Die Weiße Rose

By B. Traven

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Title: Die Weiße Rose

Author: B. Traven

Release date: October 8, 2025 [eBook #77012]

Language: German

Original publication: Berlin: Büchergilde Gutenberg, 1929

Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WEISSE ROSE ***


                               B. TRAVEN




                                  DIE
                                 WEISSE
                                  ROSE


                  BÜCHERGILDE GUTENBERG / BERLIN 1929


    Satz und Druck der Buchdruckwerkstätte G. m. b. H., Berlin SW /
                   Ausstattung Rudolf Dörwald, Berlin

     Nachdruck verboten / Alle Rechte, insbesondere die Rechte der
    Verfilmung, der Dramatisierung und der Übersetzung vorbehalten /
   Copyright 1929 by B. Traven, Tamaulipas (Mexiko) / Es propiedad del
                                 autor




                            DIE WEISSE ROSE


                            (LA ROSA BLANCA)

                     EIN MEXIKANISCHES RANCHO-LIED

   Nah’ am Rande der Barranca,
   Gebadet tags im Sonnengold,
   Geliebkost von Frau Luna nachts,
   Traulich blüht La Rosa Blanca.

   Jeden Tag schon in der Frühe
   Sing’n die Vögel deinen Ruhm;
   Wie du blühst, seit Gott dich schuf,
   Ewig, weiße Rose, blühe.

   Wenn ich auch einst verwelken muß,
   Weiße Rose, du sollst blühen,
   Und mein letzter Lebenshauch
   Ist für dich mein Abschiedskuß.




1


                                   1

Die Condor Oil Company war unter den großen amerikanischen
Oil-Companien, die ihre Unternehmungen auf Mexiko ausgedehnt hatten,
durchaus nicht die mächtigste und auch nicht die stärkste.

Aber sie hatte den stärksten Appetit.

Für die Entwicklung eines Individuums wie für die Entwicklung eines
ganzen Volkes ist der Appetit bestimmend. Erst recht und ganz besonders
ist ein guter Appetit bestimmend für die Entwicklung einer
großkapitalistischen Company. Der Appetit entscheidet das Tempo der
Machtentfaltung, und der Appetit entscheidet darum auch die Wahl der
Mittel, die angewandt werden, um das Ziel zu erreichen: eine
einflußreiche und gebietende Macht im internationalen Wirtschaftsleben
zu sein. In ihrem Aufbau, in ihrem Wesen, in ihren Zielen und in ihren
Arbeitsmethoden, wie auch in ihren Problemen, unterscheidet sich eine
moderne großkapitalistische Company wenig von einem Staate. Der einzige
sichtbare Unterschied ist wohl nur der, daß eine großkapitalistische
Company gewöhnlich besser organisiert ist und vernünftiger und
geschickter geleitet wird als ein Staat.

Die Condor Oil Company war die jüngste der Companien, die hier
miteinander und gegeneinander im Felde standen, wo um die Vorherrschaft
auf dem Markt gekämpft wurde. Da sie die jüngste war, so war sie die
gefräßigste. In der Auswahl und in der Anwendung der Mittel, einen
einflußreichen Platz im Wettbewerb mit den alten und mächtigen Companien
zu gewinnen, kannte sie weder Hemmungen noch Rücksichten. Wenn sie
überhaupt einen Grundsatz hatte in bezug auf die Art des Kampfes, so war
es der: Der Krieg, der am brutalsten geführt wird, dauert am kürzesten
und ist darum der humanste.

Hierin fand sie gleichzeitig eine moralische Entschuldigung ihrer
Handlungen, so daß sie, vor sich selbst gerechtfertigt, sagen konnte,
sie führe den humansten Kampf, und daß sofort Friede sein werde, sobald
sie den Kampf gewonnen habe.

Die Macht einer Öl-Company hängt nicht allein von der Zahl der Öl
produzierenden Brunnen ab, die eine Company besitzt. Die Macht hängt
vielmehr davon ab, wieviel Land sie besitzt oder unter Kontrolle hält.
Und hier sind es drei Arten von Land, die in Frage kommen.

Land, das bestimmt Öl trägt; Land, das nach dem Gutachten der Geologen
Öl tragen muß; und Land, das nach dem Instinkt der Ölleute Öl haben
sollte. Die dritte Gattung des Landes ist es, die Spekulationen
ermöglicht und die Millionen an Dollars verdienen läßt, ohne daß auch
nur ein einziges Faß Öl produziert zu werden braucht.

So ging der Kampf der Companien darum, Land und immer mehr Land zu
gewinnen. Es wurde mit größerem Eifer und mit größerer Geschicklichkeit
daran gearbeitet, alles Land, das Öl haben könnte, zu erobern, dann
daran, das Land, das eine Company bereits hatte, mit allen technischen
und wissenschaftlichen Mitteln bis auf den letzten Hektar auszubeuten.

Da die Condor Oil Company nicht durch ihr Kapital und nicht durch die
Zahl und den Reichtum ihrer produzierenden Brunnen in die vorderste
Reihe der gigantischen Öl-Companien treten konnte, so mußte sie den
zweiten Weg einschlagen: mehr ölverdächtiges Land zu gewinnen, als
irgendeine andere große Company besaß. Im Besitz eines gewaltigen
Umfanges an Land, das Öl hatte oder Öl haben konnte und das darum
notwendig war, den Ölbedarf des Marktes zu befriedigen, konnte sie
Preise bestimmen und sie konnte eine Kontrolle ausüben auf Öl-Companien,
die infolge ihrer gewaltigen Kapitalkraft unüberwindlich und
unkontrollierbar schienen.

So wird sich wohl leicht erklären lassen, daß es keine Untat gab und
kein Verbrechen, das die Agenten, die im Auftrage der Company
arbeiteten, das Land heranzuschaffen, nicht verübt hätten, um, wenn es
der Company notwendig erschien, das gewünschte Land zu erhalten.

Die Condor Oil Company hatte achtzehn reiche Brunnen laufen. Wo sie Land
auch nur roch, das Ölland hätte sein können, oder Land, das vielleicht
irgendeine andere Company zu erwerben gedachte, da war sie sofort auf
dem Plan.

In den erbarmungslosen Landabtreibungsgeschäften wirkte natürlich nie
einer der Direktoren mit; nie einer ihrer obersten Beamten, und nur ganz
selten ließ sie einen Amerikaner in diesem Zweige arbeiten. Die
Direktoren kamen erst in Sicht, wenn das Land, das die Company haben
wollte, bereits in jenen Händen war, die es für die Company bereit zu
halten hatten. Die Company war immer nur der zweite Käufer. Die
schäbigen Geschäfte wurden von mexikanischen oder spanischen, zuweilen
von deutschen Unteragenten abgewickelt.

Die Condor Co. hatte ihr Hauptquartier in San Francisco in Kalifornien.
Das mexikanische Hauptquartier war in Tampico, Mexiko. Sie hatte
Zweigquartiere in Panuco, in Tuxpam und in Ebano; und sie bereitete sich
vor, noch zwei weitere Büros zu errichten, eines am Isthmus, das andere
in Campeche.

Sie hatte vortreffliche amerikanische, englische und schwedische
Geologen für sich arbeiten, die gut bezahlt wurden. Sie beschäftigte
einen großen Stab von Topographen, die das Gelände aufzunehmen und zu
vermessen hatten. Die Topographen waren schon weniger gut bezahlt als
die Geologen, denn ihre Arbeit wurde weniger hoch bewertet. Darum liefen
die Topographen oft genug armselig und zerrissen herum wie Vagabunden.
Die Geologen standen den Direktoren schon ein wenig näher,
wirtschaftlich und gesellschaftlich; denn sie konnten gute Tips über
reiches Ölland in die Ohren flüstern. Die Topographen dahingegen standen
dem Proletariat näher, und da sie das freiwillig nicht eingestehen
wollten, weil sie doch studiert hatten, mußten sie mehr und härter
arbeiten als die Arbeiter, denen es Suppe oder Brühe war, ob man sie als
Proletarier betrachtete oder nicht. Die Topographen wurden viel rascher
rausgefeuert als kräftige Rigbauer; Topographen gab es reichlich,
während die Rigbauer frech waren wie Straßendreck, denn sie schämten
sich nicht, auch gelegentlich Tomaten einzukonservieren, wenn sie keine
Rigs aufzubauen hatten, oder rausgefeuert worden waren, weil sie den
Foreman verprügelt hatten.


                                   2

In der Region der Condor Co., beinahe völlig umgrenzt von reich
ölhaltenden Ländereien, die alle im Besitz oder in Lease, Vorpacht, der
Company waren, lag die Hazienda La Rosa Blanca.

Die Hazienda La Rosa Blanca hatte eine Größe von etwa achthundert
Hektar. Sie gehörte dem Indianer Hacinto Yanyez.

Ihre Produkte waren: Mais, Bohnen, Chile, Pferde, Rindvieh, Schweine,
ferner Zuckerrohr, und damit auch Zucker, und endlich Orangen, Zitronen,
Papayas, Tomaten, Ananas.

Sie lag in der Ölzone im nördlichen Teil des Staates Veracruz.

Die Hazienda machte ihren Besitzer nicht reich, wohl nicht einmal
wohlhabend. Denn alles wurde in alter hergebrachter Weise kultiviert und
bewirtschaftet. Es ging auf der Hazienda gemächlich und gemütlich zu.
Niemand regte sich auf. Es wurde nicht gehetzt, nicht getrieben, und
wenn wirklich einmal geschimpft wurde, so geschah das nur der
Abwechslung wegen und weil das Leben ja zu eintönig verlaufen würde,
wenn nicht gelegentlich einmal die Ventile abblasen können.

Die helfenden Hände auf der Hazienda waren Indianer wie der Besitzer.
Sie bekamen keine hohen Löhne. Gewiß nicht. Aber jede Familie hatte ihre
Hütte mit einem geräumigen Hof. Die Familie konnte Vieh halten nach
Belieben, und auf dem Lande, das ihr entsprechend ihrer Kopfzahl
zugewiesen war, anbauen, was ihr für ihren Unterhalt nötig erschien.

Alle jene Familien, die hier wohnten, lebten seit Generationen auf der
Hazienda. Sie waren beinahe alle mit dem Besitzer versippt und
verschwägert. Einige der Familien verdankten ihre Entstehung der großen
Zeugungsfähigkeit eines der Vorfahren des Hacinto. Hacinto war der Pate
beinahe aller Kinder, die auf der Hazienda geboren wurden, und Senjora
Yanyez war die Patin.

Der Pate, el padrino, und die Patin, la madrina, haben in Mexiko eine
bei weitem wichtigere Stellung innerhalb der Familiengemeinschaft, denn
in irgendeinem anderen Lande auf Erden. Das rührt von uralten Zeiten
her, aus weit zurückliegender Zeit der Indianer. Infolge der ungemein
häufigen Ineinanderverheiratung der Spanier mit indianischen Frauen
haben sich in den Sitten des mexikanischen Volkes zahlreiche
Gewohnheiten und Gebräuche der Indianer erhalten überall da, wo es sich
um Küche, Haus und Familienbeziehungen handelt, also in jenen Dingen, wo
der Mann gewöhnlich passiv und neutral ist, weil sie das Urgebiet der
Frau betreffen.

