Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen

By Bjørnstjerne Bjørnson

The Project Gutenberg EBook of Briefe aus Aulestad an seine Tochter
Bergliot Ibsen, by Bjørnstjerne Bjørnson

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Title: Briefe aus Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen

Author: Bjørnstjerne Bjørnson

Editor: Bergliot Ibsen

Release Date: August 17, 2015 [EBook #49722]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE AUS AULESTAD AN SEINE ***




Produced by Jana Srna, Jens Sadowski, and the Online
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                        Björnstjerne Björnson




                         Briefe aus Aulestad
                           an seine Tochter
                            Bergliot Ibsen


                                 1911
                     S. Fischer / Verlag / Berlin

                       Autorisierte Übertragung
                       Alle Rechte vorbehalten
              Copyright 1911 S. Fischer, Verlag, Berlin




                               Vorwort


Der größte Teil dieser Briefe ist in den Jahren 1887 bis 1890
geschrieben. Der Zeitraum ist kurz, aber gerade aus diesem Grunde
verstärkt sich der Gesamteindruck. Als ich sie von neuem durchlas,
überraschte es mich, welch ein lebendiges Bild sie von all dem geben,
was damals B. B.'s Gemüt und Gedanken beschäftigt hat. Und deshalb
entschloß ich mich, sie wenigstens einem engeren Kreise zugänglich zu
machen.

Die Sammlung schließt mit einer kleineren Zahl von Briefen ab, die aus
späterer Zeit stammen. Sie wurden aufgenommen, weil sie in gewissen
Beziehungen die Selbstschilderung der früheren Periode vervollständigen.

                   *       *       *       *       *

Obige Zeilen waren das Vorwort zu einer Ausgabe, die nur in fünfzig
Exemplaren als Manuskript in Norwegen gedruckt wurde. Gleich nachdem
diese Exemplare verteilt waren, ergingen sowohl von privater Seite wie
durch die Presse eindringliche Aufforderungen an mich, die Briefsammlung
öffentlich erscheinen zu lassen. Das tue ich hiermit, nachdem ich einige
wenige, aber notwendige Streichungen vorgenommen habe.

                                                                 B. I.




                                               Aulestad, 8. Juni 1887.


Liebe, liebe Bergliot, als Mutter aus Deinem Briefe vorlas, Du hättest
bei der Nachricht, daß mir mein Dichtersold entzogen sei, stundenlang
weinen müssen, da konnt' auch ich die Tränen nicht zurückhalten. Ich sah
Dich vor mir, wie Du weich und bewegt bist; ich liebe Dein Gemüt an Dir,
Bergliot, und bin stolz darauf, daß Du mich verstehst. Dank Dir für Dein
Mitgefühl; Du kannst mir glauben, es hat mir wohlgetan. Ich mußte nach
meiner Pflicht handeln; denn diese schlechten Menschen gingen darauf
aus, mir ebenso zu schaden wie Kielland. Ich gebrauche nicht gern das
Wort »schlecht«; aber hier darf ich es ohne Bedenken.

Dann waren Mutter und ich lebhaft berührt von Deiner schrecklichen Angst
vor einer Untersuchung. Wir fühlen Dir nach, daß es ganz furchtbar ist.
Aber wenn es sein muß, muß es eben sein. Ich freue mich mächtig auf den
Tag, da Du wieder von Gesundheit und Mut strotzen wirst; so warst Du,
ehe diese Sache anfing, und Du mußt wieder die alte werden. Damit ist
die Schamhaftigkeit und Vorsicht durchaus vereinbar, von der das
Seelenleben einer so unverdorbenen Natur, wie Deiner, beherrscht wird.

Du bist von allen unsern Kindern die vollste und _einheitlichste_ Natur.
Daher bist Du unter ihnen auch _das Kind_, um das ich mir die wenigste
Sorge zu machen brauche. Versuche nun, von der Gesellschaft, in der Du
lebst, zu lernen; sie sind so gemessen in ihren Empfindungen und Ideen;
es läßt sich so friedlich und gut mit ihnen leben. Grüße alle aufs
herzlichste. Hast Du auch nicht vergessen, Hegel zu bitten, die Büste
von mir, die Runeberg auf die Ausstellung nach Kopenhagen geschickt hat,
an meine Mutter nach Kristiania zu senden? -- Runebergs sind jetzt auf
ein paar Tage in Kopenhagen. Sie reisen nach Finnland.

Hier ist es unglaublich schön in diesen Tagen, durchaus nicht zu warm.
Geht es _Dir_ gut? Sobald Du untersucht bist, mußt Du schreiben!

Entsinnst Du Dich der Longworthy-Geschichte, die ich Euch aus England
erzählte? Von dem Menschen, der ein junges Mädchen in Belgien heiratete
und recht gut wußte, daß kirchliche Trauung nicht genügend war? Und sie
später nicht mehr kennen wollte? Nun, er hat jetzt geantwortet (er lebt
in Buenos-Aires, Südamerika), und diese Antwort ist vernichtender für
ihn als irgend etwas, was die Frau selbst gesagt oder durch Zeugen vor
Gericht bekundet hat. _Solch ein ausgemachter Schurke!_ -- Hast Du
meinen Aufsatz über Rußland gelesen? Oder soll ich ihn Dir schicken? Du
liest »Verdens Gang« jetzt wohl nicht? Es ist ein Brief an Dich aus
Kopenhagen gekommen; sollte mich wundern, wenn er nicht vom kleinen
Höffding wäre? Du solltest es so einrichten, daß Du so lange wie möglich
in Hamburg bleibst, der Sprache wegen. Und solltest eigentlich schon
jetzt deutsch lernen. -- Ist es nicht drollig, daß Thommessen »Verdens
Gang« gekauft hat, so daß er nun die Hälfte besitzt und zwei andere
Freunde je ein Viertel, und nun soll es eine Tageszeitung werden. -- Du
weißt wohl, daß auch Garborg den Staatsrevisor-Posten verloren hat? Wir
sind also nun drei norwegische Dichter, denen man das Geld wegnimmt,
weil wir nicht dieselben Ansichten haben wie die Majorität. -- Ja, leb'
wohl, liebe, süße Bergliot! Wir wissen, Du machst uns nur Ehre, wo Du
auch bist, und Du wirst heimkehren mit ungeteiltem Herzen für Heimat und
Eltern! Dein Dir innig zugetaner Freund _Vater_.

                                                     Dein Björnst. Bj.




                                                    11. Dezember 1887.


Liebe, liebe Bergliot, innigen Dank für den Brief; worüber ich mich am
meisten gefreut habe, war natürlich, daß Du selbst gutes Mutes bist und
an Dich selber glaubst. Da kannst Du sehen, wie recht ich hatte, als ich
meinte, Du müßtest wieder sicherer werden und Dich sicherer fühlen im
Gesang, dies sei der Weg für Dich, um ruhigen, guten Mut zu schöpfen. --
Ja, ich freute mich so hierüber, daß ich nicht so viel Gewicht, als ich
vielleicht gesollt hätte, auf den Umstand legte, daß Du Dich bei Deiner
Dame nicht wohlfühlst. Liebes Kind, scher' Dich den Teufel um die
Person; setzt sie Dir zu oder kannst Du Dich nicht satt essen, so geh
_sofort_ weg. Du bist Dein eigner Herr. Wenn man sich wohl fühlen will,
so ist es durchaus notwendig, daß man es zu Hause behaglich hat, und
selbst wenn Dich Dein Aufenthalt weit mehr kosten sollte, als jetzt, --
lieber das, als wenn Du Dich ärgern mußt oder kaum wagst, Dich satt zu
essen!

Vergiß das nicht!

Ich möchte Dich so gern einmal hier auf der Hochschule haben; es ist die
beste des Nordens, und Schröders sind unsre Freunde von alters her.
Liebste, Du solltest die Mädchen turnen sehen! Das wäre was für Dich, --
_etwas, um ganz und gar gesund zu werden_. Doch davon ein andermal.

Ich habe nun 9000 Kronen Schulden bezahlt und werde noch mehr abzahlen.
Dann haben wir Ruhe. Zu Weihnachten in Kristiania (bei Björns, die sich
rasend freuen), und dann zurück nach Schweden, und aller
Wahrscheinlichkeit nach auch noch nach Finnland. Eine schwere Tournee,
eine große, große Anstrengung, über die ich allein durch Mutters immer
wache Pflege hinwegkomme. Dies in aller Eile. Wieder weiter!

                                                    Dein Freund Vater.

Grüße die lieben Heides und Cavlings und Kiellands und Runebergs, und
danke letzteren für die Briefe!




                                             Aulestad, 6. Januar 1888.


Liebe Bergliot, Du müßtest Mutter mit Deiner Büste herumziehen sehen,
aus und ein, wie sie die verschiedensten Standorte, jede Art Beleuchtung
ausprobiert; dann die Treppe damit hinauf, vor den Spiegel, wo die Büste
eine Weile stehen bleibt, dann zu mir herein, damit sie nicht entzwei
gehen soll. Heute wieder von da weg -- ich weiß noch nicht, wohin.
Vermutlich endigt sie vor dem Spiegel im Korridor auf einem eigens dazu
angefertigten Sockel. -- Sie ist fein, die Ähnlichkeit in einem Teil des
Geistigen sicher getroffen; aber das Ganze gewissermaßen _verkleinert_;
besonders die Unterpartie. Immerhin, -- nur ein echter Künstler konnte
sie modellieren. Es ist ganz famos, daß wir sie haben. Danke ihm
vielmals, und innigen Dank Dir, die sie uns geschenkt hat. -- Was Du
über Arve schreibst, freut uns; ich wußte, er würde ein großer Meister
werden. Ich habe sofort den Vater gebeten, ein Darlehen für Arves
Rechnung aufzunehmen; sie muß so groß sein, wie der Junge wünscht! In
zwei Jahren muß er es selbst übernehmen können. -- Und es freut mich in
jedem neuen Brief zu lesen, daß Du Dich mit Deiner Kunst verheiratet
hast, daß eine Fertigkeit nach der andern aus Deinem gewissenhaften
Fleiß im Zusammenleben mit ihr geboren wird. Dieses innige Zusammenleben
ist notwendig. Besonders für Dich; denn es liegt _kein_, absolut _kein_
Erbe von Virtuosität in Dir. Unsere Familie hat _diese_ erarbeitete Gabe
nicht; so daß, falls Du sie erlangst, es allein geschehen kann durch
eine Energie und einen Fleiß, der seinesgleichen in der Familie nicht
gehabt hat. Ohne das geht es nie und nimmer. Und wenn Du auch Deine vier
(oder viereinhalb) Jahre lang singst, Du wirst sehen, Du mußt trotzdem
noch immer weitermachen. Du mußt _das_ schwer erringen, Zoll für Zoll,
was andere leicht nehmen wie im Spiel. Denn Du hast kein Erbe, das Dir
als Sprungbrett dient. Daß Du bereits _so_ viel erreicht hast, muß Dich
aufmuntern, immer weiter zu gehen! Und mit derselben treuen
_Behutsamkeit_; -- die darfst Du niemals außer acht lassen.

Ja, ich bin so glücklich über Deine Fortschritte und Dein Glücksgefühl,
daß Du Dich ihrer selbst bewußt bist, -- ja, das ist gegenwärtig mein
liebster Gedanke. -- Hast Du Darwin, 7. und 8. Heft gelesen? Das ist das
Herrlichste in seiner Art. Stell' Dir vor, -- Einblick zu gewinnen in
die Werkstatt eines so bahnbrechenden, so großen Werks, wie es der
»Ursprung der Arten« ist, eines Werks, das umwälzend gewirkt hat auf das
Gedankenleben der Menschen! Ich lese auch sonst viele herrliche Dinge
gegenwärtig. Und sammle Leute um mich zum Vorlesen. -- Die Politik
ärgert mich gewaltig; ich mag nichts über sie schreiben. Aber hier ist
ein Keimen in der Luft; die Norweger sackt keiner ein!

                                                    Dein Freund Vater.






Ich kann mir kein rechtes Bild von den Leuten machen, in deren Haus Du
bist; ich muß Dich mir hinter langen Gardinen in einem leeren Zimmer
denken, wo Kohlen im Kamin glimmen, und sehe nur Schatten an Dir
vorübergleiten. Es wäre hübsch, wenn Du mich auch Menschen sehen und
Stimmen hören ließest.

Es geht uns ja nun gut insofern, als wir Geld für eine Menge kleinere
und größere Bedürfnisse haben, die wir früher nicht befriedigen konnten,
und dazu die Aussicht, in Zukunft sorgloser leben zu können; aber wir
verdienen doch nicht so viel, wie es den Anschein hat. Und all die
Menschen, die wir kennen lernen, und all die Freude, die wir erleben!
Sind wir erst einmal damit durch, so wird es ergötzlich sein, das
Erlebte und Gesehene zu sammeln.

Innig geliebte Bergliot, ich sehne mich so danach, Dich wieder so gesund
und fröhlich zu sehen, wie damals, als Du aus Dänemark kamst.
Hoffentlich wird es auf Aulestad so gemütlich, wie wir es uns für den
Sommer wünschen; ich freue mich von Herzen darauf; aber am meisten auf
die Arbeit, selber mit Steine zu brechen und dadurch mehr Erdreich zu
gewinnen. Irgendeinen Sammelpunkt muß die Familie auch nach unsern Tagen
haben, und das wird wohl Aulestad sein; wir werden versuchen, es so gut
in Stand zu setzen, daß es dem, der den Hof besitzt, auch etwas abwirft.
Erling ist begeistert für die Landwirtschaft, so daß es den Anschein
hat, als müsse er die Aufgabe lösen können.

Wir sitzen nun hier bei Hedlunds, die uns lieben und die wir wieder
lieben. Wir haben an vielen Ecken und Enden der Welt Familien, die uns
geistig verschwistert sind, und ohne die wir uns unser Leben nicht mehr
denken können; wir müssen sie ab und zu besuchen. Wir denken, es soll
auch einmal für Euch ein gutes Erbe sein, die treue Anhänglichkeit all
dieser warmen Menschen. Die Liebsten sind und bleiben uns Hedlunds.

Ich habe eine ganz mächtige Sehnsucht, wieder an meinen Roman zu gehen!
Aber alles läßt sich nicht zu gleicher Zeit tun. Wenn ich doch so gut
verdiente, daß ich den Kauf von Solbakken verantworten könnte; dann
hätten wir eine Behausung für Sommergäste und auch für Erling, wenn er
eine Frau nach seinem Geschmack findet. Wir legten dann Telephon
zwischen den Häusern an, und auch hinüber zu anderen, die mit uns in
Verkehr stehen. Ich will zusammen mit mehreren in der Gemeinde und im
Sanatorium eine Station für Telephon bis nach Lillehammer errichten
lassen. Heutzutage meint man ohne Telephon nicht mehr auskommen zu
können. -- Alle Deine Freundinnen hier lassen Dich grüßen; sie
erkundigen sich sehr nach Deinem Gesang; aber ich kann ja nicht viel
antworten; ich weiß so wenig davon, und im Grunde wirst Du wohl selbst
nicht mehr wissen. So viel scheint mir sicher, daß Du vier Jahre statt
drei wirst studieren müssen, und ich hoffe, ich kann es durchführen.
Meine Ansicht ist: werde vollkommen darin; was für einen Gebrauch Du
später davon machst, ist weniger wichtig; die Hauptsache ist das Talent,
und das Bewußtsein, das Meistmögliche daraus gemacht zu haben.

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, Mutter ist ein paar Tage unwohl gewesen; aber nun ist es
wieder vorüber. Dank für Deinen letzten Brief. Hier machte in den
Zeitungen ein Brief Cavlings an »Politiken« über Dich die Runde, an dem
kein wahres Wort war. Das ist doch ein Satanskerl! Pack' ihn und hau'
ihn durch! Haben sich Bräkstad und Thommessen in Paris entzweit? Warum?
Sag' es mir! Ferner, erzähl' uns umgehend, was Du mit Mad.
Viardot-Garcia anfängst!

Ich bin in diesen Tagen besonders guter Laune. Ich will so viel und ich
glaube, ich vermag auch noch viel. Und dann glaube ich, wir stehen
wieder dicht vor einem Aufschwung; ich glaube es. Seltsame, starke
ethische Kräfte dringen von allen Seiten herein, strengere Forderungen,
ehrlicherer Wille. -- Was einen angewidert und dabei gepeinigt hat, die
Verräterei im großen und kleinen, hat seinen Hexensabbat gehabt; jetzt
sollst Du sehen, es wird bald Tag. Jedenfalls kann der Mensch nicht
arbeiten, wenn er nicht diesen Glauben hat. Und ich habe ihn! -- --

                                              Dein guter Freund Vater.






Deine Briefe machen uns viel Spaß, liebe Bergliot, und Deine ganze Natur
tritt in jedem einzelnen klar zutage. Du bist die wiedererstandene
Jugend Deiner Mutter mit dem Mehr, das Dir die Gelegenheit zu zeitiger
Entwicklung gegeben hat, die ihr fehlte, die sie aber später nachzuholen
wußte; also für mich bist Du etwas von der Wonne, die ich in den Tagen
meiner Verliebtheit empfand. -- Karl Konow war hier mit seinen
Geschwistern; wie der sich herausgemacht hat! Nie ist er so hübsch
gewesen, so gesund, so unterhaltend. Er hat alle Herzen erobert,
Mutters, meins, Erlings und Keilhaus, der gute Karl. -- Wie entzückend
doch so ein norwegischer Winter ist; für mein Gefühl übertrifft er den
Sommer. Bald sollst Du von Hegel die norwegischen Bücher bekommen, die
zu Weihnachten erscheinen. Ich wollte, ich wäre mit darunter; aber ich
werde bei weitem nicht fertig. Ich schreibe diesmal was Feines. Bitte
keinen Schritt, um mit Lies zusammenzukommen! Ergibt es sich von selbst,
ja; sonst auf keinen Fall. Vergiß ja nicht, Tschernings zu grüßen! --
Sverdrup ist ja jetzt bald erledigt, soviel ich höre. Die Rechte nimmt
nun wohl selbst das Heft in die Hand?! -- Erling ist tüchtig in der
Wirtschaft. Aber Ejnars Brief verrät, daß er in Footchou in zu große
Geselligkeit geraten ist, die gefährlich für Gesundheit und Charakter
werden kann.

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, nein, ich bin nicht dafür, daß Du mit Brandes
zusammentriffst. Ich meine, schütze nur Krankheit vor, wenn Du in dieser
Zeit zu Schandorphs oder Cavlings eingeladen wirst; es ist ja auch die
Zeit, in der Du am meisten zu tun hast, -- falls Du durchaus den Juni
über draußen bleiben willst.

Schandorphs Urteil über Literatur und Kunst ist sehr _saftig_, wie sein
Naturell -- kognak-getränkt. Das Urteil der Menschen ist in der Regel
wie ihr Leben, immer wie ihre Natur. -- Was Strindbergs »Julie« uns
zeigt, ist das Experiment eines begabten, aber ungesunden Burschen, der
dasitzt und konstruiert -- und ganz und gar nicht dem Leben folgt.
Folgen wir dem Leben (womit _sie_ sich immer nur brüsten), so ist alles
viel weniger überraschend; Aufsehen wollen sie machen; das ist für sie
Nummer eins. -- Du kannst ganz ruhig sein: so wird die Literatur _nicht_
werden; aber sie ist voll Verschrobenheit und Ziererei so lang auf
Abwegen gewandelt, daß sich mit Recht ein brutaler Protest erhoben hat.
Weißt Du noch, daß Arnljot Gellines Lied, wie er seine Liebste als Beute
in den Wald trägt, seinerzeit als unanständig ausgemustert wurde;
Magnhild war ein Buch über -- freie Liebe; auch Leonarda war das! Ja,
sogar »Es flaggen Stadt und Hafen« ist unanständig. Da mußte die Natur
ihr Recht wieder geltend machen, und das hat sie durch diese Menschen
getan, -- aber so getan, daß nun wieder protestiert wird. Es gibt nicht
viele unter uns, die ihren gesunden Gang gehen! -- Ja, jetzt macht der
Schnee Ernst, zu schmelzen. Auf den Höhen ist schon alles kahl, hier
durch den Hof geht _ein Fluß_; aber das Moor liegt noch unterm Schnee.
Auf dem Altan den ganzen Tag alle, die nicht arbeiten. -- Griegs trafst
Du also nicht. Ich hatte einen Brief von Werenskjold, den ich so
auffaßte, als wolle er diesen Sommer nach Bergen und Griegs malen, und
erst den nächsten nach Aulestad. Ich werde ihm antworten; aber frag'
ihn, ob ich ihn recht verstanden habe. Ich werde diesen Sommer ein
Lustspiel mit Gesang schreiben, und ich denke so halbwegs, Grieg zu
bitten, daß er hierher kommt und zusammen mit mir arbeitet. Aber das hat
noch gute Weile. Das Lustspiel ist nur ein einziger langer, sehr langer
Akt, psychologisch ungemein interessant und heißt »Der König kommt«! Es
steckt mir schon mehrere Jahre im Kopf. Davon sollst Du nächsten Winter
in Paris leben. Ich möchte aber nicht, daß Cavling etwas hierüber in
irgendeine Zeitung bringt; vergiß das nicht! Ach, ist das hier ein
Wetter! Von morgens bis abends, Tag für Tag, Woche für Woche wundervoll!
Ach, wie ich mich in Norwegen wohl fühle! Meine süße, liebe Bergliot,
alles, was Du von Deinem Gesang schreibst, freut mich unbändig. Du
sollst auch auf Solbakken ein Klavier haben!

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, gestern hatten wir einen Brief von Ejnar; es scheint ihm
in jeder Hinsicht ausgezeichnet zu gehen; er schickt eine Photographie
von sich selbst mit fünf anderen zusammen, bis auf einen alles
Zollmenschen; es scheinen brave, gutmütige Leute zu sein; aber aus den
Gesichtern zu schließen, scheint Ejnar ihnen überlegen; er hat sich
überhaupt sehr herausgemacht. Es hat auch den Anschein, als würden ihm
schwierige Arbeiten zugewiesen, bei denen eine Verantwortung ist, und er
ist stolz darauf. Von seinen Geldverhältnissen schreibt er, sie stünden
gut. -- Wir haben jetzt »Fräulein Julie« gelesen. Ob wirklich in der
Welt ein Mensch glaubt, daß das wahrscheinlich ist? Hat es jemals
irgendwo zwei Menschen gegeben, die dieses Zwiegespräch gehabt und sich
in einer einzigen Nacht so aufgeführt haben? Oder hat es irgendwelches
Interesse, es sei denn, Sensation zu machen mit etwas, was sonst nicht
die Regel zu sein pflegt? Auch Ibsens Poesie fällt meines Erachtens
allzu stark unter das Ungewöhnliche und rein Unmögliche, um auf die
Dauer, d. h. wenn die Sensation verflogen ist, das allgemeine Interesse
bewahren zu können. Aber mag es damit sein, wie es will, -- Strindbergs
Poesie ist obendrein schmutzig. Er ist selbst ein bedenklicher Kerl, und
das spiegelt seine Dichtung wieder. Es gibt zwei Arten von Büchern, --
solche, die in den Menschen die Freude am Leben, die Sehnsucht nach dem
Guten steigern, und solche, die das nicht tun; die ersten sind gut, die
anderen sind schlecht, so ausgezeichnet und genial sie auch in
Einzelheiten sein mögen. -- Es hat mich rasend gefreut zu hören, daß es
»brillant« geht mit Deinem Gesang. Ja, das hat mich gefreut wie nichts
anderes augenblicklich. Mein lieber Schatz, wie sich das ganze Haus
darüber gefreut hat! Das muß ich Dir sagen: -- Du kannst Dir nicht
vorstellen, wie gespannt ich bin, was daraus werden wird. Nicht auf die
äußerliche Entwickelung, die es nehmen wird, ob Du Opernsängerin wirst
usw.; das mag seinen natürlichen Lauf haben; nein, ob _Du_ die Gabe
erringst, die ich mir für einen Norweger ersehnt habe -- die Gabe, uns
hinzureißen, uns in einen Schönheitstaumel zu versetzen. Uns regelrecht
zu verzaubern. Noch hat keiner sie gehabt. Erringst Du _die_, so werde
ich wieder jung und froh, -- froher, als über irgend etwas, was ich
selbst oder ein anderer geleistet hat. Mutter sitzt und schreibt für
mich ab in diesen Tagen, daß ihr die Finger steif werden und der Körper
krumm und lahm; aber es ist doch ihre liebste Arbeit. Es ist ein Jammer
mit meinem Buch, daß es zu lang wird; aber das läßt sich diesmal nicht
ändern; es soll auch nie mehr vorkommen. Ich will fortan fünf Jahre lang
nichts anderes tun als schreiben, schreiben, schreiben. Und dann punktum
finale! -- Du hättest die Materna hören sollen; _um jeden Preis_. Sie
war Richard Wagners Liebling. -- Es ist wieder Schnee gekommen; also
werden wir das Fest der Schmelze noch einmal haben, vielleicht sogar
noch zweimal. Nett!

                                                    Dein Freund Vater.




                                                 Aulestad, April 1888.


Ich finde, liebe Bergliot, es wäre eine wahre Sünde, wenn ich Dir nicht
ein paar Zeilen schriebe. --

Mir ist nicht recht klar, weshalb ich an Jonas Lie schreiben soll, nein,
ich tue es nicht. Mir liegt nichts daran, daß Du mit ihnen verkehrst; Du
wirst keine ungetrübte Freude daran haben. Aber wenn _Du_ es durchaus
willst, so würde ich schon eine Form finden können; z. B. jetzt bei
meinem neuen Buch.

Ich sehe, Bräkstad ist in Paris gewesen, um sein Geld loszuwerden, das
leichtsinnige Huhn. Aber er war wohl gemütlich? -- Meine liebe, süße
Bergliot, hörst Du auch genug Musik? Du schreibst nichts darüber; und es
macht mir Sorge, daß Du vielleicht die Maschine nicht mit dem
Verständnis und dem Geschmack ölst, die wir immer aus der Arbeit anderer
gewinnen. -- Du sagst, wir sollen Cavlings danken. Ja, was ist ein Brief
für ein merkwürdig armselig Ding; weder er noch sie zweifeln an unsrer
Dankbarkeit. Wir müssen bei Gelegenheit etwas anderes für sie aushecken.
Aber ich weiß noch nicht was. -- Jetzt beginnt der große
Schneeschmelzprozeß, und der ganze lange, kahle Frühling hinterher ohne
Grün. Haben wir einen Winter ohnegleichen gehabt, so müssen wir jetzt
für ihn büßen. -- Ich glaube annehmen zu können, daß Du jetzt gut
französisch sprichst. Ist das der Fall? Dann könntest Du vielleicht auch
lernen, es korrekt zu schreiben? Ich sehe, Du schreibst immer noch
»brilliant« statt brillant. -- Mutter wird entsetzlich taub, Du; aber
prachtvoll sieht sie aus! Und so gesund ist sie! Sie behauptet, sie
schlafe nicht gut, wenn sie nicht von halb zehn bis acht Uhr
durchschläft! -- Ich lese das 10. Heft von Darwin; hast Du es bekommen?
Wenn nicht, so sag' es mir oder schreibe an Husebye & Comp., Storgaten,
Kristiania. Ich finde, es gehört zum besten, was man in der Welt lesen
kann. Gibt es etwas Französisches, was sich lohnt, so kauf' es, lies es
und schick' es mir! Dann werd' ich es Ejnar schicken. Nichts geht über
einen gemütlichen Schwatz; aber gleich danach kommt ein gutes Buch.

Heute habe ich nichts zu schreiben, ich sitze da mit leerem Kopf, weil
das, was ich drin habe, bei der Erzählung ist und fürs erste nicht
heimkommt.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                     30. Oktober 1888.


Liebe, süße Bergliot, die Treue, mit der Du an Frau Lürig hängst,
berührt mich sehr angenehm, -- natürlich vorausgesetzt, daß Du sicher
bist, sie kann Dich weiter bringen.

Treue und alles, was einen Menschen darin festigen kann, ist das Mittel,
unser Gemüt und unsern Charakter zu erweitern. Nichts bringt so großes
Leid, aber auch nichts so große Freuden; deshalb führt auch nichts so
viel der Seele eines Künstlers und dem Willen eines Menschen zu. Halt an
der Treue fest, Bergliot, sie ist die Krone des Lebens! Alles andere,
was die Menschen so nennen, ist es _nicht_, -- mögen nun Priester oder
Gott weiß wer sonst es behaupten. _Allein die Treue ist es._ Dabei aber
erhebt sich die Frage: wem schuldet man das Meiste? Also auch die
höchste Treue? _Dem Vaterland._ Unter diesem Namen hast Du Wahrheit,
hast Du alles Gute. Paß' auf, daß Deine Treue gegen die Menschen niemals
in Widerstreit kommt mit Deiner höchsten Verpflichtung. Erst sie, dann
alles andere! -- Ich zweifle nicht, daß gerade _Du_ hierin meinen Spuren
folgen wirst, meine liebe, treue Bergliot, und obwohl die Gelegenheit,
Dir das zu sagen, etwas fern liegt, so benutze ich sie doch. Du bist
außerordentlich pflichttreu (das hast Du wesentlich von Deiner Mutter)
und daraus folgt die Treue gegen andere.

Falls Lies keinen Krieg, _direkt oder indirekt_, gegen _uns_ führen, so
magst Du sie besuchen; aber am liebsten in Arves Begleitung; und dann
müßt ihr zusammen spielen und singen, was ihr uns vorgespielt und
vorgesungen habt; so könnt ihr ihnen ein Stück Sommer von uns bringen
und sie gleichzeitig von uns grüßen.

Dein nervöser Brief an Mutter hat uns sehr erschreckt. Was, glaubst Du,
wird die Folge sein, wenn Du diese Deine Nervosität nicht bekämpfst? Du
mußt mehr an die _Luft_, Bergliot! Sag' lieber Deine Unterrichtsstunden
ab! Hast Du überhaupt Nutzen davon?

Wir haben einen herrlichen Spätherbst, voll Wärme und Sonnenschein, die
Kühe sind noch draußen, und heute schreiben wir den letzten Oktober. Wir
haben ein gutes Jahr gehabt. Aber wir haben den großen Kummer, daß X.
nicht nur lotterig, sondern unredlich gewesen ist. Er hat mir das Geld
durchgebracht zu Tausenden. So werde ich auf alle mögliche Weise
geschunden. -- Ißt Du jetzt gut? Ißt Du Dich ordentlich satt? Vergiß
nicht, das zu beantworten. Lebwohl, mein liebes, süßes Mädel. Und
vergaff' Dich in keinen, sondern komm wieder als unser altes, munteres
Prachtmädel!

                                                 Dein Vater und Freund
                                                                 B. B.




                                                     2. Dezember 1888.


Liebe Bergliot, das ist ein schöner Vorsatz, an dem Du festhalten mußt,
uns jeden Montag zu schreiben. -- Deine Briefe machen uns immer Freude.
Von allem, was Du erzählst, hat nichts mich so gefreut, wie daß Du
_nicht_ lange aufbleibst abends. Wenn Du daran festhalten kannst,
wenigstens als Regel, so daß das andere zur seltenen Ausnahme wird, so
hast Du darin ein Kräftigungsmittel, besser als die meisten anderen. --
Du erzählst nichts davon, wie Du lebst. Du ißt doch gut bei »Deiner
alten Dame« -- und _genug_? Erzähl' mir das besonders, und verdient sie
es, dann grüße sie herzlich. Für Dein Geld, d. h. für das, was Du selbst
verdienst, mußt Du Musik hören; für Deinen Unterhalt und Deine Kunst
sollst Du genug bekommen. -- Ich möchte gerne hören, ob Frau Lürig dafür
einsteht, daß das, was so eine deutsche (oder französische) Sängerin Dir
sagt, auch wirklich so _gemeint_ ist; nicht bloß _gesagt_ als
Aufmunterung oder Schmeichelei. Ist Frau Lürig der Ansicht, die andere
habe wirklich das _gemeint_, was sie sagt, dann wünschen auch wir es zu
erfahren. -- Was wirst Du in dem Kirchenkonzert singen? Ich habe es
nicht recht verstanden. Und was ist es für eine Kirche? Das macht mir
viel Freude. -- Gestern, an Mutters Geburtstag, machten wir eine
Spazierfahrt in unserm, mit blauem Samt ausgeschlagenen Breitschlitten,
mit unserm Bärenfell und zwei Pferde vor, und Erling kutschierte. Aber
Mutter hat solche Angst jetzt vor dem Fahren, daß ich sie kaum
wiederkenne. -- Ich lasse Dir Ibsens neues Buch schicken; es scheint
großzügig zu sein und auch milder als die vorhergehenden. Ich habe eine
patriotische Freude an dem Glück, das er macht als bahnbrechender
Dramatiker. -- Mir selbst geht es gut mit dem Schreiben augenblicklich;
Du wirst seinerzeit Freude daran haben, wenn Du es liest. -- Im übrigen
herrscht hierzulande eine Reaktion und eine Engherzigkeit, die alles
übersteigt, was ich bisher für möglich gehalten habe. Aber wir müssen
wieder lichtere Zeiten zuwege bringen. Jeder, der durch Kunst Schönheit
und Lebensfreude in unser Leben legt, arbeitet dafür. Wir werden unsre
Zeitgenossen erleuchten und erwärmen, und so beharrlich darin sein, daß
wir durch den Dunst und Staub vermodernder Vorzeitsüberbleibsel des
Glaubens und der Sitten und der materiell und pietistisch versauerten
Erde strahlend durchdringen.

