Der Krieg im Westen

By Bernhard Kellermann

The Project Gutenberg eBook of Der Krieg im Westen, by Bernhard
Kellermann

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Title: Der Krieg im Westen

Author: Bernhard Kellermann


Release Date: December 28, 2021 [eBook #67033]

Language: German


Produced by: Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online Distributed
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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KRIEG IM WESTEN ***





                          Der Krieg im Westen


                             Kriegsberichte
                                  von
                          Bernhard Kellermann


                                  1915
                           S. Fischer, Verlag
                                 Berlin


                      Erstes bis zehntes Tausend.
       Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung.
                   Copyright 1915 S. Fischer, Verlag.




                                 Inhalt


  Zur Westfront                                                      7
  Das Feuer von Ypern                                               12
  Die Feldschanze                                                   17
  Die Schlachtfelder in Flandern                                    24
  Nach den Schlachten                                               30
  Ein Flieger über Brügge                                           38
  Die Schlacht bei Arras                                            44
  Die Lorettohöhe unter Feuer                                       48
  Nachtkämpfe bei Arras                                             57
  Ein tapferes Regiment                                             64
  Gefangene aus der Arrasschlacht                                   73
  Die Gewitterstadt                                                 80
  Die Kämpfe bei Moulin-sous-Touvent                                87
  Granaten auf die Vororte von Soissons                             94
  Fliegerangriff auf Fesselballone                                 102
  Der gefangene Sozialist                                          109
  Die Grabenkämpfe bei Souchez                                     115
  Der Kirchhof von Souchez                                         123
  Die Überlebenden aus dem Kirchhof von Souchez                    129
  Das Schlachtfeld Arras-Souchez-Lorettohöhe vom Fesselballon aus  137
  Der Argonnerwald                                                 142
  Die Kämpfe in den Argonnen                                       150
  Höhe 285                                                         154
  Der Krieg unter der Erde                                         159
  La Bassée                                                        165
  Die Gräben bei La Bassée                                         171
  Dicke Luft                                                       177
  Der Herr der Haubitzen                                           183
  Der siegreiche Angriff in den Argonnen am 8. September           189




                             Zur Westfront


                                                           3. Mai 1915

Das besetzte Frankreich ist heute Friede und Sonne. Der Zug fliegt
dahin, sorglos und leicht, als ob er Vergnügungsreisende an Bord habe,
durch grüne Täler und blühende Landschaften. Er hat nichts Martialisches
mehr an sich. Vor Monaten keuchte und klirrte er, wie ein schwerer
Krieger, der in die Schlacht geht, er rasselte wie Panzer und tastete
sich zornig vorwärts. Heute ist er ein gutmütiger europäischer D-Zug
geworden, der unbekümmert seine Meilen abfährt. Fern ist der Krieg. Auf
den Höhen der Ardennen liegt die Sonne, die Luft schmeichelt, die junge
Saat leuchtet. Die Felder sind bestellt, säuberlich bunt wie ein
Teppich. Nur da und dort liegt ein Acker grau und welk, vergessen und
verödet, ungepflegt und stumpf, wie ein Mensch, der trauert. Man sieht
ihn meilenweit! Was an Leuten zurückgeblieben ist und nicht vor dem
Krieg entfloh, arbeitet in den Fluren. Es sind nur spärliche, dünne
Trupps, die in der Sonne zerrinnen. Viele, die diese fruchtbare Erde
gebar, sind fort, und viele kommen nicht wieder. Eine leise
Beklommenheit liegt auf dem Lande. Halbwüchsige Burschen, Frauen und
Greise streuen die Saat und verrichten heuer jene Arbeit, die sonst den
Kräftigsten, Blühendsten und Erfahrensten zusteht. Hingegeben und ganz
bei der Sache, voll heißer Wünsche, denn das Brot ist kostbar, schreiten
sie durch die Äcker und schwingen den Arm, mit jener schönen und freien
Geste, die ein Symbol des Friedens und der Wiedergeburt ist. Der Pflug
ist hinter den Kanonen hergekommen und nahm seine Arbeit wieder auf. Die
Schützengräben hier und da, wo der Krieg seine Zähne einschlug, sind
längst zugeschüttet, Narben in der gemarterten Erde, und der Pflug geht
darüber. Bald wird sich das Korn hier wiegen und das Land wird
vergessen. Verbrannte Häuser und Dörfer, im hellen Schrecken verlodert,
erwecken heute, in der Sonne, in der summenden heißen Luft, den
Eindruck, als seien sie einem Schadenfeuer zum Opfer gefallen. Nicht
anders sehen sie aus. Sie jammern und schreien nicht mehr wie im Herbst
und Winter, wo sie ihre rauchgeschwärzten, verstümmelten Mauern in den
Himmel streckten. Der Frühling deckt sie zu. Sie schweigen. Grün und
Blüten verhüllen ihren Gram. Ein blühender Kirschbaum steht jung und
schön, triumphierend inmitten der rauchgebeizten Trümmer einer Mühle,
und Gras und Blumen sind dabei, die verbrannte Erde zurückzuerobern. Das
Leben ist stärker als der Tod und der liebe Gott läßt sich nicht durch
Granaten imponieren! Im November war ich im zerschossenen Longwy, alles
war durchlöchert, zerschmettert, verbrannt – aber schon trieben die
angekohlten Platanen des Kirchplatzes wieder starke grüne Knospen.
Herden von Rindern weiden friedlich im Gras, dem Geschäft des Fressens
hingegeben, und Väterchen hütet sie, das alte nämliche französische
Väterchen, mit Holzschuhen, einem verwilderten grauen Bart, hager und
mit entzündeten Augen, die flache Mütze auf dem kahlen Schädel. Weidende
Pferde, Stuten mit ihren Füllen. Eine glückliche Schwangerschaft hat sie
vor schwerem Dienst bewahrt.

Der Bahnhof von Sedan ist so still, daß ich ihn kaum wiedererkenne. Im
Oktober stand hier Zug an Zug, Gewühl, Lärm, Staub, Kanonen, Truppen,
Sanitäter, Schwestern, Gefangene, Verwundete, Schmutz und Blut. Er war
ein krachendes Rad am Kriegswagen. Heute ist es der Bahnhof einer
kleinen Provinzstadt mit mäßigem Verkehr. Nichts sonst. Zwei endlos
lange Lazarettzüge stehen da, aber sie sind beide unbelegt. Sie stehen
in der grellen Sonne, alle Türen und Fenster offen, und schlafen. Das
Personal sitzt und sonnt sich. Eine kleine rotbäckige Schwester gähnt
und klopft sich auf den Mund, als sie sich beobachtet sieht. Ein
Krankenwärter sitzt auf dem Trittbrett und schneidet sich sorgfältig die
Nägel; ein andrer wäscht sich, er hat eben ausgeschlafen. Im Arztwagen
ist keine Seele zu sehen. Wahrhaftig, wäre es nicht frivol, so könnte
man sagen, die Lazarettzüge sehen wie Badehotels aus, die auf Gäste
warten. Bei den Rampen stehen auf den Loren zwei nagelneue Flugzeuge,
die Flügel zusammengeklappt, wie Schmetterlinge, die eben aus der Hülle
schlüpfen und sich die Flügel von der Sonne trocknen und ausbügeln
lassen. Bald werden sie hoch oben auf der sonnigen Luft liegen. Vom
Frühling ausgebrütet, glänzend neu, liegt Material da und dort auf den
Stationen: Lastautomobile, ohne Tadel, grüngestrichene Pumpen, feldgraue
Karren; ein Trupp Infanterie, mit neuen Uniformen und frischen, roten
Gesichtern, wie Knospen, gerade vom Gärtner geschnitten. Auf einem in
der Sonne blitzenden Geleise stehen ein paar Geschütze. Neu wie das Gras
auf der Wiese. Sie haben noch kein Blut geschluckt, es sind
Kanonenjungfrauen; drall, massiv, die Haut glatt und kalt. In ihre
ehernen runden Hüften gestützt, harmlos und unschuldig wie junge
Raubtiere, glotzen sie mit ihren runden Mäulern, von dem Instinkt ihrer
Rasse getrieben, in die Richtung, in der sie den Feind wittern.

Der Zug fliegt weiter, läßt die Jungfern hinter sich, die neugierig und
dumm noch immer in die gleiche Richtung starren, bis sie plötzlich
hinter einem Berg von Blüten verschwinden. Ja, die Geschütze werden bis
an den Hals in Blumen versinken, aber feuern werden sie doch! Eine
Feldwache liegt unten im Schatten von Kastanien und schreit nach
Zeitungen. Auch sie, die Biedern und Treuen, haben ein frühlingshaftes
und friedlicheres Aussehen bekommen. Früher, in den kalten Monaten,
eingemummt in Decken, Tücher und Mäntel, erschien jeder einzelne, der an
der Strecke stand, wie ein festmontierter Panzerturm, drohend und
unerbittlich. Heute, mitten im Grün, sehen sie lachend und friedfertig
aus, wie gutmütige, treuherzige Burschen, die sie sind. Das herrliche
Wetter hat sie aus ihren Löchern und Bauten gelockt und sie sonnen sich
und genießen. Sie haben es redlich verdient. Ich konstatiere mit
Freuden, daß der Winter ihnen nichts geschadet hat. Wohlgenährt, rosig
und blühend sehen sie aus. Sie sind guter Laune und nun ganz zu Hause.
Eine Wache hat große Wäsche und wirtschaftet schwitzend und halbnackt im
Garten. Die Herrlichkeiten bleichen auf dem Rasen. Ein Dienstfreier hat
soeben sein Bad genommen. Nur mit einer hochgekrempten Leinenhose
bekleidet, sitzt er im saftigen Gras und schmort. Er hat ein Handtuch
wie einen Turban um den rotglühenden Schädel geschlungen, da sitzt er
wie ein Sultan und glänzt vor Gesundheit und guter Laune. Neben ihm
hockt ein winziger weißer Hund, kaum acht Tage alt. Andre stehen
vergnügt in einem Kreise von Weibern und Kindern und winken dem Zuge zu.
Häufiger und häufiger aber werden die Angler!

Ist es das französische Wasser, das zum Angeln lockt? Ist es der
französische Fisch? Jedenfalls sitzen sie genau wie Stockfranzosen
geduldig und aufmerksam mit der Rute da, wie gewiegte Sportsleute und
Kenner und ergeben sich der Hypnose des glitzernden Wassers. Es handelt
sich hier um einen Sport wie jeden andern, und der Erfolg ist nicht die
Hauptsache. Sie sitzen an Pfützen und Löchern, wo gar keine Fische sein
können, aber das ist einerlei. Auf einer Station trete ich an einen
feldgrauen Angler heran, der so angespannt arbeitet, daß er nicht einmal
nach dem Zug umblickt. Ich erlaube mir die Frage, ob er schon etwas
gefangen habe? Der Angler dreht bedächtig den roten Nacken. Ob ich nicht
sehen könne? Er ist Württemberger. Ach so! Entschuldigen Sie. In einer
Blechbüchse neben ihm schwimmen zwei winzige Sardinen.

Aber was ist das? Eine Rudergesellschaft! Fünf Feldgraue befahren in
einem gebrechlichen Nachen einen Wassergraben, kaum zwei Schritt breit.
Sie haben so voll geladen, daß der Mann im Heck schon mehr im Wasser
sitzt als im Boot. Mit ihren primitiven Rudern legen sie einen Knoten in
der Stunde zurück. Aber Sport ist Sport. Plötzlich schreien sie laut und
wild und lachen: sie sind auf Grund gelaufen.

So viel frohe und helle Stimmen sind in der Luft. Die Hühner gackern in
den Gärten, Vögel zwitschern, Kinder wälzen sich lärmend im Gras, die
Luft summt von Insekten. Der Himmel strahlt Zuversichten und Hoffnungen.
Man atmet auf. Viele Monate hat man an einem schweren Gedanken getragen
...

Ich will in den Speisewagen gehen und frühstücken. Aber gerade als ich
die schlingernden Korridore entlang balanciere, beginnt es in der Ferne
zu brummen. Ich horche auf. Es rollt, murrt, grollt wie Gewitter, ein
Satz ferner Kanonenschläge. Er steht immer noch da draußen, der blutige
Trommler und schlägt seine Wirbel! Ich hatte ihn fast vergessen.




                          Das Feuer von Ypern


                                                           8. Mai 1915

Während die verbündeten Armeen in Westgalizien das russische Tor aus den
Angeln brechen, sind wir hier oben im Westen dabei, die
englisch-französische Panzertür einzurennen. Der Gegner hier oben ist
zäher und intelligenter und läßt sich die Zähne aus dem Maul schießen,
bevor er weicht. Die Kämpfe sind wütend. In aufrechten Sturmkolonnen
liefen die Engländer da und dort gegen das Feuer unsrer Gräben an. Man
ist guten Muts und voller Zuversicht. Wie ich höre, haben sich unsere
Truppen in höllischen Nahkämpfen wie Rasende geschlagen. Sie gingen wie
glühende Teufel vor. Ich sah sie heiß und dampfend aus den Stellungen
zurückkehren, und der Rausch des Kampfes lag noch in ihren siedenden
Augen und über den rauchenden, marschierenden Kompanien. Einige trugen
Verbände, die meisten hatten schon wieder den Weg in die Wirklichkeit
zurückgefunden und lachten. Seit den letzten Tagen dröhnt hier Himmel
und Erde vom Donner der Geschütze. Die Kraterkette, die die deutschen
Batterien in weitem Bogen gegen Ypern vorschoben, speit täglich Hunderte
von Tonnen Eisen in den Hexenkessel von Ypern hinein. Ein Hauptmann
versicherte mir, das Feuer sei heftiger, als es vor Antwerpen war.

Heute morgen um sechs Uhr war ich an der Front, die im Südosten an das
Operationsgebiet von Ypern stößt. Die Kanonen sind noch früher
aufgestanden. Sie pochen, atemlos, wie schwere Schmiedehämmer, die im
Akkord arbeiten, und die Luft wettert von den wütenden Schlägen. Auch
nicht eine einzige kleine Sekunde Pause gönnen sie sich. Sie sind ein
Rudel von Gewittern im Hochgebirge, die knurren und grollen, verstört
hin und her irren und nicht zur Ruhe kommen. Häufig fallen die Schläge
zusammen, und dann dröhnt und rollt es, als donnere eine Bergwand zu
Tal. Sie stampfen über und unter der Erde, sie sind ringsum, überall.
Der ganze Horizont brandet. Sie saugen die Atmosphäre ein und schnauben
sie aus. Das Gebäude der Luft wankt. Je näher das Auto jagt, desto
wütender und wilder wird das Feuer. Deutlich hört man aus dem atemlos
auf und ab wogenden Pochen und Stampfen das böse, tiefe Raubtierknurren
der schwersten Geschütze heraus, die die andern überbrüllen.

Wir halten in einem zerschossenen Gehöft, einige hundert Meter von den
englischen Stellungen entfernt, und der Boden rollt ununterbrochen unter
meinen Füßen, wie von schweren Lastautomobilen. Die Seismographen, denke
ich, müssen die Erschütterung der Erdkruste auf Hunderte von Meilen im
Umkreis anzeigen, falls sie etwas taugen. Ich habe noch kein Erdbeben
erlebt, aber es kann kaum anders sein. Es ist richtiges wildes
Trommelfeuer (ein neues Wort für mich) und zuweilen verschlägt es mir
den Atem, obschon ich einigen Lärm vertrage. Schlag auf Schlag, bebend
von Leidenschaft, unerbittlich und rasend, Salvenhiebe eines Boxers, der
den Gegner erbarmungslos niederhämmert. Die Geschütze schütteln sich vor
Wut, sie glühen und taumeln, kochenden Schaum vor dem Maul, und speien
ihren Haß hinüber.

Der Morgen ist göttlich. Die Welt leuchtet und die Vögel singen
unbekümmert. Aber ich sehe und höre nicht, ich ergebe mich der lauten
Brandung des Feuers, die mächtig, wie der Ozean, daherrollt. Zuweilen
wage ich es, einen kleinen scheuen Blick zum Himmel emporzuwerfen, der
in seiner Herrlichkeit blendet, zuweilen erbleiche ich im Innern, und
manchmal hätte ich Lust, mich zu bekreuzen. Ich bin, ohne mich’s zu
versehen, mitten in ein Gewitter der Urzeit geraten, da die Erde sich
spaltete und die Gebirge gebar. Oder was ist es? Führt die Erde Krieg
mit der Sonne und befeuert sie aus ihren Vulkanen rasend das Gestirn am
Himmel? Poltern Unholde im Raum, die ich nicht sehe und die rings um
mich toben? So unheimlich und mächtig ist das Toben, von solch
elementarer Wucht, daß meine Maßstäbe versagen, wie vor den Zahlen der
Astronomen, und es mir schwer wird zu glauben, daß hier Menschen kämpfen
und auf Fleisch und Knochen geschossen wird. Ja, verstehst du wohl, es
ist der Mensch, von menschlichen Müttern geboren, der hier eine Sache
unter sich ausmacht. Auf seine Art, mit seinen Maschinen und seinem
Zorn. Der Dämon der Erde, angefüllt mit urweltlichen Instinkten, die
lange schlafen und die ein Nichts wecken kann. Ich bin, wenn man will,
in ein Völkergewitter geraten, das sich wütend entlädt, bei dem es Eisen
hagelt und Blut regnet.

Ich muß gestehen, ich möchte heute nicht in Ypern und in der Umgebung
Yperns sein. Ich möchte auch nicht, daß ein Freund und Bruder von mir
dort wäre. Selbst für englische Nerven, denke ich, muß es genügen, und
ich bin sicher, heute gehen ihnen die Pfeifen aus. Ich spreche gar nicht
von den Franzosen und Farbigen, die mit der Hälfte zufrieden wären. Sie
– die Engländer – wissen recht gut, daß es uns Ernst ist, und täuschen
sich nicht über die Lage. Unerbittlich und mitleidlos ist die Sprache
der Geschütze. In ganzen Rudeln stoßen ihre Flugzeuge aus dem Feuerloch,
aufgescheucht und unruhig, und kreuzen hartnäckig und verzweifelt über
unsern Stellungen, um die Geschütze zu finden. Wie zornige Raubvögel,
deren Horst brennt, kreisen sie hoch oben und spähen nach dem Feind.
Heute morgen, vor fünf, hat mich schon das Krachen der Abwehrkanonen aus
den Federn getrieben. Nun, da der Tag wächst, stehen bald rechts,
bald links hoch oben am blauen Himmel die Reihen der weißen
Schrapnellwölkchen. Plötzlich kracht es auch dicht neben mir, ein harter
und naher Knall, und eine Granate zischt gierig und böse knirschend über
meinen Kopf hinweg in den Himmel empor. Ein englischer Doppeldecker in
eiliger Fahrt, gut 2000 Meter hoch. Das Schrapnell explodiert hinter
ihm. Zwei, drei. Wie Raketen fauchen sie in die Höhe. Vier, fünf. Ein
Maschinengewehr rasselt und streut eine Fontäne von Spitzkugeln in den
Äther. Nun reißt ein Geschütz in einiger Entfernung links ab und der
Engländer bekommt Stirnfeuer. Prächtige Schüsse! Ein Schrapnell muß
dicht über ihn weggeflogen sein. Der Engländer hat genug, er wendet in
toller Kurve und geht mit dem Wind davon. Aber er kommt wieder. Dreimal
versucht er es, hartnäckig und kühn, unsre Stellungen zu überfliegen,
und dreimal muß er zurück. Das Maschinengewehr hämmert wie toll und kann
sich nicht mehr beruhigen.

Das Geschützfeuer aber rollt und pocht, ohne Atem zu holen, die Salven
dröhnen. Die Schlacht geht weiter. Wie sage ich? Sie hat erst
_begonnen_. Es ist sieben Uhr.

Am Abend sah ich die Sonne im Westen versinken, blutrot, groß und
düster, wie sie an großen historischen Schlachttagen gesunken sein soll.
Sie sah aus wie ein blutüberströmtes Antlitz, die Sonne von Ypern, naß,
zerschossen, und sterbend noch voll Majestät.

Die Geschütze aber schlugen noch immer.




                            Die Feldschanze


                                                              Mai 1915

Der Adlerwagen fegt die Landstraße hinunter, als sei der böse Feind
hinter ihm her. Er springt in langen Sätzen über die frischbeschotterten
Granattrichter hinweg und sucht so rasch wie möglich in Deckung des
zerschossenen Gehöftes zu kommen, auf das die staubige Straße
schnurgerade zuführt. Die Sache ist die: gewöhnlich setzt es hier eine
Lage, und die feindlichen Geschütze sind, wie ein Blinder sehen kann,
verteufelt genau eingeschossen. Allein nichts geschieht. Der Wagen duckt
sich hinter eine Backsteinbaracke, ein ehemaliges Wirtshaus, dessen
Stirn jämmerlich zerschmettert ist wie von Keulenhieben. Hier pflegen
die Granaten gewöhnlich einzuschlagen.

Der Begleitoffizier hegt noch immer Hoffnungen. Er lauscht hinüber, und
ich sehe ihm deutlich an, daß er enttäuscht ist. Er hatte mir die Lage
angekündigt und empfindet es als eine Störung des Programms, daß der
Feind zu faul ist zu schießen.

„Dann bekommen wir sie sicher auf der Rückfahrt!“ Das ist ein gewisser
Trost.

Zu Fuß geht es weiter, denn er – der Feind – würde es als eine
Achtungsverletzung betrachten, wenn man auch die allerletzte Strecke zu
den Gräben noch im Auto zurücklegte. Es gibt immerhin Grenzen.
Eigentümlich ist das Gefühl, zu Fuß zwei Kilometer in der hellen Sonne
eine Landstraße entlang zu promenieren, ohne jede Deckung, knappe
achthundert Meter an den feindlichen Gräben entlang. Sie können uns ja
deutlich sehen, mit bloßem Auge, und die roten Streifen der
Offiziersmützen leuchten weithin. Weshalb schießt er nicht? – „Sie
frühstücken, sie rasieren sich.“ – Drüben liegen Engländer. Sie trinken
jetzt wohl Tee und essen Marmelade dazu, was mögen sie tun? Immerhin, es
liegen Hunderte von Gewehren schußbereit. Vielleicht reizt sie das kecke
Rot der Offiziersmützen, vielleicht haben sie schlecht geschlafen, oder
vielleicht sind sie mit dem Frühstücken gerade fertig geworden und haben
Lust, ein wenig zu arbeiten. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß uns
ein Offizier durch das Glas genau beobachtet, in unsern Mienen mit den
Blicken herumtastet, und es lediglich von seiner Laune abhängt, ob er
feuern lassen will. Nichts ereignet sich. Auf dem Rückweg allerdings,
ich will das vorausnehmen, summten ganz unvermittelt ein paar Kugeln
über uns weg – aber nur weil wir stehengeblieben waren, um einen Flieger
zu beobachten. Es gibt eben hier Sitten wie überall, gehen ist erlaubt,
stehenbleiben wird als Unhöflichkeit angesehen.

In dem von Granaten übel zugerichteten Dorf empfängt uns der Kommandeur
des Regiments. Ein Mann wie aus Wurzelholz geschnitzt, knorrig, stark
und schlicht, ohne Pose und ohne Phrase. Das gibt es hier außen nicht.
Er hat die Augen des Frontoffiziers, _Frontaugen_, die aus Hunderten
herauszufinden ich mich jederzeit erbiete. Sie sind glänzend und rein,
bewußt, ein wenig nachdenklich und voll Anteilnahme. Der Mensch ohne
Lack und Firnis blickt aus ihnen. Es sind Augen, wie Menschen sie haben,
die der Tod anschauerte, die er zuweilen mit seinem Finger berührte und
denen er ein kleines Wort zu irgendeinem Augenblick ins Ohr flüsterte.

Wir steigen in die Schanze ein. Hier stand früher einmal eine Brauerei.
Früher! Die Granaten sind heißhungrig darüber hergefallen und haben nur
Trümmer übriggelassen. Sie haben die Mauern zerfressen, die Kamine mit
Stumpf und Stiel verschlungen und Kessel und Röhren zu Klumpen zerkaut.
Fanden sie nichts andres, so fraßen sie tiefe Löcher aus der Erde.
Laufgänge und Schützengräben durchspinnen und umspinnen den Komplex der
Ruine. Mit Sandsäcken und erdgefüllten Bierfässern hat der Kommandeur
ein Fort aus den Trümmern gebaut, eine groteske und musterhafte Festung,
in der man vor Gewehrkugeln wenigstens ziemlich sicher ist, wenn man
nicht allzu großes Pech hat. Wieder und wieder versucht der Feind, die
Schanze durch Granaten zu zerstören, immer wieder wird geflickt, gebaut
und verrammelt. Bombensichere Mannschaftsunterstände mit winzigen
Eingängen – Villa Duck dich, Villa Frieden usw. – mit kleinen blühenden
Gärtchen davor. Hier und da ein paar blumengeschmückte Gräber. Der
„Friedhof der Leichtsinnigen“. Hier ruhen zur Warnung für die Lebenden
jene Tapferen, die aus Unvorsichtigkeit und Leichtsinn dem Tod
entgegenliefen. Sie streckten den Kopf aus dem Graben, um zu sehen, ob
etwas los wäre, sie krochen aus dem Graben heraus, obgleich es verboten
ist, nur um einmal etwas _Neues_ zu tun. Nun liegen sie da, dicht neben
den Blumenbeeten, und die Kameraden pfeifen ihr Liedchen über ihr Grab.
Das ist, ganz kurz, was es hier oben zu sehen gibt, zwischen den Wällen
sozusagen. Die eigentliche Festung aber liegt in den Kellern der
Brauerei, zweistöckig und labyrinthisch. Nasse, finstere, niedrige Gänge
wie in einer Schauerburg. Trübes Bier schwimmt in einem Graben, Treppen
und Verschläge, die in pechschwarze Stollen und Kamine hinabführen,
Mauern aus Sandsäcken und Fässern. Schießscharten dazwischen, vorsichtig
mit Ziegelsteinen verschlossen. Sehr freundlich sieht es hier nicht aus.
In den Kellerräumen, wo die Mauern am dicksten sind, schlafen die
Mannschaften beim trübseligen Schein einer verstaubten, elektrischen
Lampe. Sie liegen, dicht nebeneinander gepackt, in Uniformen und
schweren Stiefeln, so wie sie aus den Gräben kommen. Wie verwunschene
Bergleute, von einem Zauber eingeschläfert, liegen sie da. Sie wachen
nicht auf, wenn wir eintreten. Der Schweiß perlt auf ihren eckigen
Stirnen, es ist heiß hier unten. Sie genießen den Schlaf, sie klammern
sich an ihn. Heute sind sie soundsoviel, morgen sind sie einer oder zwei
weniger. Ein Platz wird leer sein oder zwei oder mehr. Daran sind sie
gewöhnt. Sie leben von heute auf morgen, und sie gehen vom Leben in den
Tod, wie man eine Tür zumacht, und niemand sieht sie wieder. Wenn sie
heute das erste Wort sprechen, so wissen sie nicht, ob es nicht ihr
letztes ist. Ein junger Schläfer schwitzt stärker als die andern, seine
Wimpern sind nahezu weiß. Auf seinen roten Backen flimmern feine
Härchen. Sein Mund steht offen und zeigt die weißen starken Zähne. Er
scheint zu lachen im Schlaf und schläft so ruhig und gesund wie in
seinem Dorf zu Hause. Neben ihm liegt ein Dunkelhaariger, mit gelber
Gesichtsfarbe und dichten Bartstoppeln. Er schläft unruhig und röchelt
gepreßt. Träumt er? Träumt er, daß der Engländer kommt und ungeniert in
den Drahtverhauen wirtschaftet, und er schießt und schießt, aber der
Engländer ist nicht zu treffen, er zieht eine Zange heraus und fängt an,
in aller Gemütsruhe die Drähte zu durchschneiden ... Plötzlich öffnet er
die Augen, sie blicken grünlich, und starrt mich an. Sobald er sich
regt, taucht hinten ein fahles Gesicht empor. Aber im nächsten
Augenblick schlafen sie wieder, und alle schlafen, dicht
aneinandergedrückt, tief und traumlos, als ob sie keine Lust hätten
aufzuwachen.

Luft, Licht. Wir tauchen aus dem dunkeln Bergwerk empor in die grelle
Sonne. Über meinem Kopfe rasselt und trommelt plötzlich ein Kobold in
den Kupfertöpfen der Brauerei. Eine Kugel. Sahen sie uns an den
Schießscharten vorübergehen? Die Gräben sind das Letzte an
Bequemlichkeit und Umsicht. Tief eingeschnitten, so daß man sich nicht
zu bücken braucht, die Schießscharten solid verschalt wie tiefe Nischen.
Bei jeder ein Täfelchen mit dem Namen des Schützen. Der Boden ist mit
Brettern ausgelegt, und da und dort steht: Nicht ausspucken! Es spuckt
auch niemand aus. Eine Dame könnte in einem Ballkleid hier gehen. Ich
habe von französischen Gräben gehört, wo sie in ihrem eignen Dreck
herumlaufen und ihre Toten, mit einer Lage Erde darüber, als Diele
benützen. Ein Toter ist tot und spürt nichts mehr, aber trotzdem ...

„Sehen Sie etwas?“

„Ja. Einer guckt immer mit dem Kopfe raus. In der Nacht haben sie eine
Puppe an einer Stange aufgehängt. Dort!“

Durch die kleine, rechteckige Schießscharte blickt man in das grüne Land
hinein, wie durch ein Fernrohr. Unsere Drahtverhaue, dann eine Wiese,
die leicht im Winde schwankt. Dahinter dünnes, wirres Gestrüpp. Das sind
_seine_ Drahtverhaue. Ein kleiner Wall aufgeworfener Erde. Sonst ist
nichts zu sehen, so sehr ich mich auch anstrenge. Auf diesem Streifen
Wiesenland, ein paar hundert Meter breit, bewegt sich nichts, seit
vielen Monaten nichts. Es ist ein verfluchter Streifen Land. Das Gras
wächst, weil es keine Vernunft hat, aber kein Falter, kein kleiner Vogel
lebt hier. Nur die Kugeln spinnen ihr Netz darüber. Plötzlich erschrecke
ich. Da steht, man mag es glauben oder nicht, wahrhaftig ein Mensch
aufrecht und unbekümmert auf dem Erdwall drüben! Ich erschrecke für ihn,
obwohl ich es ja nicht bin, der da drüben steht, und ich erschrecke vor
allem, weil sich auf diesem leblosen Streifen Land überhaupt etwas
zeigt. Ist er toll geworden? Aber das ist ja die Puppe! Dann und wann
knallt es da drüben, in der Ferne rumpelt Geschützdonner. Die Schanze
aber schweigt. Sie hat seit zwei Tagen keinen Schuß abgegeben. „Es ist
ein richtiger Spaß! Er soll glauben, daß wir fort sind.“ Aber er glaubt
es ja doch nicht. Gestern hat er alle Schießscharten einzeln
abgestrichen und die Schanze hatte zwei Tote.

Sonderbar ist so ein winziges rechteckiges Fensterchen ins grüne Land.
Es ist ein Fenster ins Jenseits ... Es ist möglich, daß in dem gleichen
Augenblick, in dem der Feldgraue hinaussieht, der Tod hereinblickt, und
der Feldgraue erschrickt und fällt hintenüber ...

Ein Gewirr sind die Gräben, auf, ab, hin und her. Maschinengewehre, sie
haben den schönsten Platz. Überall stehen Posten. Sie stehen hier Tag
und Nacht, heute, morgen und in diesem Augenblick. Seit dem Herbst, da
das Laub fiel, und jetzt ist es wieder grün.

In den letzten Tagen hat die Festung ein neues Fort dazubekommen. Der
Feind hat einen Minengang vorgetrieben und gesprengt. Es ist ein Krater,
rund und groß wie ein Karussell, und der Rand des Kraters ist schon
wieder ausgebaut und befestigt. Ideal ist das Fort, es flankiert unsere
Gräben. Leider hat es drei von unsern tapfern Leuten gekostet. Sie
liegen tief unten in der Erde, so tief, daß man sie nicht holen kann. So
hat hier jeder Tag seine Ereignisse, und die nächste Minute kann sie
bringen. Er kann ja eine neue Mine hochfliegen lassen, Gott weiß,
worüber er jetzt, in dieser Sekunde, brütet?

Ein Laufgang führt mitten durch das zerschossene Dorf zum Unterstand des
Kommandeurs. Hübsch und freundlich ist es hier unten, eine Schiffskabine
erster Klasse unter der Erde. Hierher kommen die Offiziere zuweilen des
Abends, sozusagen, wenn sie ausgehen wollen. Es sind nur hundert
Schritte, aber es ist immerhin eine Abwechslung. Nur eine Schattenseite
hat dieser Salon unter der Erde. Er stößt direkt an den Friedhof. Die
Granate ist ein böses Tier ohne Vernunft. So ist sie wiederholt in den
Friedhof gefahren, wo sie nichts zu suchen hatte, und hat die Gräber der
französischen Bürger aufgerissen. Sie warf die Grabsteine durcheinander,
hat die Gebeine mit in die Tiefe gerissen, und in einer Familiengruft
schwimmt ein Kindersarg. Von der Treppe des unterirdischen Salons aus
sieht man über eine Reihe frischer Gräber. Das sind die Toten der
Schanze. Der frühere Kommandeur, Offiziere, Unteroffiziere und
Mannschaften. Nebeneinander liegen sie, so wie sie auf der Schanze
nebeneinander kämpften.

Ja, hier liegen sie, aber in Wahrheit sind sie nicht tot. In Wahrheit
leben sie, denn sie sind unvergessen. Sie leben mit den Kameraden auf
der Feldschanze, ganz wie früher. Sie wandern durch die Schlafgewölbe
und sehen nach, ob sie noch nicht aufstehen, sie sitzen auf den Gräbern
und lauschen auf die Gespräche der Kameraden. Bei den Maschinengewehren
stehen sie und lugen aus. In der Nacht wandern sie in den Gräben. Sie
warnen die Kameraden, sie richten ihnen die Gewehre, sie zeigen ihnen
den Feind: _dort, dort_ ...




                     Die Schlachtfelder in Flandern


                                                              Mai 1915

Durch die Luke in der Kirchturmspitze hat man einen weiten Blick über
das Land: unten liegt winzig und verwinkelt das Dorf. Ein paar Häuser
sind zerschossen. Soldaten hantieren vor den Häusern. Eine
Radfahrerabteilung – braune Marinesoldaten, das Gewehr auf dem Rücken –
schlängelt sich über den kleinen Marktplatz. Ein großes Postauto tutet
und überholt sie. Karren, trottende Pferde, die roten Gesichter der
Fuhrleute sind alle nach oben gerichtet. Zwei Flugzeuge kreuzen unter
den grauen Wolken. Rasch und klein wie eine Maus läuft das entferntere
am Himmel entlang. Hinter dem kleinen Dorf aber breitet sich das Land.
Flandern. Es ist grün von den Wiesen und gelb von den blühenden Rüben,
ganz flach; trübe und resigniert duckt es sich unter dem hängenden
Gewölk. Silhouetten von Alleen, die die Landstraßen begleiten, stehen
geisterhaft auf dem Lande, eine hinter der andern, wie Schleier, die
herabhängen, und alle scheinen sie parallel, quer durch das Land zu
laufen, bis zum Horizont, wo eine graue Regenwolke Ypern verbirgt.
Dazwischen flache graue Wolken, die auf der Erde liegen, Wälder und
Wäldchen, die niemand kannte, und die plötzlich einen Namen bekamen:
Polygonenwald, das Wäldchen von St. Julien. Hier standen die vier großen
englischen Geschütze. Hinter den geisterhaften Silhouetten der Alleen
Dörfer, Reste von Dörfern, dem Auge kaum erkennbar. _Zonnebeke_, _St.
Julien_, _Langemark_. Im Frieden werden Orte berühmt durch ihre Kultur
und ihren Geist, im Krieg durch ihr Unglück. Da liegen sie und
verstecken sich in der Erde. Still und verzweifelt liegt das Land, und
der Donner der Geschütze rollt darüber weg.

Heute, Flandern, mit deinen geisterhaften Alleen, die stillstehen und
sich nicht bewegen, erscheinst du mir wie ein großer Friedhof.

Eine knappe Viertelstunde von dem Kirchturm entfernt zieht sich ein
lehmiges ausgetrocknetes Flußbett in weitem Bogen durch die Landschaft.
Oft nähern sich die Ränder bis auf dreißig Meter, oft entfernen sie sich
bis auf ein paar hundert. Die Ränder sind tief ausgegraben, unterhöhlt,
gewunden und verzweigt, wie Bauten von Bibern. Das sind die verlassenen
Stellungen.

Hier auf diesem Gürtel Landes lagen sie einander sechs lange Monate
gegenüber, Tag und Nacht, und Tag und Nacht saß der Tod dicht angelehnt
neben jedem einzelnen Mann. Hier lagen die Gewehre und hier, man sieht
es noch deutlich, standen die Maschinengewehre. Zwischen den Gräben
lagen die Leichen, wo sie gerade hinfielen, und da lagen sie und blieben
liegen, und die Kugeln durchlöcherten sie noch hundertfach, obschon sie
schon zehnfach gestorben waren. Tausendfach starb hier jeder einzelne
Mann, auch der, den der Zufall verschonte. Oft raste der Tod hier wie
ein Orkan, mit Finsternis, Feuer, Eisen und erstickenden Gasen. Die
Gräben wurden eingetrommelt, Meter für Meter. Einmal hatten sie drüben
Besuch (nicht in den Gräben, sondern weit dahinten!), zwei Könige und
einen Präsidenten. An diesem einzigen Tage warfen sie _siebzigtausend_
Granaten herüber – und wir hatten keine dreißig Mann Verluste. Sie gaben
den hohen Herrschaften eine Vorstellung und schossen ein Vermögen in die
Luft hinein. Die Komödie auf dem Schlachtfelde! So und nicht anders ging
es hier zu. Der Soldat kroch in die Erde. Aber da kam ihm das Wasser
entgegen. Bis an die Knie wateten die Tapfern im Wasser. Jedes Haus
hinten war zerschossen und die Trümmer unausgesetzt unter Feuer. Es
entstanden ganze Städte unter der Erde, Städte in Wäldern, die
Mannschaften ruhten aus in Eisenbahnzügen, die zurück mußten, sobald das
Feuer zu stark wurde.

Die Erde bei den Gräben ist zerrissen. Trichter an Trichter. Der Regen
spritzt heute in den kreisrunden Lehmtümpeln. Auch die Allee hat
mitgekämpft. Die hohen Bäume schlugen der Länge nach hin, wie Riesen,
von der Granate in den Wurzelbau getroffen und hochgeschleudert. Sie
wurden in der Mitte abgerissen. Ihre Kronen stürzten zersplittert in das
Feld, und so stehen sie noch. Kein Baum, der nicht seine Wunde hätte,
manche sind von oben bis unten zerfetzt. Die Allee hat sich tapfer
geschlagen, die Allee von Poel-Capelle nach St. Julien. Eine Armee von
Krüppeln steht an der Straße.

Die verlassenen Gräben sind mit allerlei Schutt angefüllt.
Konservenbüchsen, Waffenteile, zerweichte und unleserlich gewordene
Briefe. Ein blutiger Tuchfetzen, den einer an die Wunde preßte,
erblassend und zu Tode erschrocken. Sie sprechen eine grauenhafte
Sprache und ihr Flüstern verfolgt mich. Es ist sehr still hier und es
hat den Anschein, als ob die Stille sich über den Gräben verdichtete und
über all den Dingen, die einst Menschen gehörten. Ich wünschte wohl, sie
kämen hierher, die drei hohen Herrschaften, zu deren Ehre einmal so
furchtbar laut geschossen wurde, sie kämen hierher und _hörten sich die
Stille an_. Vielleicht würden sie den süßlichen Geruch spüren, der aus
den Gräben steigt, vielleicht würde sich ihr Auge schließen vor all dem
Grauenhaften, das der Schutt in den Gräben deckt. Sie würden gehen und
nun würden sie stolpern! Bei jedem Schritt würden sie über Gräber
stolpern. Gräber hier, Gräber dort. Franzosen, Schottländer, Kanadier,
Kolumbier, Farbige und Schwarze. Sie würden die Namen auf den Kreuzen
lesen. Sie würden die verstümmelte Allee hinabgehen, und links und
rechts würden die Kreuze ihnen folgen. Sie würden bei St. Julien die
Massengräber sehen. Hier lagen die Kanadier so dicht, daß die
Fliegerphotographien aus 2000 Meter Höhe die Leichenhaufen zeigten. Nun
würden sie begreifen, daß sie in einen Friedhof geraten sind, der naß
ist von Blut und Tränen.

Aber weiter. Die Kanonen krachen. In Erdhöhlen hocken Soldaten um die
dampfenden Kochtöpfe und sind guter Dinge, denn sie leben.

_Langemark_, berühmt geworden durch sein Unglück, wie viele andre Orte,
ist das grinsende Skelett einer kleinen Stadt. Die wenigen Häuser, die
noch stehen, zeigen fröstelnd das nackte Gebälk. Die Ziegel sind ohne
Ausnahme herabgerasselt, als die schweren Geschosse einschlugen. Wie
Gespenster von Häusern stehen sie inmitten der Trümmerhaufen. Der
Kirchturm sieht aus wie ein verwitterter Sandsteinfelsen, rostrot und
brüchig steht er am Rande eines niedergemähten Parkes. Ein Haus ist mit
dem Schieferdach niedergebrochen, wie ein gefallener Elefant, der sich
auf die Stoßzähne stützt. Es ist deutsche Arbeit, sie ist gründlich, das
muß man sagen. Hut ab vor unsern Kanonieren!

Aus dem Keller irgendeines zerschossenen Hauses steigt langsam und still
ein General, in den weiten Mantel gehüllt. Er scheint das einzige
lebende Wesen weit und breit zu sein. Gelassen und würdevoll, ein wenig
gelangweilt, zeigt er uns sein Heim. Das Haus ist verschüttet, es liegen
noch Leichen unter dem Schutt. „Hier lebe ich nun, im Keller,“ sagt er
mit leiser, gelangweilter Stimme. „Sie schießen oft wütend herein. Sehen
Sie die Trichter? Es sind ganz große Dinger. Na, man gewöhnt sich an
alles.“ Wir gehen und der General promeniert ruhig, in seinen Mantel
gewickelt, im Regen auf und ab.

In dieser Gegend sieht man kein Tier und kein lebendes Wesen. Zuweilen
ein paar Soldaten, die laut und fröhlich antworten, wenn man sie anruft.
Aber die Geschütze krachen ringsum, obschon man sie nicht sieht.

Sie sind trotz des schlechten Wetters fleißig bei der Arbeit und die
Luft dröhnt wie von Explosionen, hart und metallen. Die Geschosse toben
in die Höhe, es röhrt und wühlt in der Luft, sie _pflügen_ sich hinauf.
Die Luft zischt, genau wie das Wasser unter dem Kiel eines Rennbootes.
Es gurgelt gierig da oben, wie Gurgeln voller Blut. Unwillkürlich sucht
der Blick das Geschoß, obwohl es natürlich zu rasch ist, als daß man es
sehen könnte. Aber es scheint greifbar nahe zu sein. Ja, ich sehe es
auch, wie es in seiner Kurve dahinjagt. Es ist gelb und dreht sich
rasend um die Längsachse, eine donnernde, dröhnende Röhre von
Luftwirbeln als Schleppe, den blanken Zünder zischend in die dicke,
graue Regenluft bohrend. Die gelbe Farbe verbrennt rauchend auf seiner
Hülle. Nun ist nur noch das schleifende Zischen der Luft zu hören. Es
ist hinüber! Links und rechts schlagen die Geschütze, es kracht wie von
einschlagenden Blitzen. Alle paar Minuten dröhnt hinter mir ein hellerer
Schlag und eine Granate jagt gurgelnd und zischend über mich hinweg. Die
Luft ist voller Eisen. In den Pausen der Geschütze hört man das hastige,
heisere Kläffen der Maschinengewehre und das Knattern der Gewehre.

So ist es hier. Es ist das Morgenkonzert, das gewöhnliche. Und so ist
das Abend- und Nachtkonzert. Man gewöhnt sich daran, und das flandrische
Land hat seit vielen Monaten nichts andres gehört. Die Front ist um
einige Kilometer vorgerückt, sonst hat sich nichts geändert.




                          Nach den Schlachten


                                                              Mai 1915

Die Welt des Feldsoldaten ist groß und erhaben. Der sausende Himmel, die
Sterne, die Wolken und das freie Feld: das ist seine Wohnung. Vertraute
Wege und bekannte Dörfer, die Heimat in der Ferne, Briefe, Zeitungen,
alles gehört ihm. Kameraden, bekannte Gesichter, neue, immer neue
Gesichter, neues Gelächter und neue Stimmen. Ein spukhaftes Dasein, voll
des Unbekannten, stetig Wechselnden. Die alltäglichsten Dinge, Essen,
Schlafen, abenteuerlich und absonderlich. Außergewöhnlich, groß und
unerhört, voll nie gekannten Grauens und nie gekannter Wonnen sind seine
Empfindungen. Der Feldsoldat ist kein gewöhnlicher Mensch mehr, er ist
der Erkorene, er ist das _Volk_ selbst, für das er kämpft. Wäre es
anders, nicht den zehnten Teil der Anstrengungen, die das Feld fordert,
könnte er ertragen. Wenn er sein Geschütz abreißt, so ist es nicht seine
Faust, die Millionen Fäuste seines Volkes reißen das Geschütz ab, und
sein Volk sendet den großen Fluch hinüber zum Feinde.

Wehe aber, wenn er das Unglück hat, gefangengenommen zu werden! Seine
große und stolze Welt bricht in einer einzigen unglückseligen Stunde
zusammen. Er ist nicht mehr sein Volk, er ist ein gefangener Soldat,
nichts andres. In einer Sekunde sind seine Tressen und seine
Auszeichnungen verblaßt, die Bewunderung seiner Kameraden, die ihn
belebte, ist verstummt. Kennt hier jemand seine Geschichte, seine
Geschichte als Soldat, meine ich? Weiß hier jemand, wie er sich schlug,
welch kühne Patrouillengänge er hinter sich hat, daß seine Offiziere ihm
die Hand drückten und ihn vor versammelter Mannschaft lobten? Fremde
Gesichter, fremde Worte, eine fremde Welt. Eine Ewigkeit trennt ihn von
seinen Kameraden, seinem Pferde, seiner Batterie, seiner Heimat, seinen
Angehörigen, unwirklich scheinen schon jetzt die Bilder zu sein, an die
sein Gedächtnis sich klammert. Sein Mut, sein Ehrgeiz, sein Rausch, sie
sind dahin. Er war alles, jetzt ist er nichts. Eine Nummer in den Listen
der Gefangenenlager ist er, in dem das Herz seines ganzen Volkes schlug,
geworden. Nüchtern, klein und erbärmlich ist jetzt seine Welt.

Sieht man Gefangene gehen, so versteht man alles. Sie trotten müde
dahin, gleichgültig, ohne Haltung, aber nichts wäre verkehrter, als von
Gefangenen auf die Truppe zu schließen, der sie angehörten. Häufig wird
der stolzeste und stärkste Soldat der gebrochenste Gefangene sein.

Schlimmer noch, um vieles schlimmer ist es, verwundet in Gefangenschaft
zu geraten. Noch kleiner und elender ist die Welt des verwundeten
Gefangenen. Ein Bett, ein getünchter Saal, die Gesichter der Pfleger und
Pflegerinnen und der Ärzte, nichts sonst. Der Schritt der Wache vor der
Tür. Droben in Flandern habe ich verwundete Gefangene besucht, und von
ihnen will ich erzählen.

Ich trete ein, und sofort sind alle Augen auf mich gerichtet. Ein neues
Gesicht! Seit vielen Tagen, seit Wochen das erste neue Gesicht. Was will
er, was tut er hier, was bringt er uns? All diese glänzenden Augen
forschen neugierig und aufmerksam in meinen Zügen. Einzelne haben sich
aufgerichtet, um mich besser sehen zu können. Niemand spricht ein Wort,
alle stellen die Ohren und es ist ganz einerlei, in welcher Sprache ich
rede, die Hauptsache ist, daß sie eine neue Stimme hören.