Der Pate galt im alten indianischen Mexiko – und gilt auch im heutigen
Mexiko – ebensoviel für das Kind wie der eigene Vater. In zahlreichen
Fällen, wenn der Vater stirbt oder sich, aus vielerlei Gründen, unfähig
erweist, Erzieher des Kindes zu sein, tritt der Pate in die vollen
Rechte und Pflichten des Vaters ein. Der Pate hat sich um das
Wohlergehen des Kindes, zu dem er Pate ist, zu kümmern. Wenn ihn auch
das öffentliche Gesetz nicht zwingt, seine Pflicht gegenüber dem Kinde,
das der Hilfe bedarf, zu erfüllen, so kann er sich dieser Pflicht doch
nicht entziehen; denn er würde dadurch seine Achtung und sein Ansehen in
der Gesellschaft, die sich ja aus Familien zusammensetzt, verlieren,
genau so gut, als ob er irgendeine sonstige schäbige Handlung begeht,
die vielleicht vom Gesetz, nicht aber von dem Gesellschaftskreise, dem
er angehört, verziehen wird.

Der Vater des Kindes nennt den Paten des Kindes Compadre, das heißt
Mit-Vater, und die Patin nennt er Comadre, das ist Mit-Mutter. Beide,
Pate und Vater, reden sich mit Compadre an, und Patin und Mutter nennen
sich gegenseitig Comadre. Und wenn der Vater des Kindes die Patin ruft,
so sagt er auch nicht Senjora, sondern er ruft sie Comadre.

Aus diesen Gründen betrachten sich der Vater des Kindes und der Pate des
Kindes wie Brüder, und das Verhältnis zwischen beiden ist oft herzlicher
als das zwischen Blutsverwandten, weil die Wahl eine freiwillige ist und
die Wahl von der Sympathie abhängt, die jene zwei Leute füreinander
empfinden.

Wenn sich der indianische Farmarbeiter den Patron, den Herrn der
Hazienda, zum Paten für sein Kind aussucht, dann kommt der Herr. Er ist
nie zu stolz dazu; denn er betrachtet es als eine große Ehre, daß er zum
Paten erwählt wurde. Das liegt im indianischen Blute. Und von dem
Augenblicke an, wo der Herr Pate des Kindes jenes Farmarbeiters geworden
ist, sagt der Farmarbeiter nun nicht mehr „Patron!“ zum Herrn, sondern
Compadre. Und der Herr sagt nicht mehr „He, Juan!“ zu dem Arbeiter,
sondern er sagt gleichfalls Compadre zu ihm, obgleich sich die rein
wirtschaftliche Stellung der beiden zueinander nicht verändert. Sie sind
von nun an Brüder und behandeln sich wie Brüder.

Dieses Verhältnis besteht auf allen Haziendas in Mexiko, wo der Besitzer
und die Hazienda-Leute indianischen Blutes sind. Ein solches Verhältnis
bringt Zustände hervor, die anderswo auf Erden wohl nicht gefunden
werden können.

Dem Patron gehört die Hazienda. Sie gehörte seiner Familie schon, ehe
Kolumbus geboren wurde. Denn der Vorfahr, der Gründer der Familie, war
ein indianischer Fürst, der Häuptling eines Stammes der Huasteken, der
in jenem Bereich seinen Sitz hatte. Aber der Patron betrachtet sich nur
als Nutznießer der Hazienda. Er fühlt sich verantwortlich für das
Wohlergehen aller, die auf der Hazienda leben; denn er ist ja der
Compadre aller, und alle sind seine Compadres. Er kleidet sich nicht
reicher als die, die auf der Hazienda arbeiten. Er trägt die Tilma wie
sie, und wie sie trägt er Sandalen. Er ißt Tortillas und Frijoles wie
alle übrigen. Aber dennoch ist das Verhältnis ein ganz anderes als das
patriarchalische Verhältnis auf den alten europäischen Bauernhöfen, wo
alle Knechte und Mägde am selben Tisch mit dem Bauern und der Bäuerin
sitzen.

Hier sind alle selbständig, alle haben ihre eigenen Familien, ihren
eigenen Haushalt. Der Patron ist der Richter in allen ihren
Angelegenheiten, ihr Ratgeber, ihr Briefschreiber – wenn er schreiben
kann –, ihr Arzt, ihr Rechtsanwalt, ihr Verteidiger gegen Behörden, die
Unmögliches verlangen, ihr Versorger in schlechten Ernten und der
Versorger ihrer Witwen und Waisen. Jedoch er ist niemals „der“ Herr. Er
bereichert sich nie an seinen Leuten. Er hat mehr Vieh als die übrigen,
hat mehr Mais, mehr Bohnen und hat ein wenig mehr Geld. Ein wenig mehr.
Nicht viel. Denn es leben viel zu viele Familien auf der Hazienda. Die
Familien vermehren sich. Sie vermehren sich reichlich. Und alle jungen
Paare, die eine neue Familie gründen, wollen in ihrer Heimat bleiben,
also auf der Hazienda. Und für alle muß Land und Rat geschafft werden.
Und wird geschafft. Der Patron muß ja ein wenig mehr haben als die
übrigen, denn er hat zwanzigmal mehr Verpflichtungen als alle übrigen.

Wo der Patron ein Mexikaner nichtindianischen Blutes oder wo er gar
Spanier oder, schlimmer vielleicht, gar Deutscher ist, liegen die Dinge
völlig anders. Da gibt es Herren und Knechte; denn da muß Geld verdient,
da muß die Hazienda ertragreich gemacht werden, damit sie mit tausend
Prozent Gewinn verkauft werden kann an einen, der abermals tausend
Prozent an ihr gewinnen will. Da gibt es auch keine Compadres und keine
Comadres.

Hacinto Yanyez jedoch, der Patron der Hazienda La Rosa Blanca, war
Indianer. Und weil er Indianer war und alten indianischen Gesetzen
folgte, ohne ihren Wortlaut zu kennen, da er sie im Blut hatte, darum
mußte ein Zusammenstoß einer amerikanischen Öl-Company mit ihm zu einer
Tragödie führen. Denn die Waffen, die er zu führen verstand und die zu
führen er gewohnt war, versagten gegenüber einer amerikanischen
großkapitalistischen Company, die Milliarden verdienen mußte, um ihren
Aktionären den Besitz einer Luxusjacht und Einkäufe in den Boulevards in
Paris zu gewährleisten.


                                   3

Die übrigen Haziendas, Farmen und Ranchos der Gegend hatte die Condor
Oil Co. in der üblichen Weise gewonnen. Wie man so Land gewinnen kann.
Diese Ländereien waren aufgeteilt worden in Lotes, in Lote Nr. 1, in
Lote Nr. 2 und so an und fort bis Lote Nr. 78. Lote ist ungefähr
dasselbe wie Parzelle oder Terreno.

Aber im Familienschmuck der Condor Co. fehlte eine Perle. Die schönste
Perle unter allen, die Hazienda La Rosa Blanca, Die Weiße Rose.

Rund herum war das saftigste Ölland. Die reichsten Brunnen, die das
schwarze Gold in dicken Strahlen hervorsprudelten, in Strahlen so
mächtig, daß sie beim ersten Einblasen fünfhundert Meter hoch in die
Wolken schossen mit dem ohrenbetäubenden Gebrüll eines gigantischen
Wasserfalls oder mit dem Geschnaube von fünfzig vereinigten
Expreßzug-Lokomotiven, die gleichzeitig ihre Ventile öffneten. Diese
reichsten Brunnen lagen an den Grenzen der Hazienda.

Die Condor Co. mußte in den Besitz der Rosa Blanca gelangen, auch wenn
sie darum einen Krieg der Staaten mit Mexiko hätte heraufbeschwören
müssen. Ihre Direktoren und Aktionäre zogen ja auf keinen Fall mit in
den Krieg. Sie waren aus dem Alter heraus, und wären sie nicht aus dem
Alter heraus gewesen, so hätten die Ärzte sie herzkrank, zuckerkrank
oder lungenschwach geschrieben.

Es wurde dem Senjor Hacinto Yanyez eine Lease, eine Vorpacht, angeboten
mit fünf Dollar das Hektar jährlich für zwanzig Jahre und acht Prozent
Beteiligung am Gewinn.

Hacinto aber sagte zu den Agenten: „Das kann ich nicht. Ich kann die
Hazienda nicht verpachten. Ich habe kein Recht dazu. Mein Vater hat sie
auch nicht verpachtet. Auch nicht mein Abuelo, mein Großvater. Auch
nicht dessen Vater. Ich muß sie behalten für die, die nach mir kommen
werden. Die wollen auch essen. Und die müssen sie behalten für jene, die
wieder nach ihnen kommen werden. So war das immer. Ich habe ja die
Orangenbäume und die Nußbäume auch von meinem Vater bekommen. Hätte er
keine gepflanzt, dann würde ich keine Orangen und keine Zitronen und
keine Nüsse haben. Darum muß ich wieder junge Bäume pflanzen, damit auch
die, die nach mir leben wollen, Orangen und Zitronen und Nüsse haben.
Das ist nun eben so mit der Hazienda. Das können Sie doch verstehen,
Senjor Pallares?“

Senjor Pallares, der Agent, der Aufkäufer für die Condor Co., konnte das
natürlich nicht verstehen, weil er nie Land besessen und weil sein Vater
nie Land gehabt hatte. Er war nur Licenciado, ein Rechtsanwalt, wie sein
Vater auch gewesen war.

Er kam zur Company und sagte dort, daß Hacinto verrückt sei.

Darauf sagte der Direktor, wenn Hacinto verrückt sei, dann könnte man
ihn ja ins Irrenhaus schicken.

Hacinto wäre nicht der erste gewesen, der ins Irrenhaus geschickt wurde
und dort verkam und starb, weil eine Oil-Company seinen Besitz auf keine
andere Weise bekommen konnte. Dutzende waren ins Irrenhaus geschickt
worden. Denn irre ist jeder, der es ablehnt, einen Kaufpreis für ein
Stück Land anzunehmen, der tausendmal höher ist als der Kaufpreis für
das Land war, ehe Öl in der Nähe gefunden wurde.

Es kam ein anderer Agent. Wieder ein Mexikaner. Und wieder ein
Licenciado. Senjor Perez.

Er kam mit dem großen Geldsack, brachte das blinkende Gold gleich mit.
Nicht alles. Aber doch einen großen Teil. Er hoffte, daß der Anblick des
schönen gemünzten Goldes Hacinto nachgiebig machen würde.

Licenciado Perez bot keine Lease an. Er wollte die Hazienda kaufen. Das
gab mehr Geld und war darum eine größere Versuchung.

