Die Heiligen

By Bernhard Kellermann

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Title: Die Heiligen

Author: Bernhard Kellermann

Illustrator: Magnus Zeller

Release Date: July 29, 2013 [EBook #43339]

Language: German


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Produced by Jens Sadowski








                            Die Heiligen
                                 von
                         Bernhard Kellermann




                                1922
                         S. Fischer / Verlag
                               Berlin




                    Erste bis zwölfte Auflage
                 Illustriert von _Magnus Zeller_
     Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung
            Copyright 1922 by S. Fischer, Verlag, Berlin





Schon vor Tagesgrauen erhob sich der Advokat von seinem Lager. Und im
gleichen Augenblick begannen all die tausend kleinen Vögel, die in seinem
Zimmer mit ihm lebten, zu zwitschern und zu trillern.

»Schon so früh wach, ihr Kleinen!« flüsterte der Advokat. Er sprach nie
laut. »Nun, guten Morgen! Pst! Pst!«

Und die tausend kleinen Vögel zwitscherten zur Antwort und verstummten
gehorsam.

Der Advokat legte sich einen dicken wollenen Schal um die Schultern, denn
er fror immerfort, er schlüpfte in wattierte Stiefel, zog Handschuhe an,
setzte sich eine gefütterte Kappe auf den kahlen Schädel und trat ins
Freie.

Es war noch Nacht, und alle Dinge sahen unwirklich und verzaubert aus.
Zuweilen neigten sich die Gräser mit einem plötzlichen Ruck, ganz wie
Schlafende sich neigen, die träumen, daß sie fallen, und dann spürte der
Advokat einen kurzen warmen Hauch, der ebenso unvermittelt verschwand wie
er kam. Am Himmel oben trieb eilig ein Gemisch von grauem und schwarzem
Gewölk dahin, und im Zenit waren drei gelbe Sterne sichtbar, die in einer
Richtung standen und wie ein fliegender Speer durch das Gewölk zu schießen
schienen. Der Advokat betrachtete eine Weile aufmerksam den fliegenden
Speer, und irgendein Gedanke rang in seinem Kopf. Dann eilte er mit
kleinen, schlürfenden Schritten und so leise wie möglich über die
sandbedeckten Wege des Anstaltsgartens dahin.

»Pst, stille!« flüsterte er, wenn er an Büschen vorbeikam, in denen es sich
regen wollte.

Wo die Gemüsegärten anfingen, stand ein alter Pumpbrunnen, der nicht mehr
benutzt wurde, und hier begann der Advokat seine Tätigkeit. Er stellte die
Gießkanne unter das Rohr und zog den Schwengel, immerfort bestrebt, keinen
Lärm zu machen. Da der Brunnen wenig Wasser gab und der Advokat langsam und
vorsichtig pumpte, war die Kanne erst nach halbstündiger Arbeit gefüllt.
Darauf schleppte sie der kleine Advokat keuchend und hüstelnd bis zu den
Blumenbeeten und fing an, die Blumen unter glückseligem Lächeln und leisen
Koseworten zu begießen. »Nicht so hastig, ihr Kleinen,« flüsterte er,
»meine Kinderchen, wie ihr schluckt! Guten Morgen!«

Da aber wurde es in einem Holunderbusch lebendig. Hunderte von kleinen
Vögeln streckten auf einmal die Köpfe aus dem Laub und zwitscherten dem
Advokaten zu.

Er hob erschrocken die Hand. »Ruhig, still, um Gottes willen!« sagte er.
»Immer wollt ihr die ersten sein! Jeden Morgen. Pst!« Und im Busch wurde es
augenblicklich still.

Der Advokat ging lautlos von Beet zu Beet und begoß seine Blumen. Manchmal
hielt er aufatmend inne und blickte zum Himmel empor, wo noch immer der
goldene Speer durch das Gewölk schoß, ohne je von der Stelle zu kommen.
Dann dachte er lange nach und schüttelte den Kopf. Aus dem Pavillon der
Schwerkranken drang ein langgezogenes Heulen, das in regelmäßigen
Intervallen in ein jammerndes Weinen überging. Der Advokat aber hörte es
nicht. Er hörte nur, daß drinnen in den Büschen die Vögel die Flügel
schüttelten und die Schnäbel wetzten.

Eine übernächtige Wärterin ging fröstelnd an ihm vorüber.

»Schon so früh bei der Arbeit?« sagte sie und wandte ihm das bleiche
Gesicht zu.

Der Advokat stellte die Gießkanne ab, verbeugte sich und zog die Mütze.
»Man muß sich daranhalten,« flüsterte er, »die Kleinen warten nicht.«

Hierauf begoß er die Beete, die sich am Hauptgebäude entlangzogen,
andächtig und hingegeben. An den offenen Küchenfenstern, die sehr niedrig
lagen, machte er halt und suchte mit den Augen die Fensterbretter ab. Er
schüttelte enttäuscht und niedergeschlagen den Kopf. Ja, sie hatten es
wiederum vergessen, ihm Brotkrumen für seine Vögel herauszustellen! Wer
konnte sich auf diese Mägde verlassen?

Er suchte ein paar kleine Kieselsteine am Wege und warf sie, einen nach dem
andern, mit leisem Kichern in die schwarze Küche hinein: Sollten sie es nur
lernen, aufmerksamer zu sein! Oh, er würde es ihnen schon beibringen, die
Brotkrumen regelmäßig aufs Fensterbrett zu stellen. Es gab ja genug Kiesel
auf den Wegen. Und wenn sie sich noch so oft beschwerten!

Die Gießkanne war leer, und der Advokat machte im Morgengrauen den Weg zum
Pumpbrunnen zurück.

Der Advokat war seit dem Tode seiner Frau ein Freund der Blumen und Vögel
geworden. Als sie starb, in der Agonie, sagte sie: »Man muß die Blumen
begießen. Die Vögel müssen ihr Futter haben.« Das waren ihre letzten Worte,
und der Advokat hörte sie Tag und Nacht in seinen Ohren wiederklingen. Er
hörte sie aus jedem Windhauch, aus dem Gespräch zweier Menschen heraus, ja
sogar aus der Stille vernahm er sie. Im Zimmer seiner Frau stand ein
schwarzer schwerer Wäscheschrank (an den er sich merkwürdigerweise noch
heute erinnerte), und auch dieser schwarze breite Schrank wiederholte ihm
die letzten _Worte_ seiner Frau, obschon er keinen Laut von sich gab. Der
Advokat lebte still und einsam weiter und begoß die Blumen in den
Vorfenstern und gab den Vögeln in den Bauern Futter und Wasser. Die Blumen
gingen ein, und die Vögel starben, einer nach dem andern. Der Advokat aber
bemerkte es nicht. Ihm schien es vielmehr, als ob die Vögel munter in ihren
Bauern hüpften und zwitscherten. Sie brüteten, und es wurden ihrer immer
mehr. Und der Advokat hatte seine kindliche Freude daran. Endlich waren es
Hunderte, die ihm von früh bis spät in die Ohren zwitscherten, Tausende.
Sie lebten in den Wänden, an der Decke, überall. Und der Advokat konnte
nicht verstehen, daß die andern sie weder sahen noch hörten.

                   *       *       *       *       *

Als die Sonne aufging, hatte der Advokat schon ein gutes Stück seiner
Tagesarbeit hinter sich und kehrte in den Pavillon zurück, der wie ein
Landhaus im grünen Garten lag.

