The Project Gutenberg EBook of Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Schwedenklees Erlebnis Author: Bernhard Kellermann Release Date: April 8, 2019 [EBook #59222] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHWEDENKLEES ERLEBNIS *** Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. Schwedenklees Erlebnis von Bernhard Kellermann 1923 S. Fischer / Verlag / Berlin Erste bis zehnte Auflage Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung Copyright 1923 by S. Fischer, Verlag A.-G., Berlin Schwedenklees Erlebnis 1 Es gibt Menschen, die vom Glück geradezu verfolgt werden. Sie wachsen in angenehmen Verhältnissen auf, behütet von Eltern und Verwandten, ihre Gesundheit ist vorzüglich, sie sind begabt genug, um ohne besondere Anstrengungen und Qualen ihre Erziehung zu beenden. Sie haben gerade soviel Leidenschaftlichkeit, als dazu gehört, das Leben zu genießen, allen wirklichen Konflikten aber weichen sie instinktiv aus -- oder weichen die Konflikte vor ihnen zurück? Was immer sie anpacken, gelingt, sie kommen nach Monte Carlo und setzen auf eine ganz unmögliche Nummer, schon schiebt ihnen der Croupier zur Verblüffung der ergrauten Serienspieler einen Haufen Banknoten zu. Aber sie, diese vom Schicksal Verwöhnten, finden das vollkommen in Ordnung, so sehr sind sie an die Ovationen des Glücks gewöhnt. Es kann vorkommen, daß solch ein Umschmeichelter einmal aufs Trockene gerät, schon wird ihm der Atem etwas kurz -- aber da stirbt im rechten Augenblick irgendein Verwandter, den man völlig vergessen hatte ... Wie fangen diese Auserwählten es an, daß das Glück ihnen wie ihr Schatten folgt? Tragen sie einen Talisman auf der Brust? Vielleicht die Konstellation der Gestirne --? Wie kommt es, das ist die Antwort, daß ein Vogel als Papagei am Amazonenstrom zur Welt kommt, dem Paradies der Vögel, in einer Luft, schwirrend von Insekten, warm selbst in den kalten Jahreszeiten -- und ein anderer Vogel wird als Sperling in einer Dachrinne Berlins oder Londons geboren, wo jeder Tag ein Problem ist und jeder Winter ein Kampf auf Leben und Tod? * * * * * Zu jener Klasse von Umschmeichelten gehörte ohne Zweifel der Architekt Philipp Schwedenklee. Schwedenklee war wohlhabend, ohne gerade ein Rothschild zu sein. Er konnte es sich jedenfalls, zum Beispiel, leisten, einer jungen Dame ein Paar der elegantesten Lackschuhe zu schenken, nur dafür, daß sie einen Abend mit ihm bei einer Flasche Wein verplauderte. Er besaß ein schönes Wohnhaus im alten Westen von Berlin, daneben einige große Bauplätze am Kurfürstendamm, auf denen seit Jahren Scharen von Möbelwagen standen. Diese Bauplätze verzinsten sich mit nur drei Prozent, aber ihr Wert hatte sich im Laufe der Jahre verdreißigfacht. Daneben besaß er ein Landgut in Mecklenburg -- aber Schwedenklee kümmerte sich wenig um seine Reichtümer. Sie schimmerten beruhigend im Hintergrund seines Bewußtseins, genug. Schwedenklee hatte sein Vermögen von seinem Vater geerbt. Der alte Schwedenklee hatte schon mit fünfzehn Jahren im Schweiße seines Angesichts die Maurerkelle geschwungen, zehn Stunden täglich. Mit fünfunddreißig heiratete er eine reiche Gastwirtstochter und wurde Bauunternehmer, und im Alter von fünfundvierzig hatte er bereits einen ganzen Straßenzug einer Provinzstadt in der Mark aufgebaut. Mit fünfzig kam er nach Berlin, und damals erwarb er das schöne Wohnhaus im alten Westen, etwas später, spottbillig, die Bauplätze, deren Wert sich seitdem verdreißigfacht hatte. Die Begabung des alten Schwedenklee, aus Mauerflächen, Fenstern und Türen ein Haus zusammenzustellen -- so sahen seine Bauten aus --, war verfeinert in das Blut des Sohnes übergegangen. Philipp Schwedenklee wurde Architekt. Er war über den Durchschnitt begabt, in der Sauberkeit und Reinheit seiner Zeichnungen übertraf er alle seine Kameraden. Er hatte auch kaum seine Studien beendet, als er sich schon auszeichnete. Eines Tages nämlich veröffentlichte die kleine Stadt in der Mark, die der alte Schwedenklee zum Teil aufgebaut hatte, ein Preisausschreiben: Eine alte Apotheke sollte in ein kleines Provinzmuseum umgebaut werden. Der alte Schwedenklee machte seinen Sohn auf den Wettbewerb aufmerksam. Und siehe da, schon hatte Philipp Schwedenklee -- unter vierzig Bewerbern! -- das Preisausschreiben gewonnen. Nun aber zögerte der alte Schwedenklee nicht länger. Er übertrug seinem Sohn die Aufgabe, ihm die Pläne für eine Villa in Schmargendorf, wo er seine Tage zu beschließen gedachte, zu entwerfen. Die Villa war im Rohbau kaum fertig, als ein Nachbar, ein Ofenfabrikant, den jungen Schwedenklee ebenfalls mit dem Entwurf einer Villa beauftragte. Dann kam ein Gastwirt, bei dem der alte Schwedenklee zweimal in der Woche Kegel spielte. Dieser Gastwirt wollte sich vergrößern und wünschte die Entwürfe zu einem Tanzlokal, in einem ganz besonderen, heiteren Stil, mit chinesischen Anklängen. Philipp Schwedenklee aber lehnte diesen Auftrag ohne Umstände ab! Er wollte sich nicht verzetteln, denn, bei Gott, er hatte höhere Pläne, als Tanzlokale mit chinesischen Anklängen zu entwerfen. Der alte Schwedenklee stimmte ihm bei. Philipp reiste zur weiteren Ausbildung nach Italien, und von Italien nach Paris. Einige Jahre blieb er im Ausland. Er gab viel Geld aus, man hörte wenig von ihm. Einmal wurde erzählt, daß er in Paris wie ein wahrer Zigeuner lebe, daß er in sozialistischen, ja sogar anarchistischen Kreisen verkehre. Aber das war offenbar eine Verleumdung, denn er kehrte aus Paris sehr elegant und als ausgezeichneter Billardspieler zurück. Philipp Schwedenklee nahm sofort fieberhaft den Umbau der Parterrewohnung in dem alten Haus im Westen in Angriff. Wände, Türen und Fenster riß er heraus, zuletzt stand nichts mehr auf dem alten Fleck. Ja, er wollte Berlin, dieser Kapitale des Kitsches, zeigen, was Architektur war! Umbau und Einrichtung dauerten über zwei Jahre: nun aber war jeder Raum, jedes Möbelstück genau nach seinem Geschmack! Führende Zeitschriften veröffentlichten Photographien von Schwedenklees Wohnung. Zusammen mit einem befreundeten Architekten baute er dann ein Riesenhaus am Kurfürstendamm, ein Palais mit Marmortreppen und Marmorsäulen, das großes Aufsehen erregte. Beinahe wäre das Unternehmen eine finanzielle Katastrophe geworden, aber nur beinahe! Die Kinematographie war eigens zu dem Zwecke erfunden worden, um Schwedenklee vor dem Ruin zu bewahren. Sein Palast wurde in ein Kino umgebaut und er verdiente Unsummen. Schwedenklee wurde später in den Zeitungen noch als der Erbauer eines Elektrizitätswerkes voller Achtung genannt, er baute eine Reihe von Bureauhäusern und Villen. Dann hörte man nichts mehr von ihm. Seine Laufbahn als Architekt, die so verheißungsvoll begonnen, schien zu Ende zu sein. Er hatte sich in seine Parterrewohnung zurückgezogen und arbeitete, wie verlautete, an einem Werke über Städtebau. Es hieß, daß er Berlin von Grund auf umbauen wolle! Dieses ganze Berlin war völlig falsch angelegt! Er verschob Straßenzüge, ganze Stadtviertel. Sollte jemals aus Berlin etwas werden, so mußte man seinen Schwerpunkt an die Flußläufe verlegen! Der Reiz anderer Großstädte -- Paris, London, Neuyork -- bestand darin, daß sie von den Flußläufen aus sich entwickelt hatten. Berlin hatte unglücklicherweise seinen Aufschwung in einer Zeit genommen, da die Frachten der Bahnen kaum höher waren als jene der wenig entwickelten Flußschiffahrt. Es hatte sich in die Sandwüste des Westens hinausgeschoben und das landschaftlich schönste Gelände untergeordneten Vororten überlassen. Nun er, Schwedenklee, würde jedenfalls versuchen zu retten, was zu retten war. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Wirrwarr der Berliner Verkehrsverhältnisse. Auch in dieser Hinsicht würde er eine Lösung finden. Jahrelang beschäftigten Schwedenklee diese Probleme. Er tat geheimnisvoll -- eines Tages würde er Berlin mit seinem Werke überraschen! Zuweilen schlug er sogar einen etwas überheblichen Ton an. Der alte Schwedenklee jedenfalls erlebte die Veröffentlichung des Werkes nicht mehr. 2 Schwedenklee pflegte spät aufzustehen, da er häufig, wie er dem Mädchen sagte, bis »zum frühen Morgen« arbeitete. Gegen zehn Uhr, wunderbar ausgeschlafen, ausgehöhlt vom Hunger, frühstückte er mit Genuß: Kaffee, Weißbrot, Honig, Butter, Schinken, Eier, abwechselnd gekocht und gebraten. Nach dem Frühstück zog er sich in die geheiligten Räume, Bibliothek und Arbeitszimmer, zurück, wo ihn niemand stören durfte. Hier legte er sich noch etwas auf die Ottomane und las ausführlich die Zeitungen -- er war sogar auf die Frankfurter Zeitung abonniert, die dreimal täglich erscheint. Er arbeitete an seinen Zeichnungen, telephonierte, sah nach dem Wetter, schrieb einen Brief -- schon war es zwölf Uhr geworden. Schwedenklee ging spazieren, um »das Leben zu betrachten«. Ohne jeden Tadel, fast etwas auffallend elegant gekleidet, das zart gepuderte runde Kinn in den Pelzkragen gedrückt, in Schuhen der letzten Mode, schwang er sich dahin, mit der Miene eines Menschen, der sich seines Wertes wohl bewußt ist. Zuweilen erschien er auch -- ohne jeden Anlaß -- im glänzenden Zylinder. Sein rascher, etwas kecker Blick streift Mädchen und Frauen, während ein zufriedenes Lächeln seine vollen Lippen umspielt. Er beobachtet sich, wie er, etwas voll, durch den schwarzen Glanz der Spiegelscheiben schreitet -- sein Pelzkragen, seine koketten Schuhe. Voller Genuß zieht er die Luft in die breite Brust. Eine anziehende junge Dame geht an ihm vorüber und Schwedenklee folgt ihr eine Weile in angemessener Entfernung, voller List, um sich keine Blöße zu geben. Einen Augenblick später sieht man ihn in einem Antiquitätengeschäft, eine kleine blaue Vase in den Händen. Um zwei Uhr aß er zu Mittag. Er hatte das Glück gehabt, eine ausgezeichnete Köchin zu finden, ein Wunder von einer Kochkünstlerin: Augusta, die sein Hauswesen führte. Sie hatte nur den einen Fehler, daß sie zuweilen Weinkrämpfe bekam, die Küchendünste und das Stehen vor dem Herde hatten ihre Nerven ruiniert. Und er, Schwedenklee, der nichts so sehr haßte als Tränen! Aber schließlich ging es immer wieder vorüber. Vollkommen war ja nichts auf dieser Welt. Schwedenklee liebte es, gut zu essen, und er machte gar kein Hehl daraus. Er hatte einen ausgezeichneten Appetit und einen noch besseren Magen. Sein Magen -- lieber Himmel, was für einen Magen hatte Schwedenklee! Diese Veranlagung verdankte er seiner Mutter, Tochter eines Provinzwirts. Er konnte essen, so oft und so viel er wollte. Er konnte, für gewöhnlich war er mäßig, auch trinken, so viel es sein mußte. Wenn andere schon lallten, begann Schwedenklee erst zu tanzen! Diese Veranlagung verdankte er dem alten Schwedenklee, der Tag für Tag schon von sechs Uhr morgens an mit allen denkbaren Getränken den Kampf gegen den Baustaub aufgenommen hatte. Schwedenklee, es muß ausdrücklich betont werden, stammte nicht von wohlhabenden Eltern ab, die das Wohlleben schon verweichlicht hat, die ihren Kindern mit ihrem Gelde degenerierte Organe hinterlassen, o nein, er wuchs mit beiden Füßen direkt aus der Scholle. Seine Gesundheit war ausgezeichnet. Nach Tisch schlief Schwedenklee bis vier Uhr, dann schlürfte er den Tee, während er sich über seine Zeichnungen beugte oder die Abendzeitungen las. Zuweilen spielte er auch in der Dämmerstunde Geige. In den letzten Jahren allerdings seltener. Schwedenklee war ein ganz ausgezeichneter Dilettant! Seine Eltern, vernarrt in den Knaben, hatten keine Ausgabe für seine Erziehung gescheut. Zwei Jahre lang hatte Schwedenklee jeden Mittwoch und Sonnabend mit einigen Musikschülern, die er sehr gut bezahlte, Quartett gespielt. Die Musik erschien ihm damals als das Herrlichste auf der Welt, herrlicher noch als die Frauen! In dieser Zeit hatte er sich sogar mit dem Gedanken beschäftigt, Geiger zu werden. Er vernachlässigte seine Projekte vollkommen -- wie nebensächlich erschienen sie ihm doch! -- und übte täglich mehrere Stunden. Er träumte, ganz im geheimen, davon, wie er im Konzertsaal erscheinen würde, umbrandet vom Beifall. Die Damen steigen auf die Stühle und schwingen die Taschentücher: Schwedenklee, Schwedenklee! Oft gab er sich diesen Ausschweifungen hin. Indessen, die Quartettabende fielen schließlich ganz aus, die Geige ruhte in ihrem Kasten, nur zuweilen -- wie gesagt -- nahm er sie noch heraus, nicht ohne Sehnsucht, Inbrunst, Reue ... Um sieben Uhr ging Schwedenklee wieder etwas an die frische Luft, um »das Leben zu betrachten«, um acht Uhr aß er zu Abend, mit Genuß und Appetit. Dann wusch er sich, polierte die Nägel und erschien heiter und strotzend von guter Laune in seinem Stammcafé in der Potsdamer Straße. In den früheren Jahren noch hatte er häufig Theater und Konzerte besucht, in der letzten Zeit aber verbrachte er die Abende fast ausschließlich im Café. Acht Jahre verkehrte er in diesem Café. Nach drei Jahren gab ihm der Oberkellner den Titel »Herr Baurat«. Nach fünf Jahren »Herr Oberbaurat«. Jedermann nannte ihn so, die Kellner, die Gäste. Also selbst seinen Titel hatte Schwedenklee ohne Mühe erworben! Wie lange Jahre sitzt mancher Beamte in einer Behörde, bis er einen solch herrlichen Titel wie »Oberbaurat« erhält? Schwedenklee erhielt ihn vom Oberkellner eines Cafés in der Potsdamer Straße, und er war genau so gut, als ob ihn ein Ministerium verliehen hätte. Schwedenklee war heute fünfundvierzig Jahre alt. Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihn fast sämtliche Haare gekostet -- nur im Nacken, der sich feist über den weißen Kragen schob, stand noch ein dünner fahlblonder Saum. Die Pflege, die er genoß, hatte ihm eine gewisse vornehme Wohlbeleibtheit verliehen. Seine Wangen waren rund und leuchtend rot wie die eines Prälaten. Das Kinn fett und glänzend. Was er tief beklagte, war, daß sich sein Bauch nur noch schlecht in der elegant geschnittenen Kleidung verbergen ließ. Mit bekümmerten Blicken beobachtete er sich oft im Spiegel. Übrigens, sonderbar: Schwedenklees Augen -- einst förmliche Lampen -- schienen von Jahr zu Jahr kleiner zu werden. Wie war es nur möglich? Seit einiger Zeit sah er auch schlechter. Er war genötigt, beim Lesen eine Hornbrille zu tragen. 3 In den letzten Wochen allerdings war Schwedenklee, der immer Heitere, Strahlende, der Sieghafte, vom Glück Umschmeichelte, verändert. Er war zerstreut, nachdenklich. Nur noch selten waren seine lauten Lachsalven, die jedermann mit fortrissen, zu hören. Sprach man ihn unvermutet an, so öffnete er erschrocken und hilflos den Mund, oft gab er überhaupt keine Antwort. Allen Stammgästen des Cafés fiel die Veränderung auf. »Der Herr Oberbaurat scheinen in der letzten Zeit nicht ganz wohl«, sagte der von schlaflosen Nächten bleiche Oberkellner, ein alter Wiener. Also selbst ihm fiel die Veränderung auf! »Etwas abgearbeitet.« Schwedenklee runzelte die Stirn. »Ich habe gelesen, der Herr Oberbaurat haben einen Vortrag im Architektenhaus gehalten.« Schwedenklee seufzte. »Nichts als Plackereien, die nichts einbringen.« Ja, so hatte man zu tun. Schwedenklee hatte über »Moderne Bahnhofsarchitektur« gesprochen -- ein ganzer Winter Arbeit! Schwedenklees Stammcafé war scheinbar ein Café wie jedes andere. Ein altes Berliner Café mit Gold und Stuck, verräuchert, die Plüschsofas zusammengesessen, die Kellner in befleckten Fräcken und ausgetretenen Schuhen. Unten saß das gewöhnliche Publikum, Familien, Liebespaare, einsame Zeitungsleser. Eine vergoldete Treppe mit Plüschgeländer führte zu dem großen Billardsaal empor, wo sechs Billards standen, und erst wenn man den Billardsaal durchquert hatte, gelangte man in das Allerheiligste: das Spielzimmer! Hier waren von fünf Uhr nachmittags an bis zum grauenden Morgen einige Spieltische, umgeben von Kiebitzen, im Gange, und hier kannte ein Gast den andern. Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute, ein Bassist von der Oper, ein bekannter Pianist und einige junge Herren, die keinen ausgesprochenen Beruf zu haben schienen. Die Karten wurden gemischt, die Zigarren qualmten, die Kellner flogen mit Kaffeegeschirr und Biergläsern hin und her. Einzelne der Stammgäste kamen hierher schon um fünf Uhr und blieben bis drei Uhr nachts. Andere kamen nach dem Essen, wie Schwedenklee, nach Schluß der Theater und Konzerte kam noch ein Trüppchen Nachzügler. Es wurde in Schichten gearbeitet, fieberhaft und ohne jede Pause. Die Billardbälle knallten nebenan im Saal. Zuweilen verirrte sich sogar eine Dame mit ihrem Freund in den Billardsaal und einer der Spieler machte es bekannt. »Haben Sie die hübsche Person im Billardsaal gesehen?« Der eine oder der andere der Kartenspieler warf einen Blick durch die Tür, während die Karten neu gegeben wurden, oder er machte sogar rasch einen Gang durch den Saal, wenn es sich lohnte. »Eine verteufelt hübsche Person, und Augen hat sie!« Aber es geschah nur sehr selten, daß eine Dame sich zu den Billards hinan verirrte. Sonst gab es im Spielzimmer keinerlei Ereignisse. Das Spielzimmer ignorierte Berlin und die große Welt, wie Berlin und die große Welt das Spielzimmer ignorierten. Nur flüchtig wurden besondere Ereignisse gestreift: ein Krieg irgendwo, ein Sensationsprozeß, ein Schneesturm, eine Stockung der elektrischen Bahnen -- blitzschnell flogen die Karten über die grünbespannten fleckigen Tische. Es gab sogar Stammgäste, die noch länger als Schwedenklee im Café verkehrten. Ein Rechtsanwalt war zwölf Jahre lang Stammgast, und der Bassist kam schon seit fünfzehn Jahren hierher. In den Sommermonaten zerflatterten die Gäste auf einige Wochen, aber es blieb doch immer ein Spieltisch wenigstens im Gange. So also sah Schwedenklees Heim aus, wo er seine Abende verbrachte, anstatt Museen, Bahnhöfe und Kaufhäuser zu entwerfen, wie er es früher plante. Schwedenklee spielte vorzüglich Karten! Er war als Gegner gefürchtet, als Partner gesucht. Er war frisch und gut ausgeruht, natürlich, während zum Beispiel die Rechtsanwälte und Ärzte, die schon seit acht Uhr morgens in den Gerichtssälen und Kliniken arbeiteten, manchmal vor Müdigkeit einschliefen, wenn die Karten gemischt wurden. Zuweilen war man der Karten überdrüssig. Man machte ein Spiel auf dem großen Matchbillard, und der Kellner mußte das sorgfältig eingeschlossene Privatqueue Schwedenklees aus dem Schrank holen. Dann und wann auch spielte Schwedenklee mit dem Bassisten eine Partie Schach. Gegen drei Uhr, vier Uhr morgens leerte sich das Spielzimmer, die letzten Kiebitze verließen den Kartentisch, und schließlich riefen auch die leidenschaftlichsten Spieler, dem Erschöpftsein nahe, nach dem Zahlkellner. Schwedenklee blieb selten länger als bis zwei Uhr. Nur während einer ganz kurzen Periode hatte der Spielteufel so heftig von ihm Besitz ergriffen, daß er jede Nacht hindurch bis sechs Uhr morgens Bakkarat spielte. Doch das war schon einige Jahre her, und nicht er allein war schwach geworden, die sämtlichen Spieler hatte plötzlich eine Art Besessenheit befallen. Um zwei ging Schwedenklee nach Hause, um tief und ohne Pause zu schlafen, ganz allein in einem großen zweischläfrigen Bett mit einem hellgrünen Seidenhimmel. Schwedenklee war Junggeselle, natürlich. Über Frauen und Ehe hatte er seine ganz besonderen Ansichten! Ein einziges Mal hatte er den Kopf so weit in der Schlinge, daß er das Schlimmste befürchtete! Es war die »furchtbarste Zeit seines Lebens«, wie er sagte. Er hatte sich mit einer hübschen Base eingelassen, nettes Gesichtchen, plapperte erfrischend, und die Sache war gerade deshalb so verzweifelt, weil die ganze Verwandtschaft, die er jahrelang völlig ignoriert hatte, dabei im Spiele war. Schwedenklee verlor den Appetit und verbrachte die Nächte ohne Schlaf. Er entwarf hundert Abschiedsbriefe, ohne den Mut zu haben, die Base zu verabschieden. Es war ja ganz unmöglich, ein so entzückendes Geschöpf bloßzustellen. Das Wunderbare ereignete sich in dieser Periode: Schwedenklee hielt der Braut die Treue, so schwer es ihm auch zuweilen wurde! »Eine herrliche Sache ist die Treue,« pflegte er in dieser Zeit zu sagen, »aber sie kostet Nerven, mein Freund!« Eines Tages aber übersandte das entzückende Geschöpf ihm einen Abschiedsbrief! Voller Zerknirschung und Tränen: sie hatte sich auf einer Bahnfahrt in einen Offizier verliebt. Gott sei gelobt! Glück zu, Schwedenklee! Ja, in der Tat, es war eine furchtbare Zeit! Schwedenklee schlief prachtvoll unter seinem hellgrünen Seidenhimmel, obschon neben ihm noch recht gut Platz gewesen wäre. * * * * * Wie gesagt, aber in den letzten Tagen gefiel Schwedenklee den Kartenspielern nicht mehr! Wer sollte sich sonst um ihn kümmern, wenn nicht sie? Etwa Augusta? Nein, Augusta wich ihm aus, floh ihn direkt, wenn sie merkte, daß er in schlechter Laune war, mit Rücksicht auf ihre zerstörten Nerven. Augusta hatte nur beobachtet, daß eines Tages ein Brief mit einem schwarzen Trauerrand angekommen war, und Schwedenklee die Augen rollte. Die Kartenspieler aber, sie kannten ja jeden Zug in seinem feisten, leuchtenden Gesicht. Und wenn ein gewiegter Spieler wie Schwedenklee ein »angesagtes« Solo verlor, soviele Buben, soviele Asse, Könige, Damen, eine Farbe blank -- was sollte man dann sagen? Wie? Ja, nun war es offenbar, nicht mehr wegzuleugnen: etwas war bei Schwedenklee nicht in Ordnung! Es entstand eine solch furchtbare Aufregung, daß man eine Runde aussetzte und die Kellner aus dem Billardsaal zusammenliefen. Schwedenklee war sogar erbleicht, als das Solo so katastrophal zusammenbrach! In all den Jahren hatte niemand beobachtet, daß Schwedenklee erbleichte. Heute aber, in der Tat, war das Blut aus seinen roten Wangen gewichen, und seine Nasenspitze war für eine Sekunde schneeweiß geworden. Es nützte Schwedenklee nichts, daß er seine bekannte Lachsalve losließ. Die Ärzte, die Notare blickten prüfend und argwöhnisch in sein Gesicht. Schwedenklee hatte trotz der geheuchelten Heiterkeit immer noch einen verwirrten Gesichtsausdruck. Sein Blick war flackernd, nicht unbekümmert und etwas keck wie gewöhnlich. Nun errötete er sogar. Er tat, als schäme er sich, ein mit solch triumphierendem Lächeln angesagtes Solo verloren zu haben. Die Erregung verflog. Die Kiebitze, die aufgesprungen waren, saßen wieder ruhig auf ihren Stühlen, der Wollust hingegeben, die Chancen des Spielers besser zu kennen als die einzelnen Spieler, die große Überraschung, die jede Sekunde offenbar werden mußte, schon lange vorher genießend. Hinter Schwedenklees breitem Rücken verschanzt saßen drei Kiebitze dicht nebeneinandergedrängt. Schwedenklees Spiel interessierte heute abend am meisten. Er erhielt eine große Karte nach der andern, er spielte nunmehr konzentriert, führte jedes Spiel in großem Stil durch und gewann. Er wurde rot, sooft er die Karte aufnahm: so wie heute hatte ihn das Glück noch nie umschmeichelt. Den Kiebitzen aber fiel es auf, daß er gepreßt atmete, sooft er ein großes Spiel gewonnen hatte. Plötzlich aber -- mitten in der Glücksserie! -- zog er die Uhr und erhob sich ohne alle Umstände, zum Erstaunen der Spieler, zur Enttäuschung der erregten Kiebitze. Er entschuldigte sich hastig mit dringlichen Arbeiten. Sofort sprang ein anderer Spieler, der schon eine Stunde lauerte, für ihn ein. Der Pikkolo lief mit seinem Überzieher herbei. Begleitet von einem der Kiebitze, dem bekannten Nervenarzt Wittmann, einer Kapazität, durchschritt Schwedenklee, in Gedanken versunken, das Billardzimmer. Und er erbleichte tatsächlich an diesem Abend zum zweitenmal! Es war heute wirklich alles wie verhext, es gibt solche Tage. Auf dem Mittagsspaziergang hatte er jene ganz in sich zusammengekrümmte Bettlerin auf der Potsdamer Brücke getroffen, die wie eine Verkünderin von Unheil an jenen Tagen auftauchte, da irgend etwas Unangenehmes sich ereignen würde. Nun dieses Gesicht! Es saß gegenüber der Tür des Spielzimmers im Billardsaal an einem kleinen Marmortischchen. Das Gesicht eines zermürbten, alternden, grauhaarigen Künstlers, eines völlig Hoffnungslosen, eines Bittstellers, fahl, mit dunkeln, fiebernden Augen, und diese Augen streiften seinen Blick scheu und tastend. Vielleicht hatte dieser Hoffnungslose, Hungrige voller Neid beobachtet, wie Schwedenklee seinen Kartengewinn in die Tasche steckte? Jedenfalls gehörte dieses Antlitz voller Gram und Elend zur Klasse jener Gesichter, die Schwedenklee fürchtete, denen er aus dem Wege ging. Sie verdarben ihm die gute Laune und riefen in ihm augenblicklich die tausend Unannehmlichkeiten wach, große und kleine, die ihm das Leben getrübt hatten. »Sie sind nervös, Schwedenklee«, sagte der berühmte Nervenarzt, die Kapazität, mit einem mahnenden Blick hinter dem schiefsitzenden Kneifer. »Sie sollten etwas für Ihre Nerven tun. Die ganzen Tage fiel mir schon Ihr Wesen auf. Ich möchte fast vermuten, daß irgend etwas Außergewöhnliches -- ich will nicht aufdringlich erscheinen ...« Schwedenklee schlug den Pelzkragen hoch, um sein Frösteln -- dieser Nervenarzt! -- zu verbergen. Dann reckte er sich ein wenig und lachte laut heraus, während er stehen blieb. »Was soll ich haben?« rief er etwas zu laut. »Bedenken Sie, schon morgens um sieben Uhr kommt ein falscher telephonischer Anruf. Ich hatte nachts gearbeitet und nur wenige Stunden geschlafen. Dann kommen allein am Vormittag drei unangenehme Besuche. Es ist ein Wahnsinn, in dieser Stadt zu leben!« »Ja, dieses Berlin ist eine Hölle!« »Eine völlig sinnlose Hölle -- eine Hölle ohne jeden Scharm. Bedenken Sie dagegen, zum Beispiel, Paris, eine Hölle mit Reizen ...« »Mit fürchterlichen Reizen, Schwedenklee! Vielleicht ist Swedenborgs Ansicht berechtigt, daß diese Erde überhaupt nichts anderes ist als eine Art Fegefeuer, eine Vorhölle ...?« »Swedenborg?« »Ja, Swedenborg.« Schwedenklee gestand nicht ein, daß er diesen Namen heute zum erstenmal hörte. »Oft scheint es mir, als ob diese Großstädte Exponenten der Swedenborgschen Hölle seien: riesenhafte Kloaken, in die Tag und Nacht, ohne Unterbrechung, der Schmutz rinnt, Bordelle, Mördergruben, infernalische Verneinungen des göttlichen Gedankens!« Der kleine Arzt fröstelte. »Ja, in der Tat, vielleicht leben wir mitten in der Hölle, ohne es zu wissen! Vielleicht sind all unsere Freunde, die jetzt da droben Karten spielen, nichts als Teufel, Gespenster, Verdammte, Verfluchte ...« Bleich und erschöpft von der Stubenluft blinzelte der berühmte Nervenarzt in Schwedenklees rotes Gesicht. Plötzlich lächelte Schwedenklee und streckte dem Arzt die Hand hin. »Hölle hin, Hölle her!« rief er mit einem sieghaften Lächeln. »Das Leben ist doch schön! Gute Nacht, Doktor!« »Trotzdem« -- der Arzt berührte wohlwollend Schwedenklees Ärmel -- »sollten Sie sich etwas Ruhe gönnen. Gehen Sie doch in Ihre Villa an der Ostsee!« »Jetzt, im April? Sie ahnen nicht, Doktor, wie entsetzlich kalt es da oben ist. Übrigens regnet es immer. Nein, danke herzlich!« Schwedenklee stand und sah dem kleinen, unsicher gehenden Arzt, der Kapazität, betroffen nach. Welch eindringliche Ermahnungen! Und »Fegefeuer, Gespenster --«? »Ja,« sagte Schwedenklee, »vielleicht hat er sogar recht! Aber, was für eine Welt wäre das -- ein Betrug, nichts sonst! Und doch --?« In tiefes Nachdenken versunken ging er weiter. Es half nichts, daß er die vorübergehenden Frauen musterte, um sich zu zerstreuen. Ein Paar herrische, schöne Augen leuchteten aus der feuchten Dunkelheit der Bäume -- vergebens. Schwedenklee atmete die laue Luft ein, er blickte in das knospende Geäst der hohen Bäume empor, sah die Sterne durch das leichte, schillernde Gewölk am Himmel jagen -- aber seine Gedanken wurden düsterer und düsterer. Immer schwerer wurde die Last auf seinem Herzen. Endlich blieb er stehen und holte tief Atem. »Ja,« sagte er halblaut vor sich hin, »vielleicht sind wir in der Tat von Gespenstern umgeben und vielleicht ist es _wahr_, daß die Toten nach mir greifen!« Und er nickte ein paarmal schwer mit dem Kopfe. Wie? Schwedenklee? Wie ist es möglich, daß gerade er, Schwedenklee, der immer gut Gelaunte, Strahlende, der vom Glück Umschmeichelte, von der Melancholie übermannt wird? 4 Beruhigend brennt die grüne Schirmlampe auf dem riesigen Diplomatenschreibtisch. Besänftigend blicken all die vertrauten Dinge des Arbeitszimmers. Dort die Büste der Nubierin. Sie lächelt vertraulich, fast etwas verschämt. Schon scheint das Düstere nicht mehr so drohend. In weichen gefütterten Hausschuhen gleitet Schwedenklee über den Teppich, sein Blick wandert über die Decke. Schwedenklee schüttelt abwehrend den Kopf. »Es ist ja alles Unsinn!« sagt er zu sich. »Diese pathetische Phrase von den Toten -- und auch das mit dem kalten Hauch!« In der letzten Zeit war es ihm zuweilen gewesen, als ob ihm ein kalter Hauch ins Genick blase. »Alles Unsinn! Es sind deine Nerven, mein Freund! Wie kann ein Brief, ein unsinniger Brief -- ja, wie ist es nur möglich?« Schwedenklee bleibt stehen und mustert entschlossen den riesigen Diplomatenschreibtisch. Plötzlich steuert er mit zwei, drei großen Schritten auf den Schreibtisch zu und zieht, etwas asthmatisch atmend, die unterste Schublade heraus. Es ist das beste! Er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, da es sich als unmöglich herausstellte, darüber hinwegzugleiten. Es war feige, keine Worte, _nicht nachzuforschen_! Nein, heute hatte es ihm bei den Karten keine Ruhe mehr gelassen ... Diese Schublade stellte er auf einen niedrigen Rauchtisch und betrachtete, schon wieder etwas mutlos, den Wust von Karten, Bildern, Briefen, Theaterzetteln. Sogar eine graue Seidenschleife befand sich darunter. Schwedenklee warf sich in einen Sessel und streckte die Hand nach einem der vergilbten Briefe aus. Aber schon erhob er sich wieder. Er entkorkte eine Flasche Bordeaux und zündete sich umständlich -- um Zeit zu gewinnen -- eine Zigarre an. Ja, nun war er bereit! »Eine von euch weilt also nicht mehr unter den Lebenden!« sagte er laut, um sich Mut zu machen, und blies heftig in die Zigarre. Eine leise, aber nicht quälende, ja fast angenehme Trauer überkam ihn. Ja, es ist sonderbar, er fühlte sich sogar als eine gewissermaßen wichtige Persönlichkeit, weil eine jener Frauen, die er geliebt hatte, schon ins Reich der Schatten entwichen war. »Und sie gedachte meiner noch in ihrer letzten Stunde!« Wieder schwebte Schwedenklee in den gefütterten Hausschuhen hin und her. Dann aber warf er sich in den Sessel und griff entschlossen mitten in die vergilbten Briefe hinein. Dieses graue Seidenband -- o, so deutlich erinnerte er sich -- vor Jahren schmückte es Lissis blonden lockeren Haarschopf. Und es fiel ihm ein: wie sie einmal unerwartet in sein Zimmer stürmte, es war im Winter, Schneegestöber. Ihr Pelz war dick mit Schnee bedeckt -- und so, wie sie war, im beschneiten Pelz, schloß er sie in die Arme. Noch heute fühlte er die stechende Kälte der einzelnen Schneekristalle ... Und hier ist eine Karte von Lissi, aus Oberhof, Lissi im Skikostüm. Nein, Lissi, die Heitere, war es gewiß nicht! Lissi kann nicht sterben! Sie saß jetzt irgendwo in Nizza oder Gardone in der Diele eines Hotels und blies lächelnd den Rauch der Zigarette in die Luft. Schwedenklee zog einen vergilbten Brief aus der Lade und begann ihn mit hochgezogenen Brauen zu lesen. Er erinnerte sich an diesen Brief nicht mehr! Wie? Er erinnerte sich auch nicht, jemals auf der Rennbahn in Karlshorst gewesen zu sein? Der Brief war signiert: M. Z.? Wer war M. Z.? Vorwürfe, Beteuerungen, Verdächtigungen, Küsse -- voller Interesse las er den Brief vom Anfang bis zum Ende. Aber wie merkwürdig -- und er erinnerte sich gar nicht mehr! Schwedenklee schlug die Schenkel behaglich übereinander und machte es sich im Sessel bequem: Diese Briefe, diese Erinnerungen waren weder so langweilig, noch so erschreckend, noch so unangenehm, wie er es befürchtet hatte. Wo mochte, zum Beispiel, jetzt diese Martha sein, die ihn Sonnabend ein Viertel vor acht im Foyer des Lessingtheaters erwartete? Sie hatte wohl einen kleinen Beamten geheiratet und schlief jetzt Seite an Seite mit ihrem Gatten. Breit und weich waren ihre Hüften, eine schneeweiße, etwas volle Büste hatte sie, und plötzlich erinnerte er sich an den Geruch ihres Körpers: süße, frischgemolkene Milch. Martha schwärmte fürs Theater, wöchentlich zweimal führte er sie aus. Dann soupierten sie irgendwo, um bei ihm noch eine Tasse Kaffee zu trinken. Nie hatte er eine bescheidenere, sanftere Frau gekannt. »So geht das Leben dahin!« sagte Schwedenklee und legte die Karte zur Seite. Wer war Otti? Unmöglich, sich rasch an alles zu erinnern. Sie schrieb etwas von Halensee -- ja, o richtig, es war Otti mit der Matrosenbluse! Eine zierliche Stenotypistin, mit der er vor Jahren eine kleine Liebelei unterhielt. Otti liebte es, in zweitklassigen Lokalen zu tanzen und sich den frechen Blicken der Männer preiszugeben, die sie erregten. Sie war eitel auf ihre Beine, edle, rassige Beine, glatt und hart wie Elfenbein, und diese Beine stellte sie gern zur Schau. Auf Zurufe antwortete sie mit seltener Schlagfertigkeit, wobei sie das Stupsnäschen keck in die Luft warf. Unaufhörlich wanderten die Blicke ihrer großen blassen Augen, unausgesetzt auf der Suche nach neuen Abenteuern, neuen Erregungen. Sobald aber er auch nur einen Seitenblick wagte --! Verwirrend süß, die Ungerechtigkeit der Frauen! Ihre Lippen waren breit und weich, dachte Schwedenklee, und sie standen immer vor Erregung etwas offen. Ihre Brüste aber waren klein und spitz, die Knospen waren deutlich unter der Bluse zu erkennen und gerade darauf war Otti stolz. »Hoffentlich aber haben wir Ottis Abschiedsbrief noch!« Ja, er erinnerte sich jetzt plötzlich, daß sie ihm einen solch amüsanten Abschiedsbrief geschrieben hatte, seinerzeit, und er suchte ihn hastig in heiterster Laune. Er hatte damals, als er mit dem Kompagnon das Haus am Kurfürstendamm baute, das ihn beinahe ruiniert hätte, Otti in sein Bureau genommen. Ein unverzeihlicher Fehler! Otti erschien, wann es ihr behagte, saß rauchend bald auf diesem, bald auf jenem Zeichentisch, kokettierte mit dem Kompagnon, zeigte allen Besuchern ihre schönen Beine -- kurz und gut, er mußte, so leid es ihm tat, eines Tages ein offenes Wort mit ihr reden. Es gab eine schreckliche Szene, an die er sich jetzt voller Behagen erinnerte. Diese kleine Otti bebte vor Wut, und ehe er es sich versah, schlug sie ihm mit ihrer kleinen, festen Hand ins Gesicht. Ja, tatsächlich! Und dann schrieb sie ihm einen Brief, er entsann sich genau, einen äußerst drolligen Brief. Hier ist er! Laut auflachend las Schwedenklee diesen Brief. Ja, sie, Otti, wußte es schon vom ersten Tage an, daß sein Wesen im Grunde genommen ordinär war, obgleich er sich immer so aufspiele. Und wie geizig er doch sei: welche Vorwürfe -- ein Dutzend Seidenstrümpfe, zwei Paar Tanzschuhe, ein Sommerhut -- nein, nicht geizig, einfach schmutzig war er! Ja, sie, Otti, würde wohl nicht so verrückt sein und ihm die tausend Mark, die er ihr geliehen hatte, zurückzahlen, nein, für so wahnsinnig werde er sie gewiß nicht halten. »Was die Ohrfeige betrifft,« schloß Otti, »so wird es mir noch in meiner letzten Stunde eine Befriedigung sein, daß ich Dich in Dein hochmütiges, aufgeblasenes Gesicht geschlagen habe, auf das Du Dir so viel einbildest.