„Aber ich kann doch die Hazienda nicht verkaufen, Senjor Licenciado“,
sagte Hacinto in seiner ruhigen stoischen Weise. Zeit war für ihn kein
bestimmter Begriff, darum ließ er sich auch beim Sprechen nicht zur Eile
drängen. „Ich kann die Hazienda wirklich nicht verkaufen. Sie gehört
doch gar nicht mir.“

„Wie?“ fragte Senjor Perez. „Gehört nicht Ihnen. Das ist ja neu. Steht
doch in den Registern als Ihr Eigentum.“

Hacinto lachte: „Sie gehört mir natürlich, die Rosa Blanca. Wie sie
einstmals meinem Vater gehört hat. Aber sie gehört auch meinem Vater
nicht mehr. Ich meine, die Hazienda gehört mir nicht so, daß ich damit
machen kann, was ich will. Sie gehört doch auch denen, die nach mir
leben wollen. Für die bin ich verantwortlich. Ich bin nur der Verwalter
für die, die später leben wollen und leben werden. Wie mein Vater nur
der Verwalter war und dessen Vater und dessen Vater und so immer weiter
zurück und so immer weiter voran.“

„Das ist ja Unsinn, Senjor Yanyez. Lassen Sie nur die andern für sich
sorgen. Sie können ja Ihren Kindern das Geld geben oder hinterlassen.
Die können Doktor werden in Mexiko oder Licenciado oder sie können sich
einen schönen Laden kaufen, wo sie tüchtig verdienen können, und sie
können sich Automobile kaufen.“

„Aber sie haben doch kein Land“, sagte Hacinto eigensinnig. „Sie müssen
doch essen. Wie wollen sie denn essen, wenn sie keinen Mais bauen.“

„Seien Sie doch nicht so stumpfsinnig“, sagte Senjor Perez. „Ihre
Nachkommen können sich doch den Mais für die Tortillas kaufen, sie haben
doch dann Geld genug.“

„Aber der Mais muß doch angebaut werden. Es muß doch jemand Mais
pflanzen. Dazu braucht man doch Land. Ein Automobil ist ja vielleicht
ganz schön, aber es ist doch kein Mais. Und Fleisch ist auch nicht da.
Und auch keine Bohnen und kein Chile.“

Senjor Perez gab es auf, in dieser Weise mit dem blöden Indianer weiter
zu verhandeln. Er griff von einer neuen Seite an.

„Sie werden doch einmal alt, nicht wahr?“

„Nein“, antwortete Hacinto. „Ich werde nicht alt. Wenn ich alt werde,
dann bin ich tot. Dann sterbe ich. Alt werde ich nicht. Mein Vater ist
auch nicht alt geworden. Er war gleich tot, als er glaubte, nicht mehr
arbeiten zu können. Er war nicht alt. Er hat bis zum letzten Tage
gearbeitet. Und ich kann das Land nicht verkaufen, weil die, die
nachkommen, auch Land haben müssen.“

Er begann nun, alles das wieder aufzuzählen, was er schon dem Licenciado
Pallares gesagt hatte, über die Orangenbäume und Nußbäume und über die
späteren Geschlechter, die ihm vorwerfen werden, daß er übel für sie
gesorgt hätte und daß sie verhungern müßten, weil er das Land weggegeben
habe.

Aber als er sich erinnerte, daß er das alles schon früher einmal zu
jemand erzählt hatte, und als er sah, daß seine Worte auch nicht den
geringsten Eindruck auf Senjor Perez machten, als er erkannte, daß
Senjor Perez, obgleich er ein gelehrter Licenciado war, gar nichts
verstand von Land und von Pflichten und von allen den Sachen, die
Hacinto so wichtig erschienen, da fiel ihm etwas Neues ein. Bisher hatte
er, wenn er von denen sprach, die nach ihm kommen würden und essen
wollten, nur an seine eigenen Kinder und Nachfahren gedacht und nur an
Nachkommen im allgemeinen.

Jetzt aber, als ob ihm jemand auf dem reinen Wege der
Gedankenübertragung daran erinnert hätte, kam ihm zum Bewußtsein, daß er
ja noch viel größere Pflichten habe. Höhere Pflichten als die für seine
eigenen Nachkommen. Was sollte denn aus seinen Compadres, aus seinen
Comadres werden? Was aus den sechzig Familien, die auf seiner Hazienda
lebten? Sie wurden alle enterbt, entlandet, entwurzelt, wenn er die
Hazienda verkaufte. Sie alle waren ja seine Kinder, seine Schützlinge,
seine Mündel, seine Pflegebefohlenen. Wie konnte er sie verlassen und
ihnen das Land nehmen? Sie waren sein Blut und seine Seele gleich seinen
leiblichen Kindern. Und alle werden doch eines Tages begraben und
gefolgt werden von denen, die auch ihnen nachkommen werden und Land
benötigen, um in der Welt sein zu können. „Nein, ich kann die Hazienda
nicht verkaufen, Licenciado.“ Er sagte es jetzt noch bestimmter als
vorher. „Die Hazienda gehört nicht mir, sie gehört ja auch meinen
Compadres. Was sollen die denn tun?“

Senjor Perez zündete sich eine Zigarette an, spielte eine Weile mit dem
Wachsfädchen, als ob er nach der besten Antwort suche, um Hacinto mit
einem Satze dauernd zu schlagen.

Als er das Fädchen ganz zermürbelt hatte, sagte er: „Die Leute? Die
können alle in den Kamps arbeiten. Verdienen viel mehr als hier auf der
Hazienda. Was haben sie denn hier? Fünfzig Centavos den Tag. Vielleicht
achtzig. In den Kamps verdienen sie fünf Pesos, acht Pesos und arbeiten
nur acht Stunden. Haben es viel leichter. Können sich Stiefel kaufen und
ihren Frauen seidene Kleider und Lackschuhe und parfümierte Seife. Wenn
sie sparen und nicht alles vertrinken, können sie sich bald einen Laden
kaufen.“

Hacinto verstand das nicht. Er wußte gar nicht, wovon geredet wurde. In
seinem Kopfe war immer nur ein Gedanke, ein einziger Gedanke. Aber
dieser eine Gedanke war so stark, daß er für ihn die ganze Welt und alle
ihre Probleme umfaßte und erklärte. Alle Fragen wurden in diesem einen
großen Gedanken für ihn endgültig gelöst. Er konnte diesen Gedanken
nicht mit den schönen Worten eines Dichters ausdrücken, auch nicht mit
den verschnörkelten Sätzen eines Gelehrten und auch nicht mit dem
Zahlengewirr eines Volkswirtschaftlers. Er konnte ihn immer wieder nur
in einem kurzen schlichten Satze hersagen: „Aber sie haben doch dann
kein Land mehr, und sie können doch keinen Mais anbauen.“

Das Wort Mais war für ihn, den Indianer, derselbe Ideenbegriff wie für
den Europäer das Wort „Unser täglich Brot gib uns heute“. Heute, heute,
lieber Gott; denn wir können nicht bis morgen warten, wir haben heute
Hunger, und wenn wir das Brot nicht heute haben, so sind wir morgen tot.

Für den Licenciado war aber das ewige Wiederholen desselben Satzes, den
Hacinto wußte, langweilig. Hacinto wußte in der Tat keinen andern Satz,
weil in dem Satze ja alle seine Weisheit verborgen lag, wie die Weisheit
aller Menschen von jeher wurzelte in dem Worte „Land ist Brot, und Brot
ist Leben“. Was brauchte es mehr!

Aber der Licenciado Perez wußte, daß man Mais überall kaufen könne. Man
brauche ja nur das Geld. Und das Geld kann man verdienen. Leicht
verdienen. Für das Geld, das ihm die Company versprochen hatte, falls er
den Kauf der Rosa Blanca durchsetzte, konnte er sich eine ganze
Schiffsladung Mais kaufen. Mais, Mais und noch einmal Mais. An etwas
anderes dachten alle diese stupiden Indianer nicht.

Dennoch: in aller seiner Klugheit und in aller seiner
Rechtsgelehrsamkeit dachte der Licenciado Perez nicht daran, daß der
Mais aber doch gebaut werden müsse, wenn man ihn haben oder kaufen
wolle. Irgendwo mußte der Mais doch gebaut werden. Aber der Licenciado
lebte ja in einer andern Welt, wo man Mais und Land trennen konnte, ohne
daß man daraus Probleme sich entwickeln sah. In seiner Welt war die
Beziehung Mais und Land, Mensch und Land völlig getrennt. In seiner Welt
dachte man schon nicht mehr Mais, sondern man dachte nur Produkt. In
seiner Welt sagte man: „Was gehen uns die an, die nachkommen? Nach uns
der Weltuntergang mit drahtloser Filmvorführung im Schlafzimmer. Land,
Land, Land. Was ist Land? Wir brauchen das Land für Öl, damit wir unsere
Automobile füttern können. Mais? Land für Mais? Zur Hölle mit diesem
verblödeten Indianer! Wenn wir Mais gebrauchen, weil wir alles Land
verölt haben, dann machen wir ihn mit der Maschine und kaufen ihn in
Konservenbüchsen.“


                                   4

„Hacinto“, sagte nun Senjor Perez, vertraulich. Und er sprach
eindringlich wie ein Mann, der auf seinen Bruder, der von Hause
fortgelaufen ist, einreden mag, um ihn zur Heimkehr zu überreden, weil
sich die Mutter die Augen ausweint. „Hacinto, nun seien Sie doch einmal
vernünftig. Ich will Sie ja nicht betrügen.“

„Das glaube ich auch nicht, daß Sie das wollen“, antwortete Hacinto.

„Ich will das Land ehrlich kaufen von Ihnen, für einen guten Preis.“

„Aber Senjor Licenciado, ich kann doch das Land nicht – –“

„Halt, halt“, unterbrach ihn Senjor Perez mit einem Tone, wie man zu
einem Kranken redet, den man nicht aufregen darf. „Doch, Hacinto, Sie
können verkaufen.“

„Nein, ich kann nicht“, sagte der Indianer eigensinniger als vorher.
„Ich habe kein Recht dazu. Das Land gehört nicht mir.“

„Kommen Sie nun nicht abermals mit diesem Unsinn. Ich habe die Register
durchgesehen und gefunden, das Land gehört Ihnen. Die Titel sind in der
besten Ordnung. Habe nie so gute und reine Rechtstitel gesehen. Das Land
gehört Ihnen, und Sie können damit machen, was Sie wollen. Verkaufen
oder verschenken oder verpachten.“

„Aber meine Compadres und die, die nachkom–“

Senjor Perez, geübt in den Kniffen des geschickten Anwalts, ließ dem
Indianer keine Zeit, sich wieder in den alten hartnäckigen Gedanken
festzusetzen. Er wußte nun schon, was wieder folgen würde, und er griff
darum gleich an: „Alle die Männer der Familien, die Sie hier auf der
Hazienda haben, bekommen Arbeit in den Kamps der Condor Co. Das
verspreche ich Ihnen. Ich bringe das mit als Kaufbedingung in den
Kontrakt. Die Leute sollen keiner weniger als drei Pesos verdienen, und
wenn sie anstellig sind und sich eingearbeitet haben, vier und fünf
Pesos.“

„Ja, das glaube ich,“ meinte Hacinto, „soviel verdienen die Peons in den
Kamps. Der Muchacho, der Junge vom José hier, arbeitet in einem Kamp und
bekommt vier Pesos. Der Junge vom Pedro arbeitet auch in einem Kamp, er
will Geld verdienen, weil er heiraten will und der Schwiegervater eine
Kuh als Gabe für das Mädchen verlangt. Aber der Marcos, der auch in den
Kamps gearbeitet hat, ist wieder hier. Er sagt, er will nie wieder in
das Kamp gehen, und wenn man ihm zehn Pesos gibt. Er will lieber
hierbleiben auf dem Land. Er sagt, er war immer traurig im Kamp, und
hier lacht er immer.“

„Er ist eben ein Dummkopf, der Bursche. Man muß sich gewöhnen können,
wenn man Geld verdienen will“, sagte der Licenciado. Und er hatte recht.
Wie alle seines Berufs.