                                                    Dein Freund Vater.




                                          Aulestad, 12. Dezember 1888.


Liebe, süße Bergliot, Dank für den Geburtstagsgruß und Dank im voraus
für die Büste. -- Du schreibst, daß ich zu streng bin gegen Dr. N. N.
Ja, wieso? Ein besseres, edleres Gemüt gibt es nicht; und eine Begabung,
so fein und groß und so reif für allumfassendes Denken, daß sie Seltenes
leisten könnte. Und eine Liebenswürdigkeit, eine Süße in Wesen und Augen
und Lächeln, die ihn unsterblich macht bei allen, über die er sein Bild
ausgegossen hat.

Aber vor lauter Selbstreflexion so unsicher, so zersplittert von eitler
Gefallsucht, so eingenommen von seinen eignen Einfällen in
Selbstbewunderung und der Bewunderung anderer, daß er vor sich selber
nicht mehr zur Ruhe kommt. Und, um immer in günstiger Beleuchtung zu
stehen, so unwahr, daß er nicht zwei Personen dasselbe erzählt! Er kann
sich große Mühe geben, um etwas zu erreichen; aber hat er es erreicht,
so ist er dessen in der Regel überdrüssig. Er kann sich auch um einer
Laune willen wegwerfen. Eine derartig unruhige Natur ist nie über den
Augenblick hinaus glücklich und wird seine Umgebung mit sich reißen. Ja,
ich könnte noch lange so weitermachen. Es gibt wenige Menschen, die ich
so lieb haben kann, wie solche einschmeichelnde Begabungen, die die des
Geistes und des Herzens in gleich hohem Grade besitzen. Aber während ich
ihn genieße, weiß ich, daß er meiner bereits müde ist. Und das Gefühl
läßt niemals eine Sicherheit aufkommen.

Es hat mich geärgert, daß Du um Dein Kirchenkonzert gekommen bist. Aber
es findet sich wohl etwas anderes für Dich, damit Du den Mut zum
Auftreten gewinnst. Du vergißt zu erzählen, wie es mit Deinen Trillern
geht? Ob Du es erfaßt hast? Hierzu -- besonders aber zu der Fertigkeit,
den Ton sicher eine Oktave zu schleudern, -- dazu gehört eine
Hundearbeit für Deine Art Stimme! Und das erfordert eine raffiniertere
Natur als die Deine; denn es liegt wenig oder gar keine
Virtuosenbegabung in unserer Familie -- von meiner Seite eine alte
Bauernsippe, und von Mutters Seite ein Gelehrten- und Handwerkerstamm.
Soll sie aber trotzdem erreicht werden, so muß den Mangel an Vererbung
die unglaublichste Arbeit ersetzen. Und die unermüdliche und doch
vorsichtige Art, wie Du es anpackst, muß, glaube ich, zum Ziele führen.
-- Danke für Zola! Das ist recht! Kaufe alles, was Aufsehen macht! Hast
Du je einen Menschen gekannt wie »die Frau vom Meere«? Was? -- Süße
Bergliot, laß uns bald von Dir hören.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                          Januar 1889.


Liebe Bergliot, das »mit Seele singen« beruht nicht allein darauf, daß
man selbst »Seele« hat, die Gabe poetischer Interpretation von Wort und
Musik besitzt, es beruht darauf, daß einer (oder eine) _gearbeitet hat_.
Solange das Technische noch Schwierigkeiten macht, ist es
außerordentlich schwer, mehr zu erreichen als das Technische; man hat
nicht Zeit zu mehr; man wird gehemmt durch das Bestreben, es »richtig«
zu machen; das übrige muß gehen, wie es will. Aber wenn das Technische
überwunden ist, dann beginnt dem der »Geist« der Sache aufzugehen, der
Gefühl dafür hat. Dieses »_Gearbeitet-Haben_«, so daß man in jedem
einzelnen Teil Herr ist über das Technische, und dabei die seelische
Offenbarung vom Sinn des Stückes hat, das ist Vorbedingung des »mit
Seele Singen«. Wer ungeheuer viel studiert und viel Musik gehört hat,
kommt leichter dazu; schließlich ist das Technische in dem Maß
überwunden, daß man vom ersten Augenblick an einzig mit dem Geist des
Stückes beschäftigt ist; für alle aber gilt es, im Augenblicke der
Wiedergabe außerdem »aufgelegt« zu sein, die Inspiration (Beseelung) des
Vortrags aus der Macht des momentanen Gefühls zu schöpfen. Wer ein
persönliches Leben lebt, wer gebildet ist, so daß sein (oder ihr)
Verständnis feiner und mannigfaltiger ist, legt natürlich _mehr_ hinein,
als jemand, der bloß alle Kunstgriffe kennt und alle Variationen bei
hundert anderen Künstlern gehört hat. _Einzig die ursprünglichen_
Individuen sind es, die dauernd zu erschüttern vermögen; niemand sonst.

Die »reichen« Naturen, die, welche das große Talent in den tausend
Geschehnissen des Lebens geübt haben, deren Herz weich, deren Verstand
scharf, deren Mut sicher geworden ist in Kämpfen ohne Zahl, die meistern
sich selbst, wo sie auch stehen, sie beherrschen das »Aufgelegtsein« wie
Geister, die ihnen Untertan sind; denn das allein heißt: _in sich selbst
zu Hause sein_, ohne daß andere einen stören können.

Vor allem, Bergliot, will das »nicht mit Seele Singen« nur besagen, daß
entweder das Stück so schwer ist oder Dir so neu und ungewohnt, daß Du
nicht in seinen Geist eingedrungen bist, oder auch, daß Du nicht
genügend gearbeitet hast, oder daß im Augenblick etwas Dir im Wege
steht, so daß Du nicht all das herausbringst, was Du sonst in das Stück
hineinlegst.

Ich rate Dir, versuch' in den Geist jedes einzelnen Stückes auf Deine
eigne Weise einzudringen und Dich nicht eher zufrieden zu geben; niemals
aufzuhören bei dem ausschließlich Technischen. Je öfter Du auf diese
Weise Dich selbst erwärmt hast, um so wahrer machst Du es zuletzt. Um so
leichter fällt es Dir von Stück zu Stück.

Gestern bekam ich einen Brief von Franz Beyer, Griegs bestem Freund und
Nachbar, mit den flehentlichsten Bitten, »Olav Tryggvason« für ihn
fertig zu schreiben. Ja, so ist es; alle wollen sie mich ausnutzen,
alle, alle. Ich soll bei allem mit dabei sein, für die Interessen aller.
-- Kürzlich erhielten wir einen ungemein wichtigen Brief von Ejnar, er
gibt gute Ratschläge für den Kampf des Tages hier daheim; als ob er von
China aus eingreifen könnte! -- Björn hat zwei rasend amüsante Sachen im
Dagbl. geschrieben unter der Spitzmarke »Ein Zivilist«.

Ja, nun reißen sie mir den Brief weg. Hier ist Schneesturm; man sieht
nicht zwanzig Ellen weit. Nett.

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, jetzt bekommst Du den »Professor«! »Die Unversöhnlichen«
von Garborg ist gar nichts wert. -- Wir lesen täglich Kiellands Blatt;
es ist geschmeidig, flüssig und klug geschrieben. Er ist offenbar für
Politik veranlagt. Gerade jetzt zeigt er sichere Gewandtheit, während
seine ganze Familie sich insolvent erklärt hat; es sieht aus, als
wollten sie wieder festen Fuß fassen, und dabei wird er von allen seinen
mannigfaltigen Kräften als Leiter einer Zeitung unterstützt. Vielleicht
glückt es. »Monogamie und Polygamie« ist in 11000 Exemplaren verkauft
und verkauft sich ständig weiter, also Gift für Bohémiens.

Meine liebe Bergliot, die Sache mit Deinem Heimweh ist wohl auch ein
bißchen Verzärtelung, weil Du niemanden hast, an den Du Dich anschließen
kannst. In dieser Hinsicht ist Paris auch sonderbar; man kann jahrelang
dort leben und kommt nirgendwo hinein. Oder es ist unsre eigne Schuld.
Ich schrieb an Sansot, er solle Dich aufsuchen, vielleicht tut er es. --
Danke dem lieben Werenskjold für seinen Brief. Dank' ihm für all seine
Güte und Treue in dem alten, schweren Jahr, ihm wie seiner Frau! Ich bin
so überbürdet mit Briefen und so gedankenleer, mitten in meiner
Schreiberei, daß es ihm nicht ein Jota nützte, wenn er einen Brief von
mir bekäme. Nicht ein Jota. -- Denke Dir, jetzt ist es erwiesen, daß
noch bis ins vorige Jahrhundert Frauen in allen Handwerken vertreten
waren (wie noch heute in Frankreich!); die Bürgerbriefe wurden auf Mann
und Frau ausgestellt, und sie hatte Spielraum für ihre Talente; erst in
diesem letzten Jahrhundert ist sie auch hier herausgedrängt worden.
Gleichzeitig ist nachgewiesen, daß sie in der ersten christlichen Kirche
Pfarrer war, die Sakramente austeilte, taufte, und daß sie erst im 7.
Jahrhundert und im Mittelalter überhaupt so gewaltig unrein und sündig
wurde, daß sie mit etwas so Heiligem nicht mehr betraut werden konnte.
Und zwei Arten von Einflüssen waren es, die diese Ausschließung
verursachten, ein heidnischer von dem Griechen Aristoteles her, der »das
Männliche« so hoch hielt, und ein christlicher (eigentlich ein Einfluß,
der durch das Judentum in das Christentum kam), wonach die Asketen (die
Selbstquäler) das Weib verfluchten. -- Aber nun sind wir in dem großen
Revolutionsjahr, nun soll es anders werden!

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, nur ein paar Worte in aller Eile! Herzlichen Dank für
Deine treffenden Briefe, die uns jedesmal so viel Neues erzählen. Du
hast doch wohl das siebente und achte Heft von Darwin gelesen. Ist »Die
Entstehung der Arten« ein Weltereignis ersten Ranges, so ist ein so
lebensvoller Einblick in die Werkstätte, wo sie geworden ist, einzig in
der Weltliteratur. Dieses sei die Einleitung für Deine Lektüre. Es
sollen Dir ein paar Bücher von hier zugeschickt werden unter der
Bedingung, daß Du sie an Ejnar weiterschickst. Auch werde ich für Dich
etwas aus dem »Dagblad« herausschneiden, das ich übersetzen ließ und
zurechtgestutzt habe.

Wir bekommen lange prächtige Briefe von Ejnar, und Du kannst Dir denken,
wie es uns freut. Er ist also ebenso frei von aller Art Verlobung wie
Du. So kommt sie -- falls sie kommen soll -- um so reifer und
überlegter, so daß Rücksicht auf eine gesunde Familie und gutes
moralisches und intellektuelles Erbe genommen wird. So etwas darf nicht
länger auf gut Glück und Zufall beruhen. Jonas Lies Buch ärgert mich,
weil er mit seinem Talent sich zum Stile Krohgs und Jägers herabgelassen
hat, der nur Eintagswert besitzt und einen dürftigen Stoff wie die
englischen Blaustrumpf-Romane in die Länge zieht. Das hier sollst Du
Werenskjold wortgetreu vorlesen. Und ihn sollst Du grüßen wie meinen
Bruder, und sie sollst Du umarmen und küssen von mir. Peters älteste
zwei Mädels sind hier zu Besuch bei den zwei jüngsten. Sie sind ganz
prächtig allesamt, und ich denke bei mir selbst -- wenn auch in unserer
Familie Fehler sein mögen wie in den meisten --, stolz und innerlich
wahr ist sie von Grund aus. -- Wie herrlich es jetzt hier ist, das
spottet jeder Beschreibung mit Feder und Pinsel; das mußt Du Werenskjold
sagen. Noch ist der norwegische Winter nicht geschildert, nicht vom
Landschafts- noch Figurenmaler, und am allerwenigsten vom Klein- oder
Stillebenmaler. Nein, bloß ein winziges Stück umzäunten Hofes mit
Aussicht auf die Baumstämme eines Hügels, wo sie so dicht stehen, daß
der Schnee nicht auf den Boden durchschlüpfen kann! Grüß' Inga!

                                                     Dein Freund Vater
                                                                 B. B.






Liebe Bergliot, rasend wenig Zeit; aber ich muß mich schriftlich darüber
ärgern, daß Du zur Belustigung der Skandinavier mitbeiträgst, was nie
etwas anderes gewesen ist als undankbar, und niemals zu etwas anderem
geführt hat als zu schlechter, ekelhafter Kritik und Feindseligkeit und
Mißgunst. Es war ja doch _abgemacht_, daß etwas Derartiges nie vorkommen
sollte. Und jetzt stehst Du mitten drin, und ich bin sicher, Du hast
hinterdrein nur Ärger davon. -- Nun liegt nur wenig Schnee noch längs
der Wege unten auf dem Moor, sonst alles kahl. Wir haben die Maurer
gehabt, die Kuhstall- und die Pferdestallmauer frisch verputzt, den
Keller aufgebrochen, den inneren mit dazu genommen und zum Weinkeller
gemacht, man geht längs der Mauer gegen Süden hinein, gleich unterhalb
der winzigen Kammer, in der das Piano steht. Der Wein liegt unter der
Stube, wo Keilhau und Arve schliefen. Nun kommen die Maler, und da
sollen die Gesindestube und Oles Zimmer in stand gesetzt werden. -- Mit
meinem Schreiben geht es gut augenblicklich und ich bin in blendender
Stimmung. -- Jedesmal, wenn ein Brief von Dir kommt, ist das unser
Höchstes! Ist es aber bloß Gewäsch, so sitzen wir da wie die begossenen
Pudel! Also das mußt Du zu vermeiden suchen. -- Erbärmlicher als es
jetzt seit einer Weile hierzulande war und ist in Moral und Politik,
kann es nicht sein, sollte man denken. Doch ich habe schlimmere Zeiten
erlebt. Ich habe das unredliche Regiment der Rechten erlebt, mit bloß
einem Drittel des Volkes, die aber doch die Macht nicht aus den Händen
geben wollte, ehe sie Bürgschaft dafür hatte, daß sie auch weiterhin
_die_ Macht behielte, wenigstens das zu _verhindern_, was sie nicht zu
fördern wünschte. Und was _wir_ schrieben, war Dreck, und wofür wir
arbeiteten, war Sünde, und wir selber waren schlechte Kerle. Ich werde
in mein Grab steigen müssen als ein schlechter Mensch -- in der
Vorstellung eines Drittels der Leute, mit denen ich in meinem Vaterland
zusammenlebe. Das ist, was _mich_ betrifft, das Ergebnis des langen
Kampfes. Und gerade als wir gesiegt hatten, und die herrschende Mehrheit
waren, spaltete sich auch dieser Haufe in zwei Teile; und wiederum sieht
ein Drittel von ihnen mich für einen schlechten Kerl an. So steht es. --
Der Hof bringt nichts ein, weder unter dem einen Verwalter noch unter
dem andern. Ich muß Löhne und Maschinen und Saatkorn zu all dem andern
bezahlen; der Hof wirft nur das Essen und die Kleider ab. Auf die eine
oder andre Weise muß hier Wandel geschaffen werden. -- Hier daheim ist
es sehr gemütlich; das neue Gesinde einfach entzückend, und es geht so
gut, -- wenn es sich bloß auch lohnte! Aber für Dich in Paris bezahlen,
und den Hof hier, und dann die Schuldenlast darauf, das wird etwas zu
viel für Deinen Freund und Vater. Trotzdem -- es geht schon! -- Ja, leb
wohl denn! Gute Fortschritte, keine skandinavischen Narrenspossen,
Arbeit und gute Musik, voilà!

                                                    Dein Freund Vater.




                                                      3. Februar 1889.


Liebe Bergliot, Du mußt ja nicht glauben, daß die Zeiten jetzt
unsittlicher sind, als sie früher waren. Sie sind viel besser! Was
Frankreich betrifft, so existieren Memoiren, die die größte
Unsittlichkeit nachweisen, bis in die Klöster hinein; das ist heute
unmöglich. Und eine Menge ähnliche Dinge, die ich nicht herbeten mag.
Aber die Frau hat eine Stellung im _Handwerk_ gehabt, die sie später
verloren hat.

Ich für mein Teil glaube an einen Kreuzzug gegen die Unsittlichkeit wie
jetzt gegen den Alkohol. Aber noch ist die Zeit nicht gekommen, obwohl
immer mehr Gemüter begreifen, daß es die Gesundheit des Geschlechts
gilt.

Seitdem ich das letztemal schrieb, bin ich auf einer Volksversammlung
gewesen und habe da eine der besten Reden gehalten, die ich je gehalten
habe (für allgemeines Stimmrecht). Hätte ich nur Zeit und die Mittel
dazu, so würde ich für die Sache im Lande herumreisen. Knut Forr ist
hier gewesen, der aus Fron, ein angenehmer Mensch. -- Morgen wollen wir
fort nach Rindal in Fåberg (auf der andern Seite des Mjösen), das ganze
Haus und der Gustum. Kommen Montag Morgen zurück. Wir haben viel
Ausfahrten heuer gemacht. »Geographie und Liebe« hat großen Erfolg in
Kristiania gehabt; das hat mich mächtig gefreut. -- Jeden Abend spielen
wir jetzt Boston; es ist sehr gemütlich. -- Für die Uhr, die Du kaufen
willst, wollen wir gern das Geld auslegen, falls Du es wünschst; aber
sie wird natürlich, wie alle solche alten Uhren, schlecht gehen, so daß
es Dich einmal ein neues Werk kosten wird, und das sind wieder an die
300 frs. -- Wenn Du Krieg oder Revolution in Frankreich befürchtest, so
irrst Du. Es kommt bei dem Ganzen nichts heraus als viel Lärm. Du kannst
Cavling von mir bestellen, es sei eine Schande von ihm, Äußerungen
hinzuwerfen, wie die, daß Gambetta scrutin de liste haben wolle, um
Diktator zu werden; das zeigt, wie leichtsinnig er schreibt. Gambetta
tat es nur, um der Unsitte ein Ende zu machen, daß die Deputierten ihren
Wählern alles mögliche versprachen; er dachte, wenn zehn bis zwanzig
Deputierte in einem ganzen Departement gewählt würden, so hätte es ein
Ende damit und also auch mit dem Übelstand, daß sie wie ein Alp auf den
Ministern lagen, um durchzusetzen, was sie ihren Wählern versprochen
hatten. Aber freilich -- Verzeihung! -- alle die in _einem_ Departement
Gewählten machen es jetzt so, daß sie _untereinander austauschen_, was
jeder von ihnen versprochen hat, und womit sie die Minister plagen
wollen, -- und so ist dasselbe Elend wieder da! -- Sag' ihm das! Und
füg' hinzu, daß er in der Regel teufelswenig weiß von dem, worüber er
schreibt; aber in Stil und Esprit nimmt er beständig zu. Alle Menschen
_müssen_ ihn lesen.

Hat Mutter Dir erzählt, daß wir eine mächtig feine neue Stute gekauft,
und die alte verkauft haben? Andre Neuigkeiten vom Hofe weiß ich nicht.
Doch! daß wir eine neue Bergliot im Kuhstall haben; die alte wollte bloß
schön sein und nicht recht Milch geben. Nun werden wir sehen, ob die
neue ihres Namens würdiger ist. Nein, wie ich es Dir gönnte, wieder
einen norwegischen Winter zu sehen! Du kannst Dir solche Pracht gar
nicht vorstellen! Ich werde in dem neuen Buche eine Reihe Schilderungen
bringen, also erspare ich sie mir hier im Brief. -- Karen war ziemlich
unentschieden, ob sie bleiben sollte oder nicht. Nun wird sie bleiben,
und es wird ihr zu Ehren auf dem Rollboden ein Ball gegeben, worauf sich
das ganze Haus freut, d. h. sein jüngerer Teil. -- Ich möchte gern
wissen, was Mad. Marchesi über Deine Stimme sagt. Schreibe gleich! Du
hast jetzt eine ganze Zeitlang nichts von den Fortschritten geschrieben,
die Du machst, z. B. im Trillern. -- Und was Du über Arve schreibst, ist
zu wenig. Wie verhielt er sich zu den anderen Schülern Marzicks und zu
Marzick selbst? Maßstab! Und hat sein Spiel mehr Feinheit gewonnen, mehr
sichere Gleichmäßigkeit? An diesen beiden Dingen fehlte es letztesmal.
Erzähl' genau und ausführlich. Und was sagt Marzick von ihm?

Nein, was dieser Keilhau für ein netter, guter Junge ist! Aber
schwächlich. Er hat einen Schwindelanfall usw. gehabt, einfach
Nikotinvergiftung. Nun hat er den Tabak ganz aufgegeben. Er raucht
überhaupt nicht mehr. Er geht stark mit dem Gedanken um, nach Drontheim
zu gehen als Redaktionssekretär bei »Dagsposten«. In diesem Falle gibt
er sein Studium auf. Ich weiß auch nicht, was er damit soll, wenn sein
Lebensberuf einen ganz andern Weg einschlägt. -- Von zu Hause muß ich
Dir erzählen, daß »Han« und die Katze »Mons« sich sterblich in sich
verliebt haben; sie können einander keinen Augenblick in Frieden lassen.
Sie lecken sich und spielen zusammen auf Schritt und Tritt. Aber »Han«
ist ein Bummelköter geworden, der sich auf allen Höfen herumtreibt. --
Ja, diesen Brief mußte ich schreiben, weil Mutter keine Zeit hatte;
jetzt stehen sie alle -- Sonntag morgen -- und warten auf mich; die
Pferde sind angespannt; wir wollen fort nach Rindalen. Leb' wohl und
verlobe Dich nicht! Verlieb' Dich auch nicht, außer in Deinen Gesang.

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, Deinen letzten nervösen Brief empfangen und gelesen;
gleichzeitig einen sehr nervösen auch von Björn. Ja, das ist ein Fehler
bei Euch, daß Ihr so seid; aber das hängt wohl zusammen mit dem
Geistigen und dem Gefühlsstarken, mit dem, was die Seele der Kunst ist.
-- Wir amüsieren uns hier daheim, daß ich Bruun durchprügle. Ja, diesmal
soll er Haue haben, Haue, Haue. Jetzt bin ich daheim und den Zeitungen
ebenso nahe wie er. Du wirst auch Deinen Spaß daran haben, wenn Du die
Zeitungen siehst. -- Mein Buch schreitet rasch vorwärts; ich hoffe, ich
werde zu rechter Zeit fertig. -- All diese Schweinerei, die hier zutage
tritt; diese Roheit, mit der sie das Gefühl unterdrücken wollen und das
Recht des Stärkeren predigen! Wo käme die Welt hin, wenn es Gesetz
würde, daß ich das Recht hätte, einen Mann zu töten, den ich für unnütz
hielte, bloß damit ich dadurch das Geld zu etwas Nützlichem bekäme? Wer
sollte zuletzt Richter sein darüber, was »nützlich« ist?

Mir graut nicht vor dem, was kommt; die Kräfte müssen drauf losstürmen;
so lange die Reichen ihr Recht so fürchterlich mißbrauchen, wie sie es
tun, müssen die Vernichtungskräfte arbeiten. Aber ich weiß, welches die
Fortschrittslinie ist, und daß die Menschen niemals darüber
hinauskommen. -- Du solltest Mutter in diesen Tagen unten im Mistkeller
stehen sehen, wie sie ihren Mistprinzen Mist aufladen sieht! Nun ja, er
_ist_ auch tüchtig, das finden alle; aber Mutters Schwärmerei für ihn
kennt keine Grenzen; wenn sie wieder hereinkommt, geht ein Duft von ihr
aus, daß wir lachen müssen. -- Denk Dir, der Mist im Keller war so
eingefroren, daß wir ihn mit Sprengschüssen sprengen mußten und
wegfahren wie Steine. Jetzt ist er fort. Noch nie ist es so rasch
gegangen mit so wenig Hilfe. Wir sind Nummer eins im Dorf, und das ist
Erlings ganzer Ehrgeiz. -- Die neue Haushälterin ist eine prächtige und
tüchtige Person; ich habe sie Even Toft zur Frau bestimmt. Paß nur auf!
-- Der Nordrum kalbt jeden Tag, wir essen Biestermilchkäse, Mädel, wie
andere frische Milch trinken. Und Kalbfleisch und Kalbfleischsuppe
natürlich. -- Es ist möglich, daß Du jetzt einen Monat lang keinen Brief
von mir bekommst, der Erzählung wegen; ich muß jeden Augenblick
ausnutzen. Aber andere werden Dich schadlos halten.

                                              Dein guter Freund Vater.






Liebe Bergliot, Mutter hat sich im Liegen die Hand verstaucht -- hast Du
schon so was gehört? -- Sie kann nicht schreiben. -- Jenny ist hier und
hat Anna Finsen mit, gestern große Umkalfaterung im Garten, die alten
Stachelbeerbüsche weg usw. Neues dafür. -- Noch kein Frühling ist, so
lang' ich denken kann, so schön gewesen in Norwegen wie dieser. 16 und
17 Grad Réaumur jeden Tag. Die Hühner im Sommerstall (wir haben fast
keine mehr, Erlings Hunde haben sie gefressen; neulich fraß »Han« noch
eines!), die Frühjahrsbestellung fast fertig. -- Wir haben die Mitte des
Altans wegnehmen müssen und sind auf diese Weise in der Lage, sie
reichlich eine Elle vorrücken zu können, so daß wir nun Platz für einen
Tisch und doch noch reichlich Platz zum Spazierenlaufen haben. --

Letztesmal schriebst Du einen netten, langen Brief. Nein, daß Du tanzt
und Dich amüsierst, dagegen habe ich gar nichts; aber dagegen, daß Du an
den _öffentlichen_ Vergnügungen der Skandinavier teilnimmst; davon hat
man nichts als Kritik und Undank; bist Du glücklicher dran -- um so
besser!

Nein, Du sollst Deine Zeit in Paris bleiben und keinerlei Rücksichten
nehmen, weder jetzt noch später, wenn es gilt, vorwärts zu kommen.

Hör' nun auf, Dich um mich zu ängstigen; ich werde schon den Mund
auftun, wenn es notwendig ist. Aber ich denke, wir schaffen's.

Wenn ich jetzt ein Bild vom norwegischen Frühling geben könnte, so wie
er in diesem Augenblick durchs Fenster zu mir hereinschaut; und wenn
Du's Werenskjold vorläsest, so käm' er vielleicht doch hierherauf. Er
hätte hier freie Wohnung in selbigem norwegischen Frühling, und falls er
es obendrein bleiben lassen wollte, mich zu malen, so wäre mein Glück,
ihn und seine Frau hier zu haben, vollkommen. Das Bild der Schnitter den
Hang hinauf, -- es steht vor mir, o Gott, -- wie herrlich das wäre! --
In ein paar Tagen lassen wir das Vieh wieder auf die Weide; _den_
Anblick mußt Du einmal wieder genießen. Björn kommt auf eine Spritztour
hierherauf und wird es dann sehen. Neulich kamen die kleinen Mädels, die
die fremden Schafe wegjagen, bis an den Kuhstall und schrien und
lachten, als man just Mittag läutete. Die Kühe fuhren -- 40 bis 50 große
und kleine -- auf hinter den Raufen; aber der Lärm weckte den Stallhund,
und der Hund und der Lärm und die Glocke und die Frühlingswärme stiegen
den Kühen zu Kopf, erst sprang die eine, dann die andere auf -- alle
brüllten der Stunde der Befreiung entgegen; ich war in der Nähe; ich
dachte, es sei was los; aber es war nichts weiter, als daß alle die
Köpfe über die Raufen streckten und nach dem Engel und der Stunde der
Befreiung ausschauten, während sie dabei brüllten, was ihre Lungen
halten wollten! Die im Kuhstall geborenen, die noch keine Ahnung von
Frühling und Weide haben, drängten sich ängstlich aneinander; sie
begriffen die Erinnerungen und Hoffnungen ihrer Mütter und Väter nicht
und ebensowenig ihre wilden Gebärden. -- Meine Lektüre ist zurzeit: die
Entwicklungsgeschichte der Moral von Ch. Letourneau, übersetzt von Boye
(Schubothes Verlag). Das mußt Du lesen, wenn Du heimkommst; Werenskjold
sollte es auch lesen. Danke W. für die Mitteilung von der Geburt seiner
Tochter; _hol' mich der Teufel_ -- ich werd' ihm schreiben. -- Hier soll
auf Solbakken großes 17. Maifest sein. Arvesen und Björn kommen. Leb'
wohl, süße Bergliot.

                                                    Dein Freund Vater.






_Mein Liebling_, daß Du so ganz mißverstanden hast, was ich von Deinem
Gesang erwarte? Ich habe mich ja gewehrt gegen den Glauben, Du könntest
eine Bühnensängerin oder Weltberühmtheit werden oder alles so was; aber
ich erwartete, daß Dir etwas von dem geschenkt würde, was keine
norwegische Sängerin bisher gehabt hat; die Gabe, uns zu packen und
hinzureißen, d. i. die Macht der Persönlichkeit in der Stimme, lieblich,
stark, jubelnd oder klagend, so daß wir den lieblichen Sommertag, die
starke Lebensfreude, die nordische Wehmut fühlten. All die anderen sind
gute Stimmen -- weiter nichts. Ein bißchen Leidenschaft, ein bißchen
Zärtlichkeit, ein Hauch von Energie, aber keine tiefere
Persönlichkeitsbotschaft für _uns_. Das glaube ich, wird _Deine_ Stimme
haben; ja, hat es bereits.

Sei jetzt vorsichtig, liebe Bergliot! Lauf nicht zu viel allein herum,
-- namentlich nicht, wenn es dunkel wird! Jetzt ist allerhand Gesindel
in Paris! Der Abschaum der Menschheit strömt jetzt dort zusammen -- aus
ganz Frankreich, England, Amerika, Deutschland, Italien.

Wir sind mitten in der Frühjahrsbestellung. Aulestad unter Erlings
Leitung ist all den anderen Höfen in Gausdal und Fåberg voran. Er ist
sehr stolz darauf!

Wie freue ich mich jedesmal, wenn Deine Briefe kommen und uns erzählen,
daß Du Fortschritte machst in Deiner Arbeit, Lebensmut fühlst und Dich
nicht ducken läßt oder hemmen!

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, diese Zeilen heute, um mit Dir über Deinen jetzigen
Zustand zu reden.

Bist Du so schwach, daß Du ein Jahr aussetzen willst? Überleg' es Dir!

Sprich in diesem Fall mit Mad. Marchesi darüber.

Daß Du Dich so unendlich einsam fühlst, ist natürlich auch nur Schwäche
-- das gleichfalls. Ich wüßte nicht, daß jemand leichteren Zutritt hätte
zu der besten französischen Gesellschaft als Du durch (Mademoiselle)
Breslau und ihre Freunde. Aber Dein ganzer Brief ist nur schwarz in
schwarz.

Herrgott, wie sonderbar Du bist! Begabt mit einer bezaubernden
Stimme, mit der Möglichkeit, sie auszubilden, mit Sprach- und
Menschenkenntnissen, in guter Umgebung, mit den Mitteln zu allem, was Du
an Essen, Kleidern, Vergnügen brauchst, und dabei in einer
kohlpechrabenschwarzen Laune! Und glaubst bloß an einen Menschen, Frau
Cavling!

Mußt Du nicht selbst lachen über die Unnatürlichkeit und die
Übertreibung, die darin liegt?

Mutter ist ganz verzweifelt, kannst Du Dir denken; denn sie macht alle
die Sprünge Deiner Laune mit; ich halte mich viel tapferer; aber zuletzt
muß ich mich ja auch besiegt geben, wenn es bloß immer schlimmer wird.

Liebe Bergliot, hat Deine Gesundheit darunter zu leiden, oder sind Deine
Fortschritte infolge der Gesundheit unbefriedigend, dann mache kurzen
Prozeß, das ist meine Meinung. Du bist jung und kannst es nachholen.

Wenn Du auf dem Wege warst, Dich zu verlieben oder zu verloben, dann
könnte ich ja verstehen -- teilweise wenigstens. Aber ich hoffe, das
hättest Du uns doch gesagt. Ich hoffe, Du hast Dich frei gehalten, wie
Du einmal übers andre versichert hast.