Unter der Türe, leicht gegen den Pfosten gelehnt, stand lächelnd Michael
Petroff, ehemals Offizier in der russischen Armee, und begrüßte ihn mit
einem heiteren, hellen: »Guten Morgen, mein Freund!«

Der Advokat in seinem wollenen Schal, der Halsbinde, den wattierten
Stiefeln, verneigte sich und zog die Kappe.

»Guten Morgen, Herr Kapitän!«

Sie verbeugten sich einigemal, denn sie hatten die größte Hochachtung
voreinander, dann erst reichten sie sich die Hand.

»Haben Sie gut geschlafen, Herr Advokat?« fragte Michael Petroff und beugte
sich etwas herab, wobei er liebenswürdig lächelte.

»Geschlafen? Ja, ich danke.«

»Auch ich verbrachte die Nacht vorzüglich!« fuhr Michael Petroff fort und
ließ ein helles, fröhliches Lachen hören. »Vorzüglich, in der Tat. Ich
träumte --«, setzte er hinzu und blickte lächelnd, das rechte Auge halb
zusammengekniffen, in den Garten hinaus. »Ja! -- Und nun treten Sie ein in
mein Bureau, mein Freund. Es gibt Neuigkeiten. Bitte!« Er legte die Hand
auf die Schulter des kleinen Advokaten und ließ ihm mit einer kleinen
Verbeugung den Vortritt.

Kapitän Michael Petroff war ein schlanker, großer Mann, mit stahlblauen,
heiteren Augen und einem kleinen blonden Schnurrbart, der wie sein blondes,
seidenweiches gescheiteltes Haar zu erbleichen begann. Er war peinlich
sauber gekleidet und sorgfältig rasiert. Sein Kinn war rund und schön
geformt, etwas zu zart, sein Mund von außerordentlich schöner und weicher
Zeichnung, wie der Mund eines Knaben.

»Bitte!« sagte Michael Petroff und lud den Advokaten mit einer Handbewegung
ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen.

»Ich störe. Störe ich nicht?« flüsterte der Advokat und blieb stehen.

»Nein! Sie, wie sollten Sie --?« Und Michael Petroff drängte den Advokaten
auf das Sofa. Der kleine Advokat nahm scheu und mit einem dankbaren Blick
Platz. »Sie haben ja so viele Arbeit -- ich weiß --«, sagte er und deutete
mit dem Kopf auf den Schreibtisch, der überladen war mit Akten, Zeitungen
und Manuskripten.

»Es gibt zu tun, ja!« versetzte Michael Petroff mit einem merkwürdigen
Lächeln auf den schönen knabenhaften Lippen. »Aber für seine Freunde hat
man immer Zeit. -- Hier, nun hören Sie! Ich habe heute ein Memorandum an
die hessische Regierung entworfen --,« Michael Petroff wippte lächelnd ein
Papier in der Hand -- »die hessische Regierung wird auf das
nachdrücklichste -- auf -- das -- nachdrücklichste -- ersucht, den Prozeß
eines Lehrers zu revidieren!«

Hier blickte Michael Petroff auf seinen Gast, und seine Stirn legte sich
urplötzlich in vier tiefe Falten. »Dieser Lehrer,« fuhr er fort, »wurde zu
vier Jahren, sage vier Jahren, Gefängnis verurteilt. Er hatte zehn Mäuler
zu stopfen und unterschlug Kassengelder. Voilà tout! Was sagen Sie dazu,
wie. Hahaha, sehen Sie, so ist die Welt! Ich fordere in meinem Memorandum
nicht allein eine Revision des Prozesses, sondern auch dringend die
Erhöhung der Beamtengehälter. Ich forderte -- ich, Kapitän Michael Petroff,
und ich werde auch Stellung im >Unparteiischen< nehmen. Sie werden sehen,
mein Freund!« Michael Petroff ließ einen kühnen, triumphierenden Blick über
den kleinen kahlköpfigen Advokaten hingehen, der nickend zuhörte, ohne
recht zu verstehen, was der Kapitän wollte.

»Sie tun viel Gutes!« flüsterte er und nickte, und über sein kleines,
fahles, verwüstetes Gesicht glitt ein kindliches Lächeln. Und nach einigem
Nachdenken setzte er hinzu: »Sie sind ein guter Mensch, das ist es!«

Michael Petroff schüttelte den Kopf. »Ich tue meine Pflicht!« versetzte er
ernst. Und indem er die Hand auf das Herz legte und seine hellen,
stahlblauen Augen aufleuchten ließ, fügte er hinzu: »Meine heilige
Pflicht!«

Kapitän Michael Petroff, früher Offizier in einem Petersburger Regiment,
betrachtete es als seine Lebensaufgabe, die Gerechtigkeit auf Erden zu
vertreten. »Tribunal des Rechts und der Gerechtigkeit« nannte er sich. Er
war auf zwei große Tageszeitungen abonniert, die er jeden Tag nach Fällen
durchsuchte, in denen seiner Ansicht nach jemand ein Unrecht geschehen war.
Und jeden Tag fand Michael Petroff Fälle! Fälle, nichts als Fälle! Diese
Fälle schnitt er aus, ordnete sie nach dem Datum und begann hierauf sie zu
verarbeiten.

Er saß oft bis spät in der Nacht in seinem Bureau, wie er sein Zimmer
nannte, oder in seiner Redaktion, wie er sein Zimmer zuweilen im Flüsterton
seinem Vertrauten gegenüber bezeichnete. Da saß er und schrieb mit einer
sauberen gestochenen Hand seine Eingaben, Proteste, Memoranden und übergab
sie täglich um sechs Uhr dem Chefarzt Doktor März, der ihre Beförderung ein
für allemal übernommen hatte. Doktor März nahm die Schriftstücke
bereitwillig entgegen und legte sie in ein besonderes Fach, um sie
gelegentlich als Material für sein Werk über Graphomanie zu benützen.

Die wenigen Stunden, die ihm diese Tätigkeit übrig ließ, verwandte Michael
Petroff auf die Redaktion seiner Zeitung. Und diese Zeitung war die
Ursache, daß er sein Zimmer zuweilen im geheimen Redaktion nannte. Diese
Zeitung erschien nicht regelmäßig, sondern wenn sie gerade fertig wurde.
Gewöhnlich erschien sie im Jahre einmal, manchmal aber auch, wenn ihn seine
nervösen Zustände zur Eile antrieben, zweimal.

Michael Petroffs Zeitung war das genaue Abbild einer gewöhnlichen
Tageszeitung, vom Kopf an, wo die Bezugsbedingungen vermerkt waren, und die
Stadt, in der sie erschien -- die Michael Petroff willkürlich wählte -- bis
auf die fingierten Namen der Herausgeber und Redakteure. Sie enthielt, wie
jede andere Zeitung, Annoncen, die Michael Petroff höchst einfach aus
anderen Zeitungen herausschnitt, einen Leitartikel, ein Feuilleton.

Der ganze redaktionelle Teil aber beschäftigte sich -- mit Ausnahme weniger
Artikel, die zur Maskierung eingeschoben waren -- mit der Frage: Ist die
Internierung Michael Petroffs, Kapitän der russischen Armee, berechtigt?
Die Überschriften der einzelnen Artikel lauteten in jedem Jahre anders,
wenn sie auch einen ähnlichen Sinn hatten! Das Ultimatum der russischen
Regierung! -- Ein Brief des Zaren an den Chefarzt Doktor März! -- Die
Zeitung erschien auch in jedem Jahr unter einem anderen Namen. Michael
Petroff nannte sie »Weltauge«, »Europas Gewissen«, »Das Bajonett«.

