfange gefunden, sich naturgemäß
allmählich bei den ruhigern Zeiten verringert habe, und obwol noch immer
eine Auflage, zu der wenige ähnliche Unternehmungen in ihrer günstigsten
Zeit sich erheben möchten, für den Aufwand entschädige, so sollten die
»Deutschen Blätter« doch nicht dann erst enden, wenn sie sich selbst
überlebt hätten.
Darauf heißt es weiter:
Sie begannen in der Zeit, die zu den herrlichsten, hoffnungsvollsten
und erfolgreichsten gehört, welche das Vaterland je erlebte;
unter Verhältnissen und Begünstigungen, wie sie selten einem
schriftstellerischen Unternehmen zutheil werden. Die köstliche Zeit
der errettenden Völkerschlacht, die Zeit der wiedererrungenen,
hochbeglückenden Freiheit, war die Zeit ihrer Geburt, sie brachten
die erste umständliche Kunde von dem Segen, den der Höchste auf die
gerechten Waffen der Verbündeten gelegt, verbreiteten zuerst von
einem Ende des Vaterlandes zum andern die sichere und begeisternde
Botschaft von Deutschlands Sieg und Wiedergeburt, von der Niederlage
der Unterdrücker, von der Vernichtung der Despotie. Darum wurde ihre
Stimme so gern gehört, zumal sie kräftig war und würdig, und ein
Geist, der vieler Herzen erhob, in ihr wehte. Vom Vaterland und für
das Vaterland sprachen sie, und des Vaterlandes Söhne und Töchter
nahmen sie freudig auf. Sie hatten überdies die Empfehlung für
sich, daß der geehrte Feldherr, der an der Spitze der siegreichen
verbündeten Heere stand, selbst sie veranlaßt, ihr Erscheinen selbst
befördert und so gleichsam eine höhere Bürgschaft ihnen gegeben hatte.
Von Leipzigs Siegesfeldern begleiteten sie den Triumphzug über
den alten Rhein bis in das stolze Babel, den Mittelpunkt der
Unterdrückungsplane des zu Schanden gewordenen Uebermuths, der
zerstörten Tyrannei. Mit mäßigem Jubel ließen sie die Kunde des
geschlossenen bedenklichen Friedens erschallen, und, scheidend von den
glorreichen Schlachtgefilden, wendeten sie sich zu den unblutigen,
aber nicht minder gefährlichen Kämpfen in den Steppen des Wiener
Congresses, den Irrgängen der Unterhandlungen. Sie nahmen Partei,
aber nur für die Sache des Vaterlandes, der Gerechtigkeit und der
Freiheit, und sprachen manch starkes Wort, wo es frommen konnte. Aber
sie mochten sich nicht wie der Vater Rhein nach kräftigem Ernst im
Sande verlieren oder, den gewaltigen Strom verlassend, in kümmerlichen
Bächen verrinnen. Sie erhoben sich in neuer Kraft, als die Botschaft
kam von der Rückkehr des Furchtbaren aus seinem Felseneiland, von des
Vaterlandes Gefahr.
Die Neue Folge der »Deutschen Blätter« begann, um zu erwecken zum
neuen Kampf, aufzurufen zu den schützenden Waffen, hinzuweisen auf
das, was abermals dringend Noth war, was geschehen mußte, und regten
von neuem in der allgemeinen Bewegung sich selber lebendiger, stürzten
sich wieder in das Schlachtgewühl. Des Feindes Trug und Arglist, seine
Macht und seine Kampffertigkeit, alle die losen Künste, mit denen er
zu lang uns berückt und geschwächt hatte, stellten sie den deutschen
Lesern klar vor Augen und ermahnten, das alte Joch, das viele noch
zu willig trugen, völlig zu zerbrechen, die allzu verderbliche
Abhängigkeit von fremder Sitte, mannichfachem fremden Einfluß endlich
zu verbannen. Sie frohlockten über den neuen, herrlichen Sieg, den
Gott verliehen, über Babels zweiten Fall, über die Heimkehr des
theuern Eigenthums, das, als schnöder Raub und frevle Siegestrophäe
zu lange trauernd, an feindlicher Stätte gefesselt gelegen; sie
mühten sich, das Kleinod der Hoffnung zu erhalten, als in langen
geheimnißvollen Unterhandlungen Sorge und Ungeduld allenthalben
Raum gewannen und sich mehrten, weil manch theuerer Wunsch nicht in
Erfüllung gehen wollte, ja immer mehr gefährdet ward. Sie suchten
zugleich das Gedächtniß der frühern Zeit des Vaterlandes, seiner
alten Schicksale zu erneuen, um durch die Bilder der Vergangenheit
nicht nur zu trösten, sondern auch zu erwecken. Dann, als die neue
Friedensbotschaft so unbefriedigend erschien, ergriff sie die Ahnung,
daß ihr Ende gekommen sei, daß, wie nun Alles zur Ruhe sich lege, auch
ihr Wächterruf immer mehr verhallen möge. Auch ließen sie nicht ab,
ihrer Bestimmung treu die wichtigsten Angelegenheiten zur Sprache zu
bringen und manch ernstes Wort zu reden von dem, was zu Deutschlands
Heil geschehen muß. Aber: »_Vestigia me terrent!_« zu deutsch: »Laß
dir rathen, ehe guter Rath dir noch theuer zu stehen kommt«, dachten
sie bei sich selbst. »Wir wollen die Welt meiden, Einsiedler werden
und uns selbst begraben, ehe man uns begräbt. Aus dem selbst gewählten
Grabe kehren wir dann vergnügt und lebendiger, auch wohl vollkommener
wieder.« Dachten es und brachen als Freunde des Tags, wie sie von je
gewesen, noch eine Lanze mit den Rittern der Nacht, die ihren Herold
vorangesendet hatten, und bringen nun ihren Freunden den Abschiedsgruß.
Sechsmal erneuten sie sich seit ihrem ersten Erscheinen, dreimal in
der Neuen Folge. In neun Bänden schließen sie gut, denn neun ist eine
gute und vollkommene Zahl ....
Sie haben eine gute Zeit durchlebt, obwol die schönste, in
der sie geboren wurden, schnell vorüberging. Doch klingen noch
in tiefster Seele nach die Lob- und Danklieder aus der Zeit der
Vaterlandserhebung und Errettung, und der Blick nach oben feiert
noch immer und soll endlos feiern, was der Herr aufs neue Großes und
Herrliches an dem deutschen Volke und an der Menschheit in dieser Zeit
gethan hat. Und das bleibt des höchsten Dankes werth!
Sie bringen auch ihren erneuten Dank den tapfern Streitern dar,
deren Heldenthaten auch ihnen das Dasein gaben. Unsterblich, wie der
Thaten Geist, und lichthell, wie der Thaten Frucht, deren Herrlichkeit
ungekränkt bleibt, ob auch manches nicht zur vollen Reife gedieh, lebt
der Helden Gedächtniß und Ruhm und der Dank des befreiten Vaterlandes
fort. Ihr Verdienst war es auch, wenn hier manch freies und
erweckendes Wort geredet werden durfte, das in früherer trüber Zeit
nicht hervorzutreten wagen konnte, und wenn dadurch, wie wir glauben
dürfen, manches Gute befördert worden ist. Die Stimme der Wahrheit hat
eine so siegreiche Kraft, daß keine Gewalt ihr widerstehen kann auf
die Dauer, und je gesegneter ihre Wirksamkeit ist, desto höherer Dank
gebührt denen, die ihr die Bahn wieder geebnet, die Luft gereinigt
haben von den giftigen Dünsten, welche sie gänzlich zu ersticken
drohten.
Aus allen Theilen Deutschlands sind sie durch zweckmäßige Beiträge
bereichert worden. Denen, die auf diese Weise ihr Leben erhöhten
und stärkten, gebührt vorzüglicher Dank. In ihnen haben sich, meist
einander unbekannt, doch im wesentlichen in gleichem Geiste und
gleicher Gesinnung, vorzüglich gleicher Liebe des Vaterlandes und
verwandter Ansicht von dem, was zu dessen Heil geschehen muß, viele
deutsche Männer begegnet und durch ihre Uebereinstimmung das, was
sie aussprachen, noch mehr empfohlen. Die bewährte Gesinnung hat
sich durch den gemäßigten und bescheidenen, zwar, wie es Noth war
und löblich, starken, aber selten allzu scharfen Ton, der fast alle
Beiträge auszeichnete, viele Freunde erworben, und fast nie ist
ein Anlaß zu gerechten Klagen und Beschwerden gegeben worden. So
freimüthig als besonnen, überall aber mit strenger Wahrheitsliebe,
ward das, was Bedürfniß der Zeit und des Vaterlandes war, hier
ausgesprochen, keiner grundlosen Parteilichkeit für irgendeinen Zweig
des deutschen Volks Raum gegeben, kein unziemlicher und verderblicher
Zwiespalt genährt, sondern überall das Gute, wo es sich auch fand,
anerkannt und vor allem auf jene Eintracht und Geisteseinigkeit,
in der Deutschland allein stark, frei und sicher bestehen kann,
hingearbeitet. Diesen Ruhm wird man den »Deutschen Blättern«
ungekränkt lassen.
Jetzt, da diese Neue Folge sich schließt, ist ihr letzter Wunsch:
Segen und Heil dem theuern Vaterlande! Ihm haben sie gelebt und ihm
gedient, ihm werden sie immer aufs innigste ergeben bleiben, und wenn
längst ihre Stimme verhallt ist, wird der fernste Nachklang noch von
Liebe und Treue für den heimatlichen Boden, für das deutsche Volk
ertönen.
Dieses Schlußwort, das sich dann noch weiter über die Zeitverhältnisse
ausspricht, um »in diesen letzten Mittheilungen noch einmal die höchsten
Angelegenheiten unsers Volks den Lesern ans Herz zu legen«, sagt nicht
zu viel von dem Gehalte und der Wirkung der »Deutschen Blätter«; es
war übrigens weder von Brockhaus noch von Hain, sondern auf deren
Wunsch von einem Mitarbeiter verfaßt, wahrscheinlich von dem Professor
Hasse in Dresden. Die »Deutschen Blätter« nehmen anerkanntermaßen
eine der ersten Stellen ein unter den Organen der Presse, welche der
Zeit der Befreiungskriege ihr Entstehen verdankten, zugleich aber
selbst mannichfach fördernd auf die Zeit einwirkten. Diese Bedeutung
weist ihnen auch Karl Hagen zu in seinen die eingehendste Schilderung
dieser Zeitschriften enthaltenden und überhaupt sehr werthvollen zwei
Aufsätzen: »Ueber die öffentliche Meinung in Deutschland von den
Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen«.[58] Andere ähnliche
Blätter waren: der »Rheinische Mercur« von Görres, die »Nemesis« von
Luden, das weimarer »Oppositionsblatt«, die gothaer »Nationalzeitung der
Deutschen«, die »Teutonia«, die »Kieler Blätter«. Die meisten derselben
entstanden erst nach den »Deutschen Blättern« und verschwanden noch vor
ihnen wieder vom öffentlichen Schauplatze.
* * * * *
Von allen Seiten waren den »Deutschen Blättern« patriotische Aufsätze
zugeströmt, auch ohne directe Aufforderung der Redaction, und die Reihe
der (meist indeß nicht genannten) Mitarbeiter der »Deutschen Blätter«
ist eine ebenso mannichfaltige als stattliche.
Einer der ersten und thätigsten Mitarbeiter war Karl August Böttiger
in Dresden, der schon an der 1807 von Brockhaus in Amsterdam
herausgegebenen Zeitschrift »_Le Conservateur_« sich betheiligte
und mit ihm fortwährend in den lebhaftesten geschäftlichen und
freundschaftlichen Beziehungen blieb. Ferner waren fleißige Mitarbeiter:
Professor Pölitz, Professor Saalfeld, Karl Curths (der Historiker),
Georgius (Karl Christian Otto), Baumgarten-Crusius, Villers, die
Professoren Zeune in Berlin, Hasse in Dresden und Oken in Jena. August
Wilhelm Schlegel und Friedrich Perthes schickten einzelne Beiträge.
Auch die patriotische Dichtkunst war reich vertreten. Die »Deutschen
Blätter« veröffentlichten wol zuerst die drei Gedichte Theodor Körner's:
»Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?«, »Das Volk steht auf, der
Sturm bricht los!« und sein letztes Sonett: »Die Wunde brennt, die
bleichen Lippen beben«. Ferner brachten sie Dichtungen von Max von
Schenkendorf, Matthias Claudius, Christian Graf Stolberg, Graf von
Loeben, Friedrich Rückert.
Brockhaus schrieb übrigens vielfach auch selbst in die »Deutschen
Blätter«. Als Herausgeber machte er häufig sehr eingehende Anmerkungen
zu den eingesandten Artikeln, bald über die in denselben besprochenen
Gegenstände seine eigene Ansicht sagend, bald aus den Erlebnissen
während seines Aufenthalts in Amsterdam, wo er vielfach mit Franzosen in
Berührung gekommen war, Interessantes mittheilend.
Am 23. März 1814 beginnt er eine längere Anmerkung zu einem Aufsatze
über Napoleon folgendermaßen:
In den »Deutschen Blättern« ist in Deutschland zuerst offen und
frei und mit Kraft und Würde laut ausgesprochen worden: kein Friede
mit Bonaparte. Die »Deutschen Blätter« haben es zuerst gewagt, den
so finstern und blutdürstigen Charakter des Tyrannen zu enthüllen.
Es war unterm Kanonendonner von Liebertwolkwitz, zwei Meilen von dem
Kampfplatze, wo der wackere Wittgenstein die Hermanns-Schlacht von
Leipzig einleitete, daß die ersten von den Blättern furchtlos gedruckt
wurden. Ein prophetischer Glaube an das endliche Gelingen der guten
Sache hatte den Herausgeber begeistert. Vielleicht wäre das Leben von
Tausenden unserer tapfern Krieger, die in diesem heiligen Kreuzzuge
gefallen sind, gespart worden, wenn die verbündeten Mächte schon
damals oder doch am 21. December (1813) bei der ersten Ueberschreitung
der französischen Grenze ritterlich und frei erklärt hätten, was jetzt
Alexander am 31. März (1814) erst in der stolzen Hauptstadt aussprach:
kein Friede mit Bonaparte ....
Oefters verfaßte er aber auch selbständige Aufsätze für sein Blatt.
Unter ihnen sei nur einer mit der Ueberschrift »Noch ein Wort über
den Franzosenhaß« und dem ausdrücklichen Zusatze »Vom Herausgeber«
hervorgehoben und auszugsweise mitgetheilt. Er ist Mitte Juli 1815
geschrieben, also nach der zweiten Niederwerfung Napoleon's, und
vertheidigt die »Deutschen Blätter« gegen den Vorwurf eines zu
leidenschaftlichen Franzosenhasses. Die wesentlichsten Stellen sind
folgende:
Es ist in diesen Blättern schon viel die Rede gewesen von der
Erbärmlichkeit des Franzosenthums. Der gerechte Eifer gegen dasselbe
macht einen Theil des Ruhms dieser Anstalt aus, die in der ersten
schönen Zeit der Errettung vom heillosen Joche entstand, unter den
Augen, auf Veranstaltung des hohen deutschen Feldherrn, der siegreich
unsere Heldenscharen von der Elbe bis zur Seine führte, bis dahin, wo
der letzte Ring der Kette zerbrochen ward, die uns so lange gefesselt
hatte.
Die »Deutschen Blätter«, die sich das Ziel gesetzt, jenen
errettenden Kampf und seine Folgen mit aufmerksamem Blicke zu
begleiten, viele große und herrliche Zeugnisse aus demselben für die
Geschichte aufzubewahren, zu beharrlicher Ausdauer und unbeweglicher
Treue in dem großen Werke der Befreiung zu erwecken und eine
geläuterte, tief begründete Ansicht von demselben zu verbreiten, sie
mußten auch oft mahnen an unser Elend, unsere Schmach, und auf die
Ursachen und Veranlassungen unserer vieljährigen Leiden zurückweisen.
Ein tiefer, aber gerechter Unwille mußte in diesen Mittheilungen sich
aussprechen, sowol gegen die Urheber unsers Jammers und das ganze
Franzosenthum als gegen die treulose, bundbrüchige und entartete
Rotte, die mitten unter uns noch dem huldigt, was die Quelle unserer
Entwürdigung und Erniedrigung gewesen ist.
Diesem Bemühen haben nun die Bessern einen Beifall gegeben, der
sich in dem Gedeihen unserer Anstalt, in der weitern und immer
weitern Verbreitung der Theilnahme an derselben sehr erfreulich
bewährte. Es war ebenso natürlich, daß die, deren Beschränktheit
oder Schlechtigkeit hier oft gerügt ward, diese Blätter haßten und
schmähten und es ihnen besonders zum Vorwurf machten, daß ein so
bitterer Franzosenhaß in denselben sich ausspreche. Gegen diesen
Franzosenhaß erheben sich denn auch von andern Seiten Stimmen, welche
die alte Sünde zu beschönigen und bleibend zu erhalten versuchen,
gegen deren Verfahrungskunst der Verfasser nun noch Ein Wort zu reden
sich aufgefordert sieht, zumal man gerade seinen frühern Mittheilungen
besonders jenen Vorwurf macht ....