Also muß es unbedingt Schwäche sein, und da bedarfst Du des Ausruhens.
Am liebsten möchte ich, Du besorgtest das auf der Askov-Hochschule, da
könntest Du einen gründlichen dreimonatlichen Turnkursus durchmachen.
Meines Erachtens würde nichts Dir so helfen wie das.

Und _Du_ willst Dich besiegt geben, Bergliot? Schwarz sehen und Tinte
spucken? Mut in der Brust, Mädel!

                                             Dein bester Freund Vater.






Liebe, süße Bergliot, die Geschichte mit dem naseweisen Prinzen hat mich
furchtbar geärgert. Du mußt doch einsehen, _das_ ist keine Annäherung --
durch einen Brief! Solche Leute haben irgendeinen, der ihr Konzert
veranstaltet, und durch den Betreffenden oder die Betreffende erfolgt
dann die Annäherung. Soll sie nicht durch so jemand erfolgen, sondern
direkt, dann kommt man auch direkt, und ist man unverheiratet, mit der
Person, die im Hause repräsentiert. Ich kenne Dich gar nicht wieder, daß
Du auch nur einen Augenblick von dem fürstlichen Lümmel Notiz genommen
hast. Du hättest zu Sansot (rue Clauzel 23) gehen sollen; er ist ein
Franzose und ritterlich.

Die Sache mit den Amerikanern gefällt mir gut, wenn Du jedesmal
ehrenwerter Leute und ehrenvoller Behandlung sicher bist. Du mußt Dich
selbst vor der Öffentlichkeit behaupten lernen, und Du darfst nicht
glauben, daß Du das kannst ohne _lange_ Übung im öffentlichen Auftreten.
Aber es darf Dir nicht zu viel Zeit wegnehmen und nicht zu große
Toilette erfordern; denn sonst ist es nicht lohnend genug und viel zu
früh; _jetzt_ hast Du Deine Zeit nötig. Ja, liebe Bergliot, es freut uns
ungemein, daß man also -- und zwar Leute, die sich auf Gesang verstehen
-- Dich schon jetzt auffordert, vor den Amerikanern zu singen. Also hast
Du Deine Zeit in diesem Winter gut angewandt. Ich verlasse mich darauf,
daß Du in diesen Gesellschaften Dich freihältst von allem, was nach
Absichtlichkeit oder Koketterie aussieht; so etwas liegt kaum in Deiner
ehrlichen, schlichten Natur. Und ich bin überzeugt, daß _die Besten_
dies auch sofort einsehen werden, und die anderen allmählich dahinter
kommen. -- Ganz gewiß hat Frau Lürig Recht darin, daß vier Monate ohne
Gesang zu viel sein würden. Aber bist Du _noch_ nicht so weit, daß Du
anderthalb Monate ohne Lehrerin üben kannst, -- ich meine durch
Tonleitern die Stimme auf der Höhe und gleichmäßig erhältst, und Dir
durch Einstudieren norwegischer Lieder ein schönes Repertoire zulegst?
Darüber mußt Du sofort und bestimmt mit ihr reden, hörst Du! Darüber ins
reine zu kommen, dürft Ihr nicht aufschieben, _hörst Du_!! Ich glaube
_nicht_, daß es für Dich gut sein wird, bis Ende Juni zu bleiben; ich
glaube es wirklich _nicht_. Das ist wichtig für Dich, weil die
_Gesundheit_ ein schwerwiegender Faktor ist in den Dingen, die Deine
Studien zu einem hohen Ziel führen sollen. -- Jennys Beschreibungen mußt
Du _buchstäblich_ nehmen, also genau so, wie sie es sagt; -- denn das
ist die Seite, die sie ärgert; die andre, die sie ergötzt, vergißt sie,
-- bis man in ihre Nähe kommt und sieht, wie vergnügt und frisch sie
selbst ist. -- Liebe, süße Bergliot, wie sehnen wir uns nach Dir; aber
das darf Dich auch nicht _einen_ Tag Deiner Übungen kosten! es gilt
einzig und allein die Rücksicht auf Dich selbst, auf Deine Gesundheit.
-- Wieder kalte Tage, die das Fest der Schneeschmelze aufhalten! Wieder
blitzende Keilereien mit Bruun; aber er ist jetzt zahmer. Ja, ich fühle
mich nun hier daheim behaglich, so wie es nun einmal ist. Wenn bloß
unsre öffentlichen Zustände gesunder wären. Aber auch das renkt sich
wohl noch ein. -- Wir haben aus dem Kutschwagen einen Char-à-banc
gemacht und uns einen kleinen zweirädrigen Federwagen und einen großen
dito (auch auf zwei Rädern) für Gepäck, den Wein und derartiges,
angeschafft.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                         19. Mai 1889.


Liebe Bergliot, ich denke mir, Frau Lürig und Du seid wieder gute
Freunde, wenn Du diesen Brief bekommst. Das ist ja zu kindisch im Kern!
An Lehrern oder Lehrerinnen soll Deine Zukunft nicht scheitern. Aber
wenn es in Deinem Brief aussehen soll, als wollest Du _gegen Deine
Überzeugung nachgeben_, nur um vorwärts zu kommen, so soll der Teufel
den Wisch holen. Nein, gib da nach, wo Du unrecht hast, und meinetwegen
auch in allerhand Dreck und Blödsinn und sonst was; aber nicht da, wo Du
recht hast und es Deine Selbstachtung direkt angeht. Mag _dies_ Erbe
Deines innern Wesens Dir auch mancherlei zu schaffen machen, so hast Du
doch auch Freude davon und seelische Entwicklung. Es ist ja etwas in
Dir, das Du lernen mußt zu beherrschen. Und es ist schlimm, daß Du in
Deiner nächsten Umgebung Streitigkeiten hast, wo Du Frieden haben
solltest. Im Hause nämlich. Es ist auch schlimm, daß Du niemand hast, zu
dem Du gehen kannst, und der jetzt für Dich eintreten könnte. Ich habe
es Dir schon früher gesagt, und ich sage es Dir wieder, _das ist
falsch_. Wir müssen alle so dastehen, daß wir gegebenenfalls Verteidiger
haben. Aber Du verkehrst nicht mit Runebergs, nicht mit Sansots, nicht
mit Tschernings, also mit keinem von denen, die Dir in unserm Namen
Ratgeber und Beschützer sein könnten.

_Dies muß anders werden!_ Beherzige das!

Übrigens nimmst Du das Ganze zu tragisch. Sie ist ein Dummkopf, -- das
habe ich ja immer gesagt, und mit einem Dummkopf muß man Nachsicht
haben.

Willst Du nach Hause kommen, um Dich vor all dem zu retten, so tue es.

Wir haben Dikka hier gehabt.

Sie war einfach süß. Dann ist Arvesen hier gewesen zum 17. Mai --
unvergleichlich! Er wird immer prächtiger. Gute Laune, überlegne Ruhe
bei allem Eifer, -- prächtig!

Erling machte seine Sache als Preisausteiler und Festordner und Leiter
_vorzüglich_.

Wir stehen vor einer Reise nach Lillehammer, wohin wir Keilhau folgen
werden; er reist heute mit Dikka und Arvesen.

Der Brief ist faselig. Aber Du verstehst ihn schon. Hier im Hause ist es
so unruhig. -- Vergiß nie -- in was für Dummheiten Du auch
hineingerätst, und was Du selbst auch für Dummheiten machst --, stets
mußt Du die feste Überzeugung haben: wir glauben _dann_, daß Du bei
Deiner prächtigen Natur einfach _unglücklich_ bist, und wir werden nicht
böse, sondern selbst unglücklich sein _und Dir helfen nach bestem
Vermögen_. Denke daran, Bergliot, daß Du niemals etwas tun kannst, aus
dem Dir herauszuhelfen wir nicht mit aller Kraft versuchen werden. Habe
vor allem und unbedingt in Dir die Sicherheit, die das Bewußtsein gibt,
daß Du unerschütterlich _treue Freunde_ an uns hast, in Freud und Leid,
in Glück und Schande, in unwandelbarer, ausharrender Liebe. Mutter grüßt
und küßt Dich, lieber Schatz, und ebenso

                                                    Dein Freund Vater.

Ja, das sieht aus wie flott hingeschrieben; aber Du weißt, es ist guter
alter Wein, nur zu hastig eingeschenkt; sie drängen mich.




                                            Lillehammer, 20. Mai 1889.


Liebe, süße Bergliot, Dein Brief vom 16. Mai hat einen Jubelsturm
hervorgerufen heute; wir bekamen ihn noch im Bette, oben bei Lundes.
Heute, das heißt Montag; wir sind gestern, Sonntag, um 11 Uhr hier
angekommen, -- so zeitig, daß eine kleine Deputation mit Blumen, die von
Balberg aus uns entgegenkommen wollte, zu spät erschien; sie waren mit
auf dem Solbakkefest gewesen und wollten ihre Dankbarkeit beweisen.

Tausend Dank für Deinen Brief! Mutter und Dagny sind beim Zahnarzt, und
ich habe versprochen, Dir ein paar Worte zu schreiben.

Liebe, süße Bergliot, Du sollst in Licht und Hoffnung leben; Du sollst
es gut haben. -- Ich habe mich sehr gewundert, daß Du nicht mit bei dem
Ausflug der skandinavischen Künstler nach Meudon warst. Ich wundere mich
sehr, daß Du nichts über Thommessens schreibst, die lange Zeit in Paris
gewesen sind. Am 17. Mai bekamen wir ein Telegramm von ihnen, und Dein
Name war nicht mit dabei; also warst Du auch nicht da. Das geht aber
doch nicht an, daß Du so ganz außerhalb lebst, wenn etwas Derartiges vor
sich geht! Hast Du keine skandinavischen Freunde sonst als Cavlings?
Hast Du zu niemand Vertrauen? Du bist so exklusiv.

Von Lundes die herzlichsten Grüße! Von allen, allen! Freude darüber,
Dich bald wiederzusehen! Wonne darüber, daß es Dir gut geht! Herrliche
Sommertage, prächtige Stimmung! Leb wohl!

                                                    Dein Freund Vater.




                                               16. Juni 1889, morgens.


Ich wünsche Dir Glück, Du geliebtes Menschenkind! Alle Fahnen gehißt an
dem herrlichsten Sommersonntag! Der Hahn kräht in dem hohen Gras, die
Küken, die kleinere Brut, piepsen in neunstimmigem Chor in ihrem
prächtigen Gelaß unter der Treppe zum Vorratschuppen, und die größere
Brut auf dem Hofe draußen, beide unter der weisen Leitung ihrer Mütter;
sechs Schweine singen Baß und Bariton weiter weg im Schweinegehege,
Elster und Krähe machen einen Heidenlärm dicht davor; von Bö her Knall
auf Knall vom Schützenfest; Erling ist Vereinsvorstand; die Schellen der
Pferde ertönen vom Tal unten herauf, zwei Hengste halten oben im Stall
die gute Laune aufrecht, sie wiehern um die Wette nach einer Stute, die
den letzten Tag dort steht (sie soll unter der Obhut eines Hengstes auf
die Weide); Großmutter geht herum und knickst »gratuliere«! Oline ist
angekommen und huscht umher, stiller als ein Mäuschen, und räumt auf,
Karen hat die Hälfte von Mutters sechs Paar Strümpfen aufgefressen und
tut ganz geschwollen vor Scham und Reue, Dagny trappelt im Hemde umher
mit staubigen Füßen noch von gestern, Erling streckt seine verbundenen
Finger von sich und überlegt, ob er zu Amtmanns fahren und um Marit
anhalten soll (Karoline ist gekommen); Petter reist hinter Keilhau her;
-- und Sonne und Fliegengesumme und Hahnenschrei und Stille und Flaggen
-- und

                                                           Dein Vater,
                                                         der schreibt.




                                                            Juni 1889.


Liebe Bergliot, wir sind ganz entsetzt, daß Du in dieser Sonnenhitze von
Pontius zu Pilatus rennst nach Zeugnissen; im nächsten Brief bist Du
wohl gar bei Präsident Carnot und Madame Marchesi gewesen. Vom Champ de
Vincennes nach tour d'Eiffel und Mad. Viardot! Und Du behauptest, Du
seiest nervös? Das glaube ich; das wird man von weniger! Allein die arme
Madame Lürig läßt Du sitzen und sich die Nägel kauen. Und im übrigen
heidi -- in einem cours triomphal! Hast Du nie Deinen alten Drachen mit
oder ihren Hund oder ihr Dienstmädchen? Läufst Du allein umher? Nein, es
ist ja wahr, Mad.selle Breslau war ja einmal mit, und ein andermal eine
geheimnisvolle englische Dame, und in Vincennes Cavling, jedesmal
weranders! Ich hoffte, von Sansots zu hören; aber nicht ein Wort! -- Du
bist so betriebsam geworden, daß, wenn jemand mir erzählte, Du hättest
vor Ambroise Thomas gesungen in Gegenwart des Schahs von Persien, ich es
für ganz wahrscheinlich halten würde. Du endigst mal als
Operndirektrice; der unternehmende Geist Deiner Mutter ist in Dir
wiedergeboren, und sie hätte eigentlich das Bon marché oder Les grands
magasins du Louvre leiten sollen. -- Unsre Töchter werden sicher noch
mal unsern Jungens die Butter vom Brote nehmen; denn nun glaub' ich,
auch Dagny wird Künstlerin, -- entweder Schauspielerin oder
Schriftstellerin, oder beides. Auch sie fängt an, diese nervöse
Unverzagtheit an den Tag zu legen, die Du hast. -- Ja, im Ernst -- ich
fange an, auch in Dagny so was zu ahnen. -- Mein süßes Mädel, in ein
paar Tagen bist Du hier; und ist das Wetter wie jetzt, so kommst Du wie
im Schlafe angeschwommen. Gib Dich nicht dazu her, den Leuten an Bord
was vorzusingen, so daß wir den ganzen norwegischen Klatsch hören
müssen, lang eh Du selber kommst! _Mein Rat_; aber tu _Du_, wie _Du_
willst. Das Piano bereits in Lillehammer; jetzt schaffen wir es hier
herauf, daß es dasteht, wenn Du kommst. -- Arvesen hat angekündigt, daß
ein amerikanischer Freund von Arve hierher kommt und Arve selber. -- Ich
freue mich nicht auf all den Klimbim. Je älter ich werde, desto weniger.
Im übrigen ist die Luft so voll Elektrizität, daß ich kaum arbeiten
kann. -- Mutter berichtet wohl von Erlings Unfall. Mir imponiert es
mächtig, daß er es wagt, sich einem scheu gewordenen Pferd
entgegenzuwerfen und es zum Stehen zu bringen. Dazu gehört ein Mut, wie
ihn nicht viele haben; und denk Dir, er hatte sich dabei an dem anderen
Pferde die Hand so abgeschunden, daß er mit dem roten Fleisch das tolle
Tier anpackte, das ihm mit dem Wagen auf einem Rad entgegenkam! Tapferer
Bengel! Ja, wenn dies also der letzte Brief ist, ehe Du kommst, -- Dank
für all Deine Montagsplaudereien, liebe, süße Bergliot! Und mach' die
entsetzliche Hitze dafür verantwortlich, daß Du wieder nichts bekommst
als Unsinn.

                                                    Dein Freund Vater.

Ich habe nicht von Erling berichtet, weil ich nicht zuhause war und es
nicht gesehen -- sondern bloß gehört habe und nicht genau weiß, wie es
zuging.




                                                   22. September 1889.


Wahltag in Paris; wenn er bloß gut abläuft.

Lieber, lieber Schatz, Du mußt doch nicht immer die wechselnde Laune
eines anderen Menschen so tragisch nehmen, wie Du's bei Madame Marchesi
getan hast, oder es so auffassen, als sei nun alles, was ein anderer
sagt, auch seine endgültige Meinung. Du mußt von Dir selbst wissen, wie
leicht Deine eigne Meinung wechselt nach Deinen eignen Stimmungen, und
selbst die stärksten Menschen sind nicht immer so neutral, so
selbständig unbeeinflußt, daß ihr Urteil völlig ihr eignes ist. Stell'
Dir vor, Du kommst bei Madame Marchesi an die Reihe nach einer Stimme,
die wie ein Meer von Klang ist? Dann hast _Du_ ja eine »kleine« Stimme;
stell' Dir vor, daß dieses Meer oder etwas andres Privates sie geärgert
hat, -- dann _sagt_ sie Dir, daß Du »eine kleine« Stimme hast. _Das hast
Du ganz und gar nicht._ Zu den »großen« gehört sie nicht; aber sie wird
(wenn sie nie forciert, nie bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
angespannt wird, sondern immer in vollem Wohlklang ist) sich überall
groß genug anhören, sei es in der Oper oder im Volkskonzert; ihre
intensive Klarheit wird es schon mit weit größeren Stimmen aufnehmen
können.

Auch ich, wenn ich die Stimme zum erstenmal hörte und von allem
Persönlichen in ihr und in Dir absähe, würde sagen, ganz _unbedingt_
sagen: es ist eine lyrische Stimme, keine dramatische. Kannst Du Dich
erinnern, wie ich Dir sagte, Madame Marchesi würde zweifellos den
Versuch machen, sie für die feinsten Sachen auszubilden? Und Du würdest
deshalb jedenfalls _zwei_ Jahre bei ihr singen müssen statt einem? --
Sei ganz sicher, -- an dem Tage, an dem sie Dich frei von der Leber weg
hat singen hören oder überhaupt Dich richtig erfaßt hat -- wenn auch nur
als Persönlichkeit -- wird sie ihre Ansicht ändern. Vorläufig ist es ja
auch ganz gleichgültig für Dich, was sie über Deinen zukünftigen Beruf
denkt. Richte Du Dich ein, wie es Dir nach Deinem eigenen Gefühl am
besten erscheint; nimm Unterricht in Plastik usw.

Die Hauptsache ist ja doch, daß Du Dich vervollkommnest in der
Gesangskunst, und das kannst Du am leichtesten, am allseitigsten
(jedenfalls was das Technische betrifft) als »lyrische« Sängerin. Dein
Temperament, Deine ganze Veranlagung weisen Dich auf den Weg zur Oper;
und den betrittst Du, wann Du selbst es willst, -- hast Du erst die
ganze Kunst, die ganze, ganze Kunst bis ins Feinste und Letzte weg. _Und
dahin mußt Du kommen!_

Selbst das ärgert Dich, daß sie will, Du sollst ganz im kleinen
anfangen. Natürlich geschieht das deshalb, um die Fehler in Deiner
Stimme zu packen. Es sind Töne da, die Du nicht so frei nimmst wie andre
Töne, die Du quetschst; z. B. mit dem »l«, in das Du ein »i« oder was
Ähnliches hineinbringst, ehe Du es nimmst. Übrigens habe ich nie von
einem Musiklehrer gehört, der _nicht_ von seinen Schülern verlangt
hätte, sie sollten wieder von vorn anfangen; da ist sicher auch viel
Wichtigtuerei mit im Spiel!

Du mußt es bei Dir selbst fühlen, Bergliot, was _wir_, die Dich hören,
wissen: daß in Deiner Stimme etwas ist, das durch seine Klarheit, seinen
Ausdruck, seinen Liebreiz bezaubert oder »vertrollt«, wie es auf
norwegisch heißt. Und auf dem Ankergrund dieses Bewußtseins sollst Du
Deine Arbeit befestigen, daß niemand daran rütteln kann. Du sollst Dich
ruhig und sicher rüsten für Deine Fahrt --, wohin sie führt, wird sich
schon zeigen. Daß Du aus Deinen ganz besonders schönen Mitteln gemacht
hast, was sich daraus machen läßt, darauf kommt es an; denn dadurch hast
Du selber Sicherheit und wir anderen _Gewißheit_. Wenige müßten sich so
glücklich und arbeitsfreudig fühlen wie Du, Bergliot.

Hier ist mannigfarbiger Herbst, schöner denn alle andre Jahreszeit. Von
den gemütlichen, warmen Stuben aus sehen wir ihn oder wir genießen ihn
auf Spaziergängen. Sonntagmorgen; Mutter just aus dem Bett, Großmutters
Geburtstag, alle Flaggen gehißt, Sonnenwetter, aber noch im Morgennebel;
oben Dagny und Inga im lustigsten Vogelgezwitscher, Großmutter kommt
eben strahlend heraus, ich laufe und küsse sie, und wieder hinein zu
Dir, um es Dir zu erzählen. Erling, mit dem ich zusammen gefrühstückt
habe, ist mit seinen zwei Hunden unten auf dem Schießstand (eben kommt
er heim); Hermann Anker hat ihm seinen feinen Hühnerhund »Lord«
geschenkt. Alles auf dem Hofe eingeherbstet, die Felder herbstgrün,
Pferde und Vieh draußen zum Morgengetummel; Dienstag kommt die Herde von
der Alm zurück; aller Almsegen ist eingebracht.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                   28. September 1889.


Liebe Bergliot, wir haben heute schmerzlich auf die Post gewartet, um zu
sehen, ob Du noch ebenso mißmutig seist. Das warst Du also nicht; obwohl
ich mich gründlich ärgere, daß Du so schwach bist, -- so schwach, daß
die Stimme darunter leidet! Was in aller Welt ist denn das nur,
Bergliot? Du, die früher ein Hüne war. -- Ich glaube, Du mußt Dir ein
paar Hanteln anschaffen und Dich auf etwas kräftigere Gymnastik legen.
Das stärkt die Muskeln und den Appetit. -- Prachtvoll ist es, daß Du zu
netten Leuten gekommen bist. Daß Du keinen aufregenden Spektakel hast,
meine ich. Ißt Du nun auch gut dort? Liebling, antworte mir hierauf! Die
Sache mit den Eiern ist schon recht schön; aber die Mahlzeiten müssen
kräftig und appetitlich sein; gelähmte Leute natürlich essen wie Hühner
auf der Stange; wenn sie Dich nach ihrem Maßstab messen, dann gnade Dir
Gott! -- Iß, iß, iß! Schreibe an Jakob Hegel, Klareboderne 4,
Copenhague, Danemarc, um Geld. Dort liegen mehrere Tausende zu Deiner
Verfügung, liebe Bergliot. Du _mußt_ stark und froh werden. -- Zwei
Bücher sollst Du kaufen, sie selber lesen und sie dann mir schicken (Du
kannst sie billig bekommen, wenn Du es klug anstellst, z. B. sie durch
einen Agenten, z. B. Fougner, kaufst). _Un caractère par Léon Hennique._
_Und Un amour artificiel par Jules Case._ Björn und Jenny sind nun bei
Dir gewesen; ich habe bloß Angst, Du kannst Arbeit und Vergnügungen
nicht vereinigen, wenn sie Dich tagsüber mit sich schleppen. Jetzt gilt
es für Dich, die anderen einzuholen, und so lange mußt Du mit Deinen
Kräften haushalten. -- Hier ist nichts Neues; ich habe ein Herbstlied
geschrieben, das ich Dir bei Gelegenheit schicke; das Wetter war zu
herrlich; es lockte mich. Ole Nordrum und die Kühe sind hier; Oles
Zimmer ist getäfelt und gemalt und sieht aus wie eine Puppenstube; jetzt
wird das von Karen und der Jungfer neben Erlings frisch beworfen und
gemalt; die Gesindestube ist getäfelt und gemalt. Ich liefere also die
Gebäude in vorzüglichem Zustand ab (ausgenommen die Einrichtung des
Viehstalls). Meine Lektüre war ein Buch über den hervorragenden
englischen Geist Carlyle (sprich Carleil). Hättest Du Zeit und Lust für
dergleichen, so würde ich es Dir schicken; es ist vorzüglich gemacht von
einem jungen Bergenser Troye. Dann werde ich Dir drei Exemplare des
»Dagblad« senden; ich habe über den »Bettelsack« auf Schwedens Rücken
geschrieben; das wird Spektakel machen! -- Leb' wohl für heut abend,
liebe B. B.! Deine Mutter sendet Dir wohl auch ihr Teil. Ich freue mich
über die Wahlen in Frankreich! Oh, wie ich mich freue! Grüß' Deine
Alten!

                                                    Dein Freund Vater.

Nein, wie ich gelacht habe über Deine verrückte Alte beim Besuch bei
Euch!

Inga Björnson ist das Prachtvollste, was Du Dir denken kannst.

Grüße Cavlings.




                                                      6. Oktober 1889.


Wahltag. Bin _gespannt_!

Liebe Bergliot, nun also der Brief war schon heiterer. Mad. Marchesi hat
Dich nicht umgebracht, Deine Stimme ist nicht eingerostet, Du selbst
bist nicht in die Seine gesprungen, Paris ist auch nicht untergegangen.
Das letztemal sah es recht trübe aus. Es wäre doch sehr nett, wenn es
wenigstens _etwas_ gäbe, was fest bestehen bliebe, selbst wenn Deine
Laune zum Teufel geht. Aber wenn die ganze Welt aus den Fugen gehen
soll, so oft die Marchesi den Mund verzieht, so kann mir die Welt nur
leid tun. Wenn Du nur z. B. Dir selber klar würdest, daß Deine Stimme
von einem Klang und einer Reinheit erster Klasse ist, so ließe sich ja
der Gedanke ertragen, daß sie nicht groß ist oder an augenblicklicher
Schwäche leidet. Und wenn es feststände, daß Du _seltene_ dramatische
Schwungkraft und Illusion in Dir hast, so wäre es ja wohl möglich, mit
der Entscheidung der Frage: wozu? zu warten, bis die Stimme völlig
ausgebildet ist. Selbst wenn es etwas länger dauern sollte: die
vollständige Ausbildung der Stimme ist das Erste.

Auf Zweierlei bin ich sehr gespannt jetzt: findest Du, daß Du
Fortschritte machst, etwas lernst, das Dir ganz besonders vorwärts
hilft, Fehler ablegst, Neues aufnimmst, -- _und ferner auf den Preis_!
Du mußt Dir doch einmal darüber klar werden, was der Spaß kostet. --
Erling und Anna sind gestern abend gekommen, und _Freitag, den 11._,
soll die Hochzeit stattfinden, so gibt es viel zu tun hier; darunter
mußt auch Du leiden. Alles soll umgekrempelt werden; wir glaubten, es
sollte am 14. sein; also Mutter ist böse und hat keine Zeit zum
Schreiben. Anna ist wirklich lieb, so ganz unberührt; sie müßte für eine
ganz bedeutende Entwicklung empfänglich sein, und es ist eigentlich eine
Sünde, daß das alles nun in der Sorge ums tägliche Brot aufgehen soll,
-- wenn wir auch das Unsrige dazu tun werden, daß es nicht so wird.

Du wolltest die Frauenzimmer in der Rue Labic (oder wie sie heißt)
aufsuchen, nur _ein_ Frühstück im Hause, nur ein Zimmer; erkundige Dich!
Das Paar meldet seine hohe Ankunft telegraphisch. Sie möchten gern
irgendwo in Ternes wohnen; Du hast freie Hand, Vorsehung zu spielen.

Wir haben einen neuen Ochsen aus Telemarken, eins der schönsten Tiere,
das man je hier gesehen hat, 130 Kronen, 1½ Jahr alt. Ullmanns Knecht
hat ihn gebracht. Dann haben wir unsern eignen Ochsen und eine Färse
verkauft -- ohne daß das den Preis für das Biest aus Telemarken
eingebracht hätte. -- Mutter, Erling und Anna sitzen und schreiben die
Einladungen zur Hochzeit. Bloß Annas Eltern, Fyksens, Pfarrers,
Börresens, Even Toft und Kätnerleute von hier. Lundes und Mejdells aus
Lillehammer und mein Bruder mit Frau aus Xania. Die Neuvermählten fahren
Freitag um 5 Uhr von hier nach Lillehammer ins Victoria-Hotel -- ha! wie
Bergliot schreibt! -- Wir haben das allermildeste Wetter. Wir pflügen
für nächstes Jahr im voraus und lassen den Stall und den Schweinekofen
inwendig bewerfen, ebenso Karens Raum (oben neben Erlings), und eins
wird wärmer als das andre. Alle Gebäude instand zur Übergabe außer der
Einrichtung des Kuhstalls.

Hier ist ein solcher Wirrwarr, daß das Schreiben gar keinen Sinn hat.

                                                    Dein Freund Vater.




                                            Sonntag, 13. Oktober 1889.


Liebe Bergliot, das Haus ist noch immer voll von Gästen; Peter und
Laura, Sigurd und Lina, Frau Mejdell, Frau Lunde und Elisabeth Konow
sind alle hier.

Daß Du es entgelten mußt, das kann nicht anders sein. Du mußt einen
Ersatz dafür in Erlings und Annas Besuch diese Woche sehen. Morgen abend
(Montag) reisen sie von Kristiania ab.

Also am Hochzeitstag war gutes Wetter mitten in der Regenzeit. Gutes
Wetter, klarer Himmel für die Flaggen. Am Abend vorher waren Sigurd und
Lina gekommen und Peter und Laura und Arvesen; so daß das Haus in
Festlichkeit erwachte; und die Flaggen verkündigten es sofort; auch Bö
hatte geflaggt.

Um halb eins kamen die Gäste, alle in Wagen mit zwei Pferden, Fyksens
und Annas Eltern, Konows, Amtmanns, Börresens, der Landrichter und
Lundes. Ohne Verzug ging es zur Trauung. Hier im Arbeitszimmer war alles
hergerichtet (das beschreibt Mutter). Die Leute vom Gut waren auch da,
und als die beiden treuherzigen, lieben, jungen Menschen sich erhoben
und »Ja« sagten, da brachen wir alle, die ihnen die nächsten sind, in
Tränen aus, und ich weine jetzt wieder, während ich das schreibe. Die
Handlung war feierlich, nicht ein unwahres Wort dabei. Und der alte
Mejdell so rührend, und stellte die Fragen an Erling wie an einen Sohn,
mit »Du« und mit solcher Wärme und Teilnahme! Und Anna war so
unglaublich niedlich in ihrem schwarzen Atlaskleid und so freudig und so
gerührt. Und das waren wir samt und sonders. Wir waren mit einemmal eine
Gemeinschaft.

Keines von uns vergißt den Tag; er hinterließ eine Stimmung, von der wir
noch heute zehren. -- Aber ich muß Dir noch vom Essen erzählen, es war
so angeordnet, daß jede einen Tischherrn hatte (Inga, Elisabeth, Cäcilie
Mejdell und Dagny die Kätner), da sagte Ole Dokken, wie er so dasaß, mit
einemmal zu seiner Dame, Inga, so daß es alle hörten: »Nee, nu muß ich
'n bißchen raus«, und damit ging er ab und kam kreuzvergnügt und harmlos
wieder herein. Seitdem heißt es hier im Hause: »Nee, nu muß ich 'n
bißchen raus!« jedesmal, wenn einer aufs Örtchen muß. Und dann muß ich
Dir erzählen, daß das Tintenfaß, das beim Unterschreiben des Kontrakts
benutzt wurde und ebenso die Feder (eine Goldfeder mit Diamantspitze)
meine Jubiläumsgeschenke waren, und wir machten aus, Du und Dagny
dürften sie auch benutzen. Und der Brautschleier war Mutter ihrer, und
den sollt ihr, Du und Dagny, auch tragen.

Elisabeth, Inga und Dagny machen einen Heidenlärm über mir, ich kann
fast nicht schreiben. Nein, ist diese Inga eine Perle! So ein
gediegener, verständiger, guter, entzückender Mensch! -- Na, ich weiß
ja, Du erfährst alles mündlich, also will ich lieber einen langen
Spaziergang machen mit Peter und Sigurd, anstatt mit Dir zu schwatzen
heute. Mir ist auch so weinselig im Kopf. Dein letzter Brief gab ein
Bild davon, daß Du Dich über Deine Fortschritte freust. Erzähl' etwas
von Deinen Klassenkameraden, und wie es dort zugeht. Singt Ihr Euch
gegenseitig vor? Wie lange dauert es dann? Ihr müßt also mehrere Stunden
hintereinander da sein?

                                        Dein bester Freund, Dein Vater
                                                                 B. B.




                                           Aulestad, 19. Oktober 1889.


Liebe Bergliot, Deinen nächsten Brief mußt Du nach Kristiania richten,
denn gleichzeitig mit diesem reisen Deine Mutter und ich dorthin. Ich
habe einen so herzlichen Brief von Grieg bekommen, und dann will ich mir
die Ausstellung ansehen und »Olaf Trygvason« hören, und sehen, was in
aller Welt Thommessen vorhat, und noch so allerhand andres. Übrigens ist
es eine Schande, daß ich meine unterhaltsame Arbeit unterbrechen muß.
Deine Erkältung hat mich erschreckt. Zwei Dinge _verbiete_ ich Dir,
nämlich, Dich zu verloben und Dich zu erkälten. Denn beides ist
unmöglich, wenn man es nicht selbst will. Durchaus unmöglich. Das ist
auch das erste Mal, daß Du von Erkältung schreibst und eine Sängerin muß
_lernen_, sich nicht zu erkälten, und streng befolgen, was sie durch
Erfahrung darüber gelernt hat. Wer von seiner Kehle leben will und doch
sich erkältet, dem gehören Prügel. Das ist _meine_ Meinung. Ich bin das
ganze Jahr nicht erkältet.