« Noch in ihrer letzten Stunde! Schwedenklee lachte so laut, daß er husten mußte und seine rote Zunge herausfuhr. »Auf deine Gesundheit, Otti!« Schwedenklee hatte nie Mangel an Frauen gelitten. Er war wohl keine Schönheit, aber er war auch nicht häßlich, und wenn er lächelte -- seine Lippen waren voll und schön geschwungen --, so erhielt sein Gesicht sogar einen angenehmen Ausdruck. Er war elegant und er hatte stets Geld. Er besaß eine schöne, behagliche Wohnung und er war gesund. In der Tat, Schwedenklee konnte den Frauen etwas bieten. Schon als Student hatte er vor den Kameraden einen nicht zu unterschätzenden Vorsprung gehabt. Er verstand es ja ebenso gut wie sie, schöne Worte zu machen und schlagfertig zu antworten, aber es reichte bei ihm noch etwas weiter: zu einem kleinen Blumenstrauß, zu einer Einladung in eine Konditorei -- siehst du! Schwedenklee wählte für gewöhnlich die Frauen aus der sozialen Schicht, die gerade etwas unter der seinen lag. Diese Frauen schienen ihm am umgänglichsten. Natürlich gab es auch Ausnahmen, und zuweilen mußte er alle seine Energie aufbieten, um sich nicht zu verlieren. Man denke an die Base! Nein, nein, Schwedenklee hatte geschworen, seine Freiheit nie aufzugeben! Man konnte als Junggeselle tun und lassen, was man wollte. Willst du ein Theater besuchen, so gehst du, ziehst du im letzten Augenblick doch das Café vor, nun so wendest du noch im Foyer um. Du willst ein paar Tage reisen, gut, du reisest, du wählst Reisetag und Zug ganz nach deinem Belieben. Einmal verheiratet, ist es mit aller Freiheit vorbei. Jeder deiner Schritte wird beobachtet, wann du dich niederlegst, wann du aufstehst, alles. Deine Frau erkrankt, das Kind hustet, schon telephonierst du erschrocken nach dem Arzt. Es könnte ein Unglück geschehen -- nein, daran wollte er gar nicht denken! Als er die Mutter verlor, war er ein leichtsinniger Student, der es nicht allzu schwer nahm -- als sein Vater starb, war er schon gereift genug, um sich zu beherrschen. Es war sein letzter wirklicher Schmerz. Nein, nein, Schwedenklee hatte alles genau durchdacht, es war am besten so, wie es war, und damit genug! Er wollte keine Aufregungen, keine Spannungen, keine Qualen. Konnte man -- um nur etwas zu sagen -- als Ehemann mitten in der Nacht in einem bequemen Sessel sitzen, bei einer Flasche Wein und einer Zigarre, und in alten Liebesbriefen und Erinnerungen wühlen? Wie? Versuch' es. Und dazu, solange man wollte, es konnte Morgen werden ... Da war noch diese und jene Freundin -- diese und andere, in Rom, in Paris, in Wien -- alle zogen sie vorüber: jung, heiter, strahlend. Tanzfeste, Ausflüge, eine Reise im Schlafwagen, eine Dampferfahrt nach Kopenhagen, ein kleiner Abstecher ins Holländische ... Alle diese Freundinnen gehörten mit wenigen Ausnahmen jener bequemen sozialen Schicht an, die um ein Etwas tiefer lag als Schwedenklees Gesellschaftsklasse. Es waren Stenotypistinnen, Modistinnen, Erzieherinnen, kleine Schauspielerinnen, Tänzerinnen, sogar eine Dame vom Varieté war dabei. Sie alle waren gierig nach dem Leben, wollten zuweilen in einem eleganten Restaurant dinieren, wie feine Damen, wollten zu einem Rennen fahren, im Auto über den Kurfürstendamm rollen, wollten eine Oper besuchen, um vor ihren Freundinnen damit prahlen zu können. Eine kleine Reise, lieber Himmel, wie wunderbar, ein Paar Sommerschuhchen mit Seidenstrümpfen, herrlich! Ein Ausflug aufs Land, mein Gott, sie wurden sofort um Jahre jünger, dreizehn, plapperten wie Kinder. Sie genossen jede Kleinigkeit, das Nichts selbst, diese guten Geschöpfe, schlürften, waren berauscht. Sie schrien vor Erregung, wenn das Pferd, auf das sie gesetzt hatten, mit einer vollen Länge in den Einlauf einbog, und zerbrachen den Sonnenschirm, wenn es knapp vor dem Ziel noch geschlagen wurde. Es war nicht schwierig, ihre Bekanntschaft zu machen. Schwedenklee war, es ist die Wahrheit, in gewissem Sinne schüchtern, und das Herz schlug ihm im Halse vor jedem Abenteuer, aber es gelang fast immer. Schwieriger war es schon, sie, wie er es nannte, »in der rechten Distanz zu halten«. O, oft war es eine Kunst! Sie durften in ihren Gefühlen und Ansprüchen niemals eine gewisse Linie überschreiten, die Beziehungen mußten leicht und immer unverbindlich bleiben. Und doch lag es im Wesen dieser Sehnsüchtigen, diese Linie stündlich, in jeder Minute zu verletzen. Das schwierigste aber war es, sie zu verabschieden! Ein unerfreuliches Kapitel. Wirkliches oder geheucheltes Erkalten der Empfindungen, eine vorgebliche Geschäftsreise, etwas Schauspielerei -- und, wenn es sein mußte, sogar Härte! Es fiel Schwedenklee nicht leicht, Härte zu zeigen. Zorn, Tränen, verzweifelte Briefe, Drohungen. Nein, nicht immer ging es so leicht und einfach wie bei Otti, die einfach auf ihn einschlug und einen rasenden Brief schrieb. Schwedenklee saß hingestreckt in dem bequemen Ledersessel, die Beine übereinandergeschlagen, die Zigarre im Mund, und sah zur Decke empor. Der Wein ging zur Neige, er war in eine warme, heitere Laune geraten. Die Stunden flogen. Lächelnd, träumerisch war Schwedenklees Miene. Gestehen wir es nur, er hatte es verstanden, sein Leben zu genießen! Seine Freundinnen waren alle gute, liebe Geschöpfe gewesen, auch Otti natürlich, er hatte wenige, fast keine Enttäuschungen mit ihnen erlebt. Sonderbar, er hatte sie fast alle vergessen! Er erinnerte sich kaum noch an ihr Aussehen, die Züge waren in seinem Gedächtnis verblaßt. Welche Farbe hatten, zum Beispiel, ihre Augen? Die Farbe der Haare war einigermaßen haften geblieben, ähnlich wie die Haare sich in den Gräbern am längsten erhalten, wenn alles andere längst vermodert ist. Einzelne hatten nicht den geringsten Eindruck hinterlassen, von anderen wußte er nur, daß sie groß oder daß sie klein und zierlich waren. Von Otti hatte er am klarsten die Matrosenbluse in Erinnerung und, wie gesagt, die herrlichen Beine. Von einer Tänzerin wußte er noch, daß sie hohe Straßenstiefelchen trug, aus einem Leder wie graue rauhe Glacéhandschuhe. Von einer Französin war kaum mehr in seinem Gedächtnis verblieben, als daß sie einen Bleistift mit den nackten Zehen hochheben konnte. Für eine gewisse Ellen, eine Schauspielerin, hatte er fortwährend Villen und Landhäuser entwerfen müssen, mit einem Schwimmbassin, das in ein Palmenhaus eingebaut war. Er erinnerte sich an Ellens zarte Fingerspitzen, die leise bebten, wenn sie ihn berührte. Diese Ellen errötete leicht und sehr merkwürdig. Ihre Haut war sehr zart, und die Röte überflog ganz unvermittelt wie ein Gluthauch ihr Gesicht und bedeckte auch Hals und Nacken. Nichts sonst fiel ihm in dieser Sekunde von Ellen ein. Eine andere quälte ihn eifersüchtig, und ihre schwarzen Augen funkelten. Die Tänzerin sah er vor sich, wie sie im Varieté auftrat, abwechselnd kalkgrün und korallenrot beleuchtet. Ihre Züge waren ihm entfallen, aber er erinnerte sich, daß sie beim Souper nach dem Theater immer noch etwas Farbe von der Schminke um die Augenlider hatte. Das sah ungeheuer interessant aus. Berta mit dem pechschwarzen, schnurgeraden Scheitel hatte die Unart an sich, in den Restaurants unbemerkt kleine Brotkugeln nach den Nachbartischen zu werfen. Sie trug eine Narbe von einer Blinddarmoperation am Leibe, und diese silbrige Narbe sah er ganz scharf vor sich. Die Dame vom Varieté, die er bald verabschiedete, weil sie täglich größere Ansprüche stellte, liebte es, eine schwermütige Miene anzunehmen, während sie ihn mit ihren glasig-glänzenden braunen Tieraugen ansah, um dann seufzend zu lächeln und ihr herrliches Gebiß zu zeigen. Hier, siehst du, Schwedenklee, ist ein kleines, von schwarzen Haaren umflattertes Gesichtchen, das große Tränen in den schönen Augen hat. Und hier, Schwedenklee, da ist sie, wie hieß sie doch gleich, sie konnte so wunderbar lachen! Sie war eine Virtuosin im Lachen, sie steckte die Nachbartische an, sie gab Gastspiele im Lachen -- ach Gott, wie hieß sie denn? Sie ging von dir zu einem Karikaturenzeichner über, der sie dann hundertmal zeichnete, in allen Witzblättern war sie zu sehen. Es wird ihr wohl nicht schlecht ergangen sein -- wir wünschen es ihr. Und da: Hanny im Schlafwagen -- mit der kleinen blauseidenen Nachthaube ... Schwedenklee saß und träumte. Er war so tief in Gedanken versunken, daß er regungslos zur Decke blickte und in der Tat mehr schlief als wachte. Aus seinem vollen, satten Gesicht stieg kerzengerade der Rauch der Zigarre. Die Gesichte glitten ineinander; ein Rücken wie aus frischgefallenem Schnee geformt, ein Haarschopf, der im Nacken funkelt, rasche, flüchtende nackte Füße, ein Knie, wie aus der Hand Rodins, zitternde Hände, die das Haar aufstecken ... Sonderbar! Schwedenklee sah fast keine seiner Freundinnen wieder, sobald er sich von ihnen getrennt hatte. Berlin verschlang sie, die Welt, das große Leben verschlang sie, ohne daß sie je wieder auftauchten. Sie verwehten wie die Blätter im Walde. Schwedenklee sitzt inmitten einer Wolke von Träumen, der Zauber versunkener Herrlichkeiten hat ihn gebannt. Das Leben! Gab es etwas Wunderbareres als dieses verwirrende, unverständliche, dreimal verfluchte, dreimal gepriesene Leben? Er lächelt, und sein Lächeln verändert sich nicht mehr. Er ist glücklich. 5 »Aber Rosa?« Plötzlich sprang Schwedenklee auf und ging mit erregten Schritten in den gefütterten Hausschuhen hin und her. Es war schon zwei Uhr morgens. Erst in diesem Augenblick war ihm wieder eingefallen, aus welchem Anlaß er nach den verblaßten Briefen gegriffen hatte. »Aber Rosa? Wer ist diese Rosa?« Unter all den Frauen gab es ja keine Rosa weit und breit! Wer war also diese Rosa, von der ihm dieser Unbekannte geschrieben hatte? Geschrieben hatte --? Also hatte Augusta, die sonst wenig scharf beobachtete, doch recht, daß ein Brief -- irgendein sonderbarer Brief -- die Veränderung in Schwedenklees Laune hervorgerufen hatte! »Wie kommt dieser Unglückselige überhaupt dazu, mir, einem Unbekannten, zu schreiben?« fuhr Schwedenklee fast drohend fort. In großer, ja förmlich unbegreiflicher, krankhafter Erregung eilte Schwedenklee im Zimmer auf und ab. »Wie kommt dieser Unbekannte dazu?« »Vielleicht aber hat diesen Unglückseligen der Verlust seiner Gattin um den Verstand gebracht -- wie?« »Rosa? Rosa? Aber, zum Satan, es gibt ja keine Rosa!« »Vielleicht habe ich sie einmal gekannt, möglich -- ganz flüchtig, vielleicht gab sie einen falschen Namen an -- alles ist möglich!« »Möglich, ja, natürlich! Was sollte sie dann aber bewegen, sich nach Jahren, in der Stunde ihres Todes, meiner zu erinnern --?« Ja, unbegreiflich, unverständlich, ganz unerklärlich! »Oder --?« Schwedenklee blieb mit einem triumphierenden Lächeln stehen. O ja! Auch das war recht gut denkbar! Vielleicht war dieser Unglückselige gar kein fassungsloser Ehemann, der seine Frau betrauerte? Wie? Vielleicht war er nicht mehr und nicht weniger als ein Schwindler, der einen Pumpversuch schlau einleitete? Ein Erpresser? Schwedenklee war geneigt, sich wegen seines Scharfsinns selbst zu bewundern. »Man braucht nur die Zeitungen zu öffnen, beim großen Gott, welche Sorte von Spitzbuben haust in diesem Berlin! Sie simulieren epileptische Anfälle in der Untergrundbahn, um die mitleidigen Reisenden ungestört ausplündern zu können -- sie verfallen auf die unmöglichsten Dinge! Ein Freund übersendet dir ein Billett zur Oper, du gehst hin, und unterdessen plündern sie dir die Wohnung aus.« »Nein, mein Freund, du bist an den Unrechten gekommen. So einfach ist die Sache mit mir nicht!« rief Schwedenklee mit überlegenem Lächeln aus. Aber schon klang sein Lachen wieder unsicher, schon wurde er wieder nachdenklich. Der _Ton_ dieser Briefe! Denn Schwedenklee hatte ja nicht einen, er hatte _eine Reihe_ von Briefen erhalten -- seit Wochen erhielt er Briefe! Und diese Briefe waren es ja, die in der letzten Zeit seinen Gemütszustand so sehr beeinflußten. Der _Ton_ dieser Briefe war ohne Zweifel -- _echt_! »Prüfen wir, überlegen wir,« rief Schwedenklee eifrig, schon etwas berauscht -- »weshalb diese unsinnige Beunruhigung? Wir werden, wenn es nicht anders geht, den Unglückseligen selbst aufsuchen. Ja, selbst, das wird das allerbeste sein!« In dieser Minute war Schwedenklee außergewöhnlich mutig und entschlossen. Er kam sich in seiner Entschlossenheit fast verwegen vor -- beinahe wie Don Juan, der mitten in der Nacht im Friedhof das Standbild des Comturs zu Tische lädt. »Gehen wir der Sache auf den Grund!« Aus einem Winkel der Bibliothek zog er einen Stoß Briefe hervor. Fast überkam ihn wieder Kleinmut. Wozu schließlich? Was kümmerte ihn das Schicksal dieses Unbekannten? Schwedenklee hatte diese Briefe nie richtig gelesen -- nur durchflogen, unwillig, ungehalten -- und doch im Tiefsten, ohne ersichtlichen Grund! erschrocken. Drohung des Schicksals ging von diesen Blättern aus und dumpfe Traurigkeit. Sie rochen nach welken Kränzen, und diesen Geruch hatte er noch deutlich in der Erinnerung von der Beerdigung des alten Schwedenklee her. Er haßte diesen Geruch von Moder, er haßte diese Kränze in den Blumengeschäften, mit den Aufschriften in bleicher Silberschrift auf den schwarzen Seidenbändern. Er schloß sogar die Augen, wenn er an einem jener Geschäfte mit den häßlichen plumpen Särgen vorbeiging, deren öffentliche Ausstellung die Polizei, die sich sonst in alles mischt, verbieten sollte. Diese Särge waren in der Tat solch unglaubliche Monstrositäten, daß Schwedenklee sich einmal die Mühe genommen hatte, einige Särge zu entwerfen, die nobel und würdig aussahen, wie sie eigentlich sein sollten. Er haßte wie gesagt alles, was mit dem Tode und den Zeremonien der Bestattung zusammenhing. Vor zwei Jahren war einer der Kartenspieler gestorben, der Doktor Helm, ein Landgerichtsrat, ein sympathischer Mann -- einige der Spieler waren zur Beerdigung gegangen, aber Schwedenklee hatte sich wohl gehütet. Er liebte es nicht, an den Tod zu denken, nein, ganz im Gegenteil, diese Gedanken haßte er! Manchmal erwachte er mitten in der Nacht und mußte daran denken, daß auch er einmal sterben mußte! Diese entsetzliche Stunde wird kommen, so sicher wie etwas -- er sah sich liegen, er röchelte noch, eine Pflegerin stand am Bett mit einer Kompresse. Oh, es konnte auch ganz anders sein! Zum Beispiel, ein Autobus konnte ihn auf der Potsdamer Straße zermalmen. Diese Gedanken folterten ihn zuweilen derart, daß er Licht machen mußte. Und doch, die Menschen lebten dahin, lachten, rauchten Zigarren, spielten Billard, tanzten -- unbegreiflich! Aus all diesen Gründen machte er sich hart und gefühllos gegen das Geschick dieses Unglücklichen, den der Schmerz gezwungen hatte, an ihn, Schwedenklee, zu schreiben. »Nun wohl«, sagte Schwedenklee und setzte sich, ergeben in sein Schicksal, zurecht. »Dieser hier, ohne Trauerrand, war der erste!« Schwedenklee holte tief Atem. »Mein Herr!« Schon diese fahrige Schrift, diese Gespenster von Buchstaben! »Ich fühle mich gedrängt, Ihnen mitzuteilen, daß eine Frau, die wir beide geliebt haben -- heute abend nach langem Krankenlager zur ewigen Ruhe heimgegangen ist. Das edelste Frauenherz hat aufgehört zu schlagen. Rosa hielt ein Leben lang die Freundschaft, die sie einst mit Ihnen verband, hoch in Ehren. Es wird Ihnen gewiß ein Bedürfnis sein, der edlen Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen. Die Beisetzung findet am Freitag, den 21., statt ... In tiefstem Schmerz -- Edgar Blank, ehemaliger Hofopernsänger.« Schwedenklee las den Brief mit fast der gleichen Verwunderung, Verblüffung, dem gleichen leisen Grauen, wie vor Wochen, da er ihn erhalten hatte. In einer Art von leichter Lähmung hielt ihn der Sessel fest. Was sagt man dazu? Er war natürlich nicht zur Beerdigung gegangen, wie sollte es ihm in den Sinn kommen -- eine ihm völlig Unbekannte! Als er seinen Vater begraben hatte, hatte er sich geschworen, nie mehr einer solchen Zeremonie beizuwohnen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Unvergeßlich war ihm dieser schreckliche Vormittag. Der alte Schwedenklee ließ sich verbrennen. Im Krematorium warteten schon mehrere Parteien, und Schwedenklee geriet, noch heute empfand er die Peinlichkeit, zuerst in eine falsche Gruppe von Seidenhüten. Alle hatten Eile. Dann sank der Sarg in die Versenkung. Der alte Schwedenklee hatte noch im Alter den typischen Kopf eines Maurers gehabt, mit etwas zu langem Schnurrbart, etwas abstehenden Ohren und verwittertem Gesicht. Als der Sarg sank, verwandelte sich, so schien es Schwedenklee, der ganze Sarg in den Kopf des Vaters. Schwedenklee jagte voller Schrecken nach Hause, und noch heute sah er, wie der langsam sinkende Sarg sich in den Kopf des Vaters verwandelte, noch heute hörte er das fürchterliche kalte Klirren der sich schließenden Eisenplatten. Der zweite Brief des Unglücklichen schilderte ausführlich die Beerdigung der Unbekannten. »Wir haben heute Rosa zu Grabe getragen. Sie sind nicht gekommen! Es hätte die Tote geehrt. Aber vielleicht sind Sie gar nicht in Berlin. Vielleicht hat mein erster Brief Sie überhaupt nicht erreicht! Wir waren nur zwei im Trauergefolge, von den Trägern abgesehen. Ein jämmerliches Trauergefolge -- und doch jubelten Rosa früher auf der Bühne Tausende zu -- vergessen und einsam ging sie zur Ruhe, und selbst Sie, den sie ihren Freund nannte, sind nicht gekommen ...« Diesen Brief hatte Schwedenklee vor Wochen, als er ihn empfing, entsetzt zur Seite gelegt, ohne ihn zu Ende zu lesen. Der Briefschreiber verlor sich selbstquälerisch in all die traurigen Einzelheiten: der Regen, der Schmutz, die Grabsteine, der Trott der Sargträger, das lehmige Grab --. »-- ich schäme mich nicht, Ihnen zu bekennen, daß mich der Schmerz übermannte, als der Sarg hinabglitt. Ich schrie und fiel zu Boden ...« Schwedenklee war erbleicht und wischte sich die Stirn ab. Er ging auf und ab in seinen weichen Schuhen und suchte Beruhigung bei einer neuen Zigarre. Man durfte nicht vergessen, daß ein Unglücklicher diesen Brief schrieb! Aber Rosa? Ja, bei Gott, wer sollte --? Vielleicht war es ein Mißverständnis, eine Verwechselung --? Aber nein, nein, in einem der Briefe schrieb der Unglückliche, daß Rosa mit Schwedenklee in dem und dem Jahre in Paris zusammengetroffen sei. Er, Schwedenklee, habe damals im Hotel Panthéon gewohnt. Alles stimmte. In einem der zuletzt eingetroffenen Briefe drückte der Unbekannte seine Verwunderung darüber aus, daß Schwedenklee sich in Stillschweigen hülle. »Ich habe mir in meinem letzten Brief«, schrieb er, »die Freiheit genommen, anzudeuten, daß ich glücklich wäre -- so weit ich es in dieser Zeit sein kann -- wenn ich Sie aufsuchen dürfte. Ich habe zwei Wochen vergebens gewartet. Sie zögern, aus welchem Grund? Ich weiß, daß Sie in Berlin sind. Vielleicht erscheine ich aufdringlich. Befürchten Sie nichts. Ich befinde mich in tiefer Not, ich bin ein Bettler, aber nichts läge mir ferner, als Rosas freundschaftliche Beziehung zu Ihnen zu beflecken. Was ich wünsche, ist, einen Menschen zu sprechen, der Rosa kannte, den Rosa liebte -- ich wiederhole: liebte!« Schwedenklee schüttelte den Kopf. Immer wirrer, dunkler schien das Labyrinth. Ein Unglücklicher wollte sich in seinem Schmerze an ihm aufrichten! Den Rosa liebte --? War es möglich, daß eine der vielen, die durch sein Leben gegangen waren, noch nach zwanzig Jahren seiner gedachte? Daß eine der vielen, die er »in der nötigen Distanz hielt«, für ihn eine wirkliche Liebe empfunden haben sollte? »Ich werde ihn besuchen«, beschloß Schwedenklee mit feierlichem Ernst. »Morgen -- und wenn es morgen nicht geht, spätestens übermorgen.« Er war plötzlich von schwerer Müdigkeit überwältigt worden. Der Wein, die Zigarren ... Fast augenblicklich schlief Schwedenklee hinter den hellgrünen Seidenvorhängen ein. 6 Schwedenklee hatte in dieser Nacht verworrene, aber angenehme Träume: Fremde, phantastische Landschaften, transparente Wälder, glühende Meere, fremde, bezaubernd schöne Städte, unwirklich, wie aus Alabaster geschnitten, sonderbare Begegnungen, seltsame Abenteuer, Frauen, bekannte und fremde, eigenartig, aber alle in Tun und Gefühl nach ihm, Schwedenklee, strebend. Er war umdrängt von Zuneigung, von Bewunderung, von Liebe, es war ein großer und einziger Reichtum, man verschwendete sich an ihn. Er genoß diese Bevorzugung, sie schien ihm selbstverständlich, und gerade der Umstand, daß sie selbstverständlich schien, erfüllte seine Seele mit Ruhe und Heiterkeit. Trotz der angenehmen Träume erwachte Schwedenklee spät am Morgen in gereizter Laune und mit schmerzenden Schläfen. Er nahm sein Bad, und von der Badewanne aus gab er das dreimalige Klingelzeichen zum Frühstück, so scharf und hart, daß Augusta genau wußte, woran sie war. In grau- und weißgestreiftem seidenen Pyjama betrat Schwedenklee das Speisezimmer. Beschwörend hatte Augusta den Frühstückstisch gedeckt: Lachs und Appetitsild, Oliven und gekochte Eier. Schwedenklee näherte sich dem Tisch mit gerunzelten Brauen. Ein Brief! Wieder ein Brief mit den Gespensterbuchstaben! Mit zitternder Hand nahm ihn Schwedenklee auf. »Sie verschmähen es, mir zu antworten. Sie ahnen wohl kaum, daß ich Ihnen unter Umständen Mitteilungen machen könnte, die für Sie von Wichtigkeit wären. Ich werde mir die Freiheit nehmen, bei Ihnen anzurufen, und hoffe, daß Sie einer Begegnung nicht länger ausweichen.« Schwedenklee war an diesem Morgen schonungsbedürftig. Er hatte in der Nacht eine Flasche schweren Bordeaux getrunken -- hingerissen von den Erinnerungen, er hatte ein halbes Dutzend Zigarren geraucht. Er war übernächtig, abgespannt, und seine Schläfe schmerzten. Ohne zu denken, ohne die Herrlichkeiten des Frühstückstisches zu beachten: Lachs, Appetitsild, Oliven, stürzte er an den Schreibtisch und schrieb mit wütender Hand, ihn endlich gefälligst mit diesen sinnlosen Zuschriften verschonen zu wollen. »Sie mögen der Ansicht sein, daß Sie mir wichtige Mitteilungen zu machen haben, behalten Sie diese Mitteilungen für sich, ich lege nicht den geringsten Wert darauf.« Fort, Rohrpost -- augenblicklich! Augusta zitterte, sie hatte ihren Gebieter nie mit solch zornrotem Gesicht gesehen. »Das überschreitet doch alle Grenzen!« schrie Schwedenklee wütend. »Welche unverschämte Zudringlichkeit! Besuchen, habe ich gesagt, ich will ihn besuchen? -- Aber ich bin doch kein Narr!« Nun, nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, schmeckten all die Leckerbissen des Frühstückstisches plötzlich wunderbar. Der Ärger verflog, und Schwedenklee vertiefte sich in die Zeitung. Sein Unmut verrauchte vollends. Der Ausbruch von Raserei kam ihm nun selbst lächerlich vor. Als er das Frühstückszimmer verließ, hatte er sich soweit wiedergefunden, daß es ihn befriedigte, den zudringlichen Brief noch einmal in die Hand zu nehmen. Offenbar hatte der Unbekannte dieses letzte Schreiben in der größten Erregung hingeworfen. Die Buchstaben waren kaum zu entziffern. Mit einem verächtlichen Lächeln riß Schwedenklee den Brief mitten durch -- die Antwort würde ihre Wirkung nicht verfehlen, er hätte schon lange Schluß machen sollen. Zu seinem Erstaunen entdeckte er aber plötzlich auf der Rückseite des Briefbogens eine Nachschrift! »Ihr mir so unverständliches Verhalten, Ihre unbegreifliche Gleichgültigkeit kann ich mir nur so erklären, daß Sie sich offenbar nicht mehr entsinnen, wer Rosa ist -- oder leider -- war, dieser Gedanke zuckt eben durch mein _krankes_ Gehirn! Rosa, meine geliebte Frau, die ich, selbst dem Tode nahe, betrauere, war eine geborene Rosa Ellen Fröhlich, ihr Bühnenname lautete Rosa Froh.« * * * * * Eine leise Lähmung befiel die Hand, die den Brief hielt. »Ellen Fröhlich!« sagte Schwedenklee leise. »Dieses reizende Geschöpf! Sie also ...« Ein leises flüchtiges Bedauern, andere Empfindungen der Trauer löste diese Mitteilung nicht aus. Diese lebenslustige Frau, für die er Villen und das berühmte Schwimmbassin entwerfen mußte! Sie, die so sonderbar rasch errötete, die Röte überzog sogar den Nacken -- diese Arme, sie schien nicht glücklich geworden zu sein ... Und er, dieser Törichte, der sein Gehirn selbst ein _krankes_ Gehirn nannte, hätte er ihm nicht schon früher sagen können, wer sich hinter dieser Frau Rosa Blank versteckte? Schwedenklee fühlte sich ordentlich erleichtert. Die Ungewißheit, das Grübeln wider Willen hatten ihn gemartert. Was hatte er weiter mit der ganzen Sache zu schaffen? Er hatte vier Wochen lang, oder vielleicht sechs, eine Liebschaft mit dieser Frau gehabt, eine kleine reizende Liebelei, vor achtzehn, zwanzig Jahren -- damals in Paris -- das war alles. Er instruierte Augusta, daß heute vormittag ein gewisser Herr Blank anrufen werde. Sie möge sagen, er sei auf unbestimmte Zeit verreist. In bester Laune kleidete er sich an, um auszugehen. Seit langen Tagen kam endlich die Sonne wieder durch. Schwedenklee war gerade mit der Toilette fertig, als das Telephon klingelte. Er öffnete die Türe und hörte Augusta mit weinerlicher Stimme einigemal wiederholen, daß der Herr Oberbaurat verreist sei. Offenbar gab sich Blank mit dieser Auskunft nicht zufrieden. Augusta geriet in große Erregung. »Unverschämte Leute gibt es schon!« rief sie aus, als sie abgehängt hatte. »So und damit ist die Sache erledigt«, dachte Schwedenklee und begab sich in ausgezeichneter Laune zu seinem Schneider in der Charlottenstraße. Bei diesem Schneider in der Charlottenstraße -- einer großen Firma -- war eine junge Dame, ein Fräulein Wiedehopf, als Buchhalterin tätig. Die dicken, glänzend braunen Flechten turmartig über dem heiteren, offenen Gesicht aufgebaut, die Fingernägel glänzend poliert, duftend nach Frische, wie aus dem Ei geschält, ohne das kleinste Staubkörnchen -- auf diese junge Dame hatte Schwedenklee seit einiger Zeit ein Auge geworfen. »Ich lebe zu stumpfsinnig«, sagte er zu sich, als er dahinschlenderte. »Immer das ewige Kaffeehaus. Dieses Leben bekommt dir nicht, Schwedenklee. Wir werden diese kleine Wiedehopf heute abend zu >Figaros Hochzeit< einladen.« Unterwegs löste er Karten zur Oper, und obwohl die Schar der Verkäufer und Zuschneider diesen weiblichen Schatz mit eifersüchtigen Blicken bewachte, hatte er Fräulein Wiedehopf, ohne daß es irgendwie auffiel, beim Hinausgehen zu >Figaros Hochzeit< eingeladen. Man mußte es nur verstehen. 7 Eine ganze Woche blieb Schwedenklee dem Kaffeehause fern. Theater, Ballhäuser, Bars, sogar in ein Kino führte er die junge Dame mit den turmartig aufgebauten Haaren und den glänzenden Fingernägeln. Diese kleine Wiedehopf war verlobt, nahezu verlobt, der Auserwählte war zur Zeit auf Reisen -- wie oft hatte er das schon gehört! Sie spielte die Dame, ließ sich verwöhnen, lockte an, wehrte ab -- sie tat, bei Gott, wie eine Generalstochter ... Als Schwedenklee nach so langer Abwesenheit wieder das Kaffeehaus aufsuchte, fand er die Spielergesellschaft von einer neuen Spielwut besessen wieder. Man hatte die Karten verlassen und war zum Billard übergegangen. Man spielte »vom roten«. Jeder Billardspieler kennt dieses Spiel. Die Karambolage wird nur dann gezählt, wenn der rote Ball zuerst getroffen wurde. Es spielten drei bis vier der besten Spieler, und auf sie wurde gesetzt wie auf Pferde. Die Ärzte, die Rechtsanwälte, die Kaufleute, Spieler und Kiebitze, Kellner saßen und standen in dichten Reihen um das Matchbillard herum, in atemloser Spannung jeden Stoß verfolgend. Schwedenklee wurde freudig begrüßt. »Wie gut Sie aussehen, Schwedenklee!« rief der Nervenarzt Wittmann. »Sie waren also doch verreist!« »Nein, ich war hier, habe gearbeitet und abends ein bißchen Zerstreuung.« »Sie haben Ihr altes Aussehen wiederbekommen, prächtig!« »Ah, der Herr Oberbaurat. Nun wird es interessant! Kellner, das Queue des Herrn Oberbaurat!« Sofort stiegen die Einsätze ums Dreifache. Einige Abende hintereinander spielte Schwedenklee hier vier, fünf Stunden »vom roten«. Es wurden hohe Summen umgesetzt. Seine Kopfstöße, Rückzieher, Zwei- und Dreibänder riefen lautes Händeklatschen hervor. Schwedenklee war bei bester Laune. Selbst das graue kreidige Antlitz des alternden Künstlers, der nun häufiger ins Café kam, störte ihn in seinem jetzigen Gemütszustande nicht mehr. Er genoß den Triumph. Nach dem dritten Abend ließ er seinen schwarzseidenen weitärmeligen Billardkittel von Augusta ins Kaffeehaus bringen, und nun konnte man fast meinen, es mit einem Billardchampion zu tun zu haben. Er mußte seinen Gegnern zuerst zwei Points auf zehn vorgeben, sodann drei. Je länger er spielte, desto vollendeter wurde sein Spiel. »Schwedenklee ist in großer Form!« Man tuschelte. Es war Schwedenklee äußerst angenehm, für einige Abende Zerstreuung gefunden zu haben: es war gewiß das beste Mittel, den Hochmut der kleinen Wiedehopf zu beugen, wenn er eine Woche lang nichts von sich hören ließ. Diese Methode nannte er die Methode des »Aushungerns«, im Gegensatz zur Methode der »Belagerung«, die darin besteht, ununterbrochen um die geliebte Frau zu werben, so daß sie -- wie Schwedenklee sich ausdrückte -- überhaupt »nicht mehr zur Besinnung kam«. In der Tat, die Methode des Aushungerns schien Erfolg zu versprechen. Fräulein Wiedehopf wurde mürbe, schrieb ein violettes Kärtchen: Weshalb hört man nichts mehr von Ihnen? Sind Sie verstimmt? O nein, nein, gar nicht verstimmt, gnädiges Fräulein Wiedehopf. Ganz im Gegenteil! In vorzüglicher -- ich wiederhole: vorzüglicher Laune. Zwei Tage beantwortete Schwedenklee das Billett gar nicht. Dann schrieb er einige höfliche Zeilen: gesellschaftliche Verpflichtungen -- in einigen Tagen aber würde er wieder zur Verfügung sein. »Sonderbare Wesen sind doch diese Frauen!« dachte Schwedenklee, als er nach dem Billardspiel nach Hause ging und den gleißenden Vollmond über den Dächern betrachtete. »Zeigt man ihnen seine Verliebtheit, so neigen sie augenblicklich dazu, ihre Macht zu mißbrauchen, zeigt man Zurückhaltung, so lassen sie sofort wieder alle ihre Künste spielen. Merken sie, daß man sich zurückziehen will, so entdecken sie plötzlich ihre große Liebe. Ja, wie soll man sich bei ihnen zurechtfinden?« »Heiratet man sie, so ist man vollkommen verloren! Sieh dich doch um, Schwedenklee -- die Ehen all deiner Bekannten und Freunde, mit ganz vereinzelten Ausnahmen? Gleichgültigkeit, Untreue, Kampf bis aufs Messer, Lüge. Ja, wie soll man es anstellen? Etwas ist hier sicher nicht in Ordnung, das Leben ist zu kompliziert.« Es war gegen Abend etwas Schnee gefallen -- der Vollmond brachte die Kälte mit -- Schwedenklee steckte das rasierte Kinn wohlig in den Pelzkragen, während er langsam zwischen den hohen Bäumen am Kanal dahinschlenderte. Die Straße war fast menschenleer, nur hinter ihm, in einiger Entfernung, kroch eine hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die zuweilen scharf hüstelte. Die dünne Schneeschicht war an den Sohlen der Passanten haften geblieben, so daß eine Anzahl geisterhafter schwarzer Fußspuren kreuz und quer über die Straße lief, aus dem Unbekannten kommend, ins Unbekannte verschwindend, verwirrend, wenn man sie lange betrachtete. Plötzlich blies ein kalter Hauch in Schwedenklees Genick, ja, so schien es ihm wenigstens. Er blieb erschrocken stehen und fröstelte. Kalte Schauer überrieselten seinen Rücken. Weshalb mußte er gerade in diesem Augenblick an die tote Ellen Fröhlich denken? Und weshalb hatte die Erinnerung an diese Frau den Beigeschmack einer leisen, unerklärlichen Scham? Unergründlich ist das Leben, und auch sein Herz, Schwedenklees Herz, war ein unerforschtes Labyrinth. Weshalb? Weil die Fußspuren schwarz kreuz und quer liefen? Ja, nur aus diesem Grunde! In Paris fällt selten Schnee -- aber einmal hatte er Ellen abends nach Hause gebracht, und durch ihre verschneite einsame Straße liefen genau dieselben schwarzen verwirrenden Fußstapfen. Er sah sie in dieser Sekunde, zierlich, in ihren weiten Mantel eingehüllt, klar vor sich, Schneekristalle glitzerten auf ihren Haaren, und aus dem dunklen Gesicht glänzten heiter und lebensfreudig die Augen. Fast zwanzig Jahre lang hatte diese Erinnerung in seinem Kopfe geschlummert. Fragend, lauschend waren diese Augen gewesen, sie waren bernsteingelb, wenn das Licht voll in sie fiel, dunkel, fast schwarz, wenn sie beschattet waren -- Schwedenklee gab sich mit einer gewissen Wehmut der Erinnerung hin, obgleich ihn dieses unerklärliche Schamgefühl im Innersten peinigte. Er hatte sich jedoch nichts vorzuwerfen, o nein, er erinnerte sich sogar, daß er ihr später zwei- oder dreimal noch geholfen hatte, als sie sich an ihn wandte. Sie war damals Anfängerin und hatte noch zu kämpfen. Plötzlich kroch eisige Kälte an ihm empor. Vielleicht -- wer weiß es -- schritt ihr Geist in der Tat neben ihm? Schwedenklee war sehr abergläubisch. »Ellen Fröhlich!« sagte er leise zu sich, etwas betreten. »Ich habe keine Furcht, an dich zu denken!« Klar bis in die kleinsten und unscheinbarsten Einzelheiten stand vor ihm die erste Begegnung mit Ellen. Er sitzt an einem kleinen Marmortisch auf den großen Boulevards, zwei Damen, Mädchen, nehmen neben ihm Platz. Sie sprechen deutsch, sie sprechen ungeniert und vergessen ganz oder wissen es nicht, daß auf den großen Boulevards in Paris jeder vierte Mensch deutsch versteht. Ihre Ungezwungenheit entzückt Schwedenklee: die jungen Damen sprechen mit einer gewissen Kühnheit von unschuldigen Liebesabenteuern. Eine hat wunderbar warme und weiche Augen, die offenbar die Farben wechseln, von hell zu dunkel leuchten. Zuweilen streifen diese fragenden Augen, lächelnd, voller Übermut, Schwedenklees absichtlich kühl beobachtenden Blicke. Das ist Ellen Fröhlich! Die Freundin ist eine Schwedin, eine Bildhauerin. Die jungen Damen gehen. Sie wandern zu Fuß durch die wimmelnden Straßen bis zum Boulevard Raspail. Die Schwedin verabschiedet sich von der Freundin, die in ein kleines Hotel verschwindet. Es ist sieben Uhr. Als sie um neun Uhr das Hotel wieder verläßt -- wer tritt ihr in den Weg? Schwedenklee. »Ein Landsmann, der das Vergnügen hatte, Ihr Gespräch heute nachmittag im Café zu belauschen, bittet tausendmal um Entschuldigung --« Ihr Blick gesteht, daß sie ihn wiedererkennt. Sie ist verwirrt. Er habe also alles gehört? Ja. Sie bricht in Lachen aus. »Aber,« sagt sie -- »wie kommt es, daß Sie hier sind?« »Ich wartete auf Sie!« »Es ist nicht schön von Ihnen, so etwas zu sagen, selbst wenn Sie es getan haben sollten. Sie hätten sagen sollen: zufällig!« »Gut -- also zufällig!« Schwedenklee war ja nicht zwei Stunden auf und ab gegangen, so war es nicht gerade. Gegenüber lag eine kleine Speisewirtschaft, und hier aß er zu Abend; dann trank er Kaffee, und gerade als er gezahlt hatte, war sie wieder aus dem Hotel getreten. Jedenfalls aber -- sie verzieh -- sie hatte nichts vor, und er brachte sie in ein Tanzlokal, das er als äußerst anständig kannte. Museen, Ausstellungen, Ausflüge, Tanzlokale -- wie Ellen Fröhlich genoß! Sie saugte die Eindrücke in sich, sie staunte, wunderte sich, bewunderte. Ellen sprühte auf, berauscht, verwandelt, verhundertfacht. Und Schwedenklee, obgleich weniger schwärmerisch, lebt und atmet leichter und heiterer in ihrer Nähe. Ja, es war die Jugend, nichts sonst. Die Sonne schien, man fuhr auf dem Dach des Omnibusses, unvergleichlich, herrlich, als sei man nie auf dem Omnibus im Sonnenschein gefahren. »Die Jugend, nichts anderes!« dachte Schwedenklee. »Wie herrlich! Ein Zauber! Ist die Jugend ein Zauber?