Aus seinen Petitionen machte Michael Petroff kein Geheimnis, über seine
Zeitung aber sprach er nur zu seinem Vertrauten, dem Advokaten. Und es ist
möglich, daß er, obschon von Natur aus gesellig und äußerst gutherzig, nur
deshalb den kleinen Advokaten so sehr ans Herz geschlossen hatte, weil er
mit ihm über seine Zeitung plaudern konnte.

»Einen Augenblick, mein Freund!« sagte er. »Es gibt Neuigkeiten. Ich möchte
Ihnen gerne das Neueste mitteilen, bleiben Sie.«

Er trat zur Türe und räusperte sich, während er lauschte. Dann trat er
hinaus auf den Korridor, hustete, kam befriedigt zurück. Er zog die
Redaktionsschublade, deren Schlüssel er am Halse trug, auf, lachte hell und
heiter und begann: »Das Neueste, hören Sie! Es kann seine Wirkung unmöglich
verfehlen. Hören Sie nur die Überschrift: Doktor März verhaftet!«

»Doktor März verhaftet?« flüsterte der Advokat ängstlich, und sah mit
schlaffem Mund zu Petroff empor.

Michael Petroff lachte.

»Verhaftet? Nein, natürlich nicht. Ich führe in dem Artikel aus, daß die
Verhaftung des Doktor März bevorstände und er sich ihr nur entziehen
könnte, wenn er Michael Petroff augenblicklich freigäbe!«

Der Advokat nickte. »Ich verstehe«, sagte er und lächelte, da er Petroffs
heitere Miene sah. Und doch dachte er gar nicht an Petroffs Artikel,
sondern daran, daß er den Vögeln Wasser hinstellen müsse. Er wurde unruhig
und machte Miene aufzustehen.

»Einen Augenblick noch, ich bitte Sie!« drängte Michael Petroff. »Ja, die
Idee ist prächtig, in der Tat«, fuhr er lebhaft fort, und seine Wangen
färbten sich vor Freude mit einem flüchtigen Rot. »Ich erkläre in dem
Artikel ausdrücklich, daß Doktor März ein Ehrenmann sei, ein hochgeachteter
und allgemein geschätzter Arzt, so daß seine Handlungsweise in diesem
speziellen Falle allgemeines Überraschen errege. Ich bitte Sie, mein
Freund, was wird er tun, wenn er diesen Artikel liest? Hahaha, Sie werden
etwas erleben, lieber Freund. Ich werde ihm ja nicht böse sein, ganz und
gar nicht. Nun -- endlich, endlich! werde ich sagen, lieber Doktor, haha!
Aber sehen Sie weiter, was der >Unparteiische< schreibt. Sehen Sie sich
einmal diesen Titel an, bitte sehr!«

»Welchen --?«

»Nun, diesen hier!«

»Ein -- Fragezeichen?«

»Ja! Haha -- nichts als ein Fragezeichen! Und darunter: Wo ist Michael
Petroff? Ein öffentlicher Aufruf! Aber sehen Sie hier, im kleinen
Feuilleton: Michael Petroff, Kapitän der russischen Armee, hat soeben ein
sechsbändiges Werk über Sternschnuppen beendet. Die gesamte Fachpresse
rühmt den Scharfsinn und die Klarheit des epochemachenden Werkes. Hahaha,
sagte ich Ihnen nicht, daß es Neuigkeiten gäbe, mein Freund!«

Der Advokat saß zusammengekauert auf dem Sofa und dachte angestrengt nach,
wobei er den Atem anhielt.

»Ich begreife nicht --?« flüsterte er und schüttelte langsam den Kopf.

»Was begreifen Sie nicht?«

»Daß er Sie festhält.«

Michael Petroff sah den Advokaten erstaunt an. Dann beugte er den Kopf
herab und flüsterte: »Ich sagte es Ihnen doch schon, daß meine Verwandten
ihn bezahlen!«

»Sie bezahlen?«

»Ja, natürlich!« antwortete Michael Petroff heiter. »Unsummen. Millionen!«

»Oh!« Nun verstand der Advokat.

»Ja, sehen Sie, so ist es auf der Welt!« sagte Michael Petroff und
schnippte mit den Fingern.

Aber der Advokat konnte doch nicht recht begreifen.

»Ich verstehe nicht,« begann er von neuem, »Doktor März ist ja so gütig.
Ich wohne hier, lebe hier, habe mein Essen und bezahle nichts. Er hat noch
nie Geld von mir verlangt. -- Ich habe ja kein Geld, Sie wissen«, schloß er
noch leiser und ängstlich.

Michael Petroff legte ihm wohlwollend und wichtigtuend die Hand auf die
Schulter. »Sie arbeiten ja im Garten,« sagte er, »begießen die Blumen. Wie
sollte er es also wagen, Geld von Ihnen zu fordern? So einfach ist das.
Vielleicht haben Sie aber auch Verwandte da draußen, die für Sie bezahlen?«

»Verwandte?«

»Ja. Da -- draußen!« Auf den schönen knabenhaften Lippen Petroffs erschien
ein grausames Lächeln. Sollte er diesem kleinen alten Mann in dem wollenen
Schal erklären, wo er sich befand? Sollte er diesem kleinen alten Mann mit
dem grauen faltigen Gesicht vielleicht erklären, daß es ein »Da draußen«
gab -- wo sie zum Beispiel eben in einen Schnellzug einsteigen oder sich
die Hände waschen, um sich an den Tisch zu setzen? Er wippte sich auf den
Zehen, und plötzlich verlor er die Vorstellung seiner Körperlichkeit: er
kam sich vor wie ein riesiger in die Wolken ragender Turm, der auf den
kleinen, kahlköpfigen Mann, der nur ein paar dünne Haarbüschel über den
Ohren hatte, herabblickte. Eine Lust erfaßte ihn, den Advokaten zum Weinen
zu bringen.

Da aber verbeugte er sich plötzlich leicht vor dem Advokaten und sagte:
»Vergeben Sie Michael Petroff!« Er machte ein paar Schritte durchs Zimmer,
dann wandte er sich in ganz dem gleichen Ton wie vorhin an seinen Gast:
»Wird es schönes Wetter bleiben, heute?«

»Ich glaube -- ich weiß es nicht«, erwiderte der Advokat unsicher.

»Nun, wir wollen Kricket spielen, heute nachmittag. Sie frieren?«

»Ja«, flüsterte der Advokat und zog die Halsbinde enger.

Michael Petroff sah ihn mit schräg geneigtem Kopf an. »Ich kann nicht
begreifen, daß Sie heute frieren können.« Und er lachte fröhlich. »Kommen
Sie,« sagte er dann, »wir wollen --« er hielt inne, denn er wußte nicht,
was er wollte -- »wir wollen -- ja, wir wollen Freund Engelhardt besuchen.
Kommen Sie! -- Der Arzt war heute nacht bei ihm«, schloß er geheimnisvoll.

»Der Arzt?«

»Ja. Er ist krank, unser Freund. Hm, hm.« Michael Petroff schloß sorgfältig
das Manuskript der Zeitung ein, setzte eine große graue englische
Reisemütze auf, warf einen Blick in den Spiegel, und sie verließen zusammen
das Zimmer. Michael Petroff lachte leise, tief innen in der Kehle. An der
Türe Engelhardts angelangt, blieben sie stehen und klopften lauschend. --

Für Michael Petroff gab es im Jahr zwei große Tage.