Björns großer Erfolg in Kopenhagen hat uns _und alle möglichen Menschen_
erfreut. Ein voller Triumph! Die da drinnen (in Kristiania) wissen
nichts davon, daß wir jetzt kommen. -- Wir freuen uns rasend. -- Lies
nun endlich _Letourneau_ von Anfang bis Ende. Wenn Du diese Dinge
kennst, so kommst Du eher zum Ergebnis der Geschichte als eine Menge
Menschen, die Weltgeschichte zum Abiturium studiert haben. Und möchtest
Du es lieber auf norwegisch haben, weil es Dir unangenehm ist, es auf
französisch zu lesen, so sollst Du es sofort haben. Versprich mir das!
Aber wo bleiben die zwei Bücher, die _ich_ Dich bat zu kaufen? Bei denen
eilt es sehr mit dem Lesen, sieh zu, daß ich sie bekomme, nicht beide
auf einmal, aber eins nach dem andern. -- Hier oben sind sie dabei, den
Bauplatz zu graben, Bauplatz, Bauplatz, Bauplatz! Übrigens hübsch, daß
man weiß, da werden sie wohnen! -- Sage Erling und Anna, daß sie nicht
lange wegbleiben dürfen, lieber ein andermal wieder fort, wenn
vielleicht wir auch fort sind. Du mußt ein bißchen von ihnen erzählen;
sie kommen wohl nicht dazu, selbst viel zu schreiben. Sag' Erling, daß
wir im Handumdrehen große Ersparnisse machen. Dem Baumeister geben wir 3
Kronen täglich bei eigner Beköstigung, und _er_ macht für uns die
Akkorde mit den anderen. Wir streichen eine ganze Menge von dem, was der
Architekt hingeschmiert hat; will man es _später_ nachholen, so ist
immer Gelegenheit dazu. Wir legen Schieferboden in den Kellern anstatt
Ziegel, legen keinen _Zink_boden im Badezimmer, bauen keine Veranda,
richten es aber so ein, daß einmal eine gebaut werden kann, wenn es
gerade paßt. Und die Fensterrahmen erneuern wir nicht; das kann auch ein
andermal geschehen. Wir graben auch keine Abflußrinnen durch die Keller;
der Grund ist vorzüglich, und das sind überflüssig angeordnete Dinge.
Wir mauern die Keller nicht aus; das wird rasend kostspielig und ist
sicher ganz unnötig. Auf diese Weise sparen wir viele tausend Kronen.
Und der Baumeister steht dafür ein, daß das Haus auch ohne das gut und
schön wird. Das hier mußt Du den »Jungen« vorlesen und ihnen sagen, daß
wir alle Tage von ihnen reden, und sie, sobald sie sich losreißen
können, wieder zu Hause haben möchten. -- Ich habe mich gefreut, in
Deinem letzten Brief einiges von der Klasse und dem Unterricht zu lesen;
Du solltest Dich darin üben, mehr derartiges zu sehen und wiederzugeben;
es wird Dir selbst Freude machen, es zu können; denn Du hast zweifellos
Anlage; aber es gehört Übung dazu. -- Es hat mir dieser Tage Spaß
gemacht, von der Begegnung zwischen dem deutschen Kaiser und dem
russischen zu lesen. In der zierlichsten Form die entschiedenste Werbung
und die entschiedenste Ablehnung. Und beide dachten bei jedem Wort, das
sie sagten, an Frankreich, obwohl der Name nicht genannt wurde. Wenn Du
die Reden gelesen hast, so verstehst Du, was ich meine.

Wir haben einen langen Brief von Ejnar gehabt und haben ihm wieder lange
Briefe geschickt und die Zeichnungen vom Haus, hübsch ausgeführt, und
einen Deiner Briefe und Sansots letzten Brief und noch allerhand sonst.
-- Mit Inga und Dagny geht es ausgezeichnet. Diese Inga ist prächtig.
Ich habe ihnen zum Frühjahr eine Spritztour nach Kristiania versprochen.
Dagny soll wenigstens einmal im Jahre nach Kristiania, ins Theater usw.
Wenn wir sie doch nach Paris schicken könnten! Du mußt wirklich Deine
alten Leute von uns grüßen; ich freue mich so sehr darüber, daß Du bei
guten, gebildeten Menschen bist, die Dich gern haben. Und wie ich mich
freue, daß Du so gut schläfst! Mehr als darüber, daß Du arbeitest! --
Ist ja wahr, Du mußt Erling erzählen, daß »Han« ein ausgelernter Dieb
geworden ist. Er muß zweifellos aus einer Diebsfamilie stammen. Nicht
allein, daß er hier stiehlt, darauf spannt, wenn die anderen gegessen
haben und der Tisch unbeaufsichtigt ist, und dann auf den Hinterpfoten
herumgeht, mit den Vorderpfoten auf den Tisch, die Teller abschleckt,
alles nimmt, was ihm zusagt; sondern er geht auch auf andere Höfe und
stiehlt; auf einem Gehöft erwischte er einen Ziegenkäse, auf einem
andern fraß er eine Schüssel kalten Brei aus, Frau Börresen stahl er
Fleisch, -- und so die Runde herum, zum Schrecken der Leute. Das wird
noch sein Verhängnis werden, armes Tier. -- Erzähle, daß hier jetzt
gedroschen ist. Wenig, aber vorzüglich. Der Kleesame ist völlig
mißraten; wir haben ihn nicht einmal durch die Maschine gehen lassen.
Tausend Grüße von uns allen!

                                                    Dein Freund Vater.

Ich schicke kein Buch.

Cavlings. Er ist ja in Kopenhagen, und ich weiß seine Adresse nicht.






Liebe Bergliot, ich habe eine arbeitsreiche Woche hinter mir, es geht
nun flott mit der Erzählung. Und mitten in der Arbeit mußte ich mich
über Dich freuen, mein keckes Mädel, daß Du es das erstemal, wo Du
aufgetreten bist, so gut gemacht hast. Cavling strich Dich natürlich zu
sehr heraus; aber es war so gutherzig und warm geschrieben, daß ich es
den andern nicht vorlesen konnte, sondern es Keilhau geben mußte. Die
Namen der beiden Damen, von denen Du schreibst, daß die eine mit Dir,
die andre mit Madame Lürig gesprochen hat, kann ich nicht lesen. Du mußt
ein einziges Mal versuchen, deutlich zu schreiben. -- Herrgott,
Bergliot, Du solltest bloß wissen, was es heißt, etwas Schönes über
seine Kinder zu lesen, _und dabei sicher zu sein, daß es wahr ist_. Das
übertrifft alles, was man überhaupt lesen kann. -- Nun fängst auch Du
an, uns diese Freude zu bereiten. -- Propstens sind vor kurzem hier
gewesen; die Mädels sind nach Bergen gereist, um unter die Haube
gebracht zu werden, und ich habe ihn bös geneckt. -- Sonst keine
Neuigkeiten von hier, außer daß N. N. vor die Tür gesetzt ist. Sie hatte
eine Nasenspitze, die trippte gerade ins Essen hinein, und darüber
entzweiten sich Karen und sie, und noch hundert andre Dinge kamen dazu,
und schließlich wurde sie ganz unmöglich. Wir setzten den Koffer und die
Kommode und die Tasche und das Weibsbild und die Trippnase auf einen
Langschlitten und fort damit, adieu! -- Große Freude im ganzen Hause.
Großer Spektakel mit Geschichten über sie, seit sie weg ist. -- Ich habe
nichts gehört, ob Du jetzt Darwin liest. Ich schickte Dir das über die
Vererbung; das solltest Du nach Dir Frau Runeberg lesen lassen; es wird
ihr großes Vergnügen machen, und Du könntest gleichzeitig herzlich für
den Brief danken. Glaube mir, der war reizend. -- Jetzt sind wir des
Abends vom Whist zum Boston übergegangen, und weiß Gott, die Mädelchens
sind dabei ebenso pfiffig wie wir! -- Heute wurde Peters Mutter
begraben; der Sarg wurde hier gemacht, und die Pferde gingen von hier,
so daß die ganze Gesellschaft von Baklien aus in Schlitten zur Kirche
fuhr, alle Dienstboten und Kätner. Und die Mädelchens kamen mit ihren
Handschlitten zur Kirche hinauf, und weil der Leichenzug nicht
rechtzeitig kam, schlitterten sie den neuen Weg hinunter bis nach
Solhejm; und dann saßen sie bei der Leiche auf bis oben und fuhren vor
dem ganzen Leichenzug noch einmal hinunter! Keilhau und Erling mit
zurück, wo große Gesellschaft war, und sie spielten Whist mit Fedje und
Peter (der vielleicht außer Erling der beste Whistspieler in Gausdal
ist) und kamen um 7 Uhr heim und waren sehr erbaut von der Fahrt und der
Gesellschaft. Aber es sieht so aus, als ob Peters jüngstes Kind (3
Wochen alt) ebenfalls dran glauben muß, also gibt es noch ein Begräbnis.
Auch Mathias' Frau, die Ingeborg, stirbt gewiß bald. Wir haben ihm mit
Geld und Essen und Kleidern für die Kinder helfen müssen, obwohl er das
größte Anwesen des Gutes, vielleicht des ganzen Kirchspiels hat; es geht
rückwärts, wenn die Frau krank liegt. Also, Ihr taugt doch zu etwas, Ihr
Frauensleute, selbst wenn ihr uns nicht vorsingt. Ja, Du bist doch unsre
einzige herrliche Bergliot, Du! Oh, wie ich Dich lieb habe, ganz gleich,
zum Teufel, ob Du eine berühmte Tochter wirst oder nicht.

Grüße Mad. Lürig und Deine alte Dame. Du kannst Geld für die Uhr
_geliehen_ bekommen.

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, hast Du den »Professor« gelesen? -- Falls nicht, so
schicken wir Dir das Buch, und Du es Ejnar! Dank für alles, was Du mir
schickst! Es freut mich erstens an und für sich, und dann, weil es von
Dir kommt und zeigt, daß Du selber Anteil nimmst und willst, daß auch
wir Anteil nehmen. Ich lese noch immer täglich »Le Temps«. Fertig mit
»Le rêve«, nachgemachte, gut nachgemachte Legenden-Poesie, aber
unwahrscheinlich. Ja, liebe Bergliot, wenn Du jetzt Sehnsucht hast, so
vergiß nicht, daß in ihrer unklaren Arbeitszeit das alle haben, und am
meisten diejenigen, die ihrer Arbeit wegen sich abschließen müssen. Die
Belohnung kommt später. Sei nicht ungeduldig. Aber sag' uns _alles_, was
sich Dir in den Weg stellt, zeichne alle Wolken, die Dir dräuen, selbst
nur momentan; schon sie abzeichnen zu können, ist der halbe Weg, sie los
zu werden.

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, Dank, tausend Dank für Deinen Brief! Die Stelle über
Hanka als Mezzosopran war allerliebst! Sag' ihr von mir, daß sie einen
Mann heiraten muß, der um ein Viertel größer ist, und der die
Liebhaberpartien singt, sonst kann sie sich auf keiner Bühne sehen
lassen. -- Was Du über die Aussprache des Französischen schreibst, ist
richtig. -- Du mußt auch noch lernen, das _Norwegische_ auszusprechen.
Wer einen herzlichen Eindruck machen will, muß die Worte genau so sagen,
wie wir selbst sie sagen, wenn wir am natürlichsten sind.

Hier zu Hause ist es so gemütlich. Voller Winter, Schnee, Schnee,
Schnee; in diesem Augenblick dichter Schneefall bei nebligem Wetter, als
wären grauweiße Gardinen vor den Fenstern _draußen_. Herrlich in der
warmen, behaglichen Stube. -- Möglich, daß Björn und Peter, vielleicht
L. Holst zu Weihnachten herkommen. Denk nur, wenn Du es wärst! Denk nur,
wenn Du wieder Schlitten fahren kannst! Wenn Du Deinen Gesangskursus
hinter Dir hast (mutmaßlich in anderthalb Jahren), dann kannst Du wohl
ein Jahr lang Ferien machen; oder soll's gleich losgehen? -- Ich stimme
für Ferien und Allotria ein Jahr lang, damit Du zu Kräften kommst. Aber
alles zu seiner Zeit; -- Schlittenfahren mußt Du, Mädel, und frische
norwegische Winterluft einatmen so bald als möglich; denn das ist das
Köstlichste, was wir haben, die Winterluft! Ebenso wie das Land im
Schnee das Schönste auf der Welt ist. Aber die Menschen, Du, wie die
kalt sind und starr! Genau wie eine nicht durchgearbeitete Stimme, so
ist der ganze Mensch. Ich leide Herzensqualen vor Sehnsucht nach Wärme
und Glauben an irgend eine Kraft in ihnen. Herzensqualen. Ich warte von
Jahr zu Jahr; aber hie und da ein kleines Aufflackern, dann weg,
erloschen, trocken, nichts. -- Leb' wohl, liebe Bergliot, leb' wohl!

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, nur ein paar Worte. Dies ist die Parnell-Woche gewesen;
alle Zeitungen schreiben, alle Leute reden von nichts als Parnell, den
man seit länger als einem Jahr beschuldigt, zusammen mit seinen Freunden
heimlich auf seiten derer zu stehen, die die Sache Irlands mit Mord und
Raub verteidigen, während er öffentlich sich als der Mann gäbe, der
streng auf dem Boden des Gesetzes stünde. Nun liegt die ganze
Verleumdung (und die Times, die sie angezettelt hat) im Schmutz! Alles
war Lug und Trug!

Diese Woche gehört zu den frohsten, die ich erlebt habe. Ich habe auch
in diesen Tagen ausgezeichnet geschrieben, und ich werde ein prächtiges
Buch fertig bringen Frühjahr, glaub' es mir!

Hier ist es noch immer ganz wundervoll! Heute Sonntag sitze ich und lese
meinen zweiten Artikel über Norwegen in Harpers Monthly; heute
Nachmittag wollen wir zum Propst im Breitschlitten mit zwei Pferden vor.
Hurra! -- Also nun ist Frau Lürig wieder brav; -- ja, ihr Weibervolk! --
Wenn Du turnst, hast Du da eiserne Hanteln zum Heben? Du kannst sie
kaufen, wo die Av. des Ternes mit dem Faubourg Honoré zusammenstößt.

Carl Keilhau hat angefangen, Bruun zu studieren, um eine Reihe Aufsätze
zu schreiben über seine »Bruniana«. Er verdient, daß er einmal unters
Schermesser kommt, der alte Zopf! -- Hier zu Hause freuen wir uns
mächtig über Sverdrup, daß er nun endlich erledigt -- und der Verachtung
aller Menschen preisgegeben ist. _Jetzt_ ist »V. G.« der rechte Ausdruck
für das, was fast alle fühlen, sogar manche Oftedöler. Vater Fougner war
eines Sonntags hier, und sagte dasselbe. -- Arbeit nützt doch etwas.

Von Björn nichts in letzter Zeit. Von Kielland vergnügten Brief. Seine
Zeitung geht. Siehst Du, ein paar Zeilen hab' ich doch zuwege gebracht
für mein einzig süßes Mädel!

                                                            Dein B. B.

Grüße Cavlings!






Liebe Bergliot, es gefällt mir ungeheuer, daß Du nur den rechten Weg zum
Ziele gehen willst, nicht lügen, nicht schmeicheln, nicht feig sein;
sondern treu und gehorsam und wahr. Ich glaube zwar nicht, daß Du auf
die Dauer die Künstler-Charakterlosigkeit und die Intrigen aushältst;
aber ich sehe nichts Schlimmes darin, wenn Du nicht auf die Dauer
Opernsängerin wirst. Wenn Du bloß ein tüchtiger Mensch wirst, der seine
Sache kann bis zur Meisterschaft, und durch die persönliche Macht Deines
Gesanges hinreißt; dann hängt das übrige von Dir ab; dann kriegen sie
Dich nicht unter.

Schon wieder ein langer Brief von Ejnar. Sie hatten gerade die Nachricht
von Parnells Rechtfertigung erhalten, und da die meisten dort
Konservative sind, die die schärfsten Ausdrücke über ihn gebraucht
hatten, so erzählt Ejnar, daß er die »Ziegenböcke« in ihrem eigenen Fett
hat braten lassen. Ja, necken kann er. -- Hierzulande zurzeit nur Doktor
Nansen; -- sein Einzug muß großartig gewesen sein.

Der Haß zwischen Norwegern und Schweden wird immer heftiger. Ich darf
wohl behaupten, daß die Stimmung jetzt für offenes Entgegenarbeiten
gegen die Umwandlung der Union in einen Bund ist. Selbst die Rechte
schließt sich bald an. -- Wie es mich freut, daß Hejmann endlich etwas
zu tun hat. Denn zum Kindermädchen paßt er gewiß. Na ja, im übrigen weiß
ich nicht; es wird ihm wohl auch das leid werden! -- Einen ähnlichen
Frühling hat noch kein Mensch, nicht der allerälteste erlebt. Nachts
Regen, Tags Sonnenschein! Wie die Küh' auf die Alm sind 'zogen, habn's
'tanzt! Nein, wie schön die Herde geworden ist! Schade, daß Du sie nicht
sehen kannst, -- nie sehen, wenn sie ausgetrieben wird, nie, wenn sie
weidet, nie, wenn sie heimkehrt. Das ist das Schönste von allem, was das
Landleben in Norwegen bietet.

Andere haben Dir wohl schon geschrieben, daß Großmutter gekommen ist,
und daß kein Mensch die geringste Veränderung an ihr bemerkt; auch
derselbe prächtige Humor! -- Jetzt solltest Du die Küken sehen in ihrem
Stall unter der Treppe des Vorratsschuppens mit Drahtnetz darüber, einem
großen Raum, mehrere Ellen lang und anderthalb breit, und an dem einen
Ende eine von Björns Hundehütten, frisch rot angestrichen. Jeder steht
davor und schwatzt mit den Küken und wirft ihnen Gras hinein oder gibt
ihnen Wasser oder Futter. Und vorn auf der Veranda, die nun gestrichen
ist, ein Schwalbengezwitscher, Bergliot, und bald wird der würzige Duft
vom Klee kommen. Und die herrlichen Sonnenuntergänge über den Bergen
über Bleike! Und das Bad wartet auf Dich und ein neuer Hengst, Spellet
wie aus dem Gesicht geschnitten, nur breiter. Du sollst selbst von
Lillehammer heimkutschieren! Ja, komm nun! Du sollst sehen, die See ist
ausnahmsweise einmal artig.

                                              Dein guter Freund Vater.

Hurra dem Frühling auf Aulestad!




                                                    22. November 1889.


Süße Bergliot, ich habe so wenig Zeit; aber ich muß Dir doch sagen, wie
sehr uns Dein letzter Brief erfreut hat. Wenn Du gut ißt, gut schläfst,
gut singst, ... dann ist Sonnenschein und Festtag. Und dann sind Erling
und Anna hier und erzählen von Dir und dem reizenden gichtbrüchigen
Manne, bei dem Du wohnst, und wie Du in Deinem Element bist, wenn Du gut
gegen ihn sein kannst. Und ich finde es so hübsch, daß Du ständig Deine
Herzenswärme übst an denen, die der Hilfe bedürfen. Das Herz muß geübt
werden, mindestens ebenso sehr wie der Geist und der Charakter; aber
darauf legen die Menschen kein Gewicht. Und als Sängerin singt man mit
dem Herzen genau so viel wie mit der Stimme selbst; es muß die Stimme
und die Worte durchdrungen haben. Darum muß es auch reich genug sein, um
durch Schule, fremde Sprache, Verlegenheit vor der Öffentlichkeit,
Nichtaufgelegtsein hindurchzudringen mit der impulsiven Naturmacht der
Stimmung.

_Was_ für Sachen singst Du? Ist die Marchesi freundlich zu Dir? -- _An
Hegel mußt Du solange im voraus schreiben, daß Du gerüstet bist, selbst
wenn er es ein paar Tage oder so vergißt._

Erling und Anna sind so entzückend, so entzückend, Du, daß ich mich gar
nicht satt an ihnen sehen kann. Sie sind so dumm und köstlich und so
voll frischen Glaubens an sich selbst und an die Zukunft. Sie machen mir
riesigen Spaß. Und obschon Mutter nicht wohl war, ist dies doch der
fruchtbarste Aufenthalt gewesen, den wir je in Kristiania gehabt haben.
So tätig und mit so viel Erfolg tätig bin ich noch nie gewesen. Und wer
glaubt, er könne mich zu Boden werfen, oder könne vorbeigehen an dem,
wofür ich mein Leben eingesetzt habe, der hat wieder umlernen müssen.

Ja, zu mehr habe ich nicht Zeit.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                     1. Dezember 1889.


_Sonntag, Mutters Geburtstag._

Mutter hat ausgezeichnet geschlafen und ist heute auf, um alle ihre
Geschenke entgegenzunehmen -- von den Kindern hier Kleinigkeiten zum
Backen und derartiges, und von Jenny ein Paar französische
Lederpantoffeln, von Björn eine große tiefe blaue Kruke zum
Regenschirm-Hineinsetzen, von Ida Lie einen köstlichen, köstlichen
Maiglöckchentopf, von Erika wundervolle Rosen, und es kommt wohl noch
mehr; ich beeile mich, zu schreiben, ehe die Besuche hereinbrechen. --
Per Stejne hat mir geschrieben, sein Vater Ivar sei gestorben, und der
Alte habe gewünscht, nicht Konow sollte die Trauerrede halten, sondern
ich. Selbstverständlich fahre ich hin. Am Tage nach meinem Geburtstag
reise ich. -- Großmutter ist unwohl gewesen, ist aber nun wieder munter.
Sonst keine Neuigkeiten von dort. Hier großer Aufstand und Spektakel in
der Verteidigungssache, die man in Kristiania auf die hysterische und
unnatürliche Art betreibt, die dieser Stadt eigen ist. Du mußt auf das
»Dagblad« abonnieren von Neujahr ab, wir werden es besorgen; »V. G.«[1]
(d. h. eigentlich Vullum) nimmt einmal übers andere Gelegenheit, was ich
schreibe, zu verzerren und darüber _Lügen_ zu verbreiten. Du mußt also
um Neujahr herum in einem liebenswürdigen Brief dafür danken, daß Du das
Blatt bekommen hast, und Dir die weitere Zusendung verbitten.

Keine Zeit zum Schreiben. Sie kamen, die Besuche, sehr zeitig. Peters,
Lies, Welhavens usw., Störmer usw. usw. Zum Abend werden Julie Nielsen,
Rolfsens (aus Bergen) und Peters hier sein, Mutter ein wenig angegriffen
von all dem Lärm. Und weil ich sehe, daß es sie mitnimmt, bin ich auch
müde. -- Björn spielt »Olav Trygvason« von Grieg; Du sollst es haben (d.
h. _geborgt_), damit Du siehst, was das für eine herrliche, großartige
Musik ist.

Jetzt geh' ich daran, »Mariannes Kaprizen« mit Björn in der Hauptrolle
einzustudieren (leihe Dir ein Heft Alfred de Musset und lies das
Stück!). Ich will eben sehen. Ich _hoffe_, es geht. Auch dieser
Theatermonat ist gut gewesen. -- Der alte Jahn in Bergen, Mutters
Pflegevater, hätte heute goldene Hochzeit feiern können, wenn seine
»Catterin« noch lebte. Wir telegraphierten. Es geht ihm so armselig, daß
wir ihm helfen müssen. -- Du hast wohl gesehen, daß mein Buch jetzt in
zweiter Auflage erscheinen soll. Es hat noch immer überall den größten
Erfolg. Keins meiner Bücher hat so großen Erfolg gehabt, vielleicht
überhaupt keins in unserer neueren Literatur. Erste Auflage 7000, zweite
2000. Was Du über Dich und Deinen Gesang schreibst, ist mir immer das
Wichtigste und das Liebste. Daß die anderen über Dich lachen, beweist
wohl, daß Du selbst freundlich und fröhlich bist; hast Du geschrieben
defendu de touché, dann haben sie auch über Deinen grammatikalischen
Fehler gelacht. Aber was halten sie von Deinem Gesang? Hast Du sie
darüber reden hören? Hast Du überhaupt Dir selbst einen Maßstab
geschaffen nach dem Gesang der anderen? Kannst Du _objektiv_ oder nach
dem ruhigeren Urteil anderer Dir eine Meinung darüber bilden, was Dein
Gesang in Umfang, Ausdruck, Wirkung jetzt ist? -- Leb' wohl denn, lieber
Schatz, laß uns wünschen, daß Mutter bald wieder gesund wird; ich werde
schreiben, falls die Besserung anhält, oder etwas Gutes sich ereignet;
sofort schreiben.

                                                    Dein Freund Vater.

[Fußnote 1: Die Zeitung »Verdens Gang«.]






Liebe Bergliot, also Du bist krank? Das geht weiß Gott nicht! Was soll
denn das heißen? Werde wieder gesund, hörst Du, raff' Deinen Willen
zusammen und sei vorsichtig! -- Mutter ist jetzt wieder ganz wohlauf,
aber mager; es geht täglich vorwärts. Was für ein herrliches Wetter! Der
Wald überzuckert und glitzernd im Sonnenschein, -- unbedingt der
schönste Naturanblick, den es gibt. Ein Bild der feinsten, reinsten,
lautersten Gefühle des Herzens. -- Und »Der Handschuh« auf der Freien
Bühne in Berlin! Folgendes Telegramm bekam ich von der Leitung und deren
Freunden (es ist eine Vereinigung, die Neues auf dem deutschen Theater
einführen will); sie waren hinterher zu einem Fest versammelt:
»Lebhafte, herzliche Aufnahme. Wiederholter, starker Beifall bei offener
Szene, vortreffliche Darstellung. Trotz Meinungsverschiedenheiten (über
die Tendenz) hielt das Werk alle in seinem Bann. Die versammelten Leiter
und Freunde der Freien Bühne grüßen Sie in froher Dankbarkeit.« Otto
Sinding telegraphiert: »Der Handschuh stürmischer Beifall,
ausgezeichnetes Spiel.« Fräulein Klingenfeld, die Übersetzerin: »Der
Handschuh großer Erfolg, ausgezeichnete Wirkung.« -- Die Freie Bühne
spielt ein Stück nur einmal. Dies ist von allen, die gegeben wurden, das
erste, das einen durchschlagenden Erfolg gehabt hat. (Also auch nicht
Ibsens, trotz allem Geschreibe, hat das gehabt! Nun kommt die Wahrheit
zutage!) Das bedeutet, daß nunmehr verschiedene Bühnen es haben wollen;
ein großer Schauspieler, Reicher, hat bereits gesagt, mit dem Riis, den
er gespielt hat, würde er durch ganz Deutschland ziehen! Ferner bedeutet
das, daß ich meine anderen Stücke folgen lassen kann! Ach, wenn ich das
bloß könnte! -- Dann wird man einsehen, daß ich zuerst Ibsen den Weg
gebahnt habe und daß er ihn jetzt mir gebahnt hat. Wenn es doch glückte!
es sah einmal so hoffnungslos aus. -- Ich reise für etwa vierzehn Tage
durch das Gudbrandsdal und halte politische Vorträge. Ich bin im Grunde
nicht sehr erbaut darüber. Aber wen haben wir sonst? -- Ich werde Dir
Alexander Kiellands Broschüre über die Verteidigungsfrage zusenden
lassen. Besseres ist in Norwegen nicht geschrieben worden. Herrgott, ist
das ein Aufwaschen! Da stießen sie auf einen alten Groll, der seine
Zunge zu brauchen weiß! Ich habe nie etwas Ähnliches in unserm
heimischen Kampf gelesen! -- Und jetzt wird er dem Journalismus untreu!
-- Werde wieder gesund und schicke uns gute, lichte, frohe Nachrichten,
Du unser Sonnenvogel!

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, daß Poesie in einem Gesang ist, das will besagen, daß
die Stimme durchleuchtet ist von einer ansprechenden Persönlichkeit;
außer dem Ton und dem Wort hören wir die Sehnsucht, das Weh, die Freude,
den Feuertrieb einer Seele; die Kunst selbst steht hier im Zusammenklang
mit dem Wesen des Menschen vor uns; das ist es, was uns ergreift und
hinreißt, die Stärke des Gefühls oder des Willens oder der Phantasie des
Menschen und daß sie zum Durchbruch kommen in seinem Gesang. Eine große
Stimme, die aber nicht erfüllt ist von diesen Dingen, nützt nichts; und
umgekehrt, die größte Stärke der Persönlichkeit nützt nichts, wenn der
Gesang nicht für sie ausreicht.

Hat Mad. Marchesi Dir jetzt »Halleluja« gegeben, so meint sie damit, daß
in Deiner Stimme eine Wasserklarheit ist, die einen reinen Sinn
widerspiegelt, eine Innerlichkeit, die sphärische, phantastisch
hinblauende Wege geht. Daneben aber müßtest Du ein Gesangsstück voll
Leidenschaft und Willen haben und eins voll Schelmerei. Das kommt auch
wohl. Hast Du mit ihr über das gesprochen, was Du Dir wünschtest, weil
sie getroffen hat, was Dir gefällt? oder hast Du einfach so frei
herausgesungen, daß sie einsieht, wo Deine Stärke liegt? Antworte mir
hierauf. -- Die Dachsparren auf Erlings und Annas Haus sind errichtet;
nun liegt das Haus mit ausgebreiteten Flügeln da; sie decken all das
schicksalreiche Erbe von Vätern und Müttern her bis zurück zur Kindheit
unsres Volkes, ein Erbe, das ausgebrütet werden soll und gehütet unter
seinem Schutz -- sie decken alles Leid, das da weinen wird, alle Freude,
allen Leichtsinn, die da lachen werden, alle Kräfte, die geweckt werden
und arbeiten sollen, alle Ausschweifung in Sünde und Gedanken, alle
Dummheit, alles edle Streben, alle Befriedigung, alle Reue und grübelnde
Verzweiflung. Es wird wohl bald da etwas wachsen, was die Ehre unsres
Namens schirmt oder ihn schändet, entweder bloß unsre starken Triebe
erbt und nicht zugleich auch unsern Arbeitsmut und unsre
Selbstbeherrschung. Von allem ist in unsrer Sippe etwas, und auch in
Annas Familie soll es so sein; obendrein stoßen sie schon früher
zusammen, sie haben sich schon ehedem gekreuzt. Ich sehe auf die
Haussparren wie auf die Rippen in einem Schicksalkörper, dem langen,
vielnamigen des Geschlechts. Möge er mehr werden als bloß Fischbrut,
möge er etwas ans Licht tragen von dem Vielen, das ich für dies Land
gedacht habe, sich kraft dieser Gedanken aufrichten als ein stärkerer
Wille, denn die Gegenwart ihn hat, und so ein gesundes Erbteil kundtun!
Dies ist der höchste Wunsch für mich selbst, den ich auszudrücken
vermag. Und da es _unser_ Familiensitz ist, so wird das Haus wohl starke
Mächte gegen sich haben, abbrennen oder ähnliches; aber wieder
auferstehen! schöner und bequemer! Also auch darin muß das Asyl des
Geschlechts dem Geschlecht gleichen.