« Ein Ausflug nach St. Cloud. Vorfrühling. Das erste Grün, einige versteckte Blümchen, die Knospen glänzen, die schwarzen Baumstämme schwitzen Feuchtigkeit. Rasch schnellen die hohen Wasser der Seine dahin. Auf dem Dampfer einige Pärchen -- er und Ellen unter ihnen, zu den »Pärchen« gehören sie! Ein junger Geck mit einem dünnen Spazierstöckchen amüsiert sämtliche Passagiere. Ellen klemmt zu ihrem Vergnügen ein Monokel ins Auge, der junge Geck macht ihr den Hof, und Ellen mustert ihn durchs Monokel und spielt etwas Theater. Wie sie lachten, die »Pärchen«. Ja, worüber lachten sie so furchtbar? Und damals gehörten sie zu den »Pärchen« und waren jung wie die anderen. Der frische Wind hat ihre Gesichter gerötet, die reine Luft hat den Glanz in ihren Augen entfacht. Ihre Stimmen sind klar und laut geworden. Ellen wirbelt und tanzt. Sie kriecht in die triefenden Büsche und findet unter dem faulenden Laub Veilchen und gelbe Sternblumen. Sie steht auf einem Stein und spricht voller Inbrunst ein paar wundervolle Verse, die er vergessen hat. Sie essen zu Abend in einer kleinen Wirtschaft mit fleckigen Tischtüchern und feuchter Tapete. Der Kellner bringt eine verstaubte Macon in einem Körbchen. Sie plaudern. Ellens schöner frischer Mund steht nicht eine Sekunde still. Sie lachen den ganzen Abend. Worüber? Wie herrlich war dieser Tag, wie lang! War es nicht sonderbar, die Tage der Jugend schienen so lang, sie nahmen kein Ende. Was war heute ein Tag? Nichts. Kaum hatte er begonnen, war er schon zu Ende. »Es ist die Jugend, nichts anderes! Es gibt keine andere Erklärung dafür«, rief Schwedenklee aus. »Sie verleiht dem Unscheinbarsten einen zauberhaften Glanz. Ja, wie lang war dieser Tag doch. Reich an Erlebnissen, an guten Einfällen, an schönen Gefühlen. Und Ellen mit dem Monokel auf dem Dampfer! Ja, die Jugend! Und das da, was dahinten keift und hustet« -- Schwedenklee drehte sich um, empört, daß man ihn in seiner Träumerei störte -- »das ist das Alter! Das häßliche Alter!« Die hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die den ganzen Weg hinter ihm herkroch, stand wenige Schritte hinter ihm, mit der Hand an einen Baum gestützt, geschüttelt von einem Hustenanfall. »Das abscheuliche Alter! In zwanzig Jahren wirst du auch so häßlich husten, und die Jüngeren, die nicht gestört werden wollen, werden dich verfluchen. Oh, wie boshaft und grausam ist dieses Leben eingerichtet!« Aber Schwedenklee schüttelte die düsteren Gedanken ab. Ellen! Wo waren wir doch gleich geblieben? Ellen klagte über ihr Hotel. Schwedenklee, befreundet mit dem Pförtner, Kellner und der Besitzerin seines Hotels, arrangierte alles aufs vorzüglichste. Er trat Ellen sein großes bequemes Zimmer ab und bezog eine kleine danebenliegende Kammer. Ellen staunte, wie billig ihr schönes Zimmer war! Ja, man mußte nur Freunde und Beziehungen haben! »Wir werden Ihren Einzug feiern, Ellen, und heute abend zu Hause speisen. Sie sollen sehen. Lassen Sie mich nur machen.« Schwedenklee besorgt den ganzen Nachmittag lang alles, was Paris an leckeren Dingen zu bieten vermag. Geröstete Hähnchen und Hummer, Vorspeisen und Nachtisch, Früchte. Auch Blumen vergißt er nicht. »Muß man in Abendtoilette kommen?« »Es wird gebeten, Ellen!« Von sieben bis acht ist Schwedenklee fieberhaft tätig. Punkt acht Uhr klopft Ellen -- herein! Ellen ist im Abendkleid, er im Frack -- und schon lachen sie, daß sie kaum die Tür zu schließen vermögen. Der Hausknecht, der im Kamin nachlegte -- Ellen sollte es recht behaglich haben -- wird von der Heiterkeit mit fortgerissen. Der Kellner, der den Wein angeschleppt bringt, wird ebenfalls angesteckt, und so lachen sie alle -- weshalb? Gott allein weiß es. Ellen steht und staunt: »Jetzt sehe ich, daß Sie ein Künstler sind, Schwedenklee!« ruft sie aus. »Mein Gott, wir sind ja Hunderte von Personen!« »Sie sind in großer Gesellschaft, Ellen!« Dank Schwedenklees Freundschaft mit dem Pförtner und Hausknecht war es ihm möglich gewesen, einige große Spiegel und Leuchter aus anderen Zimmern des Hotels auszuleihen für den Abend. Die Kerzen blendeten, und infolge der Spiegelung glaubte man in einem langen, sonderbar gebauten Saale voller Lichter und Blumen zu sein. Schwedenklee führte seine Dame zum Sessel -- und im gleichen Augenblick geleiteten Dutzende von befrackten Kavalieren ihre Dame in heller Seide zu Tisch. Er sah Ellen gleichzeitig von allen Seiten, und nie kam ihr herrlicher schmaler Nacken mit dem braunroten Haarknoten reizvoller zur Geltung ... Ellens Augen richteten sich blitzend im Schein der Kerzen auf ihn, und augenblicklich funkelten Dutzende von gleichen Augen von allen Seiten ihm entgegen. »Das Diner kann beginnen, Ellen -- aber ich habe vergessen« -- und er erhebt sich und küßt Ellen auf den Mund. »Willkommen!« Sie errötet. Auch ihr Busen wird behaucht von flüchtigem Rot. »Das Diner kann beginnen«, wiederholt sie mit einem verwirrten Lächeln, mit etwas matter Stimme. * * * * * Schwedenklee war bei seinem Hause angelangt. Automatisch stieg er die Treppe empor, automatisch schloß er auf. So tief war er in die Erinnerung dieses Diners versunken, daß die Kerzen ihn in der Tat blendeten und Ellens zarter wunderbarer Nacken aus all den blitzenden und flammenden Spiegeln ihm entgegenleuchtete. »Und zu denken, daß ich zwanzig Jahre lang nicht an diesen Abend dachte!« sagte er seufzend, als er in das kalte finstere Haus trat, und begann zu pfeifen, um seine melancholische Anwandlung zu überwinden. In diesem Augenblick glaubte er das hastige, ungeduldige Scharren eines raschen Schrittes draußen auf der Treppe zu vernehmen. Irgend jemand, der die Gelegenheit benutzen wollte, ins Haus zu kommen. Aber auch das ist nicht völlig sicher. Jedenfalls wußte Schwedenklee nie zu erklären, was in dieser Sekunde vorgegangen war. Hatte er diesen hastig scharrenden Schritt gehört oder nicht? Es schien ihm später, als ob er in der Tat gar nichts gehört habe, aber ein gänzlich unverständlicher, ja mysteriöser Zwang ihn veranlaßt habe, das Haustor nochmals zu öffnen. Jedenfalls, Schwedenklee ging, ohne viel zu denken, zur Türe, öffnete sie ... Kaum aber hatte Schwedenklee das Tor geöffnet, da erschrak er so heftig, daß er zurückprallte und am ganzen Körper entlang einen Schlag verspürte, wie von einem schweren Eisenstab. Später erinnerte er sich deutlich, daß sich ihm die Haare im Nacken gesträubt hatten, eine Erscheinung, die er bisher nur für eine leere Redensart gehalten hatte. Dicht vor ihm war ein Gesicht erschienen, eine gespenstische Erscheinung, etwas größer als er, die offenbar in diesem Augenblick ausholte, um zu pochen. Gerade diese Geste hatte etwas ungeheuer Drohendes und Erschreckendes an sich gehabt. Die Erscheinung prallte ebenfalls erschrocken zurück und tastete sich hastig rückwärts die Stufen hinab. Das unter einem weichen, flachen Filzhut verborgene Gesicht der Erscheinung glitt durch den Lichtschein der Straßenlaterne, und in diesem Augenblick erkannte Schwedenklee das Gesicht: es war das bleiche, vergrämte Antlitz jenes alternden, verbrauchten Künstlers, das ihm zuweilen unangenehm und störend im Billardsaal des Cafés aufgefallen war. Am Fuße der Treppe blieb die hagere, etwas zusammengekrümmte Gestalt stehen und griff hastig nach dem flachen Hut. Es sah aus, als wollte sie den Hut im Winde festhalten. Im Augenblick, da Schwedenklee das Gesicht erkannte, ließ das tödliche Erschrecken nach. Er öffnete das Tor völlig und machte einen entschlossenen Schritt vorwärts, obgleich der Schrecken noch in all seinen Gliedern zitterte. »Was wünschen Sie?« fragte er, unnötig laut, und seine Stimme bebte noch vor Erregung. Der Hagere wich noch einen kleinen unsicheren Schritt zurück, die Hand aufs Herz gepreßt. Es schien Schwedenklee, als ob er heftig zittere. Deutlich hörte er seinen hastig keuchenden Atem. »Was wollen Sie von mir?« wiederholte Schwedenklee, weniger laut, aber härter im Ton. Er erkannte die völlige Gefahrlosigkeit der Situation. Der Hagere nahm den Filzhut ab und verbeugte sich, den Hut gegen die Brust pressend. Sein graues wirres Haar bewegte sich im Winde. »Ich heiße Blank!« stammelte er, ganz Demut. Seine Stimme klang leise, kaum vernehmbar, heiser dazu. Aber Schwedenklee verstand den Namen augenblicklich! 8 Schwedenklee hatte schon manches erlebt. Nicht ohne weiteres wird man fünfundvierzig Jahre alt! Einmal, zum Beispiel, war in einer hellen, heißen Sommernacht ein Herr auf ihn zugetreten und hatte in liebenswürdigstem Ton gefragt, ob er die Ehre habe, mit Herrn Schwedenklee zu sprechen? Schwedenklee aber hatte kaum bejaht, als der Liebenswürdige schon den Stock gegen ihn schwang. Es stellte sich heraus, daß er der Gatte einer schönen Frau war, mit der Schwedenklee zuweilen im Bristol Tee trank. Damals war es zu einer regelrechten Schlägerei gekommen, und der Eifersüchtige brachte sogar die Passanten gegen ihn auf. Erst als Schwedenklee heilige Eide schwor, daß die bewußte Beziehung völlig platonisch sei, war der Rasende ruhiger geworden. Die schöne Frau hatte ganz einfach gelogen, um ihren Gatten bis aufs Blut zu reizen. Immerhin, Geständnis und Eide in der Bedrängnis waren so peinlich, daß Schwedenklee den Auftritt als einen dunkeln Schatten in seinen Erinnerungen empfand. Ja, schon mancherlei hatte er erlebt, Herr Schwedenklee -- nie aber hatte er sich in einer Situation befunden, die peinlicher und unbehaglicher war. Die unverständlichen Briefe Blanks schossen ihm wirr durch den Kopf, auch sein brutaler Rohrpostbrief, der ihm im Augenblick noch weitaus brutaler erschien, auch jene alberne, pathetische Phrase: »Die Toten greifen nach dir!« Und hier unten also, dieser Grauhaarige, der sich demütig verbeugte und vor Erregung kaum stammeln konnte, das war also Ellens Gatte -- der ihn aus unerklärlichen Gründen zu sprechen wünschte ... Schwedenklee hatte das Gefühl, langsam in den Boden zu sinken. Es schien ihm später, wenn er an diese unbehagliche Szene dachte, als habe er für Sekunden das Bewußtsein verloren gehabt. Er glaubte sich auch zu erinnern, wie seltsame Ahnungen, daß diese Begegnung ungeheure Bedeutung für sein Leben gewinnen sollte, ihn erfüllten und erschreckten. Jedenfalls empfand er deutlich die Ungewöhnlichkeit dieser nächtlichen Begegnung, anders wäre sein Verhalten nicht zu erklären. Verlegen und unschlüssig starrte Schwedenklee auf die hagere Gestalt, die unter ihm stand. Vor kaum fünf Minuten -- sonderbar genug! -- hatte er sich der Erinnerung an Ellen hingegeben. Er konnte Blanks Gesicht nur sehen, wenn ein schwankender Zweig das Licht des Mondes durchließ. Gleich verlegen und hilflos starrten Blanks dunkle Augen aus dem bleichen Gesicht zu ihm empor. Schwedenklees Empfindungen waren Chaos. Er wollte die Türe wütend ins Schloß werfen, wollte seiner Empörung, daß Blank es wagte, ihn zu verfolgen, unverblümt Ausdruck geben -- aber er tat nichts dergleichen. Im Gegenteil! »Herr Blank?« sagte er nach einer Weile, mit einer unsicheren und unterwürfigen Stimme, deren er sich später schämte, und einer verstümmelten Verbeugung. »Sie haben mir geschrieben, Herr Blank?« fuhr er fort, nur um das unerträgliche Schweigen zu unterbrechen. Blank antwortete mit einer Verbeugung. Er erwiderte nichts. Ratlos stand Schwedenklee auf der Treppe. Nacht ringsum, kein Mensch auf der Straße. Und ohne Unterbrechung fühlte er Blanks Blick auf sich gerichtet. Schwedenklee trat wieder etwas mehr in das Haustor zurück. »Vielleicht erklären Sie mir --«, begann er von neuem. Endlich bewegte sich Blank. »Ich handle unter einem geheiligten Willen«, begann er leise, mit heiserer Stimme, aber doch verständlich, ja sogar etwas deklamatorisch, wie Schauspieler es häufig zu tun pflegen. Schwedenklee sah deutlich, daß er hin und her schwankte und nach Atem rang. »Ich bitte um Verzeihung! Ich persönlich würde es ja nie gewagt haben.« Die Hand Blanks fuhr in die Rocktasche, er zog einen hellen Briefumschlag heraus. »Hier«, sagte er, sehr leise. »Ich bitte.« Und er streckte Schwedenklee mit flatternder Hand den Briefumschlag hin. »Die Tote hat mich beauftragt.« Schon streckte Schwedenklee die Hand aus, aber er zog sie sofort wieder erschrocken zurück. Eine tödliche Kälte strömte ihm von diesem Briefumschlag entgegen. Und Schwedenklee sammelte sich zu einem letzten Widerstand. Jene gewisse Brutalität, die, meist schlummernd, einen Teil seines Wesens bildete, erwachte plötzlich und formte seine Gedanken zu einer letzten Abwehr. »Mein Herr! Sie besaßen die Kühnheit, mir eine Anzahl von Briefen zu schreiben, obgleich Sie mir völlig unbekannt sind. Sie verfolgen mich und sind unverfroren genug, mich vor meinem Hause zu überfallen! Ihre Unverschämtheit überschreitet alle Grenzen. Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe mit Ihrem Brief, lassen Sie mich überhaupt zufrieden. Scheren Sie sich zum Teufel!« Das also war es, was Schwedenklee dieser zitternden, hageren Gestalt, die demütig vor ihm stand, entgegenschrie, in äußerster Empörung. Aber was geschah? Blank wagte es, die Treppe emporzusteigen -- und Schwedenklee selbst war es, der ihm höflich das Tor öffnete -- Blank verbeugte sich mit großer Förmlichkeit und trat ein. Schwedenklee hatte diese Ansprache ja nur in Gedanken gehalten. In Wirklichkeit aber hatte er höflich, ergeben in sein Schicksal, wie sein wahres Wesen es ihm befahl, Blank gebeten einzutreten. So geschah es, daß der unheimliche Gast, die »Erscheinung«, wie Schwedenklee in seiner ersten Verwirrung gedacht hatte, zur großen Verwunderung Schwedenklees sich ins Haus tastete. * * * * * »Nun wohl,« dachte Schwedenklee, als er das Licht in der Diele andrehte, halb benommen im Kopf, »es muß wohl so sein. Irgend etwas Merkwürdiges, Unabwendbares ist hier im Spiel. Im übrigen vergessen wir nicht, daß dieser arme Teufel Ellens Gatte ist. Nun, wir werden ja sehen, komme, was kommen soll ...« Ein fadendünner Überzieher mit einem abgeschabten lächerlich schmalen Pelzkragen und zu kurzen Ärmeln, ein schmales, fast schönes, wachsfahles Gesicht, von hundert kleinen Fältchen zerknittert wie Papier, mit einer hohen, mächtigen Stirn, die graue Haarsträhnen umflatterten, mit bläulichen Lippen und fiebrisch glänzenden, dunkeln, aber gutartigen, ja gütigen Augen -- so sah die Erscheinung aus, als Schwedenklee sie bei Licht besah. Ein ins Elend geratener, vergrämter Künstler mit der Miene fatalistischer Hoffnungslosigkeit -- sein erster, obwohl flüchtiger und unbewußter Eindruck war völlig richtig gewesen. Vielmehr noch: ein körperlich und seelisch vollkommen Erschöpfter, der in dem überheizten Zimmer von heftigen Hustenanfällen geschüttelt wurde, während er mit heiserer, bescheidener Stimme Entschuldigungen stammelte. Schwedenklee betrachtete das Abenteuer schon mit ruhigeren Augen. Die Erscheinung hatte gänzlich ihre Unheimlichkeit eingebüßt -- ein Kranker, ein Hilfsbedürftiger, das war alles, was von ihr geblieben war. Ja, schon empfand Schwedenklee, der brutale Schwedenklee, der Leute, die ihn störten, zum Teufel schickte, Mitleid mit seinem Gast. Wie hatte Blank seinerzeit geschrieben? »Mein _krankes_ Gehirn.« Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, war manches nicht mehr ganz in Ordnung bei ihm. Er erweckte ohne Zweifel den Eindruck, besonders diese _leuchtenden_ gütigen Augen! Wir werden sehen, höflich, freundlich, um ihn nicht zu erregen, und dann wird sich ja alles weitere von selbst finden. Schwedenklee setzte also eine alltägliche, freundliche Miene auf, als sei überhaupt nichts Ungewöhnliches geschehen. »Ich bitte doch abzulegen, Herr Blank!« sagte er mit großer Liebenswürdigkeit. Blank schälte sich, verwirrt und zerstreut um sich blickend, aus dem fadenscheinigen Überzieher. Sein Anzug war so jämmerlich, daß Schwedenklee sich betroffen abwandte. »Ich werde ihm helfen!« dachte er nun schon. »Ich habe ja genug alte Kleider, Herrgott noch einmal!« »Mein Benehmen --,« stammelte Blank, während er zu einem Sessel schwankte, »mein Benehmen muß aufdringlich und unverständlich erscheinen. Eine abscheuliche Rolle, die ich nie in meinem Leben spielte -- die ich verabscheue ...« »Ich bitte, Herr Blank.« Blank erhob sich wieder aus dem Sessel und tastete nach Schwedenklees Hand. »Jedenfalls Dank, daß Sie mich nicht abweisen, Herr Schwedenklee!« sagte er mit einem heißen Blick der dunklen Augen. »Allein das teuerste Wesen, das ich besaß, eine Tote, befiehlt und ich gehorche!« »Eine Zigarre vielleicht?« Wollte er doch aufhören, von Toten zu sprechen, dachte Schwedenklee, um Gottes willen! »Nein, unmöglich -- mein Husten --« Schwedenklee war bestrebt, die Peinlichkeit der Situation, die noch immer, wenn auch gemildert, bestand, durch eine zerstreute Geschäftigkeit zu verwischen. Blank saß im Sessel, die Hände auf die Lehne gelegt, und versuchte, ein Zittern, das seinen kranken Körper ohne Aufhören durchlief, zu verbergen. Wie sein Gesicht waren auch die Hände von hundert Fältchen zerknittert, wie weiches Papier. Sie waren lang, wachsfahl und peinlich gepflegt. »Ich zittere noch immer!« begann Blank, seine Schwäche verspottend. »Aber Sie ahnen ja nicht, welche Angst ich hatte, als ich Ihnen folgte«, fuhr er flüsternd, bekennend fort. »Kaum, daß mich die Füße trugen. Schon gestern, vorgestern folgte ich Ihnen, aber ich wagte es nicht. Gestern wollte ich Ihren Namen rufen, aber die Stimme versagte. In der letzten Nacht nun mahnte mich ein Gesicht« -- er hielt inne, als erwarte er, daß Schwedenklee etwas sagen werde, aber Schwedenklee sagte nichts --, »ich legte ein Gelübde ab, und so wagte ich es heute, obschon die Furcht mich fast tötete. Nie werde ich wissen, woher ich den Mut nahm --« »Ich bitte Sie, sich nicht zu erregen, Herr Blank,« entgegnete Schwedenklee, »vielleicht würde ein Gläschen Wein Sie beruhigen?« Hastig war Schwedenklee bemüht, den Gast von dem unheimlichen Thema abzulenken. Ohne jede Frage, eine sehr peinliche Geschichte! Aber es würde sich ja wohl nach einiger Zeit Gelegenheit bieten, den Gast hinauszukomplimentieren. Blank errötete flüchtig, als er die zitternde Hand nach dem Glase ausstreckte. Sein Handgelenk war von einer erschreckenden Magerkeit, wie Schwedenklee es noch nie beobachtet hatte. Langsam und bedächtig schlürfte Blank den Wein, der ihn augenblicklich zu erfrischen schien. Das Zittern seines Körpers ließ nach, ruhig glitt sein Blick durch Schwedenklees Bibliothek. »Was für ein herrlicher Raum«, sagte er, indem er mehrmals nickte und die Lippe hob, als versuche er zu lächeln. »Ich verstehe wohl, daß Sie das Unglück meiden.« Schwedenklee wurde blutrot vor Scham. »Ich verstehe wohl, daß Sie die Armut meiden.« »Verzeihen Sie ...«, stammelte Schwedenklee. »Ich verstehe alles so gut. Ich bin ja selbst nicht anders gewesen -- früher!« »Ich bin, wenn ich offen sein darf,« verteidigte sich Schwedenklee, etwas stotternd, »aus Ihren Briefen nicht recht klug geworden. Zuerst glaubte ich überhaupt an ein Mißverständnis. Ich dachte -- dazu war ich sehr überarbeitet in dieser Zeit.« Blank nickte und hob abwehrend die Hand. »Meine Briefe waren wohl sehr verwirrt? Heute noch bin ich nicht imstande, einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich verstehe Sie jetzt, heute vollkommen, Herr Schwedenklee! Vielleicht dachten Sie sogar, ein Bettler -- oder noch schlimmer: ein Erpresser ...« »Aber nein!« Schwedenklee lachte verlegen. »Wie können Sie so etwas denken. Ich wüßte nicht« -- endlich kam Schwedenklee der rettende Einfall --, »ich ahnte ja nicht -- Sie schrieben mir erst ganz zuletzt, welche Geborene Ihre Frau Gemahlin war.« »Ich nahm in meiner Verwirrung, meinem Schmerze an, jeder Mensch müsse es wissen! Ich glaubte auch, es schon geschrieben zu haben. Habe ich es nicht in der ersten Mitteilung geschrieben?« »Ich bitte Sie, sich jedenfalls in meine Lage versetzen zu wollen, Herr Blank.« Blank schüttelte den Kopf und hob beide Hände beschwichtigend empor. »Kein Wort mehr, ich bitte Sie herzlich. Wer hier um Verzeihung zu bitten hat, das bin ich und nicht Sie!« sagte er mit einer Verbeugung. Zum erstenmal, seit er das Zimmer betreten hatte, blickte er Schwedenklee ins Gesicht. »Sie erinnern sich nicht mehr, daß wir uns schon einmal trafen?« begann er nach einem langen, wie es Schwedenklee schien, forschenden Blick, mit etwas veränderter, leichterer Stimme. »Wir?« Schwedenklees Blick wurde unsicher. Nun wird sich das Geheimnis enthüllen, dachte er voller Spannung und sofort wieder erregt. »Ja, ich hatte schon einmal die Ehre -- vor vielen Jahren. Vor etwa zwanzig Jahren.« »Zwanzig --?« rief Schwedenklee erschrocken aus, als sei so etwas gänzlich unmöglich. »Ja, vor mehr als zwanzig Jahren.« »Mehr als zwanzig!« »Ja, es war in München. Erinnern Sie sich an den Maler Pfitzner?« »Pfitzner? Aber natürlich. Ein guter alter Freund!« »Pfitzner hatte damals seinen ersten Porträtauftrag erhalten und gab seinen Freunden ein Atelierfest, das drei Tage und drei Nächte dauern sollte. Aber schon am ersten Abend gab es Zwistigkeiten. Einer der Gäste war auf Pfitzner eifersüchtig geworden, es kam nahezu zu Tätlichkeiten --« »Richtig, nun dämmert es in mir! Aber Sie, Herr Blank -- ich muß offen gestehen ...« »Vielleicht entsinnen Sie sich noch, daß einer der Gäste sang?« »Ein junger Mann, jawohl.« »Er sang den Prolog von >Bajazzo<.« »Ja! Deutlich erinnere ich mich. Der Sänger stand dicht in meiner Nähe, ich höre heute noch, in diesem Augenblick, seine prächtige, kernige Stimme. -- Aber es ist doch wohl nicht möglich, Herr Blank, daß Sie ...?« rief Schwedenklee mit naivem Erstaunen aus und sprang auf. Blank nickte. »Doch, ich war dieser Sänger!« sagte er errötend, und die Heiserkeit seiner Stimme drückte tiefste Traurigkeit aus. Sofort sah Schwedenklee ein, daß er eine ganz unbegreifliche Taktlosigkeit begangen hatte. »Ist es möglich,« rief er hastig aus, »vor zwanzig Jahren, sogar mehr als zwanzig Jahren, sagen Sie? Um Gottes willen, wohin sind diese zwanzig Jahre nur gekommen? Ja, wunderbar haben Sie damals gesungen -- es ist volle Wahrheit, was ich Ihnen sage, all die Jahre habe ich den Klang Ihrer Stimme im Ohr behalten. Merkwürdig, und Sie erinnern sich meiner noch? Das finde ich erstaunlich.« »Ich erinnere mich noch ganz deutlich an Sie. Sie haben sich nicht sehr verändert.« »Nicht sehr?« »Sie sind etwas voller geworden und etwas breiter. Ich habe Sie auch sofort wiedererkannt, als ich Sie vor Wochen auf der Straße sah.« »Als Sie mich auf der Straße sahen?« »Ja, vor Ihrem Hause«, gestand Blank errötend. »Ich erinnerte mich ganz besonders an Sie, weil Sie auf Pfitzners Atelierfest eine Theorie vortrugen, die mich lange und oft beschäftigte.« »Ich -- eine Theorie, sagen Sie?« »Ja, Sie erklärten, es sei an der Zeit, eine über den Staaten stehende Republik der freien Geister und Künstler zu gründen.« »Ich hätte --?« Schwedenklee war äußerst erstaunt. »Ja, Sie führten diesen Gedanken bis ins einzelne aus und wir hörten voller Interesse zu. Sie sprachen sehr ketzerische und revolutionäre Gedanken aus, und wir waren um so mehr erstaunt, als Sie ja aus Norddeutschland kamen.« Schwedenklee füllte die Gläser. »Sonderbare Einfälle hat man in der Jugend!« rief er lachend aus. »Ja, ganz verrückte Gedanken!« »Sie gingen bald darauf nach Paris. Als ich Pfitzner wieder eines Tages im Atelier besuchte, sagte er mir: Schwedenklee ist nach Paris gegangen, um seine überstaatliche Republik der freien Geister und Künstler zu gründen.« Hier lachte Schwedenklee laut und belustigt auf. »Im nächsten Jahre wurde ich nach Nürnberg engagiert«, fuhr Blank fort, und seine Stimme veränderte sich wieder. »Und hier war es, wo ich Rosa Fröhlich traf«, schloß er leise. »Ja, sie ging damals nach Nürnberg, ich entsinne mich«, warf Schwedenklee etwas unsicher ein. Er war plötzlich rot geworden. »Ich kam mit ihr ins Gespräch und sie sagte mir gleich, daß sie aus Paris käme. Aus Paris? Haben Sie vielleicht zufällig einen Bekannten von mir, einen Architekten Schwedenklee getroffen? -- Nie werde ich Rosas verblüfftes, ja entgeistertes Gesicht vergessen ...« »Ist das Leben nicht sonderbar?« »Ohne daß Sie es ahnten, haben Sie, Herr Schwedenklee, rasch unsere Freundschaft vermittelt.« »Welch merkwürdige Zufälle es gibt!« »So also begann es. Mit Ihrem Namen!« sagte Blank leise und nickte vor sich hin. »So also begann es!« wiederholte er, die Stimme von Trauer überschattet. Sein Blick verlor sich ins Unbestimmte. Er bewegte die dünnen blutleeren Lippen und feuchtete sie mit der Zunge an. Er schien noch um einen Grad bleicher geworden zu sein. Schwedenklee erhob sich und bewegte sich lautlos über die Teppiche. Diese ganze Erde sei in der Tat nichts als ein großes Bauerndorf! Und er erzählte hastig und mit halblauter Stimme einige ähnliche Erlebnisse, die ihm begegnet waren und seine Ansicht bestätigten, daß die Erde nichts als ein Bauerndorf sei. Blank antwortete nicht, er schien gar nicht zuzuhören. Mit aller Umständlichkeit machte sich Schwedenklee eine Zigarre zurecht. Wieder bewegte er sich lautlos über die Teppiche. »Und was ist eigentlich aus Pfitzner geworden?« Er blieb stehen. Aber Blank hörte ihn gar nicht. Er saß, den verschleierten Blick ins Ungewisse verloren. Er hatte vergessen, wo er war, wandelte in einer fernen, unbegreiflichen Welt. Ein wundes Lächeln spielte um seine Lippen. Die schmalen gepflegten Hände lagen regungslos auf den Lehnen des Sessels, sie zitterten nicht mehr, nur sein gebeugter Oberkörper schwankte leise hin und her. Verstohlen blickte Schwedenklee auf die Uhr. Da erwachte Blank aus seiner tiefen Versunkenheit. Er atmete tief auf und blickte sich verstört um. »Verzeihung«, sagte er und schüttelte sich, als friere er. Schwedenklee streckte sich in den Sessel. »Und nun, Herr Blank,« begann er mit einer Stimme, die seinen Gast ermutigen sollte, »Sie hatten mir etwas mitzuteilen?« Blank erschrak heftig. Die nervöse Hand zuckte, seine dunkeln Augen weiteten sich. »Mitzuteilen --?« stammelte er, anscheinend tief betroffen. Schwedenklees Miene, der etwas leichtfertige und gutmütige Gesichtsausdruck, versuchte ihn zu beruhigen. »Ja«, sagte Schwedenklee, sich lächelnd vorbeugend. »Sie schrieben mir in einem Ihrer Briefe, Sie hätten mir Mitteilungen zu machen, die für mich unter Umständen von Interesse sein könnten.« »Schrieb ich das?« Blank erhob sich erregt, ließ sich aber sofort wieder in den Sessel fallen. »Nein, nein, mein Herr,« fuhr er hastig fort, zuweilen errötend, »was ich zu tun habe, ist, Sie tausendfältig um Entschuldigung zu bitten, das ist alles. Ich befinde mich in einem Zustande der Verwirrung, der Verzweiflung -- ja, des, Sie verzeihen, es klingt wie Pose, des Irrsinns. Ich muß um Nachsicht bitten. Ich weiß nicht mehr, was ich in diesen furchtbaren Wochen sagte oder schrieb. Verzeihen Sie mir. Aber, mitzuteilen? Nein, bei Gott, nein! Ich habe Ihnen nichts mitzuteilen.« Rote fieberische Flecke erschienen unter den Augen des fahlen Gesichts. Blank war in großer, ganz unbegreiflicher Erregung. Aber allmählich beruhigte er sich. »Was ich Ihnen gerne sagen möchte, wenn Sie noch eine Minute Geduld mit mir haben wollen,« fuhr er mit ruhigerer, feierlicher Stimme fort, »ist dies --« Er holte tief Atem und senkte den Blick zu Boden. »Meine Gattin, deren Verlust mich nahezu um meine Sinne gebracht hat, sagte mir wenige Stunden vor dem Tode: Gehe zu Schwedenklee und grüße ihn von mir. Sage ihm, daß ich ihm nicht mehr grolle.« »Nicht mehr grolle --?« Schwedenklee horchte auf. »Ja, so sagte sie. Vielleicht aber habe ich auch die Worte verwirrt. Sage ihm, daß ich ihm stets gut war und noch heute gut bin --« Hier wurde Schwedenklee plötzlich ergriffen. »Sagte sie das wirklich?« flüsterte er. »Ja, und sie beauftragte mich, Ihnen dies Bild zu bringen. Es würde Sie freuen, dachte sie. Eine Erinnerung aus der Pariser Zeit.« Blank schlug sich an die Stirn. »Ja, dieses Bild, das war ja die Ursache meines Besuches! Schon habe ich es wieder vergessen, ich sitze hier und plaudere --« Blank erhob sich und tastete nervös die Taschen des Überrocks ab. »Mein Himmel, ich werde es doch nicht draußen verloren haben!« rief er in äußerstem Schrecken. »Nein, hier, gottlob, hier ist es. Das ist ja der eigentliche Grund, weshalb ich Sie aufsuchte.« * * * * * Eine verblaßte Photographie, in Paris aufgenommen -- seinerzeit. In irgendeiner übermütigen Stunde. Eine zierliche Dame, in einem großen Hut -- das Gesicht kaum erkenntlich. Daneben er, Schwedenklee, zwanzig Jahre jünger, mit einem flotten kleinen Schnurrbart. Schwedenklee zerbrach sich den Kopf, wo das Bild aufgenommen sein konnte. Er erinnerte sich nicht mehr. Er trat unter die Lampe und nahm eine Lupe vom Schreibtisch. Nun erkannte er die Züge der jungen Dame wieder, die in all den vielen Jahren nur selten, flüchtig und verblaßt in seiner Erinnerung wieder auflebten. Ein wehmütiges Gefühl überkam ihn -- daß diese herrliche Jugendzeit vorbei war für immer. »Ellen Fröhlich!« sagte er vor sich hin. »Sie hatte zwei Namen«, warf Blank mit verletzter, fremder Stimme ein. »Da Sie sie Ellen genannt hatten, wählte ich ihren anderen Namen. Ellen für Sie, Rosa für mich!« Schwedenklee blickte ihn verständnislos an. 9 Als Schwedenklee am nächsten Morgen, etwas müde und abgespannt, in seinem breiten Himmelbett erwachte, fiel ihm augenblicklich ein, daß er Blank für heute zum Abendessen eingeladen hatte. Was für ein Dummkopf bin ich doch, dachte er, unzufrieden mit sich selbst, immer diese alte Gutmütigkeit. Ich bin wütend über einen Menschen und doch kann ich es mir nicht versagen, den Liebenswürdigen zu spielen. Aber sofort erinnerte er sich auch, daß es ganz unmöglich war, Blank, der Begriffe wie Zeit und Nachtruhe nicht zu kennen schien, auf andere Weise zu verabschieden. Er hatte sich auch in der verflossenen Nacht hin und her überlegt, wie er Blank seine Hilfe anbieten könnte, aber keine Möglichkeit gefunden. Da war ihm der Einfall der Einladung gekommen. Lieber Himmel, dachte er plötzlich erschreckend und setzte sich auf, wie mag dieser arme kranke Mensch in der Nacht nach Hause gekommen sein? Nach dem Osten. Ob er wohl, wie er ihm riet, eine Droschke genommen hatte? Aber vielleicht hatte er gar nicht das Geld dazu? Ich selbst hätte ihm eine Droschke holen und den Kutscher bezahlen sollen -- aber dieser Einfall kam reichlich spät. Etwas Gutes hatte die gestrige Begegnung auf jeden Fall. Schwedenklee fühlte sich erleichtert! Das »im Hintergrund lauernde Schicksal«, wie er sich ausdrückte, hatte sich entschleiert. Obgleich Schwedenklee eigentlich nicht an Gott, an ein zweites Leben, an Auferstehung, Seelenwanderung und derartige Dinge glaubte, glaubte er doch an mystische Einflüsse, an ein Fatum, das unheilvoll in das Leben eines Menschen eingreifen konnte. In den zwei letzten Jahren hatte er sich unsicher gefühlt. Es war ihm, als wäre er von heimtückischen Gefahren umlauert. Einer seiner Bekannten starb plötzlich am Herzschlag, und schon dachte er: wer weiß es, ob du morgen erwachen wirst? Zuweilen sah er sich alt und krank als Bettler auf der Straße stehen und der Wind blies eisig. Oder ein unheilbares Leiden befiel ihn, zum Beispiel Krebs. Ganz deutlich spürte er die fortwährende Drohung feindseliger Mächte, und nur so -- nicht anders -- läßt es sich erklären, daß die Briefe Blanks auf ihn einen solch ungeheuren Eindruck machten. Nun also kam es, heimtückisch schlich es näher, um ihn zu umstricken und zu vernichten! Deutlich witterte er die Vorboten eines bösen Schicksals, das seine Demütigung und Vernichtung beschlossen hatte. An diesem Morgen atmete er seit vielen Wochen befreit auf, seine düsteren Grübeleien erschienen ihm unsinnig und albern. Seine Hilfsbereitschaft für Blank entsprang ebenfalls, ohne daß er sich dessen bewußt wurde, diesem Gefühl der Erleichterung und einer gewissen Dankbarkeit gegen das Schicksal, das sich ihm nicht ungnädig gezeigt hatte. Werde ich ihm denn abgelegte Kleider geben können? dachte er. Vielleicht aber wird es ihn verletzen? Also Geld. Aber wieviel und in welcher Form? Man könnte ihm auch einen Korb mit Früchten und guten Sachen schicken, eine Flasche Kognak dazu. Das war ein ausgezeichneter Einfall, und Schwedenklee beschloß, noch heute den Korb zurecht machen zu lassen. Den ganzen Vormittag war Schwedenklee mit dem gestrigen Abenteuer beschäftigt. Blank hatte ihm, mit einer gewissen Schwatzhaftigkeit, im Laufe der Nacht sein Herz ausgeschüttet, er hatte ihm jede Einzelheit seines Lebens erzählt -- und all das nur aus dem Grunde, weil er einige Wochen lang eine Liebschaft mit seiner Frau gehabt hatte! Notabene: noch bevor sie überhaupt seine Frau war ... Schwedenklee konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er ging an den Schreibtisch und nahm -- seine Hand zitterte etwas -- das verblichene Bild aus dem Schubfach. Bei Tageslicht war das Gesicht unter der Lupe etwas deutlicher zu erkennen. Lange, mit einer Art furchtsamer Neugierde, betrachtete er das Bild, und sonderbarerweise begann sein Herz stark zu klopfen, als wäre es frevelhaft, dieser Toten ins Gesicht zu sehen. Je länger er das verblaßte Bild betrachtete, desto klarer formte es sich in seiner Phantasie, und plötzlich stand es, wie durch ein Wunder, lebendig vor ihm. Ellen hatte Grübchen in den Wangen gehabt, auf der einen Wange war das Grübchen um ein geringes tiefer als auf der andern -- das fiel ihm jetzt ein, obschon die Grübchen auf dem verblaßten Bild nur dann zu erkennen waren, wenn man wußte, daß sie existierten. Er erinnerte sich an ihre schönen weißen Zähne, die sich beim Lachen ganz entblößten, als lachten sie mit -- und wie scharf waren diese Zähne gewesen! Er erinnerte sich an die Glätte ihrer Haut, die er nie wieder gefunden hatte bei einer Frau, an die Ebenmäßigkeit ihres zarten Körpers, die weiche Biegsamkeit ihrer schlanken Taille. Klar sah er in diesem Augenblick die Modellierung ihrer sanften Schultern vor sich. Zartheit, Behutsamkeit, Stille und unendliche Sanftheit ging von dieser Frau aus. Ihr Schritt war still, die Berührung ihrer Hand leise. Schmiegte sie sich an ihn, so war es kaum zu fühlen, und doch war die Berührung unsagbar innig. Ja, jetzt in dieser Sekunde fühlte er deutlich ihre zärtliche Liebkosung. Sein Herz wurde schwer und er legte das Bild zurück. »Ein rührendes Wesen, in der Tat«, sagte er. »Vorbei -- tot! Ja, das Leben ist eine höllische Einrichtung!« Traurig das Schicksal dieser Frau, die das Leben so heiß geliebt hatte. Von Paris war sie in ein Sommerengagement nach Nürnberg gegangen. Daran erinnerte er sich noch deutlich. Sie hatten noch einige kurze Briefe gewechselt, bis die Korrespondenz plötzlich ohne jeden sichtbaren Grund einschlief. In Nürnberg hatte sie Blank kennengelernt, der sie -- wie er selbst gesagt hatte -- liebte, bevor er sie sah. »Ich sah sie noch gar nicht. Die Tür ging auf -- ihre Seele strömte vor ihr her. Wer kommt hier? dachte ich. Und ich liebte diese Frau, die im Begriffe stand, über die Schwelle zu treten, bevor ich sie überhaupt sah. Es ist mir heute noch rätselhaft!