Der eine war sein Geburtstag, am 16. Mai. Michael Petroff vergaß ihn nie.
Am 16. Mai ging er mit wichtiger Miene und Blicke werfend umher und sagte
zu jedem, den er traf: »Heute ist mein Geburtstag. Danke für die
Glückwünsche!« Vor Tisch kam dann stets der Pfleger und bat ihn, zu Doktor
März zu kommen, der ihm zu gratulieren wünsche.

Dann begab sich Michael Petroff mit leichten Schritten ins Sprechzimmer des
Doktor März, schüttelte ihm die Hand und dankte für den wunderbaren Strauß
weißer Rosen, den Doktor März ihm überreichte.

Michael Petroff ahnte nicht, woher der Strauß weißer Rosen kam. Er wußte
nicht, daß an jedem Geburtstag hinter der Portiere des Sprechzimmers seine
Gemahlin und seine Tochter standen, die alljährlich die weite Reise
machten, um ihn zu sehen. In den ersten Jahren war die Gattin des Kapitäns
blond gewesen, dann war sie allmählich grau geworden und jetzt war sie
weiß, obgleich sie noch verhältnismäßig jung war. Früher war sie allein
gekommen, seit drei Jahren war aber stets eine junge Dame in ihrer
Begleitung, die immer schrecklich weinte, wenn sie kam und ging. Die junge
Dame hatte nur ein Ohr und verbarg diese Verunstaltung durch die Frisur.
Das andere Ohr hatte ihr Michael Petroff abgeschnitten, als sie noch ein
Kind war, damals, als sein Leiden ausbrach.

Michael Petroff plauderte und lachte fröhlich mit dem Chefarzt und brachte
die Rosen seinem Freunde, dem Advokaten.

»Hier sind Blumen! Ich tue nichts damit!«

Der Advokat nahm mit vor Freude geweiteten Augen die Rosen entgegen,
vorsichtig wie etwas Zerbrechliches.

Der zweite große Tag Michael Petroffs war der Tag, an dem die Zeitung
erschien.

Die Zeitung wurde in der Stadt gedruckt. Michael Petroff hatte den Portier
des Sanatoriums für diese Kommission gewonnen. Der Portier lieferte das
Manuskript an den Drucker ab und überbrachte Michael Petroff die gedruckten
fünfundzwanzig Exemplare. In diesen Tagen befand sich Michael Petroff in
der ungeheuersten Spannung. Er ließ die Zeitung den Ärzten und in erster
Linie Doktor März zustellen und wartete aufgeregt die Wirkung ab. Er
arbeitete in dieser Zeit nicht, sondern ging den ganzen Tag über im Garten
und im Haus umher. Wenn er einem Arzte begegnete, so blieb er stehen und
sandte ihm einen triumphierenden Blick zu, während seine Lippen ein
siegessicheres Lächeln umspielte.

Nach einigen Tagen aber fragte er die Ärzte: »Hören Sie, haben Sie da nicht
eine Zeitung erhalten?«

»Eine Zeitung?«

»Ja! Ich erhielt sie ja auch. >Das BajonettNun, Doktor,
für mich haben Sie heute nichts?< >Nein,< sagt er, >lieber Kapitän, leider
nichts.< >Gar nichts,< sage ich und fasse ihn am Arm, >seit Wochen ist
keine einzige Antwort eingelaufen? Wirklich nichts, Doktor?< Er sieht mich
an und denkt nach. >Ach ja,< sagt er, >ich hätte es beinahe vergessen. Es
ist ein Schreiben eingelaufen. Es betrifft diesen Tischlergesellen, Sie
wissen, lieber Kapitän?< >Tischlergesellen? Doktor? Ich erinnere mich
nicht< -- ich ziehe mein Taschenbuch heraus, in das ich alle ausgehenden
Schriftstücke eintrage: >Woher kam die Antwort? Aus Sachsen? Ah,< sage ich,
>dann betrifft es jenen Schlächtergesellen, den man zum Tode verurteilt
hatte.< >Ja,< sagt der Doktor, >ganz richtig, ein Schlächtergeselle war der
Bursche.< Und nun hören Sie, lieber Freund: Seine Majestät der König von
Sachsen haben geruht, ihn auf meine Petition hin zu begnadigen. Ich werde
noch heute ein Dankschreiben an Seine Majestät entwerfen.«

»Wie sie heute sticht, die Sonne«, antwortete der Advokat auf Michael
Petroffs Erzählung und begann den Pumpenschwengel zu ziehen. »Die Blumen
sehen alle so matt aus.«

»Hahaha!« Michael Petroff lachte. »Sie hören ja gar nicht zu? Wie?«

Nein, der Advokat hörte nicht zu. Er sah in die Kanne, ob sie voll wäre.

Michael Petroff betrachtete ihn eine Weile mit zur Seite geneigtem Kopf,
dann lachte er still vor sich hin und ging rasch weiter. Er blickte über
den Garten und suchte nach jemand, dem er die frohe Botschaft erzählen
könnte.

Da entdeckte er den »Rajah«, der im Gemüsegarten, zwischen zwei Salatbeeten
hin und her ging. Seiner Gewohnheit gemäß war der »Rajah« allein und da, wo
sonst niemand war.

Michael Petroff wippte sich auf den Zehen und dachte einen Augenblick
daran, mit einem einzigen Sprung über die Beete zu setzen, die ihn, etwa
hundert Schritt breit, von dem »Rajah« trennten. Er brauchte sich ja nur
ein bißchen in die Höhe zu schnellen und wäre dort. Aber er befürchtete
unhöflich gegen den »Rajah« zu sein, ihn vielleicht zu erschrecken, und
unterließ es.

Der »Rajah« ging so stolz und würdevoll einher wie gewöhnlich, aber heute
war er unruhig und nachdenklich. Die Worte Engelhardts, der das Weltall im
Gleichgewicht hielt, daß es nicht in Trümmer stürze, hatten seinen Sinn
gefangen genommen. Er dachte darüber nach, und nach langem unerbittlichen
Nachdenken war er zu dem Schlusse gekommen, daß es nur noch eines gäbe --
eines -- --

Da trat Michael Petroff an ihn heran.

»Erlauben Sie, daß ich störe!« sagte er höflich und zog die graue englische
Reisemütze. »Kapitän Michael Petroff!«

Der »Rajah«, sah ihn mit seinen schwarzen brennenden Augen ernst an.

»Was willst du?« fragte er ruhig.

Michael Petroff lächelte. »Ich möchte Ihnen gerne eine freudige Neuigkeit
mitteilen«, begann er. »Heute morgen also sage ich zum Doktor: >Nun,
Doktor, haben Sie nichts für mich, heute --?<« -- Und er erzählte
freudestrahlend dieselbe Geschichte, die er heute schon dutzendmal erzählt
hatte.

Der »Rajah« hörte schweigend zu, während er Michael Petroff nachdenklich
betrachtete. Dann sagte er: »Ich möchte gerne mit dir sprechen.«

»Ich stehe Ihnen zur Verfügung!«

Der »Rajah« ließ seine Augen langsam und würdevoll über den Garten
schweifen.

»Wollen wir zu jener Bank gehen!«

»Mit Vergnügen.«

Der »Rajah« setzte sich und lud Michael Petroff mit einer herablassenden
Handbewegung ein, ebenfalls Platz zu nehmen.

»Ich sehe dich immerfort schreiben --« begann er.

Michael Petroff lüftete die Mütze: »Michael Petroff, Kapitän der russischen
Armee«, sagte er höflich.