Da ist zunächst ein Neger. Schwarz und glänzend wie ein gewichster
Stiefel, das Gebiß blendend weiß. Er ist eines der hübschesten
Exemplare, die ich je sah, das sauberste gewiß, fast noch ein Kind, und
versucht sofort, meine Milde durch ein naives, vertrauliches Lächeln zu
gewinnen. Ich rede ihn englisch an, da ich bis heute nur Englisch mit
Negern gesprochen habe, aber siehe da, er antwortet französisch. Aus dem
Senegal. Und wie alt? Zwanzig. „Wo hast du gekämpft?“ – Er zeigt sein
schönes Tiergebiß und lächelt. Er weiß es nicht. „Bei Ypern?“ – „Ja, bei
Ypern. _Chemin de fer_, hin und her, immer hin und her, _chemin de fer_“
– er radebrecht, gestikuliert, nein, er weiß gar nichts. Vergnügt legt
er sich in das weiße Kissen zurück. Nie in seinem ganzen Negerleben ging
es ihm so gut, nie so sauber, Gott, er wird sich nie mehr zu waschen
brauchen. Er hatte zwei Lungenschüsse, aber das schadete ihm
ebensowenig, wie wenn man eine Katze anschießt.

Neben ihm liegt ein Engländer, ebenfalls Lungenschuß. Ein junger,
zarter, hellblonder Bursche, der eben aus dem Jenseits zurückkommt. Er
hat noch die großen, glänzenden Augen, die man von dort mitbringt, und
die durchsichtigen, schmalen Wangen. Er ist aus Birmingham, Kaufmann.
Aufrecht sitzt er in seinem Bett, die beiden Hände auf der Decke, und
sein Kopf sinkt schwach von einer Seite auf die andre, während er
flüsternd antwortet. Er trägt eine Kette mit einem kleinen Kreuz um den
dünnen Hals. – „Was bedeutet das Kreuz? Seid ihr Katholiken in
Birmingham?“ – „Nein, ich war protestantisch, aber nun bin ich
katholisch geworden.“ Eine Nonne steht neben dem Bett, eine belgische
Schwester, rotbäckig und gesund, und blickt auf ihr blondes Lämmchen.

„Hier sind Kanadier!“ sagt der Arzt.

Ja, das sind sie. Schmale, feste Schädel, klar gezeichnete Gesichter,
kräftige Augen, breite Schultern, die Arme lang gemessen, das Haar weich
und kurz. Es sind Amerikaner, ohne jeden Zweifel, wenn sie auch etwas
nördlich von den Staaten geboren wurden. Ich sehe mir sie an, und sie
betrachten mich mit der gleichen Aufmerksamkeit. Sie wissen genau, daß
sie nun an die Reihe kommen, und haben keine Angst.

„Wer von euch war beim Sturmangriff von St. Julien dabei?“

„Wir alle.“

Nun sehe ich, daß sie geschient und verbunden sind. Trotzdem sehen sie
gesund und kräftig aus. Es sind Leute, die einen Stoß vertragen können,
ausgezeichnetes Material. Sie antworten höflich, aber sie sagen nicht
mehr als gerade nötig ist. Allmählich erst werden sie etwas
gesprächiger. Sie sind zufrieden, sie beklagen sich über nichts. Jeder
deutsche Soldat, mit dem sie es zu tun hatten, war „gut“ zu ihnen. „Nach
dem Kriege werden wir uns die Hände drücken.“ – „Aber die englischen
Zeitungen? Sie sind die gemeinsten Lügner der Welt!“ – Ihre Augen stehen
auf Abwehr. – „Wann seid ihr herübergekommen?“ – „Ich im September, die
andern später.“ – „Wieviel wart ihr? Seid ihr in England gelandet oder
in Frankreich?“ – Die schönen Augen des Clerks von Toronto sehen mich
offen an und schweigen. Er will nicht sprechen. Aber später, als wir
mehr Vertrauen zueinander gefaßt hatten, kam er ganz von selbst auf den
Transport zurück und sagte mir, daß sie 30000 waren, 21 Dampfer, drei
Wochen auf See, in Plymouth gelandet, in England noch ein paar Monate
gedrillt. Es war sehr schlechtes Wetter, immerzu Regen, einer ist am
Regen gestorben.

„Am Regen gestorben?“ – „Ja!“

Der Seemann im Nachbarbett, dessen Fuß zerschossen ist, lacht. „Es war
verdammt schlechtes Wetter, Sir!“

Sie erzählen mir alles mögliche, und ich bemühe mich, sie gesprächig zu
halten. Die Deutschen schießen gut, sie würden es niemand raten, den
Kopf auch nur eine Sekunde aus dem Graben zu strecken. Weshalb sie aus
Kanada herüberkamen, um gegen uns zu kämpfen, das wollen sie mir auf der
Stelle sagen. „Die Neutralität Belgiens, Sir! Wir sind gekommen, um euch
aus Belgien zu vertreiben.“ – „Weshalb überlaßt ihr das nicht den
Engländern, haben sie nicht genug junge Leute? Weshalb sollt ihr
Kanadier die Arbeit der jungen Engländer tun?“ – Das Gespräch wird
lebhafter und die Franzosen auf der andern Seite recken die Hälse.

„Und St. Julien? Wie war es da?“

Der hübsche Clerk mit dem geschienten Arm, drei Kugeln, richtet sich im
Bett auf, so gut es geht: Sie kamen also da in Gräben, in denen vorher
Engländer lagen. Aus welchem Grunde gewechselt wurde, wußten sie
vorläufig noch nicht. Später erst begriffen sie es. Zwei Tage lagen sie
da. Sie wußten gar nichts, weshalb, warum, nichts. Essen gab es nicht
regelmäßig. Die Straßen um Ypern herum lagen unausgesetzt unter Feuer.
Plötzlich aber hieß es vorgehen! Weshalb, warum, wohin, kein Mensch
wußte es. Nun aber bekamen sie furchtbares Feuer, schwere Granaten, auf
offenem Felde, ohne jede Deckung. „Ich lag hinter einem Haufen von
gefallenen Kameraden, den rechten Arm zerschossen. Die Kameraden
stürmten weiter, plötzlich Maschinengewehrfeuer, Flankenfeuer,
Gewehrfeuer. Die Kameraden fielen wie hingemäht. Es war zu Ende.“

Er sieht mich an. „Wie groß sind die Verluste, Sir?“ Seine Augen fragen,
er denkt, ich könnte mich jetzt recht wohl revanchieren für die Angaben,
die er mir über die Transporte machte. Aber ich weiß es wirklich nicht.
Sehr große Verluste!

Der Clerk nickt und wendet den Blick ab. „Ich glaube nicht, daß viele
davongekommen sind!“ sagt er ruhig und schlicht.

„Sie haben wohl genug vom Krieg?“ frage ich ihn, indem ich mich
verabschiede. „Werden Sie wieder gegen uns kämpfen?“

Er lächelt. „Nein!“ Und leiser, so daß es die Kameraden nicht hören,
fügt er hinzu: „Es war die Hölle, Sir!“

Nun kommen die Franzosen an die Reihe. Sie haben die ganze Zeit
aufmerksam zugehört, die Ohren gespitzt, auf jede Bewegung geachtet,
damit ihnen ja nichts entgehe; verstanden haben sie kein Wort. Sie
wußten, daß auch ihre Zeit kommen würde. Höflich und gefällig erwidern
sie den Gruß. Selbst der Landwirt aus der Gegend von Rouen nickt mit dem
dicken rechteckigen Schädel, obwohl er Schmerzen hat und fiebert. Mich
interessiert mehr als alle andern der Greis an seiner Seite, ein
schmächtiger Mann mit ausgeprägt französischen Zügen. Sein weißgraues
Haar zieht mich an und seine lebendigen, fröhlichen Augen. Er stammt aus
der Bretagne, und da ich mich dort auskenne, so haben wir gleich ein
Thema, um bekannt zu werden.

„Wann wurden Sie verwundet?“ frage ich. „Im Herbst.“ Er hebt die Decke
in die Höhe, und nun sehe ich, daß ihm das linke Bein bis zur Hüfte
amputiert ist.

„Wie alt sind Sie?“

„Siebenunddreißig Jahre, mein Herr.“

Um meine Überraschung zu verbergen frage ich rasch nach dem Alter des
Landwirts aus Rouen. Er ist zwei Jahre jünger.

„Sie fühlen sich jetzt gesund?“ „Sehr wohl!“ Und der Mann aus der
Bretagne sprudelt seine Geschichte heraus, ungeheuer lebhaft, mit vielen
plastischen Gesten. „Ja, man muß Glück haben, mein Herr, das ist alles.
Es war im Herbst, hier oben in Flandern. Wir mußten zurück, die
Deutschen waren hinter uns her. O, lala, wir hatten es eilig! Da – eine
Granate zerreißt mir den Fuß. Ich verkrieche mich in ein Loch in der
Erde und warte. Die Kameraden sind fort, alle weg, niemand zu sehen. Ich
warte, immer in meinem Loch. Zweiunddreißig Stunden liege ich da, aber
nun hören Sie! Plötzlich Schritte. Ich spitze aus meinem Loch hinaus.
Ein Sergeant vom Roten Kreuz. Ich rufe, er hört. Ich strecke die Arme
hoch – so – er kommt heran und sagt: ‚Rühren Sie sich nicht!‘ Zwei
Stunden später war ich im Lazarett. Man muß Glück haben.“

Fröhlich und heiter ist der Mann aus der Bretagne. Er hat dem Tod ein
Bein hingeworfen wie einem Haifisch und triumphiert über den Handel. Im
Krieg wird der Mensch bescheiden.

Unten im Garten des Klosters treffe ich einen Scheich, mit Turban,
würdigem Bart, elfenbeinernem Gesicht und elfenbeinernen Händen. Er
bittet mich um eine Zigarette. Vielleicht hat er ein Dutzend Frauen zu
Hause, vielleicht ist es Sünde, daß er etwas aus meinen Händen
entgegennimmt, vielleicht verliert er seine Kaste. Einerlei, es ist nun
doch so weit mit ihm gekommen, daß er bettelt.




                        Ein Flieger über Brügge


                                                                Im Mai

Brügge, das tote Brügge, ist heute keineswegs tot. Es lebt. Aber noch
weiß es nicht recht, ob es wirklich erwacht ist oder ob es nur träumt.
Einen wunderlichen, wirren Traum, grotesk, unfaßbar und unterhaltend,
aus dem aber jeden Augenblick der Schrecken züngeln kann wie eine
Stichflamme roten Feuers. So liegt es, zwischen Wachen und Schlaf, ein
heiteres Lächeln auf den Zügen und einen kleinen Tropfen Angstschweiß
auf der Stirn.

Seine stillen verwinkelten Gassen hallen wider von schweren genagelten
Stiefeln, die ungeniert auftreten wie zu Hause, und an den Klöpplerinnen
vorüber, die fleißig vor den kleinen Häuschen sitzen, rumpeln schwere
Lastautomobile, so daß der Boden erbebt. Auf dem Fischmarkt hocken
putzige Weiber und ziehen den Aalen die Haut über den Kopf, und während
sie schaben und feilschen, rasselt eine Maschinengewehrabteilung an
ihnen vorbei. Aus dem Schmuckkästchen der Rue de l’Ane Aveugle quillt
ein Bilderbuch: Weiber mit weißen Hauben, Krausen und sonderbaren
Umhängen, und plötzlich weichen sie zur Seite, und der Teufel in der
Vermummung eines Motorradfahrers prasselt und knallt mitten durch sie
hindurch und bewedelt sie mit seinem langen Schweife aus Schwefeldämpfen
und Gestank. Die herrliche Grande Place wimmelt von Leben. Wachen,
Autos, Karren, Züge brauner Marinesoldaten, heiß und staubig, das Gewehr
auf dem Rücken. Die Zeitungsjungen schreien und rennen, um die neuesten
Blätter aus Berlin, Frankfurt und Köln an den Mann zu bringen, und wenn
jemand es wagt, einen scheuen Blick auf die Wunder von Architektur
ringsum zu werfen, so ist eine Meute von Postkartenverkäufern hinter ihm
her. Die Bevölkerung Brügges ist auf den Beinen, denn es ist immer etwas
zu sehen, und die Soldaten sind auf den Beinen, um die Bevölkerung zu
sehen. Ein paar Mönche in braunen Kutten rudern durch einen Schwarm
Feldgrauer. Drei Jahrhunderte fließen auf der Grande Place zusammen,
nicht mehr und nicht weniger. Aber jede Viertelstunde singt das
Glockenspiel oben auf dem Beffroi seinen Choral, fromm und gottergeben,
während unten die Motoren prasseln und rattern.

Der Krieg ging an Brügge vorüber, und Brügge freut sich, daß es lebt. Es
ist eine Stadt des Friedens, eine Stadt auf Urlaub. Kommt man von da
draußen, wo die Häuser keine Dächer mehr haben und mit Sandsäcken
ausgestopft sind, so wirkt Brügge wie eine Großstadt, in der man nun
ruhig Atem holen will.

Ein Lehmfarbiger stolpert vor mir über den Platz. An seinen Stiefeln
hängt noch der Schmutz der flandrischen Gräben. Er stolpert, weil er
nicht mehr gewohnt ist, auf richtigem Pflaster zu gehen, er torkelt vor
Verwunderung und kann sich gar nicht zurechtfinden. Hier gibt es noch
Häuser ohne Granatlöcher, und hier sehen wirklich und wahrhaftig
Menschen, Zivilisten, aus den Fenstern und nicht Soldaten und Pferde! Er
dreht den gebräunten Hals hin und her und kratzt sich den golden
schimmernden Stoppelbart. Und hier gibt es – Frauen! Er betrachtet sie
aufmerksam und eingehend, als ob er sie kaufen wolle, von den Schuhen
angefangen bis hinauf zum Scheitel. Er bleibt stehen und glotzt ihnen
direkt ins Gesicht. Zeitungen? Nein, Zeitungen will er nicht. Er will
nichts wissen vom Krieg, er will nichts als dieses Leben hier, diese
Welt, in der er fast ein Fremder geworden ist, und die ihm, weiß Gott
wann, abhanden kam. Hätte er je gedacht, daß es noch eine Stadt gäbe wie
diese, unversehrt, friedlich und sonnig, eine Stadt, genau so wie Städte
früher waren? Er begreift es nicht. Aber nun kommt ein Mädchen über den
Platz, rotweiß gestreiftes Kleid, blondes Haar, hochbusig und mit
Hüften, die sich sehen lassen können. Eine Köchin. Der Lehmfarbige steht
wie angewurzelt, er beginnt zu wachsen, seine Brust wird breiter, und
sein heller Blick strahlt der Köchin entgegen. Sein braunes, mageres
Gesicht ist ernst und ohne jede Bewegung, aber sein Blick folgt jedem
Schritt des Mädchens und sein Gedanke ist so stark, daß die Köchin
instinktiv einen Bogen macht, als sie nahe kommt. Und nun betrachtet er
sie von hinten! Dann stolpert er weiter, bestaunt die Läden, die Frauen,
und immer wieder bleibt er stehen und läßt den Blick über den Platz
wandern. Die Großstadt Brügge hat ihn berauscht! Ein kleines Café, schon
ist er drinnen. Ich genieße das Behagen, mit dem er ein Glas Bier
hinuntergießt. Ein Schluck. Zahlen, gehen. Man sieht, er hat nicht eine
Minute Zeit zu verschwenden. Ein kleines Restaurant, hinein. Beim
dritten Glas verlasse ich ihn. Ich gehe nahe an ihm vorbei und sehe, daß
seine linke Backe eine Anzahl Schmisse trägt. Der Lehmfarbene ist
Student, Gott weiß, wer er ist, momentan ist er gemeiner Soldat, und das
genügt.

In der Stunde, in der ich in dem verzauberten Brügge eintraf, hatte das
Leben auf der Grande Place gerade seinen Höhepunkt erreicht. Die
Matrosenkapelle konzertierte. Sie spielte laut und vergnügt wie in einem
Badeort an der Ostsee, Warnemünde oder Arendsee. Das Glockenspiel des
Beffroi klingelte seine fromme Weise bescheiden dazwischen. Der Platz
wimmelte von Menschen, und der Waffelbäcker in seinem weißen
Jahrmarktskarren machte glänzende Geschäfte. Plötzlich krachten die
Kanonen in nächster Nähe. Es klang wie Kirchweihschießen, lustig und
ermunternd. Unter dem grauen Gewölk, hoch oben, hing, kaum zu sehen, ein
grauer Doppeldecker, mit direktem Kurs auf den Beffroi. Alle Gesichter
wandten sich nach oben. Die Fenster füllten sich mit Köpfen. Aus den
Haustüren, den Läden strömten die Leute und standen dicht gedrängt auf
dem Platze; ganze Scharen von Kindern. Brügge bekam Besuch, und
jedermann wollte sehen, wie er herankam über den Giebeldächern. Alles
zappelte vor Neugier und Spannung. Die Neugier des Volkes ist immer
größer als seine Angst. Aber es kam noch etwas andres dazu! Mehr oder
weniger freundlich gesinnt, mehr oder weniger gleichgültig, mehr oder
weniger feindlich, die Leute von Brügge waren im Herzen alle Belgier
geblieben, und die da oben in der Luft waren Freunde von ihnen, Belgier,
Franzosen, Engländer, einerlei. Man hatte sie nicht vergessen, da
drüben, hinter dem Yserkanal, auf dem letzten Fleckchen belgischen
Landes. Sie waren Boten, die man ihnen sandte. Mochten sie nun ein paar
Leute, ein paar Bürger töten, darauf kam es nicht an. Es kam darauf an,
daß sie mit der Absicht hierherkamen, dem Feinde zu schaden. Hätten sie
es gewagt, so hätten sie dem Flieger zugejubelt, obwohl er sie töten
konnte, denn er war einer der _ihrigen_! Die graue Maschine kam rasch
näher. Die Kanonen krachten, Schlag auf Schlag. Ein Maschinengewehr
kläffte wütend in die Höhe. Die Schrapnelle platzten rings um die graue
Maschine, in einem Rahmen grauer Tupfen stand sie. Sie stieg höher,
hinein in die Wolke, aber die Schrapnelle folgten ihr in die Wolke
hinein. Es blitzte in der Wolke wie Büschel scharfer Messer, die sich
gegen die Maschine zückten. Es knisterte. In all den Lärm hinein sang
plötzlich das Glockenspiel seinen friedlichen, frommen Choral,
unbekümmert um den Lärm der Welt, und es wird seine Weise singen, sollte
einmal Brügge in Flammen aufgehen, was Gott verhüten möge. Da fiel mein
Blick auf einen Mönch, der neben mir stand. Er hatte den Kopf halb in
die Kutte gezogen und sah mit großen, warmen Augen zum Flugzeug empor.
Im Schoß hielt er ein kleines Gebetbuch. Dieser Mönch verhielt sich zu
den Leuten da oben wie der fromme Singsang des Beffroi zum Krachen der
Geschütze. An Stelle des Gebetbuchs hielten sie Bomben im Schoß, und mit
zusammengekniffenen kalten Augen fegten sie dahin. Es waren, wie gesagt,
die Jahrhunderte, die sich hier auf der Grande Place von Brügge
begegnen.

Nun aber wurde es Ernst! Er kam heran, so wütend auch das
Maschinengewehr hämmerte. In ein paar Sekunden mußte er über dem Platze
schweben. Wie der Tod auf Flügeln kam er daher.

Wie auf ein Signal rissen die Leute aus. Die Panik setzte ein, und die
Menge explodierte. Nach allen Seiten, _strahlenförmig_, machten sie sich
davon, die Kinder auf raschen, dünnen Beinen voran. Sie stürzten in die
Gassen, in die Haustüren, in die Kaffeehäuser. Die Erde verschluckte
sie, und die Köpfe verschwanden aus den Fenstern. So erstaunlich ihr Mut
vor einigen Sekunden war, so komisch wirkte diese überstürzte Flucht.
Mein Mönch? Er war wie weggeblasen.

Ich zog mich unter ein solides Portal zurück, und man kann mir glauben,
wenn ich sage, daß ich das Portal vorher genau auf seine Konstruktion
untersuchte.

Leer lag der Platz, wie reingefegt. Keine Seele weit und breit, kein
Gesicht in einer Tür, einem Fenster. Es war wie Zauberei. Nicht einmal
ein Hund war zu sehen.

Der Kampfplatz war dem Maschinengewehr, den Geschützen und dem Flugzeug
unter den schmutzigen Wolken überlassen. Die Maschine schwebte eine
Sekunde über dem Rande des Platzes, dann, gerade im entscheidenden
Moment, bog sie scharf nach rechts aus. Es war ihr zu ungemütlich
geworden. Sie stieg höher, verschwand in der Wolke und machte den
Versuch, zurückzukehren. Aber eine Salve von Schrapnellen fuhr ihr
entgegen, eine ganze Mauer grauer Wölkchen. Sie kehrte um.

Ein paar Minuten blieb der Platz leer, dann aber strömte das Leben
wieder auf ihn zurück. Kinder, Mädchen, Hunde, der Waffelbäcker,
Feldgraue und Lehmfarbene. Die Chauffeure, die ausgerückt waren, standen
plötzlich wieder bei ihren Wagen.

Das Glockenspiel des Beffroi bimmelte wieder seine fromme, gottergebene
Weise.

Nichts war geschehen. Das träumende Brügge war zusammengeschauert in
seinem Traum. Das war alles.




                         Die Schlacht bei Arras


                                                               4. Juni

Auf der Lorettohöhe, die gestern noch niemand kannte und die heute in
aller Munde ist, stand eine Kapelle, die berühmte Kapelle von Notre Dame
de Lorette. Nach einer französischen Legende sollte sie in diesem Kriege
eine geheimnisvolle und wunderbare Rolle spielen. Die Kapelle existiert
heute nicht mehr, sie ist ein Schutthaufen. Zusammenstürzend hat sie die
Legende unter ihren Trümmern begraben.

Joffres zweiter, größter und wütendster Durchbruchsversuch ist
gescheitert. Diesmal sollte es geschehen! Es handelte sich nicht um ein
paar lumpige Gräben, es handelte sich um die Zerschmetterung der
feindlichen Menschenmauer. Die Fahnen des französischen Marschalls
flatterten bereits in Lille, in Valenciennes. Es ist nichts daraus
geworden.

Sorgfältig und umsichtig, wohldurchdacht waren Joffres Vorbereitungen.
Sie reichen bis in den April zurück. Truppenverschiebungen, Heranziehen
der Reserven, das Herbeischaffen von Munition, jener Berge von Munition,
die der Marschall brauchte, um uns zuzudecken. Das alles mußte so
geheimnisvoll wie möglich geschehen, heute, wo die Augen der Heere hoch
oben in der Luft hängen. Eine bedeutende Leistung! Eine Provinz wollte
Joffre erobern, ein Riesenheer setzte er in Bewegung, ein paar Dörfer
und Schützengräben hat er gewonnen. Sie kosteten ihn eine ungeheure Zahl
von Menschenleben.

Und heute, nach beinahe vier Wochen, ist diese ungeheure Schlacht noch
nicht zu Ende. Noch immer stampfen und pochen die Geschütze. Die ganze
letzte Nacht hindurch schlugen sie. Aber es ist nicht mehr die Wut des
Orkans, der ausbricht, es ist die hohe Dünung nach dem Sturm.

Vier Tage vor dem 9. Mai begann der Feind unsre Stellungen unter
schweres Feuer zu nehmen. Am 9. Mai, dem Tage des Angriffs, in aller
Frühe, eröffnete er, ganz wie im Frühjahr in der Champagne, ein
beispielloses Trommelfeuer auf unsre Gräben. Er trommelte sie auf der
ganzen Front ab, von Arras angefangen bis hinauf in die Höhe von Lille,
eine Strecke von vierundzwanzig Kilometern. Es war die Hölle. Die Erde
dort ist durchsiebt von Granaten. Dann gingen seine Kolonnen in dichten
Staffeln vor. Aber das Unmögliche geschah: _unsre Truppen hielten stand_
gegen die mehrfache Übermacht. Wir wollen sie nicht vergessen, die Leute
von Ecurie, Neuville, Ablain, Carency und wie sie heißen! Was sie taten
für uns, das wird die Geschichte später verkünden. Es war
übermenschlich, mehr als Heldentum. Ein paar Gräben gingen verloren,
Carency und Ablain mußten geräumt werden von uns, das war alles.
Unbedeutende vorgeschobene kleinere Stellungen gaben wir freiwillig auf.

Zu gleicher Zeit, am 9. Mai, griffen die Engländer im Norden an.
Südwestlich von Neuve Chapelle, östlich von Richebourg. Im Vergleich zu
dem wütenden, heroischen und fanatischen Angriff der Franzosen war ihr
Sturm matt. Nach einem aufgefundenen Befehl stand uns hier ebenfalls
eine große Übermacht gegenüber. In drei Linien griffen die Engländer an.
Das erste Regiment ging zurück. Ein zweites englisches Regiment, das
vorgeworfen wurde, versagte gänzlich. Es streikte. Wie so häufig
überließen die Engländer die schwere Arbeit den andern. Nun stürmten die
Schotten vor, das Regiment Scotch Blackwatch. Es wurde durch unser Feuer
fast gänzlich niedergemäht. Nach Aussagen von Gefangenen zählte man an
diesem Tage achthundert Tote. Zwei Schotten, die bis an unsre Gräben
gelangt waren, ergaben sich. Sie konnten nicht hereingenommen werden und
lagen vor der Brustwehr von fünf Uhr nachmittags bis sechs Uhr früh, und
unsre Leute mußten über ihre Körper wegfeuern.

Der wütende Ansturm kam zum Stehen. Unsre Heeresverwaltung ließ ihren
Apparat spielen und warf Reserven und Truppenmassen ins Gefecht: Joffres
Durchbruch war mißglückt.

Zu einem einheitlichen Angriff großen Stils fehlte dem Gegner seit
dieser Zeit die Kraft. Indessen fanden Tag und Nacht größere und
kleinere Teilangriffe statt. Der Erfolg schwankt hin und her. Zuweilen
gelingt es dem Feind, in unsre Gräben einzudringen, er wird durch
Handgranaten vertrieben. Ein Angriff ohne Artillerievorbereitung, den er
am 12. unternahm, erstarb schon im Feuer unsrer Geschütze. Nahkämpfe,
bei denen Bajonett, Kolben und Handgranaten arbeiten, sind alltäglich.
Alles in allem zählte man sechsundvierzig Angriffe gegen verschiedene
Stellungen unsrer Front, seit dem 9. Mai. Unter diesen sechsundvierzig
Angriffen waren acht von größerer Bedeutung.

Wieder und wieder, hartnäckig und verbissen, läuft der Feind gegen
Punkte unsrer Front an, die strategisch besonders wichtig sind. So gegen
unsre Stellungen an der Straße Souchez-Aix-Noulette. Bei Ablain, das
wir, wie erwähnt, geräumt haben. Gegen die Höhe nördlich Neuville. Im
Dorfe Neuville selbst wird Tag und Nacht gekämpft, und hier werden die
Kämpfe noch lange wüten. Vor einigen Tagen überrannte hier der Feind
unsre Barrikaden, aber nach halbstündigem erbitterten Kampf wurde er
wieder zurückgeworfen. Gegen den starken Riegel, den wir über die
Lorettohöhe zogen. Die Trümmerstätte der Kapelle selbst ist in den
Händen des Feindes. Gegen die Straße Ecurie-Roclincourt. Hier hatte der
Feind bei La-Maison-blanche ungeheure Verluste, und die Erde trank das
französische Blut in Strömen. Gegen unsre vorspringende Front nördlich
von Ecurie. Hier fanden wiederholt wütende Angriffe statt. Unsre
Geschütze legten einen Kranz von Geschossen vor unsre Gräben. So heftig
war das Feuer, daß ein französischer Offizier überlief, er war fertig
mit den Nerven. Das oft genannte Labyrinth bei Ecurie befindet sich noch
in unsrem Besitz.

Die Engländer im Norden haben in der letzten Zeit größere Angriffe nicht
unternommen.

Obwohl unsre Heeresleitung keine andre Absicht verfolgte als unsre
Stellungen zu halten, sich also rein defensiv verhielt, haben wir in den
letzten Kämpfen doch acht Offiziere und fünfzehnhundert Mann zu
Gefangenen gemacht. Joffre gewann etwas Terrain. Auf einer Front von
vier Kilometern rückte er achthundert bis fünfzehnhundert Meter vor.
Dieser geringe und unwesentliche Geländegewinn steht in einem tragischen
Mißverhältnis zu dem Aufwand an Kampfmitteln und den Verlusten. Wenn
Joffre seine Toten beerdigt, so wird er finden, daß er einen Friedhof
erobert hat.




                      Die Lorettohöhe unter Feuer


                                                               Im Juni

Der Tag ist heiß, und die Schlacht wütet. Es ist immer dieselbe
Schlacht, eine der furchtbarsten und größten dieses Krieges, die
Schlacht bei Arras. Sie dauert schon Wochen, wird sie nie enden? In der
schwülen Nacht polterten und schlugen die Geschütze, und sie poltern und
schlagen in den heißen, glühenden Tag hinein. Die Kanoniere schlafen
nicht mehr. Je näher der Wagen kommt, desto lauter krachen die harten
Schläge der Kanonen.

Die Landschaft ändert sich. Aus dem Grün der Wiesen und Felder heben
sich riesige, unförmige Aschenhaufen, grauschwarz und öde, die
Schlackenberge der Kohlenzechen. Plump und häßlich liegen die
Schutthalden da, unproportioniert, die Wohnstätten der Menschen, die
grünen Baumwipfel überragend, unfruchtbar inmitten der fruchtbaren Erde.
Sie sehen aus wie die Krater erloschener Vulkane. Hohe Kamine,
Fördertürme, Backsteingebäude, Beton- und Eisenfachwerk. Hier vorn, in
der Feuerzone, stehen die Zechen still. Weiter hinten rauchen Schlote.
Im Norden, im Dunst der Sonne, steht auch die feine Rauchfahne der Zeche
von Courrière, deren Unglück vor Jahren das Herz der ganzen Welt
erschütterte. Damals eilten westfälische Bergleute herbei, um ihren
französischen Kameraden Hilfe zu bringen. Es handelte sich um zwei- bis
dreihundert Bergleute, die in der harten Schlacht um das tägliche Brot
fielen, und die Welt brachte ihnen jene Summe von Mitgefühl entgegen,
die im geraden menschlichen Verhältnis zu der Katastrophe stand. Man hat
es vergessen. Viele tausend Jahre liegen zwischen der Schlacht von Arras
und jenem denkwürdigen Tage, da deutsche Männer ihren französischen
Kameraden im gleichen Landstrich zu Hilfe eilten! Heute handelt es sich
um Hunderttausende, um mehr. Die Welt schweigt! Mehr als das: die ganze
Welt arbeitet fieberhaft, um Material zu liefern, das die Legionen der
Opfer vermehrt. Die Welt will leben, damit andre sterben. Das ist die
Wahrheit.

Auch drüben beim Feinde rauchen die Schlote! Sie fördern sogar in der
Feuerzone, sie brauchen Kohle. Selbst wenn hineingefunkt wird, stellen
sie den Betrieb nicht ein. So ist der Krieg.

Das Auto biegt in einen Zechenhof ein. Es ist still hier und so sauber
wie in einem Tanzsaal. Die Zeche steht still, sie ist längst ersoffen.
Wo es früher rasselte und zischte, daß man sein eignes Wort nicht
verstehen konnte, herrscht jetzt Feiertagsschweigen. Stille Leute sind
hier eingezogen, Verwundete und Ärzte. Die Zeche ist ein Lazarett.

In dem großen Zechensaal liegen sie, die Tapferen, die für uns gekämpft
haben, in langen Reihen. Der Saal ist hoch, luftig und rein und die
Betten schneeweiß. Die Fenster stehen offen. Von dem Saal aus blickt man
direkt in die Baderäume, die früher den Bergleuten dienten. Nichts
fehlt, nichts ist vergessen, für alles ist hier wohl gesorgt. Ärzte und
Pfleger bewegen sich zwischen den Betten, Schwestern gibt es hier außen
nicht. Leichter oder schwerer verwundet, je nachdem die Schlacht sie
losließ, liegen sie da und leiden heroisch, so wie sie vorher heroisch
kämpften. Viele schlafen. Sie sind erschöpft, oder das Morphium hilft
ihnen über die schlimmsten Schmerzen hinweg. Einzelne stöhnen im Schlaf.
Einer hat das Gesicht mit einem Tuch bedeckt, und seine Hände zupfen im
Schlaf leicht an der Decke. Es gibt hier blutige Verbände und viel
Schreckliches, daß einem das Herz stehenbleibt, aber ohne Blut und
Wunden gibt es keinen Krieg. Die meisten sind erst heute nacht und in
den letzten Tagen eingeliefert worden. Einer hat den Kopf vollkommen
eingewickelt, so daß er aussieht wie eine Wattekugel. Aber zwei frische
und muntere Augen blicken aus den Binden hervor. Es gibt hier Gesichter
von allen möglichen Farben. Ein gelbes Gesicht mit geweiteten Augen
verfolgt mich lange. Der Mann war am Tode, aber der Arzt versichert mir,
daß für ihn keine Gefahr mehr besteht. Die meisten Gesichter aber sind,
so erstaunlich es ist, braun und frisch, es sind robuste Burschen, die
etwas vertragen.

Einer sitzt in seinem Bett, der geschiente linke Arm ist hoch gelagert
und an einem richtigen Strick aufgehängt. Mit der Rechten schreibt er
eine Feldpostkarte. Ja, er schreibt an seine Frau, daß es ihm gut geht,
und er hat keine Lust, sich lange stören zu lassen. Ein junger
Unteroffizier lächelt mir mit roten Wangen und hellblauen Augen
entgegen. Er ist achtzehn Jahre, blond und frisch, Zögling einer
Unteroffizierschule. Er bekam einen Schuß in den Schenkel, wuchtig wie
eine große Keule warf ihn die kleine Kugel nieder. Er hat keine
Schmerzen, nein, zuweilen ein bißchen, morgen geht es in die Heimat, und
bald kommt er wieder.

Aber es gibt hier viele, die nicht schreiben und nicht fröhlich
plaudern, und hier gibt es manche, die ihre Heimat nicht mehr sehen
werden.

Im Hof sind zwei Krankenautos vorgefahren. Eine Tragbahre steht auf der
Erde, und darin liegt ein Kanonier mit verbundenem rechten Arm.
Schmutzig und zerrissen, wie er aus der Schlacht getragen wurde, liegt
er da, und sein Verband rötet sich langsam vom Blute. Die Stiefel hat
man ihm ausgezogen. Sein Gesicht ist braun, fast schwarz und sein Blick
stark. Ich sehe, daß er die Zehen in den Socken verkrampft. Die Mütze,
eine runde, schirmlose, verstaubte und verknüllte Mütze, hat er noch
keck auf dem Kopfe sitzen.

„Haben Sie Schmerzen?“ frage ich ihn und sehe, wie seine Zehen arbeiten.

Er schüttelt den Kopf. „Ein bißchen Schmerzen muß man schon aushalten,
es schadet nichts. Ein Volltreffer kam in die Batterie, schweres
Kaliber, drei Mann tot, fünf verletzt.“ Er spricht, als stünde er mit
Granaten auf du und du. „Die andern sind im Wagen.“

Ich blicke hinein. Es stöhnt da drinnen. Ich gehe.

Im Zimmer des Zechenpförtners liegt ein Franzose. Er liegt allein, nicht
weil er ein Franzose ist, sondern weil es schlecht um ihn steht. Seine
Wunde ist zu furchtbar, als daß man ihm wünschte, durchzukommen. Er ist
ein schöner junger Mann, vielleicht fünfundzwanzig. Sein schmales
Gesicht ist bleich und still, seine Augen tiefbraun und noch voller
Leben und Bewußtsein. Tagelang wird er noch unterwegs sein, bevor er
sein Ziel erreicht.

Die beiden Krankenwagen fahren aus dem Hof, ein voller Wagen kommt
herein. Herrlich ist die Hilfsbereitschaft und Unermüdlichkeit der Ärzte
und Pfleger und Krankenträger. Es gibt viel zu tun in diesen Tagen.

Mit der Landschaft haben sich die menschlichen Wohnstätten und die
Menschen geändert. Es sind keine anmutigen Dörfer mehr, es sind
Arbeiterviertel, aus der Großstadt in die Landschaft geworfen. Rußige
Backsteinhäuser, staubige Straßen, schmucklose Fenster mit ein paar
Fetzen schmutziger Gardinen. Die Bewohner sind keine Dörfler und Bauern,
es sind Städter aus den Kellerwohnungen, in billigen, verschlissenen
Kleidern. Bleich, schlecht genährt und schwindsüchtig stehen sie untätig
vor den Haustüren und starren dem Wagen mit stumpfen Blicken nach.
Fahle, greisenhafte Kinder, mit einer Spur von Schönheit, die in den
Geschlechtern verklingt, halbwüchsige Burschen mit kecken Mützen, die
Zigarette zwischen den schmalen Lippen. Sie greifen an die Mütze, wenn
man vorbeikommt, und strecken die Zunge heraus, sobald man vorüber ist.
Nur ganz selten kann ich jenen schönen und helläugigen Typus des
Arbeiters entdecken, den die Arbeit nicht vernichtete.

In das Industriedorf B. wird zuweilen hineingeschossen. Ein paar Dächer
sind abgedeckt, ein paar Häuser zeigen Granatlöcher. Gestern kamen
einige Granaten herüber und töteten eine Frau und zwei Kinder. Heute
sitzen Weiber und Kinder schon wieder an der Straße, als sei nichts
geschehen.

Gleich hinter diesem Dorf sinkt die Straße ins Tal, in die breite
Talmulde hinab. Und drüben liegt sie ausgebreitet wie ein Panorama, die
berühmte Höhe, die so viel Blut getrunken hat, die Lorettohöhe.

Sie sieht anmutig aus. Golden und grün steigt sie aus der grünen
Talmulde empor, breit und sanft, ein flacher Höhenzug, von Hügelketten
flankiert. Oben ist sie bewaldet, Laubwald, das Bois de Bovigny. Sie
liegt in der glühenden Sonne, und Wolkenschatten ziehen darüber hin. Sie
sieht aus wie eine sonnige Höhe in Franken oder in Thüringen oder
irgendwo, es ist gar nichts Besonderes an ihr. Ein breiter, sanfter
Höhenzug in der Junisonne, der Dunst der Hitze darüber und etwas Wald
auf der Kappe, nichts sonst. Und doch ist diese anmutige, sonnige Höhe,
die so friedlich aussieht, daß man glauben könnte, Schafe würden dort
weiden und Kinder spielen in den Wiesen, heute nichts als ein großer
Grabhügel, ein Riesengrab. Tausende und aber Tausende liegen dort,
Freund wie Feind. Sie fielen im Herbst, im Winter, im Frühjahr. Viele
konnten nicht begraben werden. Sie lagen monatelang in der Sonne, im
Schnee, im Regen, und die Erde zerrte an ihnen und zerrte sie langsam in
sich hinein. Des Nachts starrten sie aus ihren offenen Augen in die
glitzernden Sterne empor, in jene Welt des Friedens und der
Herrlichkeit, wo ihre Seelen jetzt wanderten, während ihre Leiber in der
Hölle dieser Erde lagen. So furchtbar ist die Wut des Krieges, daß die
Gegner sich nicht einmal die Zeit zur Bestattung ihrer Toten gewähren
können, wie es Heiden und Wilde taten.

Man wird nun einsehen, daß die Anmut und Lieblichkeit dieser Höhe eine
Lüge ist. Dort oben gibt es schauerliche Dinge, an die niemand gern
denkt. Es gibt dort Sumpfstreifen, in denen die Toten langsam versunken
sind, so daß heute nur noch ein Stiefel oder ein Ellbogen heraussieht.
Es gibt Gräber voller Unheimlichkeiten, halb voll Wasser und Schlamm,
und ein Schnurrbart sieht aus dem Wasser. Es gibt hier Dinge, die man
nicht erzählen kann. Wenn der Bauer einst hier wieder pflügt, so wird er
bei jedem Schritt auf Knochen stoßen, auf Stiefel und zerbrochene
Gewehre.

Hier oben stand die oft genannte Kapelle von Notre Dame de Lorette. Sie
ist heute ein Haufen Trümmer.

Hier oben hat jeder Quadratmeter Boden seine Kämpfe gehabt, seine Toten,
sein Entsetzen. Die Erde ist zerfetzt von Granaten. Hier oben hat jeder
Weg, hat jede Besonderheit ihren Namen, und an all diesen Namen hängt
viel Blut und Heldenmut. Diese Namen werden weiterleben, und die
Soldaten, die die Höhe freigab, werden von ihnen sprechen, wenn sie alt
sein werden. Da ist die Kanzel, der Hohlweg, der Barrikadenweg, die
Schlammulde, die Totenwiese. Diese Namen kehren wieder in den
Gefechtsbüchern der Regimenter, die hier kämpften.

Hat jemand gewußt, welche Bedeutung diese Höhe in diesem Kriege hat?
Niemand. Zuweilen wurde sie in kurzen Telegrammen genannt. Man wird
anfangen, an sie zu denken.

Seit Wochen ist sie unter schwerem Feuer. Auch heute.

Sie _raucht_.

Auf den ersten Blick sieht es aus, als würden auf dem goldgrünen sanften
Abhang der Höhe, über den still die Wolkenschatten ziehen, Feuer von
Kartoffelkräutern abgebrannt, deren rostbrauner Qualm senkrecht in die
heiße Luft steigt. Als ständen hinter der Höhe, hinter dem Bois de
Bovigny, Reihen von Fabrikschlöten, die ihren Rauch emporwirbeln lassen.
Aber diese dicken Säulen rostbraunen Qualms entstehen urplötzlich, ohne
jede Vorbereitung, drei, vier fahren nebeneinander aus der Erde. Sie
wechseln ebenso urplötzlich den Ort, bald stehen sie höher, bald tiefer,
bald ein paar Kilometer rechts, bald links. Sie sind rostbraun und
rostrot und zuweilen schwarz wie Ruß. Es sind die Einschläge der
französischen Granaten, die unsere Gräben eindecken wollen. Die Gräben
selbst kann man von hier aus nicht sehen, aber an den Einschlägen der
Granaten kann man ihre Kurve verfolgen, die sich quer über den Fuß der
breiten Höhe zieht. Auch hört man die Einschläge nicht, denn die
Geschütze donnern und rollen ohne Pause.

Aus dem Bois de Bovigny wirbelt eine pechschwarze Rauchwolke empor,
turmhoch, und in der nächsten Sekunde eine zweite, deren Qualm sich hoch
oben mit dem Qualm des ersten Einschlages vereinigt. Deutsche Granaten.
Die schwarzen Rauchfahnen hinter dem Wald wehen hin und her, sie steigen
an verschiedenen Stellen zur gleichen Zeit in die Höhe, stehen
minutenlang und nehmen die Form von Pinien an. Sie verblassen, und ein
neuer Krater speit Schwärze und Finsternis in die Luft empor.

In der Talmulde, die so friedlich und sonnig aussieht, hinter den
winzigen Häusern da unten, wälzt sich eine safranfarbene Wetterwolke.
Sie schwankt schwer und unheilvoll am Boden, hebt sich hoch und steigt
dick geballt in die Luft, einen Teil der Höhe verdeckend. Eine schwere
Granate, die einer unserer Batterien galt. Wütende Abschüsse. Schlag auf
Schlag, die Luft dröhnt. Hinter dem Bois de Bovigny, im Tal gegen Ablain
zu, steigt eine schwarze Wetterwand in den blauen Himmel. Wir bleiben
ihnen nichts schuldig!

Plötzlich kommt unten in der Talmulde eine rostbraune Granatwolke ins
Laufen. Es sieht merkwürdig aus. Es ist ein spitzer Kegel, ein spitzer
Wirbel von rostbraunem Rauch, der sich rasch dahinbewegt wie der Rauch
eines Eisenbahnzuges. Es ist ein Auto, das da drunten auf dem staubigen
Straßenfaden wie toll dahinfegt. Es fährt um sein Leben. Ein weißes
Wölkchen steht urplötzlich über dem Auto im heißen Blau des Himmels. Ein
Schrapnell. Zu hoch. Ein zweites. Das Auto läuft wie eine Maus, die
Angst hat. Es ist toll, hier zu fahren! Droben im Bois de Bovigny sitzt
der Franzose mit seinen Scherenfernrohren und sieht jede Katze im Tal.
Es sind Offiziere, Befehlsüberbringer. Es muß sein. Durch!

Die Sonne brennt. Es ist drückend heiß, und der Schweiß läuft mir über
das Gesicht.

Die Lorettohöhe blinzelt und blinkt. Ein unsichtbares wütendes Fabeltier
stampft auf ihr hin und her und reißt den Boden mit den Hörnern auf und
schleudert die Erde in die Höhe. Heiß, heiß wie die Hölle muß es dort
drüben in den Gräben sein, wo unsere tapferen Jungen liegen. Der Himmel
sei ihnen gnädig.




                         Nachtkämpfe bei Arras


                                                               Im Juni

Erstickend heiß, staubig und lärmend waren die Straßen am Tage, und nun
genieße ich es, in die sinkende Nacht hinauszufahren. Schon stehen die
Sterne blaß am Himmel. Die Bäume rauschen, und die Luft ist lau und
erfrischend. Die Dunkelheit erquickt die Augen, die entzündet sind von
Staub und Schweiß. Es ist die Zeit, da die Kröten aus den Löchern
kommen.

Auf all den dunkeln Straßen der flachen Landschaft wandert und knirscht
und knarrt es. Aber es ist ein Lärm ohne Hast und Geschrei, ein Lärm wie
im Frieden, wenn die Bauern auf den Markt fahren. Die Kolonnen sind
unterwegs. An endlosen Wagenzügen fahren wir entlang, und die schweren
Pferde strecken die Schenkel, sobald sie die Hupe hören. Große, vom
Lichtschein erschreckte Pferdeaugen glotzen uns argwöhnisch von der
Seite an. Es ist das Futter für die unersättlichen Schlünde der Kanonen.
Langsam knarren die Wagen dahin. Sie haben keine Eile. Sie haben das
Futter zur bestimmten Zeit gefaßt, sie sind zur bestimmten Zeit
aufgebrochen, und sie werden auf den Punkt dort eintreffen, wo sie hin
sollen. Keine Erregung, kein lautes Wort. Die Fahrer rauchen die Pfeife,
sie haben sich behaglich und faul zurechtgesetzt, aber sobald der Wagen
vorbeikommt, werfen sie mit einem kurzen Ruck die Nase in die Luft. Die
Pfeife behalten sie dabei zwischen den Zähnen, aber niemand verlangt,
daß sie hier außen die Pfeife aus dem Mund nehmen. Hier draußen ist
vieles anders. Es geht auch so.

Zwischen den dunkeln stummen Pappeln marschiert ohne Tritt eine
Kompanie. Auch sie traben gemächlich dahin, sie haben keine Eile. Auf
den Punkt werden sie dort sein, und auf den Punkt werden sie im Graben
stehen. Ihre grauen Helme wackeln hin und her, und die schweren Stiefel
schlagen Staub aus der Straße. Junge Gesichter fliegen vorüber, bärtige,
rasche, neugierige Blicke, ein Scherzwort. Sie sind gut ausgeruht,
frisch gewaschen und gehen gleichmütig ins Gefecht, als gingen sie zur
Arbeit. „Rechts getreten!“ Der Zug an der Spitze tritt zur Seite.

Wieder eine Munitionskolonne. Ein Zug Lazarettwagen kommt ihr entgegen.
Wir müssen halten und uns an den muskulösen Schenkeln der Lastpferde
vorbeidrücken. In den Lazarettwagen haben sie die Leinwand
zurückgeschlagen, um frische Luft zu bekommen. Still und ergeben liegen
sie in den Wagen. Einzelne, mit Binden um den Kopf oder mit
Armschlingen, sitzen auf dem Bock. Auf der einen Seite ziehen sie
hinaus, auf der andern zurück. So ist der Krieg. Neuville, die
Zuckerfabrik, Souchez und die Lorettohöhe kosten viel Opfer. Tag und
Nacht.

Überall wandert und trappelt es in der Nacht. Am Tag ist hier nicht viel
zu sehen, ein paar Autos, ein paar Karren, fast keine Soldaten. Denn am
Tage wimmelt es hier von Fliegern wie an keiner Stelle der Front. Am
Tage ist hier Ebbe, aber in der Nacht kehrt die Flut zurück, um Gräben
und Batterien da draußen zu speisen, und sie verschlingen viel. Nacht um
Nacht ist es das gleiche, bei uns wie bei ihnen da drüben.

Achtung! Wir müssen zur Seite. Ein paar Autos kommen wie die Hölle
angeritten. Es sind Befehlsempfänger, die von den Stäben zum
Oberkommando jagen, und sie kennen keine Gnade. Die Mützen über den
Schädel gestülpt, die Köpfe eingezogen im Luftzug, fliegen sie vorüber.