« Blank sollte in Köln gastieren. Sie begleitete ihn. Er sang »um Rosa«. Er gefiel, zweijähriger Kontrakt, auch Ellen wurde engagiert. Sie heirateten auf Grund dieses Engagements. Drei Jahre hier, zwei Jahre dort, in kleineren und größeren Provinzstädten -- ein Nomadendasein, fröhlich und heiter ertragen, obwohl voller Sorgen. Plötzlich aber ging es in die Höhe: München, Mannheim, endlich Dresden! Blank hatte den Gipfel erreicht. Das Dasein der beiden war ohne Sorgen -- einen Pelzmantel mit Bärenkragen trug Blank, wie er sagte. Sie reisten im Sommer nach der Schweiz, ans Meer. »Nie gab es wohl zwei glücklichere Menschen als uns beide! Ein Kreis prächtiger Freunde, immer Blumen in den Zimmern, und ein Heim, das widerhallte von der herrlichsten Musik! Der und der spielte Cello, der und der Geige, der und der den Flügel -- erste Künstler, die in der ganzen Welt konzertierten. Berühmte Dirigenten aßen bei uns zu Abend. Und Rosa im Mittelpunkt, Rosa umschwärmt, bewundert, geliebt ...« In Dresden aber holte Blank das Geschick ein. Eine Erkältung, wenig beachtet. Eine Wucherung an den Stimmbändern. Blanks Laufbahn als Sänger war besiegelt. Ellen dagegen spielte noch, sie erhielt ihn Jahre hindurch. Kuren, Ärzte. Der Niedergang begann. Schließlich erkrankte auch Ellen, die Lunge. Das war das Ende. Furchtbarer Sturz in das tiefste Elend. Auch Blank wurde brustkrank. »Wir liefen um die Wette nach dem Tode, Rosa und ich. Sie hat das Ziel zuerst erreicht, aber ich bin nicht weit hinter ihr.« Gestorben an der Schwindsucht, zwei Menschen trugen sie zu Grabe ... »Arme Ellen!« sagte Schwedenklee und legte das Bild zurück in das Schubfach. Er war in solch melancholische Stimmung geraten, daß er, was selten vorkam, schon am Nachmittag das Stammcafé aufsuchte. Hier saß er an einem kleinen Marmortisch und sah lustlos zu, wie der Rechtsanwalt Cohnstamm mit dem Polizeileutnant Hammerstein eine Cadrepartie auf dem Matchbillard ausfocht. Er war wortkarg und zerstreut, trank ohne Genuß seine Tasse Kaffee. Der Rechtsanwalt erbat seinen Rat bei einer schwierigen Stellung. Sprang Schwedenklee auf, wie es sonst seine Art war, um sein Licht leuchten zu lassen? Er zuckte gleichgültig die Achseln. »Und zu denken, wie diese Ellen lachen konnte! Wie sie es verstand, auch das Nichtigste zu genießen! Und wie drollig sie sein konnte! Immer bereit zu einem übermütigen Streich!« Der Oberkellner näherte sich, zutraulich: Es seien schon große Beträge auf Herrn Oberbaurat für heute abend gesetzt. »Ich werde heute abend nicht spielen«, sagte Schwedenklee, mit Falten in der Stirn. »Ich habe Gäste zu Hause.« Schon um einhalb acht Uhr begab sich Schwedenklee nach Hause. Er freute sich auf Blanks Besuch. Ja, er freute sich, ist es zu glauben? »Und gestern zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ihn loswerden könnte!« * * * * * Schwedenklee bekümmerte sich eigentlich nie um die Wirtschaft. Seine ganze Tätigkeit bestand darin, jeden Monat das Wirtschaftsbuch nachzuprüfen. Er nahm sich natürlich nie die Mühe, das Buch wirklich nachzusehen, da aber Augusta den Eindruck gewinnen solle, als ob er ganze Nächte hindurch rechne, so ließ er das Buch stets einige Tage liegen. Einmal half ihm der Zufall. Er addierte eine Seite, eigentlich aus Zerstreutheit, es stimmte nicht. »Sie haben sich hier zu Ihren Ungunsten getäuscht, Augusta!« Es war wirklich eine Fügung des Himmels, geschehen vor drei Jahren. Seit dieser Zeit öffnete Schwedenklee dieses furchtbare Wirtschaftsbuch überhaupt nicht mehr. Seine Anordnungen pflegte Schwedenklee in lakonischer Kürze zu erteilen, häufig schrieb er sie auch auf einen Zettel. Ja, er liebte Scherereien nicht, Schwedenklee. Es ging wunderbar. Auf den heutigen Abend aber hatte er Augusta besonders hingewiesen. Es war seine Absicht, Blank mit der größten Sorgfalt zu bewirten. Dieser arme Teufel sollte noch einmal eine Freude haben in seinem Leben ... Das Unglaubliche geschah. Schwedenklee inspizierte das Speisezimmer. Augusta hatte sich wirklich Mühe gegeben. Man konnte jedermann empfangen, einen Fürsten, wenn es sein mußte. »Und wie war das eigentlich, auf dem Atelierfest von Ellens Freundin, der schwedischen Bildhauerin, wie hieß sie doch -- sagen wir: Fräulein Svenska?« fragte sich Schwedenklee, als er, in der Bibliothek auf und ab gehend, auf Blank wartete. Es war da jemand, der die Mundharmonika spielte, und man saß, da nicht genug Stühle da waren, auf dem Boden -- nicht wahr? Es war ein Kostümfest! Mein Gott, was konnte man doch damals alles machen. Man drehte den Rock um, band sich ein Taschentuch um den Hals: schon war man ein Apache! Es war eine ungeheure Hitze in dem Atelier, ganz richtig. Man trank schwedischen Punsch, und schon nach dem ersten Glas änderte sich der Glanz von Ellens Augen. Ja, jetzt fiel es ihm ein: Sie, Ellen, führte ihn in einen Winkel neben eine der mit nassen Tüchern verhängten Tonbüsten und schlang die Arme zart und weich um seinen Hals. »Dich werde ich ewig lieben!« flüsterte sie. Da ertönte die Klingel: Blank! Schwedenklee spürte noch Ellens weiche Arme, ihre Stimme flüsterte dicht an seinem Ohr, als Blank eintrat. Er errötete, als er Blank die Hand reichte. 10 Blank hatte sich in große Gala geworfen. Er trug unter dem fadendünnen Überzieher mit dem abgeschabten Pelzkragen einen grauen, dünnen Gehrock, einen schlechtgebügelten Kragen, eine alte flotte graue Binde. Die Knöpfe der altmodischen Weste waren aus Glas und einer fehlte. Seine Hände waren gepflegt, wie gestern, die Manschetten ausgefranst, aber peinlich sauber. »Wie glücklich ich bin!« rief er mit seiner heiseren Stimme etwas theatralisch aus und drückte Schwedenklee die beiden Hände, mit einer Herzlichkeit, die Schwedenklee in Verlegenheit brachte. »Ich freue mich, daß Sie heute viel wohler aussehen«, erwiderte Schwedenklee, der das Bedürfnis empfand, seinem Gaste seinerseits etwas Angenehmes zu sagen. In der Tat, die Leichenblässe, die Blank gestern zeigte, schien heute etwas gemildert. »Wohler?« Blank lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich lag den ganzen Tag mit Fieber zu Bett.« »Und Sie haben nicht einfach angerufen?« »Dieses bißchen Fieber sollte mich abhalten? Bei meinem Gesundheitszustand ist es ja völlig einerlei, ob ich mich schone oder nicht. Könnten Sie auch nur ahnen, wie ich mich auf das Zusammensein mit Ihnen freute!« Beim Anblick der gedeckten Tafel blieb Blank vor Erstaunen auf der Schwelle stehen. »Ist es möglich?« rief er aus. Augusta hatte sogar einen Strauß Maiglöckchen in die Mitte des Tisches gestellt. Das helle Speisezimmer war von einem herrlichen Duft erfüllt. »Ist es möglich? Für mich diese Mühe! Nie werde ich Ihnen das vergessen.« Und wieder drückte er Schwedenklees beide Hände, während er bemüht war, seine Ergriffenheit zu verbergen. Lebhaft fuhr er fort: »Ich weiß ja wohl, daß Sie ein Künstler im Arrangement von Festen sind! Rosa erzählte mir, daß Sie ihr einst in Paris -- Himmel, daß ich Sie nicht belauschen konnte! -- ein Abendessen gaben, mit Dutzenden von Kerzen, deren Glanz sich in geschickt aufgestellten Spiegeln verhundertfachte. Vielleicht erinnern Sie sich noch? Ja, Sie erinnern sich -- ich sehe es --« »Sonderbar, gerade dieser Tage --« »Verzeihen Sie mir, ich sehe, daß es Ihnen nicht angenehm ist, an vergangene Zeiten erinnert zu werden. Ich muß Sie um Nachsicht bitten, wenn ich im Laufe des Abends dann und wann auf das Vergangene zurückkomme. Ich fürchte, ich kann nicht anders, denn gerade die Qual, die ich bei jeder Erinnerung empfinde, ist mir eine Wollust. Ich darf Ihnen wohl sagen, daß Rosa mir alles aus ihrem Leben erzählte, jede Einzelheit. Ich bitte auch, obschon es unnötig genug erscheint, erklären zu dürfen, daß nicht das geringste Arg gegen Sie in meinem Herzen ist. Wie sollte es auch? Einmal war ich ja sehr eifersüchtig auf Sie« -- Blank lächelte schmerzlich -- »furchtbar eifersüchtig, ich gestehe es Ihnen offen. Ich haßte Sie, Sie ahnen nicht, wie ich Sie haßte.« Blank errötete und seine dunkeln Augen glühten -- allein bei der Erinnerung an diesen Haß. »Ich begreife nicht, weshalb haßten Sie mich?« »So wahnsinnig hatte mich die Eifersucht gemacht. Ich hatte natürlich nicht den geringsten Grund. Nun, es ist lange her -- zwanzig Jahre. Heute empfinde ich für Sie nur Freundschaft und Zuneigung, ohne zu erwarten, daß Sie meine Gefühle erwidern. Darf ich dieses Glas auf Ihre Gesundheit leeren?« Mit einem tiefen, wunderbar warmen Blick der dunkeln Augen und einem schönen Lächeln des verwüsteten Gesichts hob Blank das Glas ins Licht. »Wenn jemand hier Ursache hätte, böse zu sein,« fuhr er mit großer Lebhaftigkeit, leise lächelnd, fort, »so wären ja wohl Sie es!« »Ich? Aber, ich bitte --« »Gewiß, Sie! Denn ich war es ja, der Ihnen diese wundervolle Frau entfremdete -- in einer Zeit, da sie noch sehr an Ihnen hing.« Schwedenklee hob verwundert den Blick vom Teller. »Noch an mir hing?« fragte er, errötend und geschmeichelt. »Ja! Es war nicht so einfach, wie es heute aussieht ...« »Nicht so einfach?« »Nein, ganz im Gegenteil -- es war sehr schwer!« »Reden wir nicht mehr davon«, brummte Schwedenklee. Nichts mehr von der Peinlichkeit des gestrigen Abends. Man plauderte wie alte Bekannte. Blank, dessen krankhafte Erregung gestern Schwedenklee folterte, war heute viel ruhiger und beherrschter. Er zeigte sich als ein Mann von den besten gesellschaftlichen Formen, wenn er auch seine weltmännischen Allüren etwas zu stark betonte. Schwedenklee liebte es nicht, bei Tisch viel zu reden, er antwortete nur träge und zerstreut. Blank dagegen sprach mit großer Lebhaftigkeit, die Rede, begleitet von lebhaften Gesten, schien ihm eine wahre Wohltat zu sein. Seine Wangen färbten sich, seine Augen sprühten. Er fühlte sich wohl, er fühlte sich fast wie zu Hause, nach dem zweiten Glas nannte er Schwedenklee, der zuweilen seine Sicherheit verlor, sogar manchmal »lieber Freund«. Ja, dann und wann hatte Schwedenklee den Eindruck, als spielte Blank den Überlegenen. Augusta hatte sich in der Tat alle Mühe gegeben und ein vorzügliches Menü zusammengestellt. Sie servierte aber schmollend. Sobald sie Blank erblickt hatte -- sie starrte förmlich auf die ausgefransten Manschetten -- hatte sie nur verächtliche Bewegungen. Jede Geste von ihr sagte: und wegen dieses Bettlers lassen Sie mich den ganzen Tag herumrennen? »Eine Flasche Selters, Augusta«, sagte Schwedenklee mit einer gewissen rügenden Schärfe, und Augusta zog brummend ab. Trotz des vorzüglichen Menüs und des herrlichen Weins fühlte sich Schwedenklee nicht recht behaglich, ja vorübergehend war er sogar den Anwandlungen einer schlechten Laune unterworfen. Die Lebhaftigkeit Blanks störte ihn. Er hätte Blank gerne -- so albern es ihm selbst vorkam -- bescheidener und demütiger gesehen. Nein, von den ausgefransten Manschetten wollte er natürlich nicht sprechen, aber daß Blank, den er gestern von der Straße aufgelesen hatte, den er aus purer Gutmütigkeit zum Essen eingeladen hatte, ihn »lieber Freund« nannte -- war das ganz in Ordnung? Mit einem gewissen Neid prüfte er zuweilen mit verstohlenen Blicken Blanks Erscheinung. Ohne Zweifel mußte er vor Jahren von großer, ja seltener Schönheit gewesen sein. Noch jetzt wirkte sein großgeformter Musikerkopf imposant. In dem bleichen, zerknitterten Gesicht glühte ein Paar wundervoller Augen. Was für Augen habe ich dagegen? dachte Schwedenklee. Diese dunkeln Augen schienen das einzig Lebendige -- Überlebende -- in dem wachsfahlen Gesicht zu sein. Sie waren Feuer, Gedanke, Seele, Jugend, sie waren dreißigjährig, das Gesicht fünfzig-, hundertjährig, wenn man will. So oft Schwedenklee von einer dieser Anwandlungen schlechter Laune ergriffen wurde, verbarg er sie hinter ausgesuchtester Höflichkeit: »Bitte zuzugreifen -- bitte sich zu bedienen!« »Ich sehe, ich ermüde Sie mit meinem Redestrom«, rief Blank aus. »Ich muß auch in dieser Hinsicht um Ihre Nachsicht bitten. Seit Jahren habe ich fast nie mehr mit einem gebildeten Menschen gesprochen. Sie ahnen nicht, welcher Genuß für mich Ihre Gesellschaft ist. Bedenken Sie, diese Menschen, mit denen ich noch zusammenkomme -- oh, mein Gott, welches Niveau! Sie, mein verehrter Freund, der es wagte, einen Bettler ins Haus zu laden ...« »Jeder Mensch kann einmal eine unglückliche Periode --« murmelte Schwedenklee. »Einen Bettler, sage ich, was bin ich sonst? Sie verkehren mit einem vom Unglück Gezeichneten auf gleich und gleich -- unterbrechen Sie mich nicht -- wer tut das noch? Es ist das _Alleraußergewöhnlichste_ in der heutigen Gesellschaft! Sie bewirten einen Mann, der gewissermaßen an einem Wendepunkt Ihres Lebens als Ihr Rivale auftrat. Wie gut Rosa Sie doch kannte! Sie kennen keine Vorurteile, keine kleinlichen Gefühle.« »Ich bitte!« stammelte Schwedenklee, aufs tiefste beschämt. Nichts ist ja peinlicher, dachte er, als derartige Lobeshymnen anhören zu müssen. Mein Himmel, diese liebe Ellen, was für Vorstellungen sie wohl von mir gehabt haben mag! * * * * * »Dieses Glas dem Gedächtnis Rosas!« sagte Blank feierlich nach dem dritten Glase und ließ den Wein im Licht funkeln. Obschon den Tod im Antlitz, sah er schön aus in diesem Augenblick. Später, wenn Schwedenklee sich an den Abend erinnerte, sah er Blank immer in dieser Geste vor sich. Schwedenklee tat ihm Bescheid. Aber Blank erhob sich vom Sitze, und so konnte auch Schwedenklee, dem jede Exaltiertheit ein Greuel war, nicht sitzenbleiben. Wenn er nur diese theatralischen Manieren sein ließe, dachte er, tief unglücklich. Lange verharrte Blank in Schweigen und Versunkenheit. Aber seine Augen, ohne Blick auf einen Stich an der Wand gerichtet, leuchteten verklärt. Augusta servierte mit verdrossener Miene den Nachtisch. Plötzlich fühlte Schwedenklee Blanks Auge auf sich gerichtet. Er hob die Lider und begegnete einem forschenden, sonderbar und befremdend forschenden, grübelnden, bohrenden Blick, dessen Ausdruck sich indessen augenblicklich änderte. »Ich dachte eben --« begann Blank mit sonderbar leiser, heiserer, zerstreuter Stimme. »Sie dachten --?« »Ja.« Blank sammelte sich. »Ich dachte: wie merkwürdig es ist, daß wir beiden hier beisammensitzen.« »Was ist daran so merkwürdig?« sagte Schwedenklee, schon etwas gelangweilt. Was kümmerte ihn schließlich dieser Blank, was kümmerte ihn schließlich diese Ellen? Nichts, letzten Endes gar nichts. Er fing an, die Einladung zu bereuen. »Merkwürdig ist natürlich ein falscher und völlig unzulänglicher Ausdruck«, fuhr Blank mit leiser Stimme fort. »Dieser Augenblick bedeutet mehr! Er ist erhaben, nichts anderes als erhaben! Wir drei -- geeint -- in diesem Augenblick!« »Wir drei? Geeint?« »Ja!« Blanks Augen weiteten sich. »Nur uns beide, Sie und mich, hat diese wunderbare Frau in ihrem Leben geliebt. Hier sitzen wir beide nun -- und sie -- sie ist bei uns! Und sie ist glücklich!« Es entstand eine Pause. »Glauben Sie denn an diese Dinge?« fragte Schwedenklee dann betroffen und etwas bleich. »Ob ich daran glaube? Es ist für mich Gewißheit, daß sie in diesem Augenblick gegenwärtig ist. Ich empfinde es deutlich. Ein Strom von Glück durchrinnt mich. Sie segnet uns aus einer unbegreiflichen, vollkommeneren Welt.« Schwedenklee schüttelte den Kopf. »Der Gedanke wäre unerträglich, daß Verstorbene uns beobachten.« Er erhob sich sogar vor Erregung. »Weshalb unerträglich?« Blank lächelte voller Nachsicht. »Ja, unerträglich!« wiederholte Schwedenklee an Stelle einer Antwort und sah gereizt aus. Er ist doch wahnsinnig, dachte er, ganz im geheimen. Blank schwieg und versank in Gedanken. »Sie war ein Genie der Liebe«, hub er nach langer Pause, als spräche er für sich, von neuem an. »Stellen Sie sich eine Pflanze vor, die täglich neue Blüten treibt, immer schönere, immer herrlichere Blüten -- so war sie! Sie konnte lieben, wie nie ein Mensch liebte! Die Liebe machte sie genial, schöpferisch. Denken Sie, sie wachte eine ganze Nacht, saß aufrecht neben mir und sagte am Morgen: ich wollte dich eine ganze Nacht lang atmen hören! Denken Sie: Rosa war eine leidenschaftliche Raucherin. Sie rauchte zwanzig bis dreißig Zigaretten am Tage. Wenn ich aber verreiste, auf ein Gastspiel, und sie konnte nicht mitkommen -- all die zwanzig Jahre waren wir zusammengerechnet nicht vier Wochen voneinander getrennt! -- so rauchte sie nicht. Das sind natürlich nur geringfügige Beispiele, schlecht gewählt dazu. Tausende solcher Züge könnte ich Ihnen berichten. Sie war ein unerschöpfliches Wunder. Nein, mein verehrter Freund, Sie haben sie nicht gekannt! -- Gottlob, sage ich,« fügte er mit einem eigentümlichen, verletzenden Lächeln hinzu, »denn sonst wären Sie _seinerzeit nicht eine Stunde länger in Paris geblieben. Nicht eine Minute!_« Triumphierend rief Blank dies plötzlich mit seiner heiseren Stimme Schwedenklee ins Gesicht. Schon keimte ein sonderbares Gefühl des Neides in Schwedenklee auf. Und Unmut über das Betragen seines Gastes. Man soll mit Leuten vom Theater nichts zu tun haben, dachte er. Diese Pathetik, diese Theatralik, die Bühne verdirbt den Menschen! Er wurde dunkelrot im Gesicht. Blank entging diese Veränderung Schwedenklees völlig. »Rosa erwartete Sie damals!« fuhr er geheimnisvoll und erregt fort. »Ich sagte Ihnen ja, in der ersten Minute -- unvergeßlicher Augenblick! -- fiel Ihr Name. Ihr Name war es ja, der rasch eine Verbindung zwischen uns herstellte, erst später begriff ich es. >Schwedenklee,< sagte sie, >oh, Sie kennen ihn? Er wird wohl in den nächsten Tagen ebenfalls hier sein!<« »Sie glaubte also, daß ich kommen würde?« »Sie äußerte diesen Gedanken wiederholt. Aber Sie kamen nicht. Vierzehn Tage lang wurden Sie erwartet. Dann sprach sie nicht mehr davon. Aber ich fühlte deutlich, daß sie litt.« »Litt?« »Ja. Ich -- ohne Besinnung vor Eifersucht -- fühlte es allzu deutlich.« »Ich hatte seinerzeit -- bestimmte Studien hielten mich in Paris fest --« Spöttisch war Blanks Blick. »Ich zitterte -- ich spreche offen -- jeden Tag, daß Schwedenklee eintreffen könne. Aber Schwedenklee _kam nicht_!« »Nein!« warf Schwedenklee mit schwankendem Blick ein. »Er kam nicht!« »Und da fühlte ich -- beruhigt, daß Sie Rosa in Wahrheit nicht liebten. Sie waren ja unabhängig, Sie konnten reisen --« »Ich? Wieso? Woraus schließen Sie, daß ich Rosa oder Ellen nicht liebte?« Schwedenklee setzte sich zur Wehr. »Weil Sie nicht kamen!« triumphierte Blank. »Das sagt nichts«, knurrte Schwedenklee. »Doch, es sagt alles!« ereiferte sich Blank, unter dessen Augen rote Flecke erschienen, in großer Erregung. »Sie hätten kommen _müssen_!« »Aber Sie sehen ja, daß ich nicht _kam_!« rief Schwedenklee, ebenfalls außerordentlich erregt. »Ja!« Blank lehnte sich triumphierend zurück. Sein Auge funkelte. »In der Tat, Sie kamen nicht! Sie waren leichtsinnig, Sie ahnten gar nicht die Bedeutung dieser Tage! Sie ahnten gar nicht, daß es um das Glück Ihres Lebens, um Ihr Lebensglück ging --« »Sie werden mir mehr und mehr unverständlich, Herr Blank«, entgegnete Schwedenklee und zog die Brauen hoch. »Wieso? Aber ich bin ja der einzige, der ermessen kann, was Sie weggegeben, was Sie verschwendet, was Sie achtlos fortgeworfen haben. Ich! Ich allein! Zwanzig Jahre Glück -- wissen Sie, was das bedeutet?« rief Blank triumphierend aus. »Verstehen Sie, was zwanzig Jahre Glück bedeutet? Als Rosa starb, küßte ich sie, und ich fühlte, wie sie versuchte, mich wiederzuküssen, obschon sie halb bewußtlos war. Ich küßte sie, als sie schon erkaltete. Das ist das Glück von zwanzig Jahren! Verstehen Sie? Ich küßte sie in den Tod. Und wenn ich sterbe -- bald! -- so werde ich ihr meine Küsse _entgegensenden_! Das ist das Glück von zwanzig Jahren. So steht es also. Sie sind reich -- ich bin ein Bettler und weiß nicht, wovon ich morgen leben soll. Und doch: ich würde für nichts mit Ihnen tauschen, für nichts!« Hier wurde Schwedenklee wirklich böse. »Schweigen Sie doch endlich!« schrie er, indem er aufsprang, rot vor Zorn. Blank, der sich in der Erregung ebenfalls erhoben hatte, taumelte, wie von einem Schlage getroffen, zurück. Er rang nach Atem. Dann streckte er Schwedenklee flehend die mageren Hände entgegen, er rang diese Hände, daß die Finger knackten. »Verzeihen Sie mir!« schrie er. »Ich weiß nicht, was ich tue!« Er war einer Ohnmacht nahe. »Ein Glas Wasser!« stammelte er, und Schwedenklee sah, daß sich ganz plötzlich Blanks von hundert Fältchen zerknitterte Stirn mit unzähligen kleinen Schweißperlen bedeckt hatte. Mit zitternden Händen griff er nach dem Glas Wasser. Sein Blick war scheu, Vergebung heischend. Der Blick eines Menschen, der Jahre hindurch sich demütigen mußte -- oh, wie abscheulich! * * * * * Ja, grausam und unerbittlich sind die Menschen. Ein Mensch mit 39 Grad Fieber kommt zu ihnen -- trotz dem Fieber! Sie sind gerührt. Aber wenn der Fiebernde sich nicht wie ein normaler Mensch benimmt, gleich verwünschen sie ihn. Als man bei Kaffee und Likören in der Bibliothek saß, hatte Blank sich vollkommen wiedergefunden. Man plauderte über Theater, Oper, Bühnenkünstler, Dirigenten, und Blank wußte anregend zu erzählen. Der Name Rosa-Ellen fiel nicht mehr. Schließlich erhob sich Blank und ging an den Flügel. »Einmal noch wollen wir es versuchen!« sagte er, und seine langen blassen Finger glitten scheu und zögernd, als fehle ihm der richtige Mut, über die Tasten. Großer Ernst war über sein weißes Antlitz gebreitet. Er sang. Eine italienische Romanze, schwermütig, mit Anläufen der Hoffnung, zuweilen geheuchelt heiter. Schwedenklee verstand nicht ganz den Text. Blanks Stimme klang anfangs heiser und kraftlos, bald aber leuchteten einzelne Töne klar und hell auf, und schließlich floß die Stimme groß und gleichmäßig dahin. Mit Inbrunst, erschüttert sang Blank, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Welch herrliche Stimme er gehabt haben muß, dachte Schwedenklee, der sich bedrückt in eine Ecke zurückgezogen hatte. Da machte ein hartnäckiger Hustenanfall Blanks Gesang ein Ende. Er führte das Taschentuch an die Lippen. Entmutigt und still erhob sich Blank, den Blick zu Boden gerichtet. Er reichte Schwedenklee die Hand. »Leben Sie nun wohl, Herr Schwedenklee, und Dank für diesen Abend!« sagte er und wandte die glänzenden Augen Schwedenklee zu. * * * * * Auch Schwedenklee griff nach dem Hut. »Ich bitte dringend, sich nicht bemühen zu wollen.« »Ich habe das Bedürfnis, noch ein paar Schritte zu gehen.« Schweigend gingen sie die dunkle Straße hinab. »Wie lau die Luft ist,« sagte Schwedenklee, sich verlegen räuspernd, »es wäre Zeit, daß der Frühling endlich käme.« »Es wäre wirklich Zeit!« antwortete Blank in Gedanken. Endlich faßte sich Schwedenklee ein Herz. Er begann damit, wie erfreut er wäre, ihn, Blank, näher kennengelernt zu haben. Wie gesagt, er hoffe, daß sein Gesundheitszustand sich bald bessere. Nun wisse er ja wohl, daß es ihm zur Zeit schwierig sei, seinem Körper jene Pflege angedeihen zu lassen, wie es geboten sei. -- Kurz und gut, Schwedenklee nahm einen Brief aus der Tasche. Blank hatte argwöhnisch auf Schwedenklees Rede gelauscht und fuhr nun entsetzt zurück. »Nie, nie werde ich unser freundschaftliches Verhältnis beflecken«, rief er mit großer Geste aus. »Aber gerade, wenn Sie das Wort Freundschaft gebrauchen --« »Nie, niemals.« Schwedenklee hatte wie gewöhnlich in seiner Unbeholfenheit nicht die richtige Form gefunden. In der letzten Minute, er wollte den Brief schon entmutigt einstecken, fielen ihm die rechten Worte ein. Er sprach davon, daß man einem Freunde die Erlaubnis einräumen müsse, in besonderen Fällen ein bescheidenes Darlehen --. Blank schien zu schwanken. »Wenn ich Ihr großherziges Anerbieten annehme, so geschieht es aus Gründen, die ich Ihnen nicht auseinandersetzen kann!« sagte er dann mit einem tiefen, langen Blick und nahm den Brief unter Dankesversicherungen in Empfang. »Sobald ich in der Lage sein werde ...« »Keine, nicht die geringste Eile!« Es gelang schließlich Schwedenklee sogar, Blank in eine Droschke zu stopfen, deren Kutscher er entlohnte. »Und wenn Sie einmal einen freien Abend haben, Herr Blank?« »Ich werde Ihre Güte nicht mißbrauchen. Dank und leben Sie wohl -- für immer!« rief Blank. Und dann, schon in der Droschke, fügte er noch einige Worte hinzu, denen Schwedenklee an diesem Abend keinerlei Bedeutung beimaß. Er sagte: »Ich bin glücklich, Sie näher kennengelernt zu haben. _Wie wichtig das für mich ist, werden Sie vielleicht einmal erfassen._« Aber, wie gesagt, Schwedenklee beachtete diese Worte an diesem Abend kaum. Blanks bleiche Hand winkte aus dem Fenster. Die Droschke rollte davon und im Nu war sie unter anderen Gefährten untergetaucht. »Nun, Gott sei Dank, das wäre überstanden!« sagte Schwedenklee zu sich selbst. »Großer Gott, was für Elend gibt es auf dieser Welt.« Schwedenklee fühlte sich erleichtert und befreit von einem Schuldbewußtsein, das ihn quälte, ohne daß er bestimmte Ursachen hätte angeben können. Das Schicksal seiner Mitmenschen, ja sogar seiner Bekannten und Freunde, kümmerte Schwedenklee, der immer mit sich selbst beschäftigt war, nicht allzusehr. Von Zeit zu Zeit hatte er das Bedürfnis, diese Gleichgültigkeit, die er recht wohl als Mangel empfand, durch irgendeine gute Handlung zu sühnen. Er schenkte, zum Beispiel, einer armen Frau, die fünf Kinder hatte, eine Summe Geldes, einen Posten Wäsche und Kleider. So hatte er Blank heute eine ziemlich große Summe aufgedrängt, um Ruhe zu finden vor peinigenden Gedanken, Reflexionen über die heutige Gesellschaft, Ungerechtigkeit der sozialen Schichtung und andere peinliche Dinge. Beruhigt ging er zu Bett. Sein Schlaf indessen war unruhig. Er träumte von Ellen. Sie hatte ihren Koffer gepackt, bereit abzureisen. Er brachte sie in einem Wagen zur Bahn, aber schon angesichts der glühenden Uhr des Bahnhofs befahl sie dem Kutscher zu wenden und zum Hotel zurückzufahren. Später, da stand sie schon im Zuge, der Zug fuhr schon an, aber sie sprang im letzten Moment -- zum Erstaunen und Schrecken aller Reisenden, die laut aufschrien -- aus dem Zuge. Ich kann nicht, ich kann nicht, schrie sie. Da verfiel Schwedenklee -- im Traum -- auf einen infamen Gedanken. Er beschwätzte Ellen, daß er mit ihr reisen werde. Sie war überglücklich, und sie fuhren zusammen. Bei der ersten Station verließ er heimtückisch den Zug. Es war eine Station voller Dunkelheit und Düster, und er sah das schöne glückliche Gesicht der Ahnungslosen an sich vorübergleiten. Hier erwachte Schwedenklee. Er war heiß, unruhig und voller Ängste. Die Nacht war finster und lang. Vielleicht, dachte er, wäre ich mit dieser Frau glücklich geworden? Vielleicht hat er recht, vielleicht habe ich das Glück meines Lebens leichtsinnig fortgeworfen? Am Morgen erinnerte er sich deutlich an den Traum. Wie sonderbar, dachte er, Ellen reiste in der Tat schwer ab. Wir telegraphierten sogar an das Theater, jetzt erinnere ich mich. Aber ich wünschte, daß sie reiste, denn -- ich hatte ja schon eine Verabredung mit ihrer Freundin, dieser rotbäckigen, stupsnäsigen Schwedin -- wie hieß sie? -- Fräulein Svenska. Ja, leichtsinnig ist die Jugend. »Welch ein Schuft bist du doch gewesen, Schwedenklee!« sagte er zu sich. »Und diese Frau hat dich vielleicht wirklich geliebt!« 11 Ellen -- Blank -- schon nach kurzer Zeit streifte Schwedenklee das immerhin nicht alltägliche Erlebnis nur noch selten in seinen Gedanken. Er hatte die Verbindung mit Fräulein Wiedehopf wieder aufgenommen, und seine Beziehungen zu der jungen Dame waren rasch vertraut geworden, in viel kürzerer Zeit, als er anfänglich beabsichtigt hatte. Er hatte Verpflichtungen, war wenig zu Hause, seine Gedanken waren durch die neue Freundschaft hinlänglich beschäftigt. Etwa zwei Wochen nach jenem Abendessen, als er nachmittags gerade das Programm zu einem Ausflug entwarf, klopfte Augusta und meldete Blank. »Herr Blank wartet mit einem Wagen vor der Türe.« »Wer?« »Herr Blank. Der Herr von neulich!« Ungläubig und etwas verwirrt starrte Schwedenklee auf Augusta -- schon kam ihm Blank mit ausgestreckten Händen entgegen. »Ich hatte gelobt, Ihre Liebenswürdigkeit nicht mehr zu mißbrauchen!« rief er lebhaft aus. »Sie sehen, ich bin schwach geworden. Wenn Sie mich nicht tief unglücklich machen, kränken wollen, müssen Sie mir erlauben, Sie zu einer Wagenpartie nach dem Grunewald einzuladen.« »Ich bin leider gerade sehr beschäftigt, Herr Blank.« »Nein, nein, verletzen Sie mich nicht, ich bitte Sie! Geben Sie mir Gelegenheit, mich für Ihre Einladung zu revanchieren.« Schwedenklee fand sich noch immer nicht zurecht. Wagen -- Grunewald -- und wie sah Blank aus? Er war kaum wiederzuerkennen! Er trug einen noch recht ordentlich aussehenden dunkeln Ulster, einen neuen Hut, neue Schuhe -- und seine Blässe war völlig verschwunden. Sein Gesicht war leicht und gleichmäßig gerötet, wie das eines gesunden, glücklich erregten Menschen. Erst später fand Schwedenklee, daß diese Röte von hohem Fieber herrührte. Blanks Augen strahlten vor Freude, es war Schwedenklee ganz unmöglich, ihn zu enttäuschen. Er bat noch um eine Minute Geduld. »Ich werde dem Kutscher unterdessen Bescheid sagen. Sie essen doch im Grunewald mit mir?« Nun rollten sie dahin. »Mein Freund!« rief Blank unter lebhaften Gesten aus. »Ich sehe, Sie sind außerordentlich erstaunt. Ich bin es ja selbst! Noch immer kann ich es nicht fassen. Wissen Sie denn, was geschehen ist? Niedergebrochen, erschöpft, in Verzweiflung, habe ich plötzlich neuen Lebensmut bekommen. Ahnen Sie, was das bedeutet? Neuen Lebensmut? Ich fange wieder an zu hoffen. Vielleicht -- ja wer weiß es, aber ich habe immerhin die Hoffnung --, vielleicht hat das Schicksal in einer guten Laune beschlossen, mir so etwas wie einen Nachsommer zu schenken! He, Kutscher, fahren Sie doch etwas hurtiger, nicht so langsam!« »Ich freue mich aufrichtig, Sie zuversichtlicher zu sehen!« »Und das kam so, mein lieber und verehrter Herr Schwedenklee! Hören Sie nun. Sie, mein verehrter Freund, Sie sind die Ursache! Ja! Ihr, wie sagten Sie in Ihrer großen Güte, Ihr Darlehen -- damit begann es. Mein Himmel, was ist seitdem alles geschehen! Ich bin verwirrt, kindisch geradezu. Ich hatte den Mut, die Selbstüberwindung, Ihren Brief nicht sofort zu öffnen. Bei jeder Laterne kämpfte ich mit mir. Nein, sagte ich, du bist kein Bettler! Zu Hause öffnete ich Ihren Brief und -- glauben Sie mir -- ich war vor Erstaunen minutenlang betäubt. Morgen, sagte ich, bringe ich ihm das Geld zurück. Morgen! Aber am Morgen dachte ich anders. Plötzlich -- es war wie ein Wunder, stieg wieder, nach Monaten, ein Gefühl der Hoffnung in meinem Herzen empor. Ich sagte mir: wenn Gott dir einen gütigen Freund in den Weg gesandt hat, weshalb willst du diesen Wink des Himmels nicht verstehen? Gut, ich brachte das Geld nicht zurück! Ich handelte! Ich raffte mich auf! Ich löste meine Kleider aus -- hier, diese Kleider. Ich ging zu einem Friseur. Ich ging in eine Badeanstalt. Ich ging in ein Restaurant und aß. Ich wurde plötzlich ein anderer Mensch! Hoffnungen beflügelten mich. Ich ging in die Filmbörse. Waren Sie schon in der Filmbörse? Ein Kaffeehaus in der Friedrichstraße?« Schwedenklee schüttelte den Kopf. »Gehen Sie nicht hin. Sie werden nie so viel Elend, offenes und verborgenes, schlecht verborgenes Elend, auf einer Stelle finden. Ich gehe hin -- ich bin gesättigt, anständig gekleidet, ich bestelle Kaffee. Glückt es heute nicht, so glückt es morgen. Ich fühle Ihr Kuvert in meiner Tasche, ich habe keine Eile, ich fühle mich sicher. Was denken Sie? Regisseure kommen herein. Sie haben das ja nie beobachtet. Man kennt diese Regisseure, die Herren und Damen stürzen sich förmlich auf sie --! Aber auf _mir_ ruht sein Blick, der Blick des Allmächtigen. Ich tue, als kümmere es mich nicht im geringsten. Er geruht an meinen Tisch zu kommen. Er stellt sich vor, denken Sie, obschon ihn hier jedermann kennt und er es genau weiß. Was denken Sie, was geschieht? Er verpflichtet mich für zwei Filme, zwei -- bei sehr gutem Honorar! Zwei Filme!« Blank lachte laut heraus und breitete die Arme den Vorübergehenden entgegen. »Ich hatte früher eine Verachtung für den Film, müssen Sie wissen. Er erschien mir wie eine Profanierung der Kunst. Ich war immer Idealist, das heißt ein Dummkopf -- werde es bleiben bis an mein Lebensende, kann nicht anders. Ich lehnte früher, da ich noch auf hohem Rosse saß, jedes Engagement ab. Später aber gab sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparserie zu filmen, bis ein Regisseur schrie: Bedauere, Sie _verhusten_ mir ja jede Aufnahme. Ja, so sagte er: Sie verhusten ... hahaha!« So laut war Blank, so froh erregt, daß Schwedenklee der Überzeugung war, er sei etwas angeheitert. »Zwei Filme also,« fuhr Blank lebhaft fort, »Sie sehen, das Unfaßbare war geschehen. Ein Wunder hat sich ereignet! Das Schicksal hatte mich völlig vergessen, plötzlich aber ließ es sein Auge wieder in Gnaden auf mir ruhen. Ich filme bereits eine ganze Woche, heute, am ersten freien Tag, eilte ich zu Ihnen, um Ihnen die große Neuigkeit zu verkünden. -- Im ersten Film, der zur Zeit gedreht wird, spiele ich die Rolle eines Günstlings der großen Katharina, der an schleichendem Gift, das ihm sein Rivale, ein französischer Abbé, eingab, dahinsiecht. >Die Rolle ist Ihnen wie auf den Leib geschrieben, Blank<, sagte der Regisseur. Sie sehen! Ja, eine herrliche Sache: ich sieche dahin, drei Akte hindurch. Meine erlauchte Geliebte läßt mich fallen im Augenblick, da ich den Stempel des Todes auf der Stirn trage. Aber ich räche mich ...« Blank nahm eine Schachtel aus der Tasche und bot Schwedenklee eine Zigarette an. »Ich habe nicht vergessen, daß Sie ein leidenschaftlicher Raucher sind, hoffentlich schmeckt Ihnen die Marke. He, Kutscher, lieber Freund, halten Sie einen Augenblick!« Und Blank bot mit fliegender Hand Feuer. »Und nun, lassen Sie das Pferdchen wieder laufen!« Wohlig stieß Blank die Rauchwolken in die durchsonnte Luft, indem er fortfuhr: »Weitaus amüsanter ist der andere Film, den wir in acht Tagen drehen werden. Er wird Sie erheitern, mein verehrter Freund. Ich bin also ein heruntergekommener Graf und sitze an der Straße als Bettler! Eine Dame, die mich in meinem früheren Leben kannte, eine Tänzerin, reicht mir -- sie ist eben im Begriff, in ihr Auto einzusteigen -- ein Goldstück. Aber siehe da, schon erkennt sie mich. Sie nimmt mich in ihren Wagen. Die Menge der Neugierigen, die sich ansammelte, spendet ihrem mitleidigen Herzen Beifall. Ich werde gefüttert, gepflegt -- und schon bin ich wieder ein Graf, ein hochfeudaler, etwas hinfälliger Greis. Die Tänzerin unterbreitet mir einen Ehekontrakt. Sie will meinen Adel heiraten, und ich soll nach der Trauung, laut Kontrakt, verschwinden für immer. Aber was glauben Sie? Ich tue es nicht, ich bin nun wieder an das gute Leben gewöhnt, drohe, verteidige meine Ehre, werfe die Liebhaber die Treppe hinunter, sperre meine schöne Gattin in die Bügelkammer. Hahaha! Ist es nicht lustig? Ja, auch Sie müssen lachen. Ich sehe sogar, daß Sie gespannt sind, wie es endet, aber Sie schämen sich zu fragen. Habe ich recht?« »Ja, Sie haben recht.« »Nun, so sollen Sie hören. Meine Gemahlin ist schlauer als ich. Sie lädt eine Nichte ein, ein süßes Geschöpf -- ich bin töricht genug, mich zu verlieben, werde bei einem zärtlichen Tete-a-tete ertappt -- Scheidung! Meine Aktien stehen schlecht, ich bin genötigt, mich zu verabschieden, stecke die Abfindungssumme ein, und in der Schlußszene sehen Sie mich als alten Gecken flanieren. Ich mache Bekanntschaft, Sekt, meine Dame stiehlt mir die Abfindungssumme und die Kellner werfen mich auf die Straße -- hahaha!