Der »Rajah« sah ihn an und fuhr hierauf mit der gleichen Ruhe und Hoheit
fort: »Wenn du schreibst, so mußt du wissen. Und gewiß hast du Weisheiten
über Menschen und Dinge aus den heiligen Büchern geschöpft, die uns andern
verschlossen bleiben, und dein Leben gemäß den Vorschriften deiner Kaste in
Meditationen verbracht. Gut, so lege mir die Worte des Fakirs aus, der nach
dem unerforschlichen Ratschluß der Götter das Weltengebäude auf den
Schultern trägt! Sprich!«

Michael Petroff lächelte geschmeichelt und verbeugte sich gegen den
»Rajah«. Er verstand zwar nicht alles, was der »Rajah« sprach, aber er
fühlte Hochachtung und Verehrung aus seinen Worten. Er fand, daß er
gewissermaßen die Verpflichtung habe, den »Rajah« in das Geheimnis seiner
Zeitung einzuweihen, aber zu seiner eigenen Überraschung fragte er: »Sie
meinen Freund Engelhardt?«

»Du hörtest, was er sagte?«

»Ja!«

»So sprich!« Es zeigte sich, daß der »Rajah« kein einziges Wort, das
Engelhardt zu Doktor März sagte, vergessen hatte; Michael Petroff dagegen
wußte nahezu nichts mehr und zog sich den Unwillen des »Rajahs« zu.

»Pardon!« entschuldigte er sich. »Es gehen mir so viele Dinge durch den
Kopf.«

»Was aber wird geschehen, wenn er keine neue Seele erhält?« fragte der
»Rajah« weiter.

»Oh, der Doktor wird wohl Sorge tragen.«

»Auch Fakire sind nur Menschen. Was wird geschehen, wenn ihm die Kräfte
versagen? Wird die Welt einstürzen?«

»Sie wird einstürzen!« erwiderte Michael Petroff und mußte lachen.

»Weshalb lachst du da?« sagte der »Rajah« ruhig, und seine dunkeln Augen
funkelten. »Was wirst du tun, wenn sie einstürzt?«

»Ich?« Michael Petroff lächelte und deutete auf den Pavillon, der durch die
Büsche schimmerte. »Wenn dieses Haus dort einstürzt,« fuhr er fort, »so
werde ich mich rasch davon machen und in meine Heimat zurückkehren. Meine
Heimat ist Rußland. Sie kennen Rußland? Sie können Deutschland auf der Hand
forttragen, Rußland aber nicht einmal auf dem Rücken. So groß ist meine
Heimat.«

Der »Rajah« dachte lange und angestrengt nach. Dann sagte er, langsam und
mehr für sich selbst: »Wenn die Welt einstürzt, wird dann auch mein Reich
einstürzen? Die Berge mit den Tempeln, die Wälder und Städte, wird all das
zerstört werden?«

Michael Petroff nickte und lächelte schadenfroh. »Ich glaube wohl!«

Auch der »Rajah« nickte nun. Er neigte einigemal langsam sein Haupt. »All
meine Untertanen werden zu Grunde gehen?« fragte er und nickte. Er stand
auf und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er ernst und sah Michael Petroff
an. »Das soll nicht sein! Wir wünschen es nicht.«

Der Rajah ging. Langsam und würdevoll schritt er in der Sonne dahin dem
Pavillon zu.

Michael Petroff sah ihm nach. Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Was für
ein wunderlicher Mensch er doch ist!« sagte er und lachte. Und als er sein
Lachen hörte, lachte er nochmals laut und fröhlich und schnippte mit den
Fingern dazu. »Hahahaha!«

                   *       *       *       *       *

Der »Rajah« aber trat in Engelhardts Zimmer und teilte ihm mit, daß er
gesonnen sei, ihm seine Seele zu überlassen. »Wenn die Götter mein Opfer
annehmen wollen.«

Engelhardt, der wie tot auf dem Bett lag, öffnete die Augen und sah ihn an.

»Wollen Sie?« keuchte er und seine Hände und sein Gesicht zuckten.

»Ja.«

»Drei Tage will ich noch kämpfen!« keuchte Engelhardt.

Der »Rajah« zog die Türe zu. Er begab sich in sein Zimmer und schrieb mit
großen, fliegenden Buchstaben, die alle in verschiedene Richtungen
flatterten, einen kurzen Brief an Doktor März.

»Euer Hochwohlgeboren,« so schrieb er, »der Himmel hat es beschlossen. Wir
sollen den blauen Fluß nicht mehr sehen. Wir sollen die überschwemmten
Reisfelder nicht mehr sehen und nicht mehr die weißen Elefanten, deren
Zähne goldne Ringe tragen. Der Himmel hat es beschlossen und wir gehorchen.
Sagen Sie der englischen Regierung, daß wir erhaben sind über das Gefühl
der Rachsucht und Bitterkeit. Sagen Sie der englischen Regierung, daß wir
gesonnen sind, unsere Untertanen zu retten und unsere Seele preisgeben,
wenn den Göttern das Opfer gefällt.«

Der »Rajah« klingelte dem Pfleger und übergab ihm ruhig und voll Würde das
Schreiben. Dann entkleidete er sich und legte sich zu Bett, bereit zu
sterben.

                   *       *       *       *       *

Am Abend, als es dunkelte, kam der Advokat verstört in das Zimmer Michael
Petroffs gestürzt, ohne anzuklopfen, ohne unter der Türe zu warten, wie er
es sonst zu tun pflegte.

»Helfen Sie mir, Kapitän!« flüsterte er und flüchtete sich in die Arme des
erstaunten Michael Petroff. Der Advokat zitterte vor Entsetzen.

»Was in aller Welt --?« rief Michael Petroff erstaunt und erschrocken aus.

»Er steht im Gange!« flüsterte der Advokat.

»Wer? Was haben Sie?«

»Engelhardt! Er steht vor der Türe des >Rajah<. Er holt sich seine Seele.«

»Was sagen Sie da?« Michael Petroff lachte leise.

»Ich sah ihn stehen. Lassen Sie ihn nicht zu mir kommen, oh, du guter
Gott!«

»Pst!« unterbrach ihn Michael Petroff. »Ich werde nachsehen.«

Der Advokat umklammerte seine Füße. »Er wird hereinkommen, oh, mein Gott,
mein Gott!«

»Lieber Freund,« versetzte Michael Petroff, »fassen Sie sich. Er soll nicht
hereinkommen. Ich verspreche es Ihnen. Aber ich will sehen!«

Der kleine Advokat kauerte auf dem Boden und bedeckte das Gesicht mit den
Händen. Michael Petroff aber ging hinaus. Nach einer Weile kam er zurück.
Er sah etwas blaß aus, aber er lachte, um sich Mut zu machen.

»Ja,« sagte er gedämpft, »da steht er an seiner Türe und lauscht. Weshalb
zittern Sie so, lieber Freund?«


»Verlassen Sie mich nicht!« flüsterte der Advokat, immer noch die Hände vor
dem Gesicht.

Der »Rajah« lag auf dem Bett, die großen Augen mit einem glänzenden Blick
in die Ferne gerichtet, und regte sich nicht, über sein gebräuntes Gesicht
war eine hoheitsvolle Ruhe und Gelassenheit ausgegossen. Er weigerte sich
aufzustehen und wies jede Nahrung zurück. Doktor März maß die Temperatur
und fand sie einigermaßen niedrig, den Puls etwas langsam, irgendwelche
Symptome einer gesundheitlichen Störung oder Anzeichen einer nahenden
Krankheit konnte er aber nicht entdecken. Er redete dem »Rajah« mit
freundlichem Ernst zu, aufzustehen und zu essen, da der »Rajah« ihm aber
nicht antwortete, ließ er ihn in Ruhe. Er war an die Launen seiner
Patienten gewöhnt und wußte, daß sie ebenso rasch gingen, wie sie kamen.