Deine zwei letzten Briefe waren ausgezeichnet; Deine Schilderungen des
Gesangs in der Klasse, aller derer, die in der Matinee mitwirken sollen
usw., sowie über Dein eignes Verhältnis zu Mad. Marchesi sind so
gezeichnet, daß wir alle eine Vorstellung davon haben. -- Die
Menschenscheu, die Du beschreibst, ist eigentlich nicht das, sondern die
Lust und der Drang, viel allein zu sein, und das ist ein Erbe von mir
(der es von Vater hat). Aber das Mißtrauen, das ist nicht von mir. Vater
hatte es. Du irrst auch darin, daß die meisten Menschen falsch und
unwahr seien; es sieht so aus, wenn sie bald diese Meinung haben und
bald jene; aber die Sache ist lediglich, daß sie gar keine Meinung
haben, sondern von dem ansteckenden Einfluß der Umgebung sich zu allem
und jedem verleiten lassen, _was nicht gegen die Gewohnheit geht_, denn
die Gewohnheit ist stärker als alles andere. Aber nun liegt es gerade in
der Gewohnheit des Franzosen, Komplimente zu machen, daß es nur so
hagelt, und nicht aus Falschheit tun sie das, sondern aus »gutem Ton«
und unter dem Einfluß der Umgebung. -- Runebergs Brief habe ich schon
beantwortet. Er lobte Deine Stimme und Deinen Vortrag und freute sich an
Dir. Nein, Runeberg lügt nicht; zu seinen Fehlern gehört es auch nicht,
sich von der Umgebung beeinflussen zu lassen -- er ist eine sehr
selbständige Natur. -- Da fällt mir ein, Du könntest diesen Brief und
den Brief über Kiellands dem Ejnar zum Lesen schicken, damit er sich in
den Gedankengang und die Zustände hier hineinversetzen kann. Du kannst
ihn bitten, sie zurückzuschicken. -- Ich hatte keine Lust, ihm zu
schreiben, so lange diese monatelangen Verfolgungen anhielten. Jetzt, da
sie so vollständig mißglückt sind, ist es mir widerlich, nur daran
erinnert zu werden. Aber dadurch kommt er um mancherlei vom
Gegenwärtigen, was vielleicht gerade diese zwei Briefe am besten geben.
-- Wir wissen im Grunde nichts über ihn; er schickt ein paar
Betrachtungen und ein bißchen was über allgemein-chinesische
Verhältnisse; nie ein Wort über sich selbst, außer z. B., daß er nicht
mehr schreiben könne, er müsse in Gesellschaft; oder er sei sehr
beschäftigt. Wir kennen weder seinen Umgang, noch seine Beschäftigung in
oder außerhalb des Amts, nicht sein Gedankenleben und seinen
Gemütszustand, so daß wir eigentlich bloß an ein Porträt schreiben. Und
da erstirbt die Lust, Bilder von der Heimat zu geben, wenn wir nicht
fühlen, wem wir sie geben. --

Alles hier auf Aulestad ist nach und nach sehr gemütlich geworden. Ich
freue mich, daß es der schönste Hof im Gudbrandsdal ist dem Aussehen
nach, und da allmählich auch alle Geräte, Tiere und Einrichtungen
ebenfalls erstrangig werden, so ist es hier gut sein. Jetzt fehlt nur,
der Hof wird wirtschaftlich so gehoben, daß er wie ein Garten ist; er
hat alle Vorbedingungen dazu. Dann kann er 60 Milchkühe ernähren, Bö
ernährt jetzt auch nicht mehr; wir ziehen heuer 10 Kälber auf, um es
(nach dem schlechten Vorjahr) wieder auf über 40 zu bringen, wie es
früher war. Bloß noch einige Morgen Land und besseren Dünger, dann
ernährt der Hof schon jetzt 50 Milchkühe. Mit einem solchen Hof und dem,
was sie an Rente haben, können Erling und Anna selbst gut leben und gut
für die neue Familie sorgen. Leb' wohl, süße Bergliot (und Ejnar!) und
denk an

                                                     den Freund Vater.




                                            Aulestad, 13. Januar 1890.


Frohes neues Jahr, Du unser lieblicher Singvogel! Mögest Du lange und
weithin zwitschern! Und das Glück haben, die Übung des Herzens im Guten,
die Vorbedingung!

Kam Mittwoch den 8. abends nach Hause, -- unerwartet -- und fand Mutter
im Bett, Erling und Anna auf Vestad bei Mählums und alle mehr oder
weniger unwohl -- entweder noch mitten im Kranksein oder eben darüber
weg. Karen ist sehr unwohl; eine Drüsenanschwellung, die gefährlich ist;
und Mutter aufs neue angegriffen; heut aber wieder auf und schreibt ein
bißchen für mich ab; Großmutter und ich die einzigen auf dem Hofe, die
gesund waren (und sind).

Meine Reise ein einziger großer Erfolg von Anfang bis Ende. Peter und
die Pferde im höchsten Wohlbefinden, ich frisch wie ein Fisch, überall
so gestopft voll von Menschen, als ihre kleinen Stuben mit den
anstoßenden Kammern und Dielen nur fassen konnten. Überall ist die Linke
im Aufschwung, und »V. G.«s Richtung abgelehnt. Das Volk will reinliche
Verhältnisse haben. Es freut mich, daß Du den Grieg-Rummel mitgemacht;
aber mir ist dies des Guten viel zu viel, das ist sicher. Na, -- hat es
Dir Vergnügen gemacht, so ist es gut und schön. -- Du mußt uns erzählen,
wie Du lebst, Bergliot. Ißt Du gut? Schläfst Du gut? Ist Madame
freundlich gegen Dich? Auch das Mädchen? -- Es freut mich sehr, daß Du
Mademoiselle Breslau und ihre Freunde, die ja auch die Deinen sind,
wieder getroffen hast. An _denen_ solltest Du festhalten. Und dann
solltest Du Sansots wieder aufsuchen. Runebergs habe ich ein Buch
geschickt. -- Daß Du »leichtere« Sachen mit Mad. Marchesi singen sollst,
bedeutet, daß sie glaubt, Du hast esprit und bon sens, und Dir tut nur
noch mehr Geschmeidigkeit not. Alle die feinsten Geheimnisse der Kunst
liegen in dem leichten Gesang. Was Du innig und leidenschaftlich singen
mußt, damit hat es bei Dir keine Gefahr, jedenfalls ist das kein
Gegenstand des Studiums in demselben Grad wie der leichte Gesang mit all
seinen Anforderungen an technische Vollendung und Stil. Und singst Du
so, daß sich Seele darin offenbart, dann gehst Du zu größeren Dingen
über. Denn Seele drängt nach mehr Seele, beim Lehrer wie beim Schüler.

Ich bin einigermaßen gespannt auf Erlings und Annas Reise. Sie werden
Annas Sachen einpacken, und viele davon sind täglich auf Vestad im
Gebrauch gewesen, so daß es wohl sein könnte, es setzt saure Mienen und
vielleicht gar Zweifel über die Abrechnung. Selbst schienen sie an so
etwas nicht zu denken, und ich wollte nichts im voraus sagen, aber es
wird sich schon zeigen. Sie sind beide sehr hitzig; ich hoffe, Mählum
ist es nicht. Wahrscheinlich kommen sie heute (Sonntag) abend _nicht_
nach Hause, denn es schneit entsetzlich, und die Schlittenbahn ist zu
schlecht für Jakob; aber ich bin sehr gespannt darauf, was sie erzählen.
-- Die Frau oben auf Lunde liegt im Sterben; über fünfzig an
Lungenentzündung in Gausdal. X. Y. und Frau telegraphierten an Torstein
Lunde und baten ihn, zu kommen. Er antwortete, seine Frau sei krank.
Worauf X. Y.s antworteten: »Dann kommen also wir!« Dann legte sich auch
Lunde, -- und X. Y.s kamen! -- Ich soll Dich von Lina und Sigurd und den
Kindern grüßen. Nein, wie es gemütlich dort ist, und wie artig die
Kinder sind und wie _hübsch_! Die alte Frau, die Mutter des Küsters,
liebt Dich und bat mich, Dich zu grüßen. Hast Du ihr Dein Bild
geschickt? Liebling, es freute mich so, zu hören, was für Erwartungen
sie in Dich setzt. Sie war bei Sigurds als Köchin die Tage, als wir dort
waren. -- Bei Forr auf Forr in Fron waren wir auch (Castberg und ich);
es ist das größte und stattlichste Haus im Tal, und die Menschen dort
sind meine besten Freunde. Wir müßten an einem Sommertag hinfahren.
Tausend Grüße von allen durch

                                                  Deinen Freund Vater.




                                                      26. Januar 1890.


Liebe Bergliot, diese Woche also ist Hejbergs »König Midas« gestiegen.
Die Wirkung war »außerordentlich«, sagt man, und wir werden nun sehen,
ob sie andauert. Ferner, ob die Sache zu guterletzt mir wirklich zum
Schaden gereicht.

Ich hätte darüber schreiben sollen; aber ich hab' es in mich selbst
hinuntergeschluckt; so habe ich Dir nichts davon abzugeben.

Wie findest Du das -- zu tun, als ob dies kein Angriff auf mich sei; und
es damit zu verwechseln, daß ein Dichter eine Figur entlehnt, und
hiermit zu verwechseln, daß man eine bekannte Persönlichkeit nimmt und
sie beschimpft, indem man ihr Eigenschaften andichtet, die sie nicht
hat, und Handlungen, die sie niemals begehen könnte!

Nein, ein konsequentes Leben zu leben, etwas in der Welt zu wollen, es
mit Ernst zu wollen, das kostet was! Und hier in Norwegen gewiß mehr als
anderswo. Ich könnte Dir manches davon erzählen, liebe Bergliot; meines
Erachtens hast Du auch etwas von derselben Art, und das Theaterleben
wird deshalb zu schwer für Dich sein; also ich bin nicht gerade
begeistert, daß Du da hineinwillst.

Schatz, wie ich Dich darin wiedererkenne, daß Du nicht »mit Gefühl
singen« kannst, ehe Du zwanzigmal ohne Gefühl gesungen hast. Noch kannst
Du nichts aus Dir selbst; sondern erst nach der hartnäckigsten Übung.
_Mit Mut_ aufzutreten, das will auch geübt sein, und von Dir mehr als
von irgend jemand anders, weil Du so mißtrauisch bist, und alle, die das
sind, fühlen sich am leichtesten unsicher.

Nichts über oder von Mademoiselle Breslau und den Leuten? Und Sansots,
die so freundlich gegen Dich sind, und Runebergs. Nun schreibe ich bald
an ihn und antworte ihm auf seinen langen, prächtigen Brief. Aber es ist
gar nicht so einfach, an einen zu schreiben, der seinem Lande Kaiser[2]
wie Kunst und Wissenschaft und Industrie schenkt. -- Sansot antworte ich
auch. Er hat mir einen höchst interessanten Brief geschrieben.

Hier haben wir einen Schneefall gehabt, daß Gott erbarm'! -- Kein
Wunder, daß der Wald Märchen erzählen kann. Wir gingen in der Dämmerung
hinunter ins Nevrådal, der Schnee hatte alle Laubbäume geebnet, daß sie
wie ein schneeweißes gestricktes Tuch in Wellen sich weithin breiteten,
und hie und da ragten Fichten daraus auf, trutzig, rank, dunkel innen,
jung, stark wie ein Hurra; nie hast Du etwas Keckeres und Anmutigeres,
etwas Anmutigeres und Keckeres gesehen. -- Das Haus schreitet nun rasch
vorwärts, wir sind alle oft stundenlang drüben. -- Das Heu, das wir
gleich nach dem Schnitt einbrachten, fressen die Kühe lieber als alles
andere. So daß es geradezu ein Ereignis geworden ist. -- Abends ist es
immer so gemütlich; wir spielen draußen am Tisch auf der Diele Boston
und essen Apfelsinen und lesen und schwatzen. Jetzt erwarten wir Forrs
hier und Blekastads. -- An den Sonntagen werde ich künftighin immer aus
sein und Vorträge halten. -- Anna gedeiht so gut unter uns und ist in
jeder Hinsicht eine echte »Björnson« geworden. Und ihr Vater, der
anfangs fraglos gegen die Verbindung war, hat uns recht lieb gewonnen.
Ja, es erhebt sich eine hohe Mauer von Verleumdung um den Mann in
Norwegen, der Er selbst sein will, und versucht, andre dahin zu bringen.
-- Wenn Du schreibst, mußt Du uns immer, wie jetzt, damit trösten, daß
es Dir inbezug auf Essen und Schlafen gut geht und daß Du Fortschritte
bei der Marchesi machst. -- Aber ich für mein Teil sehne mich grenzenlos
nach dem Tage, da das Unmittelbare und Frische Deiner Natur in Deinem
Gesang zum Durchbruch gekommen sein wird, so daß er alle ergreift und
fesselt. Dahin muß es kommen, _muß_ es kommen.

Jetzt mußt Du Zeugnisse sammeln, Kind, für das Gesuch um ein Stipendium.
Es eilt nicht; aber Du darfst es nicht vergessen. (Doch, es eilt, sehr
sogar -- denn _jetzt_ muß es geschehen!) Kann nicht auch Dein Freund
Gouzien (oder wie er heißt) Dir eins geben?

                                                    Dein Freund Vater.

[Fußnote 2: Runeberg, ein berühmter finnischer Bildhauer, modellierte
1889 die Statue Alexanders II. von Rußland. Anm. d. Übers.]




                                            Aulestad, 2. Februar 1890.


Liebes Kind, heute muß ich nach Helleberg, Svartum und einen Vortrag
halten, zwei Meilen von hier. Aber ich habe nicht besonders gut
geschlafen heute nacht vor lauter Zeitungen und Infamie und Lügen. Na,
ich werde schon damit fertig; aber daß ich insofern alt geworden bin,
daß ich nicht immer einschlafen kann, das ist schlimm.

Der »Olav« für Grieg ärgert mich. Das liegt so weit ab von meinem Weg,
und ich möchte am liebsten für mich selber arbeiten. Was tut Grieg für
andere? Aber daß sie gut zu Dir waren, war prächtig.

So, also Du willst Mutter bei Dir haben! Das glaube ich! Hätten wir nur
die Mittel dazu! Aber Du kostest uns so viel jetzt, weil Du alles haben
sollst, was Du brauchst, daß wir hier zu Hause so sparsam sein müssen,
wie wir können. Wir kommen ohnehin nicht aus. Also, wenn wir noch mehr
für Dich tun sollen und Dir die Mutter schicken, dann bittest Du um
mehr, als wir vermögen.

Ich war so froh über Deinen Brief, was den Gesang betrifft. Das ist der
erste Brief in diesem Jahr, der meldet, daß es so geht, wie Du und Mad.
Marchesi es wünschen. _Der erste._ Ich habe mich sehr danach gesehnt. --
Aber noch immer nichts darüber, ob Du mit Mademoiselle Breslau
verkehrst. -- Ich wußte ja freilich, daß der _Fleiß_ den Ausschlag geben
würde, wenn es galt, »Seele« hineinzulegen. Du erzählst, daß Du mehr als
je arbeitest, und daß Mad. Marchesi _jetzt_ zufrieden ist. Erzähl' mir
ein wenig von der Kopka. Ist sie eine große Sängerin, ist sie wirklich
freundlich zu Dir, und was hält sie von Dir? Ich sehe nie so recht klar,
wie Du mit den Leuten stehst. Ich sehe Dich nicht mitten unter ihnen.
Cavlings werden jetzt wohl bald abreisen; _die_ sind die einzigen, über
die Du ordentlich Bescheid gibst; _bei denen_ sehe ich Dich. Liebes
Kind, schreibe so, daß wir sehen!

Hier bereitet man wieder eine Schlittenpartie vor. Ich kann gar nicht
sagen, wie unvergleichlich die Bahn ist! Ich habe sie nie besser
gesehen.

Du solltest nur den herrlichen Klebersteinofen sehen, den ich jetzt in
meinem Arbeitszimmer habe! Aber ich fürchte, er hat leider keinen guten
Zug. Der Ofen von hier oben ist in die Stube unten umgesetzt worden. --
Am nächsten Sonntag spreche ich auf Haug, Sonntag darauf im Gemeindehaus
zu Öjer. Ich bin immer auf der Walze; denn jetzt _müssen_ die Ansichten
der Linken durchdringen. -- Wir sind so froh darüber, daß Du Dich in
Deinem Zimmer und mit den zwei Damen und dem Dienstmädchen wohlfühlst.
Alles was wir das letzte Mal von Dir hörten, klang so heiter. -- Das
Haus für Erling und Anna schreitet nicht schnell genug vorwärts; aber
von morgen ab kommen mehr Arbeiter. Anna ist sehr lieb, aber tüchtig
verzogen. Die Zwei sind ein gutes Gespann, glaube ich, aber ich will sie
erst sehen, wenn sie beide müde werden. Er arbeitet nichts heuer, führt
bloß das Leben eines Großbauern, die Hände in den Taschen, und
kommandiert vom »Oberhof« die Leute auf dem »untern«. Aber das gibt sich
wohl wieder, hoffe ich.

Zurzeit lese ich Carlyle (Carlejl), den großen englischen »Propheten«,
der Seele fordert für alles Leben und Materialismus und Snobismus und
Affektation und Eigenbrödelei und kirchlichen Dogmenkram haßt. Ich
wünschte, Du wärst fürs Lesen, dann würde ich Dir seine
Lebensbeschreibung schicken; denn darin steckt der ganze Kerl, weil
darin so viel von ihm zitiert wird. Er ist eine Größe durch die
Initiative, den Schwung, die er in den Menschen weckt. Aber er ist
grenzenlos willkürlich. Dann lese ich von neuem den »Ursprung der Arten«
von Darwin und ein gut Teil Belletristik.

Ich bin heute nicht aufgelegt, wie Du siehst, und ich bin mit meinem
Vortrag beschäftigt. Am Dienstag, an Landrichter Mejdells 70.
Geburtstag, soll ich die Festrede halten.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                      9. Februar 1890.


Liebes Kind, das Zeugnis war ja »brillant«. Wir freuten uns. Auf solch
ein Wort habe ich gewartet; ich hoffe, daß Mad. Marchesi die Wahrheit
sagt. Denn ich erinnere mich noch, daß sie auch Y. eine große Zukunft
prophezeite; ich widersprach und sagte, ein Mensch, der keine Seele
habe, würde auch nie eine bekommen, und ich habe recht behalten. Aber
der Irrtum war von ihrer Seite ganz natürlich; denn sie hörte einzig auf
die Stimme, und die war groß und schön. Ich freue mich über das Zeugnis,
denn wenn sie das von Dir glaubt, so setzt sie sicher alle ihre Arbeit
daran, Dich vorwärts zu bringen, und dann bürge ich dafür, daß auch Du
arbeitest. Ich freue mich auch aus dem Grunde, weil Dir das Bewußtsein,
sicheren Boden unter den Füßen zu haben, das Leben leichter macht.
Selbstvertrauen gehört dazu, und nicht das des Trotzes, sondern das der
Freude.

Mein lieber Schatz, ich bin seit langem nicht so froh gewesen.

Deine Somnambule ist eine Gedankenleserin, die fühlt, was der Mensch,
dessen Hand sie hält, denkt. Voilà tout.

Forr ist mit Frau und Töchtern ein paar Tage hier gewesen, und wir haben
uns gut unterhalten. -- Der Dreck mit »König Midas« ist doch bloß zu
meinem Vorteil ausgeschlagen. Das wußte ich im voraus. »V. G.« hat keine
Seide damit gesponnen.

Meine Sonntagsvorträge hier in der Nachbarschaft nehmen meine Zeit und
Gedanken gefangen, und Du mußt ein bißchen darunter leiden, Bergliot.
Aber da ich einmal schreibe, möchte ich für die Auskunft über Schlaf und
Essen danken, und bitten, _jedesmal_ eine ähnliche zu schicken. Also:
schläfst Du gut? Ißt Du gut? Stehst Du Dich gut mit den Leuten des
Hauses? Du bist nicht heftig, ungeduldig gegen irgendeinen von ihnen?
Diese beiden Fehler sind Deine Lieblingssünden. -- Hast Du bei
Mademoiselle Breslau öfters die Gräfin Martel (»Gyp«) getroffen? Ich
sehe, sie war vor Gericht, wegen ungebührlicher Einmischung in die
Wahlen (in der Normandie). -- Du solltest Dir noch ein oder zwei weitere
Zeugnisse verschaffen; wir behalten dies und reichen es zusammen mit dem
Gesuch ein, das bald abgehen soll. Es kommen mehrere Stipendien zur
Verteilung, so daß wir um mehrere auf einmal nachsuchen. -- Wir haben
das allerherrlichste Wetter; Sonnenschein und Schlittenbahn Tag aus, Tag
ein. Unsre Schlittenpartie (mit fünfzehn Pferden) und großem Ball
hinterher auf Rokvam war vorzüglich gelungen; also diese Woche war
voller Vergnügungen für die Jugend; dann waren wir ja auch auf Mejdells
siebzigstem Geburtstag. Wir fuhren mit drei Pferden bei vorzüglicher
Bahn in 1½ Stunden hin. Es waren 130 Menschen. Mejdells waren sehr
vergnügt. Anna und Erling schenkten ihnen eine Säule und eine antike
Figur. -- Heute ist Torp hier gewesen und hat Annas Kardialgie
untersucht. Nichts von Belang. Forr und Erling sitzen hinter mir und
lesen die Zeitung, also ich habe nicht viel Ruhe. -- Brief von Ejnar; er
schimpft immer über das eine oder andere, und lebt in großer
Geselligkeit, über die er nichts berichtet. Ein sonderbarer Bengel. --
Jetzt hat das Haus anderthalb Mannshöhe, und jetzt erst begreifen die
Leute, wie gut der Platz gewählt ist. Die Leute, d. h. Smehus und Even,
sind wegen Annas Sachen in Vestad gewesen. Als sie zurückkamen,
erzählten sie, daß im ganzen Tal kein Hof so schön sei wie Aulestad. Und
auf dem ganzen Weg hätten die Bauern gesagt: »Nee, was für Gäule!« Wenn
_sie_ so pikfeine Gäule hätten, meinten sie, das wäre famos! Uff, ich
sitze hier und kann bloß tratschen, -- zu mehr kann ich mich nicht
sammeln. Hast Du Dr. Sigurd Ibsens Aufsatz im »Dagblad« bemerkt? Da
kannst Du die Union in all ihrer Häßlichkeit sehen! Ja, an so was hat
man seinen Halt! -- Und mich verfolgt man, weil ich kein Blatt vor den
Mund nehme. Einmal werden die Leute sich schon schämen müssen. -- Ach,
Du hättest diesen Wintertag sehen sollen, Bergliot! _Aber sehen, ohne
unter norwegischer Geistesenge, Feigheit und Mißgunst zu leiden._

                                                    Dein Freund Vater.






_Liebe Bergliot in Paris!_ Wer an das Verhältnis zur Kirche und das
Verhältnis zu Schweden (und dem König, denn der König ist Schweden)
rührt, der ist ehrlos! Nun soll Sigurd Ibsen auch ehrlos gemacht werden.
Ich habe ihn eben willkommen geheißen unter der Zahl der Ehrlosen! Daß
sie sich sofort gegen uns wehren müssen durch derartige hämische
Versuche, beweist deutlich, wie _falsch_ das Verhältnis ist, wie in der
Wurzel unecht. -- Eine große Hilfe war mir das in meinem Kampf um die
Forderung, daß eine Vereinigung, die an sich neu unter den Völkern ist,
sich auch neue Formen schaffen muß! Unsre Vereinigung ist andern ein
Beispiel geworden (Österreich-Ungarn); schafft sie sich eine neue Form
in dem Verhältnis zum Ausland, so wird auch das ein Beispiel werden. Der
einzig mögliche Versuch, die Vereinigung als solche fortbestehen zu
lassen, ist, eine Teilung der auswärtigen Angelegenheiten anzustreben
und jedes Land seine eignen führen zu lassen. Damit ist nicht gesagt,
daß nicht vieles gemeinsam bleiben kann; aber es muß jedesmal auf freier
Übereinkunft beruhen. Zwei Minister des Äußern, jeder verantwortlich für
sein Volk.

Ich lese zurzeit Carlyle (Carleil) »Die französische Revolution«. Die
schicke ich Dir. Ich hätte eher daran denken sollen, daß Carlyle etwas
für Dich sein muß! Daß Du so leselustig bist, ist ein großes Glück für
mich. -- Ich sitze wie auf Kohlen, weil ich mich fertig machen muß zur
Reise. Ich will nämlich heute nach Öjer, d. i. fast drei Meilen, bei der
vorzüglichsten Schlittenbahn von der Welt, mildem Wetter und mit der
Großstute, die lang und mächtig ausholt, im Zweipferdelängenschritt. Der
Wald ist wie fein bepudert, Schneewolken lagern zwischen den Bergen, die
Luft daunenstill. -- Sie sind rein verzweifelt, alle die
»Landesverteidiger«, so oft ich mich rühre. Sie wollen durchaus mit mir
»diskutieren«. Ja, das glaube ich, wenn ich ihnen erst Leute verschafft
habe, zu denen sie reden können, dann wollen sie auch gern reden! Aber
daraus wird nichts. -- Frits Hansen muß sich außerdem erst bei mir
entschuldigen, bis ich ihn einer Unterredung, geschweige denn einer
Diskussion würdige. Ein bißchen Anständigkeit muß man beobachten, selbst
mir gegenüber. Ich schreibe gegenwärtig an etwas, das »Ditmar Mejdell«
heißt und Dich amüsieren wird, wenn es fertig ist. Ich bin in der
vorzüglichsten Laune, wieder ganz auf der Höhe nach all dem Skandal, der
so kläglich ablief für die Skandalmacher. Mutter hat draußen im Flur
einen Saltomortale über »Lord«, den Hund, gemacht, der beiden teuer
hätte zu stehen kommen können; aber es blieb beim bloßen Schrecken. Der
Köter rannte, hast du nicht gesehen! bis nach Bö und ließ sich später
viele Stunden nicht blicken.

                                                    Dein Freund Vater.




                                           Aulestad, 23. Februar 1890.


So sollst Du also schon im März öffentlich singen? Mir wurde ganz bange;
denn ich mag euren Dressur-Gesang nicht, und viel anderes wird es wohl
nicht, wenn Du nicht selbst wählen darfst. Uff, nun soll ich mich auch
damit noch abängstigen! -- Aber andererseits beweist es ja, daß Mad.
Marchesi Zutrauen zu Dir hat; und kein geringes zu Deiner Zukunft, da
sie Dich schon jetzt auftreten läßt.

Hier ist es nur widerlich. Jetzt wollen die _Schweden_ mit König Midas
Norwegen bereisen; ist es nicht unglaublich, daß auch meine Freunde das
richtig finden? Entweder fühle ich anders als andere, oder hier muß eine
neue Denkart aufkommen, die jetzt noch nicht die Oberhand hat.

Jetzt will ich mein Drama fertig schreiben (ich habe das andre beiseite
gelegt), und sobald ich mir damit ein packendes Bild von unsrer
unglaublichen Verantwortungslosigkeit von der Seele geschrieben habe,
nehme ich meine Vorträge wieder auf und zeige den Leuten im großen und
kleinen, wie unverantwortlich wir gegeneinander handeln.

Wenn man denkt, daß meine sogenannten »Freunde« gleichzeitig »Freunde«
sind von Chr. Krohg und von mir, von Gunnar Hejberg und von mir! Und
wenn ich tausend Jahr alt werde, ich verstehe das nicht, ich will davon
nichts wissen. Aber ich werde dreinfahren!

Du tust mir so leid, immer wenn ich daran denke, wie tief Du Dir zu
Herzen nimmst, daß Du Cavlings verlierst. Du mußt jemand haben, mit dem
Du auch Unsinn treiben kannst; deshalb kann Mad. Sansot Dir nicht das
werden, was Dir das liebste ist; aber im übrigen ist sie kernecht durch
und durch, Bergliot. Und der Mann! Alles Vornehme, Gebildete, was
französischer Geist erreichen kann, verkörpert sich in diesem Manne! Ich
kenne wenige Männer auf der Welt, die ich höher schätze. Ja, meine
geliebte Bergliot, Du wirst bald lernen, daß solche Menschen wertvoll
sind, weil sie selten sind. Ich glaubte an alle Welt, und nun blutet es
in mir aus hundert Wunden -- der Enttäuschung.

Ich habe nie die Geschmeidigkeit besessen, mich, wie Du, zwischen so
vielen Mitschülern bewegen zu können, und mit keinem Freund oder Feind
zu werden. Ich gebe zu, das mag das Beste sein; und daß Du das schon
kannst, wird Dich gewiß sehr fördern und Dir vieles ersparen. Die
allermeisten sind nicht mehr wert, als daß wir Ihnen gegenüber die
höfliche Umgangsform nicht verletzen. -- Ach, Bergliot, ich hätte nie
geglaubt, ich würde eines Tages solche Worte niederschreiben. Und ich
kann mir nicht helfen, ich fühle starke Ergriffenheit, nun ich es getan
habe. -- Wenn ich bloß meine Arbeitsstimmung wieder hätte!

                                                    Dein Freund Vater.




                                                         2. März 1890.


Liebe Bergliot, ich habe Deinen Brief noch nicht gelesen, nur davon
berichten hören; aber ich hatte auch so viel zu hören, zu lesen und war
außerdem gestern weg zu einem Vortrag. Große Freude, daß Peter und Dikka
hier gewesen sind, große Freude! Und nun kommen auch Kiellands! Wir sind
also jetzt glänzend auf der Höhe hier! Es ist, als hätten wir Paris
hier. -- Und Du Ärmste lebst in der Millionenstadt viel verlassener als
wir hier in unserm Winkel. -- Nun habe ich Deinen _vortrefflichen_ Brief
gelesen, Bergliot. Deine ganze Natur liegt in diesem Brief. Hast Du die
Revolutionsgeschichte von Carlyle, _die ich für dich bestellt_ habe bei
Huseby & Co. in Kristiania, nicht erhalten, so schreibe selbst! Du
_mußt_ sie lesen. Du mußt das Menschenmeer in Aufruhr sehen und die
gewaltige Wogenmasse, wo einer den andern jagt, bis alles _eine_
unendlich wogende Bewegung ist, so daß die, die mitgewälzt werden, ihren
eigenen Willen verlieren und nur drängen, weil alles drängt. Und das
wird noch einmal kommen, wenn man nicht beizeiten gerecht ist. Darum
eifre ich. Niemand weiß Zeit oder Stunde oder von wannen. Hebt es aber
an, dann weiß keiner, ob unsre Arbeiter stärker sind als andere, ob
nicht auch sie mitgerissen werden und niederreißen. Denn auch hier im
Lande ist viel Unrecht. -- Grüße Frau Sansot herzlich; jetzt _will_ ich
mich endlich zu einem Brief an sie aufschwingen. Und Runebergs! Ja, ich
weiß, das sind _Menschen_, sie haben mich verstanden, und sie
verschleudern nicht, was sie verstehen. --

Ich habe noch andre Briefe zu schreiben und muß schließen.

                                               Dein Freund Vater B. B.




                                                         9. März 1890.


Liebes, süßes Mädchen Du, Sonntagmorgen, scharfer Wind überm Schnee, das
Barometer auf seinem tiefsten Stand, also haben wir Schlimmes zu
erwarten; aber im Hause warm; bei offenen Türen unten und oben kommt die
Wärme vom Flur zu uns herein und mischt sich mit der Wärme aller Öfen;
Karoline geht umher und sieht nach und räumt auf; unten ein
Frühstückstisch mit geräuchertem Lachs, kaltem gebratenen Schneehuhn,
fünf Sorten Käse, darunter ein neuer »Storthingskäse«, und unter all der
Herrlichkeit ein weißes Tischtuch, und blaue Karaffen und Gläser.
Karoline und ich sind eben von Tisch aufgestanden, jetzt hören wir Beate
und Alexander Kielland im Fremdenzimmer sich rühren; das Haus erzittert
unter seinen Schritten. Er ist -- ich werde ihm das nie vergessen --
hierhergekommen, um demonstrativ seinen Protest gegen die Verfolgungen
einzulegen, hat den Mjösen herauf in seinem Breitschlitten wie der
Teufel gefroren, wurde in Lillehammer von mir empfangen, fiel mitten in
die Geburtstagsgesellschaft bei Lunde, wurde in die Stube geführt,
schneebedeckt, sah aus wie Gustav Adolfs Statue an einem Wintertag, so
prachtvoll, daß die Leute schrien, und erzählte Geschichten, daß ich
mich ganz krank lachte. Du hättest die Verzweiflung der Lillehammerschen
Damen sehen sollen, aber lachen mußten sie doch! -- Er trank eine
Flasche Rotwein, Grog, Schnaps, aß ein Schneehuhn; aber unterhielt uns
dabei den ganzen Abend, dampfte unter allgemeinem Gelächter ab und
schlief zwei Stunden darauf. Etwas dicker als früher, aber dieselbe
unerschütterliche Verachtung für das »Pack«, und voll Gesundheit und
Kraft im Kampfe gegen dies Volk. Bei brillanter Bahn und brillantem
Wetter hierherauf, ich voran in einem Schmalschlitten mit Kiellands
Koffer hintendrauf, sie hinterdrein in einem Breitschlitten, zum Schluß
scharfer Trab, alle Flaggen über der Schneelandschaft an den hellen,
strahlenden Häusern gehißt, Feststimmung und Freude beim Empfang seitens
Karoline, Karen, Mutter, Inga, Dagny, Anna und Erling, großes Diner,
wobei er wieder Schneehuhn und Wein für zwei oder drei bekam, und ein
Gelächter, daß das Dach dröhnte. Und den ganzen Tag gestern ein
Schwatzen und Lachen und Apfelsinen und Possen bis zehn. Wieder neun bis
zehn Stunden Schlaf heute, und jetzt höre ich die Lachsalven unten vom
Frühstückstisch her; denn dort sind sie nun, nachdem sie mich begrüßt
und meine Glückwünsche entgegengenommen haben, weil Babys Geburtstag
ist. »_Die_ ist das Beste, was Du je gemacht hast«, sage ich zu Beate.
-- »Entschuldige, _ich_ habe sie gemacht«, antwortet er und zieht, den
Arm um Beates Taille, wie ein Gott stolz von dannen, begleitet vom
Gelächter aller. Er ist in seiner roten »Amtmannsweste«, falls Du
Dich ihrer entsinnst. Und als ich ihn fragte, ob er nicht
Storthingsabgeordneter werden wollte, antwortete er: »Du meinst als
dekorative Figur?« -- Gestern ist kein Brief von Dir gekommen;
vermutlich ist in Jütland Schneesturm; wenn nur nicht auch unser Brief
an Dich für einen Tag oder zwei weggeweht ist. -- Hedlund hat an mich
geschrieben, er halte es nicht länger aus, in Unfrieden mit mir zu
leben. Ja, ich renkte es denn wieder ein, soweit ich konnte. Ich habe ja
nichts gegen ihn, ich habe ihn sogar gern; aber ich könnte z. B. nicht
mehr über das mit ihm reden, was ich glaube. -- Beate Kielland -- nun,
Du weißt ja, wie lieb sie mir ist, und sie ist so warm und entzückend
hier bei uns, und dabei so bekümmert um ihrer Zukunft willen. Alexander
Kielland arbeitet an einem Roman, in dem ein Bauernbursche vom Lande in
die Stadt kommt und es bis zum ersten Mann dort bringt, einfach weil er
genau alle Schurkenstreiche und Nichtswürdigkeiten nachmacht, die die
anderen machen, und die von der guten Gesellschaft geheiligt sind. Ist
das nicht ergötzlich? -- Jetzt wird Erlings und Annas Haus gedeckt. In
der großen Welt nichts, was mich im Augenblick fesselt, und auch nichts
hier in der Heimat. -- Ich habe die große Angst, daß Mad. Marchesi kein
Verständnis für Dein Naturell hat und Dir eine verkehrte Aufgabe stellt.
Du mußt etwas haben, worin Leidenschaft ist und Phantasie oder
Schelmerei. Kannst Du ihr das nicht selber sagen? Ein Hurra dem Tag und
Dir und mir und allen miteinander.