Er lenkte nun zur Abwechslung das Gespräch auf eine andere Bahn: „Wenn
Sie hier das viele Geld haben, Hacinto, dann können Sie sich ein
Automobil kaufen.“

„Ich brauche kein Automobil“, sagte Hacinto gleichgültig.

„Aber, Mann, Hombre, dann können Sie doch in einer halben Stunde in
Tuxpam sein.“

„Ich will ja aber gar nicht in einer halben Stunde in Tuxpam sein. Ich
will ja mit den Leuten am Wege sprechen und sehen, wie ihr Mais steht
und was die Kleinen machen, die ich alle kenne, und ich will sehen, ob
die blauen Buschblumen schon heraus sind und ob die großen Schildkröten
an der Laguna Eier in den Sand gelegt haben und ob der schwere
Mahagonybaum, der vor vier Jahren abbrach und sich quer über den Weg
legte, noch immer nicht verfaulen will. Ich habe schon zweimal Feuer
untergelegt, damit er durchbrennen soll. Aber er brennt nicht durch, und
wir müssen nun immer herumreiten.“

„Estupido, stupid, stupid“, sagte Senjor Perez halblaut, und dann laut:
„– aber sehen Sie, in einem Automobil –“

„Wenn ich nach Tuxpam will, um Schweine zu verkaufen oder um einen neuen
Hut für Nazario mitzubringen, dann nehme ich den gelben Macho und reite
früh um halb vier fort und bin um neun in Tuxpam. Das ist mir dann
gerade Zeit genug. Und ich habe alles auf dem Wege gesehen, und ich habe
mit Rafael gesprochen, der sich ein neues Palmdach auf den Jacal, auf
sein Haus, gelegt hat, weil das andere zu alt war und durchregnete. Dann
bin ich immer noch zeitig genug in Tuxpam. Ich brauche kein Automobil.
Wirklich nicht, Licenciado.“

Senjor Perez sah sich wieder einmal hoffnungslos, und es kostete ihm
ersichtlich große Mühe, eine neue Idee zu finden, um Hacinto den Besitz
vielen Geldes verlockend zu machen.

Ehe er aber etwas Neues sich ausdenken konnte, das Hacinto der Welt der
Geldmacher vielleicht hätte näherbringen können, hatte der Indianer
endlich eine Antwort gefunden auf das Angebot, alle Compadres als
Arbeiter in den Ölkamps unterzubringen. Er konnte im Kopf nicht so
schnell arbeiten wie ein Licenciado, der darin geübt war. Bei ihm
dauerte es länger. Aber obgleich es länger dauerte, so traf er dennoch
den Punkt. Und er traf ihn genauer, als Senjor Perez erwartet hatte.

Er sagte: „Das ist ja recht gut, wenn hier die Männer Arbeit in den
Kamps bekommen. Es kann ja sein, daß sie dort arbeiten können und Geld
verdienen. Aber wenn der Brunnen gebohrt ist, dann ist doch keine Arbeit
mehr für die Leute. Dann bekommen sie auch kein Geld mehr.“

„Die Company bohrt nicht nur hier Brunnen, sie hat sehr viel Land. Da
werden dann die Leute von hier hingeschickt.“

Hacinto war aber jetzt durchaus auf dem richtigen Wege. Denn er sagte
nun: „Dort aber, wo die Leute hingeschickt werden, sind dann doch die
Leute von jenem Land, die Arbeit haben wollen. Was tun dann die?“

Senjor Perez fühlte, daß er überrumpelt war. Er fand hier nicht heraus.
Ohne viel darüber nachzudenken, platzte er heraus: „Jene Leute müssen
dann eben weiter gehen und sehen, wo sie Arbeit finden.“

„Aber man hat ihnen doch das Land weggekauft, wie können sie denn nun
leben, wenn die Männer von hier ankommen. Sie haben doch kein Land mehr.
Die müssen doch alle sterben, wenn die Männer von hier kommen. Es wird
auch nicht ewig gebohrt. Einmal ist es doch alle, das Öl. Dann haben
alle Männer vergessen, wie man Mais baut.“

Einfach wie alle Probleme waren, wenn Land genug da war und die Leute
verstanden, es zu bebauen, so verwickelt wurden plötzlich die
einfachsten Fragen, sobald die Leute aus ihrer Erde herausgerissen
wurden. Das sah jetzt selbst Senjor Perez ein. Der Indianer hatte ihn
völlig aus seiner sicheren Stellung innerhalb der menschlichen
Gesellschaft geworfen. Er hatte ihn selbst aus allen den Weisheiten
hinausgeschleudert, die sich Senjor Perez in Schule und Leben erworben
hatte. Hätte er einem andern Licenciado, einem andern gebildeten Mann,
ja hätte er nur einem Kaufmann aus einer größeren Stadt sich gegenüber
gesehen, dann hätte er mit diesen Problemen irgendwie fertig werden
können. Mit einem andern Manne, der in der Stadt und in städtischen
Erwerbsmöglichkeiten lebte, hätte er diese Fragen besprechen können. Sie
wären sicher zu einer Lösung gelangt, die beide befriedigt hätte, weil
sie beide die gleiche Sprache redeten. Sie hätten sprechen können von
Gesetzen, die dann nötig wurden, von Parlamentsbeschlüssen, von Dekreten
des Präsidenten, von besseren Transportmöglichkeiten, von
Massenproduktion notwendiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse,
Massenproduktion infolge weitgehender Anwendung hochkräftiger Maschinen
und wissenschaftlicher Lehren. Freilich blieb die Frage immer offen: Wo
nehmen wir das Land her? Denn daß man Mais aus den Abfallprodukten des
Öls oder aus der Schlacke der Steinkohle machen könnte, das schien ja
selbst einem Licenciado ein wenig zu weit gegriffen.

Wie dem auch immer war, gegenüber der verblüffenden Einfachheit, in der
Hacinto die Probleme der menschlichen Gesellschaft und des menschlichen
Daseins sah, kam sich Senjor Perez sehr hilflos vor. Er konnte den
Indianer nicht erreichen. Es war so, als ob der Indianer auf einem
andern Planeten stünde, zu dem man von dem Planeten, auf dem der
Licenciado stand, niemals und mit keinem Mittel hinüberreisen kann.

Der Indianer fühlte nicht, daß er den Licenciado geschlagen hatte, weil
er nicht begriff, daß jemand anders denken könne als er, der Indianer,
der in der Erde und mit der Erde lebte. Als ein Erzeugnis der Erde.
Gleich einem Baume.

Darum konnte er auch mit der letzten Waffe, die der Licenciado für die
stärkste Waffe hielt und bis zuletzt aufbewahrt hatte, nicht besiegt
werden.


                                   5

Senjor Perez nahm den weißen Leinensack zur Hand. Er wog ihn eine Weile
beträchtlich, und dann schüttete er mit einer raschen Bewegung den
ganzen Inhalt aus. Es waren alles goldene Zehn-Pesos-Stücke. Hidalgos.
Weil sie das Bild des mexikanischen Befreiungskämpfers Hidalgo
aufgeprägt trugen.

Senjor Perez begann das Geld abzuzählen, als ob der Kauf bereits vor
sich gegangen sei.

Er häufte das Geld in kleinen Säulchen auf, je fünfzig Hidalgos
übereinandergelegt. Es sah sehr hübsch aus.

Er hatte endlich vierhundert solcher Säulchen aufgestellt in Reihe und
Glied wie Soldaten.

Wohlgefällig, beinahe andächtig, überblickte er das Regiment und sagte:
„Die Company zahlt Ihnen für das Hektar fünfhundert Pesos Oro Nacional.
Achthundert Hektar sind vierhunderttausend Pesos in Gold. Das hier sind
nur zweihunderttausend. Sie bekommen also noch einmal den gleichen
Haufen. Morgen schon, wenn Sie wollen.“

Der Eindruck, den Senjor Perez zu erwecken gehofft hatte, blieb aber
völlig aus. Der Indianer hatte durchaus kein Verständnis für diese Menge
des Goldes. Hätte man ihm einen Berg Mais hingelegt oder fünfhundert
Schweine, das hätte er verstanden. Freilich hätte er auch dafür die Rosa
Blanca nicht verkauft. Der Mais war eines Tages aufgegessen, und die
Schweine waren eines Tages aufgegessen. Was dann darauf? Hunger für die,
die nachkommen. Verläßlich war nur die Erde. Sie erzeugte ewig und ewig,
in nimmermüder Freigebigkeit, ewig und ewig sich wiederholend in
Jungfräulichkeit, in bebender Liebe, in heißem Empfangen, in jubelndem
Gebären, in zufriedenem Dahinwelken und dann wieder das stille und
heilige Neuaufkeimen rührender Jungfräulichkeit, bebender Liebe und so
an und so fort ewig und ewig wie die Sonne, wie der Mond, wie Tag und
Nacht.

Aber das Geld, der Mais, die Schweine, so viel es auch war, das alles
war nur einmal und niemals wieder.

Hacinto wußte auch recht gut den Wert eines Hidalgos. Das waren hundert
oder hundertfünfzig oder auch nur achtzig Kilo Mais, je nach dem
Marktpreis. Es war ein ausgewachsenes Schwein mittelmäßiger Güte. Ein
Hidalgo, zehn Pesos, war viel Geld. Sehr viel Geld. Aber dieses Regiment
Goldstücke, die hier auf dem Tisch aufmarschiert waren, machten keinen
Eindruck auf Hacinto. Deren Wert faßte er nicht. Das war eine Gaukelei.
Einen solchen Wert gab es nicht.

„Das sieht sehr schön aus, Senjor Licenciado“, sagte er endlich, um der
Spielerei des Licenciado eine höfliche Anerkennung zu widmen.

„Gehört alles dir, Hacinto.“ Senjor Perez duzte ihn plötzlich, um recht
brüderlich zu erscheinen. „Das gehört alles dir und noch einmal soviel,
denn das ist nur die Hälfte. Für die Rosa Blanca.“

Der Licenciado hätte Hacinto auch ganz gut das Geld anbieten können für
das Recht, ihm das Herz aus der lebenden Brust zu schneiden.

So geschah es, daß jenes Regiment Gold für Hacinto kein Leben annahm. Es
erweckte keine Träume in ihm. Regte keine Hoffnungen an. Diese Säulchen
hatten keine Macht über ihn und konnten keine Macht über ihn gewinnen,
weil vor seinen Augen etwas Größeres stand, etwas Höheres, etwas
Heiliges.