Was meinen doch die Herren, die sich berufen fühlen, den
Franzosenhaß zu dämpfen und gegen ihn die alten stumpfen Waffen
gern noch einmal schärfen möchten, was meinen sie denn mit dem
Franzosenhaß? Den tiefen Unwillen nennen sie so, der die Bessern
unsers Volks ergriffen über die zu lange geduldete Herrschaft des
Franzosenthums, den gerechten Eifer gegen Sprache, Sitten und Moden
eines Volks, das das entartetste in Europa, mit seinem äußern Wesen
seine Schlechtigkeit übertüncht, nur Einfluß, Herrschaft erstrebt und
durch beides unserm Volke und andern Völkern nur Verderben gebracht
hat. Den gerechten Unwillen nennen sie so, der nicht ist von heute
oder gestern, den wenige Erleuchtete und echte Vaterlandsfreunde schon
seit hundert Jahren gegen jenes Volk genährt, der jetzt in den Tagen
der Befreiung stärker und lauter sich kundgegeben; den gerechtesten
Unwillen der Befreiten, wie früher der Unterjochten und Unterdrückten,
gegen die, welche mit bösen Künsten und mit Gewalt die edelsten Güter
des geselligen Lebens, Freiheit und Selbständigkeit, uns raubten und
rauben wollten. Das, was zu allen Zeiten die edelsten Völker und alle
freigeborene, großherzige Menschen gegen frevelhafte Unterdrücker,
tyrannische Eroberer, freche Räuber und Schänder des Vaterlandes zum
Kampf auf Leben und Tod begeisterte; dasselbe, was auch unser Volk
bewegt, auch das letzte Zeugniß unserer Unterjochung und Alles, was
dazu mitgewirkt, völlig auszutilgen: das nennt nun die Erbärmlichkeit
Franzosenhaß und will mit diesem Namen das, was unsers Volks Ruhm und
unserer Zeit Verherrlichung ist, in ein zweideutiges Licht stellen.
Rechnet sich es doch mancher als hohe Weisheit und Gerechtigkeit
an, daß er nicht so ungebührlich hasse ein liebenswürdiges Volk,
von dem wir noch gar vieles lernen könnten -- absonderlich wol
allerliebste Namen für scheußliche Laster (von denen manche erst in
den letzten fünfundzwanzig Jahren durch französische Emigranten und
Soldaten in unsern unschuldigen Hütten bekannt geworden sind!) --
einen Muthwillen, dem nichts heilig ist, eine Gewandtheit, die Treue
und Tugend entbehrlich macht; eine Feinheit, die nie Arges fürchten
läßt und mit aller Höflichkeit des Nachbars Habe sich aneignet,
den Hausfrieden zerstört und Alles dem Eigenwillen und eigener
Leidenschaft unterordnet. Von diesem Volke sollen wir einfältige,
schwerfällige Deutsche lernen und sollen wol auch noch beklagen, daß
die trefflichen Lehr- und Zuchtmeister in Scharen über unsere Grenze
getrieben wurden, und ihre lieblichen Fürsprecher möchten doch gar zu
gern uns wieder in die Synagoge des Satans zurückführen. Darum preisen
sie die Herrlichkeit französischer Sprache und Sitte und wollen es
sogar nicht begreifen, daß, wer den Teufel ausgetrieben hat, auch alle
sein Wesen und seine Werke ihm nachschleudern muß, damit er auch nicht
einen Fuß breit Land finde, das ihm noch gehöre und von dem aus er das
alte Verführungsspiel wieder anfangen kann, daß es hernach schlimmer
werde denn zuvor.
Wie wenig begreifen doch diese, die sich wol gar Patrioten nennen,
den Geist und das Streben dieser Zeit und unsers Volks! An ihren
Augen ist es vorübergegangen wie ein Nebel und an ihren Ohren wie
rauschender, sinnloser Mislaut, daß die Zeit erschien, da in Europa
der gute Geist über den bösen den Sieg gewinnen und die Werke des
bösen völlig zerstören sollte. Aus Blindheit des Geistes oder des
Herzens oder beider reden sie dem das Wort, gegen den Deutschland,
Europa sich gerüstet und rüstig gekämpft hat, und scheinen es gar
nicht zu ahnden, wie sie mit ihrer Allerweltsklugheit eigentlich nur
die ersten Ringe der Kette wieder schmieden, die unter höherer Leitung
glücklich zerbrochen ward. Aber sie werden darüber selber zu Schanden,
und nimmer kann es ihrer Schwachheit gelingen, einen kräftigen
Unwillen, der nur zu gerecht ist, hinwegzuschwatzen, ob sie auch all
ihren Witz aufbieten und alle aus Einem Tone heulen, wie denn die
Flachheit überall sich selber begegnet und auch dadurch in ihrem Wahne
sich bestärken läßt ....
Was ist überhaupt Haß, den ein edler Mensch im Busen trägt? Der
tiefe, nie erkaltende Widerwille ist es, den er gegen alles Böse, alle
Schlechtigkeit und Treulosigkeit empfindet, der ernste, beharrliche
Widerstand gegen Alles, was den Menschen entehrt, das der edle Mensch
um so bitterer fühlt, je höher seine Achtung des Reinmenschlichen
ist, ein Widerwille, der sich auch gegen den Bösen, Schlechten und
Treulosen in der sorgfältigen Vermeidung aller nähern Gemeinschaft
und vertraulichern Annäherung ausspricht, ein Widerstand, der jedem
Einflusse des durch seine Grundsätze wie durch seine Handlungen dem
Bösen Ergebenen entgegentritt und ihm wehrt und darum selbst das
scheinbar Gute verwirft, das aus jenem Einflusse stammen könnte.
Das ist auch der Franzosenhaß, der Widerwille gegen die ungeheuere
Entartung, Sittenlosigkeit und Treubrüchigkeit dieses Volks, gegen
den fürchterlichen Leichtsinn, der mit allem Heiligen spielt; der
Widerstand gegen jeden Einfluß der Grundsätze, der Sitten und
Gewohnheiten desselben wie seiner Unternehmungen; ein Widerwille,
der alle nähere Gemeinschaft mit den Franzosen, alle vertrauliche
Annäherung scheut und vermeidet; ein Widerstand, der allem
französischen, durch menschenentehrende Grundsätze verpesteten
französischen Wesen sich entgegenstellt und darum selbst das scheinbar
Gute oder das wirklich Günstige, was von dorther kommen könnte,
verwirft, weil dem Bösen aller und jeder Einfluß abgeschnitten werden
muß. Es äußert sich der Franzosenhaß, wie jeder gesunde, gerechte Haß,
in einem kräftigen Widerstreben gegen das, was des Hasses würdig, und
er ist am tiefsten da, wo die mächtigste Liebe, Liebe des Vaterlandes,
der Wahrheit, der Freiheit, und mag da nicht sein, wo diese Liebe
nicht ist ....
Wir aber werden hassen das Arge, so lange es arg ist, und uns
schämen, die Farbe derer zu tragen und die Sprache derer zu reden,
die ihre Farbe und Sprache vor den Augen von ganz Europa geschändet
haben. Es soll keine vertrauliche Gemeinschaft sein zwischen ihnen
und uns, weil ihr Wesen nicht zu dem unsern stimmt, ihre Falschheit
zu unserer Ehrlichkeit keine Verwandtschaft hat und weil böse
Gesellschaft nicht blos gute Sitten verdirbt, sondern auch einen Makel
aufheftet jedem, der sich zu ihr hält.
Sage man nicht, daß solcher Haß unchristlich sei; man müsse das
Böse hassen, aber nicht den Bösen. Das Böse in den Franzosen ist es
ja eben, das wir hassen, dem wir widerstreben. Um es fern von uns zu
halten, müssen wir die Franzosen abwehren. Aber so tief unser Haß ist,
so misgönnen wir ihnen doch gewiß nicht irgendein Glück, das ihnen ihr
Vaterland gewähren mag, so sind wir doch nur so lange ihre Feinde,
als sie übermüthig, schnöde und ruchlos, aller Orten Befriedigung
ihrer Eitelkeit, unsere Erniedrigung suchen und mit schlechten Künsten
die Welt verführen. Was vorherrschender Charakter des französischen
Volks ist, das hassen wir; dem Einzelnen aus ihm, dem Mittheilenden,
Gebeugten, Hülfsbedürftigen versagen wir keinen Trost, keine
Freundlichkeit, keine Hülfe, wodurch sein Elend gelindert werden kann,
ohne daß zugleich seine Eitelkeit oder Bosheit Nahrung finde. Ein
unchristlicher Haß liegt nicht in uns; wir würden uns freuen, wenn
Frankreich, weiser geworden, auf rechtem Wege sein Glück suchte; wir
würden nachbarlich ihm die Hand bieten, und aller Haß würde schwinden,
wenn es ein frommes, züchtiges, friedliches, genügsames, treues Volk
würde. Bis dahin ist keine Gemeinschaft zwischen ihm und uns.
Besonders lebhaften Antheil nahm Brockhaus auch an der Frage der
Zukunft Sachsens, die den Wiener Congreß so lange beschäftigte und
erst durch Napoleon's plötzliches Wiedererscheinen zu einem raschern
Abschluß gelangte. Er war entschieden gegen die Theilung Sachsens,
die doch endlich beschlossen wurde, und sagte in einer Note zu einem
»Wahrhaftigen Bericht über die gegenwärtige Stimmung des Volks in
Sachsen, von einem Eingeborenen«:
An dumpfe starre Verzweiflung grenzt seit der Todesnachricht aus
Wien vom 10. Februar (1815), welche aus den berliner Zeitungen in alle
öffentlichen Blätter übergegangen, die Stimmung des guten sächsischen
Volks. Die Geschichte wird diese Handlung richten -- wir Lebenden
dürfen es leider nicht öffentlich.
Um so empörter war Brockhaus, als in einer in München erschienenen
Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, gesagt war, daß die beiden
leipziger Buchhändler Rein und Gerhard Fleischer »mit dem bekannten
Brockhaus in Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer
Schriften gegen ihren rechtmäßigen König einen edeln Wettstreit begonnen
haben«. Er erließ deshalb in den »Deutschen Blättern« folgende Erklärung:
Erst durch die Anzeige des Herrn Gerhard Fleischer in Nr. 231 der
»Leipziger Zeitung« erfahre ich das Dasein der in München wieder
erschienenen Schrift: »Sachsen, Preußen und Europa«, und der mich
nebst andern Buchhändlern darin betreffenden Stelle, welche diese und
mich der »Verbreitung verleumderischer und majestätsverbrecherischer
Schriften gegen ihren rechtmäßigen König« beschuldigt. Bei näherer
Untersuchung fand ich, daß diese Schrift aus derselbigen Quelle
komme, welcher wir die »Allemannia«, die sogenannten »Sächsischen
Actenstücke« und andere Schriften gleichen Charakters verdanken.
Ob man es daher gleich für eine Ehre halten könnte, von dieser
im Finstern schleichenden süddeutschen Bande, an deren Spitze
bekanntlich der berüchtigte Aretin steht und deren Geschäft es ist,
Mistrauen zwischen Fürsten und Unterthanen, Haß zwischen den deutschen
Volksstämmen und Zwietracht unter unsern Regierungen zu erregen,
derselben Bande, welche nicht damit zufrieden war, dem seelenlosesten
Despotismus in den traurig furchtbaren Jahren von 1806 bis 1813 das
Wort zu reden, sondern den Despoten zu noch größerer Tyrannei durch
die bekannte Anklage aller Protestanten und des Protestantismus selbst
anzuregen suchte, und namentlich mehrere edle Männer aus unserer
eigenen Mitte, welche die liberale Landesregierung zu sich geladen
hatte, als Aufrührer und Anführer bezeichnete; derselben Bande,
welche, in die Hoffnungen aller bessern Menschen ihre Drachenzähne
säend, sogar die Geschichte und Völkerehre wie die Völkerruhe zu
einer Metze macht, indem sie, nur um Deutsche gegen Deutsche zu
empören, eine Reihe der schändlichsten Pasquille erfindet, denen sie
das Prädicat »Actenstücke« gibt, und den Namen des edeln sächsischen
Volks damit in Verbindung bringt -- man könnte, sage ich, es für
eine Ehre halten, von dem Wortführer dieser neuen Obscuranten und
Pasquillanten geächtet zu werden: dennoch glaube ich auf jene bestimmt
ausgesprochene Anklage, gleich Herrn Gerhard Fleischer, erwidern zu
müssen, daß in meinem Verlage keine einzige Schrift erschienen ist,
welche auf irgendeine Weise die sächsischen Angelegenheiten in den
Jahren 1813, 1814 und 1815 nur berührt, und daß ich ebenso wenig von
irgendeiner der Schriften, welche über diesen Gegenstand für und wider
erschienen, mehr als ein Exemplar, und dies zu meiner eigenen Lesung
oder literarischen Benutzung, zu beziehen gewohnt gewesen bin, noch
weniger aber eine Schrift dieser Art »verbreitet« habe.
In den von mir herausgegebenen »Deutschen Blättern« ist, dem
Charakter dieses Instituts gemäß, allerdings, wie es in allen
deutschen politischen Zeitschriften geschehen, diese Angelegenheit
für und gegen debattirt worden, allein immer mit Bescheidenheit, Würde
und Anstand, und ich darf es in Wahrheit sagen, daß ich eine Menge
anzüglicher Aufsätze, die auf irgendeine Weise kränken oder erbittern
konnten, unterdrückt oder zurückgesandt habe.
Den Verfasser der beredtesten und gründlichsten Schrift für das
Interesse Sr. Maj. des Königs, der »_Lettre à un Saxon_«, in der
ich einen meiner Freunde zu entdecken glaubte, habe ich selbst
eingeladen, in den »Deutschen Blättern« seine politische Ansicht zu
verfolgen. Was wirklich am Ende geschehen ist, haben die »Deutschen
Blätter« immer als das größte Unglück dargestellt und damit auch die
Empfindung und Ansicht ihres Herausgebers, der übrigens in keinem
Unterthanenverhältnisse zu Sr. Maj. dem Könige von Sachsen steht,
ausgesprochen.
Altenburg, 28. November 1815.
Brockhaus.
In gleicher Weise interessirte sich Brockhaus persönlich für die damals
lebhaft verhandelte Frage der Wiedererwerbung von Elsaß und Lothringen
für Deutschland, welche wie die von den »Deutschen Blättern« ebenfalls
warm befürwortete Wiederherstellung des deutschen Kaiserthums und des
Deutschen Reichs erst über ein halbes Jahrhundert später gelöst werden
sollte. Er brachte einen trefflichen Aufsatz darüber von Professor Zeune
in Berlin: »Elsaß und Lothringen für Deutschland durchaus nothwendig«,
und schrieb dem Verfasser bei Uebersendung einer Anzahl Abdrücke unterm
30. Mai 1814:
Leider fürchte ich wie alle Deutsche von Umsicht und Beurtheilung,
daß man diese beiden herrlichen, uns von Ludwig XIV. gestohlenen
Provinzen nicht zurückfordern wird. Ueberhaupt wer ist nicht indignirt
über die Complimente, die in Paris mit dem übermüthigen Volke und den
Helfershelfern Napoleon's gemacht werden? Es ist sehr schade, daß
gerade in Paris die Unterhandlungen geleitet werden, wo Weiber und
Sinnlichkeiten aller Art ins Werk gesetzt werden, die Fürsten und die
leitenden Personen zu berücken. In Hamburg, in Moskau, in Wittenberg,
wo jeder Blick und Schritt an die Unthaten der französischen Hunde
erinnert, da sollte der Sitz des Congresses sein!
Ich habe Krausen gebeten, es mit Ihnen zu überlegen, wie den
»Deutschen Blättern« in Berlin und im preußischen Staate ein größeres
Publikum gewonnen werde. In Hannover setzen wir sechsmal so viel
ab als im ganzen preußischen Staate. Seien Sie ferner für unser
patriotisches Institut thätig!
Außer den früher erwähnten Gründen bestimmten ihn indeß auch die
Censuranfechtungen, die mit der beginnenden Reactionszeit wieder ebenso
hinderlich auftraten wie bei Beginn der »Deutschen Blätter«, dazu, das
Blatt aufzugeben. Schon ein Jahr, bevor er diesen Entschluß ausführte,
im Frühjahre 1815, schrieb er an Professor Koethe in Jena aus Anlaß des
vorher erwähnten Aufsatzes der »Deutschen Blätter« über die Stimmung in
Sachsen bei der drohenden Theilung des Landes:
Der Censor chicanirt mich außerordentlich, und wenn's so fortgeht,
muß der Druck hier aufhören. Von Dresden aus ist bei unserer Regierung
(Altenburg) Klage eingelaufen über einen Aufsatz, durch den der König
persönlich sich sehr beleidigt fühlt. Es war behauptet worden, des
Königs Pflicht wäre es gewesen, lieber ganz zu verzichten, als die
Theilung seines Landes zuzulassen. Um sich nun über den Verdruß,
den der Censor über jene Angelegenheit hat, zu rächen, streicht
er mir Alles, was ihm nur einigermaßen frei und dreist erscheint.
Insbesondere ist er Oken's Aufsätzen gram. Ich weiß nicht, wie das
werden soll.