« »Aber Kutscher,« unterbrach Blank plötzlich seinen Redeschwall und berührte, erschrocken aufspringend, die Schulter des Kutschers, »ist es denn nötig, daß Sie uns mitten in den See hineinfahren?« Augenblicklich aber sah Blank seine Täuschung ein. »Verzeihung -- ja, es war eine Sinnestäuschung. Ich sehe ja, es ist der Himmel, der sich im Asphalt spiegelt, es war nur eine vorübergehende -- wie soll ich sagen --?« »Ich glaube,« fuhr Blank nach einer Pause mit der gleichen Lebhaftigkeit fort, »mein Glück hat mich schwindlig gemacht! Ich fiebere in diesen Tagen sehr stark, aber ich fiebere, weil ich wieder hoffe. Ich empfinde dieses Fieber geradezu angenehm! Ja, merkwürdig und geheimnisvoll ist dieses Leben! Ist es nicht sonderbar, daß schon früher einmal Sie, ja gerade Sie, verehrter Freund, Sie und kein anderer es waren, der in einem Augenblick der größten Verlegenheit entscheidend in mein Leben eingriff? Soll man da nicht an Mysterien, an wunderbare, geheime Zusammenhänge glauben?« Schwedenklee war äußerst erstaunt. »Ich sollte schon früher einmal --?« »Ja!« Blank rückte vertraulich näher und lachte. »Ja! Ein Geständnis. Ich habe Ihnen erzählt, daß ich Rosa in Nürnberg kennenlernte. Mein Engagement in dieser Stadt war geradezu kläglich, und ich war ziemlich abgerissen. Nun schrieb mir ein Kollege aus Köln, daß dort eine Vakanz sei. Köln! Aber wie nach Köln kommen, ohne Geld, in diesem Aufzuge -- zum Verzweifeln. Ich sprach mit Rosa, und Rosa sagte, ich werde an Schwedenklee schreiben.« »Schrieb sie denn?« »Ja. Sie flunkerte ein bißchen, daß sie notwendige Garderobe brauche. Und Sie sandten postwendend tausend Franken. Tausend Franken! Reise, Anzug, Hotel, oh, wie wichtig ist das -- Sie ahnen es nicht, da Sie das Theater nicht kennen. Alles war plötzlich ermöglicht! Übrigens haben wir Ihnen die tausend Franken nach zwei Monaten zurückgeschickt«, sagte Blank voller Genugtuung. »Ja -- was für merkwürdige Zusammenhänge! Und nun wieder! Fühlen Sie, wie wunderbar die Luft ist!« schwärmte Blank, während sie in den Grunewald hineinrollten. »Und die Sonne wärmt schon ordentlich! Sie ahnen nicht, wie glücklich ich bin ...« Blank lehnte sich behaglich in den Wagen zurück. Er nahm den Hut ab und ließ die heiße Stirn im Luftzuge kühlen. 12 Fräulein Nelly Wiedehopf -- die Dame mit den turmartig aufgebauten Haaren und den glänzend polierten Fingernägeln -- hatte ihre Eigenheiten. Es ging nicht alles so, wie Schwedenklee gedacht hatte. Einmal erschien sie höchst erregt -- ihr Polarfuchs war gestohlen worden oder sie hatte ihn verloren. Jedenfalls, der Polarfuchs war verschwunden. Sie redete tagelang von dem Polarfuchs, war in schlechtester Laune, so daß sich Schwedenklee endlich entschloß, ihr einen neuen Polarfuchs zu kaufen. Kaum aber hatte er den Pelz gekauft, da fand sich der alte Polarfuchs wieder! Und nun ließ sie den alten Polarfuchs in einen Muff umarbeiten, mit Seidenfutter und einer eleganten Innenausstattung für Spiegel und sonstige Kleinigkeiten -- vergebens wies Schwedenklee darauf hin, daß der Sommer vor der Türe stand. Kürzlich aber passierte folgende, immerhin etwas peinliche Sache: Nelly erschien mit rotgeweinten Augen. Ihre Tante in Lübeck war gestorben. Sie brauchte ein Trauerkostüm, Reisegeld und, da die Tante sehr arm war, noch einen Zuschuß zu den Beerdigungskosten. »Ich kann die Schwester meiner Mutter unmöglich wie eine Armenhäuslerin begraben lassen auf städtische Unkosten!« Nelly war völlig aufgelöst. Schwedenklee griff in die Brieftasche. Besonders der Zuschuß zu den Beerdigungskosten schmerzte ihn. Ging es nicht etwas sehr weit, daß er sogar die Bestattungskosten einer Tante tragen sollte, von deren Existenz er erst in dem Augenblick etwas erfuhr, da sie starb? Er empfahl Sparsamkeit, die wahre Trauer zeige sich nicht in Äußerlichkeiten. Er, für seine Person, würde zum Beispiel gern mit einer einfachen Holzkiste zufrieden sein -- er würde sie einem der entsetzlichen Särge sogar vorziehen! Überhaupt mache man zu große Scherereien mit Verstorbenen, die ja nur den einen Wunsch hätten, daß man sie in Ruhe lasse. Nelly nannte ihn herzlos. »Natürlich,« rief sie aus, »du hast ein herrliches Leben genossen, was kümmert es dich, wenn du in einer billigen Kiste begraben wirst? Aber Leute, denen es kümmerlich ging im Leben, wollen wenigstens als Tote einigermaßen wohlhabend erscheinen. Aber das wirst du nie begreifen.« Immer wurde Nelly sofort ausfallend! Um es gleich zu sagen: die ganze Sache mit der verstorbenen Tante war eine Lüge. Nelly fuhr nach Lübeck, das ist wahr. Sie erschien nach etwa einer Woche wieder, in ihrem schwarzen Trauerkostüm, das die Blässe ihres Gesichtes herrlich hervorhob, kokettierte sie nach allen Seiten -- später aber verplapperte sie sich. Es kam an den Tag, und sie gestand: es war ein Einfall von ihr, dem sie nicht widerstehen konnte. Schwedenklee war verstimmt und zog sich zurück. Das ging denn doch zu weit. Und dazu hatte Nelly richtig geweint, aus Schmerz über den Tod einer Tante, die gar nicht existierte. Diese Frauen waren wirklich ein Rätsel! »Nein, nein,« sagte Schwedenklee zu sich, »dir kann man ja schon alles aufbinden!« Seine Eitelkeit war tief verletzt. Aber Nelly hatte ihre Vorzüge, ohne Zweifel. So war sie, zum Beispiel, sehr leidenschaftlich. Sie zitterte, wenn man sie nur mit den Lippen berührte. Aber vielleicht ist auch das nur Komödie? dachte Schwedenklee, unsicher geworden. Man weiß wirklich nicht mehr, woran man bei diesen Frauen ist! Sodann war Nelly interessant! Ihr Teint war bleich, und je näher man sie betrachtete, desto bleicher erschien ihr Teint. Sie hatte kleine rötliche Sommersprossen, die den Teint noch durchsichtiger erscheinen ließen. Sie hatte scharfe, helle Vogelaugen, die Brauen wuchsen leicht zusammen, und wenn man sie ganz nahe betrachtete, erschien ihr Gesicht in der Tat fast gespenstisch. Nelly verstand es, sich zu kleiden -- mit nichts! Mit nichts täuschte sie den Luxus einer reichen Ausländerin vor. Man nahm an, daß Schwedenklee Tausende für sie ausgab. Das schmeichelte Schwedenklees Eitelkeit immerhin. Nelly verstand es, sich zu benehmen. Man konnte mit ihr getrost in ersten Hotels dinieren -- die Kellner wichen ersterbend zurück. Ein Lächeln von ihr entzückte den Direktor, die Herren verdrehten die Hälse. (Und doch war sie nur Buchhalterin in einem Herrenschneidergeschäft!) Wie sie ihren Fuß setzte -- das allein war ein Roman! Aber was zuviel ist, ist zuviel. Schwedenklee zog sich zurück. Er erkaltete. Aus purer Bosheit reiste er nach Lübeck -- zu Studienzwecken -- und sandte ihr eine Ansichtskarte. Als er zurückkehrte, fand er einen kurzen, aber zu seiner größten Verwunderung herzlich und warm gehaltenen Brief von Nelly vor. Dazu ein Paar antiker goldener Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte. Schwedenklee war beschämt. Er hatte kaum den Mantel abgeworfen, so schrieb er Nelly schon einen langen Brief. »Das mit den Ohrringen würde er ihr nie verzeihen!« Am nächsten Tage schon kam Nelly. Sie stürzte in seine Arme und biß ihn so stark in die Wange, daß man tagelang ihre Zähne sah. »Das zur Strafe!« sagte sie. Nach Tisch begann sie plötzlich zu singen -- nun, kurz und gut, es stellte sich heraus, daß man während seiner Abwesenheit ihre Stimme entdeckt hatte! Sie wollte sich ausbilden lassen. Sie war in größter freudiger Erregung. In Wirklichkeit, Nelly hatte eine kräftige, wenn auch etwas grelle Stimme. »Du hast jene unerklärliche Nebenschwingung in der Stimme,« sagte Schwedenklee sachverständig, »jenes Timbre, das nur große Sängerinnen haben, dazu hat deine Stimme Umfang. Du hast auch die bezeichnende, etwas belegte Sprechstimme -- weiß Gott, wieso ich deine Stimme nicht früher erkannte.« »Weil du kein wirkliches Interesse für mich hast!« Schwedenklee tat gekränkt. Die Versöhnung war vollständig. Schon in den nächsten Tagen lud Schwedenklee den Bassisten von der Oper -- mit dem er zuweilen Schach spielte -- zu sich zum Abendessen. Er sollte sein Urteil abgeben. Wiederum hatte Augusta sich alle Mühe gegeben. Sie liebte Nelly, denn Nelly lief immer in die Küche, umarmte Augusta, die von der Hitze des Herdes schwitzte, und küßte sie sogar auf die Backe. Der Bassist aß mit vorzüglichem Appetit und trank ganz allein eine Flasche teuren Rheinwein. Dann sang Nelly zu Schwedenklees Begleitung. »Herrlich, wunderbar!« schrie der Bassist begeistert und klatschte mit den fetten Händen. »Die Patti, die Hempel, die Farrar -- in zwei Jahren werden Sie in Neuyork singen!« »Siehst du?« sagte Nelly mit einem triumphierenden Blick. Man schmiedete Pläne, entwarf Programme, wählte Lehrer, der Bassist bot sich für die stimmtechnische Ausbildung an. Und zwar ohne jegliches Honorar! Aber Schwedenklee protestierte energisch und erklärte Schwarz klipp und klar, daß er ihm Nellys Ausbildung nur dann anvertrauen würde, wenn der Sänger sie zu seinen gewohnten Bedingungen als Schülerin annehmen würde. In die Ecke gedrängt, willigte Schwarz endlich ein. Schwedenklee war in gehobener Laune und holte neuen Wein aus seinem Geheimschrank. Nelly hauchte ihm in einer Sekunde zehn kleine verliebte Küsse auf die Glatze. Es blieb alles beim alten. Trotzdem -- die Sache mit der Tante konnte Schwedenklee nie ganz vergessen. * * * * * Es wurde schon heiß. Die Kartentische leerten sich langsam. Die Rechtsanwälte, Ärzte, Kaufleute fuhren mit ihren Familien aufs Land. Nur in dieser Zeit wurde man plötzlich gewahr, daß fast alle Stammgäste und Spieler Familienväter waren. Gewöhnlich hielt man sie für Junggesellen ohne jegliche Verpflichtungen. Schwedenklee reiste mit Nelly auf vier Wochen nach Heringsdorf. Der Bassist Schwarz -- der die stimmtechnische Ausbildung übernommen hatte -- begleitete sie. Schwedenklee hatte ein kleines Gut an der Ostsee, und Nelly, der er zuweilen von dem Landgut vorgeschwärmt hatte, wollte zuerst dort den Urlaub verbringen. Sie träumte von Hühnern, Schweinen, Leiterwagenpartien. Aber Schwedenklee setzte plötzlich die Besitzung herab -- das Haus sei feucht! Die Kinder des Pächters hätten Diphtheritis! Aus irgendeinem Grunde -- das fühlte Nelly -- wollte er sie nicht in »Siebenbirken« haben. Aber sie tröstete sich schließlich mit Heringsdorf. Sie brachte ein halbes Dutzend von Badekostümen mit, die Aufsehen erregten, so kühn waren sie. Und woraus waren sie gemacht? Aus _nichts_! Nelly feierte Triumphe. Nach drei Tagen schon war sie eine der bekanntesten Erscheinungen in Heringsdorf. Man beneidete Schwedenklee um diese Frau, er fühlte es deutlich. (Und doch war sie nur Buchhalterin in einem Herrenschneidergeschäft!) Die stimmtechnische Ausbildung nahm ziemlich viele Stunden des Tages in Anspruch. Es gab sogar kleine Eifersuchtsszenen, obschon es Schwedenklees oberstes Prinzip war, nie zu zeigen, daß ihm eine Frau so viel wert war, daß er eifersüchtig werden könnte. »Denn dann«, pflegte er zu sagen, »bist du verloren, mein Sohn!« Es war ja selbstverständlich, daß Schwedenklee die Hotelrechnungen des Bassisten bezahlte -- sonstige Honorare forderte Schwarz während des Badeaufenthalts nicht. Er tat es aus Begeisterung für Nellys Stimme. Nun, Gott sei Dank, auch diese Wochen gingen vorüber, und nun saß Nelly wieder -- duftend, wie aus dem Ei geschält -- in der Herrenschneiderei. Nellys Unterricht bei Schwarz ging natürlich ohne Unterbrechung weiter -- in nächster Zeit begann auch der dramatische Unterricht bei einem Schauspieler. Alles hat schließlich seine Grenzen, dachte Schwedenklee, als er die letzten Stundengelder bezahlte. 13 Schwedenklee hatte im Laufe des Sommers kaum mehr an Blank gedacht. Bei seiner Rückkehr fand er einen Brief vor, voller Dankesbeteuerungen -- die geliehene Summe lag bei -- bei Heller und Pfennig. Auch das hatte Schwedenklee vergessen, als der Winter anbrach. Er dachte gar nicht mehr an Blank. Plötzlich aber erhielt er einen Brief: Blank war erkrankt. Sein »Nachsommer« hatte ein rasches Ende gefunden. Eine Lungenentzündung hatte seiner Tätigkeit als Filmschauspieler ein rasches Ende bereitet. Er war in größter Not, in Verzweiflung. Selbstverständlich zögerte Schwedenklee nicht, ihm beizuspringen. Er fühlte sich förmlich verpflichtet dazu. Dann hörte er nichts mehr von Blank. Nelly deutete an, daß sie ihre Stellung in der Herrenschneiderei aufgeben wolle. Aber sie fand bei Schwedenklee nur taube Ohren. Eine Frau von ihrer wirtschaftlichen Basis loslösen -- was bedeutete das? Nein, dafür war Schwedenklee nicht zu haben, sein Verantwortungsgefühl war zu groß. Also blieb Nelly in ihrer Stellung. Sie schmollte indessen, sie warf Schwedenklee vor, daß er »nicht großzügig« sei, ja geradezu geizig, eine Krämerseele. »Wenn ich nur einen deiner Bauplätze hätte, die heute Millionen wert sind,« sagte sie, »da solltest du sehen, wie ich meine Freunde behandeln würde! Da könntest du etwas lernen.« So sind die Frauen, dachte Schwedenklee, unersättlich! Er bezahlte die Stunden bei Schwarz, wöchentlich vier, und diese Sänger hatten ja unerhörte Honorare! Neuerdings kam dazu der dramatische Unterricht, und er hatte herausgefunden, daß Nelly mindestens die Hälfte der Stunden zuviel notieren ließ. So viel freie Zeit erlaubte ihr ja ihre Stellung in der Schneiderei gar nicht! Überdies mißfiel ihm das Verhältnis zwischen Schwarz und Nelly. Es schien eine etwas sonderbare Vertraulichkeit angenommen zu haben. Er hatte einmal einen kleinen, gänzlich unscheinbaren Blick zwischen den beiden aufgefangen. Nun, er, Schwedenklee, war kein heuriger Hase, er wußte genau, zu genau, was solch ein Blick unter Umständen bedeuten konnte! Er behandelte den Sänger um einige Grade kühler. »Ich habe den Eindruck,« sagte der Bassist mit gekränkter Miene, »daß Ihnen meine Honorare zu hoch sind?« »Ihre Honorare? Aber ich bitte Sie, Verehrtester, ich wünsche doch nicht, daß Sie mir besondere Preise machen. Mißverstehen Sie mich nicht -- die Ausgaben für Nellys Ausbildung im allgemeinen ...« »Aber ich bitte Sie, Verehrtester -- für solch eine Stimme!« »Zugegeben! Aber Sie ahnen nicht, welche Beträge ich monatlich zu bezahlen habe. Jetzt taucht schon die Frage der Kostüme auf ...« »Gut.« Der Bassist bearbeitete mit der Kreide kunstgerecht das Leder des Billardqueues -- die Unterredung fand im Billardsaal des Cafés statt -- »Ich werde also künftighin kein Honorar mehr fordern. Ich unterrichte aus Interesse für diese ungewöhnliche Begabung.« Schwedenklee protestierte mit großer Beredsamkeit. Unmöglich konnte er diesen Vorschlag annehmen, ganz unmöglich! Er geriet sogar in Erregung. Alles blieb beim alten. Schließlich aber hat alles seine Grenzen, dachte Schwedenklee, während er sorgfältig mit der Spitze des kunstvoll aufgestützten Queues nach dem Ball zielte. * * * * * Der Winter war lau. Nebel, Dunst, Regen. Nur dann und wann lag schwarzer Schnee auf den Dächern. Im Februar aber setzte plötzlich eine solch grimmige Kälte ein, daß die Dampfheizung nicht mehr genügte. Schwedenklee mußte seinen elektrischen Ofen zu Hilfe nehmen, um nicht zu frieren. Nichts haßte er mehr als Kälte. Gerade als Schwedenklee sich nach Tisch etwas niedergelegt hatte, die Decke über den Knien, den elektrischen Ofen neben der Ottomane, wurde er von Augusta aufgeweckt. »Eine Krankenschwester wünscht Sie dringend zu sprechen.« »Eine Krankenschwester?« fragte Schwedenklee ziemlich mürrisch. Plötzlich, schnell erwachend, erschrak er. »Mich? Ja, was in aller Welt --?« Vielleicht Nelly, dachte er. Ah, mit diesen Frauen hat man nie Ruhe. Schon trat die Schwester ein, ohne viele Umstände zu machen. Sie war ein großes, ungeschlachtes Mädchen mit weißgelbem Haar. »Herr Schwedenklee?« Ihre Stimme klang gefühllos und herrisch. Rügend ruhte Schwedenklees Blick auf ihren unförmigen Gummischuhen, die sie mit ins Zimmer brachte und die seinen Teppich beschmutzten. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, brummte er, während er die Decke völlig von sich warf. »Ich bin nicht ganz wohl, etwas erkältet.« Die Schwester ignorierte seine Erkältung, seine Verlegenheit, seinen deutlichen Unwillen über die Störung. »Ich komme von Herrn Blank«, sagte sie laut und mit völlig gefühlloser Stimme, als bitte ihn Blank zu einer Partie Billard. »Er liegt im Sterben.« »Wie sagen Sie --?« Schwedenklee sprang erschrocken auf. Er erbleichte. Sterben, Tod ... Die Schwester erklärte, daß Blank den dringenden Wunsch habe, ihn zu sehen. »Was will er von mir?« stammelte Schwedenklee. »Das weiß ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Er hat im Fieber viel von Ihnen gesprochen. Ich habe den Eindruck, daß er Ihnen etwas Wichtiges mitteilen möchte.« »Mir? Mitteilen? Etwas Wichtiges?« »Was weiß ich? Es interessiert mich auch nicht. Sie werden also kommen?« »Ja, gewiß werde ich kommen.« Schwedenklee hätte gar nicht den Mut besessen, dieser energischen Person etwas abzuschlagen. »Ich schreibe Ihnen hier die Adresse auf. Im Osten. Bei der Frankfurter Allee.« »Sie gehen, Schwester?« »Ich kann ihn nicht allein lassen.« Schon war sie fort. »Eine unangenehm energische Person!« dachte Schwedenklee. »Gott soll mich davor behüten, daß ich in meiner Sterbestunde solch ein Wesen, mit so großen Füßen, um mich habe!« »Augusta!« Schwedenklee war sehr erregt. Einen Augenblick dachte er sogar trotz seiner Zusage daran, nicht hinzugehen. Der Gedanke entsetzte ihn plötzlich, in ein Sterbezimmer treten zu müssen. Armut dazu, vielleicht war es schlecht gelüftet? Aber nein, das war ja Feigheit. Ein Sterbender! Lieber Himmel, dieses Leben ist in der Tat eine höllische Erfindung. Er starrt zur Türe, wartet auf ihn, den Todesschweiß auf der Stirn. Nein, unmöglich! Ein Sterbender ist ein heiliges Wesen -- jeden Wunsch muß man ihm erfüllen. Aber in welchem Anzug geht man zu einem Sterbenden? Schwedenklee kam in seiner Aufregung auf den unglücklichen Einfall, einen Zylinder aufzusetzen -- um die Feierlichkeit zu betonen. »Mitzuteilen?« Ja, was in aller Welt mochte er ihm mitzuteilen haben? Schwedenklee erinnerte sich plötzlich jenes Briefes, in dem Blank seinerzeit schrieb, daß er ihm unter Umständen wichtige Mitteilungen zu machen habe. Und später hatte er widerrufen ... »Ich werde nie Ruhe vor diesem Menschen haben!« In großer Erregung eilte Schwedenklee auf die Straße. Die unmögliche Adresse hielt er in der Hand. Es war ja ganz undenkbar, hier an der Potsdamer Brücke einem Chauffeur _diese_ Adresse zu nennen. Schwedenklee ging zu Fuß bis zum Potsdamer Platz, um sich zu sammeln. Nein, eine unangenehmere Sache konnte man sich beim besten Willen nicht ausdenken. Und dazu -- plötzlich blieb Schwedenklee verwirrt stehen -- dazu sollte Nelly um sechs Uhr zum Tee kommen! Schließlich konnte er ja telephonieren ... Und diese eisige Kälte, die sich wie Säure in die Haut fraß. Am Potsdamer Platz hatte Schwedenklee folgende Entschlüsse gefaßt. Erstens: ich werde hingehen. Zweitens: ich werde bis zum Alexanderplatz mit der Untergrundbahn fahren und dort eine Droschke nehmen -- dort fällt es nicht auf -- drittens: ich werde Augusta telephonieren, für den Fall, daß ich bis sechs Uhr nicht wieder zurück sein sollte. Viertens werde ich jetzt erst einen Kaffee trinken. Es dämmerte schon, als Schwedenklee in der bezeichneten Straße ankam. Das Auto, der Herr im Pelz und Zylinder erregten großes Aufsehen. Beklemmend war diese düstere Straße voll schleichender, hüstelnder Menschen, die seinen Zylinder und Pelz anstarrten, mit gierigen, höhnischen, erstaunten Augen. Frech streiften Schwedenklee die Blicke halbwüchsiger Mädchen. Das bezeichnete Haus strömte Armut und Verzweiflung aus. Es stand und schwieg, wie ein düsteres Gesicht mit zusammengebissenen Zähnen. Schwedenklee betrat es klopfenden Herzens. Das Stiegenhaus war erfüllt von fernem, wirrem Lärm. Gezänk, Kinderweinen, schlagende Türen. Ein saurer, unangenehmer Geruch stieg von der schmutzigen Treppe auf -- hier roch es nicht nach Lack und dem feinen Parfüm emporschwebender Pelze wie im Westen. Schwedenklee hatte von solchen Häusern bis jetzt nur _gelesen_. Hier wurde gemordet, tagelang lagen Verstorbene in den kalten Wohnungen, bevor man sie fand, Hoffnungslose lösten den Gasschlauch -- »Pst -- mein Herr -- wollen Sie zu Fräulein Lisa?« Zischeln unter ihm. Schwedenklee kletterte rascher die Treppe empor, sein Herz klopfte erschrocken. »Pst -- pst -- mein Herr!« Achtunggebietend räusperte sich Schwedenklee, von Ekel und Furcht ergriffen. Er floh an den Türen vorüber, hinter denen sich unbegreifliche Schicksale verbargen, die zu erfahren ihn nicht gelüstete. Lärm empfing ihn im nächsten Stockwerk. Die Türe öffnete sich und eine korpulente Dame, offenbar in festlicher hochzeitlicher Kleidung, trat zigarettenrauchend, anscheinend etwas angeheitert, auf den Flur. Drinnen lärmten und schrien ausgelassen die Hochzeitsgäste. Schwedenklee griff an die Krempe des Zylinders. »Guten Abend!« sagte die zigarettenrauchende Braut und warf Schwedenklee einen langen verführerischen Blick zu. Langsam schloß sie die Türe, während sie Schwedenklee, der sich nicht enthalten konnte zurückzublicken, mit zusammengekniffenem Auge zulächelte. Der Lärm der Hochzeitsgäste klang ferner. Schärfer stieg wieder der schlechte Geruch aus den feuchten ausgetretenen Treppenstufen. Da hielt Schwedenklee den Schritt an: an einer Türe klebte ein Zettel. »Leise klopfen, ein Schwerkranker! Man bittet auf der Treppe nicht zu lärmen. Schwester Anna.« Hier also war es. Schwedenklees Herz stockte. Ein schweres, rätselhaftes Schnarchen, ein Sägen wie das Schnarchen eines Riesen ertönte hinter der Türe. Augenblicklich -- obschon er nicht weiter darüber nachdachte, was das sonderbare Schnarchen zu bedeuten habe -- ergriff Schwedenklee die Flucht. Er stieg bis zur Hochzeitsgesellschaft hinab. Dann wandte er um. »Wie feige ich doch bin!« dachte er. 14 Zaghaft pochte Schwedenklee, und sofort, lautlos, öffnete ihm die weißblonde, ungeschlachte Pflegerin mit den eckigen Hüften. »Sie kommen zu spät«, flüsterte sie vorwurfsvoll, mit einem mißbilligenden Blick auf Pelz und Zylinder. »Noch vor einer halben Stunde hat er nach Ihnen gefragt. Jetzt hat er das Bewußtsein verloren.« »Er« nannte sie den Sterbenden, »er« -- nicht mehr wert ist ein Mensch, der stirbt. Der gleiche röchelnde, furchtbare Schnarchton --. Schwester Anna schob Schwedenklee resolut durch die Türe. »Hier, diese Türe!« sagte sie. In großer Befangenheit trat er ein. Da sah Schwedenklee, daß dieser röchelnde Schnarchton aus dem weit geöffneten Munde eines im Bett halb aufrecht sitzenden leichenfahlen Mannes mit großen, gläsernen Augen kam. Da sah Schwedenklee -- nie wußte er später zu sagen, was er früher gesehen hatte, den Sterbenden oder das _Andere_ -- das Wesen, das vor dem Bette kniete ... Das Zimmer war nicht hell. Eine kleine Petroleumlampe ohne Schirm stand irgendwo auf dem Tische. Der Sterbende saß in den Kissen eines grau und elend aussehenden Bettes. Seine Brust keuchte in kurzen Stößen, sein gemarterter Atem stieß Rauchsäulen in die eisige Luft, sein eingefallenes Gesicht blendete von Schweiß. Vor dem Bett aber kniete ein Wesen -- ein Geschöpf, etwas Unbegreifliches, Wunderbares, vielleicht nur eine Vision seiner aufgeschreckten und verwirrten Sinne? -- ein Mädchen, die Hände betend verkrampft, die Augen auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet -- ein Wesen, verklärt, unfaßbar -- _Ellen Fröhlich_, dieselbe Ellen Fröhlich, die er in Paris gekannt hatte -- nur jünger und seltsam verklärt! Fassungslos stand Schwedenklee und schloß die Augen. Er tastete mit der Hand nach der Wand, da er fühlte, wie er schwankte ... * * * * * Wie lange dauerte dieses furchtbare Röcheln? Stunden, eine Ewigkeit. Und immerfort, unbeweglich kniete dieses verklärte Wesen, die Hände betend verkrampft vor dem Bette. Zuweilen nahm die Schwester ein feuchtes Tuch und wischte die Stirn des Sterbenden ab. Zuweilen hörte man den heiteren, trunkenen Lärm der Hochzeitsgesellschaft fern und wirr durch die Decke. Schwedenklee hatte nie gesehen, wie ein Mensch starb. Der Tod seiner Mutter war ihm telegraphisch mitgeteilt worden. Als der alte Schwedenklee im Sterben lag, hatte man ihm telegraphiert, und als er ankam, war schon alles vorbei. Schwedenklee stand versteinert, regungslos in der Ecke, das unbeschreibliche, unbegreifliche Wesen kniete, die Schwester tauchte zuweilen mit ihren feisten Händen das Handtuch in das Waschbecken -- und der Sterbende röchelte. * * * * * Das Röcheln wurde schwächer, pfeifender, und plötzlich -- nach einer unfaßbaren Stille -- schrie eine ganz unbegreiflich entsetzte Stimme, die Stimme eines Mädchens, eines Kindes: »Papa! Papa!« Augenblicklich, ins innerste Herz getroffen durch den Ton des Mädchens -- der Kinderstimme, diesen Ton der letzten menschlichen Qual -- augenblicklich wandte Schwedenklee sein Gesicht zur Wand. Nie in seinem Leben hat er diesen Schrei vergessen. Er war totenbleich und zitterte an allen Gliedern. 15 Die Schwester zog Schwedenklee in einen feuchten, eisigen Vorraum, eine Art Küche mit Ausguß, die Fenster waren gefroren. »Man hat ihm,« sagte sie, »während er schon todkrank lag, die letzten Habseligkeiten gepfändet. Noch gestern kam die Hauswirtin und machte eine solch fürchterliche Szene, daß es zu Tätlichkeiten zwischen mir und ihr kam. Sie holte die Polizei, die Polizei aber hatte doch mehr Einsicht, als sie den Kranken sah, und zog ab.« »Wie schön von Ihnen!« stammelte Schwedenklee ergriffen. Er drückte der Schwester bewundernd die Hand »Was für eine prächtige Frau sind Sie doch!« Diese ungeschlachte, kalte Person, ja, es gab immer noch Menschen! »Ich komme für alles auf, Schwester Anna,« stotterte er verlegen. Immer noch zitterte er am ganzen Körper, und seine Zähne klapperten. Seine Nerven hatten völlig versagt. »Wir haben nichts, auch nicht einen Pfennig, nur Schulden.« »Nun, so nehmen Sie, bitte. Ich gehe. Morgen früh bin ich wieder hier, ich habe heute nicht länger Zeit.« »Einen Augenblick!« sagte Schwester Anna und nahm ein Päckchen Briefe von einem verstaubten Brett. »Das hier ist für Sie, und hier ist ein Brief, den Blank gestern schrieb.« »Danke«, stammelte Schwedenklee und stürzte mit seinem Zylinder die Treppe hinab. Noch heute wußte Schwedenklee nicht zu sagen, wie er wieder in sein Stadtviertel zurückgekommen war. Er erwachte aus einer Art von geistiger Starre, als der Chauffeur die Türe des Autos öffnete. Zu seinem großen Erstaunen stand das Auto vor seinem Stammcafé. In einem völlig verstörten, entgeisterten Zustand kam Schwedenklee in den Billardsaal. Ohne zu denken hatte er offenbar dem Chauffeur das Stammcafé genannt. Niemand sprach ihn an, der Kellner wagte kaum guten Abend zu sagen -- jeder fühlte, daß mit Schwedenklee etwas Außergewöhnliches geschehen war. »Lieber Freund!« Hinter einer Zeitung verborgen, zitternd an allen Gliedern, zuweilen Kaffee schlürfend, um seine Erregung zu verbergen, entzifferte Schwedenklee Blanks letzten Brief. »Lieber Freund! Ich habe große Eile. Schon umhüllen mich die Schleier des Todes. Ich verbrenne vor Qual. Der Gedanke an Sie ist mein einziger Trost, und ich klammere mich an Sie. Erbarmen Sie sich meiner Tochter Ellen! Beim Andenken Ihrer Mutter -- erbarmen Sie sich meines Kindes. Ich übergebe Ellen Ihrem Schutz!« Schwedenklee zitterte, totenbleich im Gesicht, hinter seiner Zeitung. Der Bassist Schwarz näherte sich. »Nelly ist bitterböse auf Sie!« schrie er laut lachend. »Sie hat eine Stunde auf Sie gewartet, mein Gott, wie böse sie war!« Schwedenklee wich dem Blick des Sängers aus. »Verzeihen Sie«, sagte er leise und stockend, bebend vor verhaltener Erregung. »Ich komme soeben vom Sterbebett eines Freundes.« »Oh, ich bitte um Entschuldigung«, stammelte Schwarz und begab sich rasch zu den Kartentischen. »Ich übergehe Ellen Ihrem Schutz ...« Heiß stieg ein heiliges Gelübde aus Schwedenklees Herzen. Plötzlich nahm er Pelz und Zylinder, und mit einem verwirrten Lächeln auf dem verstörten Gesicht eilte er zum großen Erstaunen der Gäste rasch die Treppe hinab. * * * * * In den folgenden Tagen sah man Schwedenklee sehr geschäftig: im Zylinder, schwarzem Überzieher. Er fuhr im Auto ab, er kehrte im Auto zurück. Den ganzen Tag war er unterwegs, er aß in der Stadt. Er sprach fast nichts, seine Miene war ernst, feierlich. Stundenlang ging er, tief in Gedanken versunken, durch die Zimmer seiner Wohnung. Endlich war er ins reine gekommen. Er klingelte Augusta. »Augusta,« sagte er, »wir müssen diese Zimmer umräumen. Sagen Sie dem Portier, daß er mir morgen früh helfen soll. Ich --« er verlor unter Augustas Blick die Sicherheit -- »wir werden Besuch bekommen. Die Tochter meines verstorbenen Freundes wird bei uns wohnen.« Augusta legte den Kopf auf die Seite, zog den Mund breit und betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Dann wandte sie sich hastig ab und schlug die Türe zu. Das war Augustas Antwort. »Nun gut,« dachte Schwedenklee, »soll sie gehen, die alberne Gans!« An einem Nachmittag fuhr ein Auto vor Schwedenklees Haus vor. Zuerst stieg Schwedenklee aus, sehr erregt, scheue Blicke um sich werfend, und dann eine schmächtige, ganz in Schwarz gekleidete, tief verschleierte junge Dame, die eine armselige kleine Handtasche trug und den Blick auf den Boden heftete. Unbeweglich, hilflos stand die junge verschleierte Dame auf der Treppe, während Schwedenklee den Chauffeur entlohnte. »Augusta!« rief Schwedenklee. Aber niemand regte sich, das Haus schien verlassen. Schwedenklee war äußerst verlegen und sehr aufgeregt. Er hatte zwei kleine Zimmer seiner Wohnung mit antiken Möbeln hübsch und anheimelnd eingerichtet, so daß ein junges Mädchen von Geschmack daran Gefallen haben mußte. Sogar einen kleinen elektrischen Ofen hatte er angeschafft, damit sein Gast nicht frieren solle. »Ich habe diese kleinen Zimmer für Sie eingerichtet, Ellen«, sagte Schwedenklee mit unsicherer Stimme. »Hoffentlich fühlen Sie sich wohl hier. Auf jeden Fall, Sie sind hier ganz zu Hause.« »Danke«, sagte die tief verschleierte junge Dame tonlos, ohne einen Blick in die Zimmer zu werfen, die Augen zu Boden gerichtet, unbeweglich. »Jedenfalls vergessen Sie nicht, daß Sie hier ganz zu Hause sind«, wiederholte Schwedenklee verwirrt und ging zur Türe. »Sie werden gleich Tee bekommen. Ich denke, Sie wollen allein sein, und werde Ihnen Augusta schicken.« Das Mädchen in schwarzer Kleidung wandte sich ihm zu. »Dank für alles, was Sie für Papa getan haben«, flüsterte sie tonlos, ohne den Blick zu heben. Sie zitterte heftig. Und plötzlich fiel sie vor Schwedenklee in die Knie. »Dank!« Schwedenklee hob den schlanken, zarten Körper auf. Er war aufs tiefste erschüttert. »Sie sollen nicht so sprechen. Es ist ja alles selbstverständlich.« Rasch verließ er das Zimmer. »Jetzt ist sie hier! Jetzt ist sie bei mir!« flüsterte Schwedenklee, als er die Türe seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte, und ein Strom von Glückseligkeit durchrann ihn. 16 Immer noch sah er sie vor sich, wie sie, die schlanken Hände verkrampft, mit dem Ausdruck letzter Inbrunst, Andacht, Aufgelöstheit vor dem Bette kniete, das bleiche, schöne Antlitz verklärt von unbegreiflichem Schmerz. Eigentlich, sagte er sich, sah sie aus, als ob sie grenzenlos erstaunt wäre, ja, Staunen, Verwunderung -- nein, ich weiß nicht, es ist jedenfalls nicht in Worten auszudrücken. Unauslöschlich hatte sich dieses Bild in sein Gedächtnis eingegraben. Er liebte es, sich diesem Anblick hinzugeben, obschon ihn die Dampfwolke peinigte, die aus dem verzerrten Munde des Sterbenden über die rauhe Wolldecke fuhr. Dann sah er sie, in letzter Schärfe, in ihrer Trauerkleidung vor sich. Das schwarze Hütchen, der schwarze Schleier, der ihr Gesicht ganz durchsichtig erscheinen ließ -- ihre Lippen, ihr atmender Mund, ihr scheues Tierauge, die Grübchen in ihren glatten Wangen -- und wie bei ihrer Mutter war das Grübchen auf der rechten Wange etwas tiefer als auf der linken. Die schwarze Halskrause, aus der ihr feiner Nacken stieg, ganz wie Ellens, der Mutter, Nacken. Und nun war sie hier! Lieber Himmel, Schwedenklee war ganz verwirrt! Es war nicht leicht gewesen, Ellen, die der Schmerz fassungslos gemacht hatte, in ein Magazin für Trauerkleider zu bringen. Hundertmal wiederholte Schwedenklee mit unendlicher Geduld: »Aber Sie können doch nicht _so_ Ihren Vater beerdigen, seien Sie doch vernünftig!« Endlich ließ sie sich bewegen. Aber sie wünschte das Kleid so einfach wie nur möglich. Die Verkäuferinnen, gerührt von ihrer Schönheit und Hilflosigkeit, bemühten sich um sie. Schließlich stand sie fertig angekleidet vor dem Spiegel. Sie blickte hinein und errötete! Blitzschnell ergoß sich die Röte, zart, wie ein Hauch, über ihr Gesicht und ihren Nacken -- ganz wie bei ihrer Mutter. Sie errötete, weil sie sich in der Trauerkleidung gefallen hatte. »Und nun neue Schuhe, Ellen!« Sie sah ihn verständnislos an, während sie im Wagen weiterfuhren. »Aber Sie können doch nicht in diesen abgetretenen Schuhen --?« »Aber weshalb sorgen Sie sich um mich?« fragte sie unwillig, die kleine Stirn zerknittert, und preßte die Hände an die zarten Schläfen. »Sie vergessen es immer wieder: ich bin ein Freund Ihrer Mutter und Ihres Vaters.« Ellen nickte. »Ich vergaß es, ja!« »Nun will ich alles tun, wie Sie es wünschen«, sagte sie und schmiegte sich an ihn, in kindlicher Aufwallung, obschon sie neunzehn, zwanzig Jahre alt sein mußte. »Ich will gehorsam sein.« Schwedenklee sagte ihr, daß sie sich wegen ihrer Zukunft keine Sorgen zu machen brauche. Sie sah ihn ohne jedes Verständnis an. »Ich mache mir ja keine Sorgen.« »Ich verstehe wohl. Sie müssen aber doch irgendwo bleiben.« »Bleiben?« Feindselig blendete ihr Blick. »Ja, natürlich. Sie müssen essen, trinken, schlafen.« »Nein, nein« -- unterbrach sie ihn -- »nein, das muß ich nicht!« »Sie haben mir versprochen, an all diese Dinge für Sie denken zu dürfen.« »Ja!« Nach einer Pause fühlte er ihren Blick. »Papa ist sehr arm gewesen, aber er war trotzdem ein großer Künstler!« »Ein großer Künstler!« Ellens scheues, verstörtes Tierauge wanderte ruhelos. Fragmente ihrer kurzen Gespräche fielen Schwedenklee ein, Blicke, Bewegungen. Als man den Sarg abholte, kniete Ellen in der Ecke der Stube. Bei der Beerdigung war Ellen gefaßt. Sie stand wie versteinert, den Blick zu Boden gerichtet. Sie waren nur zu dritt. Ellen, er, die weißblonde Schwester, die heftig weinte. Bei ihrer Mutter waren es nur zwei, dachte Schwedenklee: Blank und Ellen. Und er erinnerte sich, daß Blank ihm schrieb, er habe sich auf die Erde geworfen ... Augusta servierte mit feuchten Augen, mit reuevoller Weichheit, das Abendessen. »Sie werden uns also nicht im Stich lassen?« fragte Schwedenklee, kauend, ohne vom Teller aufzusehen. »Sagte ich denn das?« Schon weinte Augusta, diese gute Seele. »Ich habe ihr zugeredet, und sie hat eine Tasse Tee getrunken. Nun will ich sehen, daß sie noch ein Ei ißt, dieses arme Kind!