Ein schweres Geschütz, von sechs Pferden gezogen, kraucht durch die
Nacht. Zur Front, wie alles. Es läßt den Kopf hängen und scheint auf der
Lafette zu schlafen wie ein müdes ergrautes Walroß. Aber die Kanoniere
da draußen werden es wachrütteln, und es wird seine Arbeit wieder
aufnehmen wie in der letzten Nacht. Wird seinen grauen Kopf heben und
zum Himmel emporbellen.

Ein matterleuchtetes Fenster. Ein Dorf. Der Posten tritt vor und mustert
rasch Wagen und Insassen. Das Dorf ist stockfinster. Keine Lampe,
nichts, keine Bewohner. Ein paar Soldaten sitzen in Hemdärmeln in den
finsteren Haustüren. Wieder Chaussee. Wieder Kolonnen. Stille finstere
Dörfer. Der Wagen biegt ab, passiert eine schnurgerade Straße schwarzer
Arbeiterhäuser. Er hält bei einer Zeche.

In wenigen Minuten sind wir oben auf dem dunkeln, öden Schlackenhaufen.
Ich hole Atem. Was ich sehe, ist ein nächtlicher Spuk.

Ich will versuchen, es zu beschreiben, obschon es unmöglich ist. Niemals
aber werde ich imstande sein, mein Erstaunen auszudrücken, als ich es
zum erstenmal sah: nicht mehr ist es und nicht weniger als ein Feuerwerk
des Teufels.

Zuerst sehe ich nichts. Die dunkle Halde, der Zechenhof. Ein paar
Fabrikschlöte, der Förderturm, dunkle Wände mit schwarzen hohen
Kirchenfenstern. Schuppen, Bahngeleise. Die Dächer einer
Arbeiteransiedlung, alle gleich hoch, gleich groß, wie Treibhäuser.

„Dort unten liegen zwei französische Spione begraben,“ sagt die Stimme
des Offiziers an meiner Seite. „Dort bei den Schuppen. Vor dem kleinen
Schuppen, ein paar Schritte nach rechts.“

Nun entdeckte ich den Grabhügel. „Waren es wirkliche Spione?“

„Ja. Zwei Offiziere. Sie hielten sich lange Monate in Douai verborgen.
Dann verkleideten sie sich als Frauen, ein schmutziges Straßenmädchen
nahmen sie noch mit. Aber sie wurden gefaßt.“

Ich bin ungläubig. Es klingt wie ein Märchen.

„Es ist wahr. Ich sah sie sterben. Sie leugneten gar nicht, sie
gestanden es ein. Sie starben gefaßt und mit Würde, wie Offiziere. Es
waren zwei mutige Burschen.“

Elend sieht dieser helle Fleck bei den Schuppen drunten aus. Mich
fröstelt. Die Frösche quaken in den Wiesen, die dunkeln Baumwipfel
bewegen sich. Die Kanonen brummen und pochen. Man gewöhnt sich daran;
Tag und Nacht hört man hier nichts anderes, selbst wenn man schläft. Man
hört nicht mehr hin, nur wenn eine schwere Batterie donnert und
trommelt, wendet man den Kopf. Hinter den Arbeiterhäusern dehnt sich das
mächtige Land, gespensterhaft durchsichtig im Licht der Sterne. Und aus
dem fahlen Lande, am Horizont, steigen dunkle Höhenzüge empor, scharf
abgegrenzt gegen den graublauen Nachthimmel.

„Das da links ist die Höhe von Vimy. In der Mitte, der breite Rücken,
das ist die Lorettohöhe, und rechts davon, das sind die Höhen hinter
Aix-Noulette.“

Plötzlich steigt hinter der Lorettohöhe ein weißer, sprühender Mond
empor und bleibt minutenlang stehen. Kreidebleich ist ein Teil der Höhe.
Der Mond sieht aus wie ein Leuchtfeuer, das auf das Meer hinaussprüht.
Plötzlich aber sind es zwei, drei, sechs Monde, die über den Höhenzügen
schweben, ein Viertel des Horizontes beherrschen sie. Hinter den dunkeln
Höhen wetterleuchtet es unaufhörlich, ein Feuerstrahl, rot und flammend,
dick wie ein Balken fährt schräg aus dem Wald auf der Höhe heraus. Die
Monde sinken, ganz langsam, und verlöschen. Aber schon stehen neue über
den Höhen. Weitab links blinzelt ein rötliches Feuer am Himmel, wie ein
entzündetes Auge. Ein Blinkfeuer im Dunst. Im Norden antwortet eine
grüne Kugel, die rasch steigt und rasch verlischt. Die Geschütze
trommeln. Ein paar sanfte schöne Sterne versprühen, Schrapnelle. Aus der
Lorettohöhe schießen, dicht nebeneinander, zwei Fühlhörner empor, mit
glühenden Kugeln an den Enden. Blitze fahren über das Land und den
dunkeln Himmel. Die Sterne verblassen. In der Ebene poltert und kracht
es. Fahle Lichtgarben, stumpf wie Rasierpinsel, stehen in der Ebene:
Einschläge von Granaten. Ein Rudel roter Leuchtkugeln. Ein gelber
Halbmond, der traurig und trüb verglimmt, schauerlich wie über
hoffnungsloser See.

Es ist wie ein toller Spuk, ein Traumgesicht. Das höllische Feuerwerk
zuckt und spielt, jede Sekunde sprüht es anders, schöner, wilder.

Diese Lichtsignale sprechen zu den Batterien. Alles können sie lautlos
in den Himmel emporsprühen. Und die Geschütze antworten, sie verstehen
alles, sie antworten präzis und unerbittlich.

Früher dauerten Schlachten ein paar Stunden, höchstens ein paar Tage. In
der Nacht standen sie still. Heute dauern sie wochenlang und der Tag ist
zu kurz, in der Nacht wüten sie weiter.

Über der Lorettohöhe stehen nebeneinander, in gleicher Höhe, drei rote
Monde und glühen zu uns herüber. Grüne Raketen fahren gespenstisch in
die Höhe. Horch! Durch das Poltern und Trommeln der Geschütze hindurch,
in den sekundenlangen Pausen zwischen den dumpfen Schlägen hört man
deutlich das rollende Gewehrfeuer und das Knattern der Maschinengewehre.
Es klingt, als würde ein Wagen voll Kohlen ausgeschüttet. Angriff!

Wieder greift Joffre an. Gestern nacht griff er an sechs verschiedenen
Stellen an und dreimal an ein und derselben. Um zehn, um ein Uhr und um
drei Uhr. Unsere Leute sind hart wie Stahl. Sie halten Unmögliches aus.
Die Maschinengewehre mähen die französischen Kolonnen dahin, ganze Züge
fliegen in die Luft, Lawinen von Leibern rollen über die Abhänge. Aber
Joffre greift an! Man hat mir gesagt, wie hoch man seine
Verluste schätzt, es sind irrsinnige Zahlen, ich wage sie nicht
niederzuschreiben. Und doch wirft er Regiment um Regiment ins Feuer. Er
erscheint mir wie ein nervös gewordener Spieler, der verloren hat und
nun sein Geld aus allen Taschen reißt, Ringe und Uhr, und alles auf den
Spieltisch schmeißt, um das Glück zu zwingen.

„Es ist bei der Schlammulde,“ sagt mein Begleiter.

Nichts ist mehr zu hören. Die Stimmen der Kanonen überbrummen alles, die
Dunkelheit deckt alles zu, was dort geschieht und geschehen ist. Besser,
es nicht zu sehen! Es mitzumachen ist möglich, es mitanzusehen, wäre
unmöglich.

Feuerschein steht hinter der Höhe von Vimy. Er verblaßt. Es blitzt und
wetterleuchtet, donnert und rumort. Feuerbalken fahren aus dem dunkeln
Wald der Lorettohöhe wie ungeheure Stichflammen in die Nacht. Und
ununterbrochen steigen Monde und fremde, nie gesehene Sonnen in die
Nacht empor. Sie stehen da und dort, überall, bald sechs, acht zur
gleichen Zeit, bald zwei, bald nahe, bald fern! Ein Mond sinkt herab und
blinzelt im Fall, Scheinwerfer tasten: das Mündungsfeuer ferner
Batterien. In der dunkeln Ebene tanzen fahle Lichtgarben. Grüne, rote
Meteoriten, die hochfliegen und langsam sinken. Schwer und gewaltig
schlägt eine deutsche Batterie da unten, sie saugt den ganzen Lärm auf
und schlägt einen rasenden Wirbel. Und wieder steigt ein Schwarm
gespenstischer leuchtender Bälle in die Nacht.

Es ist eine Gespensterküste mit hundert wechselnden und fremden Feuern,
die sprühen und blinzeln, eine höllische Küste mit unverständlichen
Signalen. Ich kann mir denken, daß ein Seemann, der ein Leben lang die
Küsten aller Kontinente ansteuerte, im Fieber, im Wahnsinn eine Küste
wie diese erblickt und verzweifelt vor diesen fremden, verwirrenden
Feuern.

Ja, wohlverstanden, es ist die Küste eines fremden, geheimnisvollen
Landes, und viele von denen, die da drüben kämpfen, werden noch in
dieser Nacht, in dieser Stunde ihren Fuß auf das ferne, unbekannte
Gestade setzen.




                         Ein tapferes Regiment


                                                               Im Juni

Was ist das Regiment? Das Regiment ist alles. Es ist Anfang und Ende,
Offizier und Mann sterben dafür. Offizier und Mann gehören sich nicht
mehr selbst, sie gehören dem Regiment. Ihre Ehre ist die Ehre des
Regiments. Sie haben zu seiner Fahne geschworen, seine Fahne ist heilig,
und die Eide werden besiegelt mit heißem Blut. Das Regiment will! Es
geschieht. Das Regiment befiehlt! Es ist getan. Offizier und Soldat, sie
können sterben bis zum letzten Mann, das Regiment stirbt nicht. Das
Regiment ist ein Glaube, eine Religion, es ist alles. So war es, seit es
Regimenter gab, und so muß es sein, solange es Regimenter gibt.

Hunderte stehen heute am Feind, Hunderte von Regimentern. Alle, Offizier
und Mann, von all den Hunderten von Regimentern wissen wohl, was es
bedeutet: _das Regiment_! Und die Kommandeure all der Regimenter, sie
wissen es wohl. Sie sterben für die kleinste Faser der heiligen
Standarte. So muß es sein.

Hier soll berichtet werden von einem tapferen badischen Regiment. Es ist
nicht tapferer als andere, es ist ebenso tapfer wie sie, aber es hatte
schwere Arbeit zu leisten in den ersten Maitagen, droben auf der
Lorettohöhe, und deshalb will ich von ihm berichten.

Am 20. November bezog das Regiment die Stellungen auf der Höhe. Diese
Stellungen! Mit ihren Gräben, Sappen, Verbindungsgängen und Horchstollen
sehen sie auf der Karte aus wie das feine Geäder des Auges. Bei Ablain
begannen sie, stiegen hinauf zur „Kanzel“, einer Kuppe, und zogen quer
über den Ostabhang der Lorettohöhe, an der Kapelle Notre Dame de Lorette
vorüber, hinab zur Schlammulde.

Im November lag etwas Schnee auf der kahlen Höhe, aber das Vergnügen
dauerte nicht lange. Regen setzte ein, ein ganz verfluchter dünner
grauer Regen, wie die Soldaten ihn nie erlebt hatten. Es regnete
wochenlang. Der feine Nebelregen durchdrang alles, Haut und Haare,
Kleider, Riemenzeug und Schuhe, es gab keine Rettung vor ihm. Wenn sie
aus den Gräben kamen, so sahen sie nicht mehr menschlich aus. In der
Schlammulde versank man im Morast. He, Kamerad! Zu Hilfe! Und man mußte
ziehen, mit vereinten Kräften, um den Pechvogel zu befreien. Mancher
Stiefel blieb im Dreck stecken. Na, das war natürlich nicht sehr
schlimm, dieser Regen und Schmutz, davon nur nebenbei, es war das
_Allerleichteste_. Nebenher wurde auch noch gekämpft! Es ging scharf zu,
da oben, Tag und Nacht. Man brauchte sich nur zu rühren, schon knallte
es. Alles buddelte, die Gräben rückten auf zwanzig, auf fünfzehn Meter
heran. Es regnete Handgranaten und Minen. Du hockst im Graben, den Blick
nach oben gerichtet, und lauerst. Nun kommt sie heran. Wohin wird sie
fliegen? Fällt sie in den Graben, so heißt es verschwinden. Nägel und
Schrauben und Fetzen von Eisen speit sie nach dir und spickt dich damit.
Fällt sie in deine nächste Nähe, dann bleibt dir keine Wahl mehr. Du
mußt ihr entgegengehen! Immer rasch, angefaßt und zurückgeschleudert,
bevor sie explodiert. So ging es da oben zu, es war so, daß man sich in
jeder Sekunde sagen mußte: diesmal –

Noch schlimmer war es oben auf der Kanzel. Von dieser Kuppe aus konnte
man die Straße Souchez-Ablain einsehen. Fiel die Kanzel in die Hände des
Feindes, so sah die Sache bös aus. Keine Katze konnte sich mehr auf der
Straße zeigen, Zufuhr, Ablösung, alles in Frage gestellt. Nein, die
Kanzel durfte er nicht haben! Das Regiment sagte es und das Regiment
hielt die Kanzel! Die französischen Batterien standen bei der
Topartmühle, im Bois de Bovigny, im Bois de la Haie. Sie beschossen die
Gräben von vorn, von der Flanke und im Rücken. Täglich trommelten sie
die Gräben auf der Kanzel ein. Nachts wurde fieberhaft gebaut,
Sandsäcke, Brustwehren, Drahtverhaue, am nächsten Tag war alles wieder
zum Teufel. Oft waren die Gräben verschüttet, sie hockten in Löchern,
sie hockten in Granattrichtern, Angriff auf Angriff, aber das Regiment
hielt die Kanzel.

So ging es also da oben zu. Wohlgemerkt und wohlverstanden: _sechs
Monate lang_! Fast ohne jede Unterbrechung und Ruhe.

Anders ist die bewegliche, die fließende und flutende Schlacht. Sie
rauscht dahin über die Felder. Gefahr und Tod, Rausch, Wut, Entsetzen,
Schrecken und Triumph in ein paar Stunden gepreßt. Sie kann zwei, drei
Tage, eine Woche dauern, einmal ist sie doch zu Ende. Atemholen, neue
Quartiere, neue Abenteuer. Der Stellungskrieg zehrt am Mann. Immer das
gleiche, aber immer die gleiche Gefahr, tagaus, tagein. Kein sichtbarer
Erfolg, kein Abenteuer im großen Stil, keine neuen Quartiere, Gegenden
und Menschen. Hier ist der Graben, und davor liegen die Toten.
Übermenschlich muß die Energie des Mannes im Graben sein, übermenschlich
seine moralische Kraft. So gewiß es ist, daß Offizier und Mann im Westen
genau das gleiche leisten wie Offizier und Mann im Osten, so gewiß ist
es, daß sie, du brauchst sie nur zu fragen, ohne zu zögern ihren Graben
mit Polen, Karpathen und Rußland vertauschen würden. Augenblicklich,
lieber heute als morgen. Trotz den Läusen und schlechten Quartieren.
Denn Läuse gibt es auch hier und die Quartiere sind nicht viel besser,
wenigstens in der Feuerzone.

Aber, es muß gesagt werden, unser Regiment hatte auch seine Abwechslung.
Am 17. Dezember wies es Joffres Angriffe ab. Es ging blutig zu. Mitte
Januar nahmen ihm die Franzosen ein paar Grabenstücke weg, aber das
Regiment revanchierte sich und nahm seinerseits den Franzosen zwei
ausgedehnte Gräben. Am 3. März ging es wieder vor. Das Regiment nahm die
Gräben bei Notre Dame de Lorette. Die schlichte Kapelle auf der Höhe
ging dabei in Trümmer, die Glocke, die frei in dem durchbrochenen
Türmchen hing, stürzte in den Schutt. Die Arbeit am 3. war schwer, und
schwerer noch war sie am 22. Die französischen Gräben waren angehäuft
mit Leichen, und man begrub und begrub, es wollte kein Ende nehmen. Mit
Schaudern sprechen sie davon.

Aber all das war nur Vorbereitung, eine Art _Training_!

Der 9. Mai kam heran! Offizier und Mann werden ihn nie mehr vergessen.
Er kam heran, und nun mußte es sich zeigen, was eigentlich in ihm
steckte, in dem badischen Regiment Nummer X! Nun mußte es sich zeigen,
ob die Höhe, die blutgierige und verfluchte Höhe, das Regiment gestählt
hatte in der halbjährigen harten Schulung oder nicht. Es mußte sich
zeigen, ob das Regiment imstande wäre, sich selbst um das Doppelte und
Dreifache, das Zehnfache zu überbieten! Darum handelte es sich, um
nichts Geringeres. Joffre wollte die Höhe! Er wollte sie um jeden Preis!
Über Souchez von unten, die Schlammulde von oben, über Ablain und die
Kanzel von hinten wollte er vor. Zwischen Souchez und Schlammulde wollte
er abdrosseln. Das war die Lage. Es ging ums Ganze, das Regiment mußte
zeigen, was in ihm steckte.

Und das Regiment zeigte es!

Um sieben Uhr morgens fing es an. Die französische schwere Artillerie
begann die vordersten Grabenlinien einzutrommeln. Wirbelfeuer,
schwerstes Kaliber. Dieses Höllenfeuer dauerte bis elf Uhr dreißig
Minuten.

Der Kommandeur des Regiments: „Als ich von unserem Beobachtungsstand aus
das Feuer beobachtete, da dachte ich mir, es kann kein Mann mehr in den
Gräben am Leben sein!“

Der Reservist aus Bretten: „Die habe uns die Gräbe hübsch
zusammengewichst. So was war noch gar nicht da. Alles war schwarz!“

Die Drahtverhaue und Barrikaden waren niedergetrommelt, die vorderen
Gräben existierten nicht mehr. Sie waren Granatlöcher. Die Kompanien
lagen in den zweiten Gräben. Alles war schwarzer und gelber Qualm,
glühende Rasiermesser zischten über die Gräben hin.

Halb elf wurde das Feuer weiter zurück, auf die zweiten Gräben gelegt.
Was ist zu tun? Frage die Soldaten, die in diesen Gräben waren. Nichts
kann man tun. Man liegt der Länge nach im Graben, den Kopf in die Erde
gedrückt. Einer schreit auf, einer stöhnt. Was man denkt? Man denkt
nichts, nichts, gar nichts! So ist es also, ohne jede Phrase. Es ist die
_Agonie_. Punkt elf Uhr dreißig schweigt plötzlich das Feuer. Was noch
kann, erhebt sich. Gewehre fertig. Ein Maschinengewehr ist noch intakt,
ein einziges. Los! Schon kommen sie!

Sie kommen heran in dichten Kolonnen, mit unerhörter Bravur,
bewundernswürdig. Nie vorher sah man Franzosen so stürmen. Das
Maschinengewehr hämmert. Sie fallen, in Reihen. Schnellfeuer. Sie
brausen näher. Ein Offizier an der Spitze, mit gezücktem Degen! Er
überspringt den ersten Graben, will seine Leute mitreißen, allein, ganz
allein stürmt er weiter. Er fällt. Nahkampf. Angriff erledigt! Aber was
ist das? Sie sind im Rücken! Eine halbe feindliche Kompanie ist in die
Verbindungsgräben eingedrungen und kommt in den Graben. Sandsäcke!! Nun
gilt es. Der Offizier schreit, der Mann. Jeder einzelne Mann ist jetzt
Offizier, Kommandeur, er muß handeln, rasch und klar. Sandsäcke!
Handgranaten! Die Barrikade ist fertig, die Handgranaten fliegen in
Schwärmen zum Feind über die Sandsäcke hinüber. Der Feind ist
abgeschlossen. Aber neue Sturmkolonnen kommen heran, sie fliegen die
Höhe herunter. Salvenfeuer, das Maschinengewehr schnarrt. Es sind ihrer
zu viele, immer neue Kolonnen. Aber der Kommandeur hat seine Leute nicht
vergessen und den kühlen Kopf bewahrt. Artillerie! Plötzlich schlagen
Granaten in die feindlichen Sturmkolonnen. Fontänen von Leibern,
Kleidungsstücken, Köpfen und Gliedmaßen fliegen hoch. Es ist zwei Uhr,
schon nahen die Bataillone, die in Ruhestellung waren.

Nein, allein hätten sie es nicht schaffen können, gewiß nicht. Alle
Regimenter, von Neuville bis hinauf nach Aix-Noulette, mußten mithelfen,
mit gleicher Tapferkeit, alle Batterien, Munitionskolonnen,
Telephonisten, Beobachter, Flieger, jeder einzelne Mann. Frage die
Soldaten des tapferen badischen Regiments. Sie sprechen nicht von sich
allein. Sie sagen: Souchez war unter Feuer, daß die Häuser auf die
Straße flogen. Es waren Torpedogranaten, schwere Dinger, die sich tief
einbohren und dann alles in die Luft schmeißen. Die Munitionskolonnen
fuhren mitten durch Souchez! Eine Kolonne raste auf offener Landstraße
dahin. Granaten rechts und links. Zur Batterie, abgeladen, weiter.
Zurück denselben Weg. Ohne einen Mann, ein Pferd zu verlieren. Eine
Batterie ist zusammengeschossen. Noch zwei Geschütze. Sie verfeuert noch
rasch 1300 Granaten, immer hinein in die Sturmkolonnen, Verschlußstücke
abgeschraubt und aus dem Staube gemacht ...

Nein, allein hätten sie es nicht geschafft, aber ihre Arbeit war
mörderisch hart und schwer. Und sie hielten die Gräben, die Granatlöcher
besser gesagt. In Abständen von fünf Metern lag der Feind eingegraben,
_fünf Metern_! Fünfzehn und zwanzig Meter Abstände wurden gar nicht mehr
für schwierig empfunden. Einen Tag und eine Nacht, und noch einen Tag
und noch eine Nacht. Was sie mühsam zusammenbauten in den Sekunden, in
denen die Leuchtkugeln sie nicht abblendeten, war in einer Stunde wieder
zusammengeschossen. Angriff auf Angriff. Heroisch kämpfte der Franzose,
wie nie zuvor.

Die Soldaten, die da oben kämpften, sprechen mit Ehrerbietung vom Feind.

„Und der Kommandeur?“

„Der Kommandeur kam jeden Tag zu uns herauf in die Gräben. Es war ein
Wunder, daß es ihn nicht erwischte. Wir waren jedesmal erstaunt, wenn
wir ihn heil wiedersahen.“

Dann kamen Reserven, Verstärkungen. Die Krisis war überstanden. Das
Regiment war zurückgegangen auf seine zweiten und dritten Gräben, aber
es hatte die Stellung gehalten. Joffre kam nicht durch, das war es!
Frage nicht, wieviele des tapferen Regiments da oben fielen, es sind
ihrer nicht wenige, aber das Regiment stand wie eine Mauer.

Der Kommandeur des Regiments, Major G., hat mich empfangen. Ein
schlichter, gerader und einfacher Mann. Ein Soldat der Front! Ich kam
zwei Stunden zu spät, aber das war ihm einerlei, er kümmert sich nicht
um lumpige Formalitäten.

Major G. sagte: „Ich glaube wohl behaupten zu können, daß das Regiment
seine Pflicht getan hat.“

Das glaube ich auch!

Hoch das Regiment!




                    Gefangene aus der Arrasschlacht


                                                               Im Juni

Sie stehen in einer Reihe, wie die Orgelpfeifen, dicht neben dem
Misthaufen des Bauernhofes. Der größte rechts, seine zwei Meter hoch,
der kleinste am linken Flügel, immer noch gut einen Meter
fünfundsiebzig. Es sind prächtige Burschen, wie man sie sonst nur bei
Hagenbeck sieht. Sie stecken in graugelben Khakiuniformen, graue
Wickelgamaschen, derbe Rohlederstiefel, alles ohne Tadel. Auf den
schmalen Schädeln tragen sie Turbane, ein verblaßtes Zitronengelb,
einzelne ein verstaubtes Blaugrau. Übrigens sind es keine faltenreichen,
schwellenden Turbane, sondern Tuchstreifen, die eng um den Kopf
geschlungen sind und den Turban nur noch andeuten. Ihre Gesichter sind
scharf und fein geschnitten, von der edlen Färbung gedunkelten
Elfenbeins. Die Sonne glänzt auf ihren Stirnknochen. Ihre Augen sind
tiefbraun, glänzend und unergründlich wie Tieraugen. Die vollen Lippen
sind bläulich und grau. Ihre langen, sehnigen, braungelben Hände liegen
an den Hosennähten, Nase geradeaus.

„Was für Leute seid ihr? Regiment?“ – „Kiff, Kiff!“

„Französisch, spanisch, englisch? Was versteht ihr?“

„Kiff, Kiff!“

Kiff bedeutet eins – erstes Regiment.

„_Français?_“

Der blaßgelbe Turban schüttelt sich. Der Adamsapfel zuckt, ein Maul
voller Zähne, eine rollende Zunge, die Kehle kracht und schnarrt:
_marrrroc – maroc_. _Eh bien_, es sind Marokkaner. Sie verstehen keine
Silbe Französisch, und es ist nichts aus ihnen herauszubringen. Wie
Statuen stehen sie, Hände an der Hosennaht, Nase geradeaus, und es ist
unmöglich, ihre Erstarrung zu lösen.

Sie sind Automaten. Die Zivilisation hat sie an ihre Brust genommen und
ihnen beigebracht, wie man vor dem weißen Mann stramm zu stehen habe.
Die Dressur erstreckte sich auf die Künste der Zivilisation, auf
rechtsum und linksum, das Abfeuern des Gewehrs, und damit hatte die
Zivilisation ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren mechanische Puppen
geworden, und nichts in der Welt konnte sie wieder in Menschen
zurückverwandeln. Sie standen wie Säulen und wagten keinen Finger zu
rühren, denn bei Gott, was konnte der weiße Mann tun, wenn sie es
wagten? Er konnte sie mit einem Fußtritt auf den Misthaufen befördern,
er konnte – ja, was konnte er nicht? Man sah es ihnen an, daß sie die
Zivilisation des weißen Mannes begriffen hatten! Ihr Gott war der
Korporal.

Dabei hatten sie Namen wie in den Märchen. Mohammed ben Abdel Kader!
Jeder Name ein Fürst! Sie stammten aus Casablanca, Sous-Maroc, Mogador.
Sie hatten keine Vorstellung, wo sie sich befanden, ihre Gehirne
träumten, aber sie wußten, daß der weiße Mann sie hinschicken konnte,
wohin er wollte, denn sie waren wilde Völker, Kiff, Kiff.

Um die Handgelenke, sehnig und edel wie die Fesseln von Tigern, trugen
sie dünne Kettchen und daran hingen die Erkennungsmarken, Name,
Regiment, Heimat, Nummer. Es waren kokette Armreife, anmutige Geschenke
der Zivilisation, die sie, die Zivilisation, für ihre Register und
Bücher nötig hatte, wenn man die gelben Kadaver in die Massengräber
fegte.

Mitten in der Reihe der gelben Automaten stand ein Franzose. Auch er
stand in militärischer Haltung, aber man sah auf den ersten Blick, daß
er keine Maschine, sondern ein Mensch war. Seine Haltung war locker,
frei und würdig. Sie waren Statisten auf dem Kriegsschauplatz, er war
Soldat. Sein Kopf war rund wie eine Kugel, gespickt mit blonden
Haarstoppeln, oben und unten, sein Blick blau und seine Backen rot. Er
war ein guter Bursche, der typische _bon garçon_, Spaßvogel und
pfiffiger Junge in einer Person. Noch war er ein wenig eingeschüchtert
durch das Unglück, das ihn betroffen hatte, aber das würde sich bald
wieder geben, keine Sorge.

Wieso er hierher käme? – Oh, ja, _pardon_ – seine Hände lösen sich, denn
er brauchte sie zum Sprechen – er hatte eben Pech! Nichts andres. „_Que
voulez-vous, monsieur?_“ Er war Koch und arbeitete in der berühmten
Zuckerfabrik zwischen Souchez und Ablain. Er steigt also vom Garten aus
in seine Küche hinunter, um anzufangen. Zwei deutsche Gefangene sitzen
da unten im Keller, sonst aber ist niemand zu sehen. Das ist ein bißchen
merkwürdig, nicht wahr? Also steigt er die Treppe hinauf, und die zwei
deutschen Gefangenen begleiten ihn, da sie ja nichts zu tun haben. Kaum
aber stecken sie die Köpfe in den Korridor – na, was sagst du dazu: die
Deutschen sind da! – Man kann es nicht leugnen, das ist solides Pech!

Der Koch zieht den Kopf zwischen die Schultern und breitet die Arme aus.
„_Eh, bien! Que voulez-vous_ ...“

„Können Sie sich denn mit diesen Gelben hier verständigen?“ Ein Blick,
ein Ruck, ein verächtliches Achselzucken: „Mit diesen Gelben? Kein Wort,
mein Herr!“ –

Man weiß, daß wir in diesen Kämpfen bei Arras fünfzehnhundert Gefangene
gemacht haben. Heute sind es schon mehr. Das ist eine hübsche Anzahl,
wenn man sich daran erinnert, daß wir uns rein defensiv verhielten, und
für den Westen ist es ein großer Erfolg. Denn hier regnen die Regimenter
nicht von den Bäumen wie in Rußland, sie hocken zäh in ihren Dachsbauten
und jeder Mann muß sozusagen einzeln geholt werden. Die Fünfzehnhundert
sind längst abtransportiert, aber heute nacht sind neue eingebracht
worden, und ich besuchte sie in einem Nebenhofe der Kaserne. Im
eigentlichen Kasernenhof exerzieren ein paar Kompanien unsrer
Feldgrauen, und hier, drei Schritte davon entfernt, kauern sie, die
gestern noch kämpften, und denen man die Waffe aus der Hand nahm.

Es sind ungefähr fünfzig. Sie sitzen und liegen in der Sonne, mit
Schmutz und Blut bespritzt, so wie die Schlacht sie auslieferte.
Einzelne starren bis hinauf zur Brust von trockenem Lehm. Der eine und
der andre hat einen Verband, eine leichte Verletzung an der Hand, am
Kopf. Einer sitzt mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, starrt zum
Himmel und friert trotz der höllischen Hitze. Die meisten aber haben
sich schon wieder zurechtgefunden, ihr Blick ist klar und ruhig. Nur
zwei, drei rote Hosen sind darunter. Alle andern stecken in taubengrauen
oder, wenn man will, taubenblauen, langen Röcken aus solidem filzartigen
Tuch, die taubengraue Mütze auf dem Kopf. Es sind Elitetruppen.

„Die Leute über vierzig sollen vortreten!“ Sie kommen heran, sechs,
acht, zehn. Aus fünfzig! Gott weiß, ob sie alle über vierzig sind,
vielleicht denken sie, hier werden an ältere Semester Zigaretten oder
Vergünstigungen, man kann es nie wissen, verteilt. Jedenfalls aber sind
sie alle keine jungen Leute mehr, manche sind schon grau. Ich bin so
überrascht, so erschüttert, daß ich keine Worte finde. Wie fürchterlich
muß der Krieg unter Frankreichs Männern gewütet haben, daß sie hier
stehen, zehn aus fünfzig, Familienväter, Ergraute und Gealterte. Sie
sind alle gefaßt und wissen sich zu benehmen. Die meisten von ihnen sind
Bauern und Handwerker. Ja es war furchtbar! Es war das furchtbarste
Feuer, das man sich vorstellen kann. Sie wurden abgeschnitten von einem
Riegel trommelnder Granaten. Sie haben genug! „Ja, mein Herr, man
schlägt sich, man ist nicht gerade feige, man kämpft für sein Vaterland,
das man liebt, wie Sie das Ihrige lieben, man schlägt sich bis zum
letzten Atemzug – aber was zuviel ist, ist zuviel. Die menschlichen
Nerven sind nicht berechnet für Explosionen dieser Gewalt. Nein, es war
genug, genug, zuviel, zuviel. Ich war in der Champagne, im Frühjahr,
bah, nichts gegen diese Kämpfe! Nichts! Ich kann Ihnen sagen – nein, es
gibt keine Worte, um das zu schildern ...“

„Sie haben schwere Verluste gehabt?“

„Ho, ho, ho!! Schwere Verluste! Hatten wir nicht schwere Verluste? Ja,
mein Herr, wir hatten fürchterliche – aber auch Sie, auch Sie hatten
schwere Verluste, Sie können es nicht leugnen. Was für ein Krieg!“

Einer, ein Hagerer, Langer, mit krankem gelben Gesicht und entzündetem
rechten Auge, schüttelt unausgesetzt verstört den Kopf. Furchtbares
Feuer – er schüttelt den Kopf, schwere Verluste – er schüttelt den Kopf,
genug, genug, er schüttelt den Kopf und hustet dabei. Ja, gewiß, genug,
genug. Er ist noch ganz vernichtet. Er spricht nichts, aber er
bestätigt, er unterstreicht. Er ist ein trauriges, melancholisches Echo.

Ein Granatsplitter fegte an seinem Gesicht vorbei, nahm ein Stückchen
der Braue mit, ein kleines Eckchen des Lides und eine Spur des
Nasenrückens. Ich beglückwünsche ihn, ein wenig tiefer und was wäre aus
Ihnen geworden?

Aber er schüttelt den gelben Kopf und blickt mich mit seinen kranken
Augen an. Ah, wozu? Für ihn gibt es keinen Trost.

Es ist nicht leicht, mit Gefangenen zu plaudern. Ein Wort, ein Blick,
eine Änderung der Haltung und ihr Vertrauen ist wie weggeblasen. Sie
stoßen einander an, sie starren auf den Sprecher, daß er verstummt, sie
schweigen. Dann ist es vorbei, nichts kann mehr ihre Zunge lösen. Man
muß es fühlen, wenn dieser Augenblick droht, und dem Gespräch eine neue,
harmlose Wendung geben.

Die Geschichte mit den „schweren Verlusten“ war der kritische Moment.
Der Sprecher hatte zuviel gesagt, obwohl er ja nichts verriet, sie
fühlten es, und weil sie es fühlten, fühlte er es auch. Sie erkalteten.

„Ihr habt euch bewunderungswürdig geschlagen!“ sage ich. Sie rekeln
sich, bescheiden, verlegen, sie schweigen.

Ich greife mir einen Mann heraus, der einen dünnen, schäbigen
Leinwandkittel anstatt des Blaugrauen trägt.

„_Et toi, mon ami_, wie siehst du aus?“

Die Kameraden, die Blaugrauen und Eleganten lachen. Wie er sich schämt,
es ist rührend. Er blickt auf sie, auf mich, er windet sich vor
Feinfühligkeit. Er stellt mit der ausgebreiteten Hand eine Grenze her
zwischen den Kameraden und mir: „Mein Herr!“

Ja, eine Granate hat ihn ausgezogen. Er flog in einen Granattrichter,
sein Rock verbrannte und die Lumpen fielen ihm von den Schultern. Ebenso
erging es seinen Pantalons. Es ist nur gut, daß es warm ist! Er
deklamiert und seine Kameraden lachen.

„Sie sind ein tapfrer Soldat wie die andern. Es ist ja ganz egal, wie
Sie aussehen.“

„Ja, aber es ist nicht schick!“

Das Mißtrauen ist verschwunden. Sie fragen, wohin man sie wohl bringen
wird? Ob sie ihren Angehörigen Nachricht geben können? „Ich bin von
Roubaix, kann ich nicht an meine Frau schreiben? Ich konnte ihr seit dem
Herbst keine Nachricht geben.“ – Ich will mit dem Offizier sprechen.

Einen Trost, einen gewichtigen und wunderbaren Trost kann man Gefangenen
immer geben: „Der Krieg ist für euch zu Ende!“

Ihre Blicke ruhen stumm und klar auf mir. Diese Blicke sollen sagen:
Nennen Sie es einen Trost, gefangen zu sein? Wir sind Soldaten, viel
lieber möchten wir für unser Land weiter kämpfen! Sie sind stolz, und
sie möchten nicht, daß ein Fremder ihre Freude sähe, daß die Sache ein
Ende habe für sie und daß sie – lebten. Aber sie nicken und ihre Mienen
erheitern sich. Der Verstörte schwingt den gelben Kopf und stößt einen
tiefen Seufzer aus, während er die Finger krampfhaft ineinander flicht.
Ja, ja, ja ...

Aber der im Leinenkittel lacht über das ganze Gesicht und strahlt vor
Entzücken: „Ja, Gott sei Dank, mein Herr, der Krieg ist für uns zu
Ende!“




                           Die Gewitterstadt


                                                               Im Juni

Seit vielen Wochen hat Douai Gewitter. Es sind Gewitter jeden Formats,
fürchterliche, wovon die Stadt erzittert, und harmlosere, die nur leise
knurren. Sie währen Tag und Nacht. Sie ziehen in Rudeln um die Stadt,
prallen aufeinander, toben und poltern, im grauen Morgen rumoren sie
ferner, mit jeder Stunde des Tages aber kommen sie wieder näher. Am
Abend wüten sie am lautesten. Dabei ist der Himmel über den Dächern der
Stadt blau und heiß.

Eines Nachmittags zog ein wirkliches, ein natürliches Gewitter über die
Stadt herauf, aber es konnte nicht aufkommen gegen die Konkurrenz, es
brummte ein bißchen und war wieder weg.

Die Kanonen von Arras, Loretto und Souchez aber schlugen weiter, dumpf
und zornig, wie seit Wochen. Die Bewohner von Douai kennen es nicht
anders, sie gehen mit Kanonenschlägen zu Bett. Wie der Müller erwacht,
wenn das Rad stehen bleibt, so werden Douais Bürger einmal erschrocken
auffahren, wenn der Geschützdonner plötzlich schweigen sollte.

Jeden Tag aber, einmal, zweimal und öfter, löst sich aus dem großen
Gewitter ein kleines Separatgewitter los und erscheint direkt über der
Stadt. Dann kracht und poltert es ganz in der Nähe, die Stadt selbst
kracht. Douai bekommt Besuch. Der fällige Flieger erscheint, klein und
golden wie eine Mistfliege, um nachzusehen, ob Douai noch steht, um
seinen Landsleuten ein paar Bomben auf die Köpfe zu schmeißen und um
nach Neuigkeiten in den Straßen und auf dem Bahnhof zu schnüffeln. Dann
sieht man die Schrapnelle oben im heißen Blau des Himmels platzen. Man
sieht die weißen Schrapnellwölkchen, während man seinen Kaffee trinkt,
und man sieht sie, wenn man zufällig einmal den Kopf zum Fenster
hinaussteckt. Der Flieger gehört hier zum täglichen Brot, wenn man so
sagen kann. Einmal kamen sie in der Nacht und warfen achtundsechzig
Bomben; sie warfen neulich fünfzig auf den Flugplatz bei der Stadt, ohne
eine Katze zu treffen, sie warfen wiederholt auf den Bahnhof; man ist
hier nie ganz sicher, ob nicht eine Bombe unterwegs ist. Vor drei Tagen
warfen sie Zeitungen herunter, eine gutgemeinte Aufforderung an unsre
Soldaten, nach Hause zu gehen, da ja nun auch Italien das Messer für sie
wetze ...

Seit einigen Tagen kommen sie seltener, und wenn sie kommen, fliegen sie
in Rekordhöhe. Sobald sie gemeldet werden, erscheint der deutsche
Kampfflieger über der Stadt, der _Luftpolizist_. Er brummt hoch über den
Dächern dahin, zieht weite Kreise um den Beffroi, dann stellt er den
Motor ab und sticht wie ein Habicht in die Tiefe, um zu landen. Ein paar
Minuten später ist er schon wieder oben und brummt. Zwei Franzosen hat
er in den letzten Tagen ohne viele Umstände abgeschossen. Ich habe die
Luftpolizisten gesehen und auch die Maschine. Sie haben mir ihre
Schliche erklärt und den Apparat vorgeführt. Es sind reizende Leute,
aber ich möchte ihnen nicht da oben begegnen, so in 2000 Meter Höhe.

Das große Gewitter aber grollt weiter, während die Abwehrkanonen
knallen.

Douai ist eine mittlere Provinzstadt, mit einem rechteckigen Marktplatz,
wie ihn alle französischen kleinen Provinzstädte hier im Norden haben.
Ein paar Droschken stehen da, mit jämmerlichen Pferden, ganz wie in
Berlin. Zum Glück haben sie nie etwas zu tun. Ein paar schöne alte
Kirchen, ein hübscher Stadtpark mit ein paar modernen Denkmälern im
Geschmack der Provinz, gewundene, nicht gerade breite Straßen – schon
ist Douai zu Ende, und die Industrie, die Kohle beginnt. Es gibt noch
prächtige Sachen hier zu kaufen: feinste, allerfeinste Kuchen, Orangen,
Zitronen, Spargel, Artischocken, Konserven, Butter, Streichhölzer,
Tabak, kurz alles, was ein Europäer nötig hat. Die Leute leiden keine
Not. Unerschöpflich müssen ihre Vorräte und Reserven sein. Im November
war ich hier, und aus dem Keller eines Händlers wurde ein großes Weinfaß
gerollt und auf einen Wagen geladen. Heute sah ich aus dem gleichen
Keller riesige Fässer rollen. Es ist mir unbegreiflich! Und doch wird
hier nicht wenig getrunken, das kann niemand behaupten. In der Nähe des
Rathauses hat sich eine deutsche Bierhalle aufgetan, aber fast immer
hängt an der geschlossenen Türe ein Plakat: Ausverkauft! Nur einmal traf
ich es glücklich, die Halle war geöffnet. Die Feldgrauen spülten sich
den Staub hinunter, am nächsten Tage schon wieder: Ausverkauft. Wie
wunderbar und rätselhaft ist dagegen der Weinkeller des französischen
Händlers! Wenn ich das Faß im November nicht gesehen hätte, so würde ich
gar nichts sagen, aber nun rollen sie hier schon monatelang Fässer
heraus ...

Im Herbst zogen in Douai fünf Feldgraue ein, besahen sich die Stadt und
verschwanden wieder. Ein paar Wochen später kamen mehr, und nun gingen
sie nicht wieder fort. Die französischen Soldaten, die geflüchtet waren,
verbargen sich in den Häusern und warfen Uniformen und Gewehre auf die
Straße. Welche Angst, welch schreckliche Angst hatten die Leute von
Douai anfangs vor den deutschen Soldaten. Aber es zeigte sich, daß alles
Schwindel war. _Les journaux!_ Nichts begeistert die Franzosen mehr, als
sich tüchtig belügen zu lassen. Die Lüge ist Phantasie, Rausch, Genie,
die Wahrheit ist allzu nüchtern. Kurz und gut, Douai setzte seine
Papiergeldpresse in Bewegung und damit war die Sache im Gange. Unsre
Verwaltung ist einsichtsvoll und der Bürgermeister ist vernünftig, also
wurden größere Reibungen vermieden. Douai hat sein Schicksal, aber man
muß gestehen, es trägt es mit Würde. Die Leute sind höflich und
taktvoll, sie haben sich an die Feldgrauen gewöhnt. Ja, eines Tages,
eines Tages werden sie ja doch wieder verschwinden. Es ist nicht für
ewig.

„_La guerre est triste, pour nous, pour vous, pour tout le monde!_“
Jedermann gebraucht hier diese Redensart, der Kaufmann, die Verkäuferin,
der Kellner. Sie leiern diese Phrase ohne jede Betonung und ohne zu
denken herunter, wie einen Spruch, den man hundertmal am Tage hersagt.

Oder: „_Oh, cette guerre, quand sera-t-elle finie?_“ – Gott allein weiß
es. (Origineller drückte sich ein Kellner aus: „Dieser Krieg ist eine
internationale Schweinerei, mein Herr, ich bin Kosmopolit!“)

Mitte Mai hatte Douai seine großen Tage. Es war in der Zeit der wütenden
französischen Vorstöße. Man buk Kuchen und band Blumensträuße.
Auffallend viele Zylinder und schwarze Gehröcke erschienen in der
Straße. Der Bürger schnupperte in der Luft. Man wartete! Joffre hatte
gesagt (so erzählt man!), er hatte gesagt, er werde am 12. in Douai
soupieren. In Lens wollte er frühstücken und am Abend des gleichen
Tages, wie gesagt, in Douai soupieren. Er sagte nicht: ich komme,
sondern er sagte ausdrücklich, er wolle am 12. in Douai soupieren,
obwohl es doch eigentlich selbstverständlich ist, daß er speisen würde,
wenn er käme. Wie, wo, wann und zu wem er es gesagt hatte, wußte
niemand. Aber daß er käme, das stand fest.

Es ist begreiflich, daß sich in einer seit sechs Monaten besetzten Stadt
die Nervosität bis zur äußersten Spannung steigern kann. Nun, Joffre kam
nicht. Er kam nicht am 13., 14., 15. Die Zylinder verschwanden langsam,
und heute habe ich nur noch zwei gezählt. Douai sank ermattet in seine
Resignation zurück, und heute glaubt es nicht mehr, daß Joffre in der
nächsten Zeit kommen werde. Nein, ich sah es Douai deutlich an.

Heute braust und donnert Douai vom kriegerischen Lärm eines Heeres, das
Menschen, Material und Energie im Überfluß hat. Es ist eine der
lautesten Städte Europas, und die Rue St. Jacques schlägt spielend die
großen Pariser Boulevards in der Hochsaison. Die Gewitterstadt rasselt
und bebt in einer Atmosphäre von Krieg. Lastautos poltern vorüber,
Automobile schnarren, zwitschern und trompeten. Regimentsmusik, laut und
breit. Zwei Bataillone Feldgrauer marschieren vorbei, frisch gewaschen,
ausgeruht, mit hartem, tapfrem Tritt, der weder Erschöpfung noch
Müdigkeit zeigt. Es sind jene Bataillone, die Joffre daran hinderten, in
Douai am 12. zu soupieren, sie lagen oben auf der Lorettohöhe. Frisch
und guter Laune sind sie – denn sie leben! Ein Auto schnarrt vorbei:
zwei blaugraue Offiziere sitzen darin. Französische Fliegeroffiziere,
die gestern bei Vimy abgeschossen wurden. Dann kommen Kolonnen, endlose
Kolonnen, von schweren Bierbrauerpferden gezogen, die mit den Hufen
Funken aus dem Pflaster schlagen. Sie nehmen kein Ende, und alle
Fensterscheiben der Rue St. Jacques klirren. Tag und Nacht gibt es hier
keine Ruhe.

Im Hotel du Cerf – ein vernachlässigtes, schmutziges, ödes Hotel, das
ich hiermit verfluche! – spielen ein paar Kriegsfreiwillige, noch den
Schmutz der Gräben an den Stiefeln, einen flotten Tango, in einer
Nebenstraße marschieren Soldaten und singen ein fröhlich schallendes
Lied. Plötzlich knallt es: ein Flieger.

In das ewige Getrappel der Pferde und Tuten der Automobile tönt
getragene Musik. Der Chopinsche Trauermarsch. Ein Major wird zur letzten
Ruhe geleitet. Wieder tuten und trompeten die Autos. Am Abend gehe ich
selbst hinter dem Sarg eines gefallenen jungen Offiziers her zum
Bahnhof. Ein Güterwagen nimmt den Sarg und die Blumen auf. Daneben steht
eine Lore mit einem neuen Geschütz. Heute mittag passierte uns, nicht
mir, eine äußerst peinliche Sache. Wir waren, ein paar Bekannte und ich,
beim Delegierten des Roten Kreuzes zum Frühstück geladen. Wir wußten,
daß ein junger Offizier gefallen war, der den Namen eines bekannten
Sportmannes trug, aber wir wußten nicht, war es der bekannte Sportmann
selbst oder sein Bruder. Ein Herr fragt bei Tisch: „Ist der bekannte
Sportmann gefallen oder sein Bruder?“ Der Wirt sieht den Fragenden an
und deutet auf einen anwesenden jungen Offizier: „Hier sitzt der Bruder
des Gefallenen. Er ist der bekannte Sportmann.“

Ja, man soll hier außen nie derartige Fragen stellen.