                                                    Dein Freund Vater.

Alexander Kielland sitzt jetzt hier oben; als er hörte, daß das
Barometer so gewaltig sinkt, sagte er: »Es wird uns gehen, wie es in der
Frithjofsaga heißt: Der Fremde blieb, bis der Frühling kam!«






Heut steht der Wald weiß; denn es schneit die ganze Zeit, und etwas
Schöneres als einen weißen Wald hat die Natur nicht. -- Der Schnee liegt
auch weiß über den Dachsparren des neuen Hauses. Die Maurer setzen jetzt
die Schornsteine auf. Alles ist groß dort, z. B. sollen auch vier --
sage: vier -- Schornsteine hinkommen! Einmal wird das Haus uns allen
doch viel Freude machen, obwohl es verdammt viel kostet jetzt.

Wir haben ein Buch hier, die Selbstbiographie eines Dänen aus dem Anfang
des vorigen Jahrhunderts, Aerebo heißt er; das werden wir Dir schicken;
Du mußt doch sehen, wie der Ton damals war; wenn man bedenkt, daß wir
noch vor anderthalb Jahrhunderten roher waren als jetzt die Bauern. --
Also dürfen wir heute nicht zu viel voneinander erwarten, dünkt mich.
Wir müßten solche Selbstbiographien mehrere Meilensteine weit in der
Zeit zurück haben, dann begriffen wir, wie die Menschen noch heutigen
Tags Reißaus nehmen, wenn es gilt, den Arbeiterinnen zu helfen, und
mitten im schönsten Frieden Geld sammeln für Kanonen. -- Dies ist die
Bismarck-Woche gewesen; er ist gestürzt, und vorläufig auch sein Sohn!
_Jetzt_ sagen alle, wofür ich dereinst meine Prügel bekam, so oft ich es
sagte, er sei, nachdem er gewaltsam die Einigung Deutschlands zustande
gebracht hatte, im wesentlichen ein Schachspieler, der alle Spiele
gewann, darüber aber die Zukunft verlor; denn er war ein Mann des
Mittelalters, und die moderne Denkart erschien ihm als eine
Ausschweifung. Seine schlimmste Sünde, Rußland großzuziehen, aber
Frankreich zu beschneiden, -- unheilvoll für ganz Europa -- wird von
seinem Erben, dem Kaiser, nicht wieder gut gemacht werden. -- Ich
fürchte, wir stürzen durch den jungen Kaiser in eine ganze Reihe von
Fehlgriffen, die die Reaktion zu einer strengeren Tonart beeinflussen,
und vielleicht Bismarck oder auf jeden Fall sein System wieder von neuem
heraufbeschwören werden. Ja, wir gehen einer schweren Zeit entgegen!
Hätte ich nur so einigermaßen _unsre_ Zukunft gesichert! -- Um unser
Volk ist mir nicht bang, nicht im geringsten. Das geht seinen Weg. --
Hurra! Bei uns gilt es nur, das Volk zu wecken. Ist es erst wach
geworden, so ist mir nicht bang darum. -- Grüß' unsre Freunde! Runebergs
und Sansots haben beide ihre Briefe bekommen; aber grüße sie, grüße sie!
Gratuliere Hejde zum blauen Band! Möge er erleben, daß es rot wird! --
Leb' wohl!

                                                    Dein Freund Vater.




                                                        30. März 1890.


Liebe Bergliot, Du mußt die Sache endlich sehen, wie sie ist, -- wenn es
eine Niederlage für Dich ist, daß Du nicht bei der Matinee mitsingen
darfst. Das ist wohl besonders Madame Lürigs Schuld, die nicht die
Fähigkeit hatte, Dich weiterzubringen; aber Schuld trägt wohl auch der
Umstand, daß sich in unserer Familie keine Spur von Virtuosität findet,
so daß Du also nicht eine ererbte Anlage weiterbilden kannst, sondern
mit unendlichem Fleiß und mit Ausdauer Dir Stück für Stück erringen
mußt, -- schwerer, langsamer als jeder andere. Daß Du die Triller und
alles das »hassest«, darin stimme ich mit Dir überein; aber als
Ausbildung der Fertigkeit, als Weg zu einer biegsamen Stimme, einem
selbstsicheren Gefühl von Überlegenheit über das Technische mußt Du
diesen Spießrutenweg gehen, um »fertig« zu werden. Gibst Du Dich hierin
besiegt oder richtiger: wirst Du hier nicht Meister, so wird stets
hinter dem, was Du tust, _die Angst stecken vor dem, was Du nicht
kannst_. Überwinde diesen ganzen düstern Spuk! Werde ein unerschrockener
Künder des Lichts, des Herzens; räum' mit allem auf, was Dich verzagt
macht; sondern zwinge es, dem Höheren zu dienen!

Nur eines steht noch beängstigend mir vor Augen: daß Du nicht kräftig
bist! Du schläfst, Du ißt, Du lebst das geregeltste Leben, und trotzdem
ist es, als schwäche Dich etwas? Du arbeitest doch wohl nicht über Deine
Kraft, ich meine, ohne die Regeln für gesunde Arbeit zu befolgen? Das
sähe Dir auch nicht ähnlich. Gib Obacht auf Dich selbst, lieber Schatz;
ergründe, was das ist!

Ich habe jetzt »La bête humaine« gelesen, und ich bin im Grunde
erschrocken, daß auch Du es gelesen hast. Es hat einige so zwecklos
unterstrichene liederliche Stellen. Pfui Teufel! Wahrhaftig, Du bist ein
tapferes Mädel, daß Du durch den Kot watest, ohne davon beschmutzt zu
werden. Tut es Dir nichts, Bergliot? Antworte mir aufrichtig!

Bismarck geht in sein eignes Garn; er hat selbst damals, als er es
brauchen konnte, die Alleinherrschaft des Kaisers proklamiert, und er
hat selbst bis in den Tod Männer verfolgt, die wagten, eine andre
Meinung zu haben als der Kaiser und er. Und nun ist er der erste, der
dem Willen des Kaisers entgegenarbeitet, heimlich und öffentlich, und
darüber fällt er! -- -- Entweder wird er binnen kurzem wieder das Heft
in Händen haben, oder er behält recht darin, daß es jetzt schief geht.
Mit aller Art von Neuerungsideen läßt sich ein Staat nicht leiten, am
allerwenigsten einer, der so exponiert liegt wie Deutschland. -- Es soll
sich nur keiner einbilden, daß hierdurch mehr Freiheit, mehr Licht in
die Welt kommt; kein Prinzip des modernen Zeitgeistes hat den Großen
gefällt; kein größerer Schachspieler hat den größten seiner Zeit matt
gesetzt, keine weitschauende Politik die kurzsichtige; denn mit allen
seinen Augenblickssiegen war Bismarck doch nur ein kurzsichtiger Mensch,
der nicht die Zukunft aufbaute, sondern nur Sieg auf Sieg gewann im
Kleinkram der Gegenwart. Nein -- wir werden dasselbe mittelalterliche
System haben, nur _ohne die Siege_, ... bis es am Boden liegt. --

Das Haus hat also jetzt einen Schornstein auf dem Dach und eins seiner
vier Kreuzdächer ist mit blauen Ziegeln gedeckt. Ferner sind die
Fehlböden, die unter den eigentlichen Fußböden liegen, im untersten
Stockwerk fast fertig. Die Tischler und Amund (der Maler und Sattler, Du
weißt) machen schöne Möbel und verhältnismäßig billig. All mein altes,
trocknes Material kommt uns nun gut zustatten.

Geliebter Schatz, Du mußt bei frischen Kräften bleiben. Und Verkehr
suchen mit den vielen, die Dich gern haben. Durchaus! Wir haben gedacht,
Du könntest diesmal auf dem Landweg nach Hause kommen und einige Tage
bei Hegel bleiben. Vielleicht ist dann Mutter dort, so daß Ihr zusammen
heimkehrt. Mutter hat unter meinen Papieren folgende Strophe aus alten
Tagen gefunden:


                              Im Walde.

   Der Wald gibt sausenden sachten Bescheid;
   Was immer er sah in den einsamen Stunden,
   Was immer er litt, als man doch ihn gefunden,
   Das klagt er dem Winde; der trägt es weit.

Ist das nicht schön? Das müßte sich in Musik setzen lassen. -- Heuer
geht die Schneeschmelze ohne Hast und Schönheit vor sich, recht
heimtückisch. Draußen über dem niederen Ackerland liegt er kreideweiß
und schwindet hin, hier oben ist er ausgezehrt, wie einer, der die
Schwindsucht hat; hektische Flecken da und dort. -- Sie fahren Holz mit
sechs Pferden den ganzen Tag; es fragt sich, ob wir es ins Haus
einbringen heuer wegen des schlechten Schnees. -- Dagny und Anna haben
sich beide das Haar kurz geschnitten, es steht ihnen ausgezeichnet. Leb'
denn wohl, geliebter Schatz, tausend, tausend Grüße von allen durch

                                                  Deinen Freund Vater.




                                              Aulestad, 4. April 1890.


Liebe, Süße Du, wie unterhaltend und klar Du schreibst! Die Briefe
allein schon zeigen, daß Du im Wachstumsalter bist. Nicht die Briefe
aller zeigen das, selbst wenn sie zwanzig Jahre alt sind; denn es
wachsen leider nicht alle. Und es ist etwas wert, daß _Du_ wächst durch
Umgang, Arbeit, Bücher; denn _das_ ist es, was Dir den _Gehalt_ gibt,
der später den Gesang füllt und färbt.

Ich muß heute mal mit Dir reden über Mad. Marchesis bornierte Methode,
von allen _eine_ Art des Singens zu verlangen. Das ist natürlich
verkehrt. Aber eines bedenke: _sie hat mehr singen hören_, als ihr alle
miteinander, und darunter die _Allergrößten_; denn die Allergrößten
haben zu ihrer Zeit gelebt, und nicht in Eurer. Infolgedessen hat sie
(ohne selbst sehr poetisch zu sein) dadurch Musterbeispiele, und als
Sängerin ein solches Gedächtnis für die Behandlung jedes einzelnen
Stückes, daß Ihr, wenn Ihr ihr folgt, immer der besten Fährte folgt.
Aber hier hört ihr Recht auf. Denn nicht alle _können_ so singen, wie
die Größten; wenn sie ebenso groß sind, haben sie ihre eigene
bahnbrechende Art, und wenn sie nicht groß sind, liegt ihr _einziges_
Verdienst darin, _daß sie sie selbst sind_; haben sie das nicht, dann
können sie sich begraben lassen! Es ist der reine Zufall, wenn jemand
dieselbe Natur hat, wie der, der dieselbe Nummer von allen am
vollendetsten sang.

Ich habe Garborgs »Bei Mama« gelesen, das aus unsrer schmutzigen Wäsche
zusammengestückelt ist. Ein hysterisches Weibsbild (Tochter eines
sinnlichen Faultiers von Mutter) gezeichnet von einem hysterischen
Mannsbild, -- das soll »_das Weib, wie es ist_«, sein! Das Buch besteht,
wie alle Bücher Garborgs, aus tausend kleinen Geschichten. Er ist kein
Dichter, er ist ein Schriftsteller, der einem Menschen mit kritischen
Bemerkungen nachgeht, und die genügende Gewandtheit hat, ihnen
verschiedenartige Form zu geben; es stimmt uns oft nachdenklich, aber
wir sind nie ergriffen. Die hysterische Unruhe, dieses Jagen vom einen
ins andre stört; ein Bild wird am besten mit ein paar kräftigen,
sicheren Linien gezeichnet; durch diese tausend Strichelchen wird es
wieder verwischt. In »König Midas« heißt es, »daß niemand so lügt, wie
die, die herumlaufen und die Wahrheit sagen«. Das paßt ausgezeichnet auf
die Art Bücher, die _nur_ in Geruch und Anblick und Zerknülltheit der
schmutzigen Wäsche leben; _die_ »Wahrheit« ist derbe Lüge. Die
schmutzige Wäsche muß auch sein; aber nicht als das einzige oder das
entscheidende für unsre Anschauung des menschlichen Lebens. Er haßt die
»Ideale«, weil sie die Menschen verleiten, an sie zu glauben, und --
wenn sie sie nicht erreichen können -- mutlos zu werden. Nun ja, das
geht gewiß vielen so, besonders so lange die religiöse Verkündigung ist
wie sie ist: _ein Einziges für alle_. Aber als Lebensziel, d. h. als
das, was der einzelne erreichen _kann_, und was die Generation erreichen
soll, sind die Ideale nichts anderes, als die Erfahrung unsrer eignen
Natur; dadurch werden wir, und mit uns alles, besser; das haben wir
gelernt. Ist das manchem zu viel, nun schön, -- die kommandieren darum
nicht die anderen; es sind niemals die letzten, die kommandieren,
sondern die ersten. Diese siegen und ihre Nachkommen siegen nach ihnen;
die Stärksten siegen. Wir müssen versuchen, den Schwachen zu helfen,
namentlich versuchen, immer mehr Menschen auf die Seite des Sieges
herüberzuziehen; aber wir können nichts von den Idealen ablassen, ohne
die Richtung des ganzen Menschenzuges zu ändern, den Zielen untreu zu
werden, und zu mißachten, was wir bisher aus Erfahrung als das Rettende
erkannt haben. Dahin kommt es niemals! Laß uns die Ausnahmen recht
sichtbar ans Licht heben in unserm Leben; jedesmal werden sie uns an
eine vergessene Schuld erinnern; aber zu Kommandorufen für die ewige
Richtung des Zuges dürfen die Schreie derer, die nicht zu folgen
vermögen, niemals werden; das wäre der Untergang aller, anstatt der
einzelnen. Immer weniger und weniger werden ihrer; aber die Zeit kommt
kaum je, daß ihrer nicht, was wir auch tun, leider allzu, allzu viele
wären!

                                                    Dein Freund Vater.




                                                       13. April 1890.


Liebe Bergliot, Dein Brief mit seiner Entrüstung, weil ich es eine
»Niederlage« genannt hatte, daß Du _nicht_ in der Matinee sangst, hat
uns riesig ergötzt, und Dein Mut und Deine Lust freuen uns, -- obschon
wir natürlich auf einen zweiten, tief niedergeschlagenen, gänzlich
zerschmetterten Brief gefaßt sind. Diesmal versicherst Du, Du könntest
Dich nie mehr verlieben; wir sind sicher, daß bereits eine neue
Verliebtheit im Anzug ist, Deine hundertzwanzigste! Aber mehr als alles
andre hat mich gefreut, daß Du ein Buch wie das Zolas in Dich aufnehmen
kannst, ohne von ihm anders gepackt zu werden, als das starke Bild
packen muß.

Wenn Du von Zolas letztem Buch sagst, es sei die lautere Wirklichkeit,
so wie kein anderes Buch, das Du gelesen hast, so beruht dies auf einem
Irrtum. Dieser Kniff mit der Eisenbahn, mit ihr zu spektakeln, immer
wieder und wieder, bis einem ganz schwindlig wird, ist ein alter Kniff
von ihm, und an und für sich um kein Haar anschaulicher, als wenn
Maupassant es in wenigen Zeilen gibt. Zola macht so lange fort, bis es
zu hysterischen Vorstellungen wird, bis die Lokomotive zur Naturkraft
wird im Geiste des Persönlichkeits-Jahrhunderts, zum Dampf-Geist.

Das ist Mystik, sind symbolische Schwindeleien, und nicht Wirklichkeit.
_Alle_ Wirklichkeit bei Zola wird verzerrt; er kann nicht einfach etwas
so lassen, wie es ist; es wird schlimmer und schlimmer. Vergegenwärtige
Dir einmal die Bilder und Personen, dann siehst Du es selbst. Und dann
weiß er nicht richtig Bescheid über das, was er aus der medizinischen
Wissenschaft bringt. So zum Beispiel hier, wenn er einen Menschen
zeichnet, der einzig Wollust am Blut hat. Das ist völlig richtig; aber
-- wenn ich bitten darf -- nicht _zusammen_ mit sinnlichem Genuß, nein,
_an Stelle_ des sinnlichen Genusses. Wie es hier geschildert ist, wird
der Mensch völlig unverständlich. -- All der Schmutz, der da ausgegraben
wird, all diese Morde und Selbstmorde, und all diese Verruchtheit, ...
Du fühlst doch selbst, daß er da Ausnahmen schildert, ungeheuerliche
seltene Ausnahmen, und das _Leben_ nennt. Selbst in der Farbengebung,
die sonst seine große Stärke ist, schwelgt er nachgerade so toll, daß es
mich abstößt. Herrgott, was solch ein Buch für eine ungesunde Lektüre
ist, und so verführerisch durch Häufung von ungewöhnlichen, grauenvollen
sinnaufreizenden Orgien aller Art!

In dieser Woche will Arnoldson aus Schweden hierher kommen; Kristofer
Kristofersen und Frau kommen entweder in dieser oder der nächsten, und
Redakteur Holst will auch kommen.

Denke Dir, heute, am 13. April, liegt wieder einviertel Meter hoch
Schnee, der Wald großartig unter der Last. Keine Überraschung hätte
größer sein können als heute dies Erwachen. -- Famoser Brief von Sansot
gestern; grüß' ihn von mir. Ich schreibe bald. Vorläufig nur, daß _W.
Lange in Berlin_ eine Übersetzung von »Es flaggen ...« gemacht hat, die
ich dem Schweizer zum Lesen anempfehlen kann. Es gibt auch eine deutsche
Übersetzung (im Manuskript) vom »König« von _Fräulein Klingenfeld,
München, Bayern, Gabelsbergerstraße 21_, die der Schweizer bestimmt
geliehen bekommt, wenn er darum schreibt. Mehr weiß ich ihm nicht zu
sagen. Die Sansots halten große Stücke auf Dich, und falls ich sie, wie
Sansot schreibt, 1891 hier begrüßen dürfte, so wäre das einer meiner
glücklichsten Tage auf Aulestad. Für dasselbe Jahr habe ich geplant, mit
der ganzen Familie nach Romsdalen zu reisen, und da könnten sie sich uns
anschließen. Das würde eine Karawane! Meine geliebte Bergliot, ich habe
oft gewünscht, das erstemal, daß Du in Norwegen öffentlich sängest,
sollte es in Romsdalen, in Molde sein. Aber das sei in Dein Belieben
gestellt. Dann reisten wir von dort nach Nässet, wo ich als Junge
herumsprang, und dort versammle ich die Leute und rede zu ihnen. Ein
großer Tag soll das werden, wenn das Wetter gut ist. -- Wenn doch auch
Ejnar mit dabei sein könnte! Die Volksversammlung soll an der Stelle
stattfinden, wo der Kerl hingerichtet wurde, über den ich einst schrieb.
-- Ich kenne keinen schöneren Punkt in Norwegen, als den ganzen Bezirk
dort. Ach, soll das eine Fahrt und ein Tag werden! Und den ganzen Weg da
hinauf habe ich Freunde, also wir werden sehr vergnügt sein. Und dort
uns auf den Fjorddampfern herumtummeln! Die launenvolle Lieblichkeit und
ruhige Größe des Romsdalfjords geht über alle Beschreibung. Oh, wie
vergnügt wir sein werden! -- Ja, nun sag' ich Dir für heut Adieu. Ich
habe verlockende Bücher zu lesen und muß mich auch ein bißchen in meinen
großen Stoff hineindenken. Es geht gut, geht uns allen vorzüglich, wir
sind alle fröhlich und alle gesund. Hier ist die Stätte, wo gearbeitet
wird. -- Hast Du »Die französische Revolution« von Carlyle gelesen? Ich
lese den Freiheitskampf der Niederlande von Motley (einem Amerikaner),
also über meinen Liebling Wilhelm von Oranien. Ein ganzes Leben lang
immer unterliegen und dennoch ausharren, nicht nur selber, sondern auch
alle anderen zum Ausharren anfeuern -- ja, das ist mein Lebensideal! Das
ist größer, als der größte Sieg, denn dazu gehören mehr und größere
Eigenschaften als zu einem glänzenden, im Augenblick alle Kräfte
anspannenden Sieg. -- Und das versteht jeder, der weiß, was ausdauernde
Arbeit, treuer Sinn und leuchtender Glaube bedeuten.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                       30. April 1890.


Mein lieber, süßer Schatz, wie schön ist es jetzt, einen Brief von Dir
zu bekommen, weil Deinem Gemüt eine feste Hoffnung aufdämmert; Du wirst
sicherer und stärker dadurch. Es ist, als wäre jeder Brief eine Meile
näher dem Ziele geschrieben, es ist, als hättest Du jedesmal geloggt und
nachgerechnet und die Fahrt für gut befunden. Und die Zeugnisse anderer
sagen dasselbe. Wir warten und warten auf Dich wie auf die
Frühlingsschwalbe. Möchtest Du nun auch Glück haben zur Lebensfahrt und
nicht wie ich Gegenwind das ganze Leben, -- obschon er die Flagge so
fröhlich wehen läßt.

Jetzt sollst Du aber hören: ein Franzose, Crépieux-Jamin, ist Graphologe
(Schriftdeuter), und hat aus Dänemark drei Handschriften zugesandt
bekommen: die Mark Twains, der Gräfin Danner und meine. Ich habe den
dänischen Übersetzer seines Buchs gebeten, Dir ein Exemplar zu schicken,
und da kannst Du selbst sehen, was er über mich sagt nach der
Handschrift. Mutter und ich sind ganz platt. Ja, Du wirst ja sehen!

Wir werden Dir Garborgs neues Buch schicken, oder Du kannst es lesen,
wenn Du hierher kommst. »König Midas« besitzen wir nicht. Wir erwarten
heute Kristofersen und vielleicht Lunde. Immer noch liegt Schnee in
allen Spalten und am Wald; aber der Tag ist schön, der Altan ein
Schutzdach gegen frische Brise, und der Bau drüben reift im Verein mit
den Bäumen dem Sommer entgegen. Jetzt haben wir unser Haus wieder für
uns, die Küche wird renoviert, und es ist still hier. Ein Frühlingstag
in Norwegen zwischen den Bergen ist reicher als jeder andere, weil die
Seele, die wir ihm entgegenbringen, gewaltiger sich sehnt und mehr
erhofft, als dies anderen Völkern in einer andern Natur möglich ist.

Gestern las ich eine schwedische Kritik über mein letztes Buch; ich
glaube, ich sende sie Dir. Sie war glänzend. Es heißt dort (nach einem
andern schwedischen Kritiker), daß B. B. der am wenigsten blasierte von
allen nordischen Schriftstellern ist. Ich glaube selber, daß das wahr
ist.

Hier auf dem Hofe laufen fünf bis sechs Ferkel herum, schneeweiß und
voller Leben, und ich muß bei ihnen an Dich denken. Ich glaube, Du wärst
solch ein Kleines, wenn Du ein Tier wärst. Und dabei noch etwas von
einem Vogel, vielleicht einer Schwalbe. Kleines Ferkel und große
Schwalbe, eins und das andre, ich muß lachen. -- Mutter hat sich in der
letzten Zeit herausgemacht, sie ist »rund un woll«, wie sie hier sagen;
aber mit dem Gehör ist es zu dumm. Übrigens steht es ihr gut, so als
Sibylle dazusitzen und von dem einen und von dem andern ein Wort hier,
ein Wort da zu borgen. Wenn es doch bloß wieder besser würde mit ihr!
Ich kann und kann die Hoffnung nicht aufgeben. -- Ich hatte wirklich
Angst, Du könntest nicht mehr leben, nachdem Cavlings abgereist waren;
aber Gott sei Dank, Du schreibst, als habest Du die Absicht, auch ferner
am Leben zu bleiben. -- Ich möchte gern wissen, ob Du einmal »La légende
des siècles« von Victor Hugo auftreiben könntest; eine billige Ausgabe.
In diesem Falle möchte ich es haben. Und vergiß nicht, mir den Namen des
Bildhauers zu schreiben, so, daß ich ihn lesen kann; Donnerwetter ja,
dies ewige Elend mit den Namen! -- Brief von Hejde und Frau Hejde; es
geht ihnen brillant. -- Dagny hat sicher große Begabung für Musik; aber
keinen Fleiß, obwohl ich allmählich glaube, wenn sie eine gute Lehrerin
hätte, käme der auch. Sie ist ja im ganzen sehr flüchtig; aber so lieb
und so begabt! Sie ist jetzt im Alter des Romanlesens und der ewigen
Freundschaften. Marie Hansen ist das Höchste auf Erden. Das heißt,
vielleicht daß Dagny nun doch anfängt, auch an ihr Kritik zu üben; damit
ist sie _sonst_ rasch bei der Hand. Anna ist wirklich reizend; so
lebhaft und klug; und so wohl wie sie sich bei uns fühlt! -- Meine liebe
Bergliot, Dank für alle Deine Briefe und für alle guten Nachrichten!
Bewahre Dir Deinen Humor, härte Dich ab gegen Kritik und Widrigkeiten,
werde stark! Und grüße Deine gute Wirtin! Du wirst wohl auch nächstes
Jahr dort wohnen? Hast Du in letzter Zeit Deine Freundin besucht, das
Mädchen bei Deinem alten Hausdrachen? Hast Du Gouzien vorgesungen? Bist
Du bei Sansots gewesen? Voilà! Leb' wohl! In Frühling und Arbeit, in
schmucken Kleidern und Sonnenschein, in guter Gesellschaft und
Vergnügen, bei guter Lektüre und gesunden Gedanken!

                                                    Dein Freund Vater.




                                             Aulestad, 27. April 1890.


Liebes Kind, Du mußt das alles selbst entscheiden, Du steckst in Deiner
eigenen Haut und in Deinen eigenen Kleidern, Du allein kannst wissen,
wie müde Du bist, und was Deiner Gesundheit neben Deinem Gesang, oder
vielleicht gerade um dessentwillen nottut.

Du mußt _sofort_ Mad. Marchesi sagen, wofür Du Dich entschlossen hast.
In jedem Fall: bleib nicht so lange wie gewöhnlich, komm nicht so elend
nach Hause, daß Du abreisen mußt, eh Du wieder Bergliot geworden bist.
-- Möchtest Du bis zum 1. Juni bleiben, dann meine ich, solltest Du
schon am 15. Mai bis zum 1. Juni bezahlen. Dann wirst Du ja hören. Aber
bezahle lieber voll, als Streit anzufangen. -- Entschließest Du Dich,
schon am 15. Mai aufzuhören, so vergiß nicht, daß zwischen der Witterung
im Norden und in Frankreich ein Unterschied ist, der Dich nicht zu
Dummheiten verleiten darf. Du mußt Dich jedenfalls danach anziehen. Den
einen Tag ist es hier ganz warm, den andern halber Winter _bis Mitte
Juni_; besonders aber im Mai. Dein Arbeitsplan wäre nicht so schwierig,
wie er Dir scheint, wenn nicht diese verteufelten Reisen wären. Aber
Paris ist ja ohne Eisenbahnen. Richte Dich für die Reise hierher
beizeiten ein. Und verlobe Dich nicht unterwegs! Komm heim und sei
Bergliot toute entière et toute seule. -- Diese »Köbenhavn« ist wirklich
ein grausiges, ganz grausames Blatt. Ich muß dabei an das Grüne denken,
das in den Windeln der Säuglinge liegt. Mich dünkt, daß »K.havn«
überhaupt nicht just das im Norden repräsentiert, was gesund und stark
ist; sondern das Überfeinerte und Frivole. -- In den Zeitungen und
Zeichnungen, die Du aus Paris heimschickst, ist ein ganz andrer Zug. Da
wird das Kleine nie groß, das Gleichgültige nie wichtig; wir haben
keinen gesunden Maßstab. Octave Feuillets letztes Buch solltest Du
aufzutreiben suchen, ebenso Maupassants; ich sehe, man lobt sie beide
sehr. Du mußt es billiger kaufen können als für den Ladenpreis. Übrigens
kannst Du es auch lassen. -- Keines von uns sehnt sich mehr nach dem
Sommer als ich. Ich kann nicht arbeiten, es sei denn, es wird besseres
Wetter, und am liebsten bei offenen Fenstern. Bringst Du das gute Wetter
mit? Hier ist es scheußlich jetzt.

Wir sind ein bißchen in Sorge um Erling, es könnte ihm schaden, daß er
so ohne Arbeit in vermögende Verhältnisse gekommen ist. Besonders Mutter
ist besorgt. Aber es kann ja gut gehen, auch wenn er noch nicht weiß,
wie er im Sattel sitzen soll. Ich halte mich von ihm zurück; ich habe ja
kein einziges Interesse mit ihm gemeinsam; denn bei dem einzigen, das
ich haben könnte, dem Betrieb auf dem Hof und dem Bau, fragt er nie um
Rat und erzählt nie davon. Er ist vollkommen, er ist Selbstherrscher.
Nun, Du wirst ja selber sehen! -- Hier ist es öde. Diese Zeit ist
schrecklich. Graue Erde, grauer Laubwald, unheimlich finsterer
Tannenwald, Schnee auf den Höhen und in den Spalten, kalter Regen, kalte
grüne Ansätze hie und da. Nirgends ein Mensch. Die Bücher gleichfalls
kalt. Kalte Kritiken in den Zeitungen, unerfreuliche Politik daheim und
draußen, Unfruchtbarkeit und Mutlosigkeit der Mittelmäßigkeit überall.
Ich langweile mich. Komm Du heim mit Sommer, mit Mut, mit Gesang, mit
Zukunft! Dann bin ich in guter Laune, wie einer, der in einen
dichterischen Zauberkreis gebannt wird, wo es nichts Graues gibt.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                          4. Mai 1890.


Liebes Kind, Dank für Deinen langen Brief! Ja, jetzt ist er gekommen --
in wenigen Tagen -- voller, voller Sommer, alle Fenster und Türen auf,
Sonne über dem Altan, Hähnekrähen und Vogelsang den lieben langen Tag,
und Glocken und Hammerschlag und der Klang der Egge an den kleinen
Steinen.

Also vermissen wir auf Aulestad jetzt nur noch eines, und das ist unser
Pariser Singvogel. Das beherrscht in dem Grade meine Stimmung, daß ich
nur mit der größten Überwindung an Dich schreiben kann. _Du_ bist nicht
dort, sondern hier. Und die Briefe sterben aus Sehnsucht nach dem
Menschen.

Ich habe eben ein Buch bekommen: »Pepitas Hochzeit« von Heidenstam
(einem Schweden), das völlig übereinstimmt mit meinem Aufsatz »Die neue
Kunst«. Ich möchte wissen, was z. B. von Garborg übrigbliebe, wenn die
poetische Kraft, mit der _hier_ geschildert wird, ausschlaggebend würde?
Da würden nicht viele von diesen Matt in Matt-Kopien bestehen können. --
Ich bin durchaus einverstanden, wenn geschrieben wird, daß jeder, was
die Kunstform anlangt, seine eigene Art haben dürfe; -- seine poetische
Fülle, das Wesen und der Reichtum seiner Persönlichkeit seien es, die
über den Eindruck entscheiden. Bin ganz einverstanden -- nur nicht mit
der Leichtfertigkeit. Man darf nicht um den Augenblick die Zukunft
verkaufen. Ich verstehe auch die nicht, die, um fröhlich zu sein,
absolut Punsch brauchen. Ich antworte immer: ich kann genau so fröhlich
sein wie ihr, _ohne_ daß ich Punsch trinke. Auch verstehe ich nicht, daß
nicht zwei Verschiedengeartete fröhlich sein und sich aneinander freuen
können, ohne daß sie sich sofort in die Haare geraten müssen. Wird nicht
gerade durch die Kraft der Selbstbeherrschung die Freude etwas, das
unser Leben bereichert, das Wesen der Persönlichkeit stärkt und die
Selbstachtung und die Achtung anderer in eins verwandelt? Gib Dich hin
da, wo Dein Herz Heimat und Zukunft gewählt hat; sei fröhlich ohne diese
letzte Hingebung überall da, wo Menschen für dasselbe leben wie Du. --
Übrigens sind das Dinge, über die man nicht zu streiten braucht, das
_Blut_ entscheidet hier; die Starken (weil sie selbstbeherrschend
gewesen sind) erzeugen Starke, die Schwachen (weil sie Schweine gewesen
sind) erzeugen Schwache. Und die Welt gehört den Starken.