Was er besaß, das hatte er von seinen Vätern übernommen, nicht um es als
Eigentum zu besitzen, sondern um es zu erhalten und es dereinst
weiterzugeben an die Nachfolgenden. Was er besaß, war ihm nur geborgt
worden, war nur sein, um es für die kommenden Geschlechter zu verwalten.
Seine hohe Pflicht war, das geborgte Gut ungeschmälert weiterzugeben,
wenn seine Stunde kam. Was hätte er sagen können, wenn er dereinst in
den Jagdgründen der Ewigkeit seine Väter antraf und sie ihn fragen
würden: „Was tatest du mit unserem Gut? Was tatest du mit dem Gut
unserer Enkel und Urenkel?“ Er hätte sich vor Scham verkriechen müssen
in die fernsten und dunkelsten Winkel der Gebüsche, wo nie die Sonne hin
scheint und nie der Mond sein sanftes Silber dahingleiten läßt. Und was
gar, wenn alle die Väter seiner Compadres kamen und ihn fragten: „Was
tatest du mit unsern Söhnen und Töchtern?“ Und das würde so fort gehen
bis in die urewigen fernsten Zeiten hinein. Alle dreißig oder vierzig
oder fünfzig Jahre würden neue Männer heraufkommen in die grünen
Jagdgefilde und würden ihn fragen: „Wo ist das Gut, das dir deine Väter
anvertrauten für uns?“ Sie würden ihn herauszerren aus seinem dunklen
Winkel und dann wieder zurückschleudern, wenn er nicht antworten könnte.
So würde das fort gehen ewig und ewig. Und niemals Ruhe. Niemals Ruhe.

Und so, während das Gold vor ihm kein Leben bekam, so bekam die Rosa
Blanca in diesem Augenblick, als um sie gekämpft wurde, alles Leben. Sie
nahm Gestalt an. Sie sprach zu ihm. Sie lachte ihn an. Sie wurde Person.
Er hörte sie singen.

Er konnte es nicht mehr ertragen. Er stand auf und trat in die offene
Tür.


                                   6

Dort stand er und überblickte den Hof. Der Hof sah, wie meist immer,
auch heute nicht aufgeräumt aus. Jenes hatte er schon hundertmal ändern
wollen und dieses. Immer, wenn er es sah, wollte er es ändern, und immer
gleich darauf war es vergessen und blieb.

Da in der Ecke, dicht bei dem Zaun, lag ein altes zerbrochenes Karrenrad
von einem Maultierkarren, an dessen Existenz sich niemand mehr auf der
Hazienda erinnern konnte.

Jenes Karrenrad verfaulte langsam, denn es war aus gutem eisenharten
Holz. Jeden Samstag sollte es fortgeräumt werden, und am Sonntagmorgen,
wenn er in den Portico trat, lag das Karrenrad noch immer in seiner
Ecke.

Er erinnerte sich, daß es schon dagelegen hatte, als er fünf Jahre alt
war. Da hatte sein Vater gesagt: „Das alte Karrenrad kann auch verbrannt
werden, der Manuel mag es heute abend zerhacken und das Holz zu den
Frauen in die Küche bringen.“

Der Auftrag wurde vergessen, und das Rad wurde nicht zerhackt.

Dann hatte der Vater wieder einmal, als er es sah, gesagt: „Das Rad
könnte man vielleicht zu etwas gebrauchen, ich werde mit Manuel reden,
was er denkt, was man damit machen könnte.“

Hacinto war dann, als er acht Jahre oder so alt war, in den Speichen
herumgeklettert mit der Absicht, seinen Körper geschmeidig zu machen
gleich einer Schlange.

Eine Zeitlang diente es, einen jungen Coyote, den er mit anderen Jungen
gefangen hatte, daran festzubinden. Der Coyote sollte gezähmt werden, um
ihn als Hund zu gebrauchen. Aber eines Nachts hatte sich der Coyote von
dem Strick losgebissen und war entwischt.

Dann sollte das Rad wieder einmal verbrannt werden. Dann sollte es
wieder einmal mit Hilfe Manuels zu etwas anderem gebraucht werden. Dann,
als Jüngling, hatte Hacinto des Abends auf dem Rad gesessen und – es war
in seiner Liebeszeit – von seinem Mädchen, die jetzt seine Frau war,
geträumt. Hatte darauf sitzend süße Rancholieder vor sich hin gesummt.
Und hatte manche Nacht darauf gehockt und still vor sich hin geweint,
als er glaubte, daß sie ihn nicht mochte.

Hatte dann, ein wenig später, mit ihr des Nachts zusammen darauf gehockt
und an zehn oder mehr Stellen Kerben eingeschnitten für die Umarmungen,
die sie ihm gab oder was es sonst sein mochte. Er wußte gut, was es war,
wofür er die Kerben einschnitt.

Dann starb der Vater.

Aber das alte zerbrochene Karrenrad lag noch immer da. Und noch immer an
derselben Stelle.

Dann starb auch der alte Mayordomo, der Manuel, der so oft den Auftrag
erhalten hatte, das Rad zu zerhacken oder es zu etwas anderem zu
gebrauchen.

Jedoch das Rad ließ sich durch den Tod der beiden Männer nicht stören.
Es lag da und lag da.

Und nun seit Jahren, jeden Samstag, wenn der Hof aufgeräumt wurde, gab
Hacinto den Befehl, daß das Rad endlich einmal beseitigt würde. Und
jeden Sonntagmorgen, wenn er in den Portico trat und nach dem Wetter
sah, lag das Karrenrad noch immer da. Bis zum nächsten Sabado. Aber am
Sonntag würde sicher etwas auf dem großen Hofe gefehlt haben, hätte das
Karrenrad nicht noch immer dagelegen.

Und so lag es auch jetzt da. Friedlich, gemütlich, unverfroren,
ausdauernd und selbstbewußt und wartete auf das endliche Verfaulen.

Sein ältester Junge, Domingo, saß jetzt oft, allein und weltverloren,
auf dem Rade und schnitt gelegentlich Kerben ein, wie er, der Vater,
wohl bemerkt hatte. Er wußte auch, wer das Mädchen war.

Was er jedoch am besten wußte, war, daß jenes Karrenrad immer noch
daliegen würde, wenn er eines Tages abgerufen werden wird. Denn das Rad
war kein lebloses Stück alten verwitternden Mahagoniholzes. Das Rad war
ein Symbol. Ein Symbol der Rasse. Das Karrenrad war zeitlos geworden.

Hacinto blickte zur Seite, und dort hockte Emilio, der Junge der
Cocinera, der Köchin. Er hockte da auf dem Erdboden, hatte vor sich
einen Schilfkorb stehen und körnte die Maiskörner aus den Kolben mit
Hilfe eines schon entkörnten Kolbens. So, genau so, wurde der Mais hier
schon entkörnt vor fünftausend Jahren, mehr, vor zwanzigtausend Jahren.
Eine Entkörnungs-Maschine, die in fünf Minuten mehr auskörnte als der
Junge in zwei Stunden, kostete sechzig Pesos oder gar nur
fünfundvierzig. Sie sollte schon gekauft werden, als der Vater noch
lebte. Hacinto hatte sie schon hundertmal kaufen wollen. Aber vielleicht
geht es noch eine Weile ohne. Es ist ja fünftausend Jahre so gegangen.
Warum denn nun mit einem Male so plötzlich? Der Emilio hat ja sonst
sowieso auch weiter nichts zu tun und geht doch immer nur Kaninchen
jagen. Kann er auch gut Mais auskörnen. Bekommt er kräftige Hände und
Finger davon. Kann ihm nur nützlich sein im Leben.

Drüben, in der Nähe des Zaunes, der den weiten Hof umfriedigt, steht
Margarito, der Mayordomo der Hazienda, und doktert zwei Mules, die sich
infolge ihrer Trägerarbeit den Rücken durchgescheuert haben. Er wäscht
die Wunden mit schwarzer Seife und heißem Wasser sorgfältig aus und
singt dabei.

Er singt das uralte Rancholied von dem schönen Indianermädchen, das
einen Indianerburschen liebte, ach so sehr, so sehr liebte. Aber dann
kam der Mexikaner mit großem roten Hut und schweren silbernen Sporen
herangesprengt, ach so sehr stolz, so sehr stolz, herangesprengt auf
einem weißen Roß, ach so sehr, so sehr weißem Roß herangesprengt. Und
der stolze herrische Mexikaner auf weißem Roß und mit großen silbernen
Sporen machte viel honigsüße Worte, ach so sehr süße, so sehr süße
Palabras. Und er verführte das Indianermägdelein, das ach so sehr, so
sehr in Furcht war vor dem stolzen Mexikaner in dem großen roten, ach so
sehr großen roten, so sehr großen roten Hut. Und endlich bekam das
Indianermägdelein ein kleines Kindlein, ach ein so ganz kleines, so sehr
kleines Kindlein; und das Mägdelein, die Mamacita tan morena, starb mit
ihrem kleinen Kindlein heimlich im tiefen, ach so sehr tiefen, so sehr
tiefen Busch, und eine blaue Blume, ach so sehr blaue, so sehr blaue
Blume fiel auf ihr Grab, das die Ameisen, ach so sehr geschäftig, so
sehr geschäftig, über das tote Mägdelein gebaut hatten.

Während nun Margarito die hundertzwanzig Strophen, oder wie viele es
sein mögen, singt – Hacinto hört in seiner Seele das ganze lange Lied in
einer Viertelstunde; denn auch er kennt es und hat es gesungen in seiner
Liebeszeit – und während Margarito singt und mit Andacht und Inbrunst
die Reime schmelzend wiederholt und wiederholt, unterbricht er sich
zuweilen und schreit auf die Mules ein: „Caramba, zum Donnerwetter, du
Cabron, du himmelgottverfluchter und verfuckter Hurensohn, steh endlich
still oder ich trete dich wahrhaftig, bei der heiligen allerreinsten
Himmelsjungfrau, por Santa Purissima, doch noch in den verfluchten
Ursch, du stinkiger Sohn einer alten Hure.“

Aber dieses gelegentliche Zurückfallen in die brutale nackte
Wirklichkeit des harten arbeitsreichen Lebens tut dem gefühlvollen
Gesang des Margarito keinen Abbruch. Er singt nach dieser irdischen
Entgleisung ohne erschütternde Dissonanz sofort wieder in rührend
schmelzender Weise von dem schönen Indianermädchen, das von einem
stolzen Mexikaner in rotem Hut und auf feurigem weißen Roß verführt und
entführt wurde. Dissonanzen sind Margarito fremd. Alles reimt sich, und
alles ist in Harmonie.

Hacinto ist Compadre des Margarito, er ist Pate zu allen seinen Kindern;
und der Vater des Margarito ist Pate zu zwei Kindern, zu den beiden
ältesten des Hacinto, zu Domingo, dem Jungen, und zu Juana, dem ältesten
Mädchen. Die Vaterschaft des Margarito ist nicht ganz klar. So wird
wenigstens getan. Aber auf der ganzen Hazienda weiß man, und jedem, der
es wissen will, wird es erzählt, daß der Vater des Hacinto auch Vater
des Margarito ist. Margarito selbst hält diese Tatsache für
wahrscheinlich. Jedenfalls streitet er sie nie ab. Und seine Mutter, die
noch lebt und auf der Hazienda die Hühner versorgt und im Hause
mithilft, sagt weder ja noch nein. Sie ist weder stolz darauf, noch
beschämt. Wenn ihr Gott die große Gnade erwies, sie mit Kindern zu
segnen, so ist es an sich gleichgültig, wer der Vater ist. Der Vater
wird von Gott geschickt als Mittel zum Zweck. Alimentationsfragen
entstehen nicht, denn es wächst Mais und es wachsen Bohnen auf der
Hazienda in Fülle; und jeder, der da lebt, hat ein Anrecht an dem Mais
und an den Bohnen und an den Hühnern und an den Schweinen. Ob da zwanzig
Kinder mehr essen oder fünfzig, Kinder, die sich auf die Familien
verteilen und wo der Vater es als Ehre und Gnade des Himmels betrachtet,
wenn er Vater sein darf, auch wenn er es gar nicht ist, das alles sind
keine wichtigen Dinge. Der Patron der Hazienda sieht gar nicht hin. Die
Kinder, alle Kinder, sind vom Himmel gesandt, und darum haben sie ein
Recht zu leben. Wäre da kein Vater, dann ist immer der Patron der
Hazienda noch da, der die Kinder ernährt, ernähren muß, nach
indianischem Gesetz, und auch freudig ernährt, ob Gesetz oder nicht
Gesetz. Gesetze, die nicht im Blut sind, haben ja doch keinen Wert.