Dagegen machte ihm Engelhardt ernstlich Sorge. Er hatte trotz aller
Dauerbäder und Beruhigungsmittel die Nacht wiederum schlaflos und erregt
verbracht. Nun lag er in einer Art Halbschlaf und zitterte und zuckte unter
der Anstrengung, die sein schrecklicher Wahn von ihm forderte. Er vernahm
Stimmen, das Geschrei von Millionen von Menschen, die die Hände nach ihm
rangen und ihn anflehten, sie nicht der Vernichtung preiszugeben, er hörte
das Läuten der Glocken, die Bittgesänge von Prozessionen, die Gebete der
Kaiser und Könige, Bischöfe und Päpste. Seine Haut war trocken und spröde,
sein Puls hüpfend und unstet. Doktor März saß lange Zeit neben seinem Bett
und beobachtete ihn, während er, zuweilen blinzelnd, sein ganzes Wissen und
alle seine Erfahrungen blitzschnell in Gedanken durchflog. Dann verließ er
Engelhardt mit einer nachdenklichen und ratlosen Miene.

Nach einer Stunde aber war er schon wieder bei ihm.

Die Patienten des Pavillons wurden von einer sonderbaren Nervosität
ergriffen, die sich stets bei ihnen einstellte, wenn die häufigen Besuche
des Arztes darauf hindeuteten, daß jemand schwer krank war. Sie gingen mit
behutsamen Schritten, sprachen nur halblaut, und manche verließen das
Zimmer überhaupt nicht. Der kleine Advokat wagte kaum sich zu regen und bat
die tausend Vögel, die mit ihm im Zimmer lebten, recht ruhig zu sein, als
er ihnen Brosamen und Wasser auf den Tisch stellte. Wieder und wieder zwang
ihn eine unbekannte Macht durch das Schlüsselloch zu sehen. Da stand er
lange Zeit, die Hand in der Art der Kinder auf das linke Auge gepreßt und
spähte mit dem rechten durch das Schlüsselloch hinaus auf die weiße Wand
des Korridors. Sobald aber ein Vorübergehender den Ausblick verdeckte, fuhr
er erschrocken zurück. Wenn er hinaus zu seinen Blumen mußte, so öffnete er
lautlos und langsam die Türe und ging rückwärts, die Augen auf Engelhardts
Türe gerichtet, bis zu den Stufen. Hier drehte er sich rasch um und eilte
hinab, immer in der Furcht, daß ihn plötzlich eine Hand am Rockkragen
festhalten werde.

Michael Petroff war der einzige, dem die allgemeine Unruhe nichts anhaben
konnte. Er saß an seinem Schreibtisch, schnitt seine Fälle aus, numerierte,
registrierte, klebte, schrieb. Er schüttelte lächelnd den Kopf über die
Furcht des kleinen Advokaten, versprach ihm aber für alle Fälle seinen
Schutz.

»Seien Sie ganz ruhig, lieber Freund!« sagte er gönnerhaft. »Solange ich
lebe, haben Sie keine Ursache, sich zu beunruhigen!« Und mit wichtiger
Miene fügte er hinzu: »Ich war bei ihm. Er erzählte mir, daß der >Rajah<
ihm seine Seele versprochen habe. Nun, was weiter? Voilà tout. Sie aber
verlassen sich auf Michael Petroff!«

»Ich danke Ihnen!« flüsterte der Advokat und griff nach Michael Petroffs
Hand, um sie zu küssen.

»Nicht das! Wozu?!« wehrte Michael Petroff ab, fühlte sich aber doch
geschmeichelt und geehrt.

Der Advokat verließ ihn ruhiger. In der Nacht aber hörte er Engelhardt
rufen und verkroch sich zähneklappernd unter die Bettdecke. Nun war es ihm,
als sei er in die Erde eingegraben, in einen hohen Berg und vermochte vor
Angst kaum zu atmen. Da aber sah er plötzlich einen ungeheuren Schwarm von
Vögeln, die pfeilschnell in einer leichten Biegung über den Himmel glitten.
Er winkte und rief empor: »Wohin? Wohin?« -- »Komm mit! Komm mit!«
zwitscherten die Vögel zur Antwort. »Nach Wien! nach Wien!« und sie glitten
in die Ferne. Der Advokat sah ihnen nach und schlief ein.

                   *       *       *       *       *

Die Kräfte des »Rajahs« schwanden zusehends, obgleich Doktor März ihm
künstlich Nahrung zuführen ließ. Rasch wie die Dämmerung in den Tropen
erlosch er. Sein braunes Gesicht und seine braunen Hände hatten eine graue,
fahle Färbung angenommen, wie trockene Gartenerde, und seine mächtige
breite Brust hob und senkte sich rasch und lautlos unter der Decke. Seine
Lider, die fahler aussahen als das Gesicht, waren halb über die Augen
gesenkt, aber sobald jemand ins Zimmer trat, hoben sie sich langsam, und
ein großer glänzender Blick traf fragend den Eintretenden.

Der Puls wurde dünn und fliehend, und Doktor März saß fast die ganze Zeit
am Bett des Kranken. Der rasche Verfall seiner Kräfte war ihm
unverständlich und besonders besorgt machte ihn das unerklärliche, rapide
Nachlassen des Herzens. Er saß und blinzelte zuweilen, beobachtete, dachte,
versuchte alles nur Denkbare, -- und am Abend wußte er, daß der »Rajah«
nicht mehr zu retten war.

»Wie geht es ihm, Doktor?« fragte Michael Petroff, der im Korridor dem Arzt
aufgelauert hatte, und deutete mit dem Kopf auf die Tür des »Rajah«.

»Nun, nicht schlecht!« antwortete Doktor März zerstreut.

Michael Petroff lachte leise hinter ihm her. Dann ging er sofort ins Zimmer
des Advokaten.

»Der >Rajah< stirbt!«, sagte er mit einem triumphierenden Blick.

Der Advokat sah ihn furchtsam von unten herauf an; er entgegnete nichts.

»Ja!« Michael Petroff setzte sich in einen Rohrstuhl und zog die
Beinkleider etwas in die Höhe, damit sich die Knie nicht herausdrückten.
»Ich frage eben den Doktor. Er sagt: nicht schlecht. Nun, das heißt, der
>Rajah< stirbt. Als Heinrich starb, Heinrich, der die lustigen Lieder sang,
über die Sie so lachen konnten, mein Freund, was sagte da der Doktor? Nicht
schlecht! Und Heinrich starb. Ja, ich verstehe mich auf Ärzte.«

Der kleine Advokat hüllte sich in seinen Schal. Ihn fröstelte.

»Er saugt ihm die Seele aus dem Leib«, fuhr Michael Petroff mit wichtiger
Miene fort. »Er versteht seine Sache, dieser Engelhardt. Wie machte er es
damals mit dem Pfleger Schwindt? Genau so, sehen Sie!«

Und Michael Petroff ging, sich fröhlich die Hände reibend. Er fühlte sich
angeregt von all dem, was um ihn vorging, von all den Dingen, die er
durchschaute. Es gab da Neuigkeiten --! In vorzüglicher Laune setzte er
sich an den Schreibtisch, um seinen Artikel: Doktor März verhaftet!
durchzufeilen.

                   *       *       *       *       *

In dieser Nacht, gegen drei Uhr, starb der »Rajah«.