Hier ist das allerherrlichste Wetter, Du! Aber wirst Du Dich auch hier
wohl fühlen können ohne irgendwelche Abwechslung vier Monate im Jahr?
Ich hätte an Sansots schreiben sollen; na, ich hol' es nach. Sag' ihnen,
daß Ernest Tissot mir soeben ein Buch geschickt, das er herausgegeben
hat: »Les évolutions de la critique française«. Es ist ausgezeichnet.
Die Librairie académique Didier hat es herausgegeben. Das ist der
Tissot, über den ich Sansots geschrieben habe, weil er an mich schrieb;
er wünschte eine Studie über meine Werke zu schreiben. Ich sagte ihm zu,
schien es.

Meine geliebte Bergliot, wir sehnen uns zu hören, was Du beschlossen
hast. Du freust Dich selbst so sehr, daß auch wir unsre Freude auf das
Wiedersehen aussprechen dürfen.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                          8. Mai 1890.


Sonntag, nachdem ich vormittags an Dich geschrieben hatte, fuhren wir zu
Amtmann Nielsens. Frits Hansens Kinder sollten den ganzen Tag dort sein.
Aber während wir gerade gemütlich bei Nielsens saßen, kamen plötzlich
Frits Hansen, Ingeborg Hansen und der Hauslehrer! Sie wußten, daß wir da
waren. Ich ging sofort in den Garten, der Amtmann hinterdrein, und nun
waren also zwei Parteien, eine im Garten und eine drinnen, Amtmanns
völlig verzweifelt. Und nun alle Menschen (und Mutter nicht als letzte)
auf Frits Hansen los, der sagte, er wäre einzig gekommen, um es wieder
gut zu machen. Aber erst müsse er mich um Entschuldigung bitten. Und so
kam er denn heraus in den Garten und machte es sehr nett, indem er immer
wieder und wieder versicherte, es sei _niemals_ seine Meinung gewesen,
ich wäre ein weniger ehrenwerter Mann, als irgend einer von ihnen. Und
er war überhaupt so überströmend liebenswürdig, daß ich mit Herz, Seele
und Sinn mich ergab; und am andern Tag kam er hierher, den Tag darauf
waren sie beide hier zu Annas Geburtstag und gestern wir bei ihnen oben
zusammen mit allen Vonhejmsleuten. Es ist ein altes Wort: alte Liebe
rostet nicht, und das hat sich wieder auf beiden Seiten bewahrheitet. --
Wir sind sehr froh darüber allerseits, sehr, sehr froh.

Kristofer Kristofersen und Frau sind hier; sie sind so sehr gemütlich,
besonders er. Schlicht, klar, warm. Sie lassen Dich herzlich grüßen. Sie
wollen den Sommer über auf Solhejm wohnen. Überhaupt werden eine Menge
prächtige Menschen hier sein im Sommer. Und ich will im Sommer nur
Gedichte machen. Jeder Mensch muß zugeben, ich bin so jung an Kraft und
Saft, als wäre ich (aufs Haar) knapp über 40. Wenn das so fort geht,
dann muß ich ja ein sehr alter Knabe werden. -- Denk Dir, heute wollen
wir nach Sönstevold, um zu beschließen, daß in Gausdal Telephon gelegt
wird! Telephon in Gausdal! Telephon bis in unsern Flur, und da stehen
und mit Kristiania sprechen, so wird es enden!

Ob Du heute einen Brief von Mutter bekommst? Jedenfalls ist sie bei Dir
mit allen ihren Gedanken. Ich war so erfüllt von der Frage, wann Du nach
Hause kommen würdest, und sie nicht minder, daß ich nun voll Betrübnis
Deinen Brief ihr zugehen lasse, zugleich mit diesem.

Wir wollen alle hinüber zu Peter Sletterud, deshalb beeile ich mich so.
Sie warten alle auf mich. Wenn Du es bloß lesen kannst!

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, Du hättest in Norwegen sein sollen und dies
Winterauftauen sehen! Es erscheint mir gar nicht anders möglich, als daß
in einem Volk, das unter diesen alljährlichen Eindrücken lebt, der
Glaube wachsen muß, auch die schlimmsten Hindernisse und Schwierigkeiten
müßten weichen vor einem frischen Frühlingswillen in uns selbst. Der
Schnee ging den Leuten bis unter die Arme, sobald sie außerhalb der
gebahnten Wege gingen; und die Wege vereist, um sich Arme und Beine zu
brechen. Entsetzlich kalt manche Tage, ziemlich warm an anderen, niemals
gleich, immer unsicher.

Und dann eines Tags ganz unvorhergesehene Wärmegrade; anfangs ein
Tröpfeln von den Dächern, Rinnsale auf den Wegen, Ballen unter den
Pferdehufen; aber dann Schneestürze von den Dächern, daß die Häuser
erbeben, Bäche durch die Gehöfte und Wege, der Schnee geht scheffelweise
jeden Tag, Schlamm und Eis _ein_ Brei, und alles Wasser schwarz. Wo Du
gehst, ein Murmeln von Bächen, Funkeln in der Luft, blauer Dämmer im
Schnee und unter den Vögeln eine Lustigkeit -- die Hühner kommen heraus,
die Hähne krähen, die Schweine laufen wie wahnsinnig; die bisher noch
nie draußen gewesen sind, stehen ganz still, die Köpfe aneinander
gedrängt und getrauen sich keinen Fuß zu rühren; die Pferde wälzen sich
und sausen vorüber in rasendem Trab, und die Menschen mit Hacken,
Spaten, Schaufeln, Beilen, um die Wasserströme zu regulieren und ihnen
Wege zu graben, daß sie nicht den ganzen Hof mit sich fortfegen. Die
Luft so stark, daß einem schwach wird, wenn man zu lang darin bleibt.

Und nun muß ich ein Lied für Dich abschreiben:

   Wann wird es wirklich Morgen?
   Wenn goldner Strahlenglanz
   Über Firnen hüpft im Tanz,
   Tief in den Abgrund dringend,
   Beschwingend
   Den zum Lichte kletternden Stengel,
   Daß er sich träumt als seligen Engel.
   Dann ist es Morgen,
   Wirklich, wirklich Morgen.
      Doch wenn's wettert und sprüht
      Und krank mein Gemüt,
      Kann das Morgen sein?
      Nein.
   Wohl ist es wirklich Morgen,
   Wenn Blümlein im Frühlicht blinken,
   Und Vöglein Tautropfen trinken
   Und zwitschernd dem Baume zum Lohne
   Eine Krone
   Von jungfrischem Grün versprechen,
   Vom Meere erzählen den sehnenden Bächen.
   Dann ist es Morgen,
   Wirklich, wirklich Morgen.
      Doch wenn's wettert und sprüht
      Und krank mein Gemüt,
      Kann das Morgen sein?
      Nein.
   Wann wird es wirklich Morgen?
   Wenn die Kraft, die das Leid durchdringt,
   Sonne der Seele bringt,
   Wenn in Deinen Armen
   Erwarmen
   Alle die Menschen, groß und klein,
   Dann gegen alle nur gut zu sein.
   Dann ist es Morgen,
   Wirklich, wirklich Morgen.
      Die gefährliche Kraft,
      Die das Höchste schafft,
      Ist sie's, die Dir nah?
      Ja.

Grüße Griegs vielmals von uns und geh gleich zu ihnen.

                                                    Dein Freund Vater.




                                      p. t. Lillehammer, 18. Mai 1890.


Liebe Bergliot, ich sitze hier bei Lundes, Sonntag, den 18. Mai, und
schreibe ein paar Worte, damit Du nicht vergessen sein sollst. Wir
fuhren gestern im herrlichsten Wetter hierher, der Wagen mit grünem
Birkenlaub geschmückt, so daß wir in einem Zelt saßen, Erling auf dem
Bock, Anna, Kristofersen und ich drinnen. Unsre seidne Flagge voran.
Kein Mucks, weil ich dasaß und über meine Rede sann; aber alle, denen
wir begegneten, wurden froher Laune, und in der Stadt große Freude. Auf
dem Markt ein paar Tausend Menschen und die Stimmung gut. Am ersten
Pfingsttag kommen die Rindalsleute, Gustums und einer von Svartum zu
uns. Um Johanni soll ich hinunter nach Sarpsborg und dort im liberalen
Verein des Smålener Bezirks reden. Vielleicht können wir uns dann auf
Torö bei Frau Möller treffen. Du kommst ja diesmal auf dem Landweg und
bleibst ein paar Tage bei Hegels? -- Mutter will nicht vor dem Herbste
hin, sie reist dann mit Dir. Ich wollte, der Teufel holte die Matinee in
der Salle Erard! Deinen Brief mit den Montmartre-Schilderungen schicke
ich Mutter. Dann ist ein lieber Brief von Ragna Kristensen eingetroffen,
die Dagnys Lehrerin werden sollte und am liebsten sofort gekommen wäre;
aber nun hat Jenny eine Stellung für sie gefunden als Gesellschaftsdame
bei einem reichen Herrn, Dr. Rohde, der eine kranke Frau hat und ein
Kind, mit denen er nach Paris will. Kennst Du Ragna? Ihr werdet sehr
gute Freunde werden!

Dr. Georg Brandes ist in Kristiania. Sein Zweck ist lediglich, indirekt
und direkt mich unmöglich zu machen. Thommessen sein getreuer Helfer.
Aber seine Zeit ist vorbei.

Mein guter, lieber Schatz, Dein letzter Brief atmete Zuversicht und
Freude, und es tat mir wohl, das zu lesen. Wärst Du nur bald bei uns!
Ach, wie schön es jetzt hier ist! Nach einem starken Regen hat alles
starke Fortschritte gemacht; ein Duft gestern von Vogelkirsche und Birke
ohne Unterlaß, und die Sturzbäche dampften. Aller Frühling ist ein Bild
des Starken. Ich schloß meine Rede gestern mit einem Bild von zwei
Staren, die an der Südecke unsres Hauses sich ihr Nest gebaut haben. Das
Männchen sitzt auf dem Knauf der Flaggenstange und singt ihr vor und
spielt und unterhält sie, während sie sitzt und brütet. Und sein Spielen
und Singen deute ich als die Festtage zwischen den Arbeitstagen; sie
sangen und spielten auf für die Frühlingsarbeit im Land. -- Aber komm
nun auch Du und singe und spiele auf für die Frühlingsarbeit, die
Zukunftssaat -- erst in Deinem Vaterhaus und später für das ganze Land.
So alt wir sind, wir haben den Glauben, daß es der _Frühling_ ist, dem
wir dienen, und die Arbeit ihr neues Lied verdient.

                                                    Dein Freund Vater.




                                                         22. Mai 1890.


Du Liebe, Liebe, um 11 Uhr gestern abend (denk Dir, erst um 11!) kamen
Frau Karoline Björnson und John Lund (die sich unerwartet getroffen
hatten) hier an, am Pfingstabend also, und heute, am Pfingstsonntag,
habe ich die schöne Zeit verplaudert; vollständig vergessen, daß wir
eine Bergliot in Paris haben; also dieser Brief wird nichts als eine
Wurst sein. Aber fressen mußt Du sie doch, von einem Zipfel zum andern.

Du Liebe, Süße, wie hübsch Dein letzter Brief zu lesen war! Wenn Du Dich
nur nicht in zu viel Geselligkeit verzettelst! Aber Du hast den Leuten
gegenüber ja keine Verpflichtungen; Du kannst in Gesellschaft gehen und
es lassen. Enfin! So wenig davon wie möglich. Und zugleich viel Freude
und Vergnügen dazu! -- Kein Mensch auf der Welt brächte mich dazu, in
einer Matinee oder sonst wo etwas anderes zu singen, als was mir selber
paßte. _Kein Mensch!_ Ich würde diese Bedingung stellen und mich um
keinen, keinen Preis davon abbringen lassen. -- Hier ist das
allerwundersamste Frühlingswetter, ein paar Tage lauter Sonnenschein,
den nächsten Tag Regen, und das abwechselnd Wochen hindurch. Dieses Jahr
muß, falls es lange so anhält, großartig werden. Gestern ließen wir die
Kühe heraus. Einen so schmucken Viehbestand, wie unserer jetzt ist,
haben wir noch nie gehabt. Es war ein schöner Anblick. Hansens und
Kristofersens teilten ihn. Gestern badete ich auch zum erstenmal im
Freien. Prächtig! -- Mutter ist recht müde. Die Ärzte in Kopenhagen sind
einstimmig der Ansicht, daß ihre Taubheit von Nervosität herrührt, und
daß sie nur dann abnehmen oder wenigstens nicht weiterschreiten könnte,
wenn ihre Nerven sich besserten.

Ich glaube, das ist anders; ich glaube, die Heilkunde muß hierin erst
Fortschritte machen. Der Hypnotismus spielt unter anderm da eine große
Rolle. Ferner müssen Instrumente erfunden werden, vermittelst derer
schwache Ohren hören, wie vermittelst der Brillen schwache Augen sehen.

Lund und Mutter kommen mit den widerlichsten Erzählungen über die
Bohêmerei heim, und ich muß schon sagen, solche Kerle sind nicht
gefährlich.

Heute habe ich 13 -- sage: dreizehn -- Bauern zu Tisch und Mutter und
John Lund als Extragäste. Karen ist rein aus dem Häuschen. Frau Hansen
hat uns Fisch geschickt, so daß wir wohl über das Schlimmste wegkommen.
-- Gestern war ich oben und sah mir ein Fohlen von »Spellet« an; Erling
kaufte es auf dem Fleck, so entzückend war es. Nun warten wir auf
»Musmärra«, auch bei ihr ist es bestimmt sehr bald soweit. In diesen
warmen Tagen haben wir voll Mitleid an Dich gedacht; ich glaub' es noch
nicht recht, wenn Du sagst, Du seist gesund; es kann ein Umschlag
kommen. -- Das Haus ist nun fertig in Mädchenkammer und Küche und
Speisekammer; alles andre mehr oder weniger unfertig, und dann fehlt die
Holzverkleidung außen. Die Leute hatten mit der Frühjahrsbestellung zu
tun, deshalb geht es so langsam mit dem Bau. -- Schön wird es, wenn es
fertig ist, und einen großen, flotten Hofraum gibt es rundum! -- Anna
ist ein prächtiges Mädchen; nie etwas Unangenehmes los mit ihr; sie hat
es eigentlich früher nie in ihrem Leben recht gut gehabt, bis jetzt; das
trägt auch dazu bei, daß sie so fröhlich ist. -- Mutter erzählt, »Das
neue System« werde in Kopenhagen beständig vor vollen Häusern gegeben.
»König Midas« dagegen ist unwiderruflich abgetan. »Das neue System«
bezahlt ein gut Teil _für Dich_.

Sonst nichts zu berichten. Ich freue mich, daß Thaulows (und nicht
Tauwlows) freundlich zu Dir sind. Ich halte große Stücke auf ihn; aber
in einigen wesentlichen Punkten ist er nicht so, wie ich ihn haben
möchte. Ich gehe indessen davon aus, daß eine solche Naturkraft so sein
muß, wie er ist. Im Verhältnis zu mir fordere ich _Treue_, und die,
denke ich, hat er. Ich meinte, er sei ein Freund von Chr. Krohg; aber
seitdem ich hörte, daß er das nicht ist, ist alles andre mir
gleichgültig, z. B. daß er mich _Ramseth_ genannt hatte. Er ist ja ein
großes Schwatzmaul. -- John Lund sitzt hier und wartet auf mich, ich
_muß_ schließen.

                                                    Dein Freund Vater.

Ich meine, Du solltest über Kopenhagen fahren, um Hegel zu danken, der
so gut gegen Dich ist. Dort haben wir gute Freunde, und die soll man
festhalten. »Auf dem Wege zu Deinem Freund soll kein Gras wachsen.«




                                             Aulestad, 22. April 1892.


Süße Bergliot, die Sache mit dem Gelde mußt Du nicht so tragisch nehmen.
Du kannst Dir doch denken, daß Mutter und ich immer genug zum Leben
haben werden, und könnt Ihr uns etwas wiedergeben, so ist es gut; könnt
Ihr nicht, so ist es auch gut. Dafür leben wir doch nicht. Und am
allerwenigsten ich, der den größten Teil seines Lebens für andere gelebt
hat. Das ist ja die einzige Freude, die ich habe.

Deine Stimme läßt Dich noch immer bisweilen im Stich; -- ich bin sicher,
sie wird Dir eine Lebensfreude werden, wie sie in ihren guten Stunden
die unsre ist. Wenige Menschen können so hell ins Leben schauen wie Du,
die zweifellos großen Aufgaben und mancher schönen Tat entgegengeht.

Wir müssen unsern Lebensmut hüten, er ist unser höchster Schatz. Gut
essen, gut schlafen, das Rechte tun, gute Menschen in unser Herz
schließen und die Zerstörungslust der anderen hindern, das erhält den
Mut in uns. So ausgerüstet und begabt und geliebt, wie Du bist, -- --
Bergliot!

Du kannst überzeugt sein, ich leuchte Jonas Lie heim; denn ich habe
Briefe gefunden, die alles bestätigen, was ich gesagt habe. Ich glaube
nicht einmal, daß er es selbst erlebt haben kann; dazu war der Konflikt
in Rom wegen der gleichen Angelegenheit zu heftig.

Grüß' Ingeborg, an die ich niemals wieder schreiben darf, und Björn, der
bereits seine Sommergage erhoben hat -- wozu? Hier ist alles wohl; meine
Herzbeschwerden gänzlich vorüber.

                                                    Dein Freund Vater.




                                 Roma, Quattro Fontane 155. Sonnabend,
                                                       24. April 1894.


Ihr solltet uns in Schwaz treffen und mit uns weiter gehen nach Italien.
-- Ihr werdet nie Italien sehen, wenn Ihr es nicht jetzt seht. Das »nie«
meine ich nicht so bitter ernst; denn sicher kommt Ihr einmal hin. Aber
nicht _jetzt_, nicht in Eurer Jugend, nicht zusammen mit so vielen guten
Freunden, wie die, die wir hier um Euch versammeln, und dann zusammen
mit Ejnar und uns; denn Ejnar kommt zum Herbst heim, wir hatten kürzlich
einen Brief! Ihr solltet das unbedingt tun! Erst nach Tirol, dann nach
Rom; -- was sollten das für Tage werden! Und wie Ihr Euch nach einer
Veränderung sehnen müßt! Selbst die alten Ibsens müssen Eure Sehnsucht
verstehen -- und auch unser Recht, Euch und den kleinen Buben einmal zu
genießen. Und der Gedanke, den Du verlauten ließest, über Dagnys Gesang
die Führung zu übernehmen, hat sich in mir festgesetzt. Sie hat Anlage
für Musik; ich sehe das an ihren Fortschritten auf dem Klavier, obwohl
sie kaum spielt. Und dann bedarf sie eines Anhalts. Sie zerfließt
reineweg in bloßer Konversation. Ihre schwache Gesundheit hat bisher
jede Regel und Anstrengung unmöglich gemacht; aber jetzt ist das anders;
sie wird kräftiger. Sie macht hier großes Glück und ist selbst
glücklich. Sie ist auch in allen Stücken ein braves, kluges Ding, und
hübsch. Aber sie _muß_ nun ein festes Interesse haben. Ich denke, es ist
keinerlei Opfer für Euch, ihr dieses zu verschaffen; aber selbst wenn es
das wäre, so ist sie es wohl wert. --

Der Maler Ross ist uns ein guter Freund. Er hat sich zu einem gutartigen
(obwohl etwas scharfzüngigen) Weltmann entwickelt, ohne jede Spur von
Unarten oder Snobismus; er gehört zu den angenehmsten und gefälligsten
Bekanntschaften, die man haben kann; -- und uns ist er außerdem, und ist
es stets gewesen, der beste Freund. _Ihr werdet beide Eure helle Freude
an ihm haben._ Seine Freunde hier sind auch die meinen, und edlere,
natürlichere, gebildetere Männer und Damen hat das europäische
Gesellschaftsleben nicht aufzuweisen -- außer etwa in Kreisen, die ich
nicht kenne. -- Wir erfuhren gestern zu unserer Überraschung, daß »Die
Neuvermählten« am Montag, den 23. im Valle-Theater aufgeführt werden
sollen! Man fragte mich, ob ich nicht der Generalprobe beiwohnen wolle,
morgen -- Sonntag --! Die genieren sich nicht. »Ein Fallissement« geht
über ganz Italien und hat großartigen Erfolg. Nun sollen auch »Die
Neuvermählten« und »Geographie und Liebe« folgen. Aber ich bekomme nicht
einen Schilling. Das einzige, was ich davon habe, ist die Freundschaft
des Übersetzers, eines vortrefflichen, liebenswürdigen Mannes. Ich habe
auch in Rumänien einen liebenswürdigen Übersetzer gefunden; aber, wie
gesagt, ihre Liebenswürdigkeit ist der ganze Gewinn. Ich hatte jetzt
Gelegenheit, meine neue kleine Erzählung (sie ist in den Zeitungen
angekündigt worden) ins Deutsche, Französische, Englische, Russische,
Italienische, Ungarische, Rumänische, Tschechische, Littauische und
Kroatische übersetzen zu lassen!! Ich habe laut aufgelacht über alle die
Nein, die ich in die Welt hinaussenden mußte (außer an den Engländer),
weil Hegel das ganze Buch, in dem die Erzählung stehen sollte,
vertrödelt hat! Er hat es seit November, und hat jetzt vier -- sage:
vier -- Bogen fertig gedruckt. -- Mir ist solche Geschäftsordnung
unbegreiflich.

Wir sind alle bei vorzüglicher Laune. Meine Krankheit unterbrach sie
eine Weile; aber wir sind darüber weg, seitdem wir die nötige Vorsicht
gelernt haben. Ich habe Schwindelanfälle, und ich vertrage nicht viel,
ohne daß ich müde werde. Aber es geht gut vorwärts. Im übrigen stecke
ich mitten in der größten Arbeit, die ich je vorhatte, und bin
ungeduldig. Mutter sieht vorzüglich aus und erregt großes Aufsehen in
den Gesellschaften, so hübsch ist sie; sie ist ungemein munter -- außer
wenn sie Briefe schreibt.

Entwirf nun einen klugen Kriegsplan, wonach Ihr ein Jahr lang mit uns
hier unten zusammen sein könnt! Oder wenn es nur ein Besuch wird, bis
Sigurd nach Hause berufen wird ... Er und Du habt dann auf alle Fälle
den Sommer in Tirol und den Oktober in Rom, die schönste Zeit für
Italien! Küsse den kleinen Tankred, grüss' Deinen Herzensmann und die
alten Ibsens und andre Freunde von

                                                  Deinem Freund Vater.

_Besonders Sörensens!_

Bitte Sörensen, daß er mir noch eins von Utheims Büchern schickt, ich
habe das erste zu Agitationszwecken weggegeben. Er verschickt sie wohl
an Zeitungen und Reichstagsabgeordnete in Schweden?

Ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er Sars' Abhandlung und Utheims Buch an
Prof. Fridtjof Holmgren in Upsala senden wollte. Er war neulich hier
(auf dem Ärztekongreß), und ihm fehlten die Beweise für das Recht unsrer
Sache. Einem Mann wie ihm dürfen sie nicht fehlen.

                                                    Dein Freund Vater.

Wie ich den Brief zusammenfalten will, erhalte ich folgendes Telegramm
von L'Arronge, Direktor des »Deutschen Theaters«: »Außerordentlich
beifällige Aufnahme. Habe mehrmals für Sie danken können. Alle großen
Zeitungen voll Lob. Gruß, Glückwünsche. L'Arronge!« Hurra, hurra; _das
bedeutet nämlich ganz Deutschland_! Und für mich folglich ein ganzes
Kapital.




                                          Schwaz, Tirol, 29. Mai 1894.


Liebe Bergliot, Du kannst Dir denken, wie uns Deine Schilderung des 17.
Mai ergötzt hat! Und daß ich einen Vertreter von meinem Fleisch und Blut
und Temperament hatte, machte mir nicht am wenigsten Spaß.

Hierher kam an dem Tage -- ohne an den Tag zu denken! -- Z. mit Frau.
Wir tranken »Vöslauer Schaumwein«, und vielleicht waren es Zeit und Ort
und Stimmung, die es bewirkten; aber der beste Champagner behagt mir
nicht so wie dieser. Es ist ein süßes Singen darin, ein Preislied auf
Tirol an einem klaren Tag und das Echo dazu. Ihr müßt ihn, falls er
aufzutreiben ist, kosten und ihn auf den Tiroler Sommer trinken, obwohl
er ein Stück weit von Tirol geboren und gewachsen ist, aber doch in
derselben Art Natur, wie man sagt. Z. war völlig der Alte, nur fand ich
ihn noch häßlicher, schiefbeinig, buckelrückig, langarmig, und die fette
Zunge immer vorne zwischen den Zähnen. Aber wie klug und anhänglich und
treu er ist! Seine Frau hat ihn vom Vegetarianismus abgebracht; sie hat
die Hosen an. Aber sie ist eine brave Person und so innig anhänglich an
ihn, wie bloß eine erlöste Gouvernante es sein kann. Sie ist hübsch,
»besonders wenn sie einen Schleier um hat«, fügen Dagny und Mutter
hinzu. Für die, die besser sehen als ich, soll sie etwas Angejahrtes
haben, wenn sie ihn heruntertut. Sie ist groß, schlank, dunkelhaarig,
mit schönen Augen. Nun habe ich es so weit gebracht, daß ich französisch
(mangelhaft) sprechen kann über Gott weiß was alles, und bis ich wieder
nach Italien zurückkomme, werde ich es ebensoweit im Italienischen
gebracht haben. In Rom mußte ich eine ganze Menge der neuesten
Belletristik lesen, um mein Urteil abzugeben. Die italienische Jugend
ist so naiv, frisch, poetisch, es ist eine Freude, mit ihr zu verkehren.
Ich begreife vorläufig nicht, was der Grund ist, daß ihre sozialen und
politischen Verhältnisse so bedauerlich im Rückstand sind. Daß kein
großer Reformator ersteht. Ich glaube, Italien gibt zum drittenmal der
Welt einen neuen Anfang, oder vielleicht besser: zum _vierten_ Male,
wenn das Papsttum ebenfalls als solcher gerechnet wird. Die
Römerherrschaft, das Papsttum, die Renaissance. Kein andres Volk hat
solchen Reichtum besessen, und wenn ich unter der Jugend bin, so habe
ich den Eindruck, als sei er noch immer da.

Du mußt Sigurd erzählen, daß sein ganzer Vergleich zwischen Leo dem
Dreizehnten und Gladstone in die »Review of Reviews« aufgenommen ist.
Aber sage ihm auch, daß ich _nicht_ gemeint habe, er müsse in einer
Berliner Zeitung dem entgegentreten, was sie über mich oder den Kampf in
Norwegen gesagt haben; ich schere mich den Teufel um ihre Niedertracht;
nein, eine kurze Darstellung dessen geben, um was es sich handelte; denn
darüber herrschen nachgerade irrige Anschauungen. Die Schweden sind sehr
fleißig gewesen. So schlecht, wie es mit dem Parlamentarismus steht in
Europa, und so fest, wie sich der Satz eingebürgert hat, daß die
Norweger Wirrköpfe sind, ein Haufen Abnormer -- ist die Lage nicht ohne
Gefahr.

Die Mutter ist von einem Magenübel geplagt, wozu mitunter starke
Rückenschmerzen kommen. Gegen diese gebraucht sie Salicyl, und mit gutem
Erfolg, aber die Magenbeschwerden kommen häufig wieder. Heute weint sie
vor Schmerzen. Bis dato ist es nichts Ernsteres; Malthe untersuchte sie
in Rom; aber es muß ja ernst werden, wenn nichts dafür getan wird. Dann
ist es wieder acht bis vierzehn Tage gut, aber kaum länger. Das schlägt
auf die Stimmung. Es wäre eigentlich ganz gut, wenn Du eines Tages zu
Malthe hingingst. -- Bitte Sigurd, mir zu sagen, was _er_ über die
Wahlen denkt. _Jetzt_ ist also die Zeit gekommen, da, wie ich erwartete,
das Ministerium Steen Kopf oder Schrift spielen würde mit dem
schwedischen König, der gleichzeitig der unsre sein soll. _Jetzt_ hätten
die Bewilligungen für Konsuln und Diplomaten, die schon in der vorigen
Session vorbereitet und angekündigt wurden, _abgelehnt werden müssen_.
Und die Regierung müßte vor die Alternative gestellt sein, entweder zu
gehen oder die Wahlen über am Ruder zu bleiben. Dann hätten wir unser
Ministerium bis jetzt gehabt und ständen zehnmal besser da in den
Wahlen.

Dagny spielt wirklich recht gut. Sie macht im ganzen große Fortschritte.

Peter hat uns alten Käse geschickt, Dikka geräucherten Lachs, wir sind
jeden Tag »auf den Fischbrücken des Westlands« und im Vorratshaus und
haben ein so echtes Konterfei von Norwegen, wie kein Gedicht es stärker
oder wahrer geben kann. Siehst Du Peter, so umarme ihn, Dikka ebenfalls!
--

Erzähl' auch von Cato! Wir müssen doch von Cato hören! Ihr dürft Cato
niemals weggeben, finde ich. Er war Euer erster Hausgenosse, und
Zuschauer von Anbeginn des Anbeginns und Zuhörer von Tankreds erstem
endlosen Geplärre. Wenn Dagny davon erzählt mit dazupassenden Bildern
von Sigurds mannhaftem Zorn, Deiner Verzweiflung und Catos Verzweiflung
am ganzen Leben, lachen wir, daß wir uns den Bauch halten.

Mit meiner Arbeit geht es gut jetzt. Björns und Ingeborgs Triumphe in
Kopenhagen haben uns furchtbar gefreut. Grüße Sigurd und Tankred, Peters
und die alten Ibsens vielmals von

                                                  Deinem Freund Vater.




                                         Schwaz, Tirol, 22. Juni 1894.


Liebe Bergliot, Mutter soll nach Innsbruck; wir warten nur auf Geld.
Dort ist ein Arzt, der berühmt ist wegen seiner Kuren für
Magengeschichten. Es kommen viele von weither zu ihm.

Es freute mich, daß _Du_ kein Hase warst. »Absalons Haar« ist das
Stärkste, was ich geschrieben habe, weil es die teuerste Erfahrung
meines Lebens ist. Wer Dichter ist, und das auf meine Weise ist, und
etwas so Fürchterliches erlebt, und dann nicht das Seine tut, um zu
warnen und die Wiederholung im großen und kleinen zu verhindern, der
wird seiner Aufgabe untreu. Rücksichten wie: dann sagen die Leute _das_,
und dann denken sie _so_ von Dir, nehme ich nicht. Ich gehe drauf los,
und dafür sollten alle einstimmig mir danken und mich ehren. So habe ich
ja mein ganzes Leben lang gehandelt, und das wollen die Leute nie sehen,
und es mir nie lohnen. _Denn Aufopferung wird ihren Lohn und ihren Ruhm
haben_, wenn die Zeit gekommen ist. Sie ist nämlich ein Vorschuß, den
starke und gesunde Menschen auf das Ganze nehmen.

Rache? -- Nicht _ein_ Wort der Rache, nicht ein Wort der Bosheit findet
sich in der Schilderung, um die es sich hier handelt. Derartiges
verdunstet mir, wenn ich vor dem Ernst der Aufgabe stehe. Ja, mehr noch:
ich wehre mich dagegen, ganz entschieden. Um sicher zu gehen, lasse ich
mindestens ein Drittel von dem, was das Bild verschlimmern könnte, weg
und rücke den Rest in das Licht des Verstehens vom psychologischen
Gesichtspunkte aus. _Ihr_, die Ihr das Modell kennt, wißt alle, daß ich
auch diesmal so verfahren bin. Ich werde später darüber öffentlich etwas
schreiben, falls kein anderer es kann oder will.

Tausend Grüße an Euch alle!

                                                    Euer Freund Vater.




                              p. t. Schwaz, Tirol, 25. September 1894.


Liebe Bergliot, was ist denn das für ein Unsinn, daß Du uns etwas von
dem Gelde, das wir für Deinen Gesang ausgelegt haben, zurückbezahlen
willst! Das ist doch Deine Mitgift. Es wird sich mit der Zeit schon
zeigen, daß diese Mitgift sehr bedeutend ist. Es freut uns sehr, daß Du
glaubst, diese Zeit sei bereits gekommen.