Noch unmuthiger schreibt er unterm 20. Februar 1815 an seinen Freund
Hasse, damals Professor am Cadettenhause zu Dresden:
Ihre Empfindungen über die Zerreißung Sachsens, die nun gestern
durch das Extrablatt der »Leipziger Zeitung« zum Vollen bestätigt
sind, wird jeder redliche Sachse und Deutsche theilen, das Unglück
des Landes aber vorzüglich auf Oesterreich wälzen müssen, dessen
einseitige Hartnäckigkeit schuld an der Theilung ist.
Ich werde die »Deutschen Blätter« jetzt bestimmt mit dem sechsten
Bande eingehen lassen. Die Theilung Sachsens hat mir alle Lust an
dem Politischen geraubt; dazu kommt die beengte Preßfreiheit und
die Unmöglichkeit, sich irgendwo mit Energie und Wahrheit über die
wichtigsten Angelegenheiten, soweit sie uns in der Nähe betreffen,
aussprechen zu können. In dem Schlußblatte möchte ich gern einen
feierlichen Abschied von meinem Publikum nehmen, und ich lade Sie
ein, mir dazu Ihre Feder mit zu leihen. Zuerst wäre ein Blick auf
die Zeit zu thun, die den »Deutschen Blättern« vorhergegangen; dann
der Augenblick des Kampfes im October zu beschreiben, die Hoffnungen
und Wünsche, welche die Erhebung aller deutscher Völkerschaften
bei Jedermann erweckte, der Gang des Kriegs, der endliche Triumph.
Was durften die Deutschen jetzt erwarten? Getäuschte Hoffnungen
jeder Art, wie sie sich entwickelten: in der Hauptstadt des Feindes
wurden deutsche Völkerstämme ihm verrätherisch übergeben, und was
uns von den Bourbonen vor hundert Jahren schändlich geraubt wurde,
die Vormauer Deutschlands, der Elsaß, wurde nicht zurückverlangt;
die uns schändlich abgepreßte Contribution wurde nicht restituirt,
unsere Krieger litten in der Hauptstadt des Feindes den bittersten
Mangel und waren fast ohne Verpflegung; unsere Kunstwerke blieben im
Besitz der Uebermüthigen. Es erfolgte keine Versöhnung zwischen den
Siegern und Besiegten. Blicke auf den Congreß. Abermalige Hoffnungen.
Abermalige Täuschungen. Unterdrückte Preßfreiheit in Deutschland. Man
kann seinem gepreßten Herzen keine Luft machen, der Censor steht einem
ängstlich zur Seite und verschneidet jedes kräftige und treffende
Wort. Wir haben den Franzosen Preßfreiheit errungen, denn nach England
und Holland ist sie in Frankreich am liberalsten, aber für uns selbst
ist sie nicht da. So also kann kein politisches Blatt anders als zu
eigener Schande bestehen.
Dies wären einige der Ideen, die meiner Meinung nach hier
ausgesprochen werden könnten. Viele andere werden Ihnen noch
einfallen. Ich möchte, daß das Ganze einen Bogen füllte.
Hasse antwortete darauf am 26. Februar:
Ich glaube Ihnen gern, daß Ihnen die Lust vergangen, die »Deutschen
Blätter« fortzusetzen. Der Gang der Dinge schlägt die frohesten
Erwartungen nieder. Ihre Ideen über den Schluß sind trefflich, aber
ich fühle in mir so wenig Beruf, und meine Zeit ist so beengt, daß
ich, so sehr ich den verlangten Schlußaufsatz für nöthig halte,
dennoch denselben unmöglich übernehmen kann. Ich lege deshalb das
Blatt Ihres Briefs, der dieselben so trefflich entwickelt, hier bei.
Damals hatten der Wiederausbruch des Kriegs infolge Napoleon's Flucht
von der Insel Elba und die darauffolgenden Ereignisse die Absicht, die
»Deutschen Blätter« aufhören zu lassen, in den Hintergrund gedrängt.
Aber nach der raschen Beendigung dieses zweiten Abschnitts des Kriegs
und während der Verhandlungen über den zweiten Pariser Frieden, nachdem
sogar im Sommer dieses Jahres eine Nummer der »Deutschen Blätter« wegen
eines Aufsatzes: »Auf einmal Preußen und Franzosen Freunde«, confiscirt
worden war, faßte Brockhaus diese Idee wieder näher ins Auge.
Am 4. November desselben Jahres (1815) schreibt deshalb Brockhaus wieder
an Koethe:
Die »Deutschen Blätter« werde ich bestimmt zu Ostern schließen. Die
Bedingungen der Censur, die ängstliche Rücksicht, die allenthalben
genommen wird, der Mangel an Einsicht in die politischen Interessen
Deutschlands, die hinkende Theilnahme des Publikums jetzt, wo die
Hauptfragen entschieden sind, und die ungeheuere Schererei bei
geringer Belohnung veranlassen mich dazu.
Dem Drucker des Blattes, Pierer in Altenburg, meldete er am 2. December
1815, daß er die Auflage, die bei Beginn 4000 und mehr Exemplare betrug,
auf 1100 ermäßigen wolle.
Noch eingehender spricht er sich über das Aufhören des Blattes in
einem am 9. März 1816 an Oken gerichteten Briefe aus, der zugleich
interessante Mittheilungen über literarische Verhältnisse enthält:
Auch mir thut es herzlich leid, das allerdings interessante und
mir selbst unendlich lieb gewesene Institut der »Deutschen Blätter«
eingehen lassen zu müssen. Ich sehe mich aber dazu gezwungen. Aus
der Ueberzeugung, daß bei ihrem sehr verminderten Absatz -- da ich
Ihnen versichern kann, seit einem Jahre das volle Drittel der noch zu
Anfang des vorigen Jahres stattgefundenen Zahl der Abnehmer verloren
zu haben, wobei ich noch nicht in Anschlag bringen kann, was mir auf
der Messe wird zurückgegeben werden -- ihre Wirksamkeit in dieser Form
nicht von der Art ist, als sie auch bei den mäßigsten Ansprüchen sein
sollte. Die Erscheinung eines so verringerten Absatzes, da die Blätter
an sich tüchtigen Inhalts sind, muß Jedem allerdings auffallend sein,
der das deutsche Publikum nicht aus Erfahrung in dieser Hinsicht kennt
und der nicht weiß, daß der Werth besonders eines politischen Blattes
für den Absatz in Deutschland nie entscheidend ist. So z. B. wenn
ich Ihnen versichere, daß von der »Allgemeinen Zeitung«, wie ich in
der Officin derselben erfahren habe, nicht mehr als 2000 Exemplare
gedruckt werden, während der »Nürnberger Correspondent« (ein gegen
jene elendes Blatt) gewiß das Doppelte absetzt, und nur Cotta's große
Kapitale, sein Stolz und seine Consequenz, auch ohne Vortheil ein
Institut fortzusetzen, dessen Nützlichkeit er einmal erkannt hat --
eine Consequenz, die aber nur einem Manne wie ihm möglich ist --
bestimmen denselben, dieses Institut, das ihm ungeheuere Summen kostet
und bei welchem er meinem Urtheile nach wenig oder nichts verdient,
nicht untergehen zu lassen.
An vielen Orten sind die »Deutschen Blätter« abbestellt oder gehen
in so geringer Anzahl dorthin, daß daraus abzunehmen ist, wie wenig
Interesse das Publikum für sie noch zeigt. So gebraucht z. B. die
thätigste Buchhandlung in Prag, die von andern Artikeln, welche die
Zeit berühren, leicht funfzig und mehr Exemplare absetzt, nur ein
einziges Exemplar, und ich erhalte posttäglich neue Abbestellungen für
den nächsten Band, von dem man meint, daß er noch erscheinen werde.
Von sämmtlichen Journalinstituten in Deutschland gedeiht überhaupt
keins mit eigentlichem Glück, und die meisten derselben erhalten sich
nur dadurch, daß ihre Redacteure und Herausgeber zugleich die Haupt-
oder einzigen Ausarbeiter derselben sind, daß sie also nicht an Andere
etwas zu bezahlen nöthig haben und sich mit einer kleinen Ausbeute
begnügen können. So schreibt oder übersetzt Herr Bran seine »Minerva«
und »Miscellen« ganz allein selbst, oder er zahlt für etwaige kleine
Mithülfe höchstens 3 Thlr. per Bogen; so ist Professor Voß in Halle
der alleinige Verfasser der auch von ihm selbst verlegten »Zeiten«,
und mir ist von den Commissionären desselben versichert worden, daß
nicht 400 Exemplare von diesem Journale debitirt werden, ein Absatz,
mit dem man einzig bei einem so hohen Preise und dann eben auskommen
kann, wenn man zugleich noch alleiniger Verfasser und Selbstverleger
ist. Die Bertuch'schen Journalinstitute erhalten sich gewiß einzig
durch das fabrikmäßige Bearbeiten derselben und durch den Antheil,
welchen Vater und Sohn selbst daran nehmen.
Brockhaus hatte bei Aufgeben der »Deutschen Blätter« eine directe
Fortsetzung derselben beabsichtigt, doch kam sie aus Gründen
verschiedener Art wenigstens nicht in der zuerst beabsichtigten Weise zu
Stande.
Diese Fortsetzung sollte den Titel: »Encyklopädische Blätter« führen
und von Professor Oken in Jena, einem Hauptmitarbeiter der »Deutschen
Blätter«, herausgegeben werden. Das oben auszugsweise mitgetheilte
Schlußwort der »Deutschen Blätter« hat deshalb die Ueberschrift:
»Schluß dieser und Ankündigung der 'Encyklopädischen Blätter'« und
theilt zugleich das Programm des neuen Blattes mit. Das erste Heft
desselben wurde auch bereits im August 1816 mit der Jahreszahl 1817
ausgegeben (es trägt am Fuße der ersten Seite die eigenthümliche Notiz
»Kundt am 1. August 1816«), aber unter dem veränderten Titel: »Isis
oder Encyklopädische Zeitung von Oken«. Diese bekannte Zeitschrift,
welche dann bis zum Jahre 1848 erschien und abwechselnd bald Eigenthum
des Herausgebers Oken, bald der Firma F. A. Brockhaus war, ist also
aus den »Deutschen Blättern« hervorgegangen, hat aber freilich nicht
viel von denselben beibehalten. In jenem Schlußwort ist zwar direct
gesagt: das neue Blatt sei »gewissermaßen das Kind der 'Deutschen
Blätter', und die Mutter solle darin, wenngleich nur in einem kleinen
Kämmerlein, fortleben«; allein dieses »Kämmerlein«, die politische
Abtheilung, war sehr klein und wurde später ganz geschlossen, wie auch
der Nebentitel »Encyklopädische Zeitung« bald wegfiel. Hingegen nahmen
die Naturwissenschaften von Anfang an den größten Theil des Raums ein.
Die »Isis« wird in der folgenden Periode von Brockhaus'
Verlagsthätigkeit in ihrer eigenthümlichen Gestalt und Geschichte
vorgeführt werden; nur ihre Entstehungsgeschichte war hier zu erwähnen.
* * * * *
Die »Deutschen Blätter« bilden, von ihrer Stellung und Bedeutung
in der Geschichte der deutschen Zeitungspresse abgesehen, auch ein
wichtiges Glied in Brockhaus' Verlagsthätigkeit während der altenburger
Periode. Sie boten ihm Gelegenheit, auf die politische Gestaltung
Deutschlands einzuwirken und sich so auch persönlich an der großen Zeit
der Freiheitskriege mit zu betheiligen; sie brachten ihn in nähere
Beziehungen zu den besten politischen Schriftstellern seiner Zeit, die
er dann für seine übrigen Unternehmungen an sich zu fesseln wußte; sie
gaben endlich seinem ganzen Verlage für die nächste Zeit eine bestimmte
politisch-nationale Richtung, wiewol diese bei der Vielseitigkeit seines
Geistes und gegenüber den schon früher von ihm gepflegten Gebieten der
Literatur keine ausschließliche blieb.
Als patriotischer Buchhändler nimmt der Herausgeber der »Deutschen
Blätter« in der Geschichte der Jahre 1813-1815 jedenfalls eine
ehrenvolle Stelle ein.
4.
Geschichtliche und encyklopädische Verlagsthätigkeit.
Neben der Herausgabe der »Deutschen Blätter« und der vor dieser
geschilderten Wirksamkeit auf fast allen Gebieten der Literatur
widmete sich Brockhaus während der in Altenburg verlebten Jahre
in besonders reger Weise dem Verlage von geschichtlichen und
encyklopädischen Werken kleinern und größern Umfangs. Diese Thätigkeit
umfaßt drei Gruppen, wovon die erste politische Zeitbroschüren, die
zweite größere geschichtliche Werke, die dritte vorzugsweise das
»Conversations-Lexikon« betrifft.
* * * * *
Die erste Gruppe, die der politischen Zeitbroschüren, schließt sich mehr
oder minder an die »Deutschen Blätter« an.
* * * * *
Als Brockhaus von dem kurzen Ausfluge, den er unmittelbar nach der
Schlacht bei Leipzig unternommen hatte, aus Berlin nach Leipzig
zurückkehrte, fand er daselbst ein Manuscript vor, das ihm August
Wilhelm von Schlegel geschickt hatte, und gleichzeitig schon einen
Mahnbrief desselben aus Göttingen vom 3. November. Der letztere lautet:
Ew. Wohlgeboren habe ich am 28. October von Mühlhausen das
Manuscript meiner »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung
vom 5. October« in französischer Sprache zugeschickt, und zwar _par
estafette_. Ich rechne mit Zuversicht darauf, daß das Packet richtig
in Ihre Hände gelangt ist, und daß Sie es sogleich werden gedruckt
haben. Ich erwarte die Ankunft der 100 Exemplare mit Ungeduld, und
sollten selbige bei Ankunft dieser Zeilen noch nicht abgesandt sein,
so bitte ich selbige alsbald ebenfalls _par estafette_ an mich zu
befördern. Es ist aber dabei zu bemerken, daß ich jetzt drei bis vier
Tage hier bleiben, und erst alsdann wiederum in das Hauptquartier des
Kronprinzen von Schweden abgehen werde. Das hiesige Postamt müßte
also angewiesen werden, sich erst zu erkundigen, ob ich noch hier
bin, und erst wenn es das Gegentheil erfahren, das Packet weiter in
das Hauptquartier zu senden. Die Auslage der Estafette habe ich Ihnen
verursachen müssen; darüber werden wir uns schon vergleichen.
Jetzt bin ich mit Anordnung der »Aufgefangenen Briefe« beschäftigt,
worüber Sie nächstens das Nähere hören werden. Ich bitte auch um eine
Anzahl Exemplare von dem neuen Abdruck der Schrift »_Sur le système
continental_« und der Betrachtungen »Ueber die Politik der dänischen
Regierung«, sobald diese fertig sind.
Ich wiederhole es, daß Sie mich unendlich verbinden werden, wenn
Sie die »Bemerkungen über den Artikel der Leipziger Zeitung« auf das
schleunigste in meine Hände gelangen lassen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Wohlgeboren ergebenster
A. W. v. Schlegel.
Inzwischen schrieb ihm auch Karl Peter Lepsius (der Alterthumsforscher,
Vater des Aegyptologen) aus Naumburg:
Eilen Sie doch, Freund, daß das Manuscript von Schlegel gedruckt
wird, um es durch die Colonne der dresdener Besatzung, die in den
nächsten Tagen hier durchgehen wird, nach Frankreich zu bringen. Sie
erhalten sonst nichts wieder von Schlegel. Warum haben Sie es nicht in
Naumburg drucken lassen, da bin #ich# Censor!
Allerdings hatte Brockhaus auch bei dieser Schrift trotz ihres
officiösen Charakters Censurnöthe, wie aus folgendem Schreiben
hervorgeht, das er unterm 8. November an Freiherrn von Miltitz, Chef der
Ersten Section des Generalgouvernements in Leipzig, richtete, denselben,
gegen den er sich kurz vorher, am 28. October, schon über die Censur bei
den »Deutschen Blättern« ohne Erfolg beschwert hatte:
Der Unterzeichnete hat die Ehre, Ew. Hochwohlgeboren ein Manuscript
mitzutheilen, welches er per Stafette von Herrn A. W. von Schlegel,
Geh. Cabinetssecretär Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen von Schweden,
aus dem Hauptquartier des Letztern mit dem Auftrage erhalten hat,
solches nebst einer deutschen Uebersetzung hier sogleich drucken
zu lassen, und von beiden alsdann 100 Exemplare ins Hauptquartier
Sr. königl. Hoheit wieder per Stafette an ihn zu senden. Ew.
Hochwohlgeboren finden in den beiden Originalanlagen, den Briefen des
Herrn von Schlegel, die Belege hierüber.
Der Unterzeichnete hat nicht gesäumt, dem politischen Censor Herrn
Hofrath Brückner die gedachte Schrift zur Censur vorzulegen, welche
dieser indessen ablehnt, und ihn dieserhalb an Ew. Hochwohlgeboren
verweist.
Der Unterzeichnete erbittet sich daher das Imprimatur von Ew.
Hochwohlgeboren oder, im Falle, daß es geweigert werden möchte, eine
schriftliche Resolution, um sich mit dieser gegen Herrn von Schlegel
(von dem in den Verhältnissen, worin er zu Sr. königl. Hoheit dem
Kronprinzen von Schweden steht, anzunehmen, daß er diese Schrift nur
mit der speciellsten Autorisation desselben zum Druck befördert)
legitimiren zu können.