Und Hacinto sieht hinüber zu den verstreuten Hütten und schiefen
Adobehäusern, wo sie alle wohnen, die Nachkommen sind jener, die mit
seinen Vätern hier lebten. Ein kleines Volk, aber ein echtes Volk mit
echtem König. Wo der König nicht Herrscher ist, wo der König nicht in
Luxus lebt von dem, was sein Volk für ihn errackert, wo der König nichts
ist als Verwalter, als Ratgeber, wo seine ganzen Rechte als König darin
bestehen, für das Wohlergehen derer verantwortlich zu sein, die ihm von
seinen Vätern anvertraut wurden. Anvertraut nicht als Untertanen,
sondern als Gleichberechtigte, die sich in Jahrtausenden von Erfahrungen
darauf geeinigt haben, daß eine Familie das Land des Volkes verwaltet,
um zu vermeiden, daß nach dem Tode des Oberhauptes der Familie die
Männer des Stammes in einen blutigen Kampf eintreten, um das Recht zu
erkämpfen, wer Verwalter und Führer für die nächste Generation sein
soll. Für solche Kämpfe haben die Leute keine Zeit, und sie haben keine
Zeit, den Haß zu besänftigen, der nach solchen Kämpfen im Volke
zurückbleibt. Die Stiere machen es so in den Viehherden. Aber die
Indianer betrachten sich ja nicht dem Vieh gleich. Solche kleinen Völker
werden immer nur dann in ihrer Ordnung und in ihrem uns primitiv
erscheinenden Aufbau und Zusammenhalt gestört, wenn eine Sippe oder ein
Stamm von Städtern, von Städteerbauern auf den Plan tritt. Städte müssen
Menschen in Massen aufsaugen, um bestehen und sich entwickeln zu können.
Und da diese Massen viel weniger Land bewohnen, als unbedingt nötig ist,
sie zu ernähren, brechen sie in die Völker ein, die mit der Erde
unmittelbar verwachsen sind, und bauen eine Ordnung auf, in der der
Städter zum Tyrannen und der Bauer zum Heloten wird.

Aus den Hütten qualmte der Rauch der Herde durch die immer offene Tür
und durch die Ritzen der Wände. Vor einigen Hütten knieten die Frauen
vor dem Metate und rieben den Mais. Die Schweine, die Hühner, die
Truthühner, die Esel, die Vögel und Tiere des Busches und des
Dschungels, die gezähmt waren und sich an das Haus gewöhnt hatten,
kleine Rehe, Waschbären, Hunde und Katzen liefen auf den Höfen herum,
drängten sich dicht an die Indianerin, die vor dem Metate hockte. Wenn
sie sich ein wenig aufrichtete, um sich den Schweiß aus der Stirn zu
wischen, so warf sie vielleicht einen Brocken des Maisteiges zwischen
die hungrigen Gäste des Hofes, die einen wilden Kampf darum begannen.
Dann lachte die Frau und ging wieder mit frischen Kräften an ihre
Arbeit. An die Arbeit, die eine Handmühle in drei Minuten schafft und an
der die Indianerin eine Stunde sitzt und alle Kräfte daran wenden muß,
die sie in sich hat. Aber die Handmühle kostete fünfzehn Pesos, und was
hätte man mit der übrigen Zeit anfangen sollen, wenn man die Maza in
drei Minuten fertig hat. Es war aber ein größeres Vergnügen, alle die
Tiere um sich zu haben und alle die Kinder dazwischen. In den drei
Minuten an der Handmühle konnten die Tiere sich nicht versammeln,
konnten die Kinder nicht mit den Tieren herumjagen und herumkreischen,
konnte man nicht so viel sehen und nicht so viel erleben. Wenn man sah,
wie der Waschbär auf die Katze losging oder der Hund vom Truthahn
verdroschen wurde, das war Leben. Die Handmühle war kein Leben, kein
Lachen; und man konnte dem Manne, wenn er vom Felde hereinkam, nichts
erzählen, daß auch er lachen mußte.

In einem alten aufgehängten Faßreifen bei einer anderen Hütte saß ein
Papagei. Er war nicht angebunden und verübte die tollsten Streiche gegen
die Kinder, gegen die Katze, gegen den Hund, gegen die Schweine. Wenn er
während des Essens dann auf seinem Brett saß und seine zwei Tortillas
bekam, so aß er nur wenig von den Tortillas. Er ließ die meisten
Stückchen herunterfallen für ein bestimmtes Schwein, das er bevorzugte.
Es war ein kleines, wild-graues, häßliches Schwein. Aber Loro, der
Papagei, liebte es. Er ließ die Stückchen nur fallen, wenn jenes Schwein
unter dem Brett stand. War ein anderes dort oder liefen Hühner herum, um
etwas aufzuschnappen, so ließ der Papagei nichts herunterfallen. Das
Schwein, das so geliebt wurde von dem Papagei, sah auf zu ihm wie zu
einem Gotte, der Welten verschenkt. Die Familie, die in dieser Hütte
wohnte, hatte das tausendmal gesehen; aber jeden Tag zu Mittag kamen die
Kinder heraus oder auch der Vater oder die Mutter, um es immer wieder zu
sehen. Sie konnten es nicht oft genug sehen. Wenn ein anderes Schwein
den Brocken erwischte, den der Papagei für seinen Günstling hatte fallen
lassen, dann schrie der Papagei wie besessen: „Cochino! Cochino!
Schwein! Schwein!“ Es war das einzige, was er neben „Como estas?“ – Wie
geht’s? – sprechen konnte. Hacinto, während er auf der Veranda stand,
hörte das Kreischen „Cochino, Cochino“. Er kannte es, kannte den
Papagei, kannte die Familie, kannte alles, alles. Das kreischende
Geschrei des schimpfenden Papageis kam zu ihm nicht als ein einzelner
Laut, es kam zu ihm nur als ein Ton, als eine Note, in den
hunderttausend Tönen des ewig gleichen, vertrauten und heimatlichen
Singens der Rosa Blanca. Alle Geräusche, alles Lärmen, das Quaken der
Kühe, das Grunzen der Schweine, das Gackern der Hühner, das Krähen des
Hahnes, das glucksende Belfern des Truthahnes, das Juchzen der Kinder,
das winselnde Wimmern der Säuglinge, das gelegentliche Bellen der Hunde,
das Klatschen von Tortillas in den Hütten, das Summen der Fliegen, das
Geschwätze und Geschnatter der Frauen in der Küche seines Hauses, das
Fluchen und Sichverschwören des Margarito, der die Mules dokterte, das
Quieken des Hintertores, das in diesem Augenblick geöffnet wurde, das
Blöken eines Jungen, dem seine Mutter eins hinter die Ohren zu wischen
schien, weil er einen Krug zerbrochen hatte, das Rufen eines Indianers
draußen in den Feldern, das Geigen der Zikaden und Grillen, das leise
Läuten der sonnendurchfluteten blauen Luft über ihm, alles das
vermischte sich zu einem einzigen geschlossenen Gesang für ihn. Der
urewige Gesang einer mexikanischen Hazienda. Hier der besondere Gesang
der Weißen Rose.

Weit hinter den Hütten sah er Indianerfrauen den Hügel heraufkommen mit
den Krügen auf dem Kopfe, in denen sie das Wasser vom Flusse zu ihren
Heimen trugen. Die Frauen gingen barfuß. Das schwarze Haar lang offen
hängend. Sie hatten es am Flusse gewaschen. Sie trugen lange rot und
grün gestreifte Röcke um die schlanken Lenden gewickelt und weiße Blusen
mit kurzen Ärmeln und roten Stickereien auf der Brust. So ging auch
seine Frau gekleidet. Genau so. Nur wenn er sie mit nach Tuxpam nahm zur
Plaza, zum Markt, dann trug sie ein Kattunkleid und Schuhe. Aber einen
Hut hatte sie nie. Nie gehabt in ihrem Leben. Immer nur den Schal des
Landes, den Rebozo.

Von den Feldern kamen die Männer gemächlich schlendernd heim zum Essen.
Sie trugen den Machete in der Hand und Hacken über die Schulter. Einige
rauchten. Einige pfiffen. Die Jungen, die mit ihren Vätern draußen
gewesen waren, haschten sich gegenseitig und grölten. An der kleinen
Kapelle war die Tür mit frischem Grün geschmückt für die Fiesta am
nächsten Sonntag.


                                   7

Alles das sah Hacinto jetzt so, als sähe er es zum ersten Male in seinem
Leben. Nie vorher hatte er das Singen der Weißen Rose so reich gehört
wie jetzt. Und nie vorher hatte er so stark gefühlt, daß er der Kern des
Ganzen hier ist, daß, wenn er sich hier von seiner Verantwortlichkeit
löse, daß dann alles zusammenbreche. Die Familien würden sich
zerstreuen, uralte Bande würden zerrissen werden, der Sohn würde seinen
Vater nicht mehr erkennen, der Neffe nicht mehr seinen Onkel. Die Rosa
Blanca würde nicht mehr die uralte Heimat eines Volkes sein, sie wird in
der Erinnerung der Kinder der Rancho sein, wo der Vater einmal
gearbeitet hat. Nichts wird die Kinder mehr in ihrer Seele mit der Rosa
Blanca verknüpfen. Die Rosa Blanca wird gleich sein der Fabrik, in der
der Vater arbeitet in der Stadt. Etwas Notwendiges, aber etwas, zu dem
man keine persönliche Beziehung hat. Man wird wechseln von Ort zu Ort,
um Arbeit zu finden, um leben zu können. Nichts wird mehr sicher sein.
Heute ein guter Lohn, morgen ohne Arbeit. La Rosa Blanca hatte immer
Arbeit, immer Nahrung, solange die Sonne aufgeht und untergeht. Aber daß
es etwas in der Welt gibt, das einem Menschen die Sicherheit des Lebens
und der Nahrung verbürgt, das werden die Kinder vergessen haben. Nahrung
allein wird die Fabrik sein, das Ölkamp, die Kupfermine, die
Textilfabrik, wo alle Nummern sind und alle Nummern haben, die am Abend
beim Verlassen der Fabrik an einer Tafel aufgehängt werden.