An diesem Abend trafen wir in der Rue St. Jacques einen Dragoner, der in
hohen Stiefeln dahinstampfte und lustig pfiff. Was pfiff er? Den
Chopinschen Trauermarsch. Wir fragen: „Sagen Sie mal, was pfeifen Sie
eigentlich da?“

Der Dragoner geschmeichelt, verlegen: „Es ist so ne neue Sache. Das
Neueste, das man hat, von Berlin in den Theatern –“

Ein merkwürdiges Pflaster, dieses Douai! – Wenn die Sonne untergeht und
die Lichter des Himmels verlöschen, versinkt die Gewitterstadt in
Dunkelheit, in rabenschwarze Nacht. Die Estaminets, die kleinen
Gastwirtschaften, die kleinen Cafés schließen. Kein Licht, kein Mensch,
kein Hund. Der Beffroi, die Kirchen, Giebel, Bäume ragen schwarz und
stumm zum Himmel empor. Eine _verkohlte_ Stadt. Geht man über den
Marktplatz, so schallt es, als käme eine Kompanie daher, und man
erschrickt, solch einen furchtbaren Lärm zu machen. Man ist verloren und
auf den „Cerf“ angewiesen. Hier ist wenigstens Licht. Aber es kommt vor,
daß auch hier das Licht plötzlich ohne jede Warnung ausgeht und man eine
Stunde im Dunkeln sitzt. Ein Flieger ist irgendwo. Die Wachen klappen
auf ihren schweren Stiefeln draußen vorbei, Autos ohne Lichter
schleichen dahin. Es knarrt von Rädern, Kolonnen, Transporte von
Verwundeten. Douai ist tot. Aber horch!

Um so lauter und härter rollt der Donner der Geschütze. Wie die Brandung
des wilden, nächtigen Meeres an einer schrecklichen, öden Küste.




                   Die Kämpfe bei Moulin-sous-Touvent


                                                               Im Juni

Der Franzmann – so nennen die Frontsoldaten den Franzosen – der
Franzmann versucht sein Heil an verschiedenen Stellen, die ihm einige
Aussicht auf Erfolg zu bieten scheinen. Seit sechs Wochen trommelt er
oben bei Arras, und am 16. und 17. Juni sah es dort aus, als wolle er
Frankreich in Grund und Boden schießen. Er hat keine Zeit mehr zu
versäumen, das weiß er recht wohl. Vorwärts, Regiment um Regiment wirft
er gegen die Gewehre, jeder Schritt kostet ihm Tausende. Bei Arras
verbiß er sich, er kam nicht weiter, und so versuchte er es an andrer
Stelle. Bei Moulin-sous-Touvent, etwa zwanzig Kilometer nordwestlich von
Soissons. Er wollte durch, er wollte zum mindesten Truppen und Geschütze
fesseln, abziehen von da oben, und er ging mit großartiger Energie zu
Werke. Es war umsonst. Er gewann einen Graben, aber er bezahlte ihn zu
teuer, viel zu teuer. Man legt sich hundert Meter dahinter, und nun
liegt man wieder mit geschliffenen Zähnen, die Maschinengewehre stehen
an ihrem Platz, Gräben, Drahtverhaue, alles wie früher.

Die Kämpfe aber waren furchtbarer, als die paar Zeilen in den
Wolff-Telegrammen es ahnen lassen. Sie waren ein kleines Arras, ein
Stück Arras, es ging hier zu ganz wie da oben bei Souchez und Neuville.
Aber die gleichen Leute wie bei Souchez und Neuville standen auch hier,
und sie stehen überall an der Front, wo Joffre anklopft. Je näher man
unsre Leute kennenlernt, desto mehr überraschen sie. Sie waren niemals
weich, o nein, aber der Krieg hat sie stahlhart geschweißt. Sie sind
braun und hart wie Erz. Sie waren tapfer, nun aber, nach langen Monaten,
sind sie unüberwindlich. Jeder einzelne ist ein Panzerturm für sich, ein
Graben mit Drahtverhauen ringsum, und jeden einzelnen Mann muß Joffre
einzeln mit Granaten zusammentrommeln, anders geht es nun nicht mehr.
Sieht man einen Kanonier in seinen schweren Stiefeln, so scheint er
selbst wie ein Mörser zu sein, ein Mörser, mit dem nicht zu spaßen ist.
Ein Schrapnell zerspritzt vor der Batterie, der Hauptmann schreit: „Weg
da!“ Der Kanonier rührt sich nicht: „Wegen mir, Herr Hauptmann, da muß
schon ne Lage kommen.“ Ja, Kerle sind sie, das muß man sagen!

Wären sie anders, dann wäre es bei Arras und Moulin-sous-Touvent nicht
so gegangen! Hundert Meter zurück und alles wie früher, nein ... denn
er, der Franzmann, ist ein Gegner, vor dem man den Degen senken muß. Im
Friedhof zu Anizy-le-Château ruht ein französischer Batteriechef, der
Kapitän Lerroy Beaulieu. Seine Batterie war zerschossen, die Mannschaft
tot, ganz allein bediente er noch das letzte Geschütz, und dann feuerte
er mit dem Revolver auf unsre stürmenden Grauen. Ein Hurra unsern
Grauen, ein Hurra dem Kapitän Lerroy Beaulieu! Solche tapferen Leute
haben sie viele da drüben. Nicht wir allein besitzen sie, es wäre
falsch, das zu denken.

Ich habe einen Oberleutnant gesprochen, der bei Moulin-sous-Touvent in
den letzten vierzehn Tagen ununterbrochen kämpfte. Er war lang und
hager, sein Gesicht scharf und kantig gemeißelt. Seine Augen stahlhart,
und immer zeigte er ein wenig die obern Zähne. Er war nicht gerade
elegant, aber er legte auch keinen Wert darauf. Sein langer, grauer
Mantel war an einzelnen Stellen abgeschliffen, voller Falten, und
schimmerte von den Farben der Erde und des Grases und einem sonderbaren
Rostrot. Die ganzen vierzehn Tage hatte er kaum ein Auge zugemacht, hier
und da zehn Minuten, das war alles. Es ging nicht anders! Sie hockten in
rasch aufgeworfenen Gräben, aber er hatte keine Zeit, an sich selbst und
die persönliche Gefahr zu denken. Es gab zu tun. Die Truppe, nichts
andres als die Truppe! Kein andrer Gedanke. Er ist der Kopf und das Herz
der Leute. Man darf nicht vergessen, daß die Flagge, die schwarzweißrote
Flagge des Reiches, unsichtbar all die vierzehn Tage und vierzehn Nächte
über seinem Kopfe und seiner schiefen, verknüllten und staubigen Mütze
knatterte, das darf man nicht vergessen – anders wäre es ihm und den
andern wohl nicht möglich gewesen, die vierzehn Tage und Nächte
auszuhalten.

So war es also bei Moulin-sous-Touvent, und so ist es zum Teil noch
heute.

Am 5. Juni nachmittags begann der Franzose zu trommeln, und er trommelte
volle drei Stunden lang. Am 6., am Sonntag, trommelte er weiter von
sieben Uhr bis zehn, ein halb elf. Die Drahtverhaue müssen eingetrommelt
sein, die vordersten Gräben, denn anders ist ein Sturm unmöglich, will
man nicht, daß ein ganzes Regiment in den Drähten hängen bleibt. Dazu
hielt er alle Zugänge und Verbindungswege unter Feuer, damit niemand vor
und zurück konnte. So ist es jedesmal, die Taktik steht fest. Dieses
Wirbelfeuer war das fürchterlichste, das mein Oberleutnant je erlebte.
Und dann kamen die Schwarzen angefegt! Das Plateau ist eben, Gras und
Halme, so kamen sie heran, die schwarzen Kugelfänger der Franzosen, die
den ersten Regen von Geschossen mit ihren dicken Mäulern schlucken
sollen. In einer Breite von zwölfhundert Metern, in mehreren Kolonnen,
kamen sie näher. Erst die Granaten, dann die Schwarzen, es ist immer das
gleiche Rezept. Der Franzose weiß wohl einen Unterschied zwischen
Schwarz und Weiß zu machen! O, ganz gewiß. Afrika _brütet_. Die
dunkelhäutigen Mütter sind Tiere, die Junge werfen, und die
dunkelhäutigen Mütter haben keine Augen, um Tränen zu vergießen. Nein!
Dein schönes, edles Antlitz, Frankreich, auf das du so stolz bist, und
das du so gern bewundern läßt, es ist geschändet. In deinen Salons und
Parlamenten, in denen so viel gesprochen wird von Menschenwürde,
Menschlichkeit und Gleichheit und ähnlichen Dingen, wird für ewig ein
Gestank sein, der Gestank von hunderttausend schwarzen, faulenden
Kadavern, die du in diesem Kriege zynisch geschlachtet hast. Nie, nie
wirst du diesen Gestank mit deinen Parfümen ersticken können, niemals,
du weißt es wohl! Wohlgemerkt, ich habe deinem tapfern Kapitän Lerroy
Beaulieu ein Hurra gebracht, denn ich liebe und bewundere ihn, er ist
das Frankreich von einst, aber ich verabscheue dich, wenn du, roh und
schamlos, die Peitsche des Tierbändigers schwingst. Afrika wird dir nie
vergeben, denke an mich! Es wird dir ja nicht gelingen alle Schwarzen
abzuschlachten, und einige werden wohl oder übel zurückkehren in ihre
Dörfer. Sie sprechen deine Sprache nicht, aber dort können sie sich
verständlich machen, und man wird sie verstehen. Man wird dir die
Rechnung vorlegen, und du wirst erbleichen, denke an mich! Sie werden
deine Bataillone niedermetzeln und ihre Köpfe auf Spieße stecken. Dann
wirst du schreien, sie sind Tiere, und das unwissende, belogene und
verlogene Europa wird dir glauben, daß sie Tiere sind, und vor Empörung
beben.

Kurz und gut, die Schwarzen müssen vor! Ein gerader, nicht
mißzuverstehender Blick ins Auge, ein Griff an den Revolver – du
verstehst mich wohl! – Maschinengewehre im Rücken, der Schwarze
versteht. Er schnellt vor wie ein Tier, das um sein Leben läuft,
Maschinengewehre voraus, Maschinengewehre im Rücken, der Todesschweiß
glänzt auf den dunkelhäutigen Gesichtern.

So kamen sie heran bei Moulin-sous-Touvent in den heißen Stunden der
Schlacht. Sie fielen wie Hammel, in die der Blitz schlägt. Dann erst
fluteten die Wellen der französischen Infanterie heran. Die Übermacht
war so groß, daß es Wahnsinn gewesen wäre, sie in zerschossenen Gräben
und Granattrichtern zu erwarten. Man ging zurück. Aber die flankierenden
Gräben standen wie Festungen und gaben Flankenfeuer. Verlängerungen
wurden vorgetrieben, um die Flankenstellungen auszudehnen. Die Schlacht
war im Gange. Reserven kamen blitzschnell heran, vorwärts, Sturm! Um
sechs Uhr abends war der Feind wieder zurückgeworfen. Was er noch hielt,
waren zwei zusammengetrommelte Gräben von etwa hundert Meter Tiefe. Die
ganze Nacht hagelten die Granaten bis acht Uhr morgens. Die Kämpfe wogen
hin und her. Die Gewehre peitschen, die Maschinengewehre hämmern, Minen,
Handgranaten. Unsre Grauen hocken in rasch aufgeworfenen Gräben,
Sandsäcke vor, es ist heiß, staubig und stickig. Sappen, Gräben, man
beißt sich langsam durch die Erde näher. So geht es fort, ohne Pause,
bis zum 14. Es ist immer das gleiche. Das heißt, es ist immer _gleich
furchtbar, gleich blutig_, es erfordert immer den gleichen Mut, die
gleiche Ausdauer, die gleiche unmenschliche Anstrengung!

Am 14. abends setzten wir zum Gegenstoß an und nahmen den Franzosen
einen Graben weg. Unsre Geschütze trommelten nun ihrerseits. Die
feindlichen Reserven wurden zugedeckt. Ein feindliches Bataillon in
Reservestellung geriet, wie Gefangene aussagten, derart in die Zähne
unsrer Haubitzen, daß der Kommandeur das Kommando: „_Sauve qui peut!_“
gab. So ging es hin und her. Am 16. machte der Franzose drei wütende
Vorstöße. Den Tag leitete er mit Wirbelfeuer ein wie gewöhnlich. Um elf
Uhr brach er nördlich von Moulin bei der Ferme Quennevie vor. Die
kleinen Vorteile, die er dort errang, nahmen ihm unsre Grauen am Abend
wieder ab, und somit war es wieder nichts. Ein Angriff etwas südlicher
scheiterte. Um drei Uhr nachmittags griff er zum dritten Male an diesem
Tage an. In dichten Kolonnen stürmte er vor, kühn und tapfer, aber der
Sturm brach in unsrem Infanteriefeuer zusammen.

In den ersten Tagen des Angriffs hatte er schwere Verluste, am 16. aber
ungeheure. Ein kleines Grabenstück, das nicht den geringsten Wert hat,
war das Resultat der vierzehntägigen Schlacht, die, wie mir mein hagerer
Oberleutnant versicherte, heißer war als die Schlachten bei Soissons und
Vailly. Sie ist noch nicht ganz zu Ende, es flackert immer noch auf da
oben – aber eines ist gewiß: so wenig es Joffre gelang bei Arras
durchzubrechen, so wenig gelang ihm sein verzweifelter Versuch bei
Moulin-sous-Touvent. Und er wird ihm nicht gelingen. Er mag anklopfen,
wo er will, immer wird er auf die gleichen Leute stoßen wie bei Arras
und Moulin-sous-Touvent – ob sie nun sächsisch sprechen oder bayrisch
oder märkisch oder schwäbisch – es sind immer die gleichen. Es sind
Kerle, braun und hart wie Erz.




                 Granaten auf die Vororte von Soissons


                                                               Im Juni

Ich frage, was hat die Granate dort links mitten im Feld zu suchen? Sie
kam heran, ohne besondern Lärm zu machen, und klang wie der Abschuß
irgendeines der Geschütze, die hier in der Umgebung stehen und zuweilen
in den heißen Morgen hineinfeuern. Unsern Ohren muß der Krach
anscheinend aber doch nicht geheuer vorgekommen sein, denn instinktiv
drehten wir alle den Kopf. Nun raucht sie in der grellen Sonne wie der
Qualm eines Kartoffelkrautfeuers. Ein Reiter trabt auf seinem Pferd
feldein. Er reitet in einer Mulde und ist vom Feind nicht einzusehen.
Plötzlich stutzt er, hält das Pferd an und betrachtet den grauweißen
Rauchklumpen im Felde, der sich langsam in die Höhe zieht. Er reitet
weiter, hält wieder an, blickt auf den Rauch, den Himmel, das Feld
ringsum und auf unser Auto. Er dreht bei, siehst du wohl, und macht sich
langsam und in aller Ruhe davon.

Auf dem Felde ist nichts zu sehen, es ist unberührt, hier war nie etwas,
weder ein Graben noch eine Batterie. Ohne Zweifel, die Granate galt uns,
aber sie fiel zu kurz. Wir halten auf der weißen, sonnigen Landstraße,
über das Feld ragen Höhenzüge empor, und dort sitzt der Franzose mit
seinen Fernrohren. Der Hauptmann, der mich fährt, mager und geschmeidig
wie ein Panther, spitzt die Ohren, horcht auf die Abschüsse und äugt
durch das Monokel auf das öde heiße Feld, um den nächsten Einschlag zu
beobachten. Nichts mehr. Sie wollten uns nur andeuten, daß sie immerhin
noch da seien und alles sähen.

Wir fahren weiter. Es ist das Prinzip meines Hauptmanns „lieber etwas zu
riskieren, als zuviel zu laufen“. So sagt er. Gestern schleppte er mich
bei einer Höllenhitze quer über die Abhänge bei Vailly, und hier gab es
Striche, die nackt vor den Franzosen dalagen. Mit dem bloßen Auge
konnten sie uns sehen. Da hieß es dann trab, trab, eins, zwei, drei,
hundert Schritte Abstand und hinüber. Zuletzt kamen wir auf eine
kalkweiße Landstraße auf der leeren Höhe, von der wir uns wie
Tintenflecke abhoben. Wir mußten schließlich in ein Rübenfeld hinein und
durch die hochgeschossenen Samenstauden hindurch. Gelb, wie von
Insektenpulver zugedeckt, tauchten wir wieder auf. Selbst das Monokel
des Hauptmanns war gelb. Der Schweiß lief uns übers Gesicht. Das nannte
mein Hauptmann „abschneiden“.

„Lieber ein bißchen riskieren, aber nur keine Umwege.“ So ist er also
und nicht zu ändern.

Diese Felder ringsum, die in der mörderischen Sonne zittern, sind das
Schlachtfeld von Soissons. Soissons? Es klingt schon, als wäre es in
einem andern Krieg gewesen. So lange ist dieser Krieg! Hier gingen sie
vor, im Januar ... Die Felder sind verlassen und öde. Die Rüben sind ins
Kraut geschossen, der Weizen ist von selbst gewachsen und steht
dazwischen in langen Halmen. Ein grellrotes Feld von Mohn. Verwildert
und verwahrlost sehen diese Felder aus, kein Mensch, kein Tier. Wie ein
verfluchtes Land, das kein Fuß mehr betritt. Die Hitze kocht darüber,
und die Halme stehen regungslos, wie tot. Die Felder haben einmal den
wilden Lärm gehört: Keuchen und Schreien, Röcheln, Kommando, Granaten
und den lauten Fall von vielen Männern. Nun aber schweigen sie. Die
Toten ruhen unter der Erde. Hier! Sie ruhen unter der Erde, ja, aber sie
sind nicht vergessen! In der Sonne kann ich sie ja stehen sehen, im
grellen, lichten Tage, die Mütter, Bräute und Schwestern, die
hierhergekommen sind auf diese heißen Felder, ohne Regung stehen sie und
weinen leise und können es noch immer nicht fassen, daß ihre Lieben
unter dieser Erde ruhen. So stehen sie, die Frauen, ich sehe sie
deutlich, und so werden sie noch viele Jahre stehen und leise weinen,
bis sie selbst in die Erde sinken. Aber noch nach fünfzig Jahren werden
einzelne hier stehen, bis es nach sechzig, siebzig nur noch eine einzige
ist, und auch sie wird in diese Erde hineinsinken. Und auch dann sind
sie noch nicht vergessen, die Toten von Soissons. Verflucht und verrucht
wäre Deutschland, vergäße es sie je! Einer, nach tausend Jahren, schlägt
ein Buch auf, und was schreit ihm entgegen? Schlacht bei Soissons, 11.
bis 15. Januar 1915, Regimenter, Bataillone, Divisionen, Kommandeure und
Generale, der Steinbruch, La Perrière, Crony, das Zuavenwäldchen – und
er, der in einer glücklicheren Zeit lebt, der Kriege so fern sind wie
uns Hexenverbrennungen, er wird der Toten von Soissons gedenken.

Die Gräben und Sappen sind überwuchert von Kräutern und blühenden
Wicken. Sie sind heiß wie Backöfen. Hier ist der Steinbruch, Sandsäcke,
Barrikaden, alles ist noch da. Selbst die Sturmleitern, acht Meter hoch
und sechs Meter breit, stehen noch an Ort und Stelle. Hier mußten sie
hinauf und vor! Hinein in das zischende Feuer. Hier ist der Verhau des
sächsischen Scharfschützen, der vom grauenden Morgen bis in die sinkende
Nacht hier hockte und gar keine Zeit für etwas andres hatte, selbst das
Essen ließ er sich bringen. Zerschmetterte Bäume. Ein Haus, durch das
ein „großer Minenhund“ ging und es glatt zerlegte. La Perrière.
Zerschossen und ausgestorben.

„Sehen Sie her, hier unten liegen die Schwarzen!“

Eine Schlucht wie ein tiefer, runder Brunnen. Ein breiter Erdhügel hebt
sich daraus, nahezu hoch bis zur Straße, Sand, Erde, Schmutz, Moder.
Darunter liegen sie. Man mußte sie aus dem Wege räumen und warf sie
hinein, die Schwarzen, es waren viele. Chlorkalk und Erde darauf, und
fertig war die Sache. Unten bei Berry-au-Bac sah ich an zweitausend
Schwarze vor unsern Stellungen liegen. Sie waren noch unbeerdigt. So ist
der Krieg. Eine Fliege kommt aus dem Brunnen und brummt mich an. Sie
wohnt da unten bei ihnen. Ich fahre zurück. Grauen und Entsetzen trägt
die schmutzige Fliege auf ihren kleinen Flügeln mit herauf. Sie ist die
Seele der Schwarzen und kommt herauf, um Protest zu erheben dagegen, daß
ich hinuntersehe. Fort mit dir! An meinem Schritt schon hat sie erkannt,
daß hier ein Weißer kommt. Sie ist zornig und hartnäckig und treibt mich
in die Flucht. Ich lasse die Schwarzen allein mit ihrer Fliege. Sie ist
alles, was sie haben.

Gräber. Eine ganze Reihe. Es sind die Unsrigen. Die Granaten haben in
letzter Zeit die Kreuze etwas zerzaust und schief geschlagen. Das ist
den Toten einerlei. Die Höllenmaschinen dieser Erde können ihnen nichts
mehr anhaben.

Dicht neben dem Friedhof hat sich ein Major eine Baude gezimmert. Die
Decke, der Plafond besser gesagt, besteht aus zwei gehäkelten
Bettdecken, die eine Art Baldachin bilden. Ein vergoldeter Sessel,
Empire, sehr nobel. An der Wand ein Öldruck: _Salut aux blessés_.
Französische Offiziere, hoch zu Roß, an einer Landstraße. Ein Trupp
deutscher Gefangener wird vorbeigeführt. Die Gefangenen sind große,
blonde Männer, verwundet, die Offiziere lüften das Käppi. Der Major ist
ein Mann von Welt und zieht sofort eine Flasche auf. Leider kann er uns
keine Zigarren anbieten. Sitzt er da gestern hier in seinem Sessel, sein
Wachtmeister dort, auf dem Tisch stehen die Zigarren, kommt ein
Granatsplitter angefegt und zerschlägt ausgerechnet die Zigarren. An der
Wand sind Bretter und Stäbe zersplittert.

Mein Hauptmann entschließt sich nun doch, das Auto stehen zu lassen. Er
kann schließlich nicht bis in die Gräben fahren. Es geht bergan.
Wegweiser, Holzbrettchen mit Aufschriften: Batterie X, Geschütz Y,
Beobachtungsstand Z. Dahin wollen wir. Auf Schleichwegen gelangen wir
ans Ziel.

Der Beobachtungsstand Z. ist keineswegs so nobel wie die Baude des
Majors unten. Er ist ein dunkles Erdloch. Eine Ruhebank, ein Stuhl, ein
Telephonapparat, das ist die ganze Einrichtung. Zwei Schatten hausen in
der dunklen Höhle. Ein Offizier und ein Soldat. Verbeugungen
gegenseitig, ein Händedruck, wir sind zu Hause.

Hier ist es kühl und schattig.

Durch einen Spalt, einen knappen Meter lang und eine Spanne hoch, fällt
das Licht des Tages. Vor dem Schlitz steht das Scherenfernrohr. Wie ein
eleganter Teufel auf dünnen Spinnenbeinen, mit grauen, dicken Hörnern.

Und da unten, zum Greifen nahe, liegt _Soissons_!

Eine Stadt! Dicht aneinandergedrängt stehen Häuser und Giebel,
schiefergrau und staubig rostgelb. Man blickt in Straßen hinein, kann an
den Krümmungen der Giebelreihen das Gewimmel von Straßen, Gassen und
Plätzen haarscharf erkennen. Aus der Stadt erheben sich Kirchen und
Türme, auffallend hoch, denn selten sieht man eine Stadt aus der Höhe.
St. Jean des Vignes, zwei spitze Türme, einer etwas niedriger als der
andre, Gotik, alles ganz genau. Rechts davon die Kathedrale. Sie scheint
einfacher gehalten zu sein. Der stumpfe Turm leuchtet in der Sonne. Oben
rechts ein weißer Fleck. Ein Loch? Durch das Glas sieht man, daß eine
Granate in den Kantenpfeiler gefahren ist. Es ist weiter nicht schlimm.
Regierungsgebäude, langgestreckt und ehrwürdig grau, Schuppendächer beim
Bahnhof, Fabriken. Mit bloßem Auge sieht man die einzelnen Fenster, mit
dem Glas die Fensterkreuze. Die Stadt aber ist tot. Kein Fenster blinkt
beim Schließen oder Öffnen, kein einziger der Kamine auf den Giebeln
raucht. Auch nicht eine Spur von Leben, und doch hausen Tausende von
Menschen in der stillen Stadt. Sie stellt sich tot, nur in der Nacht,
wenn es ganz finster ist, kann sie ein wenig Atem holen. Die Vororte
strahlen von ihr aus in das grüne Tal der Aisne. Neue Häusergruppen,
Schuppen, Fabriken. Eine leuchtend gelbe Fabrik auf dem ansteigenden
Hang hinter der Stadt, blendend in der Sonne wie ein Schloß.

Breit und sonnig liegt das Flußtal. Ein paar Krümmungen der Aisne
blitzen in der Sonne. Erlengebüsche, Baumgruppen, Dörfer und die Hügel,
grün, zum Teil bewaldet. Hoch oben und fern ein paar Häuser. Alles
schweigt. Ein paar Geschütze feuern zuweilen, sonst regt sich nichts.
Unten, in Deckung, hantieren Leute, so groß wie Fliegen. Es sind
Feldgraue. Einer sägt Holz. Straßen, staubige Landstraßen, die sich aus
Soissons emporwinden, ohne Leben. Ich streiche mit dem Scherenfernrohr
die Hügel ab, die Landstraße, Hänge und Wäldchen, vielleicht sehe ich
einen Menschen von Baum zu Baum huschen, oder einige – eins, zwei, drei
und hinüber. Nichts.

„Sehen Sie denn nichts?“ frage ich den Offizier.

„Nein, gar nichts. Vor einer Viertelstunde sah ich einen Mann im Feld.
Heute morgen hoch oben ein Reiter.“

Wo der Fluß blinkt, im Feld, sind die Gräben. Man sieht die gelben
Striche mit dem bloßen Auge. Aber selbst mit dem ausgezeichneten Glas
kann man keine Spur von Leben in den Gräben entdecken. Bei der
Baumschule dort, an einer Telegraphenstange, hängt eine französische
Flagge. Sie wurde heute nacht angebracht.

Plötzlich aber entdecke ich doch etwas! Aus einem grauen Dorf, gerade
gegenüber, einem Vorort, steigt eine runde Wolke wie von Wasserdampf.
Aber nichts regt sich, keine Seele. Das Dorf scheint verlassen. Die
Wolke verdichtet sich, reckt sich höher, es kommt Leben in sie, Nahrung,
die Granate hat gezündet. Fünf Minuten und sie wächst und wächst.
Plötzlich aber wird sie rasch kleiner und kleiner: es sind also doch
Menschen dort in dem toten Dorf! Französische Reserven liegen dort.

Es kracht in der Nähe. Abschuß! Eine Granate rauscht und gurgelt über
unsre Köpfe hinweg, hinüber nach Soissons. Die Sekunden vergehen. Wo
wird sie aufschlagen? Eine weiße Wolke, dort bei den roten, neuen
Schuppen. Dann erst der scharfe Knall des Aufschlags. Die Schuppen sind
die letzten Häuser des Vororts St. Paul. Nichts regt sich, kein Mensch
erscheint, um nachzusehen, was die Granate hier bei den Schuppen will.
Die weiße Wolke zerstiebt.

Abschuß! Mächtig schleift die Granate durch die Luft. Sie schlägt vor
den Schuppen in eine Baumgruppe ein. Die Bäume rauchen. Plötzlich röhrt
und rauscht es näher über dem Unterstand. Bekommen wir Antwort? Nein.
Der Abschuß fiel mit dem Krach der einschlagenden Granate zusammen. Eine
graue Wolke hängt über der Baumgruppe, ein gespenstischer, grauer
Oktopus, der seine Fangarme langsam nach den Bäumen ausstreckt. Ein
Schrapnell.

Soissons aber liegt und regt sich nicht. Wie die Gazelle vor den Augen
des Tigers liegt es da.




                    Fliegerangriff auf Fesselballone


                                                               Im Juli

Gegen sieben Uhr abends fahren wir, der Rittmeister v. B. und ich, in
das Arbeiterdorf X. Y. ein. Wir haben hier zu tun. Der Rittmeister läßt
halten, um nebenher einem Bekannten guten Tag zu sagen. Kaum ist er
fort, so gibt es einen Knall. Was ist los? Ringsum schlagen die
Geschütze, und ich beachte den Knall nicht weiter. Aber Leute und Kinder
laufen zu einer Stelle neben der Straße. Oben brummt ein Motor. Ein
Flieger hat eine Bombe geworfen! Sie fiel zweihundert Meter vor dem Auto
nieder, und es ist gut, daß wir zufällig hielten. Ein Arbeiter wird
weggeführt. Erschrocken und verstört sieht er aus. Ein Splitter hat ihn
am Arm verletzt. Er rauchte gerade seine Feierabendpfeife ganz friedlich
und dachte an nichts. Da kam die Bombe aus der Luft. „Ist die Verletzung
schwer?“ frage ich einen Arzt. „Nein, nein, eine Kleinigkeit.“

Ein Rudel von Kindern hockt um das Loch herum, das die Bombe schlug. Sie
graben mit ihren schwarzen Pfoten, hastig und gierig wie Hunde, ob sich
nicht irgend etwas findet. Die Splitter haben Fetzen aus den
geschwärzten Backsteinmauern geschlagen. Eine Mauer ist wie von scharfen
Krallen zerkratzt. Man kann genau den Streuungskegel feststellen. In
zwanzig Meter Entfernung schlugen die Splitter einen knappen Meter hoch
ein.

Der Rittmeister kommt zurück. „Was ist los?“

„Ein Flieger hat eine Bombe geworfen.“

„Nicht möglich!“ Er lacht vergnügt und gleichmütig und blickt durch das
Monokel zum heißen Himmel empor, wo eine Gruppe von Schrapnellwölkchen
steht. Er hat nicht einmal den Knall gehört. Wir trennen uns. Ich will
einen Regimentskommandeur besuchen, und der Rittmeister hat Geschäfte
irgendwo in der Nähe. Die Kinder wühlen noch immer in dem Bombenloch.
Ich bin keine hundert Schritte an ihnen vorbei, als mich ein Offizier
anruft. „Nehmen Sie Deckung. Ein Flieger kommt. Er wird gleich werfen.“
Ah, schon wieder einer! Er hält direkten Kurs auf mich zu, ganz, als
wolle er mich persönlich aufsuchen. Schon hört man seinen Motor summen,
gleichmäßig und wundervoll brummen die hundert Pferde da oben! Aber ein
Schrapnell platzt dicht vor seiner Nase, und er biegt aus. Dem
Rittmeister indessen hat er, wie ich später erfuhr, eine Bombe in den
Garten geworfen.

Dieses X. Y. ist ein Bombennest ersten Ranges. Ich wußte es, man hatte
es mir erzählt, aber ich hatte nicht recht daran geglaubt. Weshalb
gerade dieses Arbeiterdorf? Nun, überall bilden sich Gewohnheiten aus!
Es liegt auf dem Wege Souchez-Douai, genau in der Mitte, und die
Luftstraße geht darüber hin. Es bekommt seine Bomben, früh und abends,
und die Bomben gehören zu X. Y., ganz wie der Geschützdonner und das
Schnarren und Trompeten der Automobile. Wenn die Franzosen nach Douai
fliegen, so werfen sie eine Bombe ab, und alles, was sie in Douai nicht
an den Mann bringen konnten, aus irgendeinem Grunde, bekommt X. Y. auf
dem Rückwege. Das schmutzige und schwarze Fabrikdorf hat im Grunde
genommen nur eine einzige, schnurgerade Straße, die Chaussee. Diese
Chaussee steuern die Flieger an, und wenn sie in genauem Kurs
darüberliegen, so werfen sie den Vogel über Bord. X. Y. hat seine Bombe.
Da man aber den Trick kennt, so nimmt man Reißaus, und infolgedessen
passiert verhältnismäßig wenig. Freilich, wenn man seine Feiertagspfeife
raucht und gemächlich auf der Chaussee herumstochert, so kann die Sache
schlecht ausgehen.

Ich blieb eine halbe Stunde bei dem Regimentskommandeur, und als ich
wieder auf die Straße trat, war eine wütende Knallerei ausgebrochen. Der
ganze Himmel stand voll Schrapnellwolken. Was war geschehen? Ja, auf den
ersten Blick konnte man es sehen: Während ich bei dem Kommandeur saß und
plauderte, waren zwei Fesselballone hochgegangen und feindliche
Flugzeuge griffen sie an. Der eine der Ballone stand etwa einen
Kilometer weit entfernt, der andere aber stand nahezu über meinem Kopfe,
etwas westlich vom Dorf. Er war drei- bis vierhundert Meter hoch,
vielleicht höher, und leuchtete hell in der Abendsonne. Die Luftströmung
hatte ihn herübergetrieben, ich sah zuweilen das schrägstehende
Drahtseil aufblitzen, das ihn festhielt. Deutlich sah ich den Korb, und
daraus kam etwas Rundes hervor, das war der Kopf des Beobachters. Da saß
er nun hoch oben, beobachtete die Einschläge der Geschosse,
telephonierte, dirigierte. Ganz wie er, saß drüben der andere, und beide
lasen in den feindlichen Höhenzügen wie in einem aufgeschlagenen Buch.
Das war ihnen ein bißchen zuviel! Augenblicklich kamen ihre Flieger
herbei. Zuerst sah ich nur einen. Winzig, wie eine goldene Libelle, kam
er auf den entfernteren Ballon zugeflogen. Jeden Moment verlor ich ihn
aus den Augen, so stand er im Licht. Die platzenden Schrapnelle, hoch
oben, nicht größer als ein Kopf, zeigten seine Bahn. Es waren zwanzig,
dreißig, er sollte auf keinen Fall herankommen und den Beobachter im
Korb stören! Eine ganze Wiese von Schrapnellwölkchen stand da oben. Sie
entstehen ganz urplötzlich am blauen Himmel, haarscharf ausgeschnitten,
sind rund wie eine Kugel, aus der langsam der Rauch tropft, schimmern
und opalisieren wie feinster Zigarettenrauch. Lieblich und unschuldig
sehen sie aus, oft berauschend schön. Die goldene Libelle aber flog
näher, unbekümmert und frech, in dreitausend Meter Höhe. Plötzlich, nahe
über dem entfernteren Ballon angelangt, blitzte sie breit und golden
auf. Sie hatte eine Kurve gemacht, stach in die Tiefe und schoß nun
direkt auf unseren Ballon zu. Aber unsere Kanoniere schliefen nicht! Die
Granaten fauchten über das Dorf hoch, eine hinter der anderen her, immer
rascher und wütender, und ein Dutzend blitzender Messer und Dolche, wie
von einer Kanone hochgeschossen, zuckten um die Libelle auf. In der
nächsten Sekunde schon hatten sie sich in schöne, grünlich schimmernde
Wölkchen verwandelt. Die Libelle wich nach Norden aus, überflog in
rasender Fahrt, brummend und surrend, das Dorf und stieg in einer großen
Spirale hoch. Die Dolche folgten ihr blitzend und funkelnd, sie stieg
und stieg und nahm Reißaus. Plötzlich aber drehte sie bei und kam mit
direktem Kurs zurück!

„_Voilà un autre!_“

Das ganze Dorf steht auf der Straße und sieht zu. Ein Arbeiter in
Hemdärmeln, unter der Tür einer Kneipe, deutet in die entgegengesetzte
Richtung. Seht an, ein zweiter! Ich sehe nur das Feld von
Schrapnellwölkchen, ein Rudel, zu dem immer neue kommen, aber der
Arbeiter hat die Maschine gefunden. Rechts neben dem Schlot, über den
drei kleinen Wolken, die dicht beisammen stehen! Richtig. Klein und zart
wie eine Schwalbe zieht sie näher. Sie hat es nicht auf unsern Ballon
abgesehen, sondern auf den anderen. Sie bekommt Feuer von allen Seiten,
und ein Streifen des blauen Himmels ist wie mit Lämmerwölkchen bedeckt.
Sie kann nicht heran und zieht meilenweite Kreise. Unten an der Straße
verschwinden die Leute in den Häusern: es sind Sprengstücke von den
Abwehrgeschützen heruntergekommen.

Aber wir haben die Libelle ganz außer acht gelassen. Plötzlich steht sie
wieder über dem Dorf. Sie ist von hinten heimtückisch wieder
herangeschlichen. Unsere Kanoniere aber behielten sie wohl im Auge. Über
dem Dorf bekommt sie Feuer und muß höher gehen. Sie biegt aus, kommt in
einem kühnen Bogen zurück, und es gelingt ihr, unseren Ballon zu
überfliegen. Aber in solch enormer Höhe, daß es sinnlos von ihr wäre,
eine Bombe zu werfen. Das ist ja der Sinn der Beschießung. Trifft man
sie auch nicht, so sollen sie wenigstens hochgehalten werden. Sie macht
sich davon wie das erstemal, klein wie ein Punkt sieht sie jetzt aus,
aber sie kehrt wiederum zurück.

Nach Süden zu, noch ferne, erscheinen ebenfalls Gruppen von
Schrapnellwölkchen. Zwei Striche, ja nichts anderes als zwei feine
Gedankenstriche untereinander, kommen heran. Ein Doppeldecker. In
unerhört rascher Fahrt zieht er näher. In den heißen Luftschichten
scheint er manchmal etwas höher und manchmal etwas tiefer zu stehen.
Durch irgendwelche höllische Künste gelingt es ihm, sich streckenweise
vollkommen unsichtbar zu machen. Unsere Geschütze legen eine Barriere
von Schrapnellen vor ihn, aber das ist ihm ganz einerlei. Er kommt
heran, unwiderstehlich und kühn, fliegt zwischen den Ballonen hindurch
und fegt in abenteuerlicher Höhe über meinem Kopf hinweg. Über dem Dorfe
macht er halt! Das heißt, er legt sich in die Kurve, daß er nahezu auf
den Flügelkanten steht, und kommt, ehe die Geschütze sich neu einstellen
können, den gleichen Weg zurück. Eine ganze Lage sitzt falsch! Er
überfliegt unsern Ballon und stürzt sich auf den anderen. Man muß es
zugeben, es sind _Leute_, die da oben in den Apparaten sitzen!

Nunmehr ist aber auch die Libelle zurückgekommen. Grau und unscheinbar
sieht sie aus. Sie fliegt viel niedriger und scheint es nun ernst zu
meinen.

Der Kampf geht weiter. Die Schrapnelle platzen, und die Geschütze speien
ganze Kurven von blitzenden Dolchen in den blauen Himmel. Die Flugzeuge
suchen ein Loch, um durchstoßen zu können, um ihre Bombe anbringen zu
können mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Erfolg. Kühn und großartig
versuchen sie es wieder und wieder, man muß es ihnen lassen.

Gleichgültig und stumpf stehen die Ballone währenddessen am Himmel, als
gehe sie die ganze Sache nichts an. Sie rühren sich nicht. Sie sind wie
fliegende Elefanten, denen es gegeben ist, an Ort und Stelle in der Luft
stehen zu bleiben. Die Beobachter sitzen und telephonieren und
dirigieren, während die Geschütze feuern. Sie würden sitzen und
beobachten, wenn der Himmel über sie herabbräche. Es muß sein, und so
tun sie es, ohne überhaupt ein Wort darüber zu reden.

Die Libelle scheint, wie ich sagte, nunmehr ernste Absichten zu haben.
Sie steuert unseren Ballon kaltblütig und tollkühn an, in zweitausend
Meter Höhe, trotz des wütenden Feuers. Plötzlich platzt ein Schrapnell
unmittelbar rechts von ihr. Sie blitzt golden auf, wendet und zieht
schnurstracks nach Hause! Sie ist getroffen. Ja, die Libelle ist fertig.
Sie streckt die Flügel, so sehr es geht, aber es gelingt ihr doch nicht
mehr, über unsre Linien zu kommen. Sie muß landen und ist gefangen.

Der rasche Doppeldecker und die kleine Schwalbe, die ich immer wieder
aus den Augen verlor, setzen die Angriffe fort. Nur noch wenige Minuten,
dann kommt ein neuer, sehr rascher Doppeldecker dazu. Er überfliegt in
großer Höhe das Dorf, unsern Ballon – aber er bekommt kein Feuer. Es ist
einer von uns, ein Kampfflugzeug. Die Franzosen haben ihn gesehen, er
ist rascher und stärker als sie, es wäre Unsinn, sich mit ihm
einzulassen. Zwei von den ihrigen hat er schon ohne viele Umstände
heruntergeschossen. Ehe er noch nahekommen kann, geben sie Fersengeld.
Sie entfliehen in einer Gabel, der Doppeldecker nach Westen, die
Schwalbe nach Südwesten. Der Kampfflieger jagt in der Mitte hinter ihnen
her, um einen, wenn möglich, abzuschneiden. Die Schwalbe wird zu einem
dunkeln Punkt, der Doppeldecker zu zwei goldenen, feinen Strichen. Der
Kampfflieger verblaßt.

Nun aber bekommt er Feuer, von der Lorettohöhe herüber. Schmutziggraue
Tupfen stehen unter ihm. Es hat keinen Zweck mehr, er macht kehrt. In
toller Fahrt, brummend und summend, fliegt er über das Dorf zurück. Wie
eine Bulldogge, die ein paar Kläffer in die Flucht schlug und nun höchst
zufrieden nach Hause galoppiert. Die Schrapnellwölkchen zerfließen am
Himmel.

Im Westen, ferne, steht ein Feld safrangelber Schrapnelltupfen. Ein
später Flieger, der Feuer bekommt.

Über die Lorettohöhe steigt die erste bleiche Leuchtkugel empor. Die
Geschütze schlagen lauter. Die Nacht kommt.




                        Der gefangene Sozialist


                                                               Im Juli

„Ist der Schriftsteller hier? Er soll vortreten!“

Der Knäuel der Gefangenen kommt in Bewegung. Ein brauner,
breitschulteriger Soldat in verstaubtem, blaugrauem Mantel tritt vor.
Sein derbes Gesicht ist heiß und schmutzig, seine Hände sind hart und
groß. Sein Blick ist fragend und fest auf mich gerichtet. Er sieht aus
wie ein Soldat, ganz wie die anderen, keineswegs wie ein Mann der Feder.

„Sie sind Schriftsteller?“ – „Ja, mein Herr. Ich bin Journalist.“ – „Ich
bin ein Kollege von Ihnen und möchte mit Ihnen sprechen.“ – „Zu Ihrer
Verfügung.“

Die andern sind stumm und hingerissen vor Neugierde. Sie verlieren
vollkommen ihre militärische Haltung und verwandeln sich in Bauern und
Handwerker, die zuhören wollen und ihre Neugierde nicht verbergen. Sogar
der mit dem verbundenen Kopf ist herbeigekommen und dreht neugierig den
Hals, soweit es seine Verwundung erlaubt.

„Gehen wir ein wenig.“ Ich winke den französischen Kollegen heran, und
wir gehen in dem heißen Hofe hin und her.

„Wann wurden Sie gefangengenommen?“ – „Gestern abend. Im Labyrinth. Wir
waren in den deutschen Graben eingedrungen und wurden abgeschnitten. Wir
konnten weder vor noch zurück. Es war nichts mehr zu machen.“ – „Wie
haben unsre Soldaten euch aufgenommen?“ – Er sieht mich an. – „Sie haben
uns als Soldaten behandelt, ganz wie es bei uns zu sein pflegt, wenn wir
deutsche Gefangene machen.“

Da vorn, ganz vorn, wo Mann gegen Mann steht, lernt der Soldat den
Gegner achten. Ich sprach einen Feldgrauen, von einem badischen
Regiment, der vierundzwanzig Stunden in französischer Gefangenschaft
war. Er wurde bei einem Patrouillengang abgeknüpft. Wie es ihm drüben
erging? Es ging ihm glänzend! Die Aufnahme war die allerherzlichste. Man
brachte ihn in einen Unterstand, gab ihm Zigaretten, Kognak, Kaffee und
Suppe. Man hänselte ihn ein wenig, aber das kümmerte den Schwaben nicht,
denn er verstand keine Silbe. Es war auch nicht böse gemeint, das konnte
er sehen, alle lachten vergnügt. Ein Offizier fragte ihn, wie der
Kommandeur seines Regiments hieß? Der Schwabe weigerte sich, es zu
sagen. „Na schön,“ sagte der Offizier, „ein rechter Soldat verrät
nichts, hier, rauchen Sie!“ Dem Schwaben ging es, wie gesagt, gut.
Fußtritte und Faustschläge sind auf jeden Fall nicht die Regel.

„Waren Sie früher Soldat, oder wurden Sie erst im Laufe des Krieges
ausgebildet?“ frage ich den Franzosen und reiche ihm meine Zigaretten
hin.

„Danke!“ Er verbeugt sich leicht und sein warmer Blick trifft mich.
Seine Hand, hart und derb von Gewehr und Spaten, zittert heftig. Mit der
Wollust des Rauchers zieht er den Rauch in die Lunge und stößt ihn durch
Mund und Nase heraus. „Ich wurde im Januar eingezogen, ich bin
vierunddreißig Jahre alt. An der Front war ich vier Wochen. Soldat war
ich nie gewesen, nein. Ich war froh, daß man mich seinerzeit nicht
tauglich fand. Offen gestanden bin ich nie ein Freund von allem gewesen,
was Militär heißt. Ich bin Sozialist.“

„Sie sind Sozialist?“

„Ja, ich schreibe für sozialistische Zeitungen und Revuen.“

„Vielleicht können Sie mir dann die Stellung erklären, die Ihre
Kameraden und Parteifreunde diesem Kriege gegenüber einnehmen?“

„Das kann ich wohl, so in großen Umrissen natürlich nur. Es ist
selbstverständlich, daß wir im Prinzip gegen jeden Krieg waren. Heute
macht man uns Vorwürfe, ob mit Recht oder Unrecht, daß wir die Mittel
zur nationalen Verteidigung beschnitten. Heute ist alles anders
geworden, ohne Frage. Wer hielt diesen Krieg ernstlich für möglich?
Niemand. Zwei Tage vorher lachte man noch darüber. Ich war im Süden, in
Marseille, um die Sitten des Südens zu studieren. Nein, ich glaubte
nicht daran. Wir kämpften gegen die Wiedereinführung der dreijährigen
Dienstzeit. Wir taten alles, was in unserer Macht stand. Aber Sie, Sie
rüsteten immer weiter.“

„Glauben Sie nicht, daß wir durch Ihr Bündnis mit Rußland und England
dazu gezwungen wurden?“

„Unsere Bündnisse waren eine Folge – aber ich bin weit davon entfernt,
Ihnen und nur Ihnen allein Schuld an dieser Katastrophe zuzuschreiben.
Es wurden überall Fehler gemacht; bei allen beteiligten Völkern. Die
Völker müssen noch viel lernen! Nachdem es zu spät war und die
Katastrophe hereinbrach, waren wir natürlich verpflichtet, uns für unser
Land zu schlagen, genau wie Sie es waren. Es war zu spät. Jaurès wurde
ermordet. Aber auch er hätte das Unglück nicht mehr aufzuhalten
vermocht. Ich wenigstens glaube es nicht. Nur ein Wunder, aber es gibt
keine Wunder mehr in unserer Zeit! Alles ist fürchterlich.“

Er schweigt, und wir gehen stumm, jeder in sich versunken, über den
heißen Hof. Müde und gebückt schlürft er neben mir einher, staubig und
schmutzig, die zerknüllte Mütze unordentlich auf das schweißige Haar
gedrückt. Seine Augen sind eingesunken und verquält. Plötzlich gähnt er.
Lange und herzhaft. Und mit derselben erschöpften Miene und dem gleichen
verquälten Ausdruck in den Augen sagt er: „Ich habe eine Frau und ein
Kind. Ich werde sie wiedersehen.“ Nein, er atmet nicht auf bei diesem
Gedanken, er, der die Hölle von Arras lebendig durchschritt, hat noch
nicht die Kraft, sich zu freuen!

„Sie sind glücklicher als viele andere!“

„O ja, mein Herr, gewiß. Aber –“

Er findet, daß es zu wenig ist, was er aus diesem Leben gerettet hat,
seine Frau, sein Kind – –

Ich beginne von gleichgültigen Dingen zu sprechen, um ihn abzulenken,
von Marseille, von den südlichen Provinzen Frankreichs, aber in den
nächsten Minuten sind wir von selbst wieder beim Krieg und der Politik
angelangt. Es geht nicht anders. Unsere Debatte wird lebhafter. Langsam
finde ich mich in seinen Zügen zurecht. Ich taste mich zu seinem
früheren Gesicht durch, wie es aussah, bevor er mit Gewehr und Spaten
arbeiten lernte. Es ist weniger das Gesicht eines außergewöhnlich
klugen, als vielmehr eines aufrichtigen Menschen.