Da durch die zufällige Abwesenheit des Unterzeichneten diese
Angelegenheit schon um mehrere Tage verspätet worden, so bittet er Ew.
Hochwohlgeboren dringendst und ergebenst, ihm noch heute darüber eine
Resolution mitzutheilen.
Die Schrift erhielt trotzdem nicht das Imprimatur der sächsischen
Behörden, und Brockhaus ließ sie deshalb in Altenburg drucken, ohne
sie dort erst nochmals dem Censor vorzulegen. Sie führt den Titel:
»_Remarques sur un article de la Gazette de Leipsic du 5 Octobre 1813_«,
und erschien gleichzeitig auch in einer deutschen Uebersetzung unter dem
erweiterten Titel: »Ueber Napoleon Buonaparte und den Kronprinzen von
Schweden, eine Parallele in Beziehung auf einen Artikel der Leipziger
Zeitung vom 5. October 1813, von August Wilhelm Schlegel.« Verlagsort
und Verleger sind auf beiden Ausgaben nicht angegeben. Eine 1814
erschienene »zweite vermehrte Auflage« der deutschen Ausgabe enthält
einen mit B. (Brockhaus) unterzeichneten »Vorbericht des Herausgebers«,
in welchem der betreffende Artikel der »Leipziger Zeitung« mitgetheilt
und der Herzog von Bassano (Maret), Staatssecretär Napoleon's als dessen
Verfasser bezeichnet wird.
Die beiden andern von Brockhaus noch vor dieser verlegten Schriften
Schlegel's, die in des Letztern Briefe erwähnt sind, waren gleichfalls
in französischen und deutschen Ausgaben ohne Angabe von Verlagsort und
Verleger erschienen, unter den Titeln: »_Considérations sur la politique
du gouvernement danois. Par A. W. S._«, deutsch: »Betrachtungen über
die Politik der dänischen Regierung. Von August Wilhelm Schlegel«,
und: »_Sur le système continental et sur ses rapports avec la Suède_«,
deutsch: »Ueber das Continentalsystem und den Einfluß desselben auf
Schweden von A. W. S.«
August Wilhelm von Schlegel (geb. 1767, gest. 1845) begleitete
bekanntlich, nachdem er seit 1809 als schwedischer Legationssecretär
in Stockholm gelebt hatte, 1813 den Kronprinzen von Schweden nach
Deutschland und war als dessen Geh. Cabinetssecretär besonders mit
Abfassung von Proclamationen, Armeeberichten und politischen Broschüren,
wie den eben erwähnten, beschäftigt.
Eine andere noch Ende 1813 bei Brockhaus erschienene Broschüre unter
dem Titel: »Aufgefangene Briefe durch die leichten Truppen der
verbündeten Heere. Französisch und Teutsch«, wurde nach Schlegel's
oben mitgetheiltem Schreiben ebenfalls von diesem zusammengestellt und
herausgegeben. Laut dem Vorwort sind es Auszüge aus mehrern tausend
in einem französischen Felleisen vorgefundenen Briefen, das am 12.
September 1813 auf der Straße von Leipzig nach Wurzen in die Hände von
Parteigängern gefallen war.
* * * * *
Außer diesen Schlegel'schen Broschüren verlegte Brockhaus aber,
besonders im Laufe des ersten Halbjahrs nach der Schlacht bei
Leipzig, noch eine ganze Reihe von Zeitbroschüren politischen oder
kriegsgeschichtlichen Inhalts. Bei einer Ankündigung derselben in den
»Deutschen Blättern« hob er hervor, daß ihr Erscheinen erst »seit der
an den Tagen vom 16.-19. October wiedereroberten Preßfreiheit« möglich
geworden sei.
Am 26. März 1814 schrieb er in gleichem Sinne an seinen Freund Villers
in Göttingen:
Man muß die vielleicht kurze Zeit unserer Preßfreiheit brav
benutzen. Späterhin könnte man uns wieder ein Schloß ans Maul hängen.
So veranstaltete er im März 1814 einen neuen Abdruck der vielgenannten
Schrift, wegen deren Verbreitung der nürnberger Buchhändler Johann
Philipp Palm auf Napoleon's Befehl am 26. August 1806 zu Braunau
erschossen worden war, unter dem Titel: »Deutschland in seiner tiefsten
Erniedrigung. (Neuer wörtlicher Abdruck der Schrift, wegen welcher
Palm 1806 auf Befehl des Kaisers Napoleon zum Tode verurtheilt wurde.)
Mit einer Vorrede des jetzigen Herausgebers.« Als »Seitenstück« dazu
veröffentlichte er gleichzeitig: »Sündenregister der Franzosen in
Teutschland. Ein Seitenstück zu der Schrift: Teutschland in seiner
tiefen Erniedrigung«, mit dem Motto von Johannes Müller: »Gesetzmäßige
Regenten sind heilig: daß Unterdrücker nichts zu fürchten haben, ist
weder nöthig noch gut«, und mit der Bezeichnung: »Germanien, im Jahre
der Wiedergeburt«, ohne sonstige Angabe von Verlagsort, Verleger und
Jahreszahl.
Auch zwei poetisch-patriotische Producte verlegte er: »Die Erlösung
Deutschlands im Jahre 1813. Ein National-Singspiel« (auf dem Titel
steht: »Braunschweig, 1814. Gedruckt bei Friedrich Vieweg«, doch war
die Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, Verlag von Brockhaus), und:
»Deutschland im Schlaf (geschrieben 1809) und Deutschlands Morgentraum
und Erwachen. Zwei politische Possenspiele«, ebenfalls anonym, verfaßt
von Karl Georg Treitschke in Leipzig (geb. 1783, gest. 1855 als Geh.
Justizrath in Dresden).
* * * * *
Eine Anzahl anderer Broschüren ist direct gegen die Person Napoleon's
gerichtet.
In erster Linie ist hier die schon früher erwähnte, von Villers und
Saalfeld verfaßte Schrift zu nennen, die anonym unter dem Titel:
»Hundert und etliche Fanfaronaden des Corsikanischen Abentheurers
Napoleon Buona-Parte Ex-Kaisers der Franzosen. _Cum notis variorum_«, im
Juni 1814 erschien.
Eine zweite ähnliche Schrift, deren Verfasser uns unbekannt, heißt:
»Federstreiche oder Lebenslauf des Ex-Kaisers der Franzosen in drei
Büchern: Epigrammen«; das Schlußepigramm lautet:
Du ließest Blut, ich Tinte fließen,
Schwarz hast Du Dich, nicht ich gemacht,
Spar' nun mein Blut und Deine Macht,
Und laß mich nicht erschießen.
Eine dritte gegen Napoleon gerichtete Schrift erschien ebenfalls anonym
gleichzeitig französisch und deutsch unter den Titeln: »_Lettre d'un
Anglois sur Napoléon Buonaparte et le surnom le grand, qu'on lui a
donné, avec la traduction allemande_«, und: »Briefe eines Engländers
über Napoleon Bonaparte, und den Beinamen der Große, welcher ihm
beigelegt worden ist.«
Endlich gehört hierher noch eine geistvolle Satire: »Die Oriflamme
oder der Pariser Enthusiasmus unter Napoleon dem Großen, Kaiser der
Franzosen, eine Sammlung merkwürdiger, vor der Aufführung dieser Oper in
Paris gewechselter Briefe; als ein Beytrag zu der französischen Kunst,
das Volk gegen sein eignes Herz und seinen Verstand zu bearbeiten.« Sie
trug auf dem Titel einen fingirten französischen Verlagsort: »Nancy
1814« und erschien anonym; ihr Verfasser war Philipp Joseph von Rehfues
(geb. 1779, gest. 1843), später durch seinen Roman »Scipio Cicala«
(1832) allgemeiner bekannt geworden.
* * * * *
Weitere Zeitbroschüren, die in diesen Jahren von Brockhaus verlegt
wurden, beschäftigen sich vorzugsweise mit der Deutschland zu gebenden
politischen Verfassung.
Anonym erschienen zunächst zwei Schriften unter folgenden Titeln:
»Erinnerung an die Vorzüge und Gebrechen der ehemaligen Verfassung des
deutschen Reichs« (1813), und: »Der deutsche Bund wider das deutsche
Reich« (1815). Ueber den Verfasser der erstern bemerkt Brockhaus in
einer Ankündigung, es sei »einer unserer vorzüglichsten Publicisten«.
Die zweite Schrift, mit einem allegorischen Titelkupfer, das zwei Felder
mit den Unterschriften »Deutscher Bund« und »Deutsches Reich« zeigt,
befürwortet die Wiedererrichtung des alten Kaiserthums und eifert
gegen den eben damals gestifteten Deutschen Bund als einen bloßen
Staatenbund. In ihr kommt unter anderm folgende durch die Zukunft
gerechtfertigte Stelle vor:
Was ihr hoffen könnt, ist Krieg, weil von nun an der Streit über
die Oberherrschaft in Deutschland beginnen kann und wird und muß ....
Unsere Enkel werden das, was hier unbeachtet bleibt, empfinden.
Eine Aufforderung an Preußen, sich an die Spitze Deutschlands zu
stellen, enthält die umfänglichere Schrift: »Preußen über Alles, wenn es
will. Von einem Preußen« (Germanien 1817), verfaßt von Samuel Gottfried
Reiche (geb. 1765, gest. 1849 als Rector des breslauer Gymnasiums), aber
anonym erschienen.
Auch patriotische Ansprachen, besonders an die Jugend gerichtet, finden
sich unter diesen Schriften, so: »Vier Reden über Vaterland, Freiheit,
deutsche Bildung und das Kreuz. An die deutsche Jugend gesprochen von
Karl Baumgarten-Crusius. Eine Weihnachtsgabe« (1814). Die vierte Rede
war zuerst in den »Deutschen Blättern« abgedruckt worden und hatte
großen Beifall gefunden. Der Verfasser ist der bekannte Philolog (geb.
1786, gest. 1845 als Rector der Landesschule zu Meißen).
Aehnlichen Charakter hat die anonyme Schrift: »Auch ein Wort über unsere
Zeit. 1) Von der unterscheidenden Eigenthümlichkeit derselben. 2) Was
sie von den in ihr Lebenden fodere. 3) Was sie ihnen gewähre« (1815).
Eine kleine Schrift: »Ueber Landsturm und Landwehr. In Beziehung auf
die Länder zwischen der Elbe und dem Rhein« (1813), empfiehlt diese
preußische Einrichtung auch dem übrigen Deutschland.
Folgende drei Broschüren enthalten wiederum ärztliche Rathschläge
in Bezug auf den Krieg: »Die Kriegspest oder das ansteckende
Hospital-Fieber. Eine Volksschrift zur Warnung und Belehrung von einem
sächsischen Arzte«; »Ueber die jetzt herrschenden Lazarethfieber, ihre
Ursachen, Kennzeichen und Verwahrungsmittel. Von einem praktischen
Arzte« (beide 1813 erschienen); endlich eine von _Dr._ Heinrich
Messerschmidt, Stadtphysikus zu Naumburg an der Saale (geb. 1776,
gest. 1842), verfaßte treffliche Schrift: »Hand- und Lehrbüchlein für
Deutschlands Krieger und diejenigen im Volke, welche zu diesem hohen
Stande berufen sind. Daraus zu lernen, recht brave, tüchtige Soldaten zu
werden und sich als solche in der Zeit der Noth selbst rathen und helfen
zu können« (1815).
Zwei Broschüren richten sich gegen die berüchtigte Schrift des
bekannten Staatsrechtslehrers Professor Theodor Anton Heinrich Schmalz:
»Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik von
1805« (Berlin 1815), in welcher dieser zuerst das Mistrauen der
deutschen Regierungen gegen den Geist der Zeit, namentlich gegen
politische Vereine wachrief und so die Reactionszeit inaugurirte. Die
beiden anonymen Broschüren heißen: »Gegen den Geheimen Rath Schmalz
zu Berlin wegen seiner jüngst herausgegebenen Worte über politische
Vereine«, und: »Die neuen Obscuranten im Jahre 1815. Dem Herrn Geheimen
Rath Schmalz in Berlin und dessen Genossen gewidmet«. Es sind, wie
auch auf den Titeln bemerkt, Separatausgaben zweier Aufsätze aus den
»Deutschen Blättern«. Dieses Blatt hatte sich das Verdienst erworben,
gegen die Denunciationen von Schmalz zuerst energisch aufzutreten.
Im Jahre 1817 verlegte Brockhaus noch zwei Zeitbroschüren verschiedenen
Inhalts von zwei namhaften, auf denselben aber nicht genannten
Schriftstellern: »Ueber den jetzt herrschenden Geist der Unzufriedenheit
und Unruhe unter den Völkern Europas. Ein Versuch zur Beschwichtigung
dieses Geistes«, von Hofrath Karl Ludwig Methusalem Müller in Leipzig
(geb. 1771, gest. 1837, in den Jahren 1817-1831 Redacteur der »Zeitung
für die elegante Welt«), und: »Mahnung der Zeit an die protestantische
Kirche bei der Wiederkehr ihres Jubelfestes. Nebst einer Nachschrift an
die katholische Kirche und deren Oberhaupt. Für Kleriker und Laien von
einem Laien«, von dem bekannten Philosophen Professor Wilhelm Traugott
Krug in Leipzig (geb. 1770, gest. 1842), mit dem Brockhaus später in
nähere Verbindung trat.
* * * * *
Wir kommen nun zu den von Brockhaus in diesen Jahren verlegten kleinern
und größern Schriften, welche speciell die Zeitgeschichte betreffen,
und finden da zunächst eine Anzahl Broschüren kriegsgeschichtlichen
Inhalts, welche meist noch die kriegerischen Ereignisse vor der Schlacht
bei Leipzig behandeln, während die spätern in größern Werken geschildert
sind.
An der Spitze der kriegsgeschichtlichen Broschüren steht: »Die
preußisch-russische Campagne im Jahre 1813; von der Eröffnung bis zum
Waffenstillstande vom 5. Juni 1813; mit dem Plan der Schlacht von
Groß-Görschen, der Schlacht von Bautzen und dem Gefecht von Haynau. Von
C. v. W.« Auf dem Titel heißt es: »Breslau, in Commission bei Christ.
Gottlob Kayser«, ohne Jahreszahl; die Schrift war aber Verlag von
Brockhaus und erschien im Sommer 1813. Verfaßt wurde sie auf speciellen
Befehl des Königs von Preußen von dem damaligen Oberst, spätern
General-Feldmarschall Freiherrn von Müffling (geb. 1775, gest. 1851),
dessen kriegsgeschichtliche Werke stets nur die Chiffre C. v. W. tragen.
Ein Seitenstück dazu bildet: »Der Feldzug von 1813 bis zum
Waffenstillstand« (ohne Angabe von Verleger und Verlagsort, mit der
Jahreszahl 1813). Als Verfasser nennt Brockhaus in den »Deutschen
Blättern« den General von Gneisenau, Chef des preußischen Generalstabes,
weil ihm das Manuscript wahrscheinlich von diesem zugesandt worden
war; die Schrift ist aber auf Gneisenau's Wunsch von dessen Stabschef
General Karl von Clausewitz (geb. 1780, gest. 1831) geschrieben und auch
in dessen »Hinterlassenen Werken über Krieg und Kriegführung« wieder
abgedruckt.
Gleichzeitig (im October 1813) ließ der bekannte General und
Militärschriftsteller Baron Henri Jomini (geb. 1779, gest. 1861) bei
Brockhaus eine kleine Broschüre französisch und deutsch unter folgenden
Titeln erscheinen: »_Extrait d'une brochure intitulée: Mémoires sur
la campagne de 1813, par le général Jomini_«, und: »Auszug aus den
Memoiren über den Feldzug von 1813 vom General Jomini.« Er rechtfertigt
sich darin wegen seines 1813 nach der Schlacht bei Bautzen erfolgten
Uebertritts aus französischen in russische Dienste.
Noch vor der Schlacht bei Leipzig geschrieben, aber erst nach derselben
veröffentlicht wurde eine Broschüre von Ludwig Lüders (Verfasser der
früher erwähnten Schrift: »Das Continental-System«): »Welthistorische
Ansicht vom Zustande Europa's am Vorabend der Schlacht bei Leipzig
im Jahre 1813. Mit einem Plane der Schlacht bei Lützen« (1814). Sie
schildert die am 1. und 2. Mai 1813 geschlagene Schlacht bei Lützen,
gewöhnlich richtiger die Schlacht bei Großgörschen genannt, in der
Napoleon über die vereinigte russisch-preußische Armee siegte, wodurch
Sachsen bis zur Elbe wieder in seine Hände fiel. Die Schrift hat,
als von einem in der Nähe (in Altenburg) befindlichen gewissenhaften
Beobachter herrührend, geschichtlichen Werth.