Alles das wußte Hacinto nicht. Er wußte nur, daß, wenn seine Compadres,
wenn alle hier, die so gut wie seine Kinder waren, nicht mehr eine Rosa
Blanca hatten, die ihre Urheimat war, daß dann etwas Höllisches mit
ihnen geschehen würde. Es würde mit ihnen etwas geschehen, das gleich
war, was einem Fisch geschieht, den man auf den Sand wirft, was einem
Baum geschieht, den man ausgräbt und auf einem Steinhaufen in der Sonne
liegen läßt.


                                   8

Hacinto hatte weniger als fünf Minuten hier auf der Veranda gestanden,
um zu überlegen, ob es einen Ausweg gebe. Ihm waren diese fünf Minuten
erschienen wie ein ganzes Leben. Er hatte in diesen fünf Minuten nicht
nur mit der Jetztzeit gelebt, sondern auch mit der Vorzeit und mit der
Nachzeit. Er hatte gesprochen mit Vorvätern, die er nicht kannte, von
denen er aber wußte, daß sie seine Vorväter waren. Er hatte gesprochen
mit seinen Nachfahren, von denen er gleichfalls wußte, daß sie seines
Blutes, seines Stammes sind, obgleich er sie nicht kannte. Es war schon
schwieriger gewesen, die Nachfahren zu finden. Er hatte sie im Geiste
weit herum suchen müssen, weit in der großen Republik und bis hinauf in
den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Denn sie waren nicht mehr in
der Rosa Blanca.

La Rosa Blanca war Lote Nr. 95 bis Lote Nr. 144 der Condor Oil Co. S. A.
La Rosa Blanca war ein Terreno, übersät von hohen nüchternen
Ölbohrtürmen.

Wo einst die Orangen- und Zitronenbäumchen standen, wo einst sich die
Kronen der Papayabäume in der flirrenden Luft wiegten, um ihre reifenden
Früchte in der Sonne zu baden, wo einst die grünen Maisfelder waren und
wo sich die Stauden im Reifen der goldenen Kolben ihre ewigen Märchen
zuwisperten, da stöhnten und ratterten jetzt fauchende Lastautos mit
stählernen Raupenbändern mitleidlos über die gequälte Erde, die sich
hier aufbäumte in Schmerz, und die sich dort in Zorn knirschend zwischen
die stählernen Bänder drängte, um deren brutale Macht zu zerbrechen.

Ein Gewirr von eisernen Rohren überzog die Felder. Und darüber war ein
Genetz von Lichtkabeln und Telephondrähten.

Wohin man blickte, war ein Zischen von Dampfwolken, ein Aufblasen von
schweren dicken Nebelballen.

Der Boden war schlammig und sumpfig von Öl, das entsetzlich stank und
pestete.

Und überall war Schreien und Kommandieren und Schimpfen und Lärmen.
Dampfpfeifen heulten. Drahtseile kreischten schrill über keuchende Räder
und über quietschende Rollen.

Rohreschleppende Reihen von Indianern marschierten über die Felder wie
Sklaven in Ketten, gehetzt von fluchenden Aufsehern.

Und die sonnendurchflutete Luft, die einst so voll war eines jauchzenden
Gesanges, war nun angefüllt mit dem Gestöhn und dem Gekeuche, dem
Rattern und Knattern, dem Stampfen und Poltern der Maschinen und Pumpen.

Von den Nachfahren des Hacinto war keiner mehr hier, außer einem. Und
dieser eine marschierte stolpernd in der Reihe der rohreschleppenden
Sklaven, die zwei Pesos fünfzig den Tag bekamen; und wenn sie nicht
willig waren oder wenn sie sich den Fuß zerquetscht hatten von einem
Rohre, das darauf gefallen war, entlassen wurden.

Diesen einen seiner Nachfahren hatte Hacinto hier im Geiste angetroffen.
Er hielt ihn an und sprach zu ihm: „Wie gefällt es dir denn hier,
hijito, mein Sohn?“ Hatte der Nachfahr geantwortet: „Gut, Padre.
Gracias. Ich bekomme zwei Pesos fünfzig. In Pachuca, in den Silberminen,
bekam ich nur einen Peso siebzig. Ich habe acht Kinder. Es ist hart, sie
durchzubringen. Der Mais kostet jetzt zweiundzwanzig Centavos das Kilo,
und die Hälfte ist hohl vom Wurm. Aber ich darf hier nicht länger
stehenbleiben und mit dir sprechen, Padrecito mio, mein liebes
Väterchen; denn wenn mich der Foreman hier stehen sieht und schwätzen,
dann feuert er mich. Es ist nicht so leicht, andere Arbeit zu finden.
Und ich habe acht Kinder.“ Er bückte sich über die Hand des Hacinto und
küßte sie. Dann sprang er wieder rasch in die Reihe der marschierenden
rohreschleppenden Sklaven.


                                   9

Hacinto hätte wohl nicht zu überlegen brauchen. Er war ja der legitime
Besitzer der Rosa Blanca. Aber er hielt es dennoch für gut, eine Weile
mit sich zu beraten. Er wußte von anderen Rancheros: Wenn eine
amerikanische Petroleum-Company einmal Land haben will, dann ist es
schwer, sein Land zu verteidigen. Soviel kann man seinen Anwälten nicht
zahlen, was eine Company ihren Anwälten bezahlt. Man hat sich vielleicht
sogar gegen seine eigene Regierung zu verteidigen, und das ist ebenso
schwer wie gegen eine amerikanische Öl-Company. Die Regierung erzielt
hohe Einkünfte aus den Ausfuhrzöllen für das Öl, darum sieht sie darauf,
daß recht viel Öl produziert und ausgeführt wird. Die Regierung
braucht das Geld, um Schulen und Straßen zu bauen und um den
Parlaments-Diputados hohe Tagesdiäten zu zahlen. Die Regierung muß sich
die Diputados zu Freunden halten. Diputado zu sein ist ein Geschäft wie
Schnapsbrenner oder Seidenhändler oder Zeitungsherausgeber. Der Diputado
kann es nicht für einen Centavito tun, wenn er das Wohl des Volkes
beraten soll. Wie auch der Pastor in der Kirche nicht umsonst Seelen
retten und umsonst die Lehre des wahren Heils verkünden kann. Auf den
Gotteslohn, von dem man sagt, daß er so süß sei, warten immer nur die,
die nie klug werden. Diputados aber und Pfaffen gehören zu den klugen
Leuten. Denn hat nicht schon der Herr gesagt: „Seid klug wie die
Schlangen und nehmt, wo ihr es kriegen könnt; denn mühselig sind die
Beladenen, und so ihr seid die Obrigkeit, dann müssen euch die andern
untertan sein, damit auch das Scherflein der Witwe nicht verachtet
werde.“


                                   10

Hacinto wachte auf aus seiner weltentrückten Versonnenheit.

„Oye, Compadre“, rief er hinüber zu Margarito, der die Mules mit
schwarzer Seife, heißem Wasser und Rancholiedern behandelte. „Oye, ven
aca, komm hier einmal her.“

„Que paso, Compadre?“ fragte Margarito, während er über den Hof
schlenderte. „Was ist los?“

Als Margarito vor ihm stand, sagte Hacinto zu ihm: „Da ist ein Caballero
drin, in der Sala. Er sucht Arbeiter für die Ölkamps. Willst du nicht
annehmen?“

„Ich annehmen, wie meinst du denn das, Compadre?“ fragte Margarito
verwundert. „Wer macht denn dann hier den Mayordomo?“

„Damit werden wir schon fertig werden“, sagte der Patron.

Margarito dachte einen Augenblick nach, und dann fragte er: „Wieviel
zahlt er denn, der Senjor?“

„Zahlt vier Pesos den Tag.“

„Den Tag?“ fragte Margarito ungläubig.

„Ja, den Tag.“

„Schönes Geld. De veras, schönes Geld.“

„Claro.“

„Wie lange hat er denn Arbeit?“ fragte Margarito.

„So lange du willst. Drei Monate, sechs Monate oder für immer“, gab
Hacinto zur Antwort.

„Das ist zu lange. So lange will ich nicht fortbleiben. Drei Monate will
ich wohl annehmen. Dann komme ich wieder zurück.“ Sagte Margarito.

„Nein, zurückkommen kannst du dann nicht“, meinte Hacinto.

„Was, Compadre? Nicht mehr zurückkommen. Wie denn? Nicht mehr
zurückkommen. Warum?“ Das verstand Margarito nicht, daß er nicht mehr
zurückkommen sollte zur Rosa Blanca, nicht mehr zurück in sein
Heimatland.

„Der Caballero nimmt die Arbeiter nur an, wenn sie weiter bei der
Company arbeiten. Immer. Wenn hier in der Nähe die Arbeit fertig ist,
dann werden die Peons weiter geschickt zu andern Kamps“, erklärte
Hacinto der Wahrheit gemäß.

„Nicht mehr zurück zur Rosa Blanca? Nie mehr zurück?“ philosophierte
Margarito vor sich hin. „Nein, da gehe ich nicht. Vier Pesos den Tag,
Caramba! Das ist saftiges Geld. Aber nicht mehr zurück und für immer in
den Kamps, wo es so stinkt und wo sich die Leute immer schlagen und
streiten. Nein, Compadre, sag ihm, ich will doch lieber nicht gehen.
Vier Pesos, muy buen dinero. Aber nein, ich kann nicht gehen. Kannst ihm
auch sagen, dem Caballero, er wird hier keine Leute bekommen können,
wenn sie nicht wieder zurückgehen dürfen und wenn es für immer ist. In
der Stadt kann er ja genug kriegen. Von hier geht keiner.“

„Es sind doch drei Jungen von hier gegangen“, erinnerte Hacinto.

„Ja freilich“, sagte Margarito. „Aber einer, der Marcos, ist doch wieder
hier. Er sagt, er geht nie wieder fort in die Kamps. Er sagt, das sei
nichts. Immer nur Arbeit und gar kein Spaß. Immer ist der Foreman
hinterher und treibt und schimpft, soviel sie auch arbeiten. Der Junge
vom Pedro ist doch nur da, um das Heiratsgeld für seine Muchacha
schneller beisammen zu haben. Und der Junge vom José darf nicht mehr
zurückkommen. Der José läßt ihn nicht mehr ins Haus, er hat sich da mit
einem der Salonmädchen eingelassen, die er heiraten will. Das ist die
Sache mit ihm. Vier Pesos. Holla. Bueno. Aber ich gehe doch lieber
nicht, Compadre. Es ist so sehr viel Gestank da und immer Geschrei und
Geschimpfe. Und was sollen die Mulas machen und die Pferde, wenn ich
nicht hier bin? Die hören ja nur auf mich. Ich kann auch dann nicht mehr
sehen, wenn das Kalb an der Kuh saugt und wie die Stiere sich
auskämpfen, wer der Stärkste ist, und die kleinen Schweine und die
Küken. Und die Kinder sind auch allein. Wenn ich sie mitnehme zum
Kampdorf, da haben sie keinen Platz und wissen nicht, was sie tun sollen
den ganzen Tag. Überhaupt, Compadre, wenn ich nicht zurück kann hier zur
Rosa Blanca und überhaupt kannst du doch dem Caballero sagen, daß ich
nicht will und daß auch sonst kein anderer von hier will. Die wollen
auch alle wieder zurück. Wir gehören doch hier her. Und ich muß nun
wieder zu den Mules rüber, die sehen böse aus und müssen gut gedoktert
werden. Javier hätte besser achtgeben sollen. Er versteht auch gar
nichts, wie er die Tiere aufzupacken hat.“

Margarito schlenderte zurück über den Hof, das Lied vom Indianerliebchen
pfeifend. Als er näher zu den beiden Mules kam und sah, daß eines der
Tiere unruhig war und das andere zu beißen suchte, unterbrach er wieder
einmal sein Lied und schrie: „Macho, du himmelgottverfluchter Coyote von
einem Mule, ich komme dir gleich hin und trete dich in den –.“ Aber als
er nun wirklich hinkam, trat er nicht und stieß er nicht das Tier,
sondern zog es nur von dem andern Mule fort, so daß die Beißerei von
selbst aufhörte.