„Glauben Sie,“ frage ich ihn, „daß das Verhältnis zwischen dem deutschen
und dem französischen Volk in absehbarer Zeit wieder freundschaftliche
Formen wird annehmen können?“

Er schüttelt den Kopf und verzerrt die Lippen. „Nein,“ sagt er, „ich
glaube es nicht, leider. Ich kenne Deutschland, ich war in Stuttgart,
München, Dresden. Aber nein. Jahre, Jahre wird es dauern.“

„Veröffentlicht Ihre Regierung noch immer keine Verlustlisten? Wie kommt
es, daß Frankreich sich so etwas gefallen läßt?“

„Man klagt viel darüber. Aber man hat sich damit abgefunden. Es ist ein
Opfer wie manches andere, aber das französische Volk ist bereit, dieses
Opfer zu bringen.“

„Und wie ist die Stimmung im allgemeinen? In Paris? Im Volk?“

Er bleibt stehen. „Die Stimmung? Paris? Ich bin seit dem Januar nicht
wieder nach Paris gekommen. Seit ich an der Front bin, seit vier Wochen
habe ich überhaupt nichts mehr gehört. Wir werden hin und her geworfen
und sind seit Wochen ohne jede Verbindung mit der Heimat. Ich weiß
nicht, was in den letzten vier Wochen vor sich ging, von rein
kriegerischen Ereignissen abgesehen. Ich weiß nur, daß unser Volk mutig
ist und unerhörte Opfer bringt, weil es sein muß. Auch bei Ihnen zu
Hause wird die Stimmung ja keineswegs rosig sein, wir haben den Feind im
Lande, wir leiden mehr unter dem Krieg, das ist nur natürlich. Dieser
Krieg hat Frankreich sehr unglücklich gemacht, ich brauche Ihnen das
nicht erst zu sagen. Die Stimmung bei uns, mein Herr, soweit ich
urteilen und beobachten kann, ist – nun, sie ist keineswegs glücklich.“

Eine Viertelstunde später stehe ich vor einem gefangenen französischen
Offizier. Er ist rasiert, gewaschen und gebürstet, ein schöner junger
Mann mit edel gezeichnetem Gesicht und klaren, klugen Augen. Man
erzählte mir, daß er sich hervorragend geschlagen habe.

Klar, ohne Pose, ohne den leisesten Verdacht von Hochmut und
Provokation, im schlichtesten und natürlichsten Ton der Welt versichert
mir dieser Offizier: „Die Stimmung in Frankreich ist ausgezeichnet. Nie
war sie besser. Wir werden uns bis zum letzten Mann schlagen. Vergessen
Sie nicht, mein Herr, daß unser Heer nicht mehr jenes vom Anfang des
Krieges ist. Es ist reformiert, es wird besser mit jedem Monat!“




                      Die Grabenkämpfe bei Souchez


                                                               Im Juni

Ich habe sie gesehen und gesprochen, sie, die sich da draußen schlagen,
in den Gräben von Souchez. Sie sind in Ruhe. Heute nacht müssen sie
wieder hin. Die Straßen und Wege liegen nachts unter Feuer. Die Granaten
krachen und flammen wie Höllengeister. Da müssen sie hindurch. Dann sind
sie in Souchez. Was ist Souchez? Es ist ein Nest, ein Dorf, das niemand
kannte und das nun viele nie mehr vergessen können. Es ist gezeichnet
für immer, wie Gravelotte und Wörth. Wenn die Hölle Buch führt, so wird
sie auch den Namen Souchez eingetragen haben, denn er kann sich sehen
lassen neben den andern.

Souchez ist heute zusammengeschossen. Die Häuser verließen ihren Platz
und sprangen auf die Straße. Man räumt die Trümmer zur Seite, aber es
sind immer wieder neue Trümmer da. Durch Souchez fließt ein Bach, der
Carencybach. Die Granaten haben sein Bett zerwühlt, durch das er hundert
Jahre lang und länger friedlich rieselte und gluckste, sie haben die
Ufer zerstampft, so daß er verzweifelt sein Bett verließ und sich einen
neuen Weg durch die Granattrichter suchte. Trüb und lehmig ist er
geworden. Er verbirgt seine Geheimnisse.

Sind die Grauen durch den Schlamm gewatet, so sind sie noch lange nicht
da. Die Gräben liegen ein paar hundert Meter ab vom Dorf. Hier liegt ein
Feuerriegel. Die Erde öffnet sich und speit haushoch Feuer und Qualm. Da
müssen sie hindurch! Hier gibt es keine Annäherungsgräben, er da droben
auf der Lorettohöhe läßt es nicht zu. Übers freie Feld heißt es hier und
hinein in den Graben. Nun erst sind sie da!

Aber vorläufig haben sie noch ein paar Stunden Zeit und machen sich
keine Gedanken. Sie sind alle sauber gewaschen und gebürstet, braun wie
Nüsse, und die Hitze schält ihnen die Haut von Nase und Ohren. Ihre
Uniformen sind eine Geschichte für sich. Sie waren alle einmal grau, nun
aber sind sie verschossen, ausgewaschen und ausgeschwefelt. Bei Gott,
man sieht es ihnen an, daß sie nicht in der Etappe saßen! Der rote
Streifen der runden Mützen ist mit grauem Tuch vernäht, die Mützen
sitzen alle tief in der Stirn, so gehört es sich. Es sind Grabenleute.
Der Feldwebel aber sieht aus, als käme er gerade vom Schneider. Kein
Flecken. Seine Hände sind gepflegt, und mit dem spitzen Nagel des
kleinen Fingers zeigt er mir auf der Karte ihre Stellung. Vielleicht war
er in seinem früheren Leben Lehrer oder Kaufmann, ich weiß es nicht. Er
ist jetzt Soldat, und er ist so sehr Soldat, daß ich ihn zu fragen
vergaß.

„Hier also ist unsere Stellung. Dieser Graben.“ Es ist ein rechter
Winkel, und sein Fingernagel deutet auf den der Lorettohöhe zugewandten
Schenkel. „Wir bekamen schweres Artilleriefeuer, Wirbelfeuer, den ganzen
Tag über lag es auf dem Graben. Von sieben Uhr morgens bis neun Uhr
abends. Achtundzwanziger! Der Graben sah aus, als wenn ein Dampfpflug
ihn eingeebnet hätte. Wir sahen nichts mehr und wir hörten nichts mehr.
Wir hatten natürlich Verluste. Anders geht es nicht. Zurück gibt es
nicht! Eine 28er schlägt neben mir ein, jagt in die Höhe. Es ist nicht
so schlimm. Der Graben ist zugeschüttet. Auch ich bin verschüttet. (Er
war also verschüttet, aber keinem seiner Fingernägel hat es etwas
getan!) Niemand glaubt, daß noch ein menschliches Wesen im Graben
existieren kann. Um neun Uhr springt das Feuer zurück, hinter den
Graben, damit keine Reserven herankommen können. Aha! Es geht los! Unser
Leutnant, noch keine neunzehn Jahre alt, schreit. Es ist wie in einem
Ameisenhaufen. Überall krabbelt es. Sie kommen alle heraus. Die meisten
Gewehre sind unbrauchbar geworden. Also Handgranaten. Die Franzosen
kommen heran. Es fällt hier ziemlich ab, und sie kommen rasch herunter.
Die Handgranaten fliegen. Wir stehen hier, in den Granatlöchern, und der
Rauch ist so dick, daß keiner den andern mehr sieht. Eine neue Kolonne
stürmt. Sie denken, wir sind erledigt, aber wir, wir schreien Hurra! Wir
brüllen und johlen, ja wir jodeln und lachen. Da stutzen sie doch. Nun
aber sehe ich, daß sie von da her kommen, sehen Sie!“ Er deutet auf den
Scheitelpunkt des Winkels. Hier stoßen die beiden deutschen Gräben
zusammen, rechtwinklig, der Schenkel zur Lorettohöhe und der Schenkel
gegen die Zuckerfabrik. Man darf aber nicht glauben, daß es mit dem
Scheitelpunkt zu Ende ist! Dort ist eine Barriere, und dahinter setzt
sich der Graben fort. Dieser Abschnitt gehört den Franzosen. So ist es
hier! Aber, wie gesagt, aus diesem Abschnitt klettern die Franzosen
heraus. Er sieht sie, im Rauch, wie sie herausquellen ...

‚Ein Mann vor mit Handgranaten!‘

Nun, ein Mann geht vor, zum Scheitelpunkt, und wirft Granate um Granate
in die herausquellenden Franzosen.

„Wer war es doch gleich? Ist er nicht hier?“

„Ich war es.“

„Na, dann erzähle du!“

Es ist ein schlesischer Landwirt, ein Bauer, und seine Uniform ist
olivengrün geworden da draußen.

„Ja, also, ich nehme den Arm voll Handgranaten und pfeffere hinein, wie
es eben trifft. Sobald sie wiederkommen, schmeiße ich. Dann bin ich
fertig mit den Handgranaten, und nun heißt es: fort! Ich laufe quer über
das Feld, ohne jede Deckung. Sie schießen hinter mir her, sie treffen
mich aber nicht. Ich springe hinten in den Graben.“

Gut hat er seine Sache gemacht, man muß es ihm lassen! Hoffentlich
bekommt er das Kreuz! Er erzählt schlecht, er stottert, er schämt sich,
zu berichten, was er tat, weil alle ihn ansehen und grinsen.

„Na, nun war nichts mehr zu machen. Nun kamen sie.“ Der Feldwebel mit
den gepflegten Fingernägeln und blanken Augen blickt sich im Kreise um.
„Wer hat übrigens das Grabenstück besetzt gehabt? War das nicht die –?“

„Wir!“ Ein junger Bursche mit runden Augen, knapp zwanzig, die Mütze bis
zur Nasenwurzel, Flaum auf den braunen Backen, tritt vor.

„Warum habt ihr das Grabenstück geräumt? Ihr habt ja das Loch
aufgemacht!“ Die Augen des jungen Feldwebels blicken vorwurfsvoll auf
den Bauernjungen.

Der Bauernjunge bekommt einen roten Kopf. Er ist Soldat und hat seine
Ehre. „Wir waren zusammengeschossen, Herr Feldwebel. Der Graben war – es
war überhaupt nichts mehr da.“

Der Feldwebel wird spöttisch. „Aber das ist doch kein Grund
zurückzugehen?“

„Wir waren nur noch zwölf. Wenn wir so viel waren.“

„Zwölf? Ja, wieviel glaubt ihr denn, daß wir waren? Wenn ihr natürlich
gleich das Loch aufmacht –?“

„Wir hatten Befehl –“

„Na, schön. Bei uns gibt es das nicht. Also nun kamen sie, durch das
Loch, das die da (!) aufmachten – nun kamen sie also. Sie kamen ganz
langsam daher. Sie dachten, die Sache ist in Ordnung und es ist weiter
nichts zu tun. Aber unser Leutnant sagt sich, na, wartet mal, ihr Kerle!
Acht Mann mit Gewehr hinaus aus dem Graben! Hinaus aufs Feld. Sie
klettern und rutschen also raus und schwärmen aus und setzen sich in
Granatlöcher und fangen an zu feuern. Die Franzosen kommen in so dichten
Reihen daher, daß jeder Schuß treffen muß. Eine Schwarmlinie und eine
Sturmkolonne. Sie haben furchtbare Verluste, denken Gott weiß, wieviel
da feuern, und gehen zurück. Ja, so wurde das gemacht. Bei uns verliert
man nicht gleich den Kopf. Es waren also, wie gesagt, nur sechs oder
acht Mann. Dann kamen ein paar mehr aus dem Graben. Unterdessen hielten
wir aber den Angriff von vorn ab. Sie wären uns in den Rücken gekommen,
ja, sie waren schon im Rücken ... Maschinengewehre bauten sie schon
auf.“

„Na, also jetzt, weiter unten. Wie war es denn da weiter unten? Wer war
da weiter unten?“

Er meint in dem Graben gegen die Zuckerfabrik, der sich weiter entfernt
von dem durchbrochenen Grabenstück befand.

„Ich!“ Ein Polacke, Unteroffizier, mit grünen Augen tritt auf.

„Ihr habt den Graben gehalten?“

„Haben wir gehalten, Herr Feldwebel, jawohl. Haben wir bis zuletzt
gehalten.

Haben wir Feuer gehabt, den ganzen Tag. Haben wir gesessen und gewartet.
Graben ganz kaputt. Sind die Franzosen gekommen. Haben wir sie gesehen
kommen durch den Rauch. Haben wir geschossen, bis Gewehr heiß war. Haben
wir in Flanke geschossen. Haben wir Barrikade gebaut, daß Franzose nicht
hereinkam zu uns. Haben wir Handgranaten geworfen. Hin und her. So sind
sie geflogen, immerzu, daß Stiele in der Luft tanzen, so. Alles Rauch.
Ist Morgen gekommen. Hat Franzose einen Graben gebaut, so, hier hat er
gebaut, quer.“

Die Franzosen, heißt das, haben einen Graben vorgetrieben, der senkrecht
stand zu dem Graben des Polacken, von dem eroberten Grabenstück aus, und
im Rücken des Grabens lief, den der junge Feldwebel mit den blanken
Augen hielt.

Der Polacke fährt fort: „Haben wir gesagt, Franzose hat Graben gebaut.
Haben wir Handgranaten geworfen, immerfort. Wenn wir was sehen, daß Sand
aufgeschüttet wird, warfen wir gleich. Plötzlich bekommen wir Feuer von
Granaten. Ein paar Stunden lang, gleich furchtbares Feuer. Die Sandsäcke
fliegen. Ich war gar nicht mehr zu sehen! (Grinsen ringsum!) Plötzlich
bekommt auch er Feuer. Artillerie schießt in seinen Graben, wo er gebaut
hat in der Nacht. Jeder Schuß mitten im Graben! Jeder! Habe ich gesehen!
Französische Artillerie schießt auf unseren Graben, unsere Artillerie
schießt auf französischen Graben. Wie weit? Nicht hundert Meter! Der
Fähnrich wird verwundet. Sagt: Unteroffizier, übernehmen Sie den Zug!
Wie komm ich dazu, den Zug zu übernehmen? (Grinsen ringsum!) Nu, gut,
ich übernehme Zug. Ein Volltreffer nach dem anderen in französischen
Graben. Die Franzosen kommen näher her zu uns. Wollen Schutz suchen. Ich
steh ganz vorn. Jeden einzelnen seh ich. Peng! Weg! Sie flüchten vor
deutschen Granaten, kommen näher. Peng! Seh ich einen, trägt Verwundeten
auf dem Rücken. Peng! Beide fallen sie. Sandsäcke fliegen. Peng!
Handgranaten. Franzosen kriechen aus dem Graben. Wir schießen. Kommt die
Nacht. Schweres Artilleriefeuer auf uns. Seh ich in der Nacht Franzosen
schleichen. Ganz deutlich. Leuchtrakete geht hoch, sehe ich sie kommen.
Sie kommen nicht diesen Weg, diesen Weg kommen sie –“

Er deutet auf die Karte.

„Welchen Weg?“

„Diesen Weg!“

„Das ist ja Blödsinn!“ Man hört sofort, daß der nüchterne Feldwebel
spricht!

Der Polacke wird unsicher, gibt nach. „Diesen Weg, ja. Wir schießen. Ich
höre sie röcheln und schreien. Einer ruft. Ganz nahe. Ich verstehe
nicht, was er will. Was soll ich tun? Soll ich hinaus, ihn holen? Ich
denke, vielleicht macht er uns Schwierigkeiten (!) und werfe
Handgranate. Am Tag sehe ich ihn, es war ein Schwarzer. Er war tot. Am
Morgen wieder Granaten. Eine neben die andere. Wir müssen zurück –.“

„Was müßt ihr –?!“ Der Feldwebel, der das Zurückgehen nicht schmecken
kann!

„Wir waren nur noch _vier_, Herr Feldwebel –.“

Wem gehörte nun der Graben? Den Franzosen oder den tapferen Grauen? Das
ist die Frage. Die Wahrheit aber ist die: er gehörte niemand.

Ein anderer Grauer tritt vor, der zuweilen blinzelt und einen
eigentümlichen scharfen Blick hat. „Ich bin heute nacht draußen
gewesen,“ sagt er, „ich sollte nachsehen – Befehl. Ich kam durch den
Bach und kroch über das Feld. Es ist nichts zu sehen und nichts zu
hören. Ich steige in den zerschossenen Graben. Niemand ist hier. Tote.
Sandsäcke und zerschlagene Gewehre. Aber kein Mensch. Ich gehe bis
hinauf in die französische Sappe und hier liegt alles voller Leichen,
kein lebendes Wesen. Der Franzose hat den Graben geräumt. Daraufhin
haben wir ihn wieder besetzt.“ –

So geht es also dort zu, in den Gräben bei Souchez, wohin sie heute
nacht wieder gehen müssen. Ich habe die tapferen Grauen selbst sprechen
lassen, denn sie erzählen zehnmal besser, als ich es je könnte.




                        Der Kirchhof von Souchez


                                                               Im Juli

Der Oberst ist ein großer, breitschulteriger Mann mit ernsten,
nachdenklichen Zügen. Er trägt die Verantwortung für viele tausend
Männer, und das Gewicht auf seinen Schultern ist nicht leicht. Es könnte
ja sein, daß einer, einer seiner Feldgrauen des Nachts im Schlafe zu ihm
käme und fragte: Oberst, warum hast du nicht an mich gedacht? – Für
jeden einzelnen der Grauen, die aus allen Teilen des Reiches stammen,
muß er Sorge tragen wie ein Vater. Es ist fast zu viel für einen Mann,
der sich der Größe seiner Pflicht klar bewußt ist.

Liebenswürdig begrüßt er mich in der Halle seines Quartiers, aber der
Ernst weicht nicht aus seinem starken, wetterbraunen Gesicht. Er sagt:
„Wir haben heute nacht angegriffen. Der Ausgang des Gefechts ist noch
nicht bekannt.“

Es ist der Angriff auf den Kirchhof von Souchez. Es ist neun Uhr. Noch
nichts bekannt? Wird noch gekämpft, wie fielen die Würfel? Nur wer weiß,
wie es dort zugeht, was es mit diesen Grabenkämpfen bei Souchez auf sich
hat, kann begreifen, daß noch keine Nachricht eingelaufen ist. Dort gibt
es keine Gräben mit elektrischem Licht und einer Telephonleitung, durch
die man ohne jede Mühe glatt mit Berlin sprechen kann. Die Drähte werden
in jeder Nacht ein paarmal entzweigeschossen. Die Gräben sind
zusammengetrommelt. Es kann sein, daß zehn Leute einen Granattrichter
halten, mit einem Maschinengewehr, oder nur mit Gewehren, oder nur mit
Handgranaten, daß sie, sage ich, dieses Erdloch halten, vierundzwanzig,
achtundvierzig Stunden, bis Verstärkung kommt oder eine Sappe zum
Trichter vorgetrieben werden konnte. So sieht es dort aus. Es ist
unmöglich, den Kopf herauszustrecken, geschweige denn den Graben zu
verlassen, um Nachricht zu geben.

Souchez ist eine böse Ecke. Unsere Stellungen umklammern es in weitem
Bogen, und die Regimenter sind entschlossen, diesen Bogen, diesen
Riegel, zu halten. Keinen Meter Boden soll der Franzose haben! Zudem
böte der Besitz von Souchez den Franzosen noch größere Vorteile der
Beobachtung, als sie sie jetzt schon mit der Lorettohöhe besitzen. Ich
war oben im Fesselballon und habe es mit eigenen Augen gesehen: flach
wie eine Pfanne läge die Ebene dann vor ihnen. Um jede kleine Bodenwelle
wird dort gekämpft, um jedes Gebüsch, um jeden Straßengraben. Der
Franzose weiß recht wohl, was er will, und macht einen Vorstoß nach dem
andern. Es war ihm auf Tage gelungen, sich da und dort in unserm Bogen
festzusetzen. Südlich von Souchez, gegen Givenchy zu, hatte er seine
Stellungen vorgeschoben (das sogenannte große Franzosennest), im
Kirchhof hatte er sich festgebissen und westlich von Souchez, gegen die
Zuckerfabrik und Lorettohöhe, hatte er sich vorgewühlt (das kleine
Franzosennest).

Hin und her geht der Kampf um zerstampfte Gräben und Granattrichter.
Dieser Kirchhof von Souchez, wohlverstanden, ist über seine Ufer
getreten, genau wie der Carency-Bach, seine Mauern sind gefallen und er
wächst und wächst.

Zwischen dem 21. und 24. Juni wurde das „große Franzosennest“
ausgehoben. Es waren wütende Nachtkämpfe! Der Angriff wurde von allen
Seiten durch Sappen vorgeführt und das tiefeinschneidende Franzosennest
abgeschnürt. Damit war das große „Franzosennest“ erledigt. Ein großer
Erfolg! Ein paar Tage später – ich spreche hier nur von größeren
Kämpfen, gekämpft wird hier Tag und Nacht! – griffen die Franzosen
wütend unsere Gräben bei der Zuckerfabrik an. Aber unsere Grauen warfen
sie zurück, so oft sie kamen. Die Kämpfe wurden rasender und rasender.
Am siebenten verschwanden unsere Grauen unter einem Hagel von Stahl. Es
half nichts, sie mußten zurück und die Franzosen besetzten 800 Meter
zusammengetrommelte Gräben. Am achten warfen unsere Grauen sie wieder
hinaus, räumten Gräben und Sappen und Trichter bis auf ein Grabenstück
von 150 Metern, das der Franzose halten konnte. Die Gräben waren Ketten
von Granattrichtern geworden, man wußte oft nicht, saßen Franzosen im
Trichter drüben oder die Unsrigen. Um die 150 Meter wird seitdem
erbittert gekämpft, hin und her, Vorstoß auf Vorstoß. Zäh und toll
schlägt sich der Gegner. Die Handgranaten fliegen hinüber, herüber ...

In der Nacht vom 11. auf den 12. kam der Kirchhof an die Reihe.

Ich habe im Tagebuch eines Gefangenen geblättert. Der letzte Eintrag
lautet: „Heute ist mein Geburtstag. Wir liegen im Kirchhof von Souchez,
die Granaten schlagen ein und die Kreuze und Marmorblöcke und Gerippe
fliegen nur so in der Luft herum. Diesen Geburtstag werde ich nie
vergessen, solange ich lebe.“ Ein hübscher Geburtstag, alle Wetter! Es
ist ja immerhin schon merkwürdig, seinen Geburtstag auf einem Kirchhof
zu verbringen, aber auf einem Kirchhof unter Granatfeuer, das ist eine
Sache, die nicht oft vorkommt.

Es sind unsere Granaten, die, wie man aus dem zerweichten, verblaßten
Tagebuch des _piou-piou_ ersehen kann, den Tanz eröffnen. Sie kommen in
ganzen Schwärmen an, in Schwärmen heulender und zischender Geister, die
aus der Luft stürzen, auf die feindlichen Gräben. Sie krachen, der
Kirchhof erbebt bis hinab zu den Särgen. Schwarze und rostbraune Wolken
wälzen sich zwischen den Grabsteinen. Die Steine fliegen in die Luft,
die Blechkränze und Holzkreuze. Es wird Ernst, kein Zweifel! Bis hinab
zu den Särgen fressen sich die Granaten. Nun kommen die Bretter. Die
Toten da unten hören nichts, sie liegen in tiefem, tiefem Schlaf. Aber
dann kommen sie doch herauf, selbst die Toten erweckt dieser Lärm. Sie
kommen herauf, um nachzusehen, was es gibt. Das Jüngste Gericht, ist das
Jüngste Gericht gekommen? Konnten die Lebenden, diese Toren, die das
Geheimnis und die Weisheit da unten unter der Erde nicht ahnen, konnten
sie sich nicht einen andern Ort aussuchen, wenn sie etwas unter sich
auszumachen hatten? Schrecklich, dreimal schrecklich eine Welt, in der
man selbst im Sarge nicht zur Ruhe kommt! Die Gerippe, die sich zwischen
den Grabhügeln und Blechkränzen aufrichten, zerstieben. Weg damit! Der
Granate ist der Tote im Weg, sie sucht den Lebendigen und sie wiehert
über die anmaßende Philosophie der Skelette. Weg, fort! Sie hat nur
einen schrecklichen Willen: zu töten!

Gespenster aus der Erde, Geister aus der Luft, es ist kein Wunder, daß
das Herz des tapferen Franzosen schlägt.

Seine Leuchtraketen steigen. Hilfe! Seine Granaten tasten nach unsern
Gräben. Unsicher. Er kann das Feuer nicht mehr dirigieren. Es ist Nacht.
Der Sturm bläst und die Bäume rauschen, bis die Granate sie
zerschmettert. Seine Leuchtkugeln steigen verzweifelt. Hilfe, Hilfe! O,
jawohl, seine tapferen Kameraden, glaubt es mir, sie würden nicht zögern
zu kommen, wenn sie könnten. Aber sie können nicht! Der ernste und
nachdenkliche Oberst hat alles mit schrecklicher Genauigkeit
vorbereitet, denn er denkt für seine Söhne. Es liegt Sperrfeuer auf den
Verbindungswegen der Franzosen, furchtbares Feuer, nicht einmal ein
Engel, ein unverwundbarer Engel käme durch den Feuerriegel! Sie sind
verloren. Hier gibt es keine Wunder. Hier herrscht die Granate, Stahl,
Sprengstoffe, nichts sonst. Sie sind umzingelt.

Das Feuer schweigt. Hurra! Vier Kompanien gehen vor zum Sturm. Wie
Furien kommen sie daher. Tod oder Sieg! Es gibt nichts anderes.

Der Franzose aber ist nicht tot. Es wimmelt zwischen den Sandsäcken, es
wühlt in den Gräben. Maschinengewehre, ein Schwarm zischender
Spitzkugeln. Der schwere Fall von Männern, Handgranaten. Geschrei und
Taumeln. Pardon! Pardon! Hände strecken sich aus den Gräben und Gräbern.
Wir ergeben uns!

Der Kirchhof ist genommen!

Die Gefangenen werden abgeführt. Die Verwundeten schleppen sich davon.
Die Krankenträger tragen die Schwerverletzten. Der Tag graut. Nebel. Der
ernste und nachdenkliche Oberst geht in seinem Zimmer hin und her und
wartet auf Botschaft.

Der Kirchhof hat neue Gäste bekommen. Was sind dagegen die paar Toten,
die in ihrer Ruhe gestört wurden!

Hier liegen tausend Franzosen, hier liegen Feldgraue, alle Söhne von
Müttern – –

„Der Kirchhof von Souchez ist erobert.“ Eine Zeile. Die Leute sagen: Nun
ist der Kirchhof von Souchez wieder genommen worden, Gott sei Dank! Sie
denken sich nicht viel dabei, sie ahnen es nicht –!

Es ist möglich, daß die Franzosen wieder ein Regiment opfern, um den
Kirchhof zurückzugewinnen, es ist sicher, daß wir ihn dann wieder
stürmen werden. So ist es hier.

Wir haben den Riegel um Souchez vorgeschoben, wir haben ihn fester
geschweißt, die Feldgrauen schweißten ihn fester mit ihrem roten Blut.

Die Gefangenen marschieren durch Souchez. Die Überlebenden aus dem
Kirchhof! Auch das Geburtstagskind ist darunter, er hat Glück gehabt,
diesen Geburtstag zu überleben. Schwerverletzt liegt der französische
Kapitän auf der Bahre. Noch sind sie keineswegs in Sicherheit, denn die
französischen Granaten fegen in das Dorf. Aber sie hoffen wieder. Die
Sonne geht auf.

Ich treffe den ernsten Oberst wieder. Die Gefangenen stehen in Reih und
Glied. Er mustert sie schweigend. Er spricht kein Wort. Wozu? Ich trete
an ihn heran, grüße und beglückwünsche ihn zu seinem Erfolg.

Er nickt. Ein höfliches Lächeln. Aber sofort ist sein starkes Gesicht
wieder ernst und voll schwerer Gedanken. Viele seiner Söhne, für die er
sorgte wie ein Vater, sind nicht wiedergekommen, zwei seiner tapferen
Kompaniechefs sind gefallen!




             Die Überlebenden aus dem Kirchhof von Souchez


                                                               Im Juli

Die Tür öffnet sich und herein tritt ein französischer Unteroffizier in
blaugrauer Uniform. Er klappt die Stiefel zusammen und legt salutierend
die Hand an die Mütze. Ein junger Mann von vier-, fünfundzwanzig Jahren,
mit blondem Schnurrbärtchen und blauen, blanken, flachen Augen, schlank
und geschmeidig. Seine Haltung ist nicht preußisch stramm, nein, aber
sie ist militärisch ordentlich und drückt ebensoviel Selbstachtung wie
Respekt vor dem Offizier aus, der das Verhör leitet. Seine Kleidung ist
sauber, und niemand käme auf den Gedanken, daß er aus einem
zusammengeschossenen Graben kommt. Er gehört zu jener Klasse von
Pedanten, die immerzu bürsten und kein Stäubchen sehen können, ohne
krank zu werden.

Hinter ihm tritt ein gewöhnlicher Soldat ins Zimmer, gut ausgepolstert
mit Wollsachen, dunkeläugig, mit schwarzen Haaren und einem dünnen
schwarzen Bart ums Kinn. Auch er grüßt, aber er nimmt es nicht so genau.
Er hat Fett angesetzt in den Gräben, blickt gutmütig und gleichgültig
umher, und ich wette, daß er zum weitverbreiteten französischen Orden
der „Jemenfoutisten“ gehört.

„Nehmen Sie, bitte, Platz!“ sagt der Offizier und ladet die Gefangenen
höflich ein, sich zu setzen. „Sie wurden beide im Kirchhof gefangen
genommen?“

„Ja, mein Offizier.“

„Der Kampf war sehr erbittert?“

„Er war äußerst heftig!“ Der Dunkle nickt nur und schiebt die Unterlippe
bezeichnend vor. Ihm war der Kampf sicherlich heftig genug.

„Erzählen Sie, wie er vor sich ging.“ Der Blonde erzählt: „Trommelfeuer,
heftige Teilangriffe, Umzingelung, zuletzt ein wütender Sturm der
Deutschen.“

„Sie lagen da und da in Reserve, Sie gehörten zum X. Korps?“

„Ich weiß nicht, zu welchem Korps wir gehörten. War es das X.?“

Der Dunkle: „Ja, zum X. Korps.“ Er ist viel klüger und weiß, daß der
verhörende Offizier über diesen Punkt genau orientiert ist.

„Haben Sie am 7. Juli Joffre gesehen?“

„Joffre?“

„Ja. Er war am 7. Juli in Caucourt und hielt eine Ansprache an die
Truppen, in der er ihre Tapferkeit lobte.“ Zum Dunklen: „Haben Sie
Joffre gesehen?“

„Nie in meinem Leben.“ Der Dunkle legt, wie man aus seinem Ton hören
kann, darauf auch nicht den geringsten Wert.

„Welche Meinung hat die Truppe vom Generalissimus?“

„Man denkt, daß er sehr gut ist.“

„Sie schießen in der letzten Zeit weniger. Haben Sie Artillerie
herausgezogen oder haben Sie Mangel an Munition?“

„Ich bin nicht im geringsten über die Artillerie unterrichtet.“

Auf eine Reihe von Fragen antworten sie ausweichend. Auf dem fleischigen
Gesicht des Dunkeln liegt ein pfiffiges Lächeln.

Der verhörende Offizier dringt nicht weiter in sie. Er springt ab:
„Welchen Beruf haben Sie?“

Der Blonde: „Ich bin _cultivateur_ (Landwirt). Ich habe das Seminar
besucht und dann den väterlichen Besitz übernommen.“

Der Dunkle: „Ich arbeite im Versicherungsgeschäft.“

„Welche Art Versicherungen?“

„Lebensversicherungen, Feuer, Unfall, Diebstahl, alles, was Sie wollen.
Ich lebe in Paris.“

Ah, dachte ich es nicht gleich? Ich sehe ihn vor mir in dunklem Gehrock,
den Zylinder auf dem pomadisierten Scheitel, das Bärtchen gewichst, die
Mappe unterm Arm, ein bißchen verstaubt und verschwitzt, den kleinen
Pariser Beamten. Wie er würdevoll und großartig in ein bescheidenes
Restaurant tritt, an den Speisen herumkritisiert und über Zugluft klagt.
Aus diesem Grunde ist er auch jetzt, im Sommer, so mit Wollsachen
ausgepolstert.

„Seit wann sind Sie im Felde?“

„Seit dem Anfang,“ erwidert er mit einem bedeutungsvollen Blick.

„Wünschen Sie Zigarren? Wünschen Sie Tee?“ fragt der Offizier.

Die Gefangenen stecken sich Zigarren an. Tee lehnen sie ab, da sie erst
Kaffee getrunken hätten.

Zigarren? Tee? Ich sehe es zornrot werden, das feiste Gesicht des
biedern Bürgers hinter seinem Schoppen. Zigarren, Tee!? Man sollte –!! O
nein. Ich empfehle ihm vierundzwanzig Stunden Lorettohöhe, nicht mehr,
vierundzwanzig Stunden, und er wird den rechten Ton finden! Ich sah
einen General einen gefangenen Offizier grüßen. Er grüßte ihn mit
besonderer Aufmerksamkeit und Achtung, er grüßte den tapfern Gegner in
ihm, die französische Armee. Dieser Krieg wird mit solch unsäglicher
Erbitterung geführt, man schlägt sich die Schädel mit Spaten ein und
erlaubt einander nicht, seine Toten zu begraben, daß man diese
Ritterlichkeit dem gefangenen Gegner gegenüber nicht hoch genug schätzen
kann. Auch der Franzose wird ja nicht ganz seine Traditionen verleugnen!
Übrigens, das nebenbei, gibt es in diesem entsetzlichsten aller Kriege
selbst während des Kampfes noch Beispiele von Ritterlichkeit, bei uns
und auch bei ihnen. Nur eines: der Gegner stürmt, der Sturm ist matt,
die Hälfte ist im Graben geblieben, die andre Hälfte flutet im Feuer
zurück. Ein Offizier stürmt ganz allein weiter. Plötzlich schweigt das
Feuer. Der Offizier stutzt, sieht sich um, senkt resigniert den Degen
und geht langsam, ganz langsam zu seinem Graben zurück. Keiner unsrer
Grauen schoß, es bedurfte nicht erst eines Befehls. Also, mein Lieber,
nicht: man sollte –! Laß sie nur machen, sie wissen schon, was sie tun
müssen, denn, siehst du wohl, sie waren da oben auf der Lorettohöhe! –
Doch das gehört nicht hierher.

Sie rauchen also und wir plaudern. Der Blonde liest „La Croix,“ eine
katholische Zeitung. Der Pariser liest alles, was er in die Hand
bekommt. Der Blonde ist der Ansicht, daß das religiöse Gefühl des
Soldaten sich vertieft habe, aber der Pariser zweifelt daran, sehr stark
sogar. Priester gibt es ja genug bei ihnen, das sei wahr, jedes Regiment
habe seinen Priester, und die Priester kommen in die Gräben, bei
stärkstem Feuer, trösten, beten und leisten Beistand, wo es nötig ist.
Die Verpflegung ist ausgezeichnet, und die Post funktioniert glänzend,
wenigstens jetzt funktioniert sie überraschend gut. Sie kommen viel in
Ruhe. Jedes Regiment stürmt meistens nur einmal, dann hat es lange
nichts Besondres zu tun. Über die Engländer wissen sie nichts. Sie tun
ihre Pflicht, wenigstens wären alle Franzosen dieser Überzeugung. Von
den Italienern hätten sie sich von Anfang an nicht viel versprochen.
Lieber Friede als Krieg, natürlich, aber man schlage sich, solange es
sein müsse. _La guerre, oui, cette guerre, oh lala!_ Es sei kein Krieg
mehr, sondern eine schreckliche Schlächterei, _une terrible boucherie_,
möchte man sagen. Aber wie gesagt, man schlage sich, sie und wir,
natürlich, solange es eben sein müsse, bis einer einmal sage: Halt! Sie
bekämen alle Nachrichten sehr rasch. „Lemberg“ haben sie einen Tag
darauf gehört. Sie glauben nicht an die monströsen Geschichten, die ihre
Zeitungen ihnen auftischen, von geschlachteten Kindern und ähnlichen
Dingen – nein, daran glauben sie nicht, denn, bei Gott! – Der Pariser
lacht und hustet – sie haben ja jetzt die intime Bekanntschaft der
deutschen Soldaten gemacht: fürchterlich im Kampf, aber sonst ein guter
Bursche. –

Die Gefangenen löffeln im Schulhof die Abendsuppe. Der Hof ist klein,
und sie müssen in zwei Schichten essen, wie im Speisewagen, wenn der Zug
überfüllt ist. Es sind über zweihundert, die den Kirchhof lebend
verließen. Die großen Kessel dampfen. Sie schöpfen, schlürfen und
löffeln. Sie sind ganz bei der Sache und beachten uns nicht. In ihren
blaugrauen weiten Rockmänteln, die trotz der neuen Farbe immer noch
etwas an Maskerade erinnern, schlürfen sie mit den Suppennäpfen hin und
her, die stille selige Gier in den Augen, sich zu sättigen. Das Regiment
(Jäger) stammt aus einem südlichen Departement, und die Leute sehen
vorzüglich aus, stark und gesund. Nur zwei, drei haben ergraute
Schläfen, die meisten sind zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Der
erste Hunger ist gestillt, sie plaudern und scherzen, ganz als ob sie
noch da drüben wären. Sie kamen aus Gräbern und Särgen gestiegen, aus
dem Tod, aber man merkt ihnen nichts mehr an. Die Überlebenden aus dem
Kirchhof von Souchez sind äußerst vergnügt.

Die Posten stehen mit aufgepflanztem Bajonett. Keine Angst, sie laufen
nicht weg! Wer diesen Feuergürtel zwischen den Gräben lebendig
durchschritt, hat keine Lust mehr zurückzukehren.

Auf dem Fenstersims seines Zimmers sitzt mit gekreuzten Armen ein
gefangener Offizier. Ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren, mit
hübschem leichtsinnigen Gesicht und graublauen vergnügten Augen. Er
strahlt vor Freude, daß die Sache ein Ende hat, und es fällt ihm gar
nicht ein, uns etwas vorzumachen. Vor fünf Tagen noch war er in Lyon,
auf Urlaub. Herrliche Tage und Nächte, er hat im Graben alles eingehend
aufgeschrieben. Und sie, wie entzückend war sie! Nun also, so ist der
Krieg, jetzt sitzt er hier auf dem Fensterbrett eines kleinen
Schulzimmers.

Er trägt ein blaues Hemd, seine Brust ist offen, Kragen oder sonst eine
Binde hat er nicht. Auf seinen dünnen braunen Haaren sitzt kokett ein
blaugraues Barett, wie es die Pariser Studenten tragen, und vorn ist in
Silber ein kleines Waldhorn gestickt.

„Sie hatten das Unglück, in Gefangenschaft zu geraten,“ begrüße ich ihn.

Er zuckt lächelnd die Achsel: „Was wollen Sie? Wir waren vollkommen
abgeschnitten. Es war nichts mehr zu tun.“

„Sind Sie aktiver Offizier?“

„Ja, aktiver.“ Er spricht sogar etwas Deutsch.

Neben ihm taucht der rothaarige Kopf eines Sergeanten auf. Er blickt mit
kalten, feindseligen Augen auf mich und erinnert mich an ein
Eichhörnchen. Ich bin überzeugt, daß er die Schauergeschichten glaubt,
die die französischen Schmutzblätter über uns schreiben.

„Wie lange wird Joffre die Sache bei Souchez und Loretto noch
fortsetzen?“ frage ich den jungen Offizier. Ich weiß genau, was er
antworten wird, aber man plaudert.

„Noch lange! Wir haben noch große Reserven.“

„Wie denkt man in Frankreich über einen zweiten Winter?“

„Man ist darauf gefaßt und bereitet vor.“

„Genau wie wir. Wir haben diesmal noch dickere Mäntel machen lassen,
damit unsre Leute nicht frieren.“

„Glauben Sie nicht, daß eine Möglichkeit besteht, mit Frankreich einen
Separatfrieden zu schließen?“

Der Offizier lächelt und schüttelt den Kopf. „Daran ist nicht zu denken.
Je länger der Krieg dauert, desto mehr wachsen unsre Chancen.“

„Niemals!“ mischt sich das Eichhörnchen ein. „Niemals! Sagen Sie mir,
wer hat diesen Krieg begonnen?“

Es ist sehr unhöflich, gleich das schwerste Geschütz aufzufahren. Der
hübsche Offizier, Europäer und Gentleman, streift den Sergeanten mit
einem nachsichtigen Lächeln. Ich sage: „Sie! Man hat Sie gefragt, Sie
hätten ja aus der Sache bleiben können!“ Ich beachte das Eichhörnchen
fortan nicht mehr.

Beim Abschied fragt mich der Offizier, wann sie wohl in Deutschland sein
dürften. Ich erkundige mich. In vier, fünf Tagen.

„Schon! Dann kann ich wohl schreiben?“

„Natürlich.“

Freude fliegt über sein leichtsinniges, hübsches Gesicht. Ich weiß wohl,
an wen er schreiben wird.




    Das Schlachtfeld Arras-Souchez-Lorettohöhe vom Fesselballon aus.


                                                               Im Juli

Der Ballon wird aus dem Stall gezerrt. Er ist tot, er schläft. Aber
sobald er nur den dicken Schädel heraussteckt und die frische Luft
schnuppert, kommt augenblicklich Leben in ihn, und seine Seele kehrt
zurück. Das Wetter ist stürmisch. Bei jedem Windstoß rollt er den dicken
Leib hin und her und schleift die Feldgrauen, die wie Trauben an seinen
dünnen Fadenbeinen hängen, über den Rasen. Wie ein gutmütiger
Betrunkener, dem es ein tolles Vergnügen macht, seine Begleitmannschaft
ins Torkeln zu bringen.

„Langsam rechts einschwenken!“

Auf seinen Fadenbeinen schwankt er ins freie Feld. Er stampft auf und ab
wie ein Schleppdampfer in hoher See, er begräbt die Ameisen, die an
seinen Beinen zerren, unter sich, wälzt sich zum Spaß auf ihnen herum,
reckt sich hoch und nickt, im Winde liegend, ein paarmal befriedigt mit
dem Kopf.

Nun steht er da!

Ungeheuer komisch sieht er aus. Wie ein riesiger grauer Kofferfisch,
prall und glatthäutig, vollgefressen bis zum Platzen, das runde Maul
mitten im dicken Kopf. Unter dem feisten Leib hat er ein zweites,
sackartiges Freßwerkzeug, und damit kaut er gefräßig und gierig die
Luft. An den Seiten hat er kleine schmale Flossen und als Schwanz ein
paar aufgespannte Regenschirme. So kunstvoll er gebaut ist, scheint er
doch das primitivste Geschöpf zu sein, das sich an der Front
herumtreibt. Ein Freiballon ist eine Kugel, ein Zeppelin ein
Kriegsschiff in der Luft, aber er ist ein Tier, ein Fisch, von äußerster
Gutmütigkeit und ohne jeden Verstand. So sieht er wenigstens aus.

Die Gondel wird unter seinem Leib befestigt, er erhält ein Drahtseil
durch den Nasenring gezogen. Einsteigen! Wir turnen in den engen Korb,
der Leutnant und ich.

„Ballon langsam hoch lassen!“ Der Hauptmann schreit.

Der Luftfisch springt mit einem Satz vom Boden hoch. Er bohrt den Kopf
in den Wind, reißt am Seil und tummelt sich vergnügt, so daß der Korb
schlingert. Dann aber gleitet er ruhig in die Höhe. Er ist in seinem
Element.

Die Feldgrauen stieben strahlenförmig über das Feld, werden kleiner und
winziger, und die sechs Pferde, die die Kabelwinde ziehen, werden zu
einem Spielzeug. Das kleine Dorf wird zu einer Honigwabe. Wir steigen
rasch.

Sonderbar, dieser Ballon, niemand versprach sich viel von ihm im Kriege.
Er diente im Manöver dazu, das Signal: „Das Ganze halt!“ zu geben, das
war so ziemlich seine Hauptrolle. Er war nur Statist. Die Flieger
sollten die ganze Arbeit leisten. Er war eine veraltete Sache, die man
nur, weil man sie hatte, ins Feld mitschleppte. Aber in diesem Kriege,
in diesem Stellungskriege ist er zu ungeahnten Ehren gekommen. Überall,
an der ganzen Front entlang, sieht man ihn am Himmel stehen! Wo Schneid
und Intelligenz zusammengehen wie bei der Luftschifferabteilung, bei der
ich zu Gaste bin, wird er zu einer furchtbaren Waffe.

Man steigt mit ganzen Kanonen von photographischen Apparaten hoch und
photographiert die kleinste Falte im Antlitz des Feindes. Der Flieger
rast mit hundert und mehr Kilometern dahin und hat nicht die Muße wie
der Mann im Ballon. Der Ballon steht still. Er steht stundenlang da,
tagelang, und wenn der Beobachter auch seekrank wird, er bleibt oben.
Der Ballon ist das Auge der Artillerie, er beobachtet Kolonnen,
Bewegungen des Gegners, das Aufblitzen feindlicher Geschütze, er
dirigiert das Feuer der eignen.

Er ist, wie gesagt, eine ganz gefährliche Sache, und aus diesem Grunde
hat er seine Feinde. Schrapnelle und Granaten tasten nach ihm. Gottlob
treffen sie selten. Der Ballon geht tiefer oder höher, oder er reißt mit
seinen sechs Pferden überhaupt aus. Sein kritischer Augenblick ist die
Landung. Aber seine erbittertsten Gegner sind die Flieger, die
Konkurrenz. Sie kommen in ganzen Schwärmen. Mein Begleiter, der
Leutnant, wurde neulich von drei Flugzeugen gleichzeitig angegriffen,
aber er riß nicht aus, fiel ihm gar nicht ein. Den Hauptmann besuchte
neulich ein ganzes Geschwader, er bekam vierundfünfzig Bomben, aber er
blieb oben in seinem Korb und beobachtete.

Es gehören _Leute_ dazu!!

Wir steigen und steigen, und der Wind pfeift hier oben, daß mir das
Wasser aus den Augen läuft. Die Landschaft wächst, die Welt ist
plötzlich viel größer geworden.

Aber diese ganze Landschaft da unten, von Nordwest bis Südost, ist ein
einziges riesiges Schlachtfeld, auf dem sich zwei Völker zerfleischen,
weil das Schicksal es so will. Zwei Völker, die Kathedralen haben,
Universitäten, Museen, Konzertsäle, Hospitäler, Sprachen, die den
erhabensten Gedanken Ausdruck zu verleihen vermögen, die Männer
hervorbrachten, die wie Fackeln über der Welt leuchten, zwei Völker, die
Gedanken geboren haben, die die Welt regieren! – Nun liegen sie einander
gegenüber in Erdlöchern, den Willen gespannt zum Töten, ihre Geschütze
pochen und stampfen. Die Granatwolken wälzen sich in den Feldern, hier,
da, dort, sie steigen aus den Dörfern, wohin man blickt. Und kein
Mensch, kein Eisenbahnzug, kein Wagen ist zu sehen, keine lebende Seele
weit und breit. Der Mensch hat sich vor dem Menschen verkrochen.

Das Licht ist kalt wie im September. Graue Wolken jagen dahin. Müde
Sonne wechselt mit dunklen Wolkenschatten. Strichweise sieht die
Landschaft aus wie durch ein gelbliches Glas gesehen, gealtert, zermürbt
und zerknittert, müde des endlosen Mordens und Krachens der Granaten.
Wie das Gesicht eines Schlaflosen. Strichweise friedlich und
unbekümmert. Schornsteine rauchen in der Ferne, die Zechen, die der
Franzose noch in Händen hat. Friedliche Weiler und Dörfer, von der
schwachen Sonne beleuchtet. Aber plötzlich tanzt eine graue Wolke auf
den Dächern, wieder eine, da, dort. Dörfer, die der Franzose befunkt, um
seine Männer und Weiber zu töten. Lievin, Angres, Givenchy. Sie kauern
geduckt neben Anhöhen in Wäldchen, aber die Granate findet sie doch.

In der Mitte liegt breit die Lorettohöhe, die verfluchte! Das Bois de
Bovigny sitzt wie der Kamm eines Hahnes darauf. Der Wald ist dunkel, die
Höhe selbst hell, gelbgrün wie Heide und unbestellte Felder. Von der
Spitze des Waldes zieht quer über die Höhe eine breite lehmfarbene
Schleifbahn bis hinab in die Talmulde, eine klaffende Wunde in der Höhe:
das sind unsre Gräben, die der Franzose im Mai zusammenschoß. Weiter
unten zieht, entlang der Talmulde, eine schmälere, neue Schleifbahn: das
sind die heutigen Stellungen. Man erkennt sie sofort, denn graue und
rostrote Granatwolken stehen darauf und wälzen sich im Winde.