Wir schalten hier als Episode eine an diese Schlacht anknüpfende und für
Brockhaus' Charakterisirung nicht unwichtige Mittheilung ein, die vor
Jahren von dem inzwischen (1863) verstorbenen Geschichtschreiber und
Publicisten Johann Wilhelm Zinkeisen niedergeschrieben wurde, dessen
Vater Geh. Kammerrath in Altenburg war und zu Brockhaus' nähern Freunden
gehörte:
Ich war damals ein Knabe von 11-12 Jahren, und erinnere mich sehr
wohl, wie der wohlbeleibte aber äußerst lebendige und bewegliche, so
freundliche Herr Brockhaus, den wir Kinder alle so gern hatten, wenn
irgendeine wichtige Nachricht eingetroffen war (denn er war immer am
ersten und besten unterrichtet), oft schon in frühester Morgenstunde
außer Athem zum Vater kam, um ihm dieselbe zu hinterbringen. Da
wurde dann mit großem Feuer, aber auch mitunter nicht ohne manchen
schweren Seufzer, darüber hin- und hergestritten, wie die Dinge nun
weiter laufen würden, was man zu thun habe, was am Ende aus der Welt
werden solle, wie lange es der Napoleon noch treiben werde u. s. w.
Brockhaus sprach immer wie ein Begeisterter, und schien manchmal außer
sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und herzuschwanken. Mein
Vater, überhaupt eine ernste Natur und in schon vorgerücktem Alter,
suchte dagegen zu beschwichtigen und rieth zu ruhiger Ausdauer.
Mir sind dergleichen Eindrücke aus dieser schweren Zeit, die auf
jugendliche Gemüther auch tiefer einwirkte, so unvergeßlich geblieben,
als ob ich sie erst gestern empfangen hätte. Es ist mir immer noch,
als ob ich Brockhaus eben erst zur Thür hinausgehen sähe, wenn er uns
beim Weggehen etwa so zurief: »Guten Morgen, Jungens, haltet euch
wacker, sonst wird's schlimm, wenn Napoleon kömmt!« Da lachten wir
dann in unserer Einfalt recht herzlich über den guten Herrn, obgleich
es gewiß weder ihm noch dem Vater zum Lachen war.
Am tiefsten ist mir der Tag der Schlacht bei Lützen aus dieser
Zeit in Seele und Gedächtniß eingegraben geblieben. Alles war an
dem schönen Maitage vom frühesten Morgen in der größten Bewegung
und Spannung. Die widersprechendsten Gerüchte durchkreuzten sich.
Brockhaus war am Vormittage mehrere male beim Vater und blieb dann bei
uns zu Tische. Der Oberst von dem damals in Altenburg liegenden Corps
des Generals Miloradowitsch, welcher bei meinen Aeltern mit seinen
Adjutanten Quartier hatte, machte ein sehr bedenkliches Gesicht. Man
sprach schon davon, daß es gut sein würde, wenigstens die Familie wo
anderwärts hin in Sicherheit zu bringen. Während des Essens brachte
eine Ordonnanz die Nachricht, man höre vor der Stadt ganz deutlich den
Kanonendonner, welcher aus der Gegend zwischen Leipzig und Lützen zu
kommen scheine; es sei als ob er immer näher rücke; die Preußen seien
geschlagen u. s. w. Brockhaus wurde nun sehr unruhig, sprang plötzlich
vom Tische auf und rief: »Wir müssen raus; kommt, Kinder, mit hinter
den Pohlhof, da wird man's am besten hören!« Mit diesen Worten nahm er
mich ohne weiteres bei der Hand, und forderte die ganze Gesellschaft
auf, ihm zu folgen, was sie auch that. Auf den weiten Pohlhofsfeldern
nach Leipzig zu hatte damals das obengenannte Corps in unabsehbaren
Reihen von Strohhütten sein Lager aufgeschlagen. Hinter demselben
suchte Brockhaus einen etwas höher liegenden Punkt aus, warf sich
dort zur Erde, und sagte bei jedem Kanonenschuß, den er mittels der
Fortpflanzung des Schalles durch den Erdboden vernahm: »Sehr deutlich!
sehr deutlich!« Mir klingen die Worte noch in den Ohren. Ich wollte
Ihnen den trefflichen Mann dabei malen. Wir Kinder hatten natürlich
nichts Eiligeres zu thun als dem Beispiele desselben zu folgen,
und vernahmen nun mit Jubel auch ganz deutlich den Kanonendonner,
während mein Vater mit sehr bedenklicher Miene daneben stand und, die
Taschenuhr in der Hand, die dumpfen Kanonenschläge nach der Minute
zählte. Je vernehmlicher sie aber wurden, desto ernster schien ihm die
Lage zu werden. Nach einer Stunde etwa eilte man in die Stadt zurück.
Brockhaus brachte am Nachmittage wieder verschiedene unbestimmte und
beängstigende Nachrichten. Er war auch noch am Abend wieder bei uns,
wo Alles, wie es damals Brauch war, um den großen runden Tisch saß
und Charpie zupfte. Da ertönt plötzlich Alarm durch die Straßen, und
zu gleicher Zeit sieht man vor der Stadt eine ungeheuere Feuersäule
aufsteigen. Miloradowitsch hatte Befehl erhalten, noch in der Nacht
nach Lützen hin aufzubrechen, und vorher sein ganzes Lager in Brand
gesteckt. Brockhaus eilte fort, um nähere Nachrichten einzuziehen. Das
Uebrige ist bekannt.
An die Schlacht bei Lützen sowie an die leipziger Schlacht knüpft
auch eine kleine Schrift des Geschichtschreibers Karl Curths (geb.
1764, gest. 1816) an und stellt beide Schlachten mit zwei an denselben
Orten geschlagenen zusammen. Sie führt den Titel: »Die Schlacht bei
Breitenfeld unweit Leipzig am 7. September 1631 und die Schlacht bei
Lützen am 7. November 1632. Zwei Scenen des Dreißigjährigen Kriegs und
Gegenstücke zu den Schlachten bei Lützen am 2. Mai 1813 und bei Leipzig
am 16., 18. und 19. October 1813« (1814). Von demselben Verfasser
verlegte Brockhaus gleichzeitig eine geschichtliche Monographie:
»Die Bartholomäusnacht 1572.« Curths hat sich besonders durch seine
Fortsetzung von Schiller's »Geschichte des Abfalls der vereinigten
Niederlande« bekannt gemacht.
Ueber die Schlacht bei Leipzig erschienen in Brockhaus' Verlage neben
den in den »Deutschen Blättern« enthaltenen ausführlichen Schilderungen
keine besondern Werke.
* * * * *
Außer diesen kriegsgeschichtlichen verlegte er noch einige andere
zeitgeschichtliche Broschüren, zunächst (1814) eine solche von dem
Marquis de la Maisonfort (geb. 1763, gest. 1827), einem Anhänger der
Bourbonen, der 1814 mit Ludwig XVIII. nach Paris zurückkehrte, unter dem
Titel: »_Tableau politique de l'Europe, depuis la bataille de Leipzic,
gagnée le 18 octobre 1813. Écrit à Londres le 4 décembre 1813_«;
dieselbe erschien auch in deutscher Uebersetzung: »Politisches Gemälde
von Europa nach der Schlacht bei Leipzig den 18. October 1813. London
den 4. December 1813. Mit Anmerkungen und einer Frage: Was hofft Europa
seit dem 3. April 1814.«
Daneben veröffentlichte er die Broschüre: »Der Minister Graf von
Montgelas unter der Regierung König Maximilian's von Baiern« (1814),
worin dieser bairische Minister gegen eine vom Grafen Reisach
geschriebene Schrift vertheidigt wird. Brockhaus war mit dem Minister
Montgelas auf einer im Sommer 1814 nach Stuttgart und München
unternommenen Reise bekannt geworden, und dies war wol die Veranlassung
zu dem Verlage dieser Broschüre.
Eine andere kleine Schrift: »Die Moskauer Kanonen-Säule oder der
Sieges-Obelisk. Nebst einer Abbildung« (1814), ist von Karl August
Böttiger in Dresden verfaßt; sie ist die einzige selbständige Schrift,
die Brockhaus von diesem Schriftsteller verlegte (freilich ist auch sie
nur ein Separatabdruck aus den »Deutschen Blättern«), während dieser mit
ihm fortwährend in dem lebhaftesten Briefwechsel stand und an fast allen
seinen Journalen und encyklopädischen Werken mitarbeitete.
* * * * *
Von hervorragendem Interesse endlich sind zwei Broschüren, die im
Jahre 1816 in Brockhaus' Verlage erschienen und den berüchtigten
Polizeiminister Napoleon's, Fouché, Herzog von Otranto, zum Verfasser
hatten.
Joseph Fouché, 1763 zu Nantes geboren, erst Lehrer, dann Advocat,
war während der Französischen Revolution bekanntlich ein eifriger
Anhänger Danton's gewesen und hatte sich an den Greueln in Lyon lebhaft
betheiligt. Er erhielt 1799 die Direction der Polizei in Paris und wurde
von Napoleon nach dem österreichischen Kriege zum Herzog von Otranto
ernannt. Nach 1810 in Ungnade gefallen, wurde er 1813 Generalgouverneur
von Illyrien, 1815 während der Hundert Tage nochmals Polizeiminister,
stellte sich nach Napoleon's Niederlage bei Waterloo an die Spitze
der provisorischen Regierung und wurde dann von Ludwig XVIII. als
Gesandter nach Dresden geschickt. Während dieses dresdener Aufenthalts
schrieb er die beiden von Brockhaus verlegten Schriften. Bald darauf
mußte er, durch das Verbannungsdecret vom 12. Januar 1816 gegen die
sogenannten Königsmörder mit getroffen, seine Stellung und überhaupt den
Staatsdienst verlassen und zog sich erst nach Prag, dann nach Linz und
endlich nach Triest zurück, wo er 1820 starb.
In jenen beiden Schriften versuchte er vergeblich, sich zu rechtfertigen
und vor dem Verluste seiner Stellung zu schützen.
Die erste ist in die Form eines Briefs an den Herzog von Wellington,
der zu seinen Gönnern gehörte, gekleidet und führt den Titel:
»_Correspondance du duc d'Otrante avec le duc de *** Première lettre.
Dresde, le premier Janvier, 1816._« Sie enthält außer dem 48 Seiten
umfassenden Briefe an den Herzog von Wellington (dessen Name aber nicht
genannt ist) ein von Brockhaus unterzeichnetes 4 Seiten langes Vorwort,
überschrieben »_L'éditeur au public_« und Altenburg, 15. August 1816
datirt. Brockhaus warnt darin vor einem soeben angeblich in London
gedruckten unberechtigten und verstümmelten Abdrucke des Briefes,
kündigt einen zweiten und dritten Brief an, die indeß nie erschienen,
und veröffentlicht zugleich den Privatbrief Fouché's an Wellington,
welcher die Veranlassung zu der Schrift erklärt.
Die zweite Schrift wurde gleichzeitig französisch und deutsch
herausgegeben unter den Titeln: »_Notice sur le duc d'Otrante_« und:
»Aus dem Leben Joseph Fouché's, Herzogs von Otranto. Nach authentischen
Quellen und mit wichtigen Actenstücken für die neueste Zeitgeschichte.
Anhang: Brief Fouché's an Wellington, Dresden, 1. Januar 1816.«
Brockhaus hatte beide Schriften durch Vermittelung seines Freundes
Böttiger erhalten und verkehrte darüber brieflich und mündlich mit
Fouché's Secretär, Demarteau in Dresden. Er bewog einen londoner
Verleger (Colburn) und einen amsterdamer (Sülpke), ihre Firmen neben
der seinigen auf den Titel setzen zu lassen, und hegte überhaupt
große Erwartungen von dem buchhändlerischen Erfolge dieser Schriften.
Wenn er auch für ihren Inhalt und Verfasser in keiner Weise eintrat,
hob er doch deren unzweifelhafte Wichtigkeit für die Zeitgeschichte
hervor. Indeß entsprach der Absatz keineswegs seinen Hoffnungen und der
aufgewendeten Mühe, besonders wol, weil jener unberechtigte Abdruck
des Briefes vorher erschienen war und das verdiente Schicksal Fouché's
keine große Theilnahme erregte. An diesen Umständen und an Fouché's
Sturze scheiterten auch die von Brockhaus mit Demarteau angeknüpften
Unterhandlungen über den Verlag von Fouché's Memoiren, für die er
bei einem Umfange von ungefähr 120 Druckbogen 12000 Francs geboten
hatte. Sie wurden erst nach Fouché's Tode in Paris unter dem Titel:
»_Mémoires de Fouché_« (2 Bände, 1824), veröffentlicht und rühren auch
wahrscheinlich von ihm her, obwol sie von seinen Erben als unecht
angegriffen wurden.
* * * * *
Neben diesen die verschiedensten Gebiete berührenden Zeitbroschüren
verlegte Brockhaus auch während der altenburger Periode eine Reihe der
eigentlichen Geschichte gewidmeter Werke, zum Theil größern Umfangs und
der Mehrzahl nach ebenfalls die nächste Vergangenheit behandelnd.
* * * * *
Die beiden wichtigsten Werke dieser Gattung rühren von einem
Schriftsteller her, der uns schon als fleißiger Mitarbeiter an den
»Deutschen Blättern« und als Mitverfasser einer gegen Napoleon
gerichteten Broschüre, der mit seinem Freunde Villers zusammen
herausgegebenen »Fanfaronaden«, begegnet ist: Friedrich Jakob Christoph
Saalfeld (geb. 1785, gest. 1834), Professor der Geschichte an der
Universität Göttingen und freisinniges Mitglied der hannoverschen
Ständeversammlung.
Das erste Werk ist eine »Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit,
seit dem Anfange der Französischen Revolution«; es begann 1815, die
Vollendung erfolgte aber erst 1823 (in 4 Bänden zu je 2 Abtheilungen,
also zusammen 8 Theile umfassend); den Endpunkt bildet der Aachener
Congreß von 1818.
Das zweite ist eine »Geschichte Napoleon Buonaparte's«, deren erste
Auflage (1815 in einem Bande) bis zur Ankunft auf Elba reicht, während
die zweite umgearbeitete Auflage (1816 und 1817 in zwei Theilen)
die Geschichte Napoleon's bis zu seiner Abführung nach Sanct-Helena
fortsetzt.
Beide Werke erregten Aufsehen und fanden lebhaften Beifall, da sie
von deutsch-patriotischem Standpunkte und mit voller Benutzung der
wiedergewonnenen Preßfreiheit geschrieben waren; doch hatte eben
deswegen besonders die Geschichte Napoleon's auch harte Angriffe zu
bestehen.
* * * * *
Ein drittes größeres Werk über die Zeitgeschichte ist: »Rußlands
und Deutschlands Befreiungskriege von der Franzosen-Herrschaft über
Napoleon Buonaparte in den Jahren 1812-1815« (4 Theile mit zahlreichen
Kupfern und Karten, 1816-1819), verfaßt von _Dr._ Karl Heinrich Georg
Venturini (geb. 1768, gest. 1849), der lange Jahre (1807-1844) als
Pastor zu Hordorf im Braunschweigischen wirkte und sich hauptsächlich
durch seine »Natürliche Geschichte des großen Propheten von Nazareth«
(4 Theile, Bethlehem, d. i. Jena, 1806) bekannt gemacht hat, durch das
hier vorgeführte Werk und die Fortsetzung der von Bredow begonnenen
»Chronik des neunzehnten Jahrhunderts« (34 Bände, Altona und Leipzig
1808-1837) sich aber auch als Geschichtschreiber einen geachteten Namen
erwarb. Nicht zu verwechseln mit ihm ist sein als Militärschriftsteller
und Strateget bekannter jüngerer Bruder Johann Georg Julius Venturini,
braunschweigischer Offizier (geb. 1772, gest. 1802).
Der erste Theil dieser Schilderung der Befreiungskriege behandelt den
Krieg in Rußland 1812, der zweite den in Deutschland 1813, der dritte
den Krieg in Frankreich und Italien 1814, der vierte den »Krieg im
Niederlande, Frankreich und Italien«.
* * * * *
Speciell den Krieg in Rußland betrifft das Werk: »_A narrative of the
campaign in Russia in 1812_« von dem als Hofmaler des Kaisers Alexander
in Petersburg lebenden Engländer Robert Ker Porter (geb. 1774, gest.
1842), welches in einer Uebersetzung unter dem Titel: »Der russische
Feldzug im Jahre 1812« von _Dr._ Paul Ludolf Kritz (geb. 1788, gest.
1869 als Oberappellationsrath in Dresden) 1815 bei Brockhaus erschien.
* * * * *
Zu dem geschichtlichen Verlage gehört endlich noch eine
kriegsgeschichtliche Zeitschrift, die Brockhaus in Verbindung mit dem
sächsischen Oberlandfeldmesser und frühern Offizier Wilhelm Ernst August
von Schlieben, von dem er gleichzeitig das früher erwähnte Werk: »Die
Elemente der reinen Mathematik« verlegte, im Jahre 1817 begann.