« Schwedenklee verbrachte den Abend zu Hause. Die Aufregungen der letzten Tage hatten ihn so sehr mitgenommen, daß es ihm unerträglich gewesen wäre, Menschen zu sehen. Er genoß jede Minute des Alleinseins. Seit vielen Jahren hatte er einen solch zufriedenen, ausgeglichenen Abend nicht gehabt. Er strich an seiner Bibliothek entlang. »Ich werde ein schönes Buch lesen, ja!« Seit Jahren hatte er nicht mehr die Sammlung besessen, sich auf ein umfangreicheres Werk einzulassen. Er zog eine Reihe von Büchern heraus, ohne sich entschließen zu können. Die »erotische Abteilung« betrachtete er mit einem verächtlichen Lächeln. »Augusta?« Schwedenklee erschien in der Küchentür! »Was macht unser Gast?« »Sie hat jetzt den Hut abgenommen. Sie will versuchen zu schlafen, sagte sie.« »Hat sie das Ei gegessen?« »Sie versprach es zu essen.« Schwedenklee klopfte an Ellens Türe. »Ich will Ihnen gute Nacht sagen«, sagte er mit väterlicher Wärme, indem er den Kopf ins Zimmer streckte. »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?« »O nein, danke«, antwortete Ellens kleine Stimme, ganz fern. Ellen hatte wirklich den Hut abgenommen. Sie stand mitten im Zimmer und wandte ihm ihr scheues, helles Auge zu. »Schlafen Sie wohl. Und wenn Sie Wünsche haben, so klingeln Sie.« »Ich habe keine Wünsche, danke!« »Hier ist jener Brief, den Ihr Vater mir hinterließ. Ich lege ihn hierher, vielleicht haben Sie jetzt Sammlung genug, ihn zu lesen.« »Danke!« Regungslos stand Ellen. * * * * * Das Leben hat merkwürdige Einfälle, dachte Schwedenklee verwundert und triumphierend zugleich. Ist es nicht sonderbar, daß Ellens Tochter, die wiedergeborene und verjüngte Ellen, bei mir ist? Wer hätte sich das je träumen lassen? Dank einer Fügung des Schicksals habe ich, ohne mein Zutun, plötzlich eine Tochter bekommen -- ein wunderbares Wesen, ein Kleinod dazu -- den angebeteten Liebling unglücklicher Eltern ... Ja, in der Tat, es war das alte Glück Schwedenklees, immer noch folgte es ihm wie sein Schatten. Wie man sich erinnern wird, erhielt er den Titel eines »Oberbaurats« vom Oberkellner des Cafés, ohne jede Anstrengung -- ohne jedes Verdienst hatte ihn das Schicksal plötzlich, gänzlich unerwartet, mit einer Tochter beschenkt. Schwedenklee war ganz erfüllt von seinem Glück. Als Blank, dieser gute, arme Blank, dachte er, mir seinerzeit auflauerte, ahnte ich damals nicht, daß diese merkwürdige Begegnung eine besondere Bedeutung für mein Leben haben wird? Wie? Und Blanks unverständliche Bemerkungen, Anspielungen, seine prüfenden Blicke -- ja, nun verstehe ich alles. Sie ist in guten Händen bei mir, teuerster Freund -- unwillkürlich hatte er Blanks Tonfall nachgeahmt, als er »teuerster Freund« sagte. Schwedenklee hatte die Briefe, die ihm Schwester Anna als ein Vermächtnis Blanks in der eisigen Küche überreichte, schon flüchtig durchflogen. Nun aber war er in der ausgeglichenen, ruhigen Verfassung, sie genauer zu lesen. Es waren im ganzen sechs Briefe, kürzere und längere, die er an Ellen von Paris aus geschrieben hatte. Er erkannte seine Handschrift wieder -- seine Handschrift vor zwanzig Jahren --, heute schrieb er etwas kräftiger und klarer. In dem ersten Briefe nach Ellens Abreise schrieb er ihr, daß er in ihr Zimmer gezogen sei (im Hotel Panthéon) und daß sie gegenwärtig sei in Möbeln und Wänden und tausend kleinen Dingen. Es lag ja so nahe, dies zu schreiben! Aber, sagte sich Schwedenklee, welch bodenlose Verlogenheit! Um 9 Uhr abends reiste Ellen, ich weiß es noch genau -- um 10 Uhr speiste ich mit Fräulein Svenska, mit der rotbäckigen Schwedin, in diesem Zimmer -- und am nächsten Morgen schrieb ich diesen Brief. Und hier, das war offenbar die Antwort auf einen Brief Ellens, in dem sie ihm für ein Darlehen dankte. »Kein Wort, liebste Freundin,« schrieb er, »ich bin glücklich, Dir gefällig sein zu können. Es ist ja so selbstverständlich! Es gibt eine Solidarität des Adels, der Reichen, sollte es nicht auch eine Solidarität der Künstler und geistig Schaffenden geben?« Lesen wir dies nochmals, sagte Schwedenklee, habe ich wirklich diese Phrasen geschrieben? Ja, er hatte Ellen ganze tausend Franken geschickt und auf ihren Dankesbrief mit derartig hochtrabenden Worten geantwortet! In einem anderen Brief entwickelte er mit großer Beredsamkeit und vieler Wärme ein System, wie die Künstler und geistig Schaffenden zu leben hätten! Wie Mönche, nicht anders, arm, anspruchslos, materielle Genüsse und Güter verachtend, nur ihrer Kunst ergeben, in einer kameradschaftlichen Gemeinschaft. Alle, die dem »Orden« angehörten, hätten ihre Einnahmen der Gemeinschaft zu überweisen -- um der Welt ein Beispiel zu geben, wie die Menschen eigentlich leben sollten. Es sollte künftig nicht mehr Maler geben, die Millionen verdienten, während ihre Kollegen darbten -- nein, die Millionen der Erfolgreichen sollten in die Kasse der Gemeinschaft der Maler fließen. Wie bei den Malern, so bei den Musikern, den Schriftstellern -- »Sind das meine Worte, wahrhaftig? Habe ich je solchen Anschauungen gehuldigt?« Schwedenklee war erstaunt, ja förmlich verblüfft, auf diesen ihm gänzlich fremden, jungen Schwedenklee zu stoßen. War dieser Einfall vielleicht schlecht? O nein, nein! War es nicht im Gegenteil ein herrlicher Gedanke? Und was ist daraus geworden? Nichts, nichts. Schwedenklee erhob sich, verlegen. Wirklich nichts! Ich habe diese Idee ganz einfach -- _vergessen_. Je länger er in den Briefen las, desto mehr erkannte er, daß der frühere Schwedenklee und er eigentlich zwei völlig verschiedene Personen waren. Schwedenklee der Jüngere, der leidenschaftlich soziale Probleme erörterte, dessen Religion, wie er schrieb, die »Kameradschaft« war -- und Schwedenklee der Ältere, der sich, Gott weiß es, den Kopf nicht mehr mit derartigen Dingen zerbrach. Ja, in der Tat: zwei Welten. Ein behaglicher Bourgeois war aus dem jungen Schwedenklee geworden, gestehen wir es nur -- ein Bourgeois wie die andern, mit genau den gleichen Ansichten wie der Kaufmann Jaffe, der Kinderkleider fabriziert. O ja, wahr! Wahr! Ähnliche Anschauungen kehrten in all den Briefen wieder. Tapfer hatte sich Schwedenklee der Jüngere den Problemen entgegengeworfen. »Vorurteilslosigkeit und Mut brauchen wir,« schrieb er, »um dem Leben entgegenzugehen, das vor uns liegt ...« Schwedenklee las und staunte. War er das wirklich? Etwas wie ein leises Schamgefühl überkam ihn. In einem Briefe fand sich diese Stelle: »Ich finde ja an und für sich, daß wir schon korrumpiert sind. Wir Künstler müßten gekleidet sein wie Monteure und Arbeiter, in Manchesterhosen, wir müßten _betonen_, daß wir und die Bourgeoisie verschiedene Welten sind.« Er? Er, Schwedenklee in Manchesterhosen? Er bekam einen roten Kopf. Ja, was ist doch aus diesem Schwedenklee geworden? Mit einem verlegenen Lächeln erhob sich Schwedenklee. Was ist aus mir geworden? Sein ganzes Leben, das Leben der letzten zehn, zwanzig Jahre erschien ihm plötzlich unverständlich ... * * * * * »Herr Schwedenklee!« Jemand pochte an der Türe. Es war Augustas Stimme. Schwedenklee streifte die Uhr mit einem Blick. Es war schon spät in der Nacht. »Was wollen Sie, Augusta?« fragte Schwedenklee, weich und versöhnlich gestimmt. »Es ist etwas nicht in Ordnung mit dem Fräulein.« »Wie --?« »Ja, es ist etwas nicht in Ordnung!« Augenblicklich erschien Schwedenklees fahles Gesicht in der Türe. »Erst stöhnte sie so eigentümlich und jetzt antwortet sie nicht mehr.« Tödlich erschrocken eilte Schwedenklee an Ellens Türe und pochte. Erst leise, dann ohne jede Rücksicht. Nichts regte sich, kein Laut. Aber durch das Schlüsselloch schimmerte Licht. Schwedenklees Blicke begegneten dem entsetzten Auge Augustas. Das Haus schwankte. Rasch, ohne zu denken, eilte er durch die Zimmer und klinkte die Tür auf, die vom Speisezimmer in Ellens Räume führte. Diese Türe war offen: Auf das Sofa gekauert sah er Ellen, in ihren Trauerkleidern, bleich, still, die blutleeren Lippen schmerzvoll geöffnet, die Augen erschrocken, wie die eines überraschten Tieres, auf ihn gerichtet. Ihre kleine Hand hing herab, wie gebrochen ... es tropfte und rieselte -- Sofort übersah Schwedenklee alles. »Aber mein Kind!« rief er aus und berührte die schmale Schulter. Er war selbst totenbleich und zitterte an allen Gliedern. In diesem Augenblicke erkannte er ganz die Größe der Leidenschaft, die ihn für dieses Wesen erfaßt hatte. Mit den gleichen Augen eines überraschten, erschrockenen Tieres blickte ihn Ellen an. »Verzeihen Sie mir«, flüsterte sie, ohne jede Regung. Mit der Scherbe eines zerschlagenen Glases hatte Ellen sich die Pulsader geöffnet. Um den Teppich nicht zu beflecken, hatte sie eine Blumenvase unter die herabhängende Hand gestellt. Im Hause wohnte ein Arzt. In kaum zehn Minuten war er da. Es bestand keine Gefahr für Ellens Leben. Schwedenklee schloß die ganze Nacht kein Auge. Kreidebleich, zuweilen in Ellens Zimmer lauschend, schlich er schwankend in seiner Wohnung hin und her. Er zitterte und fror entsetzlich. Laß sie leben, großer Gott im Himmel! Ja, in der Tat, Schwedenklee betete. Und wieder stand er im dunkeln Speisezimmer und lauschte gegen die offene Tür. Sie schlief -- ruhig und langsam ging ihr Atem. Der Arzt hatte ihr Morphium gegeben. Unbegreiflich schön schien es ihm, hier zu stehen, im dunkeln Zimmer, und ihren leisen Atemzügen zu lauschen. 17 Die Türen zu Ellens Zimmer standen immer offen. Am Tage behütete sie Augusta und in der Nacht Schwedenklee. Er hatte die Schlösser von Ellens Türen abgeschraubt. Jede Nacht wachte er, lesend, rauchend, mit sich plaudernd, Gedanken hingegeben, bis er Augusta am Morgen in der Küche hörte. Ellen genas rasch. Eines Tages saß sie in ihrem Bett aufrecht, die Wangen gerötet, wie in leichtem Fieber, das brünette lockere Haar, das einen Anflug ins Rötliche hatte, lässig um den zart, gleichsam zerbrechlich geformten Kopf geschlungen, und _lächelte_. Zum erstenmal sah Schwedenklee sie lächeln. Ihr Gesichtsausdruck war verändert. Ihr Auge verträumt, voller Glanz und Hoffnung. »Schrauben Sie die Schlösser wieder an,« sagte sie klar und wach, »ich verspreche Ihnen --« »Kann man Ihnen vertrauen?« fragte er lächelnd. »Ja!« Sie nickte beschwörend. »Ich gebe Ihnen mein Wort.« Sie winkte ihn heran. »Jetzt erst verstehe ich Papa!« sagte sie, ihn ernst und groß anblickend, und berührte seine Hand mit leisen, zarten Fingern. »Er hat mir viel von Ihnen erzählt. Ein paarmal sagte er mir: wenn du irgendeinen Rat brauchst, man weiß ja nicht, wie es kommen kann -- so gehe getrost zu Herrn Schwedenklee. Er ist gütiger als alle Menschen.« Schwedenklee brachte keine Silbe über die Lippen. Er errötete und schlug rasch die Augen nieder. »Jetzt erst verstehe ich Papa!« wiederholte Ellen nickend und zog sich mit leisen Händen an ihn heran. »Wie soll ich Ihnen danken?« Schwedenklee lachte, um seine Verlegenheit zu verbergen. »Sie können mir danken, Ellen, indem Sie mir vertrauen. Sprechen Sie mit mir, wie mit« -- beinahe hätte er Vater gesagt -- »wie mit einem Bruder. Verfügen Sie über mich und versprechen Sie, immer Vertrauen zu mir zu haben, was es auch sei.« »Ich verspreche es Ihnen«, erwiderte Ellen mit einem ernsten, hellen Blick. »Ich war so unglücklich!« setzte sie flüsternd hinzu und drückte leise, kaum merklich, seine Hand, und er fühlte, daß ihre Finger zitterten. Schwedenklee sagte nichts. Verwirrt und scheu verließ er ihr Zimmer. * * * * * Schwedenklee hatte über eine Woche das Haus nicht verlassen. Er sprach mit niemanden, er hütete sein Geheimnis! Natürlich war es nicht zu umgehen gewesen, daß er Nelly von den Ereignissen der letzten Wochen unterrichtete. Er hatte sie gebeten, ihn für einige Zeit zu entschuldigen -- bis alles in Ordnung gebracht sei. Telephonisch hatte er ihr alle Einzelheiten erzählt -- besonders den Selbstmordversuch Ellens hatte er ausführlich und mit allen Einzelheiten berichtet, obwohl er sich seiner Schwatzhaftigkeit schämte, noch während er am Telephon stand. Aber es war doch notwendig, Nelly zu überzeugen, daß er für einige Zeit ans Haus gebunden sei. Nelly telephonierte täglich. Der Patient sei noch immer nicht recht in Ordnung. Er ermahnte sie, ihren Gesangsunterricht nicht zu vernachlässigen und den dramatischen Unterricht ja nicht zu unterbrechen. Er sei auch damit einverstanden, daß sie als dramatischen Lehrer doch Dunker nehme -- ein ziemlich junger, hübscher Schauspieler, der wegen seiner Liebesabenteuer berühmt war. Schwedenklee hatte keine Eile, Nelly zu sehen. Eines Tages aber trat Nelly ohne jede telephonische Anmeldung bei ihm ein. Sie erschien Schwedenklee fremd, sozusagen unbekannt. Er erblickte sie wie aus weiter Ferne -- ihre Züge, ihre interessante Blässe und die turmartige Frisur, diese »schweren Flechten«, ließen ihn völlig unberührt. Nelly verstand seinen Blick sofort: diese unverschämte Gleichgültigkeit eines erkaltenden Geliebten! Sie war außerordentlich freundlich, teilnahmsvoll. »Es ist merkwürdig,« sagte sie, »du hast mir nie gesagt, daß du so intime Freunde hättest. Im Gegenteil, du klagtest ja immer, du habest keine Freunde!« Sie hielt die Teetasse auf den Fingerspitzen, spielte die Dame auf Teebesuch. Schwedenklee behandelte sie mit grausamer Höflichkeit. Er spielte den Herrn, der eine Dame auf Teebesuch bewirtet. »Natürlich habe ich Freunde -- von früher her. Wir alle haben Freunde nur von früher her, aus der Jugend. Es ist allerdings wahr, meine Freunde haben sich wenig um mich bekümmert, und es ist ebenso wahr, daß ich mich wenig um sie bekümmerte.« Er sprang auf und reichte ihr Feuer für die Zigarette. Sie dankte. »Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir so lebhaft zu Dunker geraten hast!« »Ist er also doch tüchtig?« »Oh!« Nelly lächelte sonderbar, indem sie die Augen zur Decke hob. »Er ist ein wirklich moderner Künstler! Aber er ist keck --!« Schwedenklee sagte nichts. »Er ist sehr keck. Er verfolgt mich unaufhörlich mit seinen Anträgen.« »Aber du bist ja kein Kind mehr, Nelly!« Oh, wie gleichgültig klang hier Schwedenklees Stimme! Welch bösen Blick sie ihm gab! Aber sofort lächelte sie wieder gleichmütig. »Ich sagte ihm: spielen Sie Theater auf der Bühne!« »Sehr gut!« lobte Schwedenklee und lachte. Pause. Nelly forschte in seinem Gesicht. »Du bist gar nicht eifersüchtig?« Nelly lachte. »Eifersüchtig? Ich kenne dich ja, Nelly!« sagte Schwedenklee im Tone unerschütterlichen Vertrauens. Nelly kokettierte über die Teetasse. »Vielleicht kennst du mich doch nicht? Er ist ein netter Junge! Erst fünfunddreißig.« Sie lächelte anmutig. Schwedenklee ignorierte diesen impertinenten Angriff. Dabei war er überzeugt, daß Nelly sich gar nichts aus Dunker machte -- es war ihm übrigens völlig gleichgültig. »Er ist nett. Und was das Reizendste an ihm ist, er ist solch ein Kind. Er ist -- trotz allem -- ein kleiner Junge!« »Wirklich?« Schwedenklee lachte anerkennend. »Gerade diese Naivität liebe ich bei Männern.« Hier richtete sich Nelly in ihrem Sessel auf. Sie gab ihrem Kopf einen Ruck und schleuderte die Tasse auf den Teppich. Sie stand auf. »Aber Nelly?« sagte Schwedenklee, scheinbar völlig erstaunt und gut gelaunt. »Was zuviel ist, ist zuviel!« Nellys Brauen flogen in die Höhe. »Aber ich bitte dich, Nelly!« »Wenn du mich loshaben willst --«, schrie Nelly mit funkelnden Augen. »Einen Augenblick ..« Schwedenklee schloß eine Türe. »Ach so!« sagte Nelly, voller Hohn. Schwedenklee wurde rot, seine Schläfe zuckte. »Sie ist ein Mädchen«, sagte er beruhigend, aber seine Stimme zitterte etwas, im Gefühl der Befriedigung, ihren impertinenten Angriff von vorhin mit gleicher Impertinenz erwidert zu haben. »Sie soll sich erholen, und ich möchte jede Aufregung von ihr fernhalten.« »Oh, welche Rücksichtnahme! Jede Aufregung von ihr fernhalten --!« »Bitte, Nelly!« sagte Schwedenklee lächelnd, beschwichtigend. Seine Ruhe und Gleichgültigkeit versetzten sie in Raserei. Ja, Schwedenklee war als Gegner nicht zu verachten, wenn es darauf ankam. »Bitte, Nelly«, äffte sie ihm nach. »Ich möchte jede Aufregung von ihr fernhalten. Ja, ja! Halte mich nicht für so töricht ...« Schwedenklee sandte ihr einen warnenden Blick zu. Er wußte -- und er empfand es triumphierend --, daß sie jetzt verspielen würde. »Du hast dich in ein kleines Mädchen verliebt, das ist alles«, schrie Nelly außer sich. »Und alles andere -- das mit dem Freunde, mit der Doppelwaise, mit dem Selbstmordversuch, ist einfach eine dumme Komödie!« Sie ist verloren, dachte Schwedenklee mit Befriedigung -- und schon mit einem gewissen Mitleid. »Nelly!« sagte er beruhigend, beschwörend. »Ich schwöre dir, alles ist Wahrheit. Du bist heute sehr erregt --« Ja, Nelly war verloren. Sie schrie, sie verleumdete, beschimpfte. Sie tobte und verließ rasend das Haus. Schwedenklee tat aufs tiefste gekränkt und machte keinen Versuch, sie zurückzurufen. »Es ist sehr schade«, sagte Schwedenklee, als er allein war und sich mit zitternden Fingern eine Zigarette anzündete. »Es ist sehr schade, daß man mit Frauen nicht offen sprechen kann. Nun gut, daß es zu Ende ist! Fort mit ihr! Fort mit allen -- ich will sie _alle_ nicht mehr sehen -- Gott sei Dank!« Schwedenklee horchte an Ellens Türe. Kein Laut. Ellen hatte von der ganzen Szene nichts gehört. Einige Wochen später aber sagte Ellen: »Es war einmal eine Dame bei Ihnen. Sie war sehr erregt. Ich möchte nicht irgendwie im Wege sein.« »Aber Ellen! Wie können Sie so etwas denken. Sie sind zu jung, um das zu verstehen!« 18 Schwedenklee hatte sich völlig verändert. In all den Wochen von Ellens Genesung hatte er kaum das Haus verlassen. Ins Stammcafé kam er nicht mehr. Man wunderte sich. Gerüchte schwirrten. Ein Stammgast berichtete, Schwedenklee habe in einer Nacht, da er aus dem Café kam, eine junge Dame -- eine Lebensüberdrüssige -- aus dem Kanal gezogen und zu sich ins Haus genommen. Er wies auf eine Notiz hin, die in den Zeitungen erschienen war. Architekt S. rettete eine Lebensüberdrüssige, die aus Liebeskummer in den Landwehrkanal sprang. Kurzum, Schwedenklee erschien nicht mehr im Café, und eine Woche später war er schon vergessen: ganz als ob er tot wäre. Schwedenklee holte seine großen Mappen aus der Bibliothek. In der Bibliothek befanden sich besondere Schränke, und in diesen Schranken standen die Mappen, die er vor Jahren hatte anfertigen lassen. Es waren zehn graue Mappen, herrlich gebunden -- manche enthielten gar nichts, manche enthielten ein, zwei Skizzen, andere mehrere. Die Mappe »Fabriken« war besonders umfangreich, die Mappe »Warenhäuser« ebenso. Die dickste Mappe hatte die Aufschrift »Städtebau -- Verkehr«. Über diese Mappe gebeugt saß Schwedenklee in all den Nächten, da er den Schlummer Ellens bewachte. Vor Jahren hatte er sich, man wird sich erinnern, mit verkehrstechnischen Problemen Berlins intensiv beschäftigt. Es waren seinerzeit sogar einige Notizen darüber in den Zeitungen erschienen. Es gab in Berlin ein halbes Dutzend Bahnhöfe: die Bahnhöfe der Stadtbahn, den Lehrter Bahnhof, den Potsdamer, Anhalter, Schlesischen Bahnhof -- es war, mit einem Wort, ein völliges Durcheinander. Schwedenklee aber hatte in der Arbeit vieler Jahre eine Lösung gesucht und gefunden: von jedem beliebigen Punkte Berlins aus sollte man bequem jede Reiseroute antreten können! Schwedenklee plante einen Riesenbahnhof, der gegenüber dem Reichstagsgebäude, mitten im Tiergarten, gelegen war und, über und unter der Erde, im Zusammenhang stand mit sämtlichen bereits vorhandenen Bahnhöfen. Dieses interessante Problem fesselte ihn von neuem. Es schien ihm noch schwieriger, noch interessanter geworden zu sein. Ganze Nächte hindurch zeichnete er. Er plante die Veröffentlichung einer Broschüre, die Berlin, die Behörden verblüffen sollte. Ellen genas. Der Arzt sagte: »Sobald die Witterung es erlaubt, heraus aus der Stadt. Sie haben doch, höre ich, eine Besitzung auf dem Lande?« »Ja.« »Nun gut, dann sobald wie möglich aufs Land.« Es war noch kalt, noch fiel Schnee, und schon machte Schwedenklee Pläne. »Augusta,« sagte er, »halten Sie sich bereit. Wir werden bald aufs Land gehen. Ich hoffe, Sie haben genügend eingekocht --« Zu Ellen sagte er: »Liebe Ellen, der Arzt will, daß du aufs Land in frische Luft kommst. Wir werden bald reisen. Aber, liebes Kind, wir müssen dich etwas ausstaffieren.« Herrliche und ganz wundervolle Tage für Schwedenklee, da er mit Ellen einkaufte! Wäsche, Kleider, Schuhe. Sie besaß ja _nichts_! Ellen sträubte sich. »Aber, erlaube doch,« sagte Schwedenklee, so bestimmt, daß Ellen nicht zu widersprechen wagte, »wir leben nun einmal in dieser Welt! Du mußt Kleider haben, Mäntel, Hüte, Schuhe ...« Wochenlang waren sie in den Geschäften unterwegs. Er stattete sie aus wie eine Braut, als ob sie seine Tochter wäre, die er zu verheiraten hätte. Obschon nur Junggeselle, wußte Schwedenklee ganz genau, was eine junge Dame alles brauchte -- von den Taschentüchern angefangen bis zu den Unterleibchen und Gürteln, an denen die Strumpfbänder befestigt sind. Schwedenklee wußte genau, wie Taschentücher einer Dame gearbeitet sein müssen, wie der Besatz eines Hemdes auszusehen hatte. Es war Schwedenklees höchste Freude, wenn er sah, wie Ellen errötete, weil sie sich in einem Kostüm, einem Mantel gefiel. Oder, wenn sie erregt wurde beim Befühlen von Linnen und Batist. Ellen war äußerst bescheiden, sie widerstrebte, aber zuletzt gelang es ihm doch stets, sie umzustimmen. Zu Hause beobachtete er beglückt, wie sie Hüte und Mäntel vor dem Spiegel aufprobierte und die Erregung ihre Wangen färbte. Es war ihm ein Genuß, mit Ellen auf der Straße zu gehen. Niemand ging vorüber, ohne daß sein Blick gefesselt auf ihrem Gesicht geruht hätte. Voller Stolz kassierte er all ihre Erfolge ein, die sie nicht einmal bemerkte. Sie ging leicht, ihr Schritt war leise, wie der ihrer Mutter, nie hatte er einen solch schwebenden Gang, eine solche natürliche Würde bei einer Frau beobachtet. Sie ging wie ein Tier, eine Katze vielleicht, unbewußt und schön, ihre schmalen Hüften spielten. In einigen Geschäften gebrauchte man die Redensart: »Das gnädige Fräulein, Ihre Tochter --« Schwedenklee wurde verlegen, zuweilen blutrot -- Ellen lachte wie ein Kind. Sie hatte die Gewohnheit, wenn sie schelmisch lachte, die oberen Zähne in die Unterlippe zu drücken und etwas mit den Augen zu blinzeln. Einige Sommerkleider für Ellen ließ Schwedenklee bei einer Schneiderin Henrietta anfertigen, die er von Nelly her kannte. »Ich begreife nun, weshalb Nelly so rasend eifersüchtig ist«, flüsterte die Schneiderin eines Tages in unverschämt zutraulichem Tone. »Ich bitte Sie, die Kleider, so wie sie sind, sofort an mich zu senden und Rechnung vorzulegen«, schrieb Schwedenklee am gleichen Tage, empört, daß die unverschämte Person Nelly und Ellen in einem Atem zu nennen gewagt hatte. Ja, diesem Volke mußte man Manieren beibringen! 19 Endlich waren alle Einkäufe beendet. Koffer wurden gepackt. Der Tag der Abreise aufs Land wurde festgesetzt. Der Zug verließ den Bahnhof. »Nun gehörst du ganz mir«, dachte Schwedenklee triumphierend, und seine Erregung war so groß, daß seine Hände zitterten. »Was denkst du?« fragte Ellen, verwirrt durch seinen Blick. »Ich fürchte, Ellen wird sich langweilen«, erwiderte Schwedenklee lächelnd, um seine Erregung zu verbergen. »Ich? Auf dem Lande? Oh, nie!« rief Ellen aus. Dann saß sie still, mit großen Augen, die erfüllt waren von Genugtuung, diese grauen Hauswände, zwischen denen der Zug sich durchzwang, hinter sich zu lassen. »Gott sei Dank!« flüsterte sie und atmete auf, als die Stadt zu Ende war und die Wiesen kamen. »Allmächtiger!« dachte Schwedenklee. »Wie wird es sein, wenn ich mit ihr allein sein werde?« * * * * * Schwedenklees Landgut »Siebenbirken« lag an der Ostsee, ganz in der Nähe von Warnemünde. Es lag nicht direkt am Meer, gewährte aber eine herrliche Aussicht über die See. Der Name stammte von Schwedenklee selbst. Früher hatte dieses Bauerngut überhaupt keinen Namen gehabt, nur eine Hausnummer. Aber da gerade sieben Birken vor dem Hause standen, hatte Schwedenklee den Besitz sehr poetisch »Siebenbirken« genannt. In einer Anwandlung von Weltflucht hatte Schwedenklee vor Jahren »Siebenbirken« gekauft. Er wollte allein, zurückgezogen, »wie ein Bauer« leben. Damals. Er hatte das Bauernhaus und die Wirtschaftsgebäude gelassen, wie sie waren, etwas krumm, plump, mit Stroh gedeckt, und ein Haus auf einem Punkte errichtet, der die schönste und vollkommenste Aussicht über die See bot. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr um »Siebenbirken« gekümmert. Er hatte einige Monate -- damals als er weltflüchtig war -- auf dem Landsitz verbracht und den Bau des Landhauses geleitet. Als der Bau fertig dastand, war er noch eine Woche geblieben. Aber am Ende der Woche hatte ihn das Grauen der Einsamkeit erfaßt. Noch in der Nacht hatte er gepackt: es war ja nicht auszuhalten! Mit dem Frühzug schon war er nach Berlin gefahren. Nur einige Male war er noch auf zwei, drei Tage in all den Jahren nach Siebenbirken gekommen, und stets hatte ihn das Gefühl trostloser Langeweile wieder vertrieben. Nein, nein, er hatte kein Talent, einsam zu leben! Verschiedenen Anwandlungen, das Landgut zu verkaufen, hatte er nur aus Trägheit nicht nachgegeben. »Ahnte ich etwas?« sagte er sich heute, in sein Inneres horchend. Der Bauer, an den das Gut verpachtet war, holte sie in einem wackligen Stuhlwagen ab. Der Wagen war so klein, daß Augusta mit den Koffern und Kisten auf der Station warten mußte. »Wie wunderbar! Wie herrlich!« rief Ellen mit leuchtenden Augen aus, als sie durch die scharfe Märzluft dahinfuhren. In den Wäldern lag noch da und dort Schnee. »Wird es dir hier gefallen?« Ellen nickte freudig. Am ersten Tage hätte Schwedenklee nahezu die gute Laune verloren: die Mahlzeiten schienen ihm etwas sehr ländlich. Augusta ging mit Tränen in den Augen, fiebernd, aufgelöst, in der völlig kahlen Küche hin und her. »Es ist ja nichts da, gar nichts da!« sagte sie. Ellen hatte sich eine von Augustas Schürzen umgebunden und versuchte durch ihre Munterkeit Augustas Verzweiflung zu verscheuchen. Am nächsten Tage fuhren Augusta und Ellen zur Stadt, um einzukaufen. Bepackt mit Töpfen, Schüsseln, Kochlöffeln, Sieben, Porzellan, Gläsern kehrte der Wagen zurück. Augusta strahlte. * * * * * Auf Siebenbirken lebten der Bauer mit seiner Familie, ferner zwei Pferde, drei Kühe, ein Rudel Schweine, etliche dreißig Hühner, einige Familien Gänse und Enten. -- Es gab einen Hund, eine Art Schäferhund, fahlgelb mit dunkelgrauen Rückenhaaren, mit Namen Strolly. Diesen Hund hatte Schwedenklee aufgezogen, zur Zeit, da er baute, und obschon er nur zwei-, dreimal auf das Gut zurückgekehrt war, hatte der Hund ihn wiedererkannt. Das rührte Schwedenklee. »Strolly«, furchtbar bissig und rasend allen Fremden gegenüber, war liebenswürdig, untergeben, sittsam und von äußerstem Entgegenkommen gegen Freunde. Schon am ersten Tage war er zu Ellen übergegangen, obschon ihn sein Feingefühl hinderte, es allzu deutlich zu zeigen. Sooft er Schwedenklee sah, tat er so, als ob er ihm die gleiche Anhänglichkeit bewahrt habe. Sobald aber Ellen nur sichtbar wurde, zeigte sich offen seine Heuchelei. Es gab einen schwarzen, dicken Kater, Munki, der es liebte, sich auf den Schultern spazierentragen zu lassen, ein menschenliebendes Tier, das sich an den Beinen rieb, sobald man sich zeigte. Dick, befriedigt, glücklich saß der Kater auf Ellens schmaler Schulter. Am dritten Tage schon war auch er zu Ellen übergegangen. Es gab eine Stute »Lotte«, die -- ein Phänomen -- mit der Zunge eine Türklinke hob, sobald sie neben dem Pferdestall Stimmen hörte. Es gab zwei Hähne, einen dicken alten, mit in hundert Schlachten zerzausten Federn, und einen jungen -- schlank, graziös, mit den Bewegungen eines Fechters --, die sich wie Teufel bekämpften. Zuweilen wurde der jüngere von dem alten bis tief hinein in den Wald gejagt. Es gab ein kleines Schwein, das zärtlich war wie ein Hund und sich gerne den Kopf graulen ließ. Das waren die Besonderheiten von Siebenbirken, sonst war es ein Landgut wie jedes andere. Nicht zu vergessen eine Gans, die -- ein Einzelgänger, nicht auf dem Hof gebrütet -- von den übrigen Gänsen verleugnet und gehaßt wurde und den Menschen wie ein Hund folgte. Sonst wie überall: Geschrei, Gegacker, Lärm, Blöken, und die Jauche rann aus den Ställen in den großen Misthaufen des Wirtschaftshofes. Beglückt beobachtete Schwedenklee, daß Ellen auf dem Gute auflebte. Vom Morgen bis zum Abend war sie unterwegs in Ställen und Scheunen. Munki, der schwarze Kater, saß auf ihrer Schulter, Strolly sprang ihr bis an die Ohrläppchen -- und sie zankte den fetten Hahn aus, der sich gegen den jungen, den sie »Spanier« nannte, albern und eifersüchtig benahm. Die Blässe ihres Gesichtes verlor sich, zartrotes Geäder erschien auf den Wangen. Ihre Stimme zwitscherte fröhlich. Nur dann und wann saß sie in sich versunken abseits, den Blick gequält in die Ferne gerichtet. An diesen Tagen sprach sie nur selten, leise, die Stirn zerknittert. Ihr Blick war verschleiert von Schwermut, die Gedanken ferne. Ein Zittern durchrieselte sie, wenn man sie berührte. Abends brannten dann zwei Kerzen in ihrem Zimmer, und am Morgen erschien sie bleich, verstört, mit geröteten Augen. Aber immer seltener wurden diese Anfälle schwerer Traurigkeit, die Schwedenklee, besonders anfangs, sehr beunruhigten. Ellen interessierte sich für alles, was in der Wirtschaft vorging. Sie war als Stadtkind nur flüchtig mit dem Lande in Berührung gekommen. Was für Futter erhielten Hühner und Schweine, weshalb wurde der Acker gewalzt, wie kam es, daß der Klee zwei, drei Jahre stand, was war eigentlich »Winterroggen«, von dem so viel die Rede war -- über all das konnte sie nicht ausführlich genug mit dem Bauer sprechen, und sie fragte auch Schwedenklee unausgesetzt, Schwedenklee, der kaum Weizen von Roggen zu unterscheiden vermochte. Als die Pferde zum erstenmal auf die Koppel durften, war es ein richtiger Festtag für Ellen. Sie selbst brachte die Pferde in den Stall zurück. Sie lernte sogar das Melken der Kühe. Schwedenklee hatte sich nie überwinden können, das Euter einer Kuh zwischen die Finger zu nehmen. »Dir gefällt es hier?« Seine größte Sorge war, daß es ihr schließlich doch nicht gefallen könnte. Allein, fern von allen Menschen wollte er sie haben. Ja, so mußte es sein, grenzenlos war sein Egoismus, das Schicksal hatte gesprochen. »Wir werden also hierbleiben? Du wirst sehen, es ist gar nicht zu langweilig. Wenn erst die Badegäste kommen werden.« Ellen zog die Braue hoch, ihre feine nervöse Braue. »Ich will keine Menschen sehen!« Wie dankbar war Schwedenklee. »Du willst also vorläufig nicht nach Berlin zurückkehren?« »Berlin?« Ellen war entsetzt. »Ich will bei Strolly und Munki bleiben!« Schwedenklees Gesicht wurde dunkel: er war eifersüchtig auf die Tiere ... 20 Schwedenklee hatte sich von dem Dorftischler einen großen Zeichentisch nach eigener Angabe anfertigen lassen. Hingegeben an seine Idee zeichnete er: er hatte nun den großen Berliner Zentralbahnhof weiter in den Tiergarten hinein verlegt. Er brauchte -- ja, was er brauchte, das war vor allem Platz! Monumentalität, Raum, Auffahrts- und Abfahrtsalleen! Nicht, daß man nach zehn Jahren sagte: bei aller Genialität, Schwedenklee hat es nicht verstanden, zehn, zwanzig, fünfzig Jahre in die Zukunft zu blicken. Eine Stadt wie Berlin ging wie eine Mine hoch! Also Raum -- immer tiefer hinein in den großen Tiergarten --. Aber schon nach kurzer Zeit beschäftigte ihn eine neue Idee leidenschaftlich. Das Landhaus war zu klein! Es war nur für ihn, Schwedenklee, berechnet. Er hatte es seinerzeit mit Absicht so klein gehalten: anders würden ihn, hatte er befürchtet, fortwährend Bekannte überlaufen! Von einem kleinen, sehr bescheidenen Gastzimmer abgesehen, das unter dem Dache lag, enthielt es nur drei Zimmer. Schwedenklee hatte sich auf einen Raum beschränkt, Ellen bewohnte das andere Zimmer, dazwischen lag die »Halle«, die als Speiseraum diente. In dem Giebelzimmer hauste Augusta. Schwedenklee beschloß, das Landhaus in großem Stil auszubauen. In großem Stil? Nein, in allergrößtem Stil, mochte es kosten, was es wollte. Tagelang tat er geheimnisvoll. Als er mit sich im reinen war, rief er Ellen an den Zeichentisch. Sie kam, den schwarzen Kater auf der Schulter. Strolly sah eifersüchtig zum Fenster herein und winselte flehentlich. Lieber Himmel, was für ein stattliches Gebäude das Landhaus plötzlich geworden war! Nach beiden Seiten und nach der Höhe baute Schwedenklee aus. Ellen stimmte allen Plänen zu. So und so -- erklärte Schwedenklee. »Und du sollst ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer haben -- mit einer kleinen Loggia.« »Oh, wie fein!« rief sie aus. »Aber ich brauche alles gar nicht. Ich bin so zufrieden mit meinem Zimmer!« »Und hier, siehst du, werden wir das Badezimmer hinausbauen!« Schwedenklee schwebte eine Art Glashaus vor: in der Mitte ein versenktes Bassin, ringsum eine Art Gewächshaus mit Palmen, Blattpflanzen, Kakteen. Schwedenklee sprach mit auffallend unsicherer, stotternder Stimme. Ellen war hell begeistert. Schwedenklee verlor sich in Einzelheiten. Erschrocken und fast mystisch erregt erinnerte er sich, daß er die gleichen Pläne, ganz die gleichen, mit Ellens Mutter, der unglücklichen Ellen, in vielen Stunden durchgesprochen hatte! Sein Atem stockte. Wie viele Jahre ist es her? Und nun steht sie hier, ihre Tochter --! Jetzt aber sollten die Pläne Wirklichkeit werden! »Und dann,« sagte er, atemlos vor Erregung -- denn Ellen schmiegte sich, zärtlich, mädchenhaft, an seine Schulter -- »weißt du, wenn alles fertig ist, was ich dann tun werde?« Ihr schönes reines Auge blendete. »Nein.« »Dann werde ich Siebenbirken der kleinen Ellen schenken.« »Ich will es nicht haben!« rief Ellen aus, und ihr Blick verriet Unsicherheit und Argwohn. Sie löste leise die Hände von seiner Schulter und lief verlegen lachend davon. »Meine Freude!« stammelte Schwedenklee und erhob sich schwankend, indem er ihr mit den Blicken folgte. 21 Schon in der nächsten Woche kamen die Werkleute, und der Umbau und Ausbau des Hauses begann. Es wimmelte auf Siebenbirken plötzlich von Handwerkern. Schwedenklee erhob sich schon am frühen Morgen. Er ging mit dem Meterstab hin und her. Er fertigte für Maurer und Zimmerleute und Tischler Detailzeichnungen an. Man muß es zugeben, in den letzten Jahren war Schwedenklee die Entschlußkraft einigermaßen abhanden gekommen. Er sollte zum Beispiel einen wichtigen Brief schreiben. Er konnte sich nicht dazu aufraffen. Da ist dieser Brief, dachte er, es wird höchste Zeit! Aber die Tinte war dick geworden. Der Brief unterblieb. Schwedenklee hatte sich sehr geändert. Er sieht, daß eine Latte an einem Zaun lose ist. Sofort holt er Hammer und Nägel und hämmert, daß es lustig widerhallt. Da steht ein alter Fliederbusch, dessen Blätter matt herabhängen. Schwedenklee hätte früher nie einen Finger gerührt. Jetzt holte er sofort einen Hammer und einen langen Zimmermannsnagel und meißelt Löcher in den zementharten Lehm rings um den Stamm. »Was tust du?