„Sehen Sie das weiße Schloß?“ sagt der Leutnant. „In der Waldkuppe
rechts von der Lorettohöhe. Dort! Das ist Schloß Noulette. Weiter hinten
sehen Sie eine Ferme. Ferme Marqueffoes. In französischen Händen. Im
Bois Bovigny sehen Sie zuweilen einen gelben Streifen. Der französische
Annäherungsgraben. Auf dem Abhang dort neben der Baumgruppe stehen
französische Batterien.“

Wir sehen alles, wir lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch.

Die Lorettohöhe wird flacher und flacher. Souchez erscheint, Rauch und
Dunst liegt darüber, Ablain, die „Kanzel“, die unsre Grauen wie Teufel
verteidigt haben. Das Hinterland taucht empor, Waldstreifen,
Feldstreifen, ferner und ferner, bis zum Horizont.

Links versinkt die Vimyhöhe, die wir halten, und in der beschatteten
Talmulde dahinter taucht ein Düster von Häusern auf mit einem fahlen
zweitürmigen Dom in der Mitte: _Arras_! Es sieht aus wie ein Grab. Die
Kathedrale wie der Schemen eines Domes. Sie geriet vor einigen Tagen in
Brand, und ihre Turmspitzen sind zusammengestürzt. Sie erscheint nahezu
weiß, aus welchem Grunde weiß ich nicht, wie der Geist einer Kirche
steigt sie aus der toten, düstern Stadt empor.

Auch hinter der Vimyhöhe, bis gegen Arras stehen kleine Granatwolken,
sie tanzen wie Gespenster an der ganzen langen Front entlang. Unter uns
fährt aus der düstern Landschaft da und dort ein Feuerdolch: unsre
Geschütze, die feuern.

Wir sind 400-500 Meter hoch und geben Flaggensignal. Langsam steigen wir
herunter. Wie ein störrisches Pferd am Halfter muß der Ballon zur Winde
gezogen werden. Über dem Boden wälzt er sich ein paarmal hin und her,
dann steht er still.

Ich steige aus. Im nächsten Augenblick schon jagt er wieder mit dem
Beobachter in die Höhe.




                            Der Argonnerwald


                                                               Im Juli

                                    „_Moi, je suis tombé dans un sale
                                    coin, je suis aux Argonnes._“

                                      Aus dem Briefe eines Gefangenen.

Es regnet in Strömen. Das Wasser wird in Fässern aus den bleigrauen
Wolken geschüttet, die niedrig über die Wälder ziehen. Die Bäume brausen
im Wind und schütteln Wasserfälle aus ihren Kronen. Die Wege sind Lehm,
Bäche stürzen über die Abhänge. In den Unterständen sind die Öfen
geheizt.

Es ist der Argonnerwald, wie er leibt und lebt. Er verstellt sich nicht
und zeigt sein wahres Gesicht. Es ist ein Wald wie der Spessart und die
böhmischen Wälder, ein Wald für Köhler, Räuberbanden und Wildschweine.
Der Wald hat seine Gegenwart, das ist nicht zu leugnen, der Wald hatte
seine Vergangenheit, das ist sicher. Man ging hinein und verschwand, man
schlug das Kreuz und war tot. Im Dickicht lauerte der Mörder. Es gibt
hier Stellen, die sonderbare Namen tragen: _la fille morte, l’homme
mort_. Es wird wohl seine Bewandtnis damit haben! Aber diese ganze
düstere Räubervergangenheit des Waldes ist ein Idyll gegen heute, eine
Schäferszene, das sage ich gleich! Welche Zeit könnte sich in diesen
Dingen überhaupt mit der unsrigen messen? Wir haben alles glatt
geschlagen ...

Wir steigen in einen Rollwagen, ein total zerweichtes Pferd mit einem
total zerweichten Reiter darauf wird vorgespannt und wir rollen los,
höher und tiefer in den Wald hinein. Der Regen strömt, Roß und Reiter
verschwinden zuweilen in einer Wasserblase. Ich bin durchnäßt bis auf
die Haut, dieser verfluchte Argonnenregen geht durch den Gummimantel,
und friere wie ein Hund.

Dieser Wald ist kein Wald für Menschen! Er ist dreistöckig. Hohe Bäume,
zumeist Eichen, vereinzelt, dann das Unterholz, junge Eichen, Buchen,
Birken, Erlen, dicht beisammen, und unter ihnen Gestrüpp: Brombeeren,
Dornen, Farnkräuter, Ginster, Schlingpflanzen, ein natürlicher
Drahtverhau, wie er heimtückischer nicht angelegt werden könnte. Es ist
ein Wald für einen haarigen, gorillaartigen Waldteufel, der mit einem
Prügel in der Faust durchs Dickicht kriecht und Lehm frißt. Der Mensch
betritt ihn mit Grauen im Herzen.

Das zerweichte Pferd streckt die glänzenden Schenkel, tastet durch Lehm
und Wasser. Zuweilen wird es abgehängt, dann rollen wir mit eigner Kraft
über wacklige Schienen hinunter. Dann geht es wieder bergan. Ist es
möglich, daß es noch stärker regnet? Ja, bei Gott, es ist möglich! Wir
fahren in einer Wasserhose. Vor uns kriecht eine Batterie von
Gulaschkanonen, von Pferden gezogen wie wir. Kommt ein Taleinschnitt, so
rollen alle vier Gulaschkanonen mit eigner Kraft hinab und wir
hinterher. Wir begegnen einem Transport von leeren Minenkörben,
meterhohen Zuckerhüten aus Ruten geflochten. Der Transport muß
rangieren, damit wir vorüber können. Auf die Feldküchen klatscht der
Regen. Die Leute haben Zeltbahnen um die Schultern gehängt, aber es
hilft nicht viel. Station. Ein durchnäßter Grauer tritt an unsern
Rollwagen und meldet: „Station Rixdorf, belegt mit zwei Telephonisten!“
Ordnung muß sein. Ein Transport kommt zu Tal. Sie stehen aufrecht im
Wagen. Sie sind müde und erschöpft. Ihre Arme und Köpfe sind verbunden.
Es sind Verwundete aus den Gräben da oben. Der Wald frißt, der Wald
frißt, der Wald frißt täglich Menschen! Einer liegt, mit einer
Pferdedecke zugedeckt. Man unterscheidet nur die Formen des Mannes. Der
Regen fegt auf die Verwundeten herab, aber sie kümmern sich nicht darum.
Und er, der unter der Decke, der liegt und sich nicht regt, ihm kann der
Regen, alle Mächte der Hölle können ihm nichts mehr anhaben ...

Unser Pferd streckt die Schenkel. Es geht bergan. Nasse Zweige gießen
ihr Wasser über uns aus. Der Wald poltert. Die einschlagenden Granaten
krachen wie Donnerschläge.

Eine halbe Stunde währt die Rollwagenfahrt, eine Stunde. Wir steigen aus
und schütteln uns wie Hunde, die aus dem Wasser kommen.

Wir gehen quer durch den Wald. Die Wege sind hier mit Knüppeln
gepflastert, ein Knüppel hübsch neben dem andern, peinlich genaue
Arbeit, anders wäre es nicht möglich, hier einen Schritt zu machen.
Granattrichter. Zerschossene Bäume. Mannsdicke Eichen, die Granate traf
sie in der Mitte, zerriß sie und warf sie aufs Gesicht. So liegen sie
nun da und sterben. Hier gibt es sonderbare Hünengräber, mitten im
Walde, Stein- und Erdhügel. Blickt man aber näher hin, so sind es
Batterien. Die grauen Kanonen stehen darin, anständige Kaliber! Sie
feuern glatt durch Laub und Zweige hindurch. Wir steuern ein Hünengrab
an und steigen in die Erde hinein. Wir klopfen und treten ein. Hier
brennt die Hängelampe, obschon es elf Uhr vormittags ist. Ein Mann in
einer Wollweste empfängt uns. Hier hausen Pionieroffiziere, Leute von
Welt. Sie haben gute Laune, Kognak und einen herrlichen heißen eisernen
Ofen, der sofort zischt, wenn man ihm nahe kommt. Sie hausen hier schon
– tuh, tuh, das Telephon tutet: ein Stollen im Graben so und so, wird
gemacht – sie hausen hier schon seit Ende September! Unter der
Balkendecke, zwei Meter Schotter darüber, ein paar Schlafkojen. Urlaub,
nein, Urlaub nahmen sie noch nicht. Sie haben keine Lust, sie sind hier
nötig. In den Gräben arbeiten sie, ganz vorn, in den Minenstollen. Was
sie tun, davon will ich später einmal berichten. Ihre Gedanken, ihre
Pläne, ihre Frauen – alles haben sie hingegeben, mag es kommen, wie es
will, sie werden auf ihrem Posten stehen. Unvergeßlich sind sie, jung
und stark und kühn.

Es gießt noch immer. Düster und unheimlich rauscht der Wald. Es ist ein
Wald der Unterwelt, erfüllt von einem schauerlichen und nie gehörten
Lärm. Er hustet, das furchtbare Husten eines Unholds, der in den
Schluchten haust. Er lacht heiser und keuchend wie ein Teufel, dem etwas
schrecklichen Spaß macht. Riesenspechte klopfen. Es kracht wie ein
schwerer Schmiedehammer, den nicht Menschen, sondern Zyklopen bedienen.
Sie fluchen zur Arbeit, rufen und poltern. Zuweilen nehmen sie die Axt
und schlagen, eins, zwei in den eisenharten Stamm der Eiche, daß die
Berge hallen. Die Eiche schlägt krachend hin. Man hört, wie die Zyklopen
die Eiche zerknacken zwischen ihren Fäusten und ins Feuer werfen, daß es
prasselt. Das alles hört man ganz genau, aber man sieht die Einäugigen
nicht. Dann und wann streicht ein Gespenstervogel unsichtbar und klagend
über die brausenden Wälder. (Eine Granate.) Ja, Gott stehe mir bei,
dieser Wald ist keineswegs gemütlich.

Aus dem Dickicht tritt ein Mensch. Seine Stiefel sind voller Lehm, seine
Kleider naß und schmutzig. Am Gürtel hängen Flaschen und Säcke und
Ledertaschen, auf dem Rücken das Gewehr. Sein Gesicht ist schwarzbraun,
schmutzig und verwittert. Die Augen stehen wie _Lampen_ darin. Es ist
ein Feldgrauer, der aus den Gräben da oben kommt. Die „Argonnentype“,
wie sie leibt und lebt. Die Argonnentype grüßt, so nebenher, grinst beim
Anruf und verschwindet im Regen. Sie sind es, die diesen höllischen
Spektakel machen, keine Zyklopen, sondern kleine Menschen.

Plötzlich hört es auf zu regnen. Die Sonne bricht heiß durch die Wolken.

Wir treffen, bei seiner Batterie, einen Oberleutnant, Jurist, auch er
lebt seit dem Herbst im Walde. Aber der Wald konnte ihm nichts anhaben,
elegant sieht er aus und seine schmalen Hände sind gepflegt. Zusammen
mit ihm klettern wir in den Wipfel einer Eiche empor. Die Eiche braust,
und wir schwanken, oben angelangt, wie Äste hin und her. Wir blicken
über den Wald!

Drüben liegt die Kuppe von Vauquois. Bis zum Kamm gehört sie uns. Dicht
dahinter liegt der Franzose. Im Tal das Dorf Boureuilles. Mit bloßem
Auge sieht man die Drahtverhaue der Franzosen, sie liegen im Tal hinter
dem Dorf. Nach rechts aber, über dem Walde, liegt die berühmte _Höhe
285_, die unsre Tapfern vor acht Tagen stürmten.

Die Höhe ist braun und kahl! Es ist dem Menschen hier gelungen, den Wald
weithin auszuroden, das muß man sagen. Die Bäume sind zerschmettert,
liegen durcheinander, verkohlt und zerschossen, das Unterholz ist
gänzlich verschwunden. Die Erde ist aufgewühlt. Gräben, Sappen,
Sprengtrichter. Die Kuppe ist in hundert Risse geborsten. Ein
Maschinengewehr bellt, die Gewehre husten. Ohne Pause wird da oben
gekämpft. Ein schweres Geschütz feuert. Es kracht wie ein Donnerschlag,
und das Echo poltert in den Schluchten.

Ziehe die Luft ein, riechst du es nicht? Es riecht wie in den Gängen
eines Hospitals. Es riecht nach _Chlor_ und allen möglichen Dingen.
Diesen Geruch habe ich schon heute morgen verspürt, als wir uns dem
Argonnerwald _näherten_. Dieser ganze Wald, trächtig von Feuchtigkeit,
Erde und Wurzeln, hat diesen sonderbaren Geruch angenommen. Er stammt
von den Gasbomben der Franzosen, von den Gasen der stündlich
einschlagenden Granaten, von den Massengräbern, die mit Chlorkalk
zugeschüttet sind.

Fürchterlich, dreimal fürchterlich muß es hier zugegangen sein! Der Wald
hat seine Geschichte, und sie ist schrecklich wie die Geschichte wilder
Meere. Heute noch findet man im Dickicht verstreut Leichen und Skelette.
Man sieht in den Gebüschen einen Soldaten, das Gewehr im Anschlag, man
ruft ihn an, er antwortet nicht. Er ist tot und in seiner letzten
Stellung von den Dornen festgehalten worden. Man mußte sich den Weg
bahnen wie in einem Urwald. Man bekam Feuer aus nächster Nähe. Man sah
keinen Feind. Der Franzose saß auf den Bäumen, mit Maschinengewehren saß
er oben. Man hörte den Gegner sprechen, die Offiziere Befehle erteilen,
aber man sah nichts, rein nichts. Man grub sich gegenüber ein, schoß das
Dickicht mit Maschinengewehren ab, um Luft zu bekommen, drang vor – der
Feind zog sich zehn Schritt zurück, und es war die alte Sache. Es war
ein Indianerkrieg und die Argonnen bilden ein Kapitel für sich in der
Geschichte dieses Feldzuges. Hier gab es keine Pausen, keine Ruhe, hier
wurde erbittert gekämpft, Tag und Nacht, viele Monate hindurch, und das
Wasser in den Gräben stand häufig bis zur Hüfte. Man lag sich und liegt
sich an manchen Stellen zehn Schritt gegenüber, ein lautes Wort bedeutet
den Tod. Handgranaten, Minenstollen und Wurfminen.

In den letzten Wochen fanden hier wütende Gefechte und Schlachten statt,
am 2. Juli, am 14. Juli – doch davon später. –

Ein Knüppelweg führt ins Tal hinab. An einer verborgenen Stelle wartet
unser Auto. „Hat er hergeschossen?“ Nein – na, also los!

Wir fahren eine Strecke in Sicht des Feindes, wir jagen in eine
zerschossene und zerstörte Stadt hinein. Sie erinnert an eine zerfallene
italienische Ortschaft. Es ist Varennes. Jene Stadt, in der Ludwig XVI.
mit seiner Gemahlin auf der Flucht erkannt und festgenommen wurde.
Varennes ist ständig unter Feuer. Das Auto beginnt wie toll zu jagen. Es
fegt eine schnurgerade Chaussee hinab in einem Höllentempo. Eile tut
hier not, denn wir fahren in etwa 1000 Meter Entfernung an den
feindlichen Stellungen vorüber, und es ist eine Anfängeraufgabe, uns
hier abzuschießen. Die Höhe von Vauquois, die Kirche von Montfaucon,
oben auf einem Berge in der Abendsonne. Ein paar Granatfahnen rauchen
aus Apremont, während wir vorüberfliegen. Neben der Chaussee sind Serien
von Granattrichtern. Sie sind ganz frisch, die Erde liegt noch locker
und feucht. Der Abendsegen. –




                       Die Kämpfe in den Argonnen


                                                               Im Juli

                                    „_Les Argonnes, c’est l’enfer!_“

                                                Aus dem Tagebuch eines
                                              französischen Offiziers.

Am 20. Juni begann die Sache in den Westargonnen, am 2. Juli war sie zu
Ende. 37 Offiziere gefangen, 2700 Mann! 100 Minenwerfer, 28
Maschinengewehre, 5000 Gewehre und 30000 Handgranaten! 1600 tote Feinde
bestattet! Es ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann!

Man muß im Auge behalten, daß es sich hier um Waldkämpfe handelt. Der
Franzose hat Erdwerke angelegt, Festungen unter der Erde. Er hat
Blockhäuser in die Erde gerammt, jedes ein Fort. Die Dachkante ragt aus
dem Boden, nichts sonst. Schießscharten, Maschinengewehre, Drahtverhaue
vor den Gräben, eine Schlucht mit einem Wassergraben. Wenn ich sage, wie
der Argonnenkämpfer stürmt, so wird man alles begreifen: den Stahlschild
vorgehalten, Handgranaten am Gürtel, Handgranaten in der Faust, das
Gewehr auf dem Rücken und die Gasschutzmaske vor dem Gesicht – so geht
er vor! Es ist kein Spaziergang, o nein! Es ist keineswegs wie auf jener
Photographie, die eine Berliner Zeitung kürzlich brachte und die einen
„Sturmangriff in den Argonnen“ vorstellen sollte. Mit dem aufgepflanzten
Bajonett läuft da eine Kolonne gegen einen idyllischen Waldrand an. O,
hoho! Es ist mehr als kindisch, es ist eine Schmach. Der Argonnenkämpfer
wird sich totlachen über den naiven Schwindel, wenn er das Bild zu sehen
bekommt.

Am 20. Juni, wie gesagt, fing es an. Die Minenwerfer begannen ihre
höllische Arbeit und deckten die französischen Gräben und Verhaue zu.
Die Granaten hagelten herab. Los! Die Pioniere sind die ersten. Mit
Drahtscheren gehen sie vor, mit Brückenstegen aus Knüppelholz gezimmert.
Sie stürzen nieder, auf, die Stacheldrähte zerfetzen ihnen die Kleider,
vorwärts! Der Kampf ist im Gange. Hier kämpft Gruppe gegen Gruppe, Mann
gegen Mann, die Handgranaten krachen. Um jedes winzige Grabenstück, um
jeden Granattrichter wird verzweifelt gerungen. Unsichtbar ist der
Feind. Aus dem Dickicht schwirren die Geschosse eines Maschinengewehrs.
Ein Trupp Württemberger stürmt hinein. Leutnant Sommer klettert mit ein
paar Leuten auf das Dach eines versteckten Blockhauses, aus dem das
Maschinengewehr feuert. Revolver, Handgranaten durch die Schießscharten,
die Besatzung ist erledigt. Leutnant Sommer fällt. Er ist tot, aber er
ist unsterblich! Einem andern Offizier, Leutnant Walker, gelingt es, in
die Gräben der Labordère-Stellung einzudringen. Er ist abgeschnitten,
umzingelt, aber er hält stand in einem höllischen Feuer, mit einer
Handvoll Leuten, bis acht Uhr abends(!) Entsatz kommt. Zwei Leutnante,
Spindler und Kurz, springen in den Graben und schlagen sich nach links
und rechts, bis sie fallen. Sie sind tot, aber ihre Namen werden
weiterleben! Es geht heiß zu, es geht verzweifelt zu.

Am Abend ist die Stellung genommen!

Es ist nur der Anfang. Die Franzosen trommeln auf die eroberten Gräben.
Acht Tage lang machen sie einen verzweifelten Versuch nach dem andern,
die Gräben zurückzuerobern. Vom 21. bis zum 29. Sie versuchen es mit
allen Mitteln, Gasbomben und brennender Flüssigkeit.

Am 30. Juni geht es weiter. Niemals hat der Argonnerwald solch ein Feuer
gehört! Die französischen Gräben werden zu Brei geschossen. Die Toten
liegen wie das Getreide nach einem Hagelwetter. Ein Handgranatenlager
fliegt in die Luft. Aber der Franzose kämpft wie ein Teufel. Im
vordersten Graben fällt Mann um Mann. Niemand ergibt sich! In einer
halben Stunde sind die Werke Central und Cimetière gestürmt. Unsre
Grauen sind nicht zu halten. Eine Kompanie Grenadiere jagt bis ins Tal
der Biesme vor. Auf dem östlichen Flügel der kämpfenden Linien liegen
auf der sogenannten Rheinbabenhöhe die Grauen in den Gräben. Es wird
gekämpft, sie halten es nicht mehr aus in den Gräben und greifen aus
freiem Entschluß an. Württemberger Freiwillige nehmen die Reste des
Labordère-Werkes.

Der Franzose ist geworfen, aber kleine Verbände wehren sich noch
tollkühn in kleinen Grabenstücken und Blockhäusern. Ein Unteroffizier
pirscht sich an ein Blockhaus, das wütend feuert, heran und wirft eine
Handgranate hinein. Nun wird es drinnen still!

Es wird Nacht. Keine Ruhe, kein Schlaf, nein, daran ist nicht zu denken.
Sie wühlen und graben die ganze Nacht durch, der Morgen muß sie bereit
finden! Auch der Feind schanzt fieberhaft. Die Leuchtkugeln steigen. Die
ganze vorgeschobene Gräbenkette der Franzosen ist in unsrer Hand:
Labordère, Central, Cimetière, Bagatelle – aber dahinter hat er im Wald
ein Verteidigungswerk, den „grünen Graben“, bezogen, die Fetzen der
französischen Kompanien haben ihn besetzt und zu einer Festung
ausgebaut.

2. Juli Angriff auf den „grünen Graben“!

Der 1. Juli ist kein Ruhetag, das darf man nicht glauben. Ohne eine
Minute Pause wird gearbeitet. Die Leichen werden geborgen,
schauerlichste Arbeit des Soldaten! Lebensmittel und Wasser
herbeigeschafft, Munition, Handgranaten, Minenhunde. Die Minenwerfer
schießen sich ein, die Artilleriebeobachter kriechen durch die Gräben
und lassen ein paar Granaten zur Probe kommen. Fertig, alles bereit!

Am 2. Juli donnert der Wald und der Boden zittert. Bis fünf Uhr
nachmittags hageln die Granaten auf den grünen Graben herab. Um fünf Uhr
gehen die Grenadiere vor. Bis zur Dunkelheit wogt der Kampf hin und her.
Er ist mörderisch. Hier wird nur mit Handgranaten und Kolben gekämpft.
Wir gewinnen Boden, Schritt für Schritt. Der Feind schlägt sich
bewundernswert, alle Grauen gestehen es ohne weiteres zu. Ein Bataillon
bricht durch, in der Richtung auf das Dörfchen La Harazée. Es kommt dem
grünen Graben in den Rücken. Von der Rheinbabenhöhe her, von St. Hubert
stürmen unsre Truppen. Der grüne Graben ist nahezu umzingelt. Die Lage
des Feindes ist hoffnungslos, aber er ergibt sich nicht. Da ist ein
Major im grünen Graben, Major Remy, der wie ein Rasender ficht und seine
Leute zum Äußersten anpeitscht. Er fällt. Der grüne Graben ist genommen!

Die Verwundeten werden fortgeschafft. Die Gefangenen abtransportiert.
Die Toten liegen, wo sie liegen. Noch gibt es keine Pause. Denn der
Graben muß sofort wieder zur Verteidigung eingerichtet werden. Er ist
stellenweise bis zur Sohle eingetrommelt. Die Sandsäcke, die die
Granaten durch den Wald schleuderten, werden zusammengeschleppt,
aufgebaut. Die Stahlschilde eingerammt, die Maschinengewehre
aufgestellt.

Kommt der Feind, so ist man bereit. Und er kam und man war bereit!

Es wird still. Es ist Nacht. Die erste Nacht seit Wochen, die ruhig ist,
keine Granaten, keine Minen. Der Soldat schläft, tief und traumlos, wie
die Kameraden, die da draußen liegen und alles vergessen haben.

Die Horchposten kauern im Gebüsch, die Wachen stehen im finstern Graben.
Das Telephon ist schon wieder eingerichtet.




                                Höhe 285


                                                               Im Juli

Früher war sie grün. Das Unterholz war so dicht, daß man sich wie durch
einen Urwald vorwärtsarbeiten mußte. Dazwischen standen mannsdicke
Eichen und sonstige Bäume, vielleicht alle zehn Schritte ein hoher Baum.
Wir lagen ihnen auf vierzig bis fünfzig Schritt gegenüber. Zu sehen war
nichts. Sie hatten ein Labyrinth von Gräben angelegt, Blockhäuser und
große Unterstände. Aber man sah nichts! Regte man sich, so pfiffen die
Kugeln. Woher, das wußte man nicht, sie saßen irgendwo in den Bäumen.
Sie waren oben, wir unten, also sehr im Nachteil.

Seit Ende September pfiffen hier die Kugeln. Die Bäume und die Stämme
des Unterholzes wurden hundertfach durchlöchert, bis sie abstarben. Die
Granaten knickten die Eichen, das Laub wirbelte. Es wurde allmählich,
ganz langsam, lichter.

Man trieb Sappen vor und kam einander näher. Die Wurfminen flogen von
Graben zu Graben. Man trieb Stollen vor, unter der Erde, wir und er. Die
Sprengungen rissen die Bäume in die Luft. Es wurde immer lichter.

Als ich die Höhe 285 sah, war sie _ganz kahl_. Sie ist so groß, daß eine
kleine Stadt darauf Platz hätte. Kein grüner Fleck. Zerschmetterte und
zerfetzte Bäume, das ist alles, was geblieben ist. Ein Schutthaufe, auf
den ein Wolkenbruch niederprasselte und Rinnen, Furchen, Gräben und
krumme Schluchten wühlte. So sah sie aus.

Sie bot große Vorteile. Sie beherrschte einen Teil der Höhenzüge
ringsum, das Tal gegen Boureuille; er konnte unsre Straßen einsehen,
unsre Zufuhr unter Feuer nehmen. Das war keineswegs angenehm. Die Höhe
285 mit La Fille morte dahinter war, klar ausgedrückt, ein Dorn, der uns
im Fleisch saß. Der Dorn mußte weg! Der Franzose mußte hinter die Höhe
geworfen werden, weil er dann nichts mehr sehen konnte.

Es mußte sein und wurde vollbracht! Am 13. Juli.

Es war eine Höllenarbeit, denn er hatte sich eine vollkommene
unterirdische Festung gebaut, in der er bombensicher eingedeckt lag. Nur
bei gewissenhaftester Vorbereitung konnte der Sturm gelingen.

Tagelang vorher schleppten die Pioniere die zentnerschweren Wurfminen
durch die engen Gräben in die Depots. Tausende von Handgranaten wurden
herangeschafft, Munition aller Art. Die unterirdischen Gänge wurden
ausgebaut, so daß man nur die Decke einzustoßen brauchte, und man war im
Freien. Jeder Mann kannte seinen Platz und wußte, wohin er den Fuß zu
setzen hatte, sobald er den Graben verließ. Im Kopfe hatte jeder Mann
den Sturm schon vollendet, bevor die erste Granate krepierte. Er wußte,
in welchen Graben er zu gehen hatte, wenn er verwundet wurde. Er wußte,
durch welchen Graben die Gefangenen geführt werden sollten. Alles war
vorher festgesetzt und besprochen. Die Reserven genau instruiert. Die
Gräben sind ein Labyrinth, und nichts ist leichter, als sich darin zu
verlaufen.

Noch eines: die vorderste Sturmkolonne muß formiert werden. Freiwillige
vor! Da melden sich alle. Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg,
nach Monaten von Argonnenkrieg, Monaten von Mühen, Entbehrungen und
Gefahren! Woher schöpfen sie, die Grauen, diese Kraft? frage ich. Es
mußte _gelost_ werden.

Nun also gut, so war es, als der 13. tagte.

Die erste Granate kommt über den morgengrauen Wald und schlägt krachend
auf der Höhe ein. Das ist das Signal. Die Geschütze, da hinten, stehen
schon bereit, ausgerichtet, fertig zum Schuß. Hauptleute und Kanoniere
sind auf dem Posten. Los! Der Wald ist ein einziges Donnern. Die Kanonen
geben Schnellfeuer, ein Maschinengewehrfeuer von Granaten wirbelt auf
die Stellungen des Feindes nieder. Die schweren Minenhunde rauschen
durch den Morgen. Die Höhe ist eine einzige Staub- und Rauchwolke. Die
Grauen stecken die Köpfe aus den Gräben, um die rauchende Hölle drüben
zu sehen. Die Geschütze rasen.

Der Feind bleibt nicht müßig und antwortet mit wütendem Feuer.

Kaltblütig stehen unsre Artilleriebeobachter in den vordersten Gräben
und dirigieren das Feuer, unbekümmert um Granaten und Minen, die ringsum
krachen. Die Sturmkolonnen kauern dicht gedrängt in den Unterständen und
warten auf ihr Kommando. Sie liegen in den Sappen bereit, mit
Handgranaten am Gürtel und im Arm, soviel sie schleppen können. Sie
kauern in den unterirdischen Stollen, die unter unsren Drahtverhauen
hindurchführen.

Plötzlich schweigt das Feuer.

In der nächsten Minute stürzen die schlesischen Jäger vor. Aus Sappen,
Stollen, Gräben. Der Feind legt einen Feuerriegel vor unsre Gräben.
Hindurch! Ein Leutnant setzt mit einem Sprung über einen vier Meter
breiten feindlichen Drahtverhau. In sieben Minuten sind die vordersten
Gräben überrannt.

Ungeheuer sind die französischen Verluste! Seine Gräben wimmelten von
Truppen, denn er hatte selbst einen Angriff geplant, und wir waren ihm
um einen Tag zuvorgekommen. Eine Mine war in ein Lager von Handgranaten
eingeschlagen und hatte furchtbare Verwüstungen angerichtet. In einem
einzigen Unterstand fand man einhundertundfünf Tote. Seine Verbände
waren zersprengt, aber noch keineswegs geschlagen.

Sie kämpfen wie Rasende.

Gräben, Sappen, Verbindungsgänge, Sprengtrichter und Granatlöcher,
überall sitzen sie wie festgeschraubt und zerren so viel Feinde mit in
den Tod, wie sie können. In einem Verbindungsgraben hat sich, mit zwei
Gewehren, ein französischer Offizier eingenistet, der unaufhörlich
feuert. Ein Soldat hockt neben ihm und ladet ihm die Gewehre. Es ist ein
Einzelgefecht im großen Kampfe, bis es gelingt, den kühnen Gegner zu
vernichten. Ein Hauptmann bedient einen verborgenen Minenwerfer, obschon
seine Leute ringsum gefallen sind. Er kämpft mit äußerster
Todesverachtung, bis ihn ein Schlesier niederschlägt.

Schon beginnt wieder das Dickicht. Tausendfach schwirrt der Tod durch
den Wald. Ein Fort, ein eingegrabenes Blockhaus. Ein paar Pioniere
heran, Sprengladung angebracht, fort! Das Blockhaus fliegt in die Luft.
Der Feind läßt eine Mine hochgehen, Steine und Erde hagelt es aus der
Luft. Im nächsten Augenblick sitzen unsre Grauen im Sprengtrichter und
verteidigen ihn nach allen Seiten. Es sind rasche Teufel, man muß es
zugeben!

Der Feind ist zersprengt, gefangen, geschlagen.

Die Argonnenleute sind nicht zum Stehen zu bringen. Sie jagen weiter,
die Höhe hinunter. Sie stürmen ein französisches Lager, vernichten, was
sie vernichten können. Für all diese Fälle sind sie schon vorbereitet.
Sie haben Beile bei sich! Sie stürmen bis zu den feindlichen Geschützen
vor und ringen mit den grauen Untieren, um sie wegzuschleppen, um sie
auf die Höhe zu schaffen. Mit, alles mit, was mitgehen kann! Aber die
Geschütze sind zu schwer, zu fest eingebaut – es ist menschenunmöglich,
sie gefangenzunehmen und schon nahen französische Reserven. Kurzer
Prozeß! Sie schlagen kaputt, was sich kaputt schlagen läßt, die
Richtvorrichtungen, die Verschlüsse. Sie schieben den grauen Untieren
noch rasch ein paar Handgranaten ins Maul, um sie zu zerstören.

Es ist höchste Zeit! Einer wirft noch rasch eine Handgranate in das
Munitionslager und es fliegt in die Luft.

Zurück! In stehender Schützenlinie feuern sie auf die anrückenden
Reserven ...

Der einzelne zählt hier, der einzelne Mann, er muß rasch, kühn, verwegen
handeln.




                        Der Krieg unter der Erde


                                                               Im Juli

In die Erde sind die Gräben eingewühlt, tiefe, krumme Rinnen. Sie laufen
quer durch Felder und Wälder, Dörfer und Friedhöfe, sie nehmen keine
Rücksicht. Vor den Gräben sind die Drahtverhaue, niedrige, kriechende
Gestrüppe mit eisernen Dornen. Diese Dornengestrüppe sind Geschöpfe des
Menschen von heute. Sie tragen keine Früchte, der Mensch stirbt in ihnen
wie die Fliege in den Haarborsten der fleischfressenden Pflanze.
Zwischen den Drahtverhauen, hinüber und herüber, schwirren die
Gewehrkugeln. Aus dem wassergekühlten Lauf des Maschinengewehres stürzen
sich die zischenden Schwärme. Die Granate kommt aus weiter Ferne herüber
und tastet nach allem, was lebt. Mehr, noch mehr. Die zentnerschweren
Wurfminen stürzen aus den Gräben heraus, in die feindlichen Gräben
hinüber. Die Handgranaten fliegen. Das ist noch lange nicht alles! Wir,
die wir in der Luft, im Wasser, unter dem Wasser, auf den Schneefeldern
und in der Wüste kämpfen, wir kämpfen heute auch unter der Erde. Wo die
Gräben sich einander nähern, kommt zum Grabenkrieg noch der Minenkrieg.
Weiter geht es nicht.

Es ist der Krieg der Pioniere!

Erst waren sie hinten, Stege und Brücken, dann kamen sie vor,
Unterstände, Gräben und Drahtverhaue. Und schließlich begannen sie ihren
eigenen Krieg, auf ihre Weise. Heute sind sie vorn bei den Vordersten,
und wo der Mann fällt, fällt der Pionier mit ihm.

Sie sind Teufelskerle und ohne sie geht es nicht mehr. Sie sind
unentbehrlich, geliebt und bewundert.

Also sie kommen, Offizier und Mann, und betrachten sich die Sache. Sie
zögern nicht lange, es ist nicht ihre Art, lange zu fackeln. Sie fangen
an. Hinein in die Erde! Es ist ein Loch, ein Brunnen, ein Schacht. Ganze
Stockwerke tief. Knüppelleitern und Leitern von Stricken führen hinab.
Dann geht es vorwärts, unter den Gräben und Drahtverhauen hindurch. Von
da aus geht es nach rechts und nach links. Der Stollen wächst. Eine
Anzahl von Schächten wird in die Erde getrieben, und die Stollen
strahlen von ihnen aus. Galerien und Korridore verbinden die Stollen
unter der Erde. Da unten in der Dunkelheit sind neue Laufgräben
entstanden. Spitzhacke und Spaten und Druckluftbohrer fressen sich durch
Erde und Stein und es entsteht ein richtiges Bergwerk.

„Wir haben da und dort eine Mine gesprengt.“ Wer denkt sich etwas dabei?
Niemand. Wer kennt die furchtbare Arbeit?

Sie suchen hier unter der Erde nicht nach Erzen, sie suchen nach dem
Menschen, sie wollen ihn von unten fassen, da es von oben nicht genügt.

Schwer und hart ist die Arbeit des Pioniers. Acht Stunden lang schleppt
er ununterbrochen Erde und Gestein durch die düsteren Stollen. Oben, im
Licht der Sonne, schüttet er die Erde aus, und wenn der Feind sieht, daß
neue Erdwälle entstehen, so schießt er augenblicklich mit Granaten
hinein. Aber der Pionier? Nun, der Pionier tut seine Pflicht.

Mit Kompaß und Meßband wird hier unten gearbeitet. Es handelt sich um
geringste Winkel, Gefälle und Steigung, um Meter und halbe Meter. Züge
mit Grubenhölzern rollen heran, die Pioniere schleppen Tag und Nacht
Holz und Balken durch die Stollen, um sie auszubauen, damit sie ihnen
nicht über dem Kopf zusammenbrechen eines Tages. Das wäre eine hübsche
Geschichte! Kilometerlang sind oft Gänge und Galerien unter der Erde.
Aber niemand sieht sie, niemand kennt die Arbeit der Pioniere.

Es ist eine Arbeit von Wochen und Monaten, eine Arbeit von Schweiß,
Überlegung und Mut.

Wie steht es? Baut auch _er_? Der Pionier lauscht drunten in seiner
Nacht. Der Pionier lugt aus, ob nicht drüben bei ihm auffallend viel
Erde aufgeworfen wird. Es regnet in Strömen, tagelang, und der Pionier
horcht: Ja, seine Pumpen spielen! Er hat Wasser in die Stollen bekommen.

Natürlich baut er, der Franzose. Er hat den Anfang damit gemacht und ist
Meister in diesen Dingen.

Mit List und größter Vorsicht wird dieser Krieg unter der Erde, in der
Finsternis, geführt, viele Meter unter dem Boden. Eines Tages, in einer
Stunde der Nacht, während draußen die Gewehre peitschen und die
Leuchtkugeln alles taghell beleuchten, in einer glücklichen Minute hört
man ihn schaben und scharren, ihn, der von drüben herübergekommen ist,
in den Wochen, in den Monaten, und der, wie wir, versucht, den Feind von
unten zu packen, weil es von oben nicht genügt. Der Pionier, der ein
ganzer Kerl ist und seine Sache versteht, weiß genau, was er zu tun hat.
Mit seinen feinen Ohren horcht er und sagt sich, es sind vier Meter, es
sind sechs Meter. Ist er rechts, links, oben, unten, feine Ohren gehören
dazu. Der Offizier liegt in seinem Unterstand auf seiner Pritsche und
schläft, da tutet das Telephon: Es sind vier Meter, ich glaube, er ist
über uns. Nun schön, sagt der Offizier, ich komme morgen in aller Frühe.

Nun heißt es handeln! Man muß arbeiten und schaben, damit er drüben
nicht merkt, daß man ihn gehört hat. Es ist ja wahrscheinlich, daß auch
er es gehört hat mit seinen feinen Ohren. Der große Augenblick ist
gekommen. Es handelt sich um Minuten. Die Sprengladung wird
herbeigeschafft. Sandsäcke, ganze Berge von Sandsäcken werden durch den
Brunnenschacht hinunter in den Stollen getragen. Die Pioniere wimmeln
wie Ratten in der Dunkelheit, aber die Leute vorn arbeiten weiter. Sie
markieren die Arbeit, aber es muß verdammt geschickt gemacht werden. Die
Art des Schlagens und Schabens, obwohl nur markiert wird, darf sich um
nichts von der wirklichen Arbeit unterscheiden, denn er drüben in den
Stollen ist listig wie ein Fuchs. Er wird sich in den Bart lachen und
sagen: Sie markieren jetzt, aber fünf Minuten früher werde _ich_
sprengen. Dann lebt wohl, Pioniere, Offizier und Mann!

Peinlich genau werden die Kisten mit der Sprengladung aufgebaut, mit
Sprengkapseln versehen, aber währenddessen wird ohne Pause das Wühlen
und Graben fortgesetzt, und er, der die Sache macht, muß ein Künstler
sein, soll das Werk gelingen. Rasch, rasch!

Die Pioniere hocken im düsteren Stollen. Die Sandsäcke wandern in
fieberhafter Hast von Arm zu Arm. Die Sprengladung muß eingebaut und ein
meterdicker fester Wall davor gerammt werden. Sonst würde die Ladung
unsre Stollen zerreißen und nicht hoch gehen. Die Säcke wandern rascher
und rascher, und der Schweiß stürzt in Strömen über das Gesicht der
Pioniere. Mann für Mann gibt sein Letztes her! Der vorderste arbeitet
wie ein Besessener, stark und geschickt muß er sein, und baut die Mauer.
Rasch, immer rascher muß es gehen. Er spürt seine Arme nicht mehr, wenn
die Arbeit getan ist. Zurück! Die Leitungsdrähte werden sorgfältig
durchgezogen, die Pioniere stieben rückwärts, rasch, rasch! Und der
Offizier, der Offizier der Pioniere, sagt zu den Grauen in den Gräben:
Also jetzt geht es los, Achtung! In drei Minuten wird gesprengt. Die
Grauen verschwinden in den Unterständen und ziehen die Köpfe ein.

Der Boden wankt, die Mine fliegt hoch! Sie zerreißt die Erde, der Boden
öffnet sich und Steine und Erde jagen Hunderte von Metern hoch. Ein
Vulkan speit. Schwarz und grau steht turmhoch die Rauch- und Staubsäule.
In dem Rauch jagen Sandsäcke und Menschenleiber in die Höhe und flattern
Kleidungsstücke, die der Luftdruck von den Körpern riß. Achtung! Nun
kommen sie herunter. Die Steine prasseln auf die Gräben herab.

Aber noch regnet es Steine und Trümmer und der Rauch steht noch
undurchdringlich: da sind die Grauen schon aus den Gräben, schon vorn!
Und ehe der Rauch sich verzogen hat, sitzen sie schon in dem
Sprengtrichter, der groß ist wie eine Zirkusmanege. Alles war
vorbereitet, sie hatten nur gelauert. Alles war bereit, Gewehre,
Munition, Handgranaten, Maschinengewehre. Und mit den Grauen sind auch
schon die Pioniere da, mit Sandsäcken, und beginnen wie die Ameisen zu
bauen. Wälle, Schutzschilde, provisorische Unterstände: Nun mag er
kommen! Und schon sind die Pioniere _hinten_ an der Arbeit, um eine
Sappe zu der neuen Festung vorzutreiben. Wir haben zwanzig Meter,
dreißig Meter gewonnen, wir haben unsere Stellung verbessert, wir haben
seine unterirdischen Stollen zerstört.

In den Zeitungen steht die Notiz: Da und dort haben wir eine Mine
gesprengt. Aber niemand weiß, welche Arbeit, wieviel List und Kühnheit
dazu gehört. Die Pioniere sind Leute, die nicht viel reden.

Das ist der Krieg unter der Erde, der neueste, der furchtbarste. Tag und
Nacht wird gegraben und gewühlt. Eine Mine fliegt hoch, an dieser und
jener Stelle der Front. Man treibt die Stollen bis unter die Gräben der
Feinde, und ein Grabenstück mit allem, was da drinnen ist, geht in die
Luft, Menschen, Munition, Kochgeschirre und Waffen.

Für den Sturm werden Stollen vorbereitet und fliegen auf in der Sekunde,
in der es sein muß.

Wehe aber, wenn er zuerst sprengt, eine Minute früher: Offizier und
Pionier, sie gruben ihr eigenes Grab. Aber sie wissen, was sie tun, sie
wissen, wofür sie es tun.




                               La Bassée


                                                             Im August

Um sechs Uhr nachmittags verschwinden die Leute von Lille von der
Straße. Um neun Uhr wird es Nacht und Lille ist tot. Nur vereinzelt ein
erleuchtetes Fenster und Stimmen dahinter. Die Schritte hallen. Ein
Polizeisoldat, ein Feldgrauer mit der schwarzweißroten Binde am Arm,
schlürft an den verschlossenen, finsteren Häusern entlang. Eine
Radfahrerpatrouille gleitet schweigend durch die nächtige Straße. Ein
paar verspätete Offiziere. Man kann stundenlang durch Straßen und
Boulevards wandern, keine Katze regt sich. Lille schläft.

Von draußen, aus der Nacht, dringt der Lärm des Gewehrfeuers. Man hört
es ganz deutlich, jeden einzelnen Schuß. So nahe sind die Gräben! Es
pocht, dumpf und hart, wie eine Negertrommel. Eine Reihe von Schlägen,
dazwischen ein rollender Wirbel. Dann beginnt es zu prasseln und zu
knattern, metallen. Die Maschinengewehre hämmern. Ein Nachtgefecht, ein
paar Gräben sind lebendig geworden. Das Feuer wird lebhafter, es
prasselt minutenlang ohne jede Pause. Aber Lille schläft. Es öffnet sich
kein Fenster, kein Kopf lauscht hinaus in die Nacht. Kein Herz schlägt
rascher, erregt von einer leisen Hoffnung. Nein! Sie wissen es jetzt.
Seit Monaten, seit dem Herbst hören sie das Rollen des Gewehrfeuers in
der Nacht, sie wissen, es bedeutet – nichts. Sie schlafen, sie halten
sich die Ohren zu, um es nicht zu hören, lange genug haben sie sich
betrogen mit Hoffnungen, Ahnungen, Gerüchten, sie glauben es nicht mehr.
Morgen um fünf Uhr wird der Flieger, klein wie ein Punkt, über der Stadt
erscheinen, und die Abwehrgeschütze werden krachen, aber sie wissen,
auch das bedeutet – nichts. Das Quälendste für den Menschen ist das
Warten, es tötet alle Kraft zu hoffen.

Nein, Lille schläft, es will nicht aufwachen!

Niemals war eine Stadt so still und so dunkel. Punkt drei Uhr kommt das
Auto, das mich hinausbringen soll zu den Gräben, und wir machen uns auf
die Reise.

Das Feuer hat aufgehört, die Stadt ist noch stiller geworden. Sie
schläft nicht, sie liegt in einer Art von Totenstarre. Das Auto gleitet
zwischen schwarzen Häusern dahin. Kein Schnarchen hinter den dunkeln
Fenstern, kein Kinderweinen, stumm, alles stumm. Die große Stadt ist
tot. Wir rollen durch finstere Straßen, über öde Plätze und leere
Boulevards. Eine rote Lampe schwingt am Ende der Straße hin und her. Aus
der Finsternis taucht ein massiges schwarzes Festungstor. Die Wache
tritt vor und blendet mit der Lampe über Wagen und Insassen. Weiter!

Nun ist es plötzlich noch finsterer geworden. Die Lampe des Autos
leuchtet wie ein Scheinwerfer in die Nacht hinein. Wir jagen an fahlen
Baumstämmen vorüber, durch Grotten von bleichgrünem Laub. Alleen,
Straßen. Der Wagen nimmt Erhöhungen der Straße wie ein Segelboot die
Woge, er tanzt, in den Kurven fegt er haarscharf an den Bäumen entlang
und die Zweige peitschen unsere Gesichter. Es ist kalt und die satte
Luft der Nacht stürzt uns entgegen. Die Bäume rauschen und brausen im
Wind. Aufgescheuchte Tiere, kalkbleich, huschen über den Weg und Funken
stieben blitzschnell vorüber. Das sind Motten, vom Lichtkegel getroffen
und vom Luftdruck zur Seite geschleudert. Tote, schlafende Dörfer. Kein
Laut, kein Mensch. Der Motor donnert. Rote Backsteinhäuser flammen im
Lichtschein auf und sinken augenblicklich wieder in die Finsternis
zurück. Die erschrockenen Augen einer schneeweißen Katze. Ein Posten.
Ein paar laute Rufe wehen vorbei. Weiter! Der Wagen fliegt. Herrlich ist
die Fahrt. Über uns stehen glitzernd und klar die Sterne des
Sommerhimmels. Wir schweigen. Jeder ist in seine Gedanken versunken.

Hier auf dieser Straße marschierten sie, die Kolonnen, Kompanien,
Regimenter, im Herbst. In die Schlacht von La Bassée. Freiwillige,
Studenten. Sie stürmten dahin, sie sangen, ihre Augen sprühten.
Vorwärts! Viele kehrten diese Straße nicht zurück! An der Straße stehen
seltsam geformte Büsche; wie Frauengestalten, die die Hände vor das
Gesicht breiten, erscheinen sie in der Nacht. Hier, dort, überall. An
der Straße stehen Steine, die aufleuchten, sich gespensterhaft neben der
Straße emporrichten, wie Geister, die uns betrachten wollen, die alles
sehen wollen, was diese Straße kommt. Kleine weiße Kreuze stehen an der
Straße, man sieht sie weithin leuchten, wenn der Lichtkegel sie trifft.
Und fliegen wir vorüber, so drehen sie sich mit einem Ruck uns zu. Der
Herbst ist nahe und immer noch marschieren hier die Kolonnen, die
Kompanien und Regimenter. In der Nacht wandern sie dahin. Sie singen
nicht mehr. Wenn sie sängen, so kämen die Granaten. Dies ist der Grund,
weshalb sie nicht mehr singen.