Bei seiner Vorliebe für journalistisch-encyklopädische Unternehmungen
suchte er in dieser Zeitschrift einen Mittelpunkt für die betreffende
Literatur zu schaffen. Er veröffentlichte den wohldurchdachten, von
genauer Kenntniß der Verhältnisse zeugenden Plan in einer »im April
1816« datirten, von ihm unterzeichneten Ankündigung in den »Deutschen
Blättern«, die mit der Bemerkung: »Auch als Vorrede zum ersten Bande zu
betrachten«, vor diesem wieder abgedruckt ist. Sie lautet:
Die Kriegskunst hat einen so wesentlichen Antheil an der
gegenwärtigen Entwickelung des Staatenschicksals von Europa gehabt,
daß es für den Geschichtsfreund überhaupt, wie für den Kriegskundigen
insbesondere, ein wissenschaftliches Bedürfniß geworden ist, einzelne,
für größere Werke oft gar nicht geeignete und dennoch für die Theorie
sowol als für die Praxis, oder für die allgemeine Geschichte wichtige
Beobachtungen und Erfahrungen, überhaupt Alles, was die Geschichte
der Kriegskunst in dem 19. Jahrhunderte betrifft und neu ist, von
Augenzeugen zu sammeln, und die Ansichten sachkundiger Männer von
denkwürdigen Kriegsereignissen in einem diesem Zwecke ausschließend
gewidmeten Archive zu vereinigen.
Die schätzbarsten Beiträge zu von Bülow's, von Scharnhorst's
und Anderer Schriften liegen in den Tagebüchern verdienter
Offiziere verborgen, welche in einer Zeitschrift, wie von
Rouvroy's »Militärische Minerva« oder von Rühl's »Pallas« oder die
»Oesterreichische militärische Zeitschrift« und ähnliche Archive
der Kriegsgeschichte waren, einen Ehrenplatz einnehmen würden.
Sollen diese handschriftlichen Bemerkungen und Nachrichten für die
Wissenschaft verloren gehen und vergessen werden, oder soll man
warten, bis sie spät, nach dem Tode der Augenzeugen, in zerstreuten
Denkwürdigkeiten erscheinen, wo sie der öffentlichen Prüfung und
Vergleichung mit andern Thatsachen weniger unterliegen?
Jetzt, da die Waffen ruhen und die mit Lorbern umwundenen
Feldtagebücher geordnet werden, jetzt ist die Erinnerung an Alles, was
geschehen, ebenso lebendig und frisch, als das Bedürfniß des Forschens
und Wissens lebhaft. Sollten daher unsere tapfern Zeitgenossen nicht
unter sich austauschen und gegenseitig kriegskundig prüfen wollen, was
sie beobachtet, gethan und erfahren, was sie Schätzbares für Kunst
und Wissenschaft selbst eingesammelt haben? Die Kriege seit 1792
bieten für die Geschichte der Kriegskunst so reiche Ausbeute dar,
daß es einer kriegsgeschichtlichen Zeitschrift in einer zwanglosen
Folge von Bänden, wie die unsrige sein soll, nicht an neuem Stoffe
von wissenschaftlichem Werthe fehlen wird, wenn die einsichtsvollen
Kriegsmänner aus allen Heeren, welche seit 1792 in den meisten Ländern
Europas fast nach denselben Grundsätzen kriegskünstlerischer Bildung
gefochten haben, sich für unsern Zweck mit uns vereinigen wollen.
Wir laden sie, als die vollgültigsten Zeugen der ewig denkwürdigen
Geschichte unserer Zeit, hierzu mit dem Vertrauen ein, das uns unsere
Ueberzeugung von dem geistigen Zusammenhange und dem Gemeingeiste,
der jetzt alle Gebildete zu wissenschaftlicher Thätigkeit hinführt,
nicht ohne Ursache einflößt. Denn schon erfreuen wir uns der Zusage
mehrerer würdigen Männer, und wir können dem Publikum versprechen, daß
es in unsern kriegsgeschichtlichen Monographien nur Erzählungen und
Charakteristiken von bedeutenden oder minder bekannten denkwürdigen
Kriegsbegebenheiten, vorzüglich aus der neuesten Zeit, von
Augenzeugen und Theilnehmern kriegskundig abgefaßt, oder aus weniger
zugänglichen Quellen mit Kritik ausgewählt, und durch Karten und
Plane, wo es die Wissenschaft erfordert, erläutert, ohne Beimischung
von Politik noch fremdartigen Dingen finden wird.
Jeder Band von 24-30 Bogen soll sechs und mehr Erzählungen oder
Darstellungen dieser Art enthalten. Der erste wird zur Ostermesse des
nächsten Jahres erscheinen, und die Fortsetzung unsers Unternehmens
kann, wie wir nach den getroffenen Maßregeln hoffen dürfen, nur an
Neuheit und Interesse gewinnen.
Alle Beiträge, zu denen dringend eingeladen wird und die auf
Verlangen angemessen honorirt werden, sind an unterzeichneten Verleger
zu senden.
Die Zeitschrift führte den Titel: »Kriegsgeschichtliche und
kriegswissenschaftliche Monographien aus der neuern Zeit seit dem
Jahre 1792«, und trat zur Ostermesse 1817 mit dem ersten Bande ins
Leben, worauf 1818 und 1819 ein zweiter und dritter Band folgten.
Mit dem dritten Bande hörte sie auf und war so kaum über die ersten
Anfänge hinausgekommen, wol theils durch die Schuld des Herausgebers
von Schlieben (der übrigens auf dem Werke nicht genannt ist), theils
wegen Mangels an geeigneten Beiträgen. Brockhaus schrieb darüber an den
Herausgeber:
Die Bücher haben wie die Menschen ihren Glücks- und Unglücksstern,
und alles Verdienst reicht da nicht aus. Aber es wäre im Kampf der
Bücher mit der Welt nicht weise, auf einer Idee zu beharren, wenn
das Publikum, für das man einmal schreibt und setzt und druckt, ein
Anathema ausspricht.
Ein werthvoller monographischer Beitrag zur Geschichte der Jahre 1813
und 1814 sind die »Briefe über Hamburgs und seiner Umgebungen Schicksale
während der Jahre 1813 und 1814. Geschrieben von einem Augenzeugen im
Sommer und Herbst 1814«, wovon 1815 zwei Hefte erschienen, denen 1816
noch ein drittes folgte. Der auf dem Titel nicht genannte »Augenzeuge«
war der Prediger Friedrich Gottlieb Crome (gest. 1850).
Ferner verlegte Brockhaus auch (1817) eine Biographie Wellington's unter
dem Titel: »Arthur, Herzog von Wellington. Sein Leben als Feldherr und
Staatsmann. Nach englischen Quellen, vorzüglich nach Elliot und Clarke,
bearbeitet und bis zum September 1816 fortgesetzt«; die Uebersetzung
war von Adolf Wagner angefertigt und dann von Professor Hasse revidirt
worden.
* * * * *
Betreffen die bisjetzt vorgeführten Werke theils die allgemeine
Zeitgeschichte und ihre Hauptpersonen, theils Ereignisse in Preußen
und Norddeutschland, so verlegte Brockhaus in der letzten Zeit seines
altenburger Aufenthalts auch zwei Geschichtswerke, die sich speciell mit
der Erhebung Oesterreichs gegen Frankreich im Jahre 1809 beschäftigen
und noch heute als die wichtigsten Quellen für die Geschichte dieses
Kampfes gelten, da sie von dem Haupturheber und eifrigsten Förderer
derselben, Joseph Freiherrn von Hormayr, selbst herrühren: seine
berühmten Werke über Andreas Hofer und über den Tirolerkrieg.
Hormayr war 1781 zu Innsbruck geboren, wurde 1803 Director des
Staatsarchivs in Wien und trat bald in nähere Beziehungen zu dem
Erzherzog Johann. Dieser war 1800 im Alter von 18 Jahren an die Spitze
des österreichischen Heeres gestellt worden und hatte seit dem Verluste
Tirols, das bekanntlich 1805 in dem Preßburger Frieden von Oesterreich
an Baiern abgetreten werden mußte, Alles darangesetzt, dieses Land für
Oesterreich zurückzugewinnen. Hormayr wurde von dem Erzherzog mit den
Vorbereitungen zu einem Aufstande Tirols beauftragt und wußte auch
die Insurgirung des Landes trefflich zu bewerkstelligen. Während der
Erzherzog das Heer von Innerösterreich befehligte, übernahm Hormayr die
Verwaltung des Landes. Als aber Tirol von den Oesterreichern wieder
geräumt werden mußte (erst 1814 kam es bleibend in Oesterreichs Besitz),
kehrte Hormayr nach Wien zurück und wurde 1816 zum Historiographen des
Reichs ernannt. Hier schrieb er jene beiden Werke. Später, nachdem
sein fürstlicher Gönner in Ungnade gefallen war, trat er in den
bairischen Staatsdienst über, wurde 1828 im Ministerium des Aeußern
in München angestellt, war dann bairischer Ministerresident, erst in
Hannover, zuletzt bei den Hansestädten, und wurde endlich Director des
Reichsarchivs in München, wo er am 5. November 1848 starb, nachdem er
noch die Wahl seines fürstlichen Gönners zum Deutschen Reichsverweser
erlebt hatte.
Das erste Werk (Ende 1816 mit der Jahreszahl 1817 erschienen) führt
den Titel: »Geschichte Andreas Hofer's, Sandwirths aus Passeyr,
Oberanführers der Tyroler im Kriege von 1809. Durchgehends aus
Original-Quellen, aus den militärischen Operations-Planen, sowie aus
den Papieren Hofer's, des Freyh. von Hormayr, Speckbacher's, Wörndle's,
Eisenstecken's, der Gebrüder Thalguter, des Kapuziners Joachim Haspinger
und vieler Anderer«; die zweite Auflage (1845 erschienen) führt
neben und vor jenem frühern noch den Titel: »Das Land Tyrol und der
Tyrolerkrieg von 1809.«
Das zweite Werk (1817 erschienen) heißt: »Das Heer von Inneröstreich
unter den Befehlen des Erzherzogs Johann im Kriege von 1809 in
Italien, Tyrol und Ungarn. Von einem Stabsoffizier des k. k.
Generalquartiermeister-Stabes eben dieser Armee; durchgehends aus den
officiellen Quellen, aus den erlassenen Befehlen, Operationsjournalen
u. s. w.«; eine zweite »durchaus umgearbeitete und sehr vermehrte«
Auflage erschien 1848, kurz vor des Verfassers Tode.
Auf keinem der beiden Werke war Hormayr als Verfasser genannt,
auf dem zweiten vielmehr »ein Stabsoffizier des k. k.
Generalquartiermeister-Stabes« der betreffenden Armee als solcher
bezeichnet, beiden aber ein officieller Charakter beigelegt.
Letzterer Umstand berührte in den Hofkreisen Wiens sehr unangenehm;
man war daselbst überhaupt mit diesen Veröffentlichungen ebenso wenig
einverstanden als mit dem Verhalten des Erzherzogs Johann in dem tiroler
Kriege. Ueber den Verfasser wurden die strengsten Untersuchungen
angestellt und zuerst die Biographie Hofer's, dann auch die Geschichte
des Feldzugs in Wien verboten.
Aus der Correspondenz zwischen Hormayr und Brockhaus geht übrigens
als zweifellos hervor, daß der eigentliche Verfasser oder wenigstens
Veranlasser beider Werke gar nicht Hormayr war, sondern Niemand anders
als der Erzherzog Johann selbst.
Die Correspondenz wurde mit äußerster Vorsicht geführt, die Briefe
wurden von Hormayr meist ohne Unterschrift gelassen, oft in dritter
Person geschrieben, an fremde Adressen gerichtet, Duplicate abgesandt
u. s. w. Hormayr, der mit Brockhaus auch sonst in literarischen
Beziehungen stand und von ihm besonders um Schritte gegen einen
Nachdruck des »Conversations-Lexikon« ersucht worden war, vertraute
unbedingt auf dessen Discretion, mahnte indeß in ihrem beiderseitigen
Interesse zur äußersten Vorsicht.
Am 26. April 1817 schrieb er aus Wien an Brockhaus:
.... Das Verbot gegen »Hofer« ist in ein paar Monaten ohnedies
zurückgenommen. Man schämt sich dessen bereits.
Tolleres und Unsinnigeres könnte aber nichts geschehen,
nichts könnte meine äußerst glücklichen Negociationen für das
»Conversations-Lexikon« und gegen dessen Nachdruck in Oesterreich
zerstörender und unheilbarer durchkreuzen, als wenn der übrigens
genialische Oken in seiner göttlichen und unübertrefflichen Grobheit
in der ohnehin äußerst verhaßten »Isis« etwas Anzügliches über das
Verbot »Hofer's« sagte und es dadurch erst recht bestärkte und
verewigte, zugleich aber auch Ihnen und Ihren Artikeln insgesammt eine
förmliche und systematische Verfolgung des Fürsten Metternich zuzöge,
welche unausbleiblich zu erwarten steht.
Brockhaus beruhigte ihn darüber und schrieb unter anderm auch: er werde
dem Erzherzog Johann bei der Sendung des neuen Werks die von diesem
bestellten weitern Exemplare des »Hofer« schicken.
Hormayr antwortete unterm 5. Juni 1817:
Der Erzherzog wünscht, daß die 10 Exemplare von »Hofer« nebst den
andern 20 nicht vergessen werden, wünscht übrigens, daß das Erscheinen
der Kriegsgeschichte noch um mehrere Wochen verzögert werde, wenn es
mit Ihrer übrigen Berechnung in Einklang zu bringen ist. Er vermuthet,
es seien auf indirecten schlauen Wegen aus Anlaß des Meßkatalogs schon
Anfragen bei Ihnen um dieses Manuscript (»Das Heer von Inneröstreich«)
geschehen, wünscht aber um so mehr strenge Verschwiegenheit, wie Sie
dazu gekommen, als er selbst und sein Generalquartiermeister Graf
Nugent, jetzt Generalissimus des Königs Ferdinand von Neapel, die
eigentlichen Verfasser davon sind.
Unser erhabener Freund läßt Sie avisiren, auf das Manuscript
und dessen schleunige Vertilgung bedacht zu sein, da nach einem
allerneuesten Beispiele A. M. einzelne Bogen zweier Manuscripte in
Ihrer Nähe stehlen ließ und hierher einsendete.
Mit A. M., von dem hier so Ehrenwerthes berichtet wird, war der
österreichische Diplomat und Schriftsteller Adam Müller gemeint, in den
Jahren 1815-1827 österreichischer Generalconsul in Leipzig. Geboren 1779
zu Berlin, war er von Gentz, der viel auf ihn hielt, nach Wien gezogen
worden und dort 1805 zum Katholicismus übergetreten; er wurde später
Hofrath im Ministerium des Auswärtigen in Wien und starb daselbst 1829.
Auch Adam Müller gehörte zu Brockhaus' Autoren, bis dieser von Hormayr
und Andern vor ihm gewarnt wurde und selbst Beweise erhielt, daß
diese Warnungen fast schon zu spät kamen. Er hatte von ihm 1816 eine
staatswirthschaftliche Schrift verlegt: »Versuche einer neuen Theorie
des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien«, und 1817 das
erste Heft eines auf 8-10 Hefte berechneten Sammelwerks unter dem
Titel: »Die Fortschritte der nationalökonomischen Wissenschaft in
England während des laufenden Jahrhunderts. Eine Sammlung deutscher
Uebersetzungen der seit dem Jahre 1801 bis jetzt erschienenen
bedeutendsten parlamentarischen Reports, Flug- und Streitschriften,
Recensionen u. s. w., welche zur Förderung und Berichtigung der
staatswirthschaftlichen Theorie beigetragen haben.« Adam Müller nannte
sich zwar nicht auf dem Titel, aber in der Einleitung als Herausgeber,
mit der Bemerkung, daß er durch seine amtliche Thätigkeit an der
Fortsetzung gehindert sei, die ein anderer Gelehrter übernehmen werde;
diese Fortsetzung erschien indeß nicht. Beide Schriften sollten
ursprünglich von Schaumburg in Wien verlegt werden, waren Brockhaus aber
noch vor ihrer Druckvollendung von dem Verfasser angetragen worden.
Müller arbeitete auch zuerst an den von Brockhaus herausgegebenen
»Zeitgenossen« mit und lieferte die dieses Werk eröffnende Biographie
Franz' I., Kaisers von Oesterreich, die auch in einer Separatausgabe
(1816) erschien.
Hormayr hatte schon unterm 20. August 1816 an Brockhaus geschrieben:
Adam Müller ist ein Agent der österreichischen geheimen Polizei. Wir
Beide sind überdies persönliche Feinde. Ich finde es in mehr als einer
Hinsicht nothwendig, diese lange versparte Warnung hier auszusprechen.
Nachdem er diese Warnung in der oben mitgetheilten verstärkten Weise
wiederholt hatte, fügt er am 10. October 1817 hinzu:
Sie glauben gar nicht, wie A. M. sich geschäftig macht, eine
Wichtigkeit erhaschen will, beinahe in jeder Buchhandlung seine Spione
hat und das Banner des Obscurantismus und des Preßzwanges recht hoch
aufwirft und recht laut predigt. Zuerst Jude, dann evangelisch, jetzt
intolerant katholisch, mit einer seinem Gastfreund und Wohlthäter in
Großpolen entführten Frau Vertheidiger der Unauflösbarkeit der Ehen,
früher ein Vordermann der _libérales_ und _constitutionnels_, jetzt
der Feldpater des Despotismus -- muß er allerdings viel Hochachtung
und viel Zutrauen auf seinen Charakter einflößen!
Am 22. October 1817 schrieb Hormayr weiter:
Was ist zu hoffen, wenn es einem boshaften Heuchler wie A. M.
gelingt, durch Wort und That so klar und schön bezeichnete
deutsche Männer, wie Sie und Perthes, als _libérales_, als
_ultra-constitutionnels_, als Girondisten auszuschreien und eine
Verfolgung gegen Sie zu provociren, nicht wegen des Inhalts dieser
oder jener Werke, sondern weil sie #bei Ihnen# erscheinen?