« staunt Ellen, hingerissen und voll äußerster Verwunderung. Schon schleppt Schwedenklee Wasser heran und gießt die Löcher voll, sorgfältig, geduldig, bis der Zement sich erweicht. Schon am zweiten Tage stellen sich die matten Blätter des Fliederbusches steif und prall. Und Ellen staunt! Schwedenklee ließ sich wiegen -- auf derselben Wage, wo die Schweine, in einem Holzverschlag, gewogen wurden. Sein Gewicht war außerordentlich hoch. Er verschwieg es! Aber man sah ihn nun schon am frühen Morgen mit dem Spaten im Garten. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts den ganzen Tag über. Nach einer Woche hatte er bereits fünf Pfund verloren. Nun begann Schwedenklee schwere Steine, Feldsteine, die in Massen an einer Hecke angehäuft waren, zu schleppen und zu rollen. Er hatte beschlossen, einen Steingarten zu bauen. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirne. In dieser Woche nahm er acht Pfund ab. Schon waren ihm die Hosen zu weit. Sein Gang war leichter, er lief sogar zuweilen, allerdings nicht lange, da ihm der Atem kurz wurde. In seine schlaffen Arme kam wieder Kraft. Zuweilen strichen Radfahrer flink an Siebenbirken vorbei. Mit einem merkwürdigen Interesse sah Schwedenklee diesen flinken Radfahrern nach. »Kannst du radfahren, Ellen?« fragte er eines Tages, voller Entschlossenheit. »Nein!« »Vielleicht wäre es hübsch, Partien zu machen?« »Oh!« Schon fuhr Schwedenklee in die Stadt und brachte zwei funkelnagelneue Räder mit. Ja, bei Gott, vielleicht hatte Schwedenklee sich doch etwas zuviel zugemutet! Er fuhr vor etwa zwanzig Jahren Rad und glaubte nicht, daß es möglich wäre, diese Kunst zu verlernen? Kaum aber hatte er das Rad bestiegen, als er schon auf der anderen Seite in das Gras hinabstürzte. Augusta lachte, Ellen lachte, die Handwerker lachten. Wurde Schwedenklee böse? O nein, auch Schwedenklee lachte. Kühn fuhr er einige zwanzig Meter geradeaus, um bei einem Holzhaufen zu kentern. Ellen, zierlich, leicht, gewandt, kletterte in das Rad, und Schwedenklee führte die Maschine voller Vorsicht. Ellen schrie, lachte -- und wenn sie fallen sollte, landete sie an Schwedenklees Schulter. Schon am vierten Tage nach den ersten Übungen unternahmen sie eine kleine Radtour, die so reich an Erlebnissen war, daß sie tagelang darüber sprachen. Schwedenklee wurde in der Tat täglich schlanker. Sein Blick wurde offener, freimütiger. Seine dicken roten Prälatenwangen wurden flächig und braun, sein Körper straffte sich. Seine Stimme bekam einen metallischen Klang. Schwedenklee trug beim Lesen eine Hornbrille. Einmal trat Ellen ein, die ihn nie mit dieser abscheulichen Brille gesehen hatte. Sie lächelte, ja sie mußte laut herauslachen. In Zukunft trug Schwedenklee diese Brille nicht mehr. Die frische Luft, die Bewegung stärkten seine Augen in wenigen Wochen so sehr, daß er keine Brille mehr brauchte. * * * * * Eine ganze Woche regnete es. Schwedenklee zeichnete wieder an seinem Zentralbahnhof. Dann packte er die Geige aus und begann, lustlos anfangs, Instrument und Klang entfremdet, ganz leise zu spielen. Da erschien Ellen plötzlich -- ganz entgeistert! -- in der Türe. »Du spielst Geige?« rief sie maßlos überrascht aus. Freude stand in ihren hellen Augen. »Du spielst ja sehr gut!« sagte sie, noch mehr überrascht. Schwedenklee kam in Verlegenheit. Er erinnerte sich an die Zeit -- viele Jahre war es her -- da er begeistert mit den Musikstudenten zweimal in der Woche musizierte, da er sogar den Ehrgeiz besessen hatte, Geiger zu werden -- still! Es stellte sich heraus, daß auch Ellen Geige spielte. Ihr Vater hatte sie unterrichtet. »So spiele.« »Nein. Ich werde üben, wenn du nicht zuhörst. Ich habe lange nicht gespielt.« »Weshalb nicht?« Ellen errötete. »Papa verkaufte seine Geige.« »Ja, weshalb denn?« »Er verkaufte sie, als Mama starb. Wir hatten so große Ausgaben damals.« Schwedenklee fragte nichts mehr. »Es ist keine besondere Geige«, sagte er. »Aber wenn du mir eine Freude bereiten willst, Ellen, so nimm sie als Geschenk an.« Alles, alles wollte er ihr schenken, nur um ein freudiges Feuer in ihren Augen zu entzünden. Zart und kühl war die Haut ihrer Schultern. Sie war nicht schöner als andere Frauen, oh, keineswegs, aber sie war jung und unerfahren, das war alles, was sie anderen Frauen voraus hatte. Es war die Jugend, nicht mehr, nicht weniger. * * * * * Er bemühte sich, Ellens Wünsche und Pläne zu erforschen. Sie war scheu, sprach nie von sich und den Dingen, die sie im Innersten beschäftigten. Sie errötete, wenn man sie nach ihren Wünschen fragte, und erklärte, sie wünsche nichts. Vielleicht aber hatte sie irgendwelche Neigungen, Lust zur Musik, zu irgendeinem Berufe? In allen Dingen wollte er ihr wie ein Freund zur Seite stehen. Endlich überwand Ellen ihre Scheu und erschloß sich. Es fand sich, daß Ellen längst einen Entschluß gefaßt hatte. Verlegen und errötend bekannte sie, daß sie zur Bühne gehen wolle. Mehr als das, es stellte sich heraus, daß ihre Ausbildung bei verschiedenen Lehrern bereits so weit gefördert war, daß sie schon in diesem Sommer, wäre der Todesfall nicht eingetreten, in ihr erstes Engagement in einen kleinen Badeort hätte gehen sollen. Schwedenklee, der fürchtete, daß das Theater sie ihm entfremden könne, versuchte sie umzustimmen. Aber Ellen hing voller Leidenschaft an dem gewählten Berufe. Sie war fest entschlossen, denselben verführerischen und gefährlichen Weg zu gehen wie ihre Eltern. »Nun gut«, dachte Schwedenklee. »Ich habe gute Beziehungen zu den Theatern in Berlin. Sie wird es leichter haben, soll es leichter haben, als andere. Freilich: das Theater -- lieber wäre mir ein anderer Beruf -- lieber wäre mir gar kein Beruf ...« Ellen hatte einen hellen, ergreifenden Sopran: vielleicht Sängerin? Nun, sie sollte wählen, sie sollte werden, was sie wollte! Tagelang stand eine Überraschung in Schwedenklees Augen. Ellens Neugierde war aufs höchste gestiegen. Eines Tages wurde ein kleiner funkelnagelneuer Stutzflügel vor dem Hause abgeladen. Es war ein Glück, daß Ellen im Walde war! Als sie zurückkam, fand sie den Flügel im Speisezimmer. Ein kleiner Strauß von Frühlingsblumen stand darauf, und an der Vase lehnte eine Karte, auf die Schwedenklee geschrieben hatte: der kleinen Ellen für ihre neue Wohnstube. Ellen war überglücklich. Sie schlang ihre weichen, nach Gras und Wald duftenden Arme um seinen Hals. Die Berührung ihrer Arme war leise und doch unsagbar innig. Am Abend fand das erste Konzert statt. Schwedenklee spielte aus bekannten Opern, und er spielte außerordentlich aufgeregt. Er spielte Klavier keineswegs so gut wie Geige. Aber er spielte ohne Mühe, las gewandt, und zudem konnte er die meisten Opern auswendig. Schon nach wenigen Tagen hatte er sich wieder eingespielt, und der kleine Flügel sang und donnerte wie ein Provinzorchester, das sich alle Mühe gibt. Nun begann er auch einzelne Partien halblaut zu singen. Ellen war wie verzaubert. Mit glänzenden Augen saß sie da, den Mund offen, die Ohren leuchteten purpurrot. Ihre Kindheit erwachte, da sie in einer Luft von Musik aufwuchs. Bald aber -- wie angezogen -- stand sie hinter Schwedenklees Stuhl und begleitete ihn mit leiser, erregt bebender Stimme. Fast jeden Abend wurde musiziert. Draußen die Nacht, der Mond klettert in den samtschwarzen Himmel empor, die Bäume brausen. Mehr und mehr verlor Ellen ihre Scheu, und ihre Stimme strömte klar, rührend, voller Leidenschaft. Sie glühte vor Erregung. »Vielleicht werden wir doch noch eine Sängerin aus dir machen, Ellen?« »Papa sagte, meine Stimme sei zu klein«, erwiderte Ellen, errötend über das Lob. »Nun, wir werden ja sehen.« Schon war auch Schwedenklee vom Fieber ergriffen: oft sah er sie, Ellen, seine Ellen, auf der Bühne stehen, umbrandet vom Beifall. 22 Ellen verbarg nicht ihre Dankbarkeit für Schwedenklees Fürsorge und Anteilnahme an allem, was sie betraf. Sie hielt diese Fürsorge für völlig uneigennützig, der tiefen Freundschaft entspringend, die ihn mit ihren Eltern verbunden hatte. Natürlich verriet ihr ihr weiblicher Instinkt, daß er sie gern um sich sah. Wirkliches und aufrichtiges Vertrauen aber empfand sie erst seit den letzten Wochen, da er sich so lebhaft für ihre Pläne interessierte. Er hatte ihr eine kleine Bibliothek, die sie für ihre Studien brauchte, besorgt. Mit allem Eifer gab sie sich der Arbeit hin. Jeden Morgen verschwand sie nach dem Frühstück in den Wald, der an Schwedenklees Acker grenzte. Erst gegen Mittag kehrte sie zurück, die Wangen gerötet, Glanz und den Widerschein frohen Erlebens in den Augen. Neugierig schlich ihr Schwedenklee eines Tages nach. Er hätte sie nie finden können, wenn nicht der Hund ihr Versteck verraten hätte. Auf einer Kuppe des Waldes war eine kleine, von Erlen umgebene Lichtung, so dicht abgeschlossen, daß es nahezu unmöglich war, die Lichtung zu finden. Dies war Ellens Versteck. Er beobachtete, wie sie mit dem Buche in der Hand auf und ab ging. Sie sprach, deklamierte, ohne daß er die Worte verstanden hätte. Sie spielte! Sie kniete flüchtig nieder, hob die Arme, sie flüchtete, sie wehrte unsichtbare Feinde ab, erstarrte in Qualen, löste sich befreit -- wieder klang ihre Stimme. »Was mag sie wohl spielen?« dachte Schwedenklee neugierig in seinem Versteck. Nie kam sie ihm seltsamer, rührender vor als in diesem Moment. Offenbar war sie nicht zufrieden. Wieder kniete sie nieder, ihre dünnen, zarten Hände flehten, ihre ganze Gestalt, die Arme, die Neigung ihres Kopfes. Wieder wich sie zurück -- herrlich und wunderbar erschien sie ihm, leidenschaftlich hingegeben ihrem Werke, inmitten der Einsamkeit und Heiligkeit des Waldes. Strolly, der Hund, gewöhnt an ihr wunderliches Gebaren, lag im Grase, den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt. In der Gabel eines Astes entdeckte Schwedenklee den schwarzen Kater. Bei einer lebhaften Geste schreckte der Hund auf und sprang an ihr empor. Sie umarmte ihn, küßte ihn und beide wälzten sie sich im Grase. Hell und herzlich klang Ellens Gelächter. Heute, morgen, übermorgen belauschte sie Schwedenklee klopfenden Herzens. Aber der Hund lief hin und her, bellte -- endlich stutzte Ellen, unterbrach ihre Deklamation und lauschte. Sie machte Miene, dem Hund zu folgen. Schwedenklee entfloh und belauschte sie fortan nicht mehr. Trotz dem kameradschaftlichen, harmlosen und nahezu kindlichen Tone, der zwischen ihnen herrschte, bewahrte Ellen immer noch eine gewisse Scheu und Fremdheit. Zuweilen sprach sie von ihren Hoffnungen in der Zukunft, niemals, oder fast niemals rührte sie an die Vergangenheit. Bis zum Alter von ungefähr fünfzehn Jahren hatte sie wohl ein ziemlich sorgloses, ja heiteres Leben geführt. Dann kam die Krankheit der Mutter. Ellen, ein Kind noch, führte den Haushalt, die Sorge trat ihr ganz nahe. Früh gereift in manchen Dingen, hatte die Schwere dieser Jahre sie in ihrer seelischen Entwicklung in anderer Beziehung gehemmt. Unentwickelter als Mädchen ihres Alters, die sorglos und heiter erblühten, war sie in anderen Dingen. Oft beobachtete Schwedenklee, wie sie mit den Tieren plauderte. Sie sprach mit ihnen wie mit kleinen Geschwistern, so naiv gläubig und zärtlich. Die Tiere aber schienen sie völlig zu verstehen. »Wie rührend sie ist!« dachte Schwedenklee, und ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Glückes erfüllte ihn. 23 Sterne, das Rauschen der Bäume, der laue Wind haucht, das Gras flüstert unter den Büschen, eine Eule schreit schwingend in der Finsternis. Die Dunkelheit berauscht, die Seele ist trunken von der Stille. Unfaßbar war Schwedenklee diese wundervolle, weiche Dunkelheit, die in den Städten ausgestorben ist, vertrieben vom elektrisch glühenden Kohlenfaden. Jeden Abend überraschte sie ihn aufs neue. Unfaßbar die Stille. Unfaßbar die Sterne, die auf ihn herabstürzten, wenn er das Auge zum Firmament hob. Matter Glanz lag auf dem Meere, ein feiner roter Lichtfunke glitt irgendwo in die Weite. Wie ein Verzauberter, sich selbst fremd, wanderte Schwedenklee in der Dunkelheit hin und her, sobald Ellen sich zurückgezogen hatte. Beglückt hörte er zuweilen ihre Stimme in die Stille dringen. Sie sprach mit dem Hunde, der in ihrem Zimmer schlief. Ellen schloß die Läden ihres Zimmers nicht, wenn sie sich entkleidete. Diese Reinheit rührte ihn, und er hütete sich wohl, ihrem Fenster zu nahe zu kommen. Nur aus der Ferne, durch die Büsche hindurch, wagte er zuweilen einen kurzen Blick: ihre Arme ordneten die Haare, sie schritt im Nachtgewand zur Kerze, spitzte den Mund und blies das Licht aus. Ihr schönes mädchenhaftes Profil blieb noch lange in der Dunkelheit haften, zuletzt verschwand der kindlich gespitzte Mund. Schwedenklee setzte sich auf die Treppe des Hauses. Hingegeben, voller Andacht atmete er Stille und Dunkelheit ein. Zu denken, daß es Menschen gab, die in dieser Stunde in rauchigen Kaffeehäusern saßen und schmutzige Karten mischten! Zu denken, daß er vor Jahren gerade vor dieser Dunkelheit und Stille die Flucht ergriffen hatte! Unvorstellbar der Gedanke, daß er einmal wieder in diese Höllenstadt zurückkehren würde. In der Tat, war sein Leben bisher nicht leer, sinnlos? Welche Freudlosigkeit, Nüchternheit, Betäubung, Unrast, Lärm, Flucht vor sich selbst. Wunderbare Wendung, die sein Leben genommen hatte! Deutlich erkannte er die Hand eines wohlwollenden Schicksals. Schwedenklee blickte in die Dunkelheit und überließ sich seinen Empfindungen. Schon fühlte er die Schwere nicht mehr, schon schien er zu schweben, schon schien er zu segeln auf den Fittichen der Nacht. * * * * * Mitten in einer lauten Nacht -- die Zweige peitschten gegen das Fenster und der Vollmond flog rasend dahin -- erwachte Schwedenklee plötzlich, von einem Gedanken gepeinigt. Dieser Gedanke quälte ihn so sehr, daß sein Herz schmerzte. Es war ein Gedanke, den er in all den Wochen verscheucht hatte, so oft er sich nahte. Er erhob sich, in Schweiß gebadet, warf den seidenen Schlafrock über und ging in dem schattigen, von Lichtschwertern durchzuckten Zimmer hin und her, immer hin und her. »Und wenn sie doch mein Kind wäre?« flüsterte er. Da! Nun war er ausgesprochen, der Gedanke! Schwedenklee taumelte, so stark erschütterte ihn der Gedanke. Die arme Ellen, sie war damals von Paris nach Nürnberg gefahren und hatte dort schon in den ersten Tagen Blank kennengelernt. Blank hatte sich sofort in sie verliebt und sie hatten -- nach anfänglichem Zögern Ellens -- geheiratet. Anfangs Januar des nächsten Jahres war die kleine Ellen geboren worden. Soweit die Tatsachen -- gänzlich unverfänglich, wie man zugeben wird, von dem verhältnismäßig frühen Termin der Geburt des Kindes abgesehen. Ja, wann zum Beispiel hatte Ellen Fröhlich Paris verlassen? April, März, früher? Ja, mein Gott, _man lebte damals in den Tag hinein_ -- wer dachte an solch abenteuerliche Möglichkeiten? Nein, der Termin der Geburt war ohne Bedeutung. Leidenschaftlich und rasch ist die Jugend, hatte er nicht selbst in dieser Hinsicht genug Erfahrungen gesammelt? Aber Schwedenklee erinnerte sich noch heute deutlich an eine Andeutung im ersten Brief, den Ellen Fröhlich von Nürnberg aus schrieb, eine Andeutung, die ihm sofort die Hitze ins Gesicht getrieben hatte. Er hatte diese Andeutung ignoriert, und in den folgenden Briefen war nicht mehr die Rede davon gewesen. Später hatte er sich seiner Feigheit geschämt, und gerade aus diesem Grunde erwachte ein leichtes, nicht abzuschüttelndes Gefühl der Scham in ihm im Augenblick, da die Erinnerung an Ellen Fröhlich unerwartet in ihm geweckt wurde. Es war natürlich auch möglich, daß er diese Andeutung, jene dunkel klingende Bemerkung, völlig mißverstanden hatte? Und doch, um ehrlich zu sein, augenblicklich hatte er sich an diese seltsame Andeutung erinnert, als Blank ihm seinerzeit schrieb: vielleicht habe ich Ihnen Mitteilungen zu machen, die Sie interessieren könnten! Es gab aber ein weiteres gewichtiges Argument: Weshalb hatte Blank, der ihm alle Einzelheiten seines Lebens anvertraute, _nie mit einer Silbe erwähnt, daß er eine Tochter besaß_? Ja, weshalb, bei allen Göttern? Schwedenklees Herz blieb stehen. Der Schweiß brach erneut aus seiner Stirn. Ja, war es nicht das allersonderbarste, daß Blank nie von seiner Tochter sprach? Wie? War es -- mehr noch! -- nicht auffallend, daß Blank kurz vor seinem Tode alle Papiere, die er besaß, vernichtete? »Es steht fest,« resümierte Schwedenklee, zitternd vor Erregung, »Ellen ist deine Tochter! Ich will es dir beweisen!« Nehmen wir es einmal an: sofort ist Blanks sonderbares Benehmen, sind all seine Worte und Anspielungen sonnenklar. Ellen Fröhlich trug dein Kind unter dem Herzen, als sie von Paris kam. Sie machte eine Andeutung, sie war überzeugt, du würdest auf diese Anspielung hin sofort zu ihr eilen. Blank berichtete ja, daß sie dich bestimmt erwartete. Du ignoriertest die Andeutung, du kamst nicht. Sie haßte dich! Ließ sie dir nicht bestellen: Sage ihm, daß ich ihm nicht mehr grolle! Grolle? Oh, ja, nun wurde es klar. Blank liebte sie rasend, er nahm das Kind als sein Kind entgegen. Das war das Geheimnis ihrer Ehe! Aus welchem anderen Grunde solltest du zwanzig Jahre hindurch in dieser Ehe diese wichtige Rolle gespielt haben? Weshalb vergaß man dich nicht? Nun, sehr einfach, weil man dich nicht vergessen konnte! Das Kind ... Als Ellen fühlte, daß ihre Kräfte zu Ende gingen, war es da angesichts der wirtschaftlichen Not nicht naheliegend, daß die beiden im Interesse des Kindes beschlossen, das Geheimnis preiszugeben? Blank sollte zu dir kommen, dich sprechen, dir das Geheimnis enthüllen. Aber du wolltest ihn nicht empfangen -- er war gezwungen, Anspielungen zu machen, die dich stutzig machen sollten. Ja, ja -- so ist es und nicht anders! Er kam zu dir -- aber im Augenblick, da er dich sah, war es ihm gänzlich unmöglich, aus rasender Liebe für das Kind, aus rasender Eifersucht, die entscheidenden Worte zu sprechen. Aus diesem Grunde sprach er nie von seiner Tochter ... Es ist ja nur selbstverständlich: wäre mit der jungen Ellen nicht ein Geheimnis verknüpft, so würde Blank in der ersten Stunde zu allererst nur von ihr erzählt haben ... »Alles, alles erklärt sich!« Schwedenklee schwankte durch das Zimmer. »Ja,« sagte er zu sich, inbrünstig, bis zu Tränen erregt, »ohne jeden Zweifel -- sie ist dein Kind! Und morgen werde ich es ihr sagen. Von morgen an werden unsere Beziehungen einen anderen Charakter tragen.« Schon aber blieb Schwedenklee verwirrt stehen. Obwohl es heiß im Zimmer war, zitterte er vor Frost. Nein, das, gerade das war ja gänzlich unmöglich! »Oder werde ich es ihr lieber nicht sagen --?« flüsterte er, aufs äußerste erregt. »Oder werde ich es ihr _nie_ sagen?« »Aber selbst: wenn ich es ihr sagen würde, wie würde ich sie _überzeugen_ können?« »Nie würde ich sie überzeugen können! Sie wird mich für einen Betrüger halten. Sie wird mich hassen, weil ich das Andenken ihrer Eltern schmähe ...« Schwedenklee trat an das Fenster und blickte lange, ratlos, verquält, zum rasend fliehenden hellblinkenden Mond empor. Dann tauchte er wieder in das warme Dunkel des Zimmers zurück. »Es ist ja alles Unsinn!« dachte er und nahm die Wanderung wieder auf. »Völliger Unsinn! Sie ist _nicht_ dein Kind!« »Nein, nun werde ich es dir beweisen! Die Sache ist ja so einfach, wenn man sie ruhig betrachtet, und alles andere sind leere Spekulationen.« Ellen Fröhlich war lange leidend. Sie lebte wie alle schwer Leidenden, fast ausschließlich in der Erinnerung. Ihre Erlebnisse, wie die der meisten Frauen, einfach, klar und nicht chaotisch, ließen sich leicht überblicken, und so konnte sie nicht umhin, an das Erlebnis in Paris zu denken. Sie fand das verblaßte Bild. Vielleicht sagte sie zu Blank: bring es ihm, wenn ich einmal nicht mehr bin, grüße ihn von mir. Ich grolle ihm nicht mehr -- weil er mich damals so schwer enttäuschte ... Blank konnte auch recht gut ganz von selbst auf den Gedanken gekommen sein! Verlassen, arm, krank, suchte er Anlehnung, Stütze. Nichts wäre verständlicher. Der Gedanke an die Zukunft seines Kindes marterte ihn. Mit dem Starrsinn eines Verzweifelten klammerte er sich an dich. Vielleicht, sicher, hatte ihm auch seine Frau nahegelegt, daß in der letzten Not du dich wohl als Freund erweisen würdest. Ich reagierte nicht auf seine Briefe. Er machte bedeutsam klingende Anspielungen, um meine Neugierde zu reizen -- Anspielungen, die er augenblicklich widerrief, als er seine Absicht, mich kennenzulernen, erreicht hatte. Während er harmlos zu plaudern versuchte, während er zu lächeln versuchte, marterte ihn vielleicht der Gedanke: kann man diesem da -- wenn es zum Äußersten kommen sollte --, kann man diesem da, diesem Schwedenklee, das Kind anvertrauen? Wird er nicht, teilnahmslos und gleichgültig, die Bitte eines Unglücklichen verhallen lassen? Nun schien auch plötzlich die Bemerkung Sinn zu bekommen, die er machte, als er nach dem Abendessen in der Droschke fortrollte: einmal werden Sie vielleicht begreifen, welche Bedeutung es für mich hat, Sie näher kennengelernt zu haben. Weshalb aber sprach er nicht von Ellen? Aus Scheu, aus Scham -- aus letzter Scham ... »So und nicht anders ist die Sache«, wiederholte Schwedenklee, »und alles andere sind nervöse Konstruktionen --« »Und ein Argument gibt es, wichtiger als alle, unwiderlegbar!« »Nehmen wir an, Ellen wäre deine Tochter -- hätte der sterbende Blank, der ja noch die Kraft hatte, dir zu schreiben, hätte er in dieser furchtbaren Stunde nicht die Wahrheit bekannt? Schon um sicher zu sein, daß du Ellen gut aufnehmen würdest?« »Mit dem Tod vor Augen -- nein, nein, ganz unmöglich!« »Sie ist natürlich nicht deine Tochter!« rief Schwedenklee beglückt aus. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Die Erregung hatte ihn völlig erschöpft. »Wie albern die Menschen doch sind!« dachte er befreit und leicht. »Wie albern! Mit welchem Unsinn sie sich die Köpfe angefüllt haben! Es ist ja schließlich höchst einerlei, ob sie nun mein Kind ist oder nicht. Das wesentliche ist ja doch, daß sie bei mir ist! Sie ist mein, sie wird mein sein, sie wird meine Geliebte, meine Frau sein -- ja, selbst wenn ich es wüßte, daß sie mein Kind ist! Ich werde glücklich sein. Was kümmert mich schließlich alles andere?« Schon graute der Tag. Abgezehrt, verhärmt sank der Mond, eine blasse, zerfressene Scheibe, in den Morgennebel, der aus den Feldern stieg. Ein früher Vogel schrie geisterhaft. Spät am Morgen erwachte Schwedenklee. Als er sich ankleidete und durchs Fenster blickte, sah er Ellen hoch oben auf einem Wagen herrlich gehobelter Bretter sitzen, der so eben von einem Gespann starker Bauernpferde in den Hof gezogen wurde. Es war der Fußboden des Anbaues. Sie lachte mit dem Kutscher. Strolly, der Hund, tanzte wie rasend vor den Nasen der Pferde. Ellen erblickte ihn am Fenster, und ihr zarter Arm winkte, während die Sonne auf ihren Wangen funkelte. Verflüchtigt waren die Nachtgespenster. 24 Die Saat schoß aus der Erde, über Nacht wuchs das Gras auf der Wiese. Die Wälder standen plötzlich in dichtem Grün. In Schwedenklees verwahrlostem Garten erblühten plötzlich Scharen von Lilien, Päonien, Stauden aller Art, Schlingrosen -- vor Jahren hatte er sie gepflanzt und völlig vergessen. Der kleine Obstgarten, Pflaumen und Birnen, war eine einzige schneeige Wolke, zwischen Haus und Wald gebettet. Ellen war nichts als seliges Staunen. Heiß und plötzlich setzte der Sommer ein. Reichtum quoll aus der Erde, Gräser, Blumen, Unkraut. Schon wogte das junge Getreide, der Klee stand einen Schuh hoch. Bis an die Knie standen die Kühe im Gras, die Pferde grasten in der grünen Koppel, die Schweine grunzten auf dem schwitzenden Misthaufen. Die Hühner gackerten lärmend, und Scharen von Küken wimmelten um die Glucken. Der Bauer schnitt die erste Mahd, und der Schweiß rann ihm über das braune Gesicht. Ellen hatte bis jetzt fast immer dunkle Kleider getragen. Sie vertauschte sie nun endgültig mit hellen Sommerkleidern. So erschien sie plötzlich weltlicher, reizender, strahlender -- Schwedenklees Blicke hingen an ihr, wie sie durch den Garten schritt, in den Wald lief, sich zu einer Blume bückte, das lockere Haar mit der Hand in den Nacken warf. Schwedenklee schien größer geworden zu sein, da er sich besser hielt. Sein Bauch war fast völlig verschwunden, sein Gesicht, wenn auch noch massig und viereckig, war straff und braun, niemand konnte leugnen, daß er sich um zehn Jahre verjüngt hatte. Er war in diesem Frühling und Sommer nicht müßig gewesen. Zusammen mit Ellen hatte er einen neuen Obstgarten angelegt, gegen hundert Bäume, er hatte eine Bewässerungsanlage von fünfzig Meter Länge gebaut. Er hatte Wege ausgehoben, Bauschutt und Sand gefahren und festgestampft. Nun war er dabei, eine Laube zu zimmern, die eine herrliche Aussicht bot. Er hatte Schwielen an den Händen, ganz wie der Bauer. Am Abend sank er todmüde ins Bett, um wie ein Stein zu schlafen. Sie waren viel auf den Rädern unterwegs. Ein wenig außer Atem folgte Schwedenklee Ellen, die wie ein Rennfahrer dahinfuhr. Ellen hatte auch kutschieren gelernt, etwas ängstlich noch saß sie, die Peitsche in der Hand, in steifer Haltung auf dem Bock, und die Pferde trappelten hurtig dahin. Schwedenklee hatte ihr einen kleinen eleganten Wagen gekauft. Das kameradschaftliche Verhältnis zwischen Ellen und Schwedenklee hatte an Herzlichkeit gewonnen. Sie lachten und schwatzten zusammen -- nicht wie Erwachsene eigentlich, eher wie Kinder. Sie umarmte ihn, schmiegte sich an ihn, er gab ihr einen Gutenachtkuß, wenn sie schlafen ging. Bald! Schwedenklee war in großer Erregung. Oft ging er, verwirrt und unruhig, mit großen Schritten im Garten hin und her und sprach halblaut mit sich selbst. Bald! Bald! Tausend Kosenamen hatte er für Ellen in Gedanken, zärtliche Namen, deren er sich vor Wochen noch geschämt hätte. * * * * * Der Sommer stand in voller Glut, die Mückenschwärme tanzten über den Wegen, in den Augen glänzte Schweiß. Vom Strande unten stiegen an den Abenden häufig bunte Leuchtkugeln in den Nachthimmel empor, der Strand wimmelte von Menschen. Die Saison stand auf der Höhe. Der Anbau war fertig, ein mit Bändern geschmückter Tannenbaum funkelte auf dem First. Schwedenklee hatte den Handwerkern ein Faß Bier gestiftet, am Abend aber sollte das Ereignis im Hause gefeiert werden. Schon seit einer Woche war das Programm erörtert worden. »Heute abend um sieben, Ellen, mache dich schön!« sagte Schwedenklee. Augusta hatte ihr letztes hergegeben. Allerlei Leckerbissen als Vorspeise, eine göttliche Suppe mit Leberklößchen, gebratene Hähnchen mit dem herrlichsten Salat der Welt. Törtchen von Walderdbeeren, Ellen hatte sie gesammelt. Sekt im eisigen Wasser des Brunnens gekühlt. Im Speisezimmer brannten zwei Dutzend Kerzen. Zur Feier des Tages durften Strolly und Munki bei Tisch gegenwärtig sein. Sie benahmen sich anfangs gesittet, aber, ganz wie Kinder bei außerordentlichen Anlässen, wurden sie mehr und mehr ausgelassen: zuletzt sprang der Kater, von unbezwinglicher Begierde fortgerissen, mitten auf den Tisch und versuchte ein Hähnchen zu stehlen. Ellen war in der herrlichsten Laune. Die Katze kauerte aufgeregt auf ihrer Schulter. Der Hund saß, ganz Spannung und Bereitschaft, an ihrer Seite -- ihre Augen blendeten vor Freude. Schwedenklees Fröhlichkeit klang anfangs etwas gezwungen. Ein Schatten war über sein Gesicht gebreitet. Gewiß, alles war wunderbar, es war ein Abend, auf den er sich seit Wochen freute, ein Abend von ganz besonderer Bedeutung, ein Schicksalsabend, und nur um die Feierlichkeit dieser Stunde zu betonen, ohne jeden Nebengedanken, hatte er die zwei Dutzend Kerzen angezündet. Aber als Ellen eintrat, strahlend, den Widerschein der Kerzen in den klaren Augen, mußte er sich plötzlich an das Diner erinnern, das er seinerzeit in Paris Ellens Mutter gab, mit den Spiegeln, im Hotel Panthéon. Unvollkommen ist das menschliche Gehirn eingerichtet, dachte er, voller Vorwurf gegen den Schöpfer, gänzlich unvollkommen. Die Erfindung eines Pedanten. Kaum zündet man ein paar Kerzen an, schon ist man gezwungen, an Dinge zu denken, die zwanzig Jahre zurückliegen -- weshalb? Etwas steif und melancholisch sah sein Gesicht anfangs aus, etwas melancholisch und dunkel klang seine Stimme. Mit einem Faltengekräusel in der gebräunten Stirn saß er inmitten der vierundzwanzig Kerzen. Vielleicht ist es Vermessenheit? dachte er, und sein Herz wurde plötzlich düster. Vielleicht hat ein Mensch wie ich gar nicht mehr das Recht, die Hand auszustrecken nach ...! Ellen -- die Liebliche -- sie ahnte nichts, wie sollte sie? In diesem Augenblick aber sprang Munki auf den Tisch und versuchte ein geröstetes Hähnchen mit der Kralle zu angeln. Ellen gelang es gerade noch in der letzten Sekunde, den Kater abzufangen. Sie warf ihn ein paarmal hoch in die Luft, um ihn dann an ihr Herz zu drücken und seinen wilden struppigen Kopf mit Küssen zu bedecken. Ihr Lachen klang so heiter und glücklich, daß Schwedenklee augenblicklich mit fortgerissen wurde. Der Kater hatte den Abend gerettet. Schwedenklee erhob sich und füllte mit der großen Geste des erfahrenen Zechers die Kelche. Fort mit den törichten Gedanken, fort! Gehen wir dem Schicksal beherzt entgegen ... »Auf deine Gesundheit, Ellen!« rief er und ließ das Glas im Lichte der Kerzen funkeln. »Sekt?« sagte Ellen. »Ich habe noch nie Sekt getrunken, es ist das erstemal!« »Versuch' es nur! Es ist noch niemand daran gestorben.« »Er kitzelt!« rief Ellen und lachte. In wunderbarer Laune verlief das Diner. Schwedenklee wurde gesprächig. Sie tranken auf Ellens Zukunft, ihren Ruhm, sie tranken auf ihre Freundschaft und auf die Herrlichkeit dieses Sommers. Der Sekt hatte Schwedenklees Gesicht gerötet, seine Augen glänzten, sein Gebiß leuchtete jung und stark. Er fühlte sich wieder als derselbe lebensfrohe Schwedenklee, der er in Paris war, seinerzeit. Zwanzig Jahre -- was sollen sie bedeuten, es ist nur ein albernes Vorurteil ... Nein, damals gab es nichts Unmögliches für ihn -- und heute? Schwedenklee leerte den Kelch und warf ihn lachend gegen die Wand. Ellen saß mit blendenden Augen, umweht vom Schein der Kerzen. Ihre Haut leuchtete wie Blüten. Häufig kühlte sie die heißen Wangen mit den Rücken der schmalen Hände. Sie lachte übermütig, und schon nach dem dritten Glas lachte sie ausgelassen über die geringste Kleinigkeit. Sie fütterte die Tiere mit Leckerbissen, und Strolly, obschon ein großer Hund, durfte auf ihrem Schoß sitzen. »Unser Haus ist also glücklich fertig!« sagte Schwedenklee. »Nun beginnt die Einrichtung. Es soll wunderbar werden, warte nur! Ein so behagliches Nest wollen wir uns bauen, und hörst du, ein Bett soll Ellen bekommen -- wie ein Traum!« »Ja, wie eine Muschel soll es sein und ganz in Spitzen eingehüllt --« »O, wie fein!« lachte Ellen. »Und dann werden wir hier in Mecklenburg herumfahren und antike hübsche Möbel zusammenkaufen.« Ausführlich besprachen sie die Einrichtung des Hauses. Schwedenklee wurde nicht müde, neue Vorschläge zu machen. »Und welche Farbe soll dein Schlafzimmer bekommen, Ellen?« Ellen dachte lange nach. »Rosa!« rief sie. »Weißt du, so ein zartes Rosa, wie Korallen.« »Und dein Wohnzimmer?« »Himmelblau!« Schwedenklee lächelte. Ob wohl die Farben zusammenstimmen würden? »Weshalb sollten sie nicht zusammenstimmen?« »Gut also -- und dann das Badezimmer. Blattpflanzen, Palmen, Gummibäume, Farne, Kakteen -- es wird wie ein Palmenhaus sein, Ellen!« Wohl eine volle Stunde wurde über das Badezimmer gesprochen, das das schönste und originellste in ganz Deutschland werden würde. Dafür sollte sein, Schwedenklees Name bürgen! »Aber Arbeit! Viel Arbeit. Bis alles soweit ist, wird auch schon der Herbst da sein, Ellen!« »Oh, weh!« »Ja. Und dann werden wir nach Berlin zurückkehren und du wirst deine Studien wieder aufnehmen. Ich werde dich zu den ersten Lehrern bringen. Viele kenne ich ja persönlich.« Schwedenklee renommierte ein wenig mit seinen Bühnenbekanntschaften. Ellen war hell begeistert. »Wie ich mich auf die Arbeit freue! Hoffentlich enttäuscht mein Talent nicht.« »Weshalb sollte dein Talent enttäuschen? Ich sage dir nur eines« -- Schwedenklee lächelte vielsagend und zwinkerte ein wenig mit den Augen -- »du hast mehr Talent, als du je ahnen kannst, ja!« »Mein Himmel!« Ellen wirft erregt die Hände in die Luft. »Du wirst also deine Studien aufnehmen. Aber wir werden immerhin noch Zeit haben, um im Winter auf vierzehn Tage nach St. Moritz zu fahren.« »St. Moritz?« »Ja. Es ist phantastisch im Winter. Es gibt dort Häuser, zehnstöckig -- wie in Neuyork. Du wirst sehen. Es ist wunderbar. Am Tage Sport, abends Tanz.« »Und dann,« fuhr Schwedenklee fort, »im Frühling fahren wir auf einige Wochen nach Florenz. Du sollst Florenz sehen! Ein Schmuckkästchen! Ein Museum! Die Straßen allein sind schon ein Museum!« »Wie herrlich!« Schwedenklee entwarf Plan um Plan. Schön und berauschend stand die Zukunft vor ihm. Augusta hatte längst abserviert. Die Kerzen erloschen, es brannten nur noch drei. Da sah man auch plötzlich den dunkeln Nachthimmel, flimmernd von Sternen, in der offenen Türe stehen. Es funkelten die großen Sternbilder, deren Namen Schwedenklee sich nie merken konnte. Berauschend strich der Atem der Sommernacht ins Zimmer, die Grillen feilten. Wolken von Düften hoben sich aus der trächtigen Erde. Plötzlich knatterte es und am Himmel erschienen farbige Leuchtkugeln und Feuerräder. Rote Lohe schlug aus dem Meer empor, und die Sterne wurden bleich und unscheinbar. Nein, Ellen hatte noch nichts von der Welt gesehen, noch gar nichts. Aber ihre Augen weiteten sich, heiß vor Begierde, wenn er erzählte. Höher noch schwang sich die feine Braue, und die Lippen atmeten erregt. Er also war ausersehen, er, ihr die Wunder der Erde zu zeigen, ihr keusches Staunen, ihre reine Verzücktheit zu genießen! Er! Dank den erhabenen Göttern ... Dann also würde er ihr Paris zeigen: wimmelnde Stadt, immer auf den Beinen, ohne Schlaf, bebend von Lärm, widerhallend von Freude, schwimmend in Licht. Und dann also -- Erregt ging Schwedenklee hin und her, von den großen Sternbildern zu Ellen mit den glänzenden Augen und heißen Wangen, immer hin und her. Auch auf einem großen Dampfer war sie ja noch nicht gewesen: surrend und tobend Tag und Nacht, das kühle gischtende Meer durchschneidend, angefüllt mit Luxus und Behaglichkeit. Meer, Wolken -- unbeschreiblich herrlich! Nein, sie hatte ja noch nichts, gar nichts gesehen -- wie glücklich er war! So würden sie also dahinfahren, Tag um Tag. Indien! Japan! »Japan?« rief Ellen und schlug die kleinen Hände zusammen. »Ja, Japan. Ich bin ja auch noch nicht dagewesen, aber es soll ein einziges Wunder sein. Man fährt in kleinen Wagen dahin, von braunen, flinken Burschen gezogen -- die Teehäuser, die Tempel -- und die ganze Bevölkerung in Kimonos und auf hohen Stöckelschuhen. Da gibt es einen Berg, den man immer auf den Holzschnitten abgebildet sieht -- wie heißt er doch? Fujiyama! Diesen Fujiyama wollen wir besteigen!« Wie Ellen sich freute zu reisen, die Welt zu sehen! Denn sie hatte ja bis jetzt nichts gesehen. Sie kannte nur Dresden, Berlin, und einmal war sie in Potsdam gewesen. Man höre! Schwedenklee lachte laut heraus. Und wieder ging Schwedenklee erregt hin und her, von den großen Sternbildern zu Ellen, von Ellen zu den großen Sternbildern. Immer größer wurden seine Schritte. Seine Stimme klang plötzlich unsicher. Sie würden also reisen, und er versprach, ihr die Welt zu zeigen, so wahr er hier auf und ab gehe. »Aber«, begann Schwedenklee tastend, »in welcher Form -- ich meine, in welchem gegenseitigen Verhältnis werden wir zusammen reisen?