Von den Gräben her hallen Schüsse. Sie klingen näher und näher, denn wir
sind rasch. Dann und wann schlägt dumpf ein Geschütz, irgendwo. Auch
nachts kann es hier außen keine Ruhe geben. Seit Monaten lärmt hier der
Mensch. Ein paar Furagewagen knarren die Straße entlang. Die Pferde
schlafen im Gehen und fahren unruhig auf, sobald der Lichtkegel sie
faßt. Die Kutscher reißen sich zusammen. Neben der Straße werden die
Granattrichter häufiger. Viele sind ganz frisch. Der Wagen humpelt über
Erde und Steine. Die Granate schlug mitten in den Weg. Vor ein paar
Stunden war es hier keineswegs gemütlich. Zweige und Äste, das Laub noch
grün und saftig, liegen auf der Chaussee. Baumkronen sind zerfetzt,
Splitter hängen von den Stämmen. Plötzlich zieht der Fahrer mit einem
Ruck die Handbremse an und hält. Ein Baum ist quer über die Straße
gestürzt. Er ist gefallen wie ein Soldat und hingeschlagen. Die Granate
schnitt ihn über der Wurzel glatt durch und warf ihn aufs Gesicht. Seine
Zweige sind noch grün und rauschen im Wind, wälzen sich hin und her und
wissen noch nichts. Der Motor brummt, die Räder springen in die Höhe,
hinüber.

Ein Dorf. Der Posten winkt. Wir müssen die Lampe löschen. Durch die
Dunkelheit tasten wir uns weiter. Die Gewehre knallen. Ein schweres
Geschütz in der Nähe reißt laut krachend ab und die Granate rauscht in
das Dunkel hinein. Kein Zweifel, die Nacht geht zu Ende. Draußen bei den
Gräben steigt zuweilen eine Leuchtkugel empor. Bleich und sprühend, wie
ein gleißender Mond steht sie über der nächtigen Erde. Die Gewehre
lärmen aufgescheucht, dann wird es wieder still. Die Leuchtkugel sinkt
erblassend, ganz langsam, zur dunklen Erde herab. Nun aber steht rechts,
zwischen den Pappeln, ein funkelndes Leuchtfeuer, grellweiß und drohend.
Wiederum kracht das schwere Geschütz, und die Granate nimmt fauchend und
gurgelnd ihre Bahn über unsere Köpfe hinweg.

Die Sterne erblassen, die Landschaft wird fahl. Nebel steigt aus den
Feldern. Das Auto fliegt. Wir haben Eile, denn die Straße liegt in Sicht
des Feindes. Bevor es tagt, müssen wir an Ort und Stelle sein.

Aus dem grauenden Morgen heben sich die fahlen, verschwimmenden Umrisse
einer Stadt: _La Bassée_. Ein paar Soldaten in Hemdsärmeln, fröstelnd in
der Morgenkühle, stehen an der Straße. Leichenhaft erscheint La Bassée
im frühen Licht. Kein Mensch, kein Tier ist hier zurückgeblieben. Von
ein paar Wachen abgesehen, haust hier kein Soldat. Die letzten Einwohner
mußten schon vor Wochen den Ort verlassen, denn La Bassée liegt ständig
unter schwerem Feuer. Die Kirche ist ein Trümmerhaufen, ganze Häuser
sind in die Luft geflogen. Granateinschläge überall. Die Stadt sieht aus
wie von einem Erdbeben zerrissen. Erst schossen wir hinein, dann
übernahm es der Engländer. Hunderte, Tausende von Granaten fielen auf La
Bassée. Es gibt nur wenig Häuser, die unversehrt sind.

Der Musikpavillon aber steht noch auf dem Marktplatz wie im Frieden.

Das Auto biegt in eine schmale Gasse ein. Sie ist düster und voller
Qualm. Ein Haus brennt, von einer Granate in der Nacht in Brand gesetzt.
Niemand löscht, niemand kümmert sich darum. Laß es brennen! Die Flammen
lecken aus den Fenstern, sie sind ganz allein, niemand stört sie, und
sie arbeiten ruhig und langsam weiter. Qualm wirbelt durch das verkohlte
Gebälk. Im Hause drinnen klettert das Feuer über eine purpurrote Tapete
mit zarten Empiregirlanden. Die Scherben des geplatzten Spiegels
funkeln. Hier lebten einst Menschen.

Wir tasten uns durch den ätzenden Rauch, der Chauffeur flucht. Wir
fahren weiter, hinaus zu den Gräben.




                        Die Gräben bei La Bassée


                                                             Im August

Der Kommandeur ist frühzeitig aufgestanden. Fix und fertig angekleidet
kommt er aus seinem Unterstand geklettert. Sein Gesicht ist gerötet von
der Frische des Morgens. Ein kleiner, rührender Friedhof mit Kreuzen auf
den Gräbern und Blumen, Granattrichter und ein Haufe zusammengestürzten
Mauerwerks, das ist seine Aussicht. Das Regiment liegt hier seit
Monaten, aber der Kommandeur sieht aus, als sei er auf weitere Monate
eingestellt. Er ist in seinem Dachsbau zu Hause, und was die Aussicht
anbetrifft, so ist ihm das vollkommen gleichgültig.

Er telephoniert seinen Offizieren, daß sie uns einen Führer durch den
Annäherungsgraben entgegenschicken sollen, damit wir uns nicht verirren,
und wir steigen in den Graben.

„Fünf Uhr dreißig Minuten werden unsere 21er die neuen englischen Gräben
eindecken. Seien Sie bis dahin zurück, denn es ist wahrscheinlich, daß
er antwortet. Alles Gute!“

Wir trollen zwischen den Lehmwänden und Sandsäcken dahin. Eine
Viertelstunde sind wir unterwegs, Geschütze pochen, da pfeift und saust
es in der Luft, ein sonderbares und nicht zu verkennendes Pfeifen. Wir
ducken uns zusammen. Mit einem höllischen Sang, böse zischend, fährt die
Granate über unsere Köpfe weg. Kaum ist sie vorüber, kommt die zweite
angefegt, in der nächsten Sekunde die dritte und dahinter die vierte. In
einem Höllentempo jagen sie dahin, eins, zwei, als wollten sie einander
einholen. Im Bruchteil einer Sekunde sind sie vorüber, man sieht sie
nicht, aber in meiner Vorstellung haben sie die Gestalt von Schlangen
angenommen, von höllischen Vipern, die langgestreckt zischend durch die
Luft fahren. Die Einschläge klingen nahezu wie ein einziger Krach, als
würden ein paar schwere Eisentüren fast gleichzeitig ins Schloß
geschmettert.

So! Aber wir haben uns kaum von dem Schrecken erholt, als die zweite
Lage pfeifend und fauchend angefegt kommt und uns über die Köpfe zischt.
Eins, zwei, drei, vier und Schluß. Das war die Begrüßung.

„Es sind Flachbahngeschosse,“ sagt der Hauptmann, „sie zischen so
blödsinnig!“

In den Gräben ist man schon munter. Die Gewehre peitschen, und die
Spitzkugeln fahren summend und singend über uns dahin. Die Engländer
haben die Morgenarbeit aufgenommen und knallen, um vollends wach zu
werden. Sie passen verflucht auf. Sobald man die Mütze über die
Sandsäcke streckt, kommt eine Kugel herüber. Draußen ist nichts zu
sehen: Drahtverhaue, eine verwilderte Wiese, ein Erdwall, hinter dem es
sich zuweilen bewegt. Das ist alles.

Unsere Grauen sind auf dem Posten. Die runde Mütze in die Stirn
gedrückt, stehen sie und lugen durch Schießscharten und Spiegelapparate.
Sie rücken die Gewehre, tasten hin und her, setzen ab, zielen von neuem.
Plötzlich erstarrt das Gesicht auf eine Sekunde: Schuß! Sie spaßen
nicht, o nein, sie nehmen es verdammt ernst und gewissenhaft. Sie sind
ganz bei der Sache. Alle paar Schritte steht ein Grauer und lauert.

So stehen sie von der Nordsee angefangen bis hinunter zur Schweiz. So
stehen Hunderttausende, Tag und Nacht, seit zehn Monaten, jetzt und in
dieser Sekunde. So stehen sie, bis die tausendste Kugel kommt und sie in
den Graben wirft. Wer sie gesehen hat, die Treuen, muß immer an sie
denken: wie sie stehen, lauern, zielen, feuern, unermüdlich.

Eine unheimliche Spannung herrscht zwischen den beiden Labyrinthen der
Gräben. Wie zwischen zwei Gewitterwolken. Sie verdichtet sich, die Kugel
blitzt hinüber, herüber.

Die andern frühstücken. Sie trinken Kaffee aus Blechbüchsen, streichen
sich Butterbrote, schneiden Fleisch aus den Dosen. Über ihren Köpfen die
Ballen von Sandsäcken, die Maschinengewehre, das Gespinst der raschen
Kugeln. Andre liegen in ihren kleinen Nischen, die schmutzigen Stiefel
unter den Mantel gezogen, und schnarchen. Sie liegen schlafend mitten im
Graben, und man muß über sie hinwegklettern. Sind sie tot, leben sie?
Man kann es nicht sagen.

Ein Teil der Gräben ist zusammengetrommelt und wird instand gesetzt. Die
Sandsäcke sind durcheinandergeschleudert, aufgeschlitzt und gelb von den
Schwefelgranaten, die der Engländer feuert. Ich greife rasch nach einer
Zigarette. Hier stinkt es grauenvoll! Der unsagbare Gestank wirft mich
nahezu um. Schon beim Gedanken an diesen Gestank wird mir übel. Es ist
der penetrante Geruch von Raubtieren, verhundertfacht, vermischt mit
allerlei Unsagbarem und Scheußlichem, es ist die Pest, es ist der
_verwesende Mensch_. Die Engländer faulen hier!

Arme Schufte, für ein paar Schillinge die Woche –. French jagte sie hier
in den Tod.

Der Engländer schont seine Regimenter. Er spart Soldaten. Gott weiß, ob
er sie nicht einmal gut gebrauchen kann, so gegen den Schluß zu, wenn
der Partner genug hat? Dann ist es immer eine herrliche Sache, ein paar
frische und nagelneue Divisionen an der Hand zu haben, die im
Hintergrund in Paradestellung verharren, während man mit dem Partner in
aller Höflichkeit über die Bedingungen verhandelt. Aber von Zeit zu Zeit
ist es unbedingt notwendig, so zu tun, als mache man ernsthaft mit. Dann
opfert French ein paar Regimenter, um den Franzosen seine Verlustlisten
unter die Nase halten zu können. In erster Linie gibt er den Kanadiern,
Irländern und Indern Gelegenheit, Beweise ihrer Loyalität zu geben.
Siehe Ypern, Neuve Chapelle. Wird es Ernst, so zieht er gern seine
englischen Regimenter aus den Gräben und wirft Überseeische und Farbige
nach vorn. Man muß zugeben, er versteht seine Sache! Aber sie allein
können ja nicht _alle_ schwere Arbeit verrichten, das ist natürlich.

Als die Franzosen sich bei Arras und Souchez verbluteten, konnte er
nicht ganz müßig bleiben. Es galt Truppen und Artillerie abzuziehen. Er
entschloß sich, anzugreifen, und es muß gesagt werden, er meinte es
diesmal bitter ernst! Trommelfeuer, Angriff auf Angriff. Erbitterte
Grabenkämpfe. Die Toten liegen in Haufen vor unsern Drähten. Unsere
Grauen wanken und weichen nicht.

Gegen die Gräben, durch die ich mich jetzt winde, gegen die sogenannte
Trichterstellung, warf er drei Divisionen. Er faßt Fuß, aber eine Stunde
später fliegt er wieder hinaus. Der Angriff war furchtbar, er wurde
trotz der Übermacht abgewiesen. So geht es nicht.

Er versucht es von neuem. Er versucht es ohne Artillerievorbereitung. Er
will uns überraschen. Seine Sturmkolonnen fluten heran. Aber die Grauen
sind auf dem Posten! Innerhalb von 30 Sekunden (dreißig Sekunden) legt
unsere Artillerie einen Feuerriegel vor die Gräben, daß den Engländern
Hören und Sehen vergeht. Sie müssen zurück, ungeheuer sind ihre
Verluste.

Es ging auch so nicht. Nicht einen Meter haben sie gewonnen.

Sie haben genug, sie haben den Franzosen gezeigt, daß sie es ernst
meinten – aber es ging nicht. Sie geben es auf. Aber sie werden die
Gräben von Givenchy und Festubert nicht vergessen. –

Nun liegen sie in den Massengräbern, die unsere Grauen schaufelten, und
verwesen. Hier sind einige Wassertümpel voll einer gelben dicken Jauche,
und auch diese Tümpel strömen denselben furchtbaren Gestank aus. Niemand
wagt zu denken, wie es da unten aussieht! – Unsere Grauen aber
frühstücken, schneiden Fleisch aus den Büchsen und schmieren sich dicke
Butterbrote. An alles gewöhnt sich der Mensch.

Wir überschreiten auf einer Planke die gelbe Tümpelkette. Hier gibt es
keine Deckung, und so rasch es geht huschen wir hinüber. Einer hinter
dem andern. Aber die Schufte haben uns doch gesehen. Ein paar Minuten
sind wir in der Sappe unterwegs, da weint es in der Luft und die Granate
schlägt krachend ein. Wir machen uns aus dem Staub. Granate um Granate
segelt daher. Vorsichtig lugen wir aus dem Graben und sehen die
Einschläge rauchen. Weitab! Aber plötzlich kommen sie wieder näher und
schließlich müssen wir die Beine strecken. –

Punkt fünf Uhr dreißig Minuten, auf die Sekunde, nehmen die 21er das
Feuer auf. Die Granate winselt hoch über uns durch die Luft. Drei
Sekunden Stille, dann ein Krachen, als stürze ein Haus aus Eisen
zusammen. Der Boden bebt unter unsern Füßen. Schon kommt die nächste
Granate angeweint. Sie braucht eine unendlich lange Zeit, bis sie ihre
Bahn durchfegt. Einschlag auf Einschlag! Es ist wie ein schweres
Gewitter mit harten Donnerschlägen. Der Engländer antwortet. Er sucht
aufgeregt und wütend unsere Haubitzen. Geradeaus, am Horizont, stehen
die Rauchfahnen seiner Granaten, schwarz und schiefergrau.

Wir sitzen im Bataillonsunterstand und trinken Kaffee. Die Granaten
weinen über uns hin. Die schweren Geschütze erschüttern die Luft mit
ihrem Gebrumm.

„Fragen Sie telephonisch an, wie es steht.“

Das Telephon tutet. Von den Gräben kommt die Antwort zurück: „Der Erfolg
ist überraschend günstig.“

Es ist ein Morgen wie jeder andere. Ein Duell zwischen ein paar
Batterien, nichts sonst. Die Berichte bringen nicht eine Silbe darüber.




                              „Dicke Luft“


                                                             Im August

In den Argonnen riecht es nach Chlor, in den Gräben nach Verwesung und
schrecklichen Dingen, aber hier außen, in der Gegend von La Bassée – ist
es nicht sonderbar? – duftet es wohlriechend wie in den Gemächern einer
verwöhnten Dame. Es riecht nach Parfüm, nach Flieder, Veilchen und
anderen schönen Dingen. Seit dem Herbst liegt dieser zarte Parfümgeruch
über dem Lande, einmal schwächer, einmal stärker, je nach dem Winde.
Dieser Duft stammt von den Parfümfabriken in Illies, die im Herbst
zerstört wurden.

Das ist aber auch alles, was aus einer Zeit herrührt, da man noch an
eine Verschönerung des Daseins dachte. Heute handelt es sich für
Millionen darum, das Leben zu retten, das nackte Leben ohne alle
Zusätze.

Die ganze Gegend bei La Bassée ist jammervoll. Leer, elend. Gräber,
Granattrichter, zersplitterte Bäume. Die Felder verkommen und
verwildert. Wo sind die Menschen? Sie sind längst geflohen vor den
englischen Granaten! Sie wurden zerrissen in ihren Bauernbetten, die
Granate zerschmetterte sie, während sie Futter für ihre Ziege holten. So
blieb ihnen nichts anderes übrig, den Unglücklichen, die sich
verzweifelt an ihre Scholle klammerten. Sie hielten es wochenlang,
monatelang aus. Im Herbst sah ich oben bei Illies in einem Dorf eine
alte Frau vor ihrem Häuschen sitzen und Kartoffeln schälen, während das
Dorf (ich glaube Herlies) unter schwerem Feuer lag. Es gab bleiche
Gesichter unter den Soldaten, aber die Alte schälte inmitten des
Geschützgewitters ihre Kartoffeln ruhig und gleichmütig, und zu ihren
Füßen spielte ein sechsjähriges Mädchen. Sie wollte lieber sterben, als
das Stück Erde verlassen, das sie seit sechzig Jahren bewohnte. Viele
starben so. Dorf um Dorf beschoß der Engländer; um einen Soldaten zu
töten, tötete er drei Franzosen, aber es waren ja keine Engländer, auf
die er feuerte. Die Dörfer leerten sich, eines ums andere, und heute
sind sie ausgestorben.

Dörfer, Städtchen, Weiler und Gehöfte, wie mit einem großen Hammer
zerschlagen sehen sie aus. Sie sinken zusammen, täglich etwas mehr, die
Granate frißt sie auf. Sie sind nur noch Gespenster und Gerippe von
Wohnstätten, aber der Engländer funkt täglich in die Ruinen, bald wird
keine Mauer mehr stehen. Es ist ein billiges Vergnügen und kostet ihn
keinen Pfennig. Sind es etwa seine Dörfer und Häuser? _Oh, by Jove, no!_
Er wird eines Tages seine Kanonen zusammenpacken und nach Hause fahren,
und der Franzose kann bezahlen. Man soll ihm nicht nachsagen können, er
habe nicht gearbeitet. Von der Nordsee bis südlich La Bassée hat er
alles kurz und klein geschossen. –

Die Sonne blendet durch die zerfetzten, zerfallenen Häuser. Kein Mensch
weit und breit. Granatlöcher größten Formats, viele ganz frisch. Ein
zertrümmerter Wagen. Die Granate packte ihn und warf ihn ins Feld. Ein
Schild: Violaines. Das Dorf ist ein Grab, mich fröstelt trotz der heißen
Sonne.

Wir verlassen die Straße und wandern querfeldein, um nach La Bassée
zurückzukehren. Die Geschütze brummen.

Plötzlich weint es böse in der Luft, eine, zwei Sekunden, und mit
lautem, hartem Krach schlägt die Granate in das letzte Haus von
Violaines, das wir soeben verlassen haben. Die Dachziegel fliegen durch
die Luft wie ein aufgescheuchter Taubenschwarm, und schwarz wälzt sich
die Wolke aus dem Hause. Wir sehen einander an. Was nun? Wieder schlägt
dumpf ein Geschütz. Wir horchen. Schon kommt sie näher, sie
weint und klagt, mit hoher Stimme, krach! Panzerplatten, die
gegeneinanderschlagen. Grauschwarz, mit böse gekräuselten Rändern, wie
Hagelwolken sie haben, brodelt die Wolke empor. Es sind schwere
Schiffsgeschütze, Kaliber 28. Nun machen sie Ernst! Das Geschütz
schlägt, unser Geschütz, wir kennen nun seine Stimme.

Wir schwingen die Beine. Aber sobald die Granate da oben weint und
winselt, bleiben wir stehen und horchen. Qualm wirbelt aus einer Scheune
in die grelle Sonne. Der nächste Einschlag ist gottlob ferner. Ein
schwefelgelber Rauchklumpen, der braungelb verweht, liegt im Felde und
reckt sich. Eine Schwefelgranate. Das Feuer zieht sich nach La Bassée
hin. Dazwischen kracht es scharf und hart: ein Schrapnell. Es streckt
seine grauweißen Fangarme gierig in die leere Luft. Wir stoßen auf eine
Batterie, die im Feld eingegraben ist.

Die Kanoniere, sechs an der Zahl, stehen hinter den Geschützen, die Arme
verschränkt, in Hemdärmeln, lachend und vergnügt, als fingen sie 28er
Schiffsgranaten mit der bloßen Hand auf. Sie haben nur eine kleine Mauer
aus Sandsäcken aufgebaut, die ihnen den Rücken decken soll, wenn sie an
den Geschützen arbeiten. Neugierig lassen sie uns herankommen. Sie
stehen keineswegs in Deckung, sie stehen im freien Felde, wie es sich
für einen Kanonier gehört.

Meine Begleiter sind hohe Stabsoffiziere, aber das kümmert die Kanoniere
wenig. Sie sind die Herren dieses Feldes, das ist offenbar, und es ist
schon eine große Freundlichkeit, wenn sie uns passieren lassen.

„Guten Morgen!“

„Gut’ Morg’n!“

Sie wackeln ein bißchen mit den Beinen, rücken die Stiefel zusammen und
bringen die Hände flüchtig in die Gegend der Hosennaht. Große Umstände
machen sie nicht mit uns. Offizier und Mann, sagen sie sich, hier außen
ist das schon so ziemlich eine Sache.

Es sind ganz prachtvolle Burschen. Kaltblütig und ruhig stehen sie hier,
während ein paar hundert Meter entfernt die schweren Granaten einhauen
und jederzeit eine Granate abschwenken kann.

Ein langer, der größte von ihnen, blinzelt belustigt. „Dicke Luft!“ sagt
er und freut sich. Die Mütze sitzt ihm keck auf dem Ohr, die nackten
braunen Arme hat er über dem offenen Hemd verschränkt. „Dicke Luft,“
sagen die Grauen, wenn es etwas lebhaft zugeht.

„Kann man quer durchs Feld nach La Bassée gehen?“

„Das kann man schon!“ antwortet der Lange.

„Übernehmen Sie die Garantie?“

„Jawohl, die übernehme ich. Aber bleiben Sie bei der Fabrik dort nicht
stehen. Da schießt er immer hin!“ Keck und forsch ist der Lange. Seine
Kameraden sollen sehen, daß er nicht gleich die Fassung verliert, wenn
ein paar Stabsoffiziere kommen. Das wäre noch schöner.

Wir sind keine zwanzig Schritt gegangen, da ruft uns der Lange nach:
„Immer ein bißchen fix, sonst garantiere ich für nichts.“ Sie lachen.
Ich drehe mich um und sehe, daß sie die Mäuler vor Vergnügen aufreißen.
Es amüsiert sie, daß wir durch die „dicke Luft“ hindurch müssen, während
sie es so behaglich bei ihrem Dutzend Sandsäcken haben. Kleiner und
dünner werden sie im Feld, aber ihre roten Gesichter sind immer noch auf
uns gerichtet. Sie wollen sehen, wie wir hinüberkommen.

Die Granate singt und pfeift, hoch oben, und schlägt links in die
Fabrik. Hat er es nicht gesagt, der Tausendsasa? Rechts liegt das Feuer
auf La Bassée und links auf der Fabrik. In der Mitte müssen wir
hindurch, denn wir haben unser Auto in La Bassée eingestellt. Die
englischen Granaten haben eine unserer Batterien aufgeweckt, und nun
kracht sie dazwischen. Fegt die Granate hinüber, herüber? Es ist schwer
zu sagen.

Das ist eine hübsche Sache geworden, alle Wetter! Wir gehen
hintereinander und pflügen uns den Weg durch Kräuter und Stauden. Die
Sonne brennt, und der Schweiß steht auf unseren Gesichtern. Alle paar
Augenblicke müssen wir über Telephondraht klettern. Und wieder schlägt
unser Geschütz. Wir hören es deutlich aus dem Brummen und Pochen in der
Ferne heraus. Nun haben sie abgerissen und die zwei Zentner auf die
Reise geschickt. Die Granate fegt ihre Bahn. Es dauert viele Sekunden,
bis sie herankommt. Sie weint, sie klagt, als sei sie in der Klemme und
nicht wir. Näher, immer näher. Was in der nächsten Sekunde geschehen
wird, wissen wir nicht. Sie ist vorüber. Einschlag – dort!

La Bassée kommt näher, ganz langsam.

Es ist ein großer Unterschied, ob man selbst feuert und zusieht, wie
etwas beschossen wird, oder ob man persönlich dabei engagiert ist, ohne
Frage.

Bei den ersten Häusern kommt eine Granate angewinselt, näher und näher,
aber plötzlich ist sie wie weggeblasen. Ein Blindgänger.

Nun, da sind wir. Wir atmen auf. Die Häuser geben ein Gefühl der
Sicherheit. Gegen einen Volltreffer ist nichts zu machen, natürlich,
aber gegen Splitter ist man immerhin einigermaßen gedeckt.

Die erste Straße ist ganz leer. In der zweiten sehen ein paar Feldgraue
gemütlich aus dem Fenster. Sie sind unbekümmert und sorglos wie die
Kanoniere draußen im Felde. Ja, sonderbare Burschen sind diese Grauen,
das muß man sagen!

„Was macht ihr hier?“

„Wache!“

Sie rauchen und haben es sich in der Stube behaglich gemacht. Daß ein
bißchen geschossen wird, das kümmert sie nicht. Stürzt das Haus
zusammen, so ziehen sie eine Tür weiter.

In der leeren Straße will ein Fuhrwerk umwenden. Es ist mit zwei starken
Pferden bespannt, und die Stränge sind in Unordnung gekommen. Vor,
zurück, die schweren Pferde drängen gegen die Deichsel. Ärgerlich steigt
der Fahrer vom Bock, und Mann und Kutscher fluchen. Es ist schließlich
kein Vergnügen, in einer Stadt, die unter Feuer ist, stecken zu bleiben.
–

An den Hauswänden der toten, zerfetzten Stadt wandern wir entlang, und
sobald die Granate pfeift, nehmen wir Deckung.

Auto. Wir fegen mit Vollgas davon.

Lebe wohl, La Bassée!

Es passieren aber doch die sonderbarsten Dinge! An einer Wegkreuzung
halten wir. Ein General, hoch zu Roß, kommt des Weges. Exzellenz
befinden sich auf dem Morgenritt.

„Geht es hier nach La Bassée?“ fragt der General.

„Jawohl, Exzellenz.“

Der General reitet weiter. Wir sehen einander verblüfft an. Nun,
Exzellenz werden heute wohl den Morgenritt abkürzen!




                         Der Herr der Haubitzen


                                                          Im September

Draußen in den Gräben von La Bassée und Violaines hörte ich plötzlich
seinen Namen wieder. Von einer berühmten Batterie war die Rede. Als die
Engländer einen Überfall ohne Artillerievorbereitung ausführen wollten,
legte die Batterie innerhalb von dreißig Sekunden ein Höllenfeuer vor
unsere Drähte, der Überfall brach kläglich zusammen. Dreißig Sekunden
nach dem telephonischen Anruf krachte der erste Schuß! Ich verstehe
nichts von Artillerie, aber ich begreife, daß es etwas ganz Unerhörtes
ist. Laden, richten, Schuß! Und darauf Wirbelfeuer. Überhaupt diese
Batterie! Man brauchte nur anzuklingeln und hatte die Granaten gerade
da, wo man sie haben wollte, Tag und Nacht, es war ganz einerlei. Die
Offiziere priesen die Batterie, ein Kanonengenie, Hauptmann H. heißt er.

Ich kenne ihn. Plötzlich erinnerte ich mich auch, daß er, der mich durch
sein ganzes Wesen bestach, so daß ich ihn nicht mehr vergessen werde,
daß er mir sagte, er stehe gegenwärtig bei Violaines. Seht an, er war es
also!

Ich fuhr mit ihm im Zuge, und er erzählte. Er fuhr in Urlaub, seit
Kriegsbeginn zum erstenmal. Er hatte Glück, es gab viel Arbeit, und
eigentlich war es gerade jetzt unmöglich abzukommen, aber er hatte, wie
gesagt, Glück. Er hatte keine Batterie mehr, und aus diesem Grunde
konnte er nach Hause fahren. Auf ein paar Tage.

Keine Batterie mehr?

Ja, sie hatten ihm ein paar Geschütze kaputt geschossen in den letzten
Tagen, schweres Kaliber, englische Schiffsgeschütze, und das übrige
Zeug, das er hatte, war total ausgeschossen. Das Dreifache, Vierfache
hatte er gefeuert, was man normalerweise einem Rohr zumuten dürfe, in
Friedenszeiten, aber schließlich sei es eben doch mit den Rohren zu Ende
gegangen. Nun also müsse er neue Geschütze haben, denn es ginge einfach
nicht mehr, und diesem Umstand verdanke er seinen Urlaub.

Er trauerte seinen Geschützen nicht nach! Er war in bester Laune.

Mein lieber Hauptmann, denke ich mir, Sie haben Ihre Batterie verloren
und sind nicht im geringsten niedergeschlagen? Am Ende verstehen Sie
Ihre Sache doch nicht recht?

Aber es war ihm ganz einerlei, was ich dachte. Er war seiner Sache
sicher und guter Dinge.

Übrigens sah ich außen an der Front nie einen Offizier, der so viele
Auszeichnungen trug. Alle Knopflöcher hatte er voll und das Eiserne
Erster auf der Brust. Das machte mich immerhin stutzig. Denn er war sehr
jung, kaum fünfunddreißig. Er sah gut aus und war von jener seltenen
Männlichkeit, die es sich leisten kann, anmutig und liebenswürdig zu
sein, ohne feminin zu wirken. Er glich Theodor Körner, er war schön.
Einmal nahm er die Mütze ab, und da sah ich, daß er hellblondes Haar
hatte, das sich in Locken legte wie bei Knaben. Seine Augen waren
hellblau und heiter.

Und doch war er (wie ich später erfuhr!) der berühmte Batteriechef H. –
Trommelfeuer in dreißig Sekunden, auf telephonischen Anruf, usw.

Er sprach sehr laut, er schrie, wie Leute, die immer in freier Luft
leben und ein lärmendes Handwerk betreiben.

Er erzählte hundert Dinge im Gespräch durcheinander, aber was ihn als
Batteriechef beleuchtet, das will ich hier wiedergeben.

Er war an vielen Stellen der Front während des Krieges. Wo es besonders
heiß herging, da war er dabei. Zeitweise war er eine reisende Batterie,
die Gastspiele gab. In den schweren Tagen von Ypern wurde er hinauf in
die Gegend von Langemark geworfen. Es ging toll zu, und er mußte
augenblicklich eingreifen. Er fuhr auf und feuerte los! Ja, seine
Kanoniere, was sind das für Burschen! Ehe man sich umdreht, versinken
die Geschütze in der Erde, eins, zwei und weg sind sie! Sie werden
eingebaut, daß sie sich nach dem Schuß kaum regen, und das neue
Einstellen geht blitzschnell. Das alles machen sie, ohne daß er ein Wort
zu sagen hätte, sie verstehen es viel besser, als er es je verstehen
könnte, es ist gar nicht zu sagen, was sie im Laufe des Krieges gelernt
haben. Es sind Kerle! Richten also ist kaum mehr nötig nach dem Schuß.
Ja, Donnerwetter, was für Richtkanoniere er aber auch hat. Und dann geht
es los, wie gesagt. Granate eingeschoben, Verschlußstück zugeschraubt,
ausgerichtet und Schuß! Sie haben die Sache nun heraus. Die Granaten
wandern blitzschnell über Arme und Hände, es ist richtiges Schnellfeuer,
und niemand hielt es früher für möglich, so rasch zu feuern, dreimal
rascher als zu Anfang des Krieges; einfach unglaublich. Rasch, immer
rasch! Sie kümmern sich Tod und Teufel um die Granaten, die
herüberkommen, sie feuern.

Ja, bei Langemark, alle Achtung, da wurden sie schon nach einer halben
Stunde zugedeckt. Es wimmelte von Fliegern in der Luft. Abrücken! Im
Feuer! Ein Geschütz geht zum Teufel, ein paar Leute bekommen etwas ab
und zwei Pferde bleiben liegen. Weiter!

An anderer Stelle haben sie mehr Glück. Sie feuern, bis sie umfallen.
Befehl, abends: da- und dorthin. Verladen in der Nacht, am nächsten
Morgen sind sie schon wieder in Stellung. Hier steht Rad an Rad, die
guten Plätze sind besetzt, Flieger oben, schon sind sie entdeckt.
Abrücken. Strahlenförmig spritzen die Geschütze mitten im Feuer übers
Feld. Doch nichts geschieht. Haha, ja es war wirklich eine tolle
Geschichte.

Nun haben sie es aber gut getroffen. Sie liegen ein paar Wochen
unentdeckt. Hundert Meter von der Batterie steht ein zerschossenes
Gehöft, und so oft ein Flieger erscheint, machen sie Rauch in dem
Gehöft, und die Engländer feuern wütend in die Ruine. Am Abend und in
der Nacht lassen sie einen Feuerstrahl aus dem Gehöft fahren, bei jedem
Schuß, den sie abgeben, und der Engländer schießt das Gemäuer in Grund
und Boden. Und die Kanoniere lachen, es macht ihnen heidenmäßigen Spaß.
Wochenlang denselben Scherz, sie lachen bei jeder Granate, die in das
Gehöft fährt, denn sie haben Sinn für Komik. Überhaupt, was für Leute!

Der Hauptmann rückt begeistert die Mütze über das blonde Haar.

Dann kamen sie zur Lorettoschlacht in eine ganz windige Ecke. Später
nach La Bassée hinauf. Im Herbst waren sie in Lothringen. Vom ersten
Tage waren sie dabei. Er, der Hauptmann, fast täglich vorn in den Gräben
zur Beobachtung. Fesselballon, Flugzeug. In Lothringen, seinerzeit,
gelang ihm eine glänzende Sache. Es kamen da plötzlich ganz schwere
Dinger auf die Gräben geflogen. Alle Welt staunte, was war das? Flieger
gingen hoch. Nichts zu finden. Der Franzose mußte ein außergewöhnlich
weittragendes Geschütz aufgestellt haben. Aus den Gräben kam die
Meldung, daß man die Granaten kurz vor dem Aufschlag ankommen sehe.
Sofort ist der Hauptmann draußen. Es gehören Nerven dazu, den Kopf
gerade in dem Augenblick aus dem Graben zu stecken, da so ein „alter
Herr“ ankommt und einschlägt. Erst zuckt der Hauptmann zurück, aber es
muß sein. Jawohl, man sieht sie kommen. Er schneidet die Kurve an,
berechnet und findet auf diese Weise ungefähr Richtung und Standort.
Flugzeug! Immer höher und weiter. Nichts regt sich, aber in der Nähe des
berechneten Standortes kommt dem Hauptmann ein Wäldchen verdächtig vor.
Dahin dirigiert er das Feuer seiner Haubitzen. Am andern Morgen fliegt
er wieder darüber: das Wäldchen ist zerschossen. Das weittragende
Geschütz ist seither verstummt.

Und so geht es weiter. Haubitzen, Granaten, Beobachtungsstände,
Sprengstoffe, Flugzeuge, Trommelfeuer. Die helle Stimme des frischen,
jungen Hauptmanns mit den vielen Bändern klingt und schmettert. Die
Batterie, ja, er liebt seine Batterie, er liebt es, darauf loszufeuern,
er liebt seine Leute. In acht Tagen wird er ganz neue Geschütze haben,
dann kann es wieder losgehen. Zwölf Monate lang macht er die Sache schon
mit, zwölf Monate ohne Unterbrechung lacht er dem Tod ins Gesicht. Seine
Kanoniere fielen, seine Kameraden sanken in die Erde, Tausende von
Feinden hat er vernichtet, er, der Herr der Haubitzen. Ich suche in
seinem jungen Gesicht nach irgendeinem kleinen Zug von Ermüdung,
Nervosität, Leid – nicht eine Spur ist zu finden. Hut ab vor dem
Hauptmann!

Neulich aber wäre es ihm bald übel gegangen. Er hatte sich da seinen
Beobachtungsstand in ein zerschossenes Haus aufs Dach gebaut, plötzlich
kam eine Granate und schlug ausgerechnet in das Haus. Im nächsten
Augenblick stürzten sie, sein Unteroffizier und er, mit Balken und
Brettern vom Dachfirst in das Erdgeschoß hinab. Sie fielen durch eine
rote qualmende Wolke und waren ein paar Minuten betäubt. Nichts
geschehen, ein paar Schrammen, das war alles. Der Unteroffizier aber
sagt: „Ich muß hinauf, Herr Hauptmann und den Batterieplan holen!“ –

Der Hauptmann lacht. Ein kerniges und gewinnendes Lachen.

„Hat er ihn geholt?“

„Natürlich! Das ist ja ein prachtvoller Kerl, dieser Unteroffizier, den
sollten Sie kennen – haha!“

Ich steige aus. Der Hauptmann fährt weiter. Morgen nachmittag um sieben
Uhr wird er in Starnberg sein, bei seiner Frau. Sie weiß nicht, daß er
kommt. Er will sie überraschen.

Wie eine Granate kommt er aus La Bassée in das stille Haus am
Starnberger See geflogen.




         Der siegreiche Angriff in den Argonnen am 8. September


                                   1

                                                         10. September

Am Vorabend des Kampfes erlebe ich den Angriff in allen seinen Phasen
auf der Karte. Ich bin Gast bei Exzellenz, dem Kommandierenden, und
seine Offiziere erklären mir die geplanten Operationen. Sie sprechen
sachlich und klar, mit der Ruhe von Leuten, die ihrer Sache sicher sind.
Weiß zieht und gewinnt, matt in drei Zügen. Auf dem Papier sieht es aus
wie eine Schachpartie, aber nur auf dem Papier. Unsere Figuren sind aus
Fleisch und Blut, und Regeln und Gesetze gibt es in dieser blutigen
Partie nur so lange, als man die Kraft hat, sie dem Gegner
vorzuschreiben.

Aus den Argonnen dröhnt dumpf Geschützdonner, aber es ist das normale
Abendfeuer, und niemand hört es mehr, so sehr sind sie daran gewöhnt.
Die Karte liegt auf dem Tisch unter der elektrischen Lampe, und mein
Instruktor, der Jäger, treibt mit den feinen gepflegten Händen die
Regimenter vor bis zur Linie, die sie erreichen sollen. Er läßt die im
Wald und in den Bergkuppen stehenden Batterien feuern, die Minenwerfer,
er trommelt die feindlichen Gräben ein, umgeht, flankiert starke
Stellungen. Ich sehe den ganzen Sturm vor Augen.

Das Telephon klingelt. Herr Major. „Jawohl, die und die Batterie feuert
soundsoviel Schüsse, zu der und der Zeit. Das ist das Zeichen, jawohl.
Guten Abend!“ Trotz aller Ruhe schwingt eine leise Erregung im Hause. In
den Argonnen bin ich nicht mehr fremd. Ich finde mich auf der Karte
leicht zurecht, ich kenne zum Teil das Terrain und unsere Stellungen.
Hier ist Four de Paris, nahe am Tal der Biesme. Die Gräben klettern von
hier aus über die Hubertushöhe. Dann werden sie unterbrochen von der
Schlucht des Charmesbaches, setzen sich fort über die Höhe, die den
sonderbaren Namen Eselsnase trägt, bis hinüber zur Houyettemulde. Zum
großen Teil sind dies die Stellungen, die die Argonnenleute dem Feinde
im Juni und in den ersten Tagen des Juli wegnahmen. Jene Barre aus
Stacheldraht, Maschinengewehren und Minenstollen, die sich Cimetière,
Bagatelle, Grüner Graben, nannte.

In diese Stellung hinein ragt bogenförmig ein neues starkes
französisches Werk, eine Festung aus Stollen, spanischen Reitern,
Drahtbarren, Minengängen, Schluchten und Blockhäusern und unterirdischen
Forts, eine Festung, aus der der Tod in hunderttausendfältiger Gestalt
springt, wenn man sich ihr nähert: das Werk Marie-Thérèse.

Morgen soll es in unserer Hand sein. Morgen Punkt acht Uhr werden die
Batterien einen Hagel von Eisen auf das Werk werfen, sie werden es in
Stücke zerreißen, morgen um elf Uhr werden wir es stürmen!

Ob ich alles verstanden habe? Jawohl, alles. Nichts ist einfacher,
klarer. Nichts ist verwickelter und unverständlicher. Es ist ein
Schachspiel, in dem der Zufall eine mächtige Rolle spielt. So scheint es
mir. Der Jäger zu Pferd telephoniert an die verschiedenen Stellen, die
Uhren müssen genau gerichtet werden. Ein paar Minuten Differenz können
zum Verhängnis werden. Jede Kleinigkeit ist besprochen, alle
Vorbereitungen sind bis in die kleinsten Details getroffen.
Minenstollen, Munition, Handgranaten, Gasmasken, Granaten, Wasser,
Nahrungsmittel. Jede Kompanie weiß genau, was sie zu tun hat, jeder Zug,
jeder Pioniertrupp, jeder einzelne Mann. Sobald er den Fuß aus dem
Graben setzt, folgt er einer Reihe genau gegebener Befehle, – wenn er
nicht fällt. Was moderne Kriegskunst vermag, ist geschehen. Der Angriff
ist schon gelungen, Marie-Thérèse gehört in Wahrheit schon uns, – obwohl
noch kein Mann die Gräben verließ. So muß es sein.

Wir begeben uns in den Gesellschaftsraum und sitzen in Sesseln um den
Kamin. Vom Angriff wird nicht mehr gesprochen. Die Politik und ein
schwarzgefleckter weißer Terrier treiben das Gespräch. Aber die
Unterhaltung wird nie lebhaft und laut. Das Telephon klingelt häufig.
Frühzeitig geht man zur Ruhe.

In meiner Dachkammer habe ich Muße nachzudenken. Dann und wann schlägt
im Walde dumpf ein Geschütz. Es grollt in der Nacht und poltert irgendwo
in der Ferne. Unsere Grauen, die jetzt in den Gräben draußen im Walde
liegen, sie wissen es ganz genau. Sie wissen, daß er auf unser Feuer
antworten wird, und um elf Uhr, Punkt elf Uhr, werden sie aus dem Graben
klettern. Sie bereiten sich vor auf den Sturm, so und so. Viele Herzen
schlagen rascher, und viele schlafen heute nicht in ihrem Lehmloch. Wenn
sie den Kopf über den Graben strecken, so pfeift der Tod daher, springen
sie in die feindliche Sappe, so kann es sein, daß sie dem Tod in die
Arme springen. Offizier und Mann, sie wissen nicht, wie es morgen abend
sein wird. Sie sind Soldaten und sie kämpfen. Marie-Thérèse ist alles,
nicht ihre eigene Person!

Aber sie, drüben in Marie-Thérèse, sie wissen nichts, sie ahnen nichts.
Nun, so schlafen sie wenigstens noch diese eine Nacht ohne Qual.
Marie-Thérèse ist vieler Grab, morgen um diese Zeit. Der Jäger zu Pferde
rechnet nicht mit dem Zufall. Wie aber, wenn der Franzose heute nacht
angriffe? Wenn er in einem Nachbarabschnitt morgen im Morgengrauen
vorginge? Aus dem Wald grollt das Rollen eines schweren Geschützes. Es
feuert fast ohne Pause. Ich horche. Beginnt es zu trommeln? Nein, es ist
ein Bursche, der nebenan in der Bodenkammer schnarcht. Übrigens soll ich
morgen um vier Uhr hinaus in die vordersten Gräben der Eselsnase, um mir
das Werk Marie-Thérèse in der Nähe zu betrachten.


                                   2

Um vier Uhr morgens ist es bitterkalt in den Argonnen. Wir fahren, in
unsere Mäntel eingehüllt, in die stockschwarze Nacht hinein. Die Sterne
glitzern groß und kalt wie im Winter. Ich bekomme einen bitteren
Geschmack im Mund, wenn ich die Sterne betrachte. Es ist keine Zeit für
die Sterne. Wir sind in die Erde gesunken, ohne jeden Zweifel und haben
keine Zeit mehr, die Sterne zu betrachten. Geschütze schlagen dumpf.
Auch in der Nacht muß hier gearbeitet werden. Das Feuer ist normal, mit
Befriedigung stellen wir es fest. Er hat nichts gemerkt, er bereitet
nicht an irgendeiner anderen Stelle etwas vor. Ein zerschossenes Dorf.
Im Wald wird die Straße morastig. Es hat hier seit acht Tagen nicht
geregnet, aber die Straßen sind zerweicht, und das Auto rutscht wie ein
Schlitten durch den Schmutz. Ein Fuhrwerk begegnet uns, wir biegen aus,
kommen ins Schlingern, der Chauffeur geht auf den zweiten Gang, und wir
mahlen uns aus dem Dreck. Hier gibt es Löcher und Granattrichter, so daß
wir nur langsam vorwärts kommen.

Wir durchqueren den Wald, die schwarzen Bäume rauschen, die Sterne
blitzen durch die Wipfel, es ist schön, trotz des schlechten Weges. Ein
zerschossenes Dorf. Menschen tauchen auf. Eine Sanitätskolonne in
Marschbereitschaft. Sind sie jetzt schon auf den Beinen? Die Leute in
den Gräben da oben sind noch gesund und munter, aber hier stehen schon
die Leute, im grauen Morgen, die sie verbinden sollen. Wir löschen die
Lampen. Wieder ein zerschossenes Dorf. Wir gehen zu Fuß weiter. Es wird
langsam Tag. Nebelgestalten huschen an der Wegseite, Feldküchen,
Krankenträger, Reserven. Wir steigen bergan. Ein Weg, der gangbar
gemacht wurde dadurch, daß man Baumstamm an Baumstamm reihte. Das Holz
der Stämme ist abgeschabt und zermahlen durch die vielen Räder und
Stiefel, die hier bergan und bergab gingen. Der Wald wird plötzlich
lichter. Es wird Tag. Die Schlucht erweitert sich, und vor uns liegt
eine zerschossene kahle Bergkuppe. Wir steigen in die erste Zone ein.
Die erste Zone, das sind die Gräben, um die im Winter gerungen wurde.
Die hohen Bäume sind vernichtet, aber das Unterholz grünte wieder. Diese
Zone hat das Aussehen eines Weinberges, einer Hopfenpflanzung. Gräben,
Schutt, Granattrichter. Dann aber kommt die zweite Zone, der Berg
selbst. Wie sieht er aus? Unnatürlich, ohne jeden Vergleich! Man denke
sich einen wild erregten Ozean mit zornigen, dichtgedrängten Wellen, das
wilde Meer bei Sturm. Aber dieses Meer ist aus Lehm und plötzlich in
einer Sekunde erstarrt. Ich übertreibe nicht. So und nicht anders sieht
der Berg aus.

Wogen, Zacken, Abgründe. Das erstarrte Meer wälzt sich gegen die Höhe.
Dazwischen stehen Stumpen toter Bäume. Von Tausenden von Gewehrkugeln
wurden sie durchlöchert, bis sie wie ein Sieb waren und ein Windstoß sie
zu Boden warf. So sieht es hier aus, es ist das Trostloseste und
Schrecklichste, was die Phantasie erdenken kann. Gräben, Sprengtrichter
an Sprengtrichter, viele Meter tief und breit. Diese erstarrten
Lehmwogen sind das Ergebnis der Kämpfe von vielen Monaten. Es riecht
hier nach Leichen und schrecklichen Dingen. Teile menschlicher Körper
ragen aus den Lehmkrusten, Tuchfetzen, zerschlagene Blechgeschirre
liegen in den Löchern. Um jeden Granattrichter wurde hier gekämpft.
Langsam, Schritt für Schritt, mußten unsere Truppen sich zur Höhe
emporkämpfen. Sie standen bis an die Hüfte im Wasser. Es gibt hier einen
Weg, der den Namen „Selbstmörderweg“ trägt. Ein Annäherungsgraben, der
nur flach ausgehoben worden war, und den die feindlichen
Maschinengewehre bestrichen. Die Leute wollten lieber das Leben
riskieren, als ewig im Wasser waten! Tausende haben diese erstarrten
Lehmwogen verschlungen, Freund wie Feind. Nun schweigen sie.

Früher trug diese Wüstenei Namen: es sind die berühmten Werke Central,
Cimetière, Bagatelle, die im Juni und Juli genommen wurden.

Rot und dunstig steigt die Sonne über das tote Lehmmeer empor, das in
seiner höchsten Wildheit erstarrte. Granaten winseln durch die Luft,
Einschläge krachen. Ein schweres deutsches Geschütz schießt. Dumpf und
fern klingt der Abschuß, als gehöre das Geschütz einem anderen Teil der
Kampflinie an. Aber mächtig rauscht die Granate über uns dahin, und ein
paar Sekunden später kracht der Berg. Drei Granaten feuert es herüber,
dann schweigt es. Aber andere Geschütze schlagen. Eine Granate singt
doppelstimmig durch die Luft, ein Querschläger. Das hört sich drollig
an. Vereinzelte Gewehrkugeln summen über den Lehmberg dahin, ein
Maschinengewehr bellt heiser. Plötzlich kommt eine ganze Horde
feindlicher Granaten durch die Luft getrillert, eine hinter der anderen,
in wahnsinniger Eile. Es kracht, daß die Erde zittert. Der Franzose
schleudert Wurfminen.

Es ist die gewöhnliche Morgenarbeit, ganz „normales“ Feuer. Alles geht
gut.