Inzwischen waren die Nachforschungen nach dem Verfasser der beiden
Hormayr'schen Werke fortgesetzt worden.
Böttiger fragte direct bei Brockhaus nach dem Namen des Verfassers
der Kriegsgeschichte, von dem österreichischen Gesandten in Dresden
wahrscheinlich gerade wegen seines nahen geschäftlichen und
freundschaftlichen Verhältnisses zu Brockhaus mit diesem delicaten
Auftrage betraut. Er schrieb an ihn unterm 24. October 1817 aus Dresden:
Wer ist der »Stabsoffizier vom Generalstabe«, der den »Krieg in
Inneröstreich vom Jahre 1809« in Ihrem Verlage nebst allen dazu
gehörigen Actenstücken herausgab? Können, dürfen Sie ihn nennen?
Ich gehe ehrlich zu Werke, wie sich's gegen den Freund ziemt ....
Das Buch hat auf den Kaiser selbst und seinen Alles vermögenden
Generaladjutanten einen sehr unangenehmen Eindruck gemacht, weil es
aus officiellen Quellen geschöpft, sehr authentisch, aber auch in
Erinnerung früherer Fehlgriffe und Fehlschlagungen sehr schmerzlich
ist. Fürst Metternich hat dem k. österreichischen Gesandten (in
Dresden) Graf Bombelles die dringendsten Aufträge zur Erforschung des
Verfassers ertheilt.
Obwol Böttiger im Weitern selbst eine Klage gegen Brockhaus als
wahrscheinlich hinstellt, wenn der Verfasser nicht genannt würde,
antwortete dieser unterm 29. October 1817 doch ablehnend und bat
Böttiger, auch dem Grafen Bombelles zu sagen, daß er über den wirklichen
Verfasser und Einsender des Manuscripts selbst nichts Sicheres wisse.
Er handelte dabei nach speciellen Instructionen des Erzherzogs Johann,
der ihn außerdem durch Hormayr wiederholt um strengste Discretion bitten
ließ.
Böttiger beruhigte sich dabei noch nicht, da er auch direct von Wien
aus, wo er wie allerwärts Verbindungen hatte, um Nachforschungen
angegangen wurde. In einem Briefe vom 9. November 1817 an Brockhaus sagt
er:
Unser (sächsischer) Legationsrath Griesinger in Wien schreibt mir,
daß sich bereits sämmtliche Offiziere des Generalstabes feierlichst
von der Autorschaft und der Einsendung des »Kriegs von Inneröstreich«
losgesagt hätten und daß man allgemein glaube, daß eine Civilperson
Urheber sei. (Man hält es auf Hormayr.) Der Kaiser will Alles
daransetzen, um den Urheber dieses Skandals zu erfahren.
In Wien wußte man gewiß schon längst, daß Hormayr der Verfasser oder
Einsender der Werke und der Erzherzog Johann dabei betheiligt sei,
wollte aber von dem Verleger das Eingeständniß davon erlangen.
Hormayr schreibt an Brockhaus unterm 16. November 1817:
In Wien sind wol über zehn Generale, denen der Erzherzog das
Manuscript selbst zu lesen gab, die also gar wohl wissen, daß er
selbst der Verfasser und nur Ein und Anderes aus andern Quellen
ergänzt ist. Meinen Stil, meine Darstellung darin zu erkennen, wäre
wahrhaftig ein wahres Kunststück.
In Betreff der Autorschaft der Kriegsgeschichte sagt Hormayr in einem
Briefe aus Brünn vom 28. August 1816 noch directer, daß sie »aus dem
Tagebuche und Operations-Journale des Erzherzogs Johann, damaligen
Commandirenden in Italien, genommen ist«.
Unangenehm war es Hormayr, daß gerade in derselben Zeit (1817), wo
man in Wien besonders wegen der Bemerkung auf dem Titel des Werks:
»Von einem Stabsoffizier u. s. w.« verletzt war, der preußische
Oberst Massenbach auf Requisition Preußens in Würtemberg verhaftet,
nach Küstrin gebracht und kriegsrechtlich zu einer vierzehnjährigen
Festungsstrafe verurtheilt wurde; es geschah dies, wie seinerzeit
mitgetheilt, nicht wegen seiner in den Jahren 1808 und 1809
bei Brockhaus erschienenen Werke, sondern wegen beabsichtigten
Landesverraths durch Bekanntmachung amtlicher Schriften, womit er
in einem Briefe an den König von Preußen gedroht hatte, falls ihm
gewisse Forderungen nicht gewährt würden. Die Analogie mit der hier
stattgehabten Veröffentlichung amtlicher Actenstücke lag nahe.
Hormayr schrieb in dieser Zeit an Brockhaus in einem von fremder Hand
abgefaßten Briefe ohne Datum und Unterschrift:
Ich soll Ihnen schleunigst im Namen des Prinzen melden, daß Fürst
Metternich, durch A. M. aufgestachelt, das bewußte Buch als Vorwand
gebrauchen wolle, den vermeintlichen Verfasser, der aber immer nur
Depositär jenes Manuscripts war, zum zweiten male zu stürzen und,
eingedenk Ihrer edeln Anhänglichkeit an die deutsche Sache, auch Ihnen
dabei einen Stoß zu geben. Vorderhand soll, wie man hört, der Titel
des Buchs als von einem Generalstabs-Offizier herrührend angegriffen
werden, in Analogie mit der eben jetzt ventilirten Massenbach'schen
Sache.
Die ganze Angelegenheit hatte übrigens weder für den Erzherzog Johann
und Hormayr, noch für Brockhaus weitere Folgen, und das Aufsehen,
welches sie erregt hatte, sowie das in Oesterreich erfolgte Verbot
beider Werke vermehrte nur den Absatz derselben selbst in Oesterreich,
wo damals ein solches Verbot die Verbreitung der davon betroffenen Werke
wol erschwerte, aber eher förderte als hinderte. Der Erzherzog Johann
ließ Brockhaus auch eine Entschädigung für den bei der Angelegenheit
gehabten Verlust anbieten, die dieser aber ablehnte.
* * * * *
Folgende Geschichtswerke wurden in dieser Zeit noch von Brockhaus
verlegt: Der erste Theil einer Sammlung von Essays des verdienten
Geschichtschreibers Karl Ludwig von Woltmann (geb. 1770, gest. 1817),
unter dem Titel: »Politische Blicke und Berichte« (1816), wozu
aber keine Fortsetzung erschien; zwei Monographien von Karl Georg
Treitschke, dem Verfasser einer früher erwähnten Broschüre, unter den
Titeln: »Geschichte der funfzehnjährigen Freiheit von Pisa«, und:
»Heinrich der Erste, König der Deutschen, und seine Gemahlin Mathilde«
(1814); »Historische Denkwürdigkeiten« (1817) von dem nassauischen
Historiker Johannes von Arnoldi (geb. 1751, gest. 1827); endlich zwei
Monographien des schon früher genannten theologischen und historischen
Schriftstellers Friedrich August Koethe: »Das Jahr 1715 oder wie's vor
hundert Jahren in der Welt aussah. Ein Erinnerungs- und Trost-Büchlein
für 1815«, und: »Historisches Taschenbuch auf das Jahr 1817. Enthaltend:
Das Jahr 1616 oder die Lage Europas vor dem Beginn des dreißigjährigen
Krieges.«
* * * * *
Endlich ist noch ein größeres zeitgeschichtliches, halb
journalistisches, halb encyklopädisches Unternehmen zu nennen, das,
wie die »Deutschen Blätter« den Anfang, so den Schluß der altenburger
Periode bildet; es führt den Titel: »Zeitgenossen. Biographien und
Charakteristiken.«
Dieses Unternehmen wurde von Brockhaus im Jahre 1816 begonnen und nicht
nur von ihm bis zu seinem Tode herausgegeben, sondern auch nachher noch
von seiner Firma viele Jahre lang (bis zum Jahre 1841) fortgeführt.
Es sollte hervorragende »Zeitgenossen«, noch lebende oder schon
verstorbene Männer, welche der mit dem Jahre 1789 beginnenden neuen
Zeitepoche angehörten und sich in irgendeiner Richtung ausgezeichnet, in
»Biographien und Charakteristiken« vorführen, sie »in einem Ehrentempel
vereinigen, der ihr Andenken erhält und ihre Thaten mit Freimüthigkeit
würdigt«. Das Werk fand lebhaften Beifall und große Verbreitung im
deutschen Publikum und hat anerkanntermaßen bleibenden Werth für die
Zeitgeschichte.
Ein näheres Eingehen auf die Art, wie es seine Aufgabe löste, auf den
Inhalt und die Mitarbeiter, wird besser der Schilderung der dritten
und letzten Periode von Brockhaus' Verlagsthätigkeit vorbehalten,
da das Werk wesentlich in diese, nur der Anfang in die frühere Zeit
fällt. Auch hängt Brockhaus' Beschäftigung mit diesem Werke eng
zusammen mit seiner in Leipzig noch mehr als in Altenburg und Amsterdam
hervortretenden Vorliebe für Herausgabe von Journalen, namentlich durch
Begründung des »Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur« (1819)
und durch Uebernahme des »Literarischen Wochenblatt« (1820), bald
darauf »Literarisches Conversationsblatt«, seit Mitte 1826 »Blätter für
literarische Unterhaltung« genannt, unter welchem Titel es noch jetzt
nach mehr als funfzigjährigem Erscheinen fortbesteht.
* * * * *
Aus ähnlichen Gründen wird auch die von Brockhaus dem Hauptwerke seines
Verlags, dem »Conversations-Lexikon«, in Altenburg gewidmete Thätigkeit,
obwol sie immer den eigentlichen Mittelpunkt seines Schaffens bildete,
bei Charakterisirung jener letzten Lebensepoche vorgeführt werden,
im Zusammenhange mit der während und schon vor derselben entfalteten
Wirksamkeit als Verleger und Herausgeber dieses Werks sowie mit den
Kämpfen gegen den mehrfach versuchten Nachdruck desselben und seinem
Auftreten für Regelung der deutschen Preßgesetzgebung.
Brockhaus begann und vollendete im wesentlichen während der altenburger
Zeit die als sein eigenstes Verdienst zu betrachtende Umarbeitung des
»Conversations-Lexikon«, durch welche dieses erst seinen eigentlichen
Charakter und diejenige Gestalt erhielt, in der es fähig wurde, auf die
Bildung seiner Zeit in eingreifender Weise Einfluß auszuüben und rasch
eine in der Geschichte des Buchhandels einzig dastehende Verbreitung
zu gewinnen. Die von ihm angekaufte erste Auflage (in 6 Bänden) war
in jeder Weise ungenügend gewesen und auch durch Nachträge dazu (in
2 Bänden) nur nothdürftig ergänzt worden. Im Jahre 1812 begann er in
Altenburg die Umarbeitung des Werks als zweite Auflage, vermochte sie
aber erst 1819 in Leipzig mit dem zehnten Bande zu Ende zu führen. An
der raschen Vollendung wurde er außer durch die Kriegsjahre besonders
durch den angenehmen Umstand gehindert, daß der lebhafte Absatz, den
das Werk fand, gleich nach Erscheinen der ersten vier Bände der zweiten
Auflage (1812-1814) eine dritte Auflage derselben (1814 und 1815)
nöthig machte, die dann neben der zweiten forterschien (1814-1819),
und daß er noch vor der Vollendung beider schon eine vierte Auflage
(1817-1819), unmittelbar darauf (1819) sogar eine fünfte Auflage (wieder
wie die zweite bis vierte in 10 Bänden) veranstalten mußte. Dies nur
zur Würdigung der von Brockhaus während der altenburger Zeit auf das
»Conversations-Lexikon« verwendeten Sorgfalt und der damit verbundenen
Mühe.
* * * * *
Der materielle Ertrag dieses seine kühnsten Erwartungen übersteigenden
Absatzes des »Conversations-Lexikon« lieferte zugleich die feste
Grundlage zu dem von ihm in Altenburg neu aufgeführten Gebäude, das nun
nicht mehr den Einsturz zu fürchten hatte, wenn es vom Wind und Wetter
wieder erschüttert werden sollte.
Aber freilich wurde dieses Gebäude bald zu klein für das, was allmählich
darin untergebracht worden war, und für das, was der nimmer rastende
Geist seines Gründers noch in ihm vereinigen wollte.
Ein Rückblick auf Brockhaus' Verlagsthätigkeit in dieser zweiten Periode
während der Jahre 1811-1817 in Altenburg läßt dieselbe als eine überaus
rege, geschickte und umfassende erscheinen, in noch höherm Grade als
die erste der Jahre 1805-1809 in Amsterdam und kaum in geringerm als
die darauffolgende in Leipzig. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen,
daß diese Zeit nur sechs bis sieben Jahre umfaßt und zu diesen die
Kriegsjahre 1813-1815 gehören, sowie daß er in Altenburg gewissermaßen
von vorn anfangen mußte, mit sehr geringen Mitteln, und erst nach und
nach durch die Früchte seiner Arbeit wieder in günstigere Verhältnisse
kam.
Schon oft hatte er empfunden, daß die kleine Stadt Altenburg für ein
Verlagsgeschäft von dem Umfange und der Bedeutung, zu der das seinige
sich rasch emporgeschwungen, nicht der geeignete Platz war. Alle dort
bei seinem Freunde Pierer vorhandenen Pressen waren trotz fortwährender
Vermehrung nicht im Stande gewesen, den Druck der immer steigenden
Auflagen seines »Conversations-Lexikon« zu bewältigen; er hatte es auch
in Leipzig, in Braunschweig und anderwärts drucken lassen müssen. Immer
mehr sah er ein, daß er eine eigene Druckerei errichten müsse, um die
aus dieser Noth entspringenden Verlegenheiten gründlich zu beseitigen.
Aber auch für den buchhändlerischen Verkehr war Altenburg trotz seiner
Nähe bei Leipzig nicht ausreichend. Endlich wollte ihm selbst das
literarische und gesellige Leben Altenburgs, das ihn im Gegensatz zu
Amsterdam zuerst so angezogen hatte, auf die Dauer nicht mehr genügen;
seine fortwährend sich erweiternden literarischen Beziehungen und die
neuen buchhändlerischen Unternehmungen, die er beabsichtigte, verlangten
einen größern Schauplatz.
Nur #eine# Stadt war in Deutschland, die allen seinen Anforderungen zu
genügen versprach: Leipzig, der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels,
die lebhafte Handelsstadt, der Sitz einer Universität und eines regen
geistigen Verkehrs. Er kam bald zu der Ansicht, daß diese und keine
andere Stadt der allein geeignete Platz für seine Firma sei, wie sie
geworden war und wie sie werden sollte.
Er brachte den wichtigen Entschluß indeß nicht rasch zur Ausführung und
zog vorsichtigerweise Ostern 1817 allein nach Leipzig; erst als sich in
ihm die Ueberzeugung befestigt hatte, daß der Schritt ein richtiger sei,
nahm er allmählich die Uebersiedelung auch seines Geschäfts und seiner
Familie vor.
* * * * *
In Leipzig lebte und wirkte Brockhaus bis an seinen Tod, der freilich
früher eintrat, als er geahnt haben mochte: am 20. August 1823, also
schon im siebenten Jahre seit dem Verlassen Altenburgs.
So wurde Leipzig doch, wie er schon in Amsterdam gewollt hatte, der
Hafen, in welchem sein Lebensschiff, nach mancher stürmischen Fahrt
und nachdem ihn widrige Winde vor Jahren daraus vertrieben hatten, vor
Anker ging. Zugleich wurde es aber die bleibende Stätte der von ihm
gegründeten Firma, auf welcher diese sich im Laufe des auf seinen Tod
folgenden halben Jahrhunderts nach dem genialen Plane ihres Begründers
und doch in einer Weise entwickelte, wie er selbst es wol kaum zu hoffen
gewagt hatte.
Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Fußnoten
[1] In Heppe's Werke: »Zur Geschichte der evangelischen Kirche
Rheinlands und Westfalens« (2 Bände, Iserlohn 1867-70), II, 32.
[2] Vgl. Rotermund's »Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation
in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrenen Bremern, die
in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten« (Theil 1, Bremen 1818).
[3] Heppe in seinem bereits genannten Werke, II, 462.
[4] Wol absichtlich für _adorabile_ aus Erbitterung gegen das
katholische Unwesen.
[5] Der Stock, an dem der Klingelbeutel befestigt ist.
[6] Dieses Buch befindet sich im Besitze des Buchhändlers Friedrich
Volckmar in Leipzig, dessen Mutter, Johanna Justina, die jüngste
Tochter des Pastors Melchior war; sie hat später ebenfalls mehrere
interessante biographische Notizen eingetragen.
[7] Diese (nicht in den Buchhandel gekommene) Schrift führt den Titel:
»Sammlung von eilf Actenstücken über und aus der Proceß-Sache des
Herrn G. W. Hiltrop in Dortmund gegen die ehemalige Firma Brockhaus
und Mallinckrodt ebendaselbst, oder jetzt gegen den Buchhändler
Brockhaus in Leipzig. Als Manuscript gedruckt. 1. July 1822«
(4. VIII, 158 S.). Später ausgegebenen Exemplaren ist noch ein
zwölftes Actenstück vom 22. September 1822 (4 S.) beigefügt; noch
später ist ein dreizehntes, ohne diese Ziffer und ohne Datum,
gedruckt worden (18 S.).