« Ellen verstand nicht. »Ich meine, in welcher Eigenschaft wirst du mit mir reisen?« Schwedenklee blieb stehen, sein Herz pochte. »In welcher Eigenschaft?« Ellen saß mit offenen Lippen. Sie konnte gar nicht begreifen. »Ja.« Aus lauter Hilflosigkeit runzelte Schwedenklee die Stirn. »Du kannst doch nicht etwa als meine Nichte mit mir reisen, oder als meine Sekretärin.« Ellen lachte laut heraus! Ihr Lachen ermutigte Schwedenklee wieder. Er verlor etwas seine Befangenheit. »Auch als meine Tochter doch wohl nicht?« fragte er. »Nein!« Ellen schlug sofort die Augen nieder. Mutig ergriff Schwedenklee ihre beiden Hände. Er bemühte sich, seiner Stimme einen heiteren, harmlosen Klang zu geben, als er fortfuhr: »Dann bleibt ja nur eines, Ellen --?« Groß und hell bis in die tiefsten Tiefen waren Ellens Augen auf ihn gerichtet. Sie errötete, ein zarter Gluthauch überzog blitzschnell Gesicht und Nacken. Ja, nun hatte sie verstanden. Ihre Arme begannen leise zu zittern. Sie zog die Hände an sich, schob den Sessel weit zurück und stand auf. »Sprich nicht!« rief sie und hielt sich die Ohren zu, da sie sah, daß Schwedenklee Miene machte, weiterzusprechen. Sie schüttelte hastig den Kopf, in entzückender Verwirrung. »Nicht heute, nicht jetzt, frage nicht --« stammelte sie -- »wie sollte ich heute antworten können? Sprich nicht -- morgen ...« »Gut, dann morgen. Ich wollte dich nicht erschrecken, Ellen. Gute Nacht.« Er streckte ihr die Hand hin. Sie nahm seine Hand. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, so sanft, daß er sie kaum fühlte, und bot ihm -- zum erstenmal -- die Lippen zum Gutenachtkuß. Ihr Mund war heiß und weich. * * * * * Fiebernd, mit heißem Kopf, trat Schwedenklee ins Freie. »Ihr Sterne!« sagte er zu den großen Sternbildern, trunken vom Sekt, berauscht von seinem Glück, und blickte lange zum flimmernden Firmament empor. »Du grundgütiger Himmel, herrlich und wunderbar ist das Leben!« Es war ja wohl kein Zweifel, daß sie einwilligen würde. Immer noch fühlte er ihren heißen, weichen Mund auf seinen Lippen. So zart, wie ein Hauch nur. »Ja, dies ist die Lösung, und ich werde glücklich sein!« Mit glühenden Schläfen ging Schwedenklee lautlosen Schrittes durch das taunasse Gras. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Kühle hauchte vom Walde her. Sternschnuppen schossen über den Himmel. Schwedenklee träumte, die Augen weit geöffnet. »Und immer wird sie um mich sein,« flüsterte er, »am Morgen, am Mittag, in der Nacht. Immer werde ich sie sehen, fühlen, sie wird plaudern, und ich werde entzückt sein, nur ihre Stimme zu hören.« »Ich werde mit ihr reisen. Ich habe ja Geld, ich kann alles, alles bezahlen! Wenn es sein muß, verkaufe ich die Bauplätze! Die Menschen werden auf der Straße, in den Dielen der Hotels die Hälse verdrehen. Und meine Bekannten werden sagen: Seht an, Schwedenklee, ja, das ist ein Bursche!« »Schwedenklee, geschworener Gegner der Ehe, wird also plötzlich heiraten? Seht an! Nun, laß sie reden. Eine junge Frau, die reizendste Frau der Erde werde ich haben -- und glücklich sein -- laß sie reden --!« »Vielleicht aber --?« Schwedenklee ging hastig weiter, über ein gemähtes Kleefeld, im silbernen Licht der Sternennacht. »Vielleicht aber werde ich Kinder haben? Kinder? Ich, der Väter, die ihre Sprößlinge spazieren führen, immer ungeheuer komisch fand -- nun weshalb nicht? Man wird sie baden, pudern, pflegen -- sie werden schreien -- aber was schadet es, laß sie nur schreien. Sie werden süß sein. Und Ellen -- dieses süße Wesen, selbst noch ein Kind -- Mutter!« Schwedenklee blieb erschüttert stehen. Sternschnuppen fegten über ihn hin. »Eins, zwei, drei --« zählte Schwedenklee. »Also drei Kinder! Gut!« »Sie, die selbst noch so zart ist, ein Kind fast --!« »Überlegen wir: mein bisheriges Leben -- nein, keine Reue, keine Vorwürfe -- was geschehen ist, ist geschehen -- aber es wird von nun an _Sinn_ in mein Dasein kommen, dieses In-den-Tag-hinein-Leben hat ein Ende.« Ein Verzauberter, ging Schwedenklee über die Felder. Süß stieg der Geruch der Erde auf. Nie in seinem Leben hatte er diesen Glanz der Gestirne gesehen. »Und wir werden reisen, und alle werden mich beneiden! Welch ein junges, herrliches Wesen er sich erobert hat, werden sie sagen, seht an, dieser tolle Knabe! Und sie -- Ellen -- eine schlechte Partie wird sie ja nicht machen. Nein, das kann wohl niemand behaupten ...« »Und wodurch habe gerade ich dieses Glück verdient?« fragte Schwedenklee. »Durch nichts, durch nichts ...« »Durch nichts!« rief er triumphierend und herausfordernd. »So ist das Leben!« 25 Schwedenklee schlief in dieser Nacht wunderbar! Er träumte angenehm: er packte Koffer, Koffer, streute Trinkgelder um sich, Scharen von Kellnern dienerten, Autos rollten, Dampfer tuteten, beglückt fühlte er Ellens Gegenwart in jeder Sekunde, ohne daß er sie eigentlich je sah -- sie waren unterwegs. Spät am Morgen erwachte er, dampfend und erfrischt vom Schlaf. Es war fast schon neun Uhr. Ellen hatte soeben gefrühstückt und erhob sich vom Tisch, als er eintrat. Sie errötete, rasch und tief -- augenblicklich mußte er wieder an ihre heißen, weichen Lippen denken -- flüchtig, mit einer gewissen Hast, berührten ihre kühlen Finger seine Hand. »Was für Langschläfer wir doch sind!« rief sie lachend aus. »Ich habe einen richtigen Katzenjammer!« Und sie strich sich mit den Fingerspitzen über die Schläfen, so daß die Hände ihr Gesicht verbargen. »Und was für törichte Dinge ich wohl geschwatzt haben mag, heute nacht?« Schon war sie zur Türe hinaus. Schwedenklee fand ihre mädchenhafte Verwirrung entzückend. Sie schämte sich, ohne jeden Grund. Wie herrlich, diese Reinheit! Nein, er hatte natürlich nicht erwartet, daß sie ihm um den Hals fallen würde, keineswegs. Sie war ein junges Mädchen, vor eine bedeutsame Frage gestellt, sie mußte Zeit zur Überlegung haben -- er würde weder mahnen noch drängen, nicht, daß man einmal sagen könnte, er habe sie überrumpelt. Und doch ... Nein, nein, Schwedenklee war gewissermaßen dankbar, daß sich die erste Begegnung nach seinem Antrag so und nicht anders abgespielt hatte. Er frühstückte mit gutem Appetit. Aber, während er ein Ei in der Hand aufschlug, konnte er doch den Gedanken nicht unterdrücken, daß es schließlich nicht nötig war für Ellen, so rasch, so verwirrt und verlegen wegzulaufen. Nein, nein, ganz unter uns, er hätte es hübscher und richtiger gefunden, wenn sie ihm zum Beispiel beim Frühstück Gesellschaft geleistet hätte. Mit einer kleinen Falte in der Stirn zerlegte er eine Sardine. Schwedenklee begann den Tag mit einer gewissen Feierlichkeit. Er ging bedächtig durch die Ställe, was er selten tat, er sprach lange und fast freundschaftlich mit dem Pächter, er stand und blickte über Felder und Äcker. Hell glänzte der Tag, eine Lerche schmetterte im Sonnendunst, sein Herz wurde heiter und froh. Trotzdem -- je länger er stand und in den hellen Tag hineinblickte -- desto leerer und verwirrter wurde es in seinem Herzen. Er fühlte sich vereinsamt, verlassen, der Glanz des Tages bedrückte ihn. Obschon er sich geschworen hatte, Ellen in ihrem Versteck im Walde nie mehr zu belauschen, trieb ihn doch ein unwiderstehliches Verlangen, sie zu sehen, hinein in den Wald. Er pirschte sich vorsichtig durch das Erlengebüsch, erschreckend bei jedem Knacken eines Astes. Die Naturbühne aber war verlassen. Ellen war nicht da. Schwedenklee kehrte enttäuscht in den Garten zurück und nahm, um die Langeweile zu verscheuchen, die Leere, mit übertriebenem Eifer seine Arbeit auf. Der Garten, muß man wissen, stieg von der Eingangspforte zur Treppe des Hauses sanft an. Schwedenklee beabsichtigte, diese Steigung in zwei Terrassen abzubauen, die, mit Stauden und Sommerblumen bepflanzt, dem Vorgarten ein heiteres und repräsentatives Gepräge geben sollten. Schon seit Wochen war er mit dieser Terrassierung beschäftigt, die Arbeit würde noch Wochen beanspruchen. Eifrig handhabte er den Spaten. Die Sonne stach scharf ins Genick. Und Ellen, wo war sie? * * * * * Plötzlich hörte er eine Stimme, eine kernige, helle, etwas selbstbewußte, ja arrogante Männerstimme. »Erlauben Sie mal, hören Sie mal!« rief diese Stimme. Schwedenklee richtete sich auf. Ein dicker Schweißtropfen lief über seine Nase. An der Gartentüre stand ein junger Mann. So unangenehm ihn der selbstbewußte, herrische Ton der Stimme berührt hatte, so sympathisch erschien ihm zu seiner Überraschung das Aussehen des jungen Mannes. Er war ein hübscher, großer Bursche mit gebräuntem Gesicht und hellen blauen Augen, blonden, strähnigen Haaren, die flott zurückgebürstet waren. Das Gesicht strahlte Jugend, Gesundheit und Selbstvertrauen. Er trug einen lichtgrünen Touristenanzug, graue Wickelgamaschen, gelbe Schuhe und einen weichen, breiten Kragen. Keinen Hut. Ein Badegast, dachte Schwedenklee. Häufig verirrten sich Badegäste an seine Türe. »Sind wir hier richtig?« rief die helle, selbstsichere Stimme. »Ist dies die Residenz des Herrn Schwedenklee?« Schwedenklee, etwas verwundert, nickte. »Nun wohl, Dank den erhabenen Göttern!« Der junge Mann klinkte die Türe auf und stieg die Stufen empor. In der Geste des Aufklinkens der Pforte, in der Art des Eintretens erkannte Schwedenklees geschultes Auge sofort die Bühne. Etwas unwillig stach er den Spaten in die Erde und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Und wo, teurer Freund,« fuhr der Eindringling mit strahlender Miene und einer höflichen Verbeugung fort, »wo können wir diesen sagenhaften Millionär Schwedenklee finden?« »Schwedenklee, das bin ich.« Lachend, mit übertriebenem Erstaunen trat der Gast einen Schritt zurück. »Sie? Verzeihen Sie, man sagte mir: ein _älterer Herr_! Es ist mir eine Ehre, mich Ihnen zu Füßen zu legen: Richard Pohl -- nicht zu verwechseln mit dem berühmten Nord- oder Südpol gleichen Namens -- Mitglied der Vereinigten Sommertheater in Hamburg.« Kräftig und zutraulich schüttelte er Schwedenklees Hand. »Also Sie sind es, dessen Güte die Himmel rühmen? Es ist mir eine hohe Freude!« »Seit einigen Tagen bin ich hinter Ihnen her«, fuhr Pohl gesprächig und lebhaft fort. »Sie sehen eine Art Odysseus vor sich! Ja, in der Tat, es ist nicht leicht, Sie zu finden, Ehrwürdiger, und selbst hier im Ort hatte ich noch Mühe. Aber nicht Sie suche ich eigentlich, obschon es sich der Mühe lohnte, sondern eine Dame: Ellen Blank!« Aus der weitschweifigen Erzählung erfuhr Schwedenklee, daß Pohl mit der Familie Blank schon seit der Dresdener Zeit bekannt war. Er war der Sohn eines Musikers der Dresdener Oper, und Blank war sein erster Lehrer gewesen. Zufällig hatte er in einer Fachzeitung von Blanks Tod gelesen. Er schrieb einen Brief an Ellen nach Berlin, bekam ihn aber als unbestellbar zurück, mit einem zweiten Brief erging es ihm ebenso. Sobald seine Tätigkeit es ihm erlaubte, fuhr er nach Berlin, um Ellens Spur aufzufinden, was ihm erst nach vieler Mühe gelang, nachdem er die Hilfe der Polizei in Anspruch genommen hatte. Ja, und nun also war er endlich hier, und er strahlte vor Freude und Genugtuung, sein Ziel erreicht zu haben. Schwedenklee hörte ihm mit zerstreuter Miene zu. Ganz offen gestanden, zu keiner Zeit hätte ihm der Besuch ungelegener kommen können als gerade heute, an einem solch ungeheuer bedeutsamen Tage. »Welcher Teufel führt ihn gerade heute hierher!« dachte er, während Pohl seiner Bewunderung über die herrliche Aussicht beredten Ausdruck verlieh. Diese Aussicht riß ihn derart hin, daß er Miene machte zu singen. »Gerade heute, da ich auf Ellens Bescheid warte und nicht weiß, was ich vor Ungeduld tun soll!« Die überschäumende Fröhlichkeit und heitere Natürlichkeit des Sängers -- trotz seiner etwas erkünstelten Redeweise -- söhnten ihn indessen rasch wieder aus. »Nun gut, er wird über Mittag bleiben, und am Abend sind wir ihn wieder los!« »Einen kleinen Imbiß werden Sie wohl nicht abschlagen?« Immer wenn Schwedenklee in Verlegenheit war, bot er seinen Gästen zu essen oder zu trinken an. Pohl aß mit vorzüglichem Appetit. Er hatte seit Tagen, während seiner Irrfahrt, nur sehr wenig zu sich genommen. Mit Genuß schlürfte er eine kleine Flasche Bordeaux. Ellen war noch immer nicht zurückgekehrt. Pohl wollte sie im Walde suchen, aber Schwedenklee machte ihm klar, daß der Wald tief und labyrinthisch sei und Ellen ihre geheimen Schleichpfade habe. »Gut, so werden wir sie rufen!« Schwedenklee lächelte. Aber Pohl kümmerte sich nicht darum. Er trat einen Schritt vor, reckte sich in die Höhe und legte die Hände an die Wangen. Dann pumpte er die breite Brust voller Luft und schrie: »Ellen!« Schwedenklees Ohren gellten, der Ruf fuhr hell dahin, das Echo klang aus dem Walde. In der Ferne arbeiteten Landleute auf dem Felde, sie alle hoben die Köpfe. »Sie werden sehen, es wird nicht lange dauern und wir haben sie hier. -- Ellen!« Noch lauter hallte der Ruf. Die Luft schmetterte, der ganze Wald hallte. Laut und hell antwortete das Echo. Die Pferde, die in der Koppel grasten, blieben stehen und blickten neugierig herüber. Das Sonderbare geschah: kurz nach Pohls drittem Rufe erschien etwas Gelbes zwischen den Büschen. Es war Strolly, hoch auf den Beinen stehend, den Kopf gehoben. Dann teilten sich die Brombeerstauden, und Ellen sprang auf den Acker. Ihr weißes Kleid flatterte im Winde. Pohl rief und schwenkte die Arme. Ellens Haltung war ganz Staunen. Sie erkannte ihn nicht. Plötzlich aber stieß Ellen einen hohen Schrei aus und winkte und begann zu laufen. Wie der Wind flog der blonde junge Bursche ihr entgegen, und während er lief, lachte und rief er. Schwedenklee kehrte, etwas übelgelaunt, zu seinem Terrassenbau zurück. Er wollte bei der Begrüßung nicht stören. * * * * * Ellen erschien bei ihm. Sie umschlang ihn freudig mit den Armen. »Ich habe Besuch bekommen!« rief sie, glühend vor Erregung. »Richard ist gekommen! Ich muß Augusta verständigen. Er hat Zeit bis zum Frühzug. Augusta muß ihm ihr Zimmer abtreten. Du bist doch einverstanden, daß er bei uns bleibt? Ich kenne Richard schon seit sieben Jahren.« »Du bist ja die Herrin im Haus!« antwortete Schwedenklee schweißtriefend und strich etwas verlegen über ihre heiße Wange. Ellen stürzte ins Haus. Das Mittagessen verlief in ausgelassener Stimmung. Ellen konnte kaum einen Bissen über die Lippen bringen, so sehr mußte sie über Pohls Schnurren und seine drollige Ausdrucksweise lachen. Er hatte eine Anrede für Schwedenklee gefunden, die sie begeisterte! Er nannte Schwedenklee, etwas keck und zutraulich nach einer so kurzen Bekanntschaft: Don Philipp! »Don Philipp! Wie herrlich der Name zu dir paßt!« lachte sie, indem sie sich an ihn schmiegte. Nach Tisch legte sich Schwedenklee aufs Ohr. Er war noch müde vom gestrigen Abend. Nach einstündigem Schlaf erwachte er: in vorzüglicher Laune. Er war nunmehr direkt erfreut über Pohls Besuch! Seit vielen Wochen war er mit Ellen allein, ihre Gespräche waren etwas monoton geworden, viele Gesprächsstoffe nahezu erschöpft. Oft war es etwas sehr still auf Siebenbirken, nicht für ihn, o nein, er liebte die Ruhe, aber, wie er fand, für Ellen. Der Besuch regte sie an. Es war sehr wohltuend, daß ein Hauch der Umwelt in das Leben auf Siebenbirken strich. »Don Philipp, Edler von Siebenbirken -- Pauken und Tusch!« begrüßte ihn Pohl, der mit Ellen in der hellen Sonne auf einem Heuhaufen der gemähten Wiese saß. (Schon mußte Ellen wieder laut herauslachen!) »Habt die Gnade, das Programm entgegenzunehmen, das wir für Euch, um unsere Ergebenheit zu bezeigen, entworfen haben: Zuerst die olympischen Spiele, die sofort ihren Anfang nehmen. Sodann Festtafel bei Don Philipp mit königlichen Weinen. Hierauf Festvorstellung im Hoftheater Euer Durchlaucht: Figaros Hochzeit. Später Divertissements, Empfang, Defilé, Cour. Genehm? -- Anfang! Don Philipp befiehlt den Beginn! Pagen heran! Zurück der Pöbel!« »Ich starte,« fügte Pohl rasch hinzu, »nimm die Uhr, Ellen. Los!« Wie ein fliehender Hirsch umrundete er die Wiese. Nie in seinem Leben hatte Schwedenklee solch einen Läufer gesehen. »Ellen Blank!« schrie Pohl. Und Ellen lief. Schwedenklee war ergriffen, als er sie laufen sah. Sie schleuderte die Knie, daß man ihre Wäsche sah. Ihr Haarschopf fiel herunter und sie steckte ihn im Laufen auf. Während sie lief, schrie sie aber ununterbrochen vor Vergnügen und Erregung. Nun kam die Reihe an Schwedenklee. Er tat sein Bestes, um sich nicht zu blamieren. Blutrot und schwitzend kam er an. »Don Philipp hat gewonnen!« entschied Pohl. Er behauptete allen Ernstes, daß Schwedenklee ihn um zwei Sekunden geschlagen habe, und überreichte ihm mit feierlicher Ansprache einen Birkenzweig. Es ist eine Tatsache, daß Erwachsene viel kindischer sein können -- in besonderen, seltenen Stunden -- als Kinder, und es kann als Maßstab ihrer Unverdorbenheit und Güte gelten, wenn sie diese Fähigkeit noch besitzen. Jedenfalls, je länger die olympischen Spiele währten, desto ausgelassener wurden die drei. Pohl war unerschöpflich an Erfindungen. Es gab Läufe, Sprünge, Hüpfen auf einem Bein. Dann mußte man mit einer Hand an einem Aste hängen. Schwedenklee hing, bis er blau im Gesicht wurde. Er schlug alle Rekorde. Zuletzt kam der Sprung in den Strohhaufen -- vom Dache des Stalles aus, drei Meter tief. Pohl sprang im Hechtsprung, als spränge er ins Wasser. Ellen sprang mit festgehaltenen Kleidern, schreiend und lachend. Schwedenklee riskierte einen Purzelbaum. Kaum aber war er ins Stroh versunken, so spürte er, wie die beiden über ihn herfielen und ihn immer wieder mit Stroh bedeckten. Völlig außer Atem (und fast etwas böse!) wühlte er sich endlich heraus. Er war mit Strohhalmen gespickt und sah so komisch aus, daß Ellen laut herauslachen mußte. * * * * * Pohl kniete vor ihm. »Don Philipp, nehmet mein Haupt!« Schwedenklee hatte seine gute Laune schon wiedergefunden. 26 Nach dem Abendessen -- diesmal hatte Ellen die Kerzen angezündet! -- wurde programmäßig »Figaros Hochzeit« aufgeführt. Richard sang Figaro -- vollendet, mit einer frischen, kernigen Stimme, er agierte, als stände er auf der Bühne. Ellen hatte -- sehr erregt -- Susanna und Cherubino übernommen. Sie sang schön, rührend, mit leicht zitternder Stimme. Was übrigblieb, fiel Schwedenklee zu, der sich recht und schlecht aus der Affäre zog. Es war -- alles in allem -- ein wundervoller Sommertag, ein Tag, der kein Ende zu nehmen schien. Die Divertissements fielen aus. Ellen wurde ins Bett geschickt, da ihre Augen vor Müdigkeit fieberten. Die Herren aber saßen noch bei einer Flasche Wein. »Eine neue Flasche, Don Philipp!« »Sofort!« Nach der dritten Flasche bot Pohl Schwedenklee die Brüderschaft an. Sie stießen an. »Selten habe ich einen solch prachtvollen Menschen kennengelernt wie dich, Don Philipp!« schrie Pohl, indem er begeistert aufsprang. Schwedenklee kletterte nun selbst in den Keller, um einen ganz besonderen Rheinwein zu holen, einen seltsamen Jahrgang. »Und nun Schluß mit all den Dummheiten!« rief der Sänger aus. »Ein ernstes Wort. Daß du dich des armen Blank erbarmt hast, das soll dir ewig unvergessen bleiben! Daß du dich aber wie ein Vater Ellens annahmst, das wird dir Gott im Himmel persönlich danken! Dafür laß dich umarmen, bester aller Menschen!« Pohl drückte Schwedenklee an seine Brust und küßte ihn. Beide hatten Tränen in den Augen. Es war das erstemal, daß Schwedenklee von einem Mann geküßt worden war. 27 Am gestrigen Tage hatte sich wahrhaftig keine Gelegenheit geboten, mit Ellen über die Dinge zu sprechen, die Schwedenklee so sehr am Herzen lagen. Dieser unglaubliche Bursche, der wie ein Meteor vom Himmel gefallen war. Heute -- um die Wahrheit zusagen --, Schwedenklee war mit etwas schwerem Kopf aufgestanden, er war müde, verschlafen, apathisch und freute sich während des ganzen Tages schon auf die Stunde des Schlafengehens. Welch ein Glück, daß dieser Pohl, so amüsant er auch war, am Mittag wieder abreiste! Aber trotz seiner Müdigkeit beobachtete Schwedenklee, oder sollte er sich täuschen? -- daß mit Ellen seit gestern eine Veränderung vor sich gegangen war. Sie schien merkwürdig erregt, sie lachte ohne jeden Grund, zerstreut lief sie hin und her, den ganzen Nachmittag war sie mit ihrer Wäsche und Garderobe beschäftigt. Von der Antwort auf die bewußte wichtige Frage war nicht die Rede! Vergebens wartete Schwedenklee auf ein Wort, einen Blick. Sie stammelte erregt, wenn sie mit ihm sprach, ihr Blick flackerte, sie errötete, schlug die Augen nieder. Es schien ihm sogar, als ob sie ihm auswiche ... Am nächsten Tage aber glaubte Schwedenklee zu seinem nicht geringen Staunen zu beobachten, daß Ellen ernsthaft damit beschäftigt war, einzupacken. Die Sache war, kurz gesagt, die: der Direktor der Vereinigten Sommertheater in Hamburg war Pohls bester Freund. Es bestand, wie Pohl versichert hatte, gar kein Zweifel, daß er Ellen engagieren würde. Im Sommer sollte sie sich in kleineren Rollen einspielen, um im Herbst mit dem Ensemble nach Bremen überzusiedeln. Ein gutes, ein vorzügliches Theater! Der Zufall hatte ihr eine herrliche Gelegenheit geboten, eine geradezu selten günstige Gelegenheit, ihre Laufbahn zu beginnen. War Ellens glückliche Verwirrtheit nicht verständlich? Natürlich. Oh, Schwedenklee verstand ja wohl manches, er verschloß sich keineswegs vernünftigen Gründen, er wußte nur zu gut, daß eine Frau, die sich die Bühne in den Kopf gesetzt hatte, durch nichts abzubringen war. Aber, hatte sie, Ellen, denn ganz vergessen, daß sie ihm auf eine bestimmte Frage eine bestimmte Antwort schuldig war? Er bemühte sich, die Sache von der scherzhaften Seite zu nehmen. »Du hast ja noch Zeit, Ellen, wozu diese Aufregung?« »Ich muß bereit sein, wenn das Telegramm kommt!« schrie Ellen. Ja, sie schien es in der Tat ganz vergessen zu haben. Allen Andeutungen, die er wagte, wich sie aus. So oft er sie »antwortheischend« ansah -- oh, sie verstand seinen Blick sehr wohl! --, geriet sie in hilflose Verwirrung. Sie lenkte sofort errötend ab, sie sprach von ihren Plänen, Erwartungen, und beschwor ihn, nicht nach Hamburg zu kommen, wenn sie das erstemal auftrat. Sie würde auf der Bühne kein Wort hervorbringen können. Aber er mußte ihr versprechen zu kommen, sobald sie einigermaßen eingespielt wäre. »Aber, ich sehe schon, du wirst nicht kommen, Don Philipp. Du wirst mich rasch vergessen!« sagte sie mit hochgezogener Braue. Also, er würde _sie_ vergessen? Schwedenklee fand vor Erstaunen kein Wort der Entgegnung. * * * * * So vergingen zwei Tage in Unruhe und Spannung. Dann aber sah Ellen den Depeschenboten an der Gartentüre, und sie rannte ihm entgegen. Strahlend vor Freude schwenkte sie das Telegramm. Sie umarmte Schwedenklee. »Er hat mich engagiert!« schrie sie in größter Erregung. »Der Direktor war verreist, daher die Verspätung!« Rasch löste sie sich aus der Umarmung und stürzte zu Augusta und beschwor sie, ihr zu helfen, sie wisse weder aus noch ein. »Mein Gott, Augusta, ob die Wäsche noch trocknen wird?« Schwedenklee fühlte, daß er erbleichte: er wußte nun, daß sie ihn verlassen würde. War es zu glauben: in diesen wenigen Tagen hatte Ellen alles vergessen, das Badezimmer mit den Palmen, Florenz, Paris, Japan -- sie dachte gar nicht mehr daran. Sie hatte auch ganz vergessen, daß sie ihm versprochen hatte, auf eine gewisse Frage zu antworten ... Aber nein, nein, sie hatte nicht vergessen. Sie dachte vielleicht jede Sekunde daran! Sie stammelte, errötend, verlegen, voller Scham: »Du verstehst mich doch? Ich freue mich, tätig zu sein, ich freue mich _anzufangen_. Es ist ja so schön bei dir, du weißt es, aber --! Ich muß ja zusehen, mir mein Leben selbst zu gestalten. Du verstehst mich doch?« Schwedenklee verstand alles! »Ich verstehe sehr wohl!« sagte er, lächelnd, nachsichtig, verzeihend. Aber diese Nachsicht schien sie zu quälen. »Nein, du verstehst mich vielleicht doch nicht?« »Doch, ich verstehe dich, Ellen.« Ihr Blick ruhte groß und voller Scheu auf ihm, während ihre Hände seine Wangen streichelten. Genau so zart und sanft, mit zitternden Fingern, wie die Hände ihrer Mutter -- seinerzeit in Paris ... 28 Schwedenklee sitzt in der Nacht auf der Treppe des Hauses. Das Haus ist dunkel, schwarz der Wald, Schwedenklee sitzt in völliger Finsternis. Zuweilen schlägt Feuer aus der Treppe des Hauses: das ist Schwedenklees Zigarre, die Funken stiebt. Heute, morgen, übermorgen sitzt Schwedenklee in der Nacht, und nur zuweilen fahren wilde Funken aus seiner Zigarre. Ruhelos rennt der Hund hin und her, die Nase am Boden. Durch den Garten, über die Felder, in den Wald, immer die Nase am Boden, alten Spuren nach. In der Nacht fällt Regen, und nun ist der Hund plötzlich ruhiger. Ellen also war ins Engagement abgereist ... Er hatte nicht mehr erwartet, daß sie ihm auf die gewisse Frage antworten würde -- und doch, sie hatte es getan! Auf dem kleinen Bahnhof, der wimmelte von lauten Badegästen, hatte sie zart seinen Arm berührt und ihn mit einem Blicke angesehen -- ja, was für ein Blick war es doch? Das war ihre Antwort! Schwedenklee atmete tief -- ja! Und er hatte sie verstanden. Sie sagte: »Es wäre ja alles so wunderbar gewesen, aber siehst du -- es ist nicht so einfach ...« Nun, er hatte verstanden, vollkommen. O gewiß, es war nicht so einfach ... Es ist ja möglich, dachte Schwedenklee, daß ihr, die hilflos und vereinsamt im Leben steht, im ersten Augenblick eine Verbindung mit dir erwägenswert erschien. Es ist wahrscheinlich, daß sie auf deinen Vorschlag eingegangen wäre, da sie einen anderen Ausweg nicht fand! Da aber erschien Pohl! Seine Stimme weckte plötzlich die Stimmen ihrer Jugend. Und was die Hauptsache ist: er zeigte ihr einen Ausweg, in einem Augenblick, da sie ratlos war, keinen Ausweg fand, ja nicht einmal mehr an die Möglichkeit eines Ausweges dachte. Daher ihre unverständliche Erregung. Blitzschnell folgte sie ihren Instinkten. »Aber wozu die vielen Worte?« sagte Schwedenklee zu sich. »Es gibt eine viel einfachere Erklärung: sie liebte dich nicht! Sie fühlte, daß diese Verbindung für sie nie glücklich sein konnte. Ja, die Wahrheit ist zuweilen bitter!« Und dann kam da vielleicht noch etwas hinzu ... Schwedenklee lächelte. »Sie versteht es ja heute noch nicht, weshalb sie so begierig war, nach Hamburg zu reisen -- die Reine, Wundervolle!« flüsterte er. »Später, später! Ich habe vom ersten Augenblick an alles geahnt!« »Daß ich noch das Wettrennen um die Wiese mitmachte! Und an dem Ast hing ich so lange, daß mir heute noch der Arm weh tut!« Funken fuhren aus Schwedenklees Zigarre. Jeden Abend saß Schwedenklee in der Dunkelheit auf der Treppe des Hauses, und die Funken stoben. Es war Neumond. Am Tage arbeitete er an seiner Terrasse. »Diese fünfzig Kubikmeter Erde werden wir schon bewältigen!« sagte er, selbstbewußt, und der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß Schwedenklee in diesen Tagen sich häufig selbst in den Weinkeller begab. Es gibt Menschen, die einen Stoß in die Herzgrube ohne besondere Erschütterung ertragen, sie sind sehr selten, andere, die lamentieren und ein großes Geschrei machen, und wieder andere, die einfach eine Flasche aufziehen, sich räuspern und eine Zigarre anzünden ... Schwedenklee stand in diesen Tagen sehr spät auf und ging erst schlafen, wenn der Morgen graute. Augusta betrachtete ihn mit vorwurfsvollen Blicken. Er aß ihr zu wenig. Ja, diese Augusta, sie war keineswegs so albern, wie er glaubte. Sie sah in sein eingesunkenes, verstörtes Gesicht und sagte sich: »Diese Frauenzimmer, wie sie ihm zusetzen -- es ist schon eine Schande!« Der Neubau war fertig. Er roch nach Kalk, Gips und Glaserkitt. Auch das Badezimmer -- das alle Badezimmer Deutschlands schlagen sollte -- war im Rohbau fertig. Die versenkte Wanne war vier Meter lang und zwei Meter breit, die Hähne blitzten. Eines Tages mühte sich ein Fuhrwerk, ein kleiner Wald auf Rädern, die Straße herauf: die Blattpflanzen kamen. Sie hatten ein Vermögen gekostet. »Stellen Sie sie einfach in den Baderaum!« sagte Schwedenklee. Da standen sie, bis sie verkamen. Weshalb aber, zum Teufel, war es in diesem Neubau so kalt? Strömte der Putz diese Kälte aus? Schwedenklee betrat den Neubau nicht mehr. * * * * * Zart und fein stieg die Mondsichel aus dem Meer empor. Schwedenklee saß im Dunkel auf der Treppe des Hauses und rauchte. Er hatte heute den ersten Brief Ellens erhalten. »Dank, Dank -- du wirst mich verstehen -- du bist mir gewiß nicht böse ...« Ja, gewiß, Schwedenklee gehörte zur Klasse jener Menschen, die alles verstehen und daher alles vergeben, denen nichts Menschliches fremd ist -- gewiß, er verstand alles. Mehr als sie ahnte! Und böse? Nein, böse konnte Schwedenklee überhaupt nicht werden. Und doch, gerade an diesem Abend wurde Schwedenklee von starker Unruhe erfaßt. Er ging auf und ab, die Funken sprühten aus seiner Zigarre. Schweiß brach aus seiner Stirn. Seine Augen sanken ein. »_Wenn sie nun aber doch mein Kind wäre?_« sagte er voller Gram. »Auch die Krankenschwester, du erinnerst dich, sagte, sie glaube, Blank habe dir besondere Mitteilungen zu machen ...« »Hätte ich Gewißheit -- alles wäre ja anders!« Verraten wir es: Schwedenklee ging in die Dunkelheit, wo sie am schwärzesten war, um hier, ganz im Dunklen, obschon niemand in der Nähe war, die Finger in die Augen zu drücken und zu stöhnen. Ja, Schwedenklee hatte heute einen schlechten Tag. Er strich die ganze Nacht in der Finsternis hin und her, fröstelte im Nachtnebel. »Gerade als ich die Hand nach ihr ausstreckte --!« sagte er, aber er sprach nicht weiter. 29 Am nächsten Tage gab Schwedenklee plötzlich seine Arbeit an der Terrasse auf. Er stach den Spaten in die Erde, und hier mochte er steckenbleiben, bis er verfaulte, wenn ihn der Pächter nicht unter Dach nahm. Schwedenklee hatte einen neuen resedafarbenen Anzug, den er noch nie getragen hatte. Diesen Anzug legte er an. Er rasierte sich sorgfältig und begab sich in den Badeort. Hier saß er auf der Terrasse des Kasinos und betrachtete mit finsterer und verächtlicher Miene die promenierenden Badegäste. Was für entsetzliche Frauen! Dick, formlos, lächerlich, unverschämt in ihrer Einbildung, grotesk in ihrer Eitelkeit, mit falschen Haaren, gemalt, die meisten krummbeinig -- ah, Schwedenklee war zur Zeit nicht gut auf die Frauen zu sprechen. Am dritten Tage -- seine Miene war gleich geringschätzig und abweisend -- hörte er plötzlich eine Frauenstimme: »Ist es möglich, Herr Schwedenklee?« Und ein heiteres Lachen. Zwei flachsblonde Frauen in dünnen Sommerkleidern standen vor ihm, Schwestern. Er hatte die eine der Schwestern gekannt, bevor sie verheiratet war, die Unverheiratete lernte er heute erst kennen. Schwedenklee lächelte verlegen und wich etwas auffällig zurück. Zu nahe drangen ihm Atem und Parfüm der beiden Damen. Die heitere Stimme klang ihm zu laut ins Ohr. Nichts haßte er mehr als die Aufdringlichkeit der Frauen, die der Ansicht waren, daß eine vorübergehende Verliebtheit eine Freundschaft fürs ganze Leben bedeute. Knapp und kühl klangen Schwedenklees Antworten. Die Flachsblonden aber schienen seine Zurückhaltung gar nicht zu merken und lachten fröhlich und laut. Schwedenklee erhob sich und ging. Ein paar Tage vergrub er sich in Siebenbirken. Dann aber erschien er wieder im Badeort, und schon nach einigen Tagen ruderte er die beiden Flachsblonden hinaus in die See. Von nun an begab sich Schwedenklee schon am Morgen in seinem resedafarbenen Anzug in den Badeort. Er aß im Kasino und kehrte erst spät nach Siebenbirken zurück. Nach einer Woche reisten die flachsblonden Schwestern nach Berlin zurück. Schwedenklee blieb zu Hause. Er beschäftigte sich wieder mit seinem Zentralbahnhof, rauchte, trank, lebte in den Nächten. Kaum hatte er aber einen Brief aus Berlin erhalten, der ihn sehr heiter stimmte, so befahl er Augusta zu packen. 30 Es regnete leise, als Schwedenklee nach Berlin zurückkehrte. Die Stadt dampfte. Seine Wohnung umfing ihn mit Behagen. »Vielleicht ist es doch das beste so! Wer weiß, wozu es gut war --!« sagte er sich, indem er in den weichen Hausschuhen auf und ab ging. Dann telephonierte er lange in bester Laune. »Augusta,« sagte er, »morgen abend drei Gedecke, lassen Sie es an nichts fehlen!« Gewiß, Schwedenklee erhielt Briefe von Ellen und schrieb ihr wieder. Die erste Firma Berlins mußte auf seine Kosten Ellens Bühnengarderobe anfertigen, und Schwedenklee selbst überwachte die Fertigstellung der Kostüme. Schwedenklee wußte sehr wohl, was er versprochen hatte. Eines Tages packte er einen Handkoffer und fuhr nach Bremen. Er fand Ellen heiter, strahlend, wunderbar erblüht, er beobachtete, befriedigt fast, daß die beiden, Pohl und Ellen, einander um vieles nähergekommen und sehr glücklich waren. »Don Philipp, herrlichster aller Menschen!« schrie Pohl begeistert und umarmte ihn, als sie im Bremer Ratskeller in später Nacht eine Flasche leerten. * * * * * _Und wenn sie doch dein Kind wäre?_ Auch diese Frage, die ihn oft in den Nächten gemartert hatte, daß er schlaflos auf und ab ging, die sein Herz verbrannte -- auch diese Frage verblaßte allmählich in Schwedenklees Herzen -- -- Als der erste Schnee fiel, erschien Schwedenklee eines Abends wieder um neun Uhr in seinem alten Stammcafé. Sein Rücken schien etwas gebeugt, sein Gesicht hatte die Prälatenröte eingebüßt und schien etwas fahl, die dünnen Haare waren grauer -- sonst aber war es ganz der alte Schwedenklee. Mit lauter Herzlichkeit wurde er von den Spielern empfangen. Nach einer Viertelstunde aber war es, als sei er nicht eine Stunde abwesend gewesen. Schon saß er an einem der Pokertische, und drei Kiebitze rückten ihre Stühle hinter seinen Sessel. Ende Werke von Bernhard Kellermann Yester und Li Roman. 152. Auflage Ingeborg Roman. 115. Auflage Der Tor Roman. 50. Auflage Das Meer Roman. 87. Auflage Der Tunnel Roman. 227. Auflage Der 9. November Roman. 51. Auflage Die Heiligen Novelle Illustriert von Magnus Zeller 12. Auflage Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 17]: ... Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihm fast sämtliche ... ... Die Anstrengungen seines Berufes hatten ihn fast sämtliche ... [S. 103]: ... sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparerie ... ... sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparserie ... [S. 180]: ... deren Namen Schwedenklee nie merken konnte. ... ... deren Namen Schwedenklee sich nie merken konnte. ... End of Project Gutenberg's Schwedenklees Erlebnis, by Bernhard Kellermann *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHWEDENKLEES ERLEBNIS *** ***** This file should be named 59222-8.txt or 59222-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/9/2/2/59222/ Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg-tm License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided that * You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." * You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm works. * You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. * You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg-tm works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director [email protected] Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.