Durch den Annäherungsgraben kommen die Leute aus den Feldküchen hinter
uns her. Immer zwei tragen an einer Stange auf den Schultern einen
schweren eisernen Kessel. „Bringt ihr Kaffee?“ – „Nein, Suppe, es muß
heute früher gegessen werden.“ – Heute! Ja, heute ist ein besonderer
Tag.

Die Sonne scheint, zum erstenmal treffe ich im Argonnenwald schönes
Wetter, aber die Grabenwände strömen eisige Kälte aus.

In den Gräben auf der Eselsnase ist schon alles munter. Zuerst kommen
wir zu den Württembergern, dann zu den Reichsländern und Preußen.
Draußen, fünfzig Meter, dreißig Meter entfernt liegt hinter einer Barre
von Stacheldrähten das Werk Marie-Thérèse. Eine blaue Rauchmauer steht
darüber, der Rauch von den Granaten und Minen der „Morgenarbeit“.
Granaten winseln und schlagen ein. Die schweren feindlichen Wurfminen
krachen wie Donnerschläge. Die Posten stehen am Gewehr, die
Maschinengewehre lauern. Handgranaten, Minenwerfer mit Munition, alles
ist bereit. Kupferdrähte führen hinaus in eine Sappe: um elf Uhr soll
die Mine hochfliegen! Überall ist man geschäftig, in aller Ruhe, denn
man hat Zeit. Ausfallstufen werden gegraben. Ernst und still sind die
Leute, etwas stiller als sonst, denn sie wissen, was der Tag für sie
bedeutet. Spricht man sie an, so reißen sie sich zusammen, entschlossen
und kühn blicken ihre Augen.

„Macht eure Sache gut, heute!“ – „An uns soll’s nicht fehlen! Heute
hau’n wir sie wieder zusammen.“

Sie machen auch Witze.

Die Offiziere kriechen aus ihren Unterständen und begrüßen uns.
Hauptleute, Leutnants. Sie sind zuversichtlich und frisch. Sie erteilen
uns Ratschläge, Warnungen, _sie_! Ein paar böse Ecken, wo sie
Handgranaten schmeißen, Minen. Ach, und ein paar Stunden später waren
einige der prächtigen Leute schon tot!

Wir gehen weiter. Minen krachen wie einstürzende Häuser. Ein Grauer
schaufelt; eine Mine hat ihm Erde in den Graben geworfen. Plötzlich ist
der Graben zugeschüttet. Ein paar Leute graben. „Was gibt es?“ – „Unsere
Offiziere sind eben verschüttet worden!“ – Mit Schaudern sah ich es, mit
Schaudern spreche ich davon, aber es ist Krieg, das darf man nicht
vergessen. Die Mine hatte den Graben vollkommen eingedeckt. Ein
Armstumpen ohne Hand ragte aus der Erde. Um die Ecke – – nein! Neben mir
kauerte mit angezogenen Knien ein Toter, sein Kopf hing auf die Brust
herab. Er sah nicht aus wie ein toter Mensch. Über und über mit grauer
Erde eingestäubt, Kopf, Gesicht und Kleider, erschien er wie die Statue
eines Schläfers mit angezogenen Knien, die man ausgegraben hatte. Sie
alle, zwei Offiziere und vier oder fünf Mann, waren gefallen vor dem
Sturm beim alltäglichen Morgenkampf. Ehre euch und Ehre dir, kleiner
grauer stiller Schläfer!

„Achtung!“ Eine Mine kam durch die Luft und schlug hinter uns krachend
ein. Der Jäger zu Pferd, dessen Augen so grün sind wie seine Uniform,
prüfte, ob wir über den verschütteten Graben wegrutschen könnten. Aber
es war unmöglich. Dreißig Meter querab lauerten die französischen
Gewehre.

Wir mußten zurück. Aber nun kamen die Minen, eine nach der anderen. Bald
mußten wir rechts, bald links ausweichen. Eine schlug vor uns ein, das
heißt nicht in den Graben, sondern draußen, ganz nahe, aber sie
explodierte nicht. In solchen Momenten ist man ganz ruhig. Man zittert
nicht, und das Herz schlägt nicht rascher. Man ist längst über die Zone
der Angst hinaus. Man weiß, daß man vollkommen in der Hand des
Schicksals ist, und damit fertig.

Hoch oben durch das Blau des Himmels zieht die Wurfmine. Sie erscheint
nicht größer als ein Habicht. Deutlich sind ihre Flügel, ihre Schwingen
zu erkennen, die ihr den ruhigen Flug verleihen. Sie rast eilig dahin,
in herrlicher Kurve, und sieht wundervoll aus. Wir stehen und folgen ihr
mit den Blicken. Plötzlich sticht sie wie ein Habicht herab, wird mit
jeder Sekunde größer, häßlicher und – gefährlicher. Achtung!

Der Teufel hat diese Minen erfunden.

Auf dem Heimweg in der Sappe begegnen wir wieder den Suppenträgern und
zwängen uns an den Kesseln vorbei. Sobald sie den dumpfen, unscheinbaren
Abschuß des Minenwerfers hören, lugen sie aus. Züge von Feldgrauen
schieben sich an uns vorüber, Gewehre, Handgranaten, Gasmasken. Einzelne
schleppen große Stahlschilde. Einer trägt auf dem Gewehr ein paar
Feldpostpakete. Die Gräben werden aufgefüllt. Immer näher kommt die
Stunde –

Wir überqueren das erstarrte Meer aus Lehmwogen. Das Morgenfeuer wird
ruhiger.

Der Jäger zu Pferde zieht die Uhr.

„Noch fünf Minuten!“

In fünf Minuten ist es acht. Da soll es losgehen.


                                   3

Punkt acht Uhr ging es los.

Mit der Sekunde feuerte ein Geschütz schweren Kalibers, und die Argonnen
krachten. Die Wälder horchten auf. Das schwere Geschütz gab eine Salve
krachender Schüsse ab. Pause. Dann begann es von allen Seiten. Ja! Die
Kanoniere standen schon überall bereit, glühend vor Kampfbegierde. Die
Granaten steckten schon in den Rohren, die Geschütze waren gerichtet und
nun rissen sie ab! Die Hölle tobte, krachte, lachte, rasselte. Es
fauchte, zischte, heulte in der Luft, es pochte, stampfte, rumpelte und
knurrte. Zuweilen klang es, als ob ein Riese, groß wie ein Berg, mit
einem Hammer auf eine Stahlwand losschlage, wütend und betrunken. Die
Kanoniere, ja diese Kanoniere mußten arbeiten wie verrückte Teufel! Die
Granaten mußten von selbst in die heißen Rohre springen, eine hinter der
andern, Schuß, laden, Schuß, laden. Der Schweiß läuft ihnen übers
Gesicht, aber so lieben sie es. Immer hinaus, was die Rohre hergeben
können.

Links oben von mir, an meinem linken Ohr, feuert mit harten, zornigen
Schlägen eine schwere Batterie, daß der Boden zittert. Die Geschosse
rauschen und klirren durch die Luft wie ein Eisenbahnzug, der über eine
Eisenbahnbrücke hämmert. Rechts oben, an meinem rechten Ohr, knallt eine
Batterie, und die Granaten gehen mit einem Zischen hinaus, wie wenn eine
Lokomotive mit Überdampf die Ventile löst. Dazu das Krachen und Knattern
der Einschläge, das wir deutlich hören, denn wir sind ja nicht weit
davon entfernt. Es ist ein Rauschen in der Luft, wie wenn ein Zug ein
Tal, eine Schlucht passiert. Zuweilen kommen Schreie und Winseln von
oben, wie wenn Menschen von Dämonen entführt würden und verzweifelt
klagten.

Das ist der Anfang. Drei Stunden, drei volle Stunden, bis elf Uhr, soll
dieses Feuer dauern!

Es ist nur die Eröffnung. Das Schachspiel, das mir der Jäger zu Pferde
gestern abend auf dem Papier erklärte, es setzt sich in die Wirklichkeit
um. Mudra spielt! Es ist die Eröffnung Mudras, und bei Gott, ich möchte
nicht mit ihm diese Partie spielen!

Ich sehe auf die Uhr. Es ist acht Uhr zwölf Minuten!

Alles ist auf die Straße gelaufen, wenn man so sagen kann. Die Straße
ist ein erbärmlicher Knüppelweg im Walde. Nebenan liegt der
Verbandplatz. Ärzte, Krankenträger, Ordonnanzen, Feldbäcker und
Chauffeure, alles steht auf der Straße, um sich das Feuer anzuhören und
anzusehen, obschon es nichts zu sehen gibt. Es rauscht und schleift in
der Luft, das ist alles. Alle sind in erregter und begeisterter
Stimmung. (Niemand denkt an Marie-Thérèse!!) Ich weiß recht gut, daß
eine Beethovensche Symphonie etwas anderes ist, aber das Feuer hat etwas
Berauschendes an sich! Es ist die Musik feuerspeiender Berge und
Urgewitter.

Wie sieht es droben in den Gräben aus, von denen ich eben komme? Sie
ducken sich hinter die Erdwälle, so furchtbar zischen die Granaten. Wie
sieht es in Marie-Thérèse aus, das ich eben sah? Die blaue Rauchmauer
ist ein dicker, gelbgrauer Wall geworden, und nichts Lebendiges ist zu
sehen. Fontänen von Erde jagen in die Höhe.

Es ist acht Uhr dreißig Minuten.

Der Franzose antwortet. Er kommt nur langsam in Gang. Er feuert
verwirrt. Es sind Granaten, die er gerade bei der Hand hat, es sind
Batterien, die noch nicht – nach der Morgenarbeit – frühstücken gingen.
Telephondrähte sind zerschossen. Die Batterien warten auf Befehl. Das
ist eine elende Situation. Mudras Eröffnung war zu unregelmäßig. Erst
acht Uhr dreißig Minuten kommt System in das französische Feuer. Nun
rauschen seine Lagen herüber –

Ein deutscher Flieger brummt über dem Wald.

Neben dem Verbandplatz treffe ich den Divisionär, Exzellenz Graf v. Pf.
Der Divisionär steht unter dem Schleifen und Rauschen der Granaten,
gleichmütig und ruhig, als ob er zu Hause wäre. Und doch kann jeden
Augenblick eine Granate hereinfegen, daß die Späne fliegen. Die Granate
ist blind und hat keinen Respekt vor gestickten Kragen.

„Es ist das Inferno!“ sagt der Divisionär gelassen, mit einem leisen
Unterton von Verwunderung und Bedauern.

Ja, in der Tat, trüge ich nicht ganz klare und festgefügte Vorstellungen
aus einer Zeit des Friedens und einer Welt ohne Kanonen in mir,
Vorstellungen, die die schwersten Kaliber nicht erschüttern können und
die dieses grausige Völkergewitter meinem Bewußtsein als ein blutiges,
aber vorübergehendes Kapitel einreihen, wäre es nicht so, sage ich, so
würde ich jetzt kapitulieren und bekennen, daß diese Erde, auf der wir
leben, schon die Hölle ist, von der die Pfarrer immer sprechen.

Das Geschützgewitter kracht in den Bergen.

„Nun wird er lebhaft,“ sagt der Divisionär in aller Ruhe, „es wird nicht
lange dauern, da schießt er hierher.“

Eine Granate saust über unsere Köpfe dahin wie eine blitzschnelle
bösartige Riesenbremse, und auf der Waldhöhe, dicht gegenüber, steigt
urplötzlich eine schwarze Riesenpinie aus Dreck und Rauch empor, höher
als die höchsten Eichen. Eigentümlich, die schwarze Einschlagsäule stand
schon im Wald, während das Ohr noch das Zischen des Geschosses aufnahm.
Ein grauer Rauchklumpen zerstäubt zwischen den Bäumen. Dann kommen ein
paar Granaten mit Brennzünder. Er tastet nach unseren Batterien.

„Na, was sagte ich!“ sagt der Divisionär und lacht. „Da kann er lange
hinschießen.“

Und unsere Haubitzen krachen, daß der Boden bebt.

Zwischen den Eichen, wo eben die Granaten einschlugen, klettert ein
Soldat den Wald herunter. Zum Teufel, was hat er da zu suchen?

Der Divisionär erzählt aus seinen Feldzugserlebnissen, von den Argonnen,
von seinen prachtvollen Truppen. (Ja, das sind sie!) Er erzählt, daß er
einen Fonds für die Hinterbliebenen seiner Division gegründet habe, der
schon die Höhe von über dreißigtausend Mark erreicht habe. Wir plaudern,
als säßen wir irgendwo behaglich bei einer Zigarre.

Nebenan, im Verbandplatz, ist schon alles bis aufs letzte vorbereitet.
Hier führt ein freundlicher Arzt den Oberbefehl. Er sprüht von Leben und
Arbeitseifer und steht sicherlich auf dem rechten Platze. Welch eine
Wohltat muß es sein, verwundet aus dem Gefecht unter diese Hände und
Augen zu kommen! Operationstisch, Verbandzeug, Instrumente, alles ist
bereit, blitzblank sind die kleinen Kammern. Die Ärzte warten.

Der Jäger zu Pferde führt mich durch den Wald hinauf zu einer kleinen
Baude. Hier haust während des Kampfes der Brigadegeneral v. K. mit
seinem Stabe. Der General heißt mich willkommen und erlaubt mir, zu
bleiben, solange ich will. Freundlicher wurde ich selten aufgenommen wie
bei den Leuten im Argonner Wald.

Hier in dieser Baude wird fieberhaft (und doch mit welcher Ruhe!)
gearbeitet. Der Adjutant, Hauptmann B., sitzt dauernd am Telephon.
„Geben Sie mir diese und jene Stelle, rufen Sie Herrn Soundso! Wie? Das
Feuer liegt vorzüglich. – Bei den Franzosen hat man eine Explosion
beobachtet. Es wird ein Munitionslager in die Luft gegangen sein. –
Teilen Sie Herrn X. Y. mit, daß die Batterie Z. glänzende Resultate hat.
Ein Flieger hat es gemeldet. Erster Schuß saß sofort in Harazée (ein
kleines Dorf), ebenso erster Schuß in Vienne-le-Château. Jawohl, danke
schön. – Ich werde jetzt auf diesen und jenen Punkt feuern lassen. Es
liegt Meldung vor, daß der Franzose versucht, da und dort Verstärkungen
vorzuschieben.“

Das Telephon tutet. Ohne Pause geht es so fort.

Das kleine Fenster der Baude rasselt bei jedem Geschützschlag. Draußen
scheint die Sonne. Die Granaten rauschen mächtig dahin. Zuweilen summt
es in der Luft oder es klingt klirrend, wie wenn eine Stahlseite
zerspringt, es pfeift: Sprengstücke, verirrte Kugeln, die durch den Wald
fliegen.

Das Feuer hat um etwas nachgelassen, aber es ist noch immer ein
infernalisches Dröhnen und Krachen.

Das Telephon tutet. „Jawohl?“ Das Regiment X. meldet, daß unser Feuer zu
kurz liegt und die eigenen Gräben gefährdet. – „Das ist unmöglich,“
antwortet der Adjutant. „Es werden feindliche Einschläge sein.“ Er bekam
recht. Ein paar Minuten später geht die Meldung ein, daß zwei feindliche
Flieger in der Luft sind und das Feuer der Artillerie auf den
betreffenden Graben lenken. „Ich werde einen Flieger hochschicken!“
antwortet der Adjutant. Eine andere Stelle muß schon Meldung gemacht
haben, denn fünf Minuten später brummt ein deutscher Doppeldecker hoch
oben über den Wäldern.

Wir essen zu Mittag: „Denn essen muß der Mensch, trotz allem.“ Der
Adjutant sitzt in der engen Stube mit dem Rücken gegen das Telephon, um
nur die Hand nach dem Hörer ausstrecken zu müssen. Dutzendmal wird er
unterbrochen, aber doch findet er noch Zeit, mir zuzureden und
nachzusehen, ob mir auch ja nichts fehlt.

Gegen elf Uhr schwillt das Feuer wieder zur früheren Raserei an. Die
Geschütze taumeln vor Grimm. Immer hinaus, was die Rohre hergeben
können! Dann kracht der Wald von furchtbaren Explosionen: die Minen
wurden gesprengt. Die Erde zittert.

Und nun ist es elf Uhr. Jetzt müssen sie aus den Gräben! Es sind Minuten
der größten Spannung.


                                   4

Ja, nun steigen sie aus den Gräben! Auf der ganzen Linie von zwei
Kilometern.

Über die Ausfallstaffeln klettern sie empor, durch die Sappen stürzen
sie sich gegen den Feind. Handgranaten am Gürtel, Rauchmasken,
Schutzschilde, eine Handgranate in der Rechten, fertig zum Abreißen, das
Gewehr über der Schulter, bereit zum Schuß, bereit zum Zuschlagen. Die
Kugeln schwirren.

Ein Mann fällt, während er sich aus dem Graben schwingt, ein Mann fällt
auf den Grabenwall, ein Mann fällt nach drei Schritten – aber die
Kameraden stürmen weiter, mit Hurra und Geschrei, hinein in Dunst und
Rauch.

Der Gegner ist zusammengetrommelt, aber keineswegs erledigt. Aus
Grabenlöchern feuert er, aus Granattrichtern, mitten in Schutt und Erde
richtet er das Maschinengewehr, das noch intakt ist. In einer Sappe hat
er sich zusammengedrängt, die Handgranaten krachen, weiter! Es fällt der
Mann im Dunst, im Rauch. Ein paar Grenadiere bringen ein feindliches
Maschinengewehr in Stellung. Sie fallen. Weitab sind schon die
Kameraden. Vorwärts! Es fällt der Offizier.

Auf einer Linie von zwei Kilometern branden sie so vor. Heiß ist der
Nahkampf. – –

Unsere Gedanken sind oben bei ihnen, unsere Wünsche, unsere Hoffnungen
und unsere Angst. Die Spannung schmerzt, im Herzen, im Gehirn. Wird es
gelingen? Im ganzen Umfang? Und wird es mit geringen Opfern gelingen?

Es ist ganz still in unserer Baude.

„Wollen wir hören, ob viel Infanteriefeuer hörbar ist. Denn das bedeutet
nichts Gutes,“ sagt der General, und wir treten hinaus.

Es ist fast gar kein Infanteriefeuer vernehmbar. Es steht gut! Die
Geschütze krachen und wettern ohne Pause. Sie schießen nun natürlich
nicht mehr auf Marie-Thérèse, sie feuern auf die feindlichen Batterien
und Zugangswege. Die feindlichen Einschläge krachen in den Wäldern. Aber
durch die kurzen Pausen des Krachens hindurch lauschen wir gespannt nach
oben. Nur vereinzelte Schüsse. Da beginnt ein Maschinengewehr hohl zu
klopfen.

„Ein französisches Maschinengewehr! Das ist schrecklich!“ sagt ein
Offizier leise vor sich hin.

Aller Herzen sind oben bei ihnen, die jetzt kämpfen für die deutsche
Sache.

Es kommt die Meldung, daß alles gut stände. Wir atmen auf.

Elf Uhr dreißig Minuten trifft die erste bestimmte Meldung ein. Das
Regiment X. hat zwei Gräben genommen, gegen hundert Gefangene. Es geht
gut vorwärts.

Der Adjutant sitzt am Telephon, und sobald er eine Meldung
entgegengenommen hat, teilt er sie uns mit.

Elf Uhr vierzig Minuten. Das Regiment Y. hat ein paar Gräben überrannt,
eine Anzahl Gefangene, Maschinengewehre, Minenwerfer. Es sind die Leute
von der Eselsnase, bei denen ich heute morgen war. Das Regiment ist
berühmt und gefürchtet beim Gegner.

Ein anderes Regiment meldet, daß es infolge starken Artilleriefeuers nur
mühsam aus dem Graben kam, jetzt aber rasche Fortschritte mache. Leider
einige Offiziere gefallen. Kompanieführer X., Leutnant Z. – Vor ein paar
Stunden sprach ich noch mit ihnen.

Der General blickt vor sich hin und holt tief Atem.

Es ist Krieg, Krieg, man darf es nicht eine Minute vergessen.

Meldung um Meldung. Das Regiment Z. meldet, daß es einhundertundfünfzig
Gefangene gemacht habe. Punkt erreicht. Anschluß an Nachbarregiment.

Die Meldungen lauten alle gleich günstig. Hundert Gefangene,
zweihundert, dreihundertfünfzig – kein Zweifel: der Angriff ist
geglückt. Wir haben gewonnen!

Um zwölf Uhr meldet der Bursche: „Herr General, die ersten Gefangenen!“

Wir sehen einander erstaunt an. „Schon,“ sagt der General, und wir gehen
durch den Wald, hinüber zum Knüppelweg.

Da stehen sie. Drei Stück. Verschwitzt und bestaubt kommen sie aus den
Gräben. Sie machen einen jämmerlichen Eindruck. Einer trägt ein Käppi.
Er ist ganz grau, Bretone, einundvierzig Jahre alt. Seine schmutzigen
groben Hände zittern vor Erregung. Die beiden anderen sind junge
Burschen, gegen zwanzig, klein, schwarzhaarig, mit runden schwarzen
Glotzaugen. Sie tragen blaugraue Stahlhelme auf den runden Köpfen,
Helme, die den alten Sturmhauben des Mittelalters ähneln und ganz neu
sind. Die Burschen gefallen mir nicht. Und als ich anfange, sie
auszufragen, bekommen sie auch sofort Streit. Einer wirft dem andern
vor, sich im Unterstand versteckt zu haben. Sie hatten es eilig, in
Gefangenschaft zu geraten, das kann ich sehen. Es sind Leute aus
Toulouse.

„Was wird man mit uns tun?“ fragt einer der Tapferen mit dem Stahlhelm
mit einem ängstlichen Blick.

„Man wird euch in ein Lager nach Deutschland schicken,“ antworte ich. Er
ist befriedigt. Was dachte er denn –??

Nun aber wimmelt es auf dem Waldweg. Eine Feldbahn führt in der Nähe
vorüber. Darauf laufen Karren, von vier Krankenträgern geschoben, und
auf den Karren sitzen und liegen die Verwundeten. Auf einer Karre hockt
oben ein junger Franzose und jammert und stöhnt in gleichen
Zwischenräumen. Sonst hört man nur selten einen Schmerzenslaut.

Eine Bahre wird vorübergetragen. Ein Feldgrauer liegt ausgestreckt
darin.

„Wo fehlt’s?“ fragt der General.

„Beinschuß!“

„Nun, immer rasch zum Verbandplatz.“

Eine zweite Bahre wippt auf den Schultern der Träger vorüber. Bleich und
still liegt darin ein Franzose.

Leichtverwundete kommen allein an. Der General hat für jeden ein
ermunterndes Wort, einen freundlichen Zuruf. „Was ist mit Ihnen?“ fragt
er einen Grauen, dessen rechte Hand in blutigem Verbandzeug steckt.
„Granatsplitter.“ – „Na, es wird nicht so schlimm sein. Wissen Sie den
Verbandplatz? Gleich da drüben.“ Wie ein Vater spricht der General
seinen Leuten zu. „Wie steht es oben?“ – „Wir haben drei Gräben
genommen, Herr General!“ – „Na, das ist prachtvoll. Immer rasch zum
Verbandplatz.“

Bahren, Karren.

Ein Grenadier mit verbundenem Arm, gestützt von einem Krankenträger,
kommt festen Schrittes, stolz und aufgerichtet des Weges, obschon ihm
Schmerz und Schrecken im Gesicht sitzen. Ein Lob des Generals läßt seine
Miene aufleuchten.

Auf einer Karre sitzt ein Verwundeter. Sein Kopf ist nichts als ein
weißes Knäuel mit blutigen Flecken. Aber er sitzt mit verschränkten
Armen, ganz behaglich.

So strömt es unaufhörlich vorüber, und die Granaten rauschen und zischen
ohne Pause über den Wald.

Ein Grauer, mit blutigem Kopfverband, tritt an den General heran und
schlägt die Absätze zusammen.

„Wo kann ich Herrn Major Soundso sprechen? Ich habe eine Meldung zu
machen.“ Das Blut tropft dem Tapferen übers Gesicht.

„Was soll es sein?“

„Das Regiment hat drei Gräben genommen und über zweihundert Gefangene.“

„Ich werde es bestellen lassen. Aber nun schauen Sie, daß Sie sich mal
erst ordentlich verbinden lassen.“

Der Graue klappt mit den Stiefeln. Ab. Ja, was für Leute das sind!

Ein anderer kommt vorbei, den Kopf verbunden. Er war schon vor dem Sturm
verwundet worden, machte aber noch den ganzen Angriff mit.

Die Gefangenen fluten in dichten Zügen heran. Sie werden aufgestellt und
gezählt. Fast alle tragen diese blaugrau angestrichenen Stahlhelme.
Vereinzelte nur tragen Käppis oder haben sich ein Schnupftuch um den
Kopf gebunden. Sie sind schmutzig, verwildert, zerfetzt und verstaubt,
stumpf, bleich und erschöpft und kleinlaut, wie alle Soldaten, die aus
der Schlacht kommen und in Gefangenschaft gerieten. Aber sie machen
einen weitaus besseren Eindruck als die ersten drei. Es sind Leute teils
aus den nördlichen Departements, Bretagne, teils aus dem Süden,
Toulouse, Nîmes, Marseille. Manche rauchen schon wieder ihre Pfeife oder
den Zigarettenstummel. Einer trägt einen halben Laib Brot, einer eine
Decke. Sie zeigen die Photographien ihrer Frauen und Kinder und fragen,
ob sie sie behalten dürfen. Natürlich dürfen sie das! Zuweilen schütteln
sich ein paar die Hand, die sich hier wiederfinden. Es ist ein langes,
bedeutsames Händeschütteln!

Manche sind verwundet und tragen Verbände. Einem ist die Hand
zerschmettert, dem anderen hat eine Kugel den Arm durchschlagen.

Der General steht und läßt die Augen über die Kolonnen schweifen. Sobald
er einen Verwundeten sieht, läßt er ihn herankommen, fragt, forscht:
„Ulan, bringen Sie den Mann zum Verbandplatz.“ Aus jeder Kolonne
scheidet ein Trüppchen Verwundeter aus und hinkt, humpelt und taumelt
hinter den Führern her.

Aber der General hat seine Augen überall. Er sieht auch, was hinter den
Kolonnen vorbeikommt, ruft, ermuntert, lobt.

Da kommt auch mein Grenadier mit den zwei Postpaketen am Gewehr zurück.
Heute morgen sah ich ihn in die Gräben hinaufgehen. Da ist er wieder.
Eine Handgranate hat ihn leicht am Gesicht verletzt. Er hatte gar nicht
Zeit, seine Paketchen zu öffnen.

Es werden immer mehr Gefangene. Es sind ganze Züge und Kompanien – und
auf der anderen Seite des Berges soll es auch in die Hunderte gehen!

Der General kann unmöglich alle übersehen, und so gehe ich die Kolonnen
entlang und suche die Verwundeten heraus. – „Herr General, hier ist ein
Mann mit einem Armschuß.“ – „Ulan, zum Verbandplatz.“ – Väterlich sorgt
der General für den Feind. Sein Ton ihnen gegenüber ist freundlich und
schlicht.

Ein Gefangener fragt mich, ob er nicht ebenfalls verbunden werden
könnte. Ich sehe ihn an, er sieht etwas erschrocken aus, aber ich sehe
keine Verwundung. Er hat Schüsse da unten, sagt er. Augenblicklich läßt
er die Hose herunter, und ich sehe, daß er einen Schuß im rechten
Oberschenkel und einen über dem Gesäß hat.

Ich führe ihn zum General. Auch hier will er sofort die Hose
herunterlassen, aber der General glaubt ihm so.

„Nehmen Sie den Mann da noch mit, Ulan. Stützen Sie ihn, so, immer
vorwärts.“

Kolonnen um Kolonnen ziehen vorbei. Jetzt, um ein Uhr, sind schon
eintausendvierhundert Gefangene gemeldet. Im ganzen wurden es
zweitausend. Immer neue strömen aus dem Wald. Karren, Bahren,
Verwundete. Nie werde ich diesen Weg im Argonnerwald vergessen.

Vor dem Verbandplatz liegen und stehen die Verwundeten herum. Sie sind
ruhig und fühlen sich geborgen. Die Ärzte sind drinnen an der Arbeit.
Ich sehe, wie der freundliche, lebenslustige Chefarzt ernst und
hingegeben einen blutigen Lappen mit der Schere abtrennt.

Das ist die Kehrseite von Hurra und Siegesjubel. Es ist Krieg, man darf
es nicht vergessen.

Die Geschütze dröhnen, die Einschläge krachen, die Granaten gurgeln und
pflügen durch die Luft. Verirrte Kugeln und Sprengstücke surren und
klirren. Zwischen den Bäumen wandern wie eine blaugraue Schlange die
Gefangenen.

Droben in den Gräben aber geht es weiter, heiß und blutig. Die eroberten
Gräben müssen instand gesetzt, Schutzschilde und Sandsäcke auf die
andere Seite gebracht werden. Die Gewehre peitschen, Maschinengewehre
hämmern, der Kampf geht weiter. Bis die Nacht kommt, und auch in der
Nacht wird es keine Ruhe geben.

Wir fahren los und jagen quer durch die Argonnen, um zu hören, wie es
auf der anderen Seite des Berges ging.


                                   5

Auch auf der anderen Seite des Argonnerwaldes war alles nach Wunsch
gegangen. Wie auf der Eselsnase waren die Tapferen auf der Hubertushöhe
aus den Gräben geschnellt und hatten den Feind geworfen. Bis jetzt,
nachmittags, hatten sie über achthundert Gefangene gemacht. Das ist eine
hübsche Anzahl im Grabenkrieg!

Die krumme bucklige Straße des armseligen Argonnendorfes ist
überschwemmt von blaugrauen Franzosen. Und oben erscheint schon eine
neue Kolonne. Ein ganzes Bataillon ist hier versammelt. Die Bewohner des
Dorfes stehen vor den Haustüren und begaffen ihre Landsleute. Zuweilen
habe ich in dem und jenem Orte gesehen, daß Frauen weinten, wenn
Gefangene vorübergeführt wurden. Hier nehmen sie es gelassen. Hunderte
und Tausende sind schon aus den Wäldern herunter in ihr Dorf gekommen.

Fast alle tragen den blaugrau gestrichenen Stahlhelm, der tief über den
Kopf gestülpt ist, so daß sie gerade noch geradeaus blicken können.
Einzelne haben ihn verloren oder fortgeworfen und sich Sacktücher über
den Kopf gebunden. Einer trägt nur das Lederfutter des Helmes. Der Helm
gibt ihnen allen ein ungewohntes und leise komisches Aussehen. Ich bin
sicher, daß es drüben bei ihnen großes Gelächter und Scherzen gab, als
die ersten mit diesem Möbel anrückten. Viel Wert kann der Helm nicht
haben. Dafür ist er zu dünn. Gegen Splitter, Steinschlag höchstens, aber
das würde auch der Schädel aushalten. Immerhin ist er schwer genug, um
dem Mann das Schwitzen beizubringen. Sie schwitzen alle jämmerlich, die
armen Burschen.

Sie sind zumeist erschöpft und abgestumpft vom Kampf. Groß, klein,
Grauhaarige, halbe Knaben, ernste Männer und unreife Bengel,
schwarzäugig, blauäugig, hager und rund, Bärte, Milchgesichter, alle
verschieden groß. Die blaugrauen Rockärmel voller Lehm und Schmutz, die
Schuhe zerweicht, die Wickelgamaschen zerrissen. Sie kommen aus der
Schlacht, das muß man festhalten, die Ausrüstung ist jedenfalls gut.
Einzelne tragen rote Wollschärpen um den Leib, andere Wollwesten, einer
steckt in einem blauen Arbeiteranzug. Die Verwundeten sind schon alle
ausgeschieden. Einzelne nur haben Verbände an Hand oder Kopf, leichte
Schrammen. Sie kauen, rauchen, kramen die paar Habseligkeiten aus der
Tasche, die sie aus der Katastrophe retteten. Manche lachen schon
wieder. Sie sind eine etwas zusammengewürfelte Gesellschaft, ohne jeden
Zweifel. Zumeist vom Süden. Sie sollen sich indessen wacker geschlagen
haben.

Abseits stehet ihr Bezwinger: der Kronprinz und der Kommandierende, und
betrachten sie und tauschen Beobachtungen aus.

Der Kronprinz tritt an zwei junge Burschen heran, die sich aus den
Tabakresten ihrer Hosentaschen Zigaretten drehten und kein Feuer haben.
Er reicht ihnen seine Streichholzschachtel und spricht sie an. Nun,
besonders gute Manieren haben die zwei jungen Bengel nicht, es sind
Hafenarbeiter aus Toulouse. Sie plaudern lebhaft, paffen und lachen. Sie
sind froh, aus der Sache heraus zu sein, sie machen kein Hehl daraus.
Aber der Kronprinz spricht mit ihnen, freundlich und schlicht, wie er
mit seinen eigenen Soldaten redet. Sie haben sich geschlagen für ihr
Land, der Tod ging da oben hundertfach dicht an ihnen vorüber, es kommt
also hier nicht so sehr auf die Manieren an.

Links, ein paar Schritte abseits von den dichtgedrängten Reihen der
schwitzenden, schmutzigen Gefangenen, steht eine Gruppe gefangener
Offiziere. Ihre Haltung ist würdig. Die Uniform ist einfach, weit und
bequem geschnitten, es ist nahezu die Uniform des gemeinen Mannes. Keine
Dekorationen, keine Abzeichen. Am Ärmelaufschlag zwei schmale, drei
Zentimeter lange wagrechte verblaßte goldene Borten, das ist alles. Für
die Eitelkeit ist diese Uniform nicht geschaffen, das kann niemand
behaupten. Sie tragen blaugraue Käppis. Wohin ist die prunkvolle
Maskerade des französischen Heeres gekommen?

Ernst und nachdenklich sehen sie vor sich hin. Qualvoll und demütigend
ist ihre Situation, obschon jedermann bestrebt ist, ihre Gefühle zu
respektieren. Ein Offizier, der äußerste, ist blaß wie eine Wand und
vollkommen erschöpft. Sein Blick geht ins Leere. Neben ihm steht ein
junger Leutnant, keine vierundzwanzig, mit vornehm geformten energischen
Zügen. Die Muskeln seines Gesichtes zucken, er blickt zum Himmel empor,
zur Erde herab, er nagt an der Lippe, er kämpft mit den Tränen.

Sie alle leiden. Aber ihre Leute fangen an, sich mehr und mehr mit der
Lage abzufinden. Sie schwatzen und lachen. Sie sind allzu eifrig, mir zu
erklären, daß „sie sich beglückwünschen“, aus der Sache heraus zu sein.
Jeder beglückwünscht sich. _Je me félicite –!_ „Ja, da oben ging es
schlimm zu, große Verluste. Ich wurde verschüttet, grub mich aus, mit
Hilfe eines Kameraden. Da waren die Deutschen schon da, überall, wir
sehen einen Trupp Gefangener und laufen hin. Ihr Angriff war gut
gemacht, chic! Ich beglückwünsche mich, offen gestanden.“

Ich nehme einen jungen, intelligent aussehenden Burschen zur Seite, gebe
ihm eine Zigarette und plaudere mit ihm. Er stammt ebenfalls aus dem
Süden. Er war in einer Sappe, die zugeschüttet war, die Deutschen warfen
Handgranaten hinein, sie selbst schossen heraus, Geschrei, Rauch, schon
war er gefangen. Er breitet die Arme aus und deutet auf die Landschaft:
„Ich sehe mein Land, ich sehe alles in bester Ordnung. Ich sehe hier das
Dorf und die Leute, es ist alles sauber, die Felder sind bestellt, Vieh
gibt es hier. Und man hat uns gesagt, daß die Deutschen alles plündern
und niederbrennen. Ich traue meinen Augen nicht.“ Gleich darauf
beglückwünschte auch er sich.

Ich gebe ja jedem Soldaten das Recht, sich zu freuen, daß er lebendig
aus der Schlacht kam, denn selbst der Tod fürs Vaterland ist schwer, so
leicht er auch vielen Leuten erscheint, die nie eine Granate sausen
hörten – allein, es ist schließlich nicht nötig, daß er die
Gefangenschaft als die beste Lösung preist. Es ist auch nicht nötig, daß
sie mir erzählen, ihre höheren Offiziere hätten Reißaus genommen, denn
es ist nicht wahr, das weiß ich von anderen.

Ich habe schon bessere französische Regimenter gesehen.

Immer neue Gefangene strömen ins Dorf. Über den Wäldern wird ein
feindlicher Flieger beschossen. Die Geschütze krachen und pochen noch
immer wütend. Gegen Abend steigert sich das Feuer mehr und mehr, und in
der Nacht rollt es pausenlos und zornig. Trommelfeuer.

Am Morgen sehe ich die Gefangenen abmarschieren. Ein langes blaues Band
schlängelt sich ins Tal. Der junge Offizier hat sich gefaßt und
schreitet still und ergeben wie ein Leidtragender in einem Trauerzug
hinter den blauen Stahlhelmen her.

Eine Stahlhaube ist neben einem Baum liegen geblieben.

Da eilt ein französischer Hauptmann aus dem Dorf hervor. Er hat sich
verspätet. Sein Kopf ist verbunden, ich habe ihn gestern nicht gesehen.
Er geht eilig auf den Jäger zu Pferde zu und schüttelt ihm die Hand,
erschüttert, gebrochen, verzweifelt, wie man in schwerem Leid einem
Freund die Hand schüttelt, sicher seines Verstehens, Vertrauens,
Glaubens. Es gibt Beziehungen zwischen den Völkern, die alle Diplomatie,
mangelhafte und perfide, nicht zerstören kann.

„Trösten Sie sich,“ sagt der Jäger zu Pferde, „es ist der Krieg!“

Der Hauptmann antwortet nichts, er schüttelt gebrochen den verbundenen
Kopf, und mit verzweifelten großen Schritten stürzt er seiner Truppe
nach. –

Die Schlacht ist zu Ende, die Schlacht ist gewonnen. Zweitausend
Gefangene, große Beute, auf einer Front von zwei Kilometern der Feind
zurückgeworfen. Es ist ein großer Erfolg. Nehmt den Hut ab vor den
Argonnenkämpfern!

Aber wie erstaunt war ich, im französischen Bericht zu lesen, daß es
wieder einmal nichts war. Die Armee des Kronprinzen hatte überhaupt
keinen Erfolg errungen. Zwei mißglückte Angriffe – unser Bericht
enthalte phantastische Zahlen, es sei klug, diese Zahlen in derartigen
Fällen immer durch zehn zu dividieren. – –

Großes Frankreich, dein Erbe ist in bedenkliche Hände geraten. Dein
Geist ist bei deinen Erben zur Phrase geworden und die Phrase zur Lüge.


             Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig




                                 Anzeigen




                       Werke von Bernhard Kellermann


                               Yester und Li

        Die Geschichte einer Sehnsucht. (Fischers Romanbibliothek.)

               Gebunden 1 Mark, in Leinen 1 Mark 25 Pfennig.

   Die Geschichte einer Sehnsucht ist es, die der Verfasser erzählt –
   einer zarten, zitternden, tastenden Sehnsucht. Einer so
   verzehrenden, wahnwitzigen, ungeheuerlichen Liebessehnsucht, wie sie
   nur ein Dichter, ein Auserwählter unter den Menschen, zu einem
   auserwählten, seltenen, wundervollen Weibe empfinden kann. –
   Wunderbar ergreifend ist der Schluß. Ein Dichter hat dies Buch
   geschrieben. Ein wirklicher Dichter. Mit sanfter, zagender Hand sind
   die letzten Hüllen von menschlichen Seelen gezogen. Und doch
   erscheint alles wie durch zarte Schleier, von einem seltsamen matten
   Glanz umsponnen. Letzte Menschlichkeiten werden aufgedeckt. Feines,
   Leises wird gegeben, wie mit dem Silberstift gezeichnet.

                                     (Königsberger Allgemeine Zeitung)


                                 Ingeborg

           Roman. 30. Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.

   Ganz trunken von Schönheit und Schmerz ist das Buch. Es schlägt Töne
   an, die man schwer vergißt ... Selten ist etwas Glühenderes und
   Sanfteres geschrieben worden wie die Schilderung dieser Liebe. Eine
   erhobene Sprache geht durch die Blätter des Buches, ohne doch uns
   der Erde zu entrücken ... Wenig und einfach ist, was geschieht, aber
   die Feinheit und Intensität der Schilderung macht es zu einem
   Äußersten als Seelenerlebnis sowohl wie als Kunst.

                                                     (Der Tag, Berlin)

   Frauen und Jünglinge, leset dies neue Buch – Ingeborg – diesen
   zweiten Roman von Bernhard Kellermann. Die Liebe lebt darin und die
   Romantik. Und der Wald lebt darin und alle Jahreszeiten. Jung ist
   es, ganz jung-jung, und das Blut macht es unruhig, es fiebert von
   Liebe. Mit einer kindlich zarten und zugleich unerhört verfeinerten
   Gabe wird hier von den heiligsten und besten Dingen gesprochen. Von
   Gott, von der Liebe, vom Wald ... Ich will mich mit diesem Buche
   nicht allein freuen. Jedem möchte ich es in die Hände drücken, der
   überhaupt noch einen Roman lesen kann.

                                                      (Die Zeit, Wien)


                                  Der Tor

           Roman. 14. Auflage. Geheftet 5 Mark, gebunden 6 Mark.

   Die Leser von „Ingeborg“ werden ihren Dichter in diesem Buche
   wiederfinden, aber er wird ihnen als ein Größerer begegnen, reifer
   und reicher geworden in den wenigen Jahren, die zwischen den beiden
   Werken liegen. Sein Blick hat sich von den wolkengleich umrissenen
   Gestalten der Liebeslegende tiefer erdenwärts gewandt und schaut
   jetzt den Kreaturen des täglichen Lebens zu, wie sie, gehämmert,
   zerstoßen und verkrümmt von der Unerbittlichkeit der Verhältnisse,
   ihr Dasein zu Ende führen. Der Tor ist ein junger, reiner Mensch,
   der in einem Städtchen auftaucht, um das Unrecht zu sühnen, das
   Menschen an einer Verstorbenen geübt haben. Bald sieht er ein, wie
   vieles es im kleinsten Kreise gutzumachen gibt, woran die Menschen
   keine Schuld haben, und sein Drang weist ihm den Weg zu den Hütten
   der Elendesten, Bejammernswertesten. So ist auch dies Buch ein Buch
   der Liebe geworden, aber der Liebe des einen zu allen.

                                                (Hannoverscher Kurier)


                                 Das Meer

           Roman. 18 Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.

   Es ist ein Werk, das man mit Ehrfurcht und Freude aus der Hand legt,
   im sicheren Bewußtsein, einen Schatz gefunden zu haben, von dem man
   immer wieder gern genießen wird. Ein kulturmüder Mann lebt einen
   Sommer hindurch auf einer bretonischen Fischerinsel. Er versinkt
   ganz in dem kräftigen, urwüchsigen Dasein dieser einsamen Welt.
   Trinkt, flucht, liebt und haßt wie die Bewohner der Insel, die
   gleich abgeschlossen ist von den Moralbegriffen wie dem
   Rechtsempfinden der Welt da draußen ... Manchem wird die wilde
   Schönheit unverständlich bleiben, manchen wird auch die feinste
   Sprachkunst nicht darüber hinwegsetzen, daß es immer wieder nur das
   Meer ist – und nur das Meer, von dem er lesen muß. Wer sich aber in
   dies Werk ernstlich vertieft, dem wird es seine Mannigfaltigkeit
   wohl erschließen. Und er wird meine Freude darüber teilen, daß auch
   einem Deutschen der Entdeckerflug in die unbekannten Reiche der
   Natur gelungen ist, der bisher Männern wie Kipling oder Loti
   vorbehalten schien. Nur daß Kellermanns Empfindung wärmer, seine
   Anschauungskraft stärker, seine Sehnsucht tiefer ist.

                                             (B. Z. am Mittag, Berlin)


                                Der Tunnel

        Roman. 120. Tausend. Geheftet 3 Mark 50 Pfennig, in Leinen
             gebunden 4 Mark 50 Pfennig, Geschenkband 6 Mark.

   In diesem Buch rollt der Donner ungeheuerer moderner Maschinen.
   Weite und Welthorizonte sind in ihm. Aber alles wirbelt und tanzt
   und dreht sich, und man sieht nur große Konturen, sieht nur Massen,
   zusammengeballt und mit fortgerissen in der rasenden Bewegung dieser
   Zeit. Man spürt das unerhörte Tempo der Gegenwart, der heutigen
   Epoche, während man dieses Buch liest. Man spürt gleichsam die Erde
   ringsum vibrieren, als erbebe sie bis in ihren Grund unter der
   zugreifenden Gewalt des Menschen. Man spürt das Fiebern, Keuchen,
   Wüten und geniale Delirieren der unermeßlichen Arbeit, die rund um
   uns her verrichtet wird. Und das ist zuerst ein beklemmendes Gefühl,
   dann aber ein befreiendes Glücksbewußtsein. Man wird niedergedrückt
   und gleich darauf angefeuert, hoch emporgehoben und wie berauscht
   von Mut, von Entschlußfreude und Zuversicht und von Seligkeit,
   dieses schäumende Leben von heute mitleben zu dürfen.

                                             (Neue Freie Presse, Wien)




                    Im gleichen Verlag ist erschienen:


                    Aage Madelung: Mein Kriegstagebuch

              7. Tausend. Geheftet 2 Mark, in Leinen 3 Mark.

   Die Schilderungen Madelungs zeichnen sich durch schmucklose,
   anschauliche Schlichtheit aus. Nicht immer ist der Krieg eine
   unerbittliche Trennung; hier ereignet es sich, daß ein germanischer
   Nordländer begeisterte, glühende Liebe zu einer ihm fernstehenden
   Nation faßt. Madelung wird enthusiastisch, sowie er von Ungarn und
   den Ungarn spricht.

                                                      (Wiener Zeitung)


                              Aage Madelung:
                        Jagd auf Tiere und Menschen

               5. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.

   Ein Urwaldmensch und ein Raffinierter. Welch seltsamer Widerspruch!
   Und ebenso widersprechend: in Sumpf und Moor ein wilder,
   weidlüsterner Jäger, und dann, am einsamen Reisigfeuer, ein vor sich
   hingrübelnder kosmischer Philosoph. Diesen Menschen muß man näher
   kennen lernen. Man findet seinesgleichen nicht alle Tage.

                                             (Neue Freie Presse, Wien)


                         London und Paris im Krieg

             Reiseerlebnisse in Kriegszeit von Norbert Jacques

         17. Tausend. Geheftet 1 Mark 50 Pfennig, gebunden 2 Mark.

   Das Buch ist Impressionismus in bestem Sinn; das gibt ihm einen
   hohen dokumentarischen Wert in alle Zukunft für den
   franko-englischen Gemütszustand im allgemeinen und für das
   französische Delirium im speziellen.

                                             (B. Z. am Mittag, Berlin)




                 Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte

                        Jeder Band gebunden 1 Mark

    1.  Band:  Aus den Kämpfen um Lüttich. Von einem Sanitätssoldaten.
    2.  Band:  Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft. Von Franz
                  Oppenheimer.
    3.  Band:  Der englische Charakter, heute wie gestern. Von Theodor
                  Fontane.
    4.  Band:  Preußische Prägung. Von Lucia Dora Frost.
    5.  Band:  Friedrich und die große Koalition. Von Thomas Mann.
    6.  Band:  Die Fahrten der Emden und der Ayesha. Von Emil Ludwig.
                  Mit 20 Abbildungen.
    7.  Band:  In England – Ostpreußen – Südösterreich. Von Arthur
                  Holitscher.
    8.  Band:  Der deutsche Mensch. Von Leopold Ziegler.
    9.  Band:  Russischer Volksimperialismus. Von Karl Leuthner.
   10.  Band:  Die Flüchtlinge. Von einer Reise durch Holland hinter die
                  belgische Front. Von Norbert Jacques.
   11.  Band:  Zwischen Lindau und Memel während des Kriegs. Von Paul
                  Schlenther.
   12.  Band:  Deutsche Kunst. Von Karl Scheffler.




                       S. Fischer · Verlag · Berlin




                     Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 114]:
   ... „Und wie ist die Stimmung im allgemeinen. In ...
   ... „Und wie ist die Stimmung im allgemeinen? In ...

   [S. 156]:
   ... Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, noch Monaten ...
   ... Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, nach Monaten ...

   [S. 175]:
   ... und Festhubert nicht vergessen. – ...
   ... und Festubert nicht vergessen. – ...


*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KRIEG IM WESTEN ***

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
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without further opportunities to fix the problem.

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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
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violates the law of the state applicable to this agreement, the
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the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation's website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without
widespread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

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facility: www.gutenberg.org

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