Die Nacht war warm und still und so hell vom Mond, daß man im Freien lesen
konnte. Die Patienten waren unruhig, sie räusperten sich, gingen auf und ab
und sprachen mit sich. Zuweilen aber wurden sie alle still: das war, wenn
Engelhardt zu schreien anhob. Ich kann nicht mehr! Und dazwischen
deklamierte er laut die Ansprachen, die die Könige und Fürsten, die vor ihm
knieten, an ihn richteten.

Der kleine Advokat hatte es nicht gewagt, sich niederzulegen. Er saß
angekleidet auf dem Sofa, in all seine Decken gehüllt. Und doch fror er,
daß ihm die Zähne klapperten. Wenn Engelhardt zu schreien anfing, bewegte
er betend die Lippen und schlug das Kreuz.

Michael Petroff aber hatte sich, unbekümmert um alles, zu Bett gelegt. Er
lag, die Arme unter dem Kopf, und dachte über einen geeigneten Titel seiner
Zeitung nach. Denn diesmal wollte er den Doktor überrumpeln, packen, -- ja,
warte nur! Was aber sollte ein Titel wie der »Unparteiische« sagen, bitte
schön? War damit diesem hartgesottenen Doktor beizukommen? Wie? O nein,
nein, ganz und gar nicht. Der Titel mußte nach Feuer und Schwefel riechen,
wie ein Schwert, das geschwungen wird, mußte er sein, wie die Öffnung eines
Gewehres, das auf den Doktor gerichtet war. -- Doktor März mußte
erschrecken, wenn er den Titel las! Und nach langem Nachdenken entschloß
sich Michael Petroff, seine Zeitung diesmal »Schwert des Erzengels« zu
nennen. Er sah diesen Erzengel deutlich dahinfahren, schräg, mit
fürchterlich wehenden Gewändern und erschreckend verzerrter Miene, das
Schwert mit beiden Händen ein wenig nach hinten geneigt in die Höhe
haltend. Und dieses Schwert, das rasiermesserscharf und hinten sehr breit
war, schlitzte das Firmament auf, und ein dampfender blutroter Streifen
wurde sichtbar. Dieser rote dampfende Streifen erfüllte Michael Petroff mit
einem starken Wollustgefühl. Er setzte sich auf und sagte: »Warte nur,
haha!«

Plötzlich aber legte er die Hand über die Augen. Ein dunkler, wehmütiger
Schmerz hatte ihn überfallen, und er wußte nicht warum.

»Michael Petroff --?« sagte er leise, »Michael Petroff --?« und Tränen
traten in seine Augen. So, die Hand über den feuchten Augen und einen
dunkeln Schmerz im Herzen schlief er ein.

Er lag in tiefem Schlaf, als ihn ein Pochen an der Tür weckte: »Ich bin es,
der Pfleger, erschrecken Sie nicht.«

»Was gibt es?«

Der Pfleger trat ein und sagte halblaut: »Herr Doktor März läßt Sie
ersuchen zu kommen. Der Lehrer möchte Sie sprechen.«

»Der Lehrer?«

»Der >Rajah<, Sie wissen ja.«

»Sie wissen nicht, was er von mir will?«

»Nein, Doktor März läßt Sie ersuchen.«

»Gut, ich komme.«

Michael Petroff erhob sich und machte langsam und sorgfältig Toilette. Der
Pfleger kam zurück und bat ihn, sich beeilen zu wollen. Michael Petroff
band sich sorgfältig die Krawatte. »Ich komme ja schon,« sagte er unwillig,
»ich kann doch nicht halb angekleidet einen Besuch machen.«

Endlich war er fertig; er besah sich noch rasch im Spiegel, strich den
Schnurrbart zurecht und ging hinaus.

»Herr Kapitän!« flüsterte der kleine Advokat durch die Türspalte, denn das
Klopfen und Sprechen in Petroffs Zimmer hatte ihn noch ängstlicher gemacht.
»Ich flehe Sie an --!«

»Ich habe Eile«, antwortete Michael Petroff und schritt den Korridor
entlang. Er hörte Engelhardt in seinem Zimmer deklamieren: »Wir stehen zu
dir, zerstöre nicht den Dom der Welt, gepriesen sei dein Name!« Und mit
veränderter, keuchender Stimme fuhr Engelhardt fort: »Ich kämpfe, ich
kämpfe --!« Oben im ersten Stock ging ein Schritt hin und her, ruhelos,
immer auf und ab, wie das ferne Stampfen einer Maschine.

Da öffnete der Pfleger die Tür zu dem Zimmer des »Rajah« und Michael
Petroff trat ein.

»Guten Morgen!« sagte er laut und heiter, als sei es lichter Tag und der
»Rajah« nicht dem Tode nahe. »Guten Morgen, Doktor! Hier bin ich. -- Guten
Morgen -- Fürst!« fügte er nach einem Blick auf den »Rajah« leiser hinzu.
»Michael Petroff, Kapitän der russischen Armee.«

Der Anblick des »Rajah« hatte Michael Petroff betroffen gemacht. Der
»Rajah« saß aufrecht im Bett, die großen schwarzen Augen auf ihn gerichtet.
Ihm zu Häupten brannte eine verschleierte elektrische Lampe, aber trotz des
Halbdunkels leuchtete das von schwarzen Haupt- und Barthaaren umrahmte
Gesicht des »Rajah« wie dunkles Gold, ja, es glänzte. Und gerade dieses
Glänzen hatte Michael Petroff betroffen gemacht, so daß er leiser sprach
und die Anrede »Fürst« gebrauchte. Er hatte eigentlich nie ernsthaft
darüber nachgedacht, wer der »Rajah« war. Er war ein Fürst, der irgendwo
ein großes Reich besaß, in der Verbannung lebte, nun, Michael Petroff
glaubte es, ohne sich dabei etwas zu denken. In diesem Augenblicke jedoch
begriff er, daß der »Rajah« ein Fürst war, und er veränderte vollkommen
seine Haltung.

»Sie beliebten mich rufen zu lassen?« sagte er, etwas verwirrt und
unsicher, und verbeugte sich.

Der »Rajah« wandte das Antlitz Doktor März zu.

»Mein Herr,« sagte er mit ruhiger tiefer Stimme, deren Klang getrübt war,
»ich danke Ihnen. Sie hätten mir, der ich Ihr Gefangener bin, diese Gunst
verweigern können, ich weiß es.«

»Lieber Freund --«, antwortete der Arzt, aber der »Rajah« beachtete ihn gar
nicht mehr.

»Ich habe dich rufen lassen,« wandte er sich an Michael Petroff, »damit du
meinen letzten Willen niederschreibst.«

»Zu Ihrer Verfügung«, erwiderte Michael Petroff mit einer leichten
Verbeugung.

»So schreibe, was ich dir sage.«

Michael Petroff betastete verwirrt seine Taschen. »Ich eile,« sagte er,
»ich werde sofort --« und verließ rasch das Zimmer, um in seinem Bureau
Papier und Blei zu holen.

»Michael Petroff --?« flüsterte stehend der kleine Advokat. »Sie verlassen
mich --?«

»Der Rajah befiehlt!« entgegnete Michael Petroff ungehalten und eilte an
den ausgestreckten kleinen Händen des zitternden Advokaten vorbei, zurück
in das Sterbezimmer.

»Hier bin ich, Verzeihung«, stammelte er atemlos.

»So schreibe!« sagte der »Rajah«.