Ich freue mich über die Drontheimer Wahl; aber wenn ich das Wachsen der
Rechten in Akershus und im Westland sehe, dann merke ich wohl, daß die
Wahlen im ganzen nicht nach Wunsch ausfallen. Leider! Eine falsche
Taktik wird von den besten Reden nicht aufgewogen. Es sieht ja aus, als
könnten wir in einem ganzen Menschenalter diese Bezirke nicht gewinnen.
-- Das ganze Ausland ist gegen uns. Ich glaube auch nicht, daß wir dem
Ausland das Verständnis beibringen können, ehe wir unserer
Unabhängigkeit ein Ziel stellen, das alle fassen. Dieses kann einzig
sein: Schiedsgerichte für alle vorkommenden Fälle, und ein Ansuchen
deswegen in allererster Linie bei Rußland. Wenn das Ausland einsieht,
daß es _das_ ist, dem die Schweden sich widersetzen, werden ihm die
Augen aufgehen. Wie lange soll ich diese Weise herleiern, ehe ich die
Leute mitkriege?

                                                    Dein Freund Vater.






Liebe Bergliot, schon jetzt kann ich aus den Wahlen sehen, daß
die Rechte sich behauptet. Die Linke bringt es zu keiner
Zweidrittel-Majorität; und dann begreife ich nicht, was Ihr daheim
wollt, besonders wenn auch Ibsens reisen. Ich werde die Reise nach dem
Süden für Euch bezahlen, falls sie jetzt stattfindet, d. h. diesen
Herbst. -- Nimm Dich in acht vor Arlbergs allzu offnen Vokalen; im
übrigen hat er selbst eine brillante Gesangsmethode gehabt. Ob er
irgendeinen hervorragenden Schüler hat, weiß ich nicht. Ich glaube, das
einzige, was Deiner Stimme fehlte, wäre mehr Kraft in den Stimmbändern,
und die käme durch Elektrisieren und bei größerer körperlicher
Gesundheit. -- Aber Ihr versteht das ja besser, weil Ihr kundige Leute
zu Rate ziehen könnt.

Ich stimme im wesentlichen mit Sigurd in der Beurteilung Bismarcks
überein. Nur schwärme ich nicht, wie er, für das Große, bloß weil es
groß, für das Interessante, bloß weil es interessant ist. Dafür bezahle
ich _ein_mal Entree oder zweimal und bin fertig damit. Napoleon ist für
mich um vieles bedeutsamer geworden, seit seine Psychologie so
offenkundig vor allen liegt, daß wir den tiefen menschlichen
Zusammenhang sehen, den Zusammenhang des Herzens, des Charakters mit den
gärenden, schaffenden Mächten der Zeit nach allen Seiten hin. Etwas
Ähnliches ist es mit Bismarck; _das_ ist es, was ihm immer Bewunderung
sichern wird.

                                                            Dein B. B.






Liebe Bergliot! Ich schrieb gerade an Graf Prozor: daß der Phantast
Lugné-Poë und die ganze französische Komödie mit norwegischen Stücken zu
uns kommen, ist eigentlich zum Lachen. Ich ahnte, daß sie nicht einmal
gut spielen. -- Eine Affektation ist das, die mir so zuwider ist, daß
ich mich einfach abwende. Und nun folgt eine Reaktion, daß es in allen
Fugen kracht. -- Aber das Ärgerlichste ist, daß _wir_ eine Rolle dabei
spielen sollen; das müßte schon eine ganz andere sein! Nun ja, ich will
nicht weiter darüber reden; es wird genug geredet. Ich verfolge das in
_allen_ Literaturen und sehe den Umschlag kommen. Die Geschäftigkeit der
_Juden_ und ihre Begeisterung bei all dem hätte uns mißtrauisch machen
müssen. Nun -- die Abrechnung wird schon kommen. --

Wir ziehen also südwärts -- zum letztenmal. Noch einmal mag ich nicht.
Aber solange wollen wir draußen leben, als die Verhältnisse daheim keine
Gefahr bergen, oder klar sind. Es würde mich nur stören; ich habe
Hemmungen genug. Mit meiner Arbeit geht es gut.

Unsere innigsten Glückwünsche zu Eurem Hochzeitstage! Möge es Euch alles
in allem so wohl ergehen, wie es doch Summa Summarum uns gegangen ist!
Es ist eine fruchtbare Lebensreise, die hinter uns liegt; etwas lebt
nach uns -- und mehr wird noch kommen.

Ja, das ist wahr, immer habe ich vergessen, von dem Ringe zu erzählen.
Ich entdeckte ihn durch einen Zufall unter Mutters merkwürdigem
Krimskrams und war ganz erschrocken, daß sie ihn mitgenommen hatte. Denn
ein solcher Gegenstand war zu verlockend zum Stehlen; ich bat sie,
entweder ihn nach Hause zu schicken oder ihn zu tragen. Sie wollte
beides nicht, und so nahm ich ihn an mich, lediglich, um ihn
aufzubewahren. Freude hatte ich keine daran; _ich_ kann ja nicht sehen,
daß er leuchtet; das können bloß die anderen. Allmählich ist er mir
vertraut geworden einfach dadurch, daß ich morgens und abends an ihn
denke, so daß er ein Teil meines täglichen Lebens geworden ist. Aber Du
kannst ihn wiederhaben, sobald Du willst. Es ist buchstäblich nur
Vergeßlichkeit, daß ich nicht eher davon geschrieben habe. -- Mildes,
herrliches Herbstwetter, wie der Spätsommer bei uns daheim. Grüße
Sörensen!

                                                    Dein Freund Vater.




                                            Roma, Quattro Fontane 155,
                                                    11. Dezember 1894.


Liebe Bergliot, so oft schon wollte ich Dir von Deinem alten Freund Dr.
N. N. erzählen.

Äußerlich gänzlich unverändert. Nur kann man jetzt überhaupt nicht mehr
mit ihm reden, ohne daß er wie zufällig hinwirft, er sei neulich nach
S.... zur Königin berufen worden, die ihn nicht habe wieder weglassen
wollen; er mußte den Vorwand gebrauchen, daß er nach London zu einer
Konsultation müsse, und merkwürdig genug, als er abreisen wollte, bekam
er wirklich ein Telegramm von Lord Dufferin. Dieser Lord Dufferin
segelte mit ihm den Sommer über im Golf von Neapel; aber N. N. mußte ihn
auf Capri absetzen, weil er zur Fürstin Ruspoli nach Rom berufen wurde.
Als ich wieder einmal mit N. N. sprach, war gerade einer von Amerikas
jungen Milliardärsöhnen zum erstenmal nach Rom gekommen, lediglich, um
Dr. N. N. zu konsultieren; er litt an Trunksucht und wollte keinem
andern folgen als Dr. N. N., und jetzt folgt er sogar seiner Mutter,
weil Dr. N. N. ihm das befohlen hat; N. N. erwartet 10000 Dollars
Honorar.

Er wohnt an der spanischen Treppe »in der Wohnung, in der der englische
Dichter Keats starb; obendrüber wohnte Shelley«. Wenn man zu N. N.
kommt, liegen Keats und Shelleys Gedichte ganz zufällig aufgeschlagen
da; beides Prachtbände von höchster Eleganz. Eine ungeheure Schale mit
Visitenkarten begrüßt einen im Vorzimmer; zu oberst die Gladstones, --
man sollte glauben, er sei erst gestern bei N. N. gewesen. Dr. N. N.
fährt entweder mit zwei Staatspferden oder mit zwei Ponys aus. Neben ihm
sitzen entweder die Kronprinzessin von X. oder seine zwei Hunde, ein
kleiner und ein großer von Englands edelstem Blut, der kleine auf dem
Rücksitz, der große auf dem Vordersitz. Ein Groom sitzt auf dem Bock
beim Kutscher, beide in Livree. N. N. selbst dagegen so einfach
gekleidet wie Napoleon. Nie sieht man ihn einen Orden tragen, selten
Handschuhe. Ganz zufällig, man kann sagen unversehens, erwähnt er, was
er der Königin, der Kronprinzessin, der Fürstin Ruspoli, dem
amerikanischen Milliardärsohn gewesen ist, oder er streift die
Konsultation, die dem Tode des englischen Gesandten voriges Jahr hier
vorausging, bei der Dr. N. N. Recht behielt und alle die anderen im
Unrecht waren. So was kommt eben ganz ungewollt heraus, wie wir mitunter
etwa erzählen, daß wir schon Mittag gegessen oder schon Kaffee getrunken
haben. Für einen Besuch erhält er 50-100 Lire oder mehr. Das Geld liegt
im ganzen Zimmer herum, zum Teil zusammengeknüllt. Oft nimmt er auch
kein Honorar. Was hat er denn weiter getan als seine Pflicht?! --

Er hat drei Mädchen, die alle einer Familie in A. angehören, deren
sämtliche Mitglieder er gerettet hat. Der übrige Teil der Familie wohnt
jetzt in seiner Villa dort. In A. kennt man nur _einen_ Namen, und das
ist der seine. (Neulich war ein Norweger dort und konnte niemand finden,
der wußte, wo Dr. N. N.s Villa läge.) --

Ich bin einmal -- sage: _ein_mal bei N. N. gewesen; somit hat er nun
auch meine Visitenkarte in seiner Schale; später hatte er keine
Verwendung mehr für mich und ich auch keine für ihn.

Lebe wohl, liebe Bergliot. Gott behüte Dich!

                                                    Dein Freund Vater.




                                            Aulestad, 3. Oktober 1896.


Liebe Bergliot, ich meine, Du solltest jetzt die Bekanntschaft einer
Dame suchen, die Dich begleiten und mit Dir hierher kommen könnte und
überhaupt sich an Dich und uns so anschlösse, daß sich daraus eine
Tournee entwickeln ließe, wenn die Zeit kommt. Am liebsten möchte ich
ja, sie wäre einigermaßen hübsch, daß ich mich so ein bißchen in sie
verlieben könnte, denn das ist zu nett; aber da solche Damen meistens
häßlich sind, mußt Du wenigstens dafür sorgen, daß sie in dieser
Hinsicht nicht geradezu den ersten Preis verdient. Ihr Spiel muß Seele
haben, sonst taugt es nichts; aber sie selber muß diskret und umgänglich
sein, sonst ist sie nichts für uns, weißt Du. Wenn Du es darauf anlegst,
mußt Du schon eine finden können.




                                                         8. Juni 1900.


Liebe Bergliot, ich soll von Tankred grüßen. Ich machte ihn auf der
Herreise für den Mjösen verantwortlich. Jedesmal, wenn er verschwand,
war das Tankreds Schuld, und er bekam Prügel dafür, und jedesmal, wenn
der Fluß wieder zum Vorschein kam, war er nur schnell um den Wald
herumgelaufen, um ihn vor den Prügeln zu retten. Tankred wurde natürlich
dieses Spiels nicht müde. Besonders spannend war es jedesmal, wenn die
Bäume anfingen, die Aussicht aufs Wasser zu versperren, und ganz
entsetzlich wurden die Prügel, wenn wir durch einen Tunnel kamen; dann
hatte er den Mjösen nämlich weggeworfen. Kaum waren wir in Aulestad, so
war Tankred auch bereits verschwunden. Um halb 10 kam er wieder herein
-- wir hatten ihn nämlich total vergessen, wir hatten so vielerlei zu
ordnen -- und da war ihm schlecht und er war sehr blaß. So müde war er!
Heute um 6 Uhr hörte ich, wie ein Rouleaux in die Höhe gezogen wurde.
Was meinst Du wohl? Das war er! Um 8 Uhr gelang es uns endlich, ihn zum
Frühstück einzufangen. Aber er hatte nur gerade Zeit, einen Bissen zu
essen! Die Kühe sollen auf die Alm, und Gott weiß, was alles ihn jetzt
in Anspruch nimmt. Wir denken so: er mag den ersten Rausch austoben.
Jörgen und Else traben mit. Er freute sich, als er Arne in
Jungenskleidern sah und gab sich eine Weile mit ihm ab. Aber weil Arne
glaubte, Tankreds Ball sei lebendig und deshalb sich nicht mitzuspielen
getraute, war Tankred dieses zu dummen Verwandten bald überdrüssig.

Ja, weiter wäre nichts zu berichten. Grüße Sigurd!




                                          Aulestad, 19. Dezember 1902.


Liebe Bergliot, Dank für neulich; -- ich habe oft Deines Mannes
Gewissenhaftigkeit bewundert, aber niemals wie jetzt, da ich sehe, daß
die Verhandlungen, die ihn verhinderten, am 6. mit Dir hierher zu
kommen, erst am 15. eröffnet werden sollten.

Hier sitze ich und beantworte die allernötigsten Briefe; sie sind (bis
auf einen, von den Professoren an der Hochschule in Göteborg) alle aus
Kristiania. Telegramme sind es 727, sagt Mutter; ich möchte wissen, wie
viele darunter von Gesellschaften und Vereinen. Die Briefe sind Legion;
ich muß ja einmal daran.

Vorläufig arbeite ich für Alexander Kielland. Die 40000 geerbt haben pro
Kopf, sind seine Geschwisterkinder, und die haben ein paar Verwandten zu
helfen, die höchst bedürftig sind. Alexander Kielland hat in allen
diesen Jahren mit einem Einkommen von 4000 Kronen dagesessen und hat
davon bis zu 600 Kronen Steuern zahlen müssen. Ich glaube nicht, daß er
so sehr zu tadeln ist. Er hätte wohl etwas tun sollen, ehe die Schulden
bis 10000 angewachsen waren. Aber nun sind sie es, und wir müssen
helfen.

Ich habe eine Bitte an Dich: geh zum Großkaufmann Sörensen. Der biedere
Mann wird mir vielleicht helfen, wenn er hört, daß ich nicht vom Flecke
komme, bis ich die 10000 beieinander habe, die in diesen Zeiten sehr
schwer aufzutreiben sind -- auch aus dem Grunde, weil wir mit einer
gewissen Diskretion vorgehen müssen. Ich wende mich am liebsten an
reiche Norweger außerhalb Norwegens. Leg' ihm ans Herz, daß Alexander
Kiellands Konkurs jetzt ihn um seine Stellung bringen würde und eine
Schande für das ganze Land wäre. Dafür arbeite und arbeite ich. Sag'
ihm, daß ich ein gewisses Recht habe, andere um Hilfe zu bitten, weil
ich selbst Kielland mehrere Male geholfen habe; so zahlte ich ihm
damals, als er seinen Dichtersold verlor, diesen Betrag das erste Jahr
ganz allein aus.

Uns geht es gut nach der Reise. Hier ist es herrlich! Aber ganz Gausdal
und ganz Gudbrandsdal sind ohne Wasser. Unter dem Blachfrost sind alle
Quellen ausgegangen. Die Gausa ist fast wasserleer; die Fabrik steht
still. Unsere Wasserleitungen auf dem Hofe laufen auch bald nicht mehr;
bloß das Wasser, das _wir_ aufgespeichert haben, der Neversee, gibt noch
was her. Wäre nicht im Herbst in den Damm ein Loch gekommen (durch eine
tiefe Sandader, die durchbrach), so hätten wir bis zum April Wasser
gehabt. Jetzt haben wir kaum bis Mitte Januar. Wir haben eine
schwedische Mühle, die Tag und Nacht geht; im ganzen Kirchspiel ist nur
die eine. Wenn das Wasser ausgeht, bringen wir den Motor an, also mahlen
wir den ganzen Winter für andere. Wenn doch die Mühlen erst fertig
wären; jetzt meinen alle, wir müßten versuchen, sie aufzustellen, was
höchstens 5000 Kronen kosten könnte. Aber die habe ich eben _nicht_.

Das nötige Wasser für Haus, Viehstall und Pferdestall muß den ganzen
Winter über angefahren werden! Eine herrliche Aussicht! Wahrscheinlich
aus dem Fluß, -- falls überhaupt so viel da ist, wenn die Zeit kommt!
Grüß' Sigurd und Deine Kinder von uns.

                                                    Dein Freund Vater.




                                             Aulestad, 8. Januar 1903.


Liebe Bergliot, in diesem Augenblick schickt Midling in Hudiksvall (ein
Mann, den Treschow törichterweise verabschiedet hat, und der nun
Millionär ist) 1000 Kronen für Alexander Kielland. Ich darf hoffen, ich
habe in diesem Augenblick 9000 Kronen. Auf jeden Fall habe ich 7000.

Und ich finde, Ihr beide, Du und Sörensen, müßtet elende Patrioten und
Waschlappen sein, wenn Ihr mich nicht mit einer gleichen Summe
überrascht. Midling sandte das Geld in _einem_ Schein. Konsul Fredrik
Hansen ist Kassierer, aber Ihr müßt den Schein an mich schicken. Ich muß
ihn in der Hand halten, weil er für Alexander Kielland ist, _den ich
liebe_.

Also: Tankred war zu Ball; dort verliebte er sich. Er sah »sie« tanzen;
er ließ sie nicht aus den Augen, er legte seinen Kopf in Lizzies Schoß
und flüsterte: »Ist sie nicht entzückend?« Gleich darauf fügte er hinzu:
»Jetzt will _ich auch_ tanzen lernen.« Als sie ihn mit nach Hause nehmen
wollten, während sie noch dablieb, weinte er. Erling, der sehr erfahren
ist in Liebessachen und deshalb Mitleid hatte, nahm sich seiner an, und
er durfte bleiben. Als ihn Erling später in seinen Pelz wickelte und ihn
so mit ins Hotel nahm, war er so müde, daß man ihn ausziehen mußte, und
er flehte, man möge ihm das Waschen erlassen, was Erling -- immer voll
Mitleid -- auch bewilligte, zum tugendsamen Entsetzen der beiden
Dienstmädchen, seiner Vormünder.

Ach so, -- also die Unionssache sollte zuerst am achten behandelt werden
und wurde dann auf den fünfzehnten verschoben. Verzeihung!

Dagny hat ihren Koffer bekommen.

                                                    Euer Freund Vater.




                                               Aulestad, im Juli 1903.


   Du Vöglein, wenn der Lenz begann,
   Mit all den Deinen pflegst du dann
   Zum alten Hof zu eilen
   Und schwelgst in anmutvollem Sang,
   Voll Jugend und voll Jubelklang,
   Hier wieder zu verweilen.

   Verleih' das Glück dir Heil und Kraft,
   Daß sich zum Himmel unerschlafft
   Die hohen Töne schwingen,
   Die deinem Überfluß entsprühn
   Als Zeugen, daß du grad so kühn
   Im Handeln wie im Singen.

                                                Björnstjerne Björnson.




                                              Roma, via Gregoriana 38,
                                                        17. März 1904.


Ich befinde mich so wohl in Rom, daß, wenn bloß auch die Arbeit sich in
das Klima und die Natur schicken will, man mich nicht wieder nach Hause
kriegt.

Herrgott, wie schmutzig mir von hier aus die norwegische Politik
vorkommt, wie ich das stolze herrische Wort im Storthing vermisse! Ich
fange an, mich nach größeren Staatswesen zu sehnen.

Dieser Brief ist eben so sehr für Dagny wie für Dich. Ich sehne mich so
nach ihrem klaren, offenen Charakter, dem alles Kleine klein ist. Und so
schrecklich nach ihren Jungens. Ich habe die feste Überzeugung, daß wir
uns bald sehen werden. Aber es freut mich, daß die Jungens Aulestad
wieder lieb gewonnen haben dank ihrem Winteraufenthalt. Es wird ihnen
unvergeßlich bleiben, was sie jetzt erlebt haben.

Eine große, schwere Arbeit habe ich jetzt vor. Gelingt sie, dann wird
sie einem großen Gedanken, einem gewaltigen Gegensatz Gehör schaffen.
Aber ich kann nicht sagen, daß es schnell vorwärts geht. -- Mutter ist
hier ganz flott und frisch geworden; gedeiht und schläft und schwatzt,
als wäre sie wieder jung. Wir haben viele gute Freunde, und mir ist
sogar der Rom-Geruch lieb wie Wein. Bald ist die Luft so mild, daß wir
in ganzen Karawanen in die Kneipen vor die Stadt ziehen, Speckeierkuchen
und Artischocken essen und Landwein trinken. Marias Makkaroni duften aus
der Küche. Wir wollen essen.

                                                    Euer Freund Vater.




                                                 Roma, via Gregoriana,
                                                     26. Oktober 1904.


Liebe Bergliot, mit dem Buche habe ich Euch nicht vergessen, sondern die
Sache verhielt sich so: Collin und Naerup, besonders der erstere,
teilweise auch Björn, wollten nicht, daß ich es herausgeben solle, »ehe
es fertig sei«. _So_ war es zu schlecht. Besonders Collin war rein
verzweifelt. Nun wußte ich ja, daß sie falsch sahen; aber ich bekam es
doch so satt, daß ich es lange Zeit niemandem schickte. Auch habe ich
nicht ein einziges Wort in einer Zeitung darüber gelesen. So ist es
zugegangen.

Nach und nach habe ich dann so viele Telegramme und Briefe darüber
bekommen, daß ich meine gute Laune wiedergewonnen habe; aber ganz
überwunden habe ich es noch nicht. Ich habe seitdem nicht wieder an
Collin schreiben können, und bringe es gewiß auch noch lange nicht
fertig. In diesem Augenblick sind 9000 Exemplare von dem Buche verkauft.
Bis zu Weihnachten werde ich also über 10000 verkauft haben, und damit
ist unsre ganze Reise nach Italien bezahlt.

Wir sorgen uns so um Irenes Operation, ja wir sorgen uns so seit Deinem
heutigen Brief, der die Nachricht brachte, so daß ich nicht arbeiten
kann. Schreib, schreib!




                                                    Via Gregoriana 38,
                                                     3. November 1904.


Du unsre liebe Bergliot, niemals hast Du uns einen Brief geschrieben,
der uns weher getan hat. Es ist ja zu dumm, denn jetzt ist es vorüber.
Aber der Gedanke, wie fürchterlich es gewesen ist, reibt uns ganz auf.
Wir sind eben alt geworden, und wir haben nicht mehr die Spannkraft, die
uns nach diesem Eindruck wieder aufrichtet. Wir konnten nicht davon los.
Oh, wie grauenvoll ist das gewesen! Ich erlebe das Ganze immer wieder
von neuem. Ich komme nicht wieder heraus aus diesem Zimmer. Und der Tag
im Bett und die Nacht, und die nächste: ja, Du bist schwer geprüft, bei
all Deiner Jugend. Du, die eigentlich immer fröhlich sein müßte! Grüße
und küsse Irene von uns! --

Was Du von Boström erzählst, kam überaus unerwartet. In dem Brief von
Michelsen, den ich kürzlich erhielt, war eine Andeutung; aber ich ahnte
nicht, daß sie auf Boström ging.

Ist denn kein schwedischer Mann da von Ansehen, der uns das Wort redete?
Der sich einsetzte für ein gutes Verhältnis? Haben wir immer noch kein
Verständnis gefunden bei den leitenden Mächten! Ich glaubte, das sei
jetzt vorbei.

Aber Irene, die kleine Irene, sie jagt alle diese Kümmernisse in den
Wind. Sie nimmt sie alle in Anspruch im Verein mit Dir.

                                                    Dein Freund Vater.




                                              Roma, via Gregoriana 38,
                                                    25. November 1904.


Liebe Bergliot, ich denke so viel an Euch. Sigurd seinerseits und Du
Deinerseits, müht Euch so schrecklich ab. Und die Kinder halten Euch so
in Atem.

Ich bitte um etwas fleißigere Nachrichten. Es bedarf nicht vieler Worte;
aber ein bißchen öfter, so lange diese Spannung andauert. Auch die
politische.

Über Boström sagte ich zu Blehr, er sei wie Frau Wolf. Er weint vor
Rührung, und im nächsten Augenblick ist es vergessen. Er ist zwei
verschiedene Menschen in einer und derselben Stunde. Der Charakter und
Staatsmann ist Lagerheim. Jetzt, da er geht, wird dies gewiß allgemeiner
verstanden. Das merke ich an Tor Hedberg, der hier ist.

Um eins möchte ich Dich bitten, und zwar recht herzlich. Ich habe Sigurd
Ibsen nicht dazu bringen können, Adolf Hedin zu besuchen. Ich finde das
politisch unrichtig, ich finde es anstößig. Keiner ist für Norwegen so
eingetreten wie er, und zwar seit seiner frühsten Jugend. Ich bin
sicher, Sigurd würde nach einer halbstündigen Unterredung mit ihm sagen:
das ist der begabteste und interessanteste Mensch in Schweden.

Aber Adolf Hedin hat unter seinen menschlichen Eigenschaften auch die,
daß er mein ältester und bester Freund in Schweden ist. Deshalb sollst
_Du_ zu ihm gehen, Bergliot. Du hast Deinen eignen Kopf und Dein eignes
Herz, und beide sind ein bißchen verwandt mit meinen. Geh Du zu ihm und
plaudre eine halbe Stunde mit ihm. Nimm etwas Obst mit oder ein paar
Blumen und grüße ihn von mir, wenn Du ein liebes Mädel sein willst.

Ich habe viel Ärger und großen Zeitverlust gehabt durch die Finnländer:
sie haben L'Européen zu einer Tageszeitung umschaffen wollen!!! Da der
Redakteur keine Bestimmung in den Statuten durchsetzen konnte, die diese
Art Überraschungen verhinderte, stiftete er einen neuen L'Européen. Mir
will sein Vorgehen nicht gefallen; aber zwei L'Européen sind schlimmer
als gar keiner, deshalb hätten die Finnländer einen Ausgleich suchen
müssen. Nein, die wollen Kampf und Sieg --! Und verlieren dabei so
ungeheuer viel. Ich kann sie nicht soweit bringen, das einzusehen. Sie
stehen von vornherein nicht gut in der öffentlichen Meinung; nunmehr
wird das noch schlimmer. Je eher dieser Zwist aus der Welt kommt, desto
besser. Ja, ja, nichts als Spektakel und Rechthaberei! Grüße Tankred und
Irene.

                                                            Dein B. B.




                                              Roma, via Gregoriana 38,
                                                     1. Dezember 1904.


Liebe Bergliot, Mutters Geburtstag; sie liegt noch im Bett mit einer
großen goldenen Kette um den Hals und eine Uhr daran. Mein Geschenk.

Wir sind beide so unglücklich über die kleine Irene. Das einzige, was
ich mir zum Troste sagen kann, ist, daß bei einem energischen und
begabten Menschen ein Schönheitsfehler die Folge haben kann, daß sein
Wille stärker und sein Dünkel geringer wird. Vielleicht ist es eine Gabe
für ihre Zukunft -- und ein Schutz. Einer vollendeten und bewußten
Schönheit drohen viele Gefahren, vor allem in ihrem eigenen Seelenleben;
ich sitze gerade über der Schilderung einer solchen. Denkt darüber nach,
Ihr beide.

                                                    Dein Freund Vater.




                                              Aulestad, 28. Juni 1908.


Mein lieber, lieber Singvogel, am elften September kommen alle Kinder
hierher, auch Björn. Aber nicht Du, die mehr Fest mitbringt, als alle
die anderen zusammen.

Hier ist es so wundervoll jetzt, daß ich mich einer ähnlichen
Fruchtbarkeit nicht entsinnen kann, oder einer Reihe von so
gleichmäßigen, leuchtenden Tagen. Hier ist neu gestrichen und
aufgefrischt außen und innen. Es mag ein Selbstbetrug sein, aber
nirgends findet sich herzlichere, traulichere Gemütlichkeit. Unten bei
Thekla ist auch alles wie neu, und jedem, der dort eintritt jetzt, macht
der Besuch reiche Freude. Sie ist so fröhlich, gleichmäßig, gut, klug,
daß Erling imstande ist, der Mann zu werden, den das Beste in ihm ahnen
ließ, ohne daß er früher vermocht hätte, es zu entwickeln.

Dann Dagny! In ihrem Salon mußte ich mich sofort hinsetzen und
schreiben; ich habe nie Ähnliches gesehen. Entworfen von dem großen
Maler Ingres zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und eingerichtet mit
Dagnys Möbeln und mit ihrem Farbensinn. Ein Balkon die ganze Front
entlang, auf den Hauptweg auf Longchamps zu, mit seinen baumreichen
Alleen, und die Festungswälle und das Boulogner Wäldchen ganz nahe, so
daß sie eigentlich in einem Walde wohnt und auf dem Lande. -- Bei Thöres
in Hamburg hatten wir es großartig. So gesunde, klare Menschen in
üppigen Verhältnissen. (Vier Automobile!) Hegels waren ganz besonders
liebenswürdig. Wir waren ihre Gäste im Hotel. Am letzten Tag
Schriftstellerdiner bei Vilh. Andersen. Alle auf dem Bahnhof mit Hurra.
Dasselbe Hurrawesen mit Musik dazu in Fredriksstad. Dort hielt ich eine
meiner besten Reden, gut aufgelegt und vorbereitet. Bei Dikka diesmal
über alle Maßen herzlich und warm, und das Zusammensein mit der
Verwandtschaft das denkbar Beste für uns beide. Die Rede auf sie wurde
mit einer Dankbarkeit aufgenommen, die echt war. Sie war auch selbst
echt, innig und scherzhaft, so daß wir alle durcheinander weinten und
lachten. Ejnars Kinder sind hier. Prachtkinder. Gott, wie ist es hier
schön und beseligend! Karoline schläft und kommandiert und legt
Patiencen, aber ißt kein Fleisch. Heute abend Doktors und die Böleute.

                                                    Dein Freund Vater.




                  Im gleichen Verlag ist erschienen:
                        Björnstjerne Björnson
                           Gesammelte Werke
                           in fünf Bänden.


   Herausgegeben und eingeleitet von Julius Elias. Mit dem Bilde des
   Dichters. Gebunden 15 Mark.

   1. Bd. GEDICHTE. ERZÄHLUNGEN: Thrond / Die gefährliche Freite /
   Synnöve Solbakken / Arne / Der fröhliche Bursch / Der Vater /
   Das Fischermädel.

   2. Bd. ERZÄHLUNGEN UND ROMANE: Der Falbe / Ein Lebensrätsel /
   Staub / Ein schauriges Erlebnis / Mutters Hände / Es flaggen
   Stadt und Hafen.

   3. Bd. ROMANE UND ERZÄHLUNGEN: Auf Gottes Wegen / Mary.

   4. Bd. DRAMEN: Zwischen den Schlachten / Sigurd der Schlimme /
   Die Neuvermählten / Ein Bankrott / Der König / Leonarda.

   5. Bd. DRAMEN UND BRIEFE: Über die Kraft, erster Teil / Über die
   Kraft, zweiter Teil / Geographie und Liebe / Paul Lange und
   Tora Parsberg / Laboremus / Wenn der neue Wein blüht / Briefe aus
   Aulestad an seine Tochter Bergliot Ibsen / Nachwort.

                 Spamersche Buchdruckerei in Leipzig




Anmerkungen zur Transkription


Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet.

Die Schreibweise und Grammatik des Originals und auch die Verwendung
der im Deutschen gebräuchlichen Umlaute ä und ö anstatt der im
Norwgischen verwendeten æ und ø in Eigennamen wurden weitgehend
beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden, teilweise
unter Verwendung des norwegischen Originaltextes, korrigiert wie hier
aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 29]:
   ... Ich sehe, Braekstad ist in Paris gewesen, um sein ...
   ... Ich sehe, Bräkstad ist in Paris gewesen, um sein ...

   [S. 54]:
   ... zu etwas Nützlichen bekäme? Wer sollte zuletzt ...
   ... zu etwas Nützlichem bekäme? Wer sollte zuletzt ...

   [S. 85]:
   ... von hier. Lundes und Meydells aus Lillehammer ...
   ... von hier. Lundes und Mejdells aus Lillehammer ...

   [S. 113]:
   ... eine Wasserklarheit ist, die einen reinen Sinn
       wiederspiegelt, ...
   ... eine Wasserklarheit ist, die einen reinen Sinn widerspiegelt, ...

   [S. 127]:
   ... Zug. Der Ofen von hieroben ist in die Stube ...
   ... Zug. Der Ofen von hier oben ist in die Stube ...

   [S. 187]:
   ... Der Maler Roß ist uns ein guter Freund. Er hat ...
   ... Der Maler Ross ist uns ein guter Freund. Er hat ...

   [S. 211]:
   ... Ich habe ein Bitte an Dich: geh zum Großkaufmann ...
   ... Ich habe eine Bitte an Dich: geh zum Großkaufmann ...

   [S. 213]:
   ... Midling in Hudliksvall (ein Mann, den Treschow ...
   ... Midling in Hudiksvall (ein Mann, den Treschow ...






End of the Project Gutenberg EBook of Briefe aus Aulestad an seine Tochter
Bergliot Ibsen, by Bjørnstjerne Bjørnson

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE AUS AULESTAD AN SEINE ***

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