Ein Theil dieser Schrift war von Brockhaus schon früher (wol
1805) ausgegeben worden und Hiltrop veröffentlichte eine Antwort
darauf unter dem Titel: »Nähere Erklärung und geschichtliche
Darstellung des Processes in Sachen G. W. Hiltrop gegen die Firma
von Brockhaus und Mallinckrodt. Ueber die von dem ersten an S. M.
Bethmann in London remittirte und von den letzteren in Empfang
genommene 1800 £ Sterling. Erster Theil. Dortmund 1806« (8. 128 S.).
Ein zweiter Theil nebst den im ersten versprochenen Actenstücken ist
unsers Wissens nicht gedruckt worden.
[8] Diese Angabe ist ein seltsamer Irrthum, da Brockhaus nach dem
dortmunder Kirchenbuche am 4. Mai 1772, nicht 1774, geboren ist. An
dieser Selbsttäuschung scheint er auch später festgehalten zu haben,
wie aus gelegentlichen Aeußerungen in seinen Briefen hervorgeht, und
daraus erklärt sich auch, daß auf seinem Leichensteine ebenfalls
diese falsche Jahreszahl angegeben war.
[9] Auch diese Angabe ist eine irrthümliche und beruht auf der Annahme,
daß er 1774 statt 1772 geboren sei; er war damals (30. September
1798) 26, seine Frau 20 Jahre alt.
[10] Er behielt diese Firma auch später noch, in Leipzig und Altenburg,
bei, sodaß sie auf den Verlagsartikeln bis 1814 abwechselnd mit
den drei Städtenamen Amsterdam, Leipzig und Altenburg erscheint,
bis er von 1814 an blos F. A. Brockhaus firmirte, zuerst Altenburg
oder Leipzig, von 1817 an blos Leipzig als Verlagsort angebend.
[11] Jener frühere Brief ist nicht mehr vorhanden; es hätte sich aus
demselben der genauere Zeitpunkt ergeben, von welchem an ihn die
Idee, eine Buchhandlung zu errichten, beschäftigte.
[12] Auch diese hier in Aussicht gestellte spätere Mittheilung findet
sich nicht vor und ist vielleicht gar nicht erfolgt. Ebenso wenig
hat sich der dem Großpensionär Schimmelpenninck vorgelegte »Plan«
des neuen Etablissements auffinden lassen.
[13] Unter Bezugnahme auf diese Correspondenz übersandte Brockhaus
einige Wochen später demselben Hause sein Circular mit einer
Nachschrift, und diesem Umstande verdankt die Firma F. A. Brockhaus
das ihr von jenem Hause freundlich überlassene einzige Exemplar
ihres Begründungscirculars. Sie erhielt dasselbe im Jahre 1856,
aus Anlaß ihres am 13. und 14. Juli jenes Jahres gefeierten
funfzigjährigen Jubiläums, das somit schon am 15. October 1855
hätte begangen werden können.
[14] Gubitz hatte sich von seiner ersten Jugend an mit großem Eifer
der Holzschneidekunst gewidmet, um deren Wiederbelebung und
Vervollkommnung in Deutschland er sich bekanntlich große Verdienste
erworben hat. Ueber die hier erwähnten Anfeindungen theilt sein
Memoirenwerk: »Erlebnisse von F. W. Gubitz. Nach Erinnerungen und
Aufzeichnungen« (3 Bände, Berlin 1868-69), I, 79 fg., Näheres mit.
[15] Hiernach ist also Brockhaus im October 1795 (der »berühmte XIII.
Vendémiaire« ist der des Jahres IV, 5. October 1795, an welchem
der Aufstand der pariser Sectionen oder der Nationalgarde gegen
den Nationalconvent stattfand) in Paris gewesen, kurz vor oder
nach seiner ersten Etablirung in Dortmund.
[16] Letzteres Werk, »Gemälde von Valencia« von Christian August
Fischer, erschien 1803 in Leipzig; die übrigen Namen sind
Titel Cramer'scher Uebersetzungen: »Bardiete« ist Klopstock's
»Hermannsschlacht«; »Die Tempelherren« heißt ein Trauerspiel
von Raynouard.
[17] Dies ist der Name, mit welchem Cramer stets in seinem Werke
Brockhaus bezeichnet; die Anwendung derartiger erfundener Namen
statt der wirklichen war damals vielfach Sitte und eine specielle
Liebhaberei Cramer's. Die oben angewendeten Punkte sind ebenfalls
in dem Werke selbst gebraucht.
[18] Das hier weggelassene Wort enthielt schwerlich einen Namen,
da Brockhaus in Amsterdam keinen Associé seines kaufmännischen
Geschäfts hatte; es ist wol »Glück« oder ein ähnliches Wort
absichtlich weggelassen.
[19] Hier ist von Cramer, als für den vorliegenden Fall unwichtig,
wol ausgelassen: »französische Leser«; es ist damit jedenfalls
die französische Zeitschrift »_Le Conservateur_« gemeint, von
der später die Rede sein wird.
[20] So nennt, wie schon bemerkt, Cramer seinen Freund Brockhaus stets
in den »Individualitäten«.
[21] Der frühere Associé von Brockhaus.
[22] Wiederholt sei bemerkt, daß derartige Auslassungen einzelner Worte
von Cramer selbst herrühren.
[23] Diese und die folgenden Notizen sind meist einer kleinen Abhandlung
des 1859 verstorbenen verdienstvollen Geschichtschreibers und
Publicisten Professor Christian Friedrich Wurm in Hamburg entnommen,
die unter dem Titel: »Beiträge zur Geschichte der Hansestädte in
den Jahren 1806-1814. Aus den nachgelassenen Papieren von Carl
von Villers«, in einem 1845 gedruckten Lectionsverzeichniß des
Hamburgischen Akademischen Gymnasiums enthalten ist.
[24] Es sei hier bemerkt, daß diese patriotischen Klagen Wurm's im Jahre
1845 erhoben wurden.
[25] Auch in Amsterdam, wie bereits erwähnt.
[26] Vgl. über ihn W. von Bippen: »Charles von Villers und seine
deutschen Bestrebungen«, in den »Preußischen Jahrbüchern«,
herausgegeben von H. von Treitschke und W. Wehrenpfennig (27.
Band, 3. Heft, Berlin 1871). Dieser interessante und werthvolle
Essay macht den dankenswerthen Versuch, »die Erinnerung an einen
Mann wieder zu erwecken, der, ein geborener Franzose, einst von
vielen der Besten unsers Volks geachtet, von manchen geliebt, der
Ehrenbürger einer deutschen Stadt, jetzt fast der Vergessenheit
anheimgefallen ist«. Wir verfolgten mit obiger Darstellung (die
#vor# dem Erscheinen jenes Aufsatzes geschrieben wurde) den
gleichen Zweck, und so möge es uns gestattet sein, hier den Wunsch
und die Hoffnung auszusprechen, daß der dazu gewiß vorzugsweise
geeignete und berufene Verfasser jenes Aufsatzes auf Grund des auf
der hamburger Stadtbibliothek befindlichen und dieser von Dorothea
Rodde geschenkten literarischen Nachlasses ihres Freundes dem
deutschen Volke ein Lebensbild von Charles von Villers liefern
möge, das in der gegenwärtigen Zeit doppelt willkommen sein würde.
[27] Den Rest seines frühern kaufmännischen Geschäfts.
[28] Dieses damals großes Aufsehen erregende Werk, dessen weiterer Titel
lautet: »seit dem Tode Friedrich's II.«, erschien 1807 anonym und
war von dem vielgenannten Kriegsrath von Cölln verfaßt (geb. 1766,
gest. 1820), der nach den für Preußen so traurigen Ereignissen
von 1806 die preußische Verwaltung heftig angriff, deshalb 1808
in Untersuchung gezogen, später aber im Bureau des Staatskanzlers
Hardenberg angestellt wurde. Die Schrift trägt die bekannte
pseudonyme Firma »Peter Hammer« mit dem Verlagsort »Köln und
Amsterdam«. Nach Obigem und nach andern Mittheilungen war Brockhaus
jedenfalls bei dem Verlage derselben betheiligt, obwol sie in
keinem seiner Verlagsberichte aufgeführt ist; in Heinsius'
»Bücher-Lexikon« ist sein damaliger Commissionär in Leipzig,
Heinrich Gräff, als Verleger genannt.
[29] Der früher erwähnte Pastor Adolf Heinrich Brockhaus in Meyerich bei
Welver.
[30] Ihre an den Kaufmann W. Rittershaus in Dortmund verheirathete
älteste Schwester.
[31] Nicht der Buchdrucker Friedrich Richter, von dem Brockhaus das
»Conversations-Lexikon« gekauft hatte, sondern ein leipziger
Bankier.
[32] Das Taschenbuch »Urania«.
[33] Brockhaus' an Fauriel gerichtete Briefe sind nach des Letztern Tode
in den Besitz der mit ihm näher befreundeten geistvollen Gemahlin
des berühmten Orientalisten Julius von Mohl in Paris übergegangen
und von derselben uns freundlichst zur Einsicht und Benutzung
überlassen worden; zu bedauern ist, daß die Antworten Fauriel's
nicht gleichfalls erhalten sind.
[34] Dieser Brief von Brockhaus an Baggesen scheint leider gleich ihrer
gesammten Correspondenz nicht erhalten zu sein; sollte letztere
oder wenigstens ein Theil derselben sich noch irgendwo vorfinden,
so würden wir für eine Notiz darüber sehr dankbar sein.
[35] Sprengel's »_Historia rei herbariae_«.
[36] Brockhaus' damaliger Commissionär in Leipzig.
[37] Wol Reichardt's schon erwähnte »Vertraute Briefe, geschrieben auf
einer Reise nach Wien und den Oesterreichischen Staaten &c.«
(Amsterdam 1810). Ein früher von Brockhaus verlegtes Werk
Reichardt's ist uns allerdings nicht bekannt; seine »Briefe
eines reisenden Nordländers« erschienen erst Ende 1811 mit der
Jahreszahl 1812.
[38] Ein 1783 in Zürich erschienenes, angeblich aus dem Französischen
übersetztes Werk »Briefe eines reisenden Franzosen über
Deutschland«, von Kaspar Risbeck.
[39] Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, elfter Abschnitt (dritte
Auflage, Th. 2, S. 38 fg., Leipzig 1871).
[40] Veit Hans Schnorr von Karolsfeld, der damals in Leipzig lebte und
mit Brockhaus wie mit der Hofräthin Spazier befreundet war, der
Vater von Julius Schnorr von Karolsfeld, seit 1816 Director der
leipziger Zeichenakademie, als welcher er 1841 starb.
[41] Thomas Willis, berühmter englischer Arzt, geb. 1621, gest. 1675.
[42] Wir verdanken diese Briefe von Jean Paul und dessen Frau
sowie einige andere Mittheilungen der Güte des bekannten
Kunstschriftstellers Ernst Förster in München, des Schwiegersohns
Jean Paul's. Er durchforschte auf unsere Bitte zu diesem Zweck
nochmals Jean Paul's schriftlichen Nachlaß, um dessen Herausgabe
er sich bekanntlich besonders verdient gemacht hat; wir nennen
namentlich das interessante Werk: »Denkwürdigkeiten aus dem Leben
von Jean Paul Friedrich Richter« (4 Bände, München 1863), das er
zu Jean Paul's hundertjährigem Geburtstage (21. März 1863)
veröffentlichte.
[43] Diese Uebersetzung erschien unter ihrem Namen 1812 in Brockhaus'
Verlage mit folgender eigenthümlichen Bezeichnung des Verlagsorts:
»Leipzig, im Kunst- und Industrie-Comptoir aus Amsterdam«, während
gleichzeitige und spätere Verlagswerke meist »Altenburg« oder
»Altenburg und Leipzig« als Verlagsorte nennen.
[44] Von Joseph von Lucenay im »Neuen Nekrolog der Deutschen«, dritter
Jahrgang, 1825, S. 1370 (Ilmenau 1827).
[45] Sein damaliger Commissionär in Leipzig.
[46] Baron Meinau heißt bekanntlich der Menschenfeind in August
von Kotzebue's zuerst 1789 erschienenem und damals sehr populärem
Schauspiele: »Menschenhaß und Reue«.
[47] Ein Aufsatz von Spiritus Asper (Ferdinand Hempel). »Fragment einer
Reise um den Tisch« in der »Urania« für 1812.
[48] Hofadvocat Anton Scholber in Altenburg, den Brockhaus in einem
andern Briefe seinen »intimsten Freund und einen ganz vortrefflichen
Menschen« nennt.
[49] Der Verfasser kann es sich nicht versagen, bei dieser Gelegenheit
einen an ihn gerichteten poetischen Brief Rückert's mitzutheilen,
der sich auf diese Gedichte bezieht, zu denen er durch Uebersendung
einer Nummer der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« (in welcher der
Sänger der Freiheitskriege zu einem Aufrufe an das deutsche Volk
für die Sache Schleswig-Holsteins aufgefordert wurde) überhaupt
den ersten Anstoß gegeben.
Er frug nach Empfang des Manuscripts bei dem Dichter an: ob
»Schleswig-Holstein« in dieser allgemein üblichen Schreibweise oder
so, wie es Rückert geschrieben hatte: »Schleswigholstein«, gedruckt
werden solle. Darauf erfolgte unterm 3. December 1863 nachstehende
charakteristische Antwort:
»Also sind wir handelseins, das freut mich. Nur
Schleswigholstein lassen Sie ungetrennt, wenn Sie es nicht schon
getrennt haben und die Wiedervereinigung zu viel Zeit raubt.«
Schleswigholstein schreib' ich,
und dabei verbleib' ich
Trotz Erinnerung,
Daß sie's anders treiben,
Schleswig-Holstein schreiben,
Schreiber alt und jung.
Eine schwach' Erfindung
Scheint mir die Verbindung
Durch ein Strichelein;
Sondern unauflöslich
Sollen sie und böslich
Nie zu trennen sein.
[50] So schreibt sie selbst die beiden Namen in einem uns vorliegenden
Briefe mit der ausdrücklichen Bemerkung: »nicht Hellvig und Imhof«,
wie dieselben meist und selbst auf ihren Werken gedruckt sind.
[51] Das Original dieses Briefs wie mehrerer anderer von Brockhaus
an Villers gerichteter Briefe, die wir später mittheilen, befindet
sich unter dem früher (S. 91) erwähnten literarischen Nachlasse
des Letztern auf der hamburger Stadtbibliothek; durch gütige
Vermittelung des Syndikus _Dr._ Geffken wurde dem Verfasser
Abschrift und Benutzung dieser Briefe gestattet.
[52] Ein Privatbrief, den Bankier Reichenbach in Altenburg aus Leipzig
erhalten hatte.
[53] Der Fuhrmann zwischen Leipzig und Altenburg.
[54] Wahrscheinlich war nicht der Orientalist: Ignaz, Freiherr von
Stürmer, damals in Leipzig, sondern einer seiner beiden Söhne,
Bartholomäus (später auch Internuntius bei der Pforte) oder Karl
(später Feldmarschalllieutenant).
[55] Eine im Juni 1814 anonym erschienene Broschüre gegen Napoleon, die,
wie hieraus hervorgeht, von Charles von Villers und Professor
Friedrich Jakob Christoph Saalfeld in Göttingen gemeinsam verfaßt
war.
[56] Von dieser Broschüre August Wilhelm von Schlegel's ist in
Verbindung mit andern von Brockhaus verlegten Zeitbroschüren
später die Rede.
[57] Die seit 21. Mai 1811 sonst vollständig vorhandenen Copirbücher der
Firma haben leider eine unerklärliche Lücke zwischen 2. Juli 1813
und 12. October 1815, wodurch uns viele wichtige Briefe entgangen
sind.
[58] Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Friedrich von Raumer.
Neue Folge. Siebenter und achter Jahrgang (1846 und 1847).
Anmerkungen zur Transkription
Im Original kursiv gesetzter Text wurde mit ~ markiert. Im Original
fett gesetzter Text wurde mit = markiert. Im Original gesperrt
gesetzter Text wurde mit # markiert. Text, der im Original nicht
in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt war, wurde mit _ markiert,
außer bei römischen Ziffern, wie in Karl XII. Im Original hoch
gestellte Zeichen wurden mit einem vorangestellten ^ markiert, bei
mehreren hoch gestellten Zeichen wurden diese zusätzlich mit {...}
umschlossen.
Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden übernommen, auch dort, wo
mehrere verschiedene Schreibweisen eines Wortes benutzt wurden, wie
'wol' und 'wohl'.
Auf Seite 235 war der Tag der Ankunft von Brockhaus in Münster
unleserlich. Hier wurde der 3. eingesetzt, da dies der einzig
plausible Wert ist.
End of the Project Gutenberg EBook of Friedrich Arnold Brockhaus - Erster
Theil, by Heinrich Eduard Brockhaus
*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FRIEDRICH ARNOLD BROCKHAUS - ERSTER THEIL ***
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and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
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The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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information can be found at the Foundation's web site and official
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Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation
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spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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