Michael Petroff setzte sich zurecht und der »Rajah« begann:

»Wir, Rajah von Mangalore, verbannt von der englischen Regierung, die wir
sterben, erhaben über das Gefühl der Rachsucht für unsere Feinde, um unsere
Untertanen zu erretten, geben unserem Volke kund:

Gruß dir, unser Volk! Gruß euch, Palmenwäldern, die die Tempel unserer
Väter beschatten! Gruß dem blauen Fluß, der unser Land erquickt!« --

Michael Petroff, der eifrig und hingegeben niederschrieb, was der »Rajah«
diktierte, blickte auf, da der »Rajah« eine Pause machte. Da sah er, daß
aus den glänzenden schwarzen Augen des »Rajahs« zwei große Tränen rannen,
die über seine leuchtenden fahlen Wangen liefen und in den Bart sickerten.

Der »Rajah« hob die Hand zu einer erhabenen Gebärde. Dann fuhr er fort, bis
ans Ende gleich ruhig und hoheitsvoll:

»Wir erlassen eine allgemeine Amnestie! Alle unsere Kerker und Gefängnisse
sollen sich öffnen und in Asche gelegt werden. Fortan werde kein Blut mehr
vergossen!«

»Oh, Herr -- -- Fürst!« flüsterte Michael Petroff und schrieb.

»Es gebe keine Arme mehr in unserem Land, und niemand soll mit der Schale
betteln gehen. Das Vermögen in unseren Kammern sei zu gleichen Teilen unter
das Volk verteilt. Es gebe fortan weder Kasten noch Stände. Jedermann sei
dem andern gleich und alle seien Brüder und Schwestern.

Die Greise sollen ihre Hütte haben, um darin zu sterben, und den Kindern
vermachen wir die Wiesen, darauf zu spielen. Den Kranken schenken wir
Gesundheit und den Unglücklichen Schlaf, tiefen Schlaf. Es soll keine
Kriege mehr geben und keinen Haß mehr zwischen den Völkern, gleichviel
welcher Farbe, so bestimmen wir es. Die Richter seien weise und gerecht,
und wer Unrecht tat, dem soll man sagen: geh und sei glücklich, denn das
Schlechte kommt aus dem Unglück hervor.

Den Menschen vermachen wir die Erde, daß sie sich darin teilen vermögen,
den Fischen das Wasser und Meer, den Vögeln den Himmel und den Tieren die
Wälder und die Auen, die darin versteckt liegen!

Dich, unser Volk, aber segnen und küssen wir, die wir sterben.«

Der »Rajah« hob die Arme segnend empor und sank in die Kissen zurück.

Alle im Zimmer blieben still und sahen auf ihn, dessen Brust rasch und
unmerklich ging und dessen Lider über die Augen herabgesunken waren und wie
helle Flecke in seinem Gesicht erschienen.

Doktor März trat leise an das Bett heran.

Da lächelte der »Rajah«. Er bog den Kopf zurück, öffnete die Lippen, und es
sah aus, als wollte er singen. Aber nur ein feiner singender Ruf, der ganz
hoch ausklang, kam über seine Lippen, so fein und fern, als rufe der
»Rajah« schon aus weiter Ferne. Es war der Ruf der Straßenverkäufer im
Orient.

Der »Rajah« war tot.

Michael Petroff stand auf den Zehenspitzen und blickte mit halboffenem Mund
in das fahle, unverständlich schöne Gesicht, das aus den schwarzen Haaren
schimmerte. Ein beschämendes Gefühl erfüllte ihn. So lange hatte er mit dem
Toten gelebt, ohne zu denken, wer er war. Er hätte niederknien mögen bei
dem Bett des Toten und flüstern: »Fürst, mein Fürst!« Aber er wagte es
nicht, sich zu nähern, er fürchtete sich und stahl sich aus dem Zimmer.

                   *       *       *       *       *

Als Doktor März nach einer geraumen Weile auf den Korridor heraustrat,
überraschte ihn die Ruhe des Pavillons. Kein Laut war zu hören. Der dumpfe
Schritt oben, der stundenlang hin und her gegangen war, war verstummt. Und
Engelhardt hatte aufgehört zu schreien und zu stöhnen.

Doktor März trat an die Türe des Schuhmachers. Es war totenstill darinnen.
Er öffnete und lauschte: Engelhardt -- schlief! Tief und regelmäßig ging
der Atem . . . Doktor März schüttelte den Kopf und verließ nachdenklich den
Pavillon. Auf der Treppe zum Garten zündete er sich eine Zigarre an und
stülpte den Rockkragen hinauf. Ihn fröstelte.

Nun schläft er, dachte er, während er durch den nächtigen Garten ging,
dessen Büsche lange fahle Schatten warfen. Ist irgendein Zusammenhang
zwischen dem Tod des Lehrers und dem Schlaf Engelhardts anzunehmen? Und er
dachte weiter an einen Kollegen, der auf jeden Fall einen Zusammenhang
konstruieren würde, und daran, daß er sich jetzt auf eine Tasse starken
Kaffees freue, -- da blieb er leicht erschrocken stehen: im Mondlicht
bewegte sich ein kleiner vermummter Mensch. Es war der Advokat.

Der kleine Advokat hatte die ganze Nacht zitternd und frierend in seinem
dunklen Zimmer verbracht. Aber als der erste Hahn krähte, hatte er sich aus
dem Pavillon geschlichen, um seine Blumen zu begießen.

»Pst, pst!« flüsterte er den tausend Vögeln zu, die in den Büschen zu
zwitschern begannen, sobald er sich näherte. »Schlaft noch ein wenig, ihr
Kleinen!«

Und als er die Blumen begoß, hatte er die Nacht, den »Rajah« und
Engelhardt, der eine Seele brauchte, vergessen und lächelte. »Guten Morgen,
ihr Lieblinge,« sagte er leise und nickte, »da bin ich, da habt ihr mich
wieder.«

Im Zimmer Michael Petroffs aber brannte Licht.

Michael Petroff saß an seinem Schreibtisch, lächelnd und gutgelaunt, und
schrieb eifrig. Denn der Eindruck, den der Tod des »Rajahs« auf ihn machte,
hatte sich ebenso rasch verflüchtigt, wie die Tränen, die er um ihn geweint
hatte. Nun arbeitete er an einem Artikel, den er als einen ungeheuer
wertvollen Beitrag für seine Zeitung betrachtete. Und das gab ihm die
heitere, leichte Laune.

Mit den saubersten Buchstaben schrieb er:

»Telegramm! Der Rajah von Mangalore -- gegen dessen Exilierung wir bei der
englischen Regierung telegraphisch Protest erhoben haben -- ist heute nacht
um drei Uhr sanft entschlafen. Wir hatten die Ehre, bei seinem Hinscheiden
gegenwärtig zu sein und den letzten Willen des hohen Herrn aufzuzeichnen.
Er sei unseren Lesern mitgeteilt:

»Wir, Rajah von Mangalore, verbannt von der englischen Regierung, die wir
sterben, erhaben über das Gefühl der Rachsucht für unsere Feinde, um unsere
Untertanen zu erretten, geben unserem Volke kund . . .«

Erst als die Sonne aufging, begab sich Michael Petroff zur Ruhe.

   Werke von
   Bernhard Kellermann

   Ingeborg
   Roman. 110. Auflage

   Der Tor
   Roman. 46. Auflage

   Das Meer
   Roman. 83. Auflage

   Der Tunnel
   Roman. 227. Auflage

   Yester und Li
   Roman. 152. Tausend

   Der neunte November
   Roman. 51. Auflage

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     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
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     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
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     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

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     and discontinue all use of and all access to other copies of
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1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
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works, and the medium on which they may be stored, may contain
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or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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