                                   11

Was konnte Hacinto tun nach dieser Unterredung mit Margarito? Es war so,
wie er wußte, daß es sein wird. Sie gehörten hierher, alle. Alle waren
Kinder der Rosa Blanca. Sie und La Rosa Blanca waren eine Einheit, die
man nicht trennen konnte. Man kann ein Kind von der Mutter trennen.
Beide überleben den Schmerz. Aber man konnte diese Menschen hier nicht
von der Rosa Blanca trennen. Wurden sie getrennt, so hörten beide auf zu
sein, was sie waren. La Rosa Blanca konnte ein Rancho bleiben oder eine
Hazienda; aber sie war nicht mehr Die Rosa Blanca. Sie war eine Hazienda
wie viele tausend. Nun gar, wenn sie ein Ölfeld wurde. Und gingen die
Menschen fort von ihr, die hier wurzelten seit Jahrhunderten, sie waren
nicht mehr dieselben Menschen. Sie waren dann nur noch verwirrte und
zerstreute heimatlose Landarbeiter oder Peons in den Kamps oder Strolche
in den Straßen der Stadt. Sie waren Entwurzelte, die ihren Lebenszweck
verloren hatten und ihren Lebensstrang, weil sie nirgends mehr
hingehörten. Sie verloren nicht nur den Lebensstrang, der sie mit der
Erde verband, sondern sie verloren mehr. Größeres. Sie verloren ihr Herz
und ihre Seele, die eins waren mit der Rosa Blanca, wo ihre Geschichte
wurzelte; wo ihre Wiegenlieder, ihre Liebeslieder, ihre Märchen, ihre
Spukgeschichten, ihre bösen Kobolde, ihre Erdgeister, ihre Feen und
Elfen und Baumnymphen geboren waren und lebten.

Margarito hatte Hacinto nur bestätigt, was Hacinto lange vorher wußte
und was sein Vater und sein Großvater und alle die Vorväter gewußt
hatten, daß ihm die Rosa Blanca nicht gehörte, daß er nicht der
Eigentümer sei, daß er nur der Verwalter dessen war, das Eigentum aller
war, die hier lebten und die hier seit ewigen, scheinbar urewigen Zeiten
lebten. Jeder wollte zurück, weil er mußte. Er konnte irgendwo anders
arbeiten, irgendwo anders Geld verdienen, aber leben konnte er nur hier.
Darum hatte Hacinto kein Recht, kein alleiniges Recht an der Rosa
Blanca. Und hätte er einen Rat der Männer zusammengerufen, wie es
beinahe jeden Monat getan wurde, wenn die Arbeit besprochen wurde,
diesmal jedoch, um die Frage vorzulegen: „Sollen wir die Rosa Blanca
verkaufen und viel Geld bekommen?“, so würden alle gesagt haben: „Das
können wir nicht, da sind doch die Kinder.“


                                   12

Hacinto ging hinein in die Stube. Der Licenciado saß noch immer am
Tische und hatte die Säulchen vor sich stehen. Er hatte es nicht gewagt,
den Tisch zu verlassen, um auf die Veranda zu kommen. Er fürchtete, es
könnte ein Goldstück gestohlen werden, und er müßte alles wieder aufs
neue nachzählen. Aber ob da ein Goldstück auf dem Tische gelegen hätte
oder zehn oder tausend, er hätte eine Stunde oder einen halben Tag den
Tisch allein und unbewacht lassen können, und wenn er zurückkam, hätte
er nicht nachzuzählen brauchen. Es hätte nichts gefehlt. Er war aber
Licenciado. Darum traute er den Menschen nicht. Noch nicht einmal so
weit, wie er sie sah.

„Nun wohl, Hacinto“, sagte Senjor Perez, als er den Indianer eintreten
sah, „dann wäre also La Rosa Blanca verkauft. Hier, zählen Sie das Geld
nach.“

Hacinto setzte sich nicht. Er sagte ruhig: „La Rosa Blanca ist nicht
verkauft. Und La Rosa Blanca wird nicht verkauft werden, auch wenn Sie
zehnmal mehr auf den Tisch legen. Dieses Geld da hat für mich gar keinen
Wert. Man kann überhaupt kein Land für Geld umtauschen.“

„Alles Land wird doch für Geld vertauscht oder verkauft“, wandte Senjor
Perez ein, nur um etwas zu sagen.

Hacinto, noch immer stehend, sagte darauf: „Land ist ewig, Geld ist
nicht ewig, darum kann man Land nicht gegen Geld vertauschen.“

„Also dann nicht“, rief der Licenciado nach einer Weile erbost aus.
Während er das Geld einsackte, fügte er hinzu: „Du bist ein blöder alter
Dickkopf. Das ist es, was du bist. Man sollte dich in das Asyl für die
Irren schicken, in die Castaneda. Da ist es, wo du hingehörst. Und wir
werden die Rosa Blanca doch noch bekommen. Da kannst du nur ganz sicher
sein. Und wir werden sie billig bekommen, das kannst du mir glauben.
Viel, viel billiger. Du hast deine Gelegenheit verpaßt, Hermanito,
Brüderchen. Das will ich dir nur sagen. Wir werden dich schon kriegen.“

„Ihr alle könnt mich gar nicht kriegen“, rief Hacinto, nun gleichfalls
ein wenig erbost werdend. „Ihr könnt mich alle mal am Ursch kratzen, das
könnt ihr. Und Furcht könnt ihr mir schon lange nicht einjagen. Ihr
nicht. Und keiner. Und du kriegst auch nicht einen Mann von der Rosa
Blanca für die Kamps zum Arbeiten. Das kann ich dir nur auch sagen.
Willst du noch eine Copita haben, ein Gläschen. Eine guter Habanero von
San Juan Bautista.“

Er schenkte die Gläschen ein, der Licenciado sagte: „Salud!“ Hacinto
hielt sein Gläschen hoch und antwortete: „Salud! Gesundheit!“, und sie
gossen ihre Gläschen hinunter.

Der Licenciado band den Leinensack zu, rief seinen Mozo, die Pferde zu
bringen, saß auf, verabschiedete sich mit allen den Höflichkeiten, die
ein Mexikaner auch dann nicht vergißt, wenn er enttäuscht oder verärgert
ist, und ritt davon.


                                   13

Als Hacinto auf der Veranda stand und den Fortreitenden nachblickte,
dachte er nur über eines nach: „Wie kann er mich denn in die Castaneda
bringen, ich bin doch gar nicht verrückt. Ich bin doch ganz vernünftig,
ganz klar im Kopf.“

Dann schlenderte er hinüber zu Margarito, sah ihm eine Weile beim
Doktern der Mules zu und sagte endlich: „Nächste Woche könnten wir das
Jungvieh in den Korral treiben und die Brandmarken aufdrücken. Und am
Sonntag werden wir beide einmal nach der Concordia reiten. Don Federico
hat einen vorzüglichen Eselhengst, den er verkaufen will. Schleppt eine
Carga von achtzig Kilo ohne Zucken. Werden wir eine feine Mulezucht
anlegen.“

„Das habe ich dir nun schon seit fünf Jahren gesagt, Compadre“, meinte
Margarito. „Die Mules sind jetzt sehr schön im Preise, und da läßt sich
gut etwas machen mit Muleaufzucht.“

„Laß die beiden kranken Mules hier jetzt zwei Wochen auf der Weide ohne
Arbeit, damit sie sich wieder gut aufholen“, sagte Hacinto.

Dann ging er ins Haus. Von der Veranda aus rief er den Frauen in der
Küche zu, daß er Kaffee haben wolle, er sei durstig.




2


                                   1

Der Report des Licenciado Perez lief im Hauptquartier der Condor Oil
Company in San Francisco ein.

„Was denkt sich denn dieser Chunk von einem dreckigen Indianer, was er
ist und mit wem er es hier zu tun hat!“ sagte der Präsident der Company,
Mr. Collins. „Das Land, das ich haben will und nicht kriegen kann, gibt
es im ganzen Universum nicht. In diesem Universum einmal sicher nicht.
Wenn ich Land haben will und es ist auf dem Jupiter, ich bekomme es,
sure as death.“

Diese Äußerung des Präsidenten wurde als ein guter Witz betrachtet, weil
sie vom Präsidenten kam. Der Witz machte die Runde durch alle Büros der
Company, und jeder Angestellte fühlte sich verpflichtet, zu lachen, eben
weil es ein Witz des Präsidenten war. Nur der jüngste Officeboy, ein
vierzehnjähriger respektloser Lümmel, lachte nicht darüber, sondern
sagte zu der jüngsten Officegirl, ebenso rotznasig wie er: „So ein
Cabbage, und er nennt sich Präs, wie will er denn rauf auf den Jupiter!
Ein guter Witz vom Präs? Da muß mir einer am Bauch kitzeln, und selbst
dann fange ich an zu weinen.“ Dann kicherten die beiden zusammen, bis
sie der Chef anblökte: „Ruhe da, ihr Kükenfratzen!“ Diese beiden Küken
brauchten auch nicht zu lachen über einen Witz des Präsidenten; denn sie
hatten keine Familie zu versorgen, und vier Dollars die Woche konnten
sie auch anderswo verdienen.


                                   2

Präsident Mr. Collins war smart. Das war sicher. Wenn er etwas wollte,
dann gab es nichts, das ihn daran hätte hindern können, es zu erlangen.
„Du mußt nur ernstlich etwas wollen, dann erhältst du es mit Gewißheit!“
war einer seiner zahlreichen Wahlsprüche, die er um sich herum angehäuft
hatte.

Gleich hinter seinem Tintenfaß mit dem eleganten Halter eingesteckt
„Always ready“ – immer fertig zum sofortigen Gebrauch –, da stand auf
dem Riesenschreibtisch, eingerahmt in einem echt silbernen Rahmen, ein
Blatt japanischen Papiers der teuersten Art, auf dem in roten gotischen
Lettern gedruckt war:

                          SMILE, SMILE, SMILE
                                 ALWAYS
                              AND FOREVER
                                 SMILE

das ist: Lache, lache, lache, immer und für ewig lache. In einer kleinen
Schrift darunter stand in Reimen, daß man auch dann lachen solle, wenn
man körperliche Schmerzen erdulde, wenn einem das Liebste entrissen
würde, wenn man von allen seinen Freunden verlassen sei und wenn man all
sein Hab und Gut verlöre.

Links davon stand ein anderer Spruch in goldenen Lettern:

                                 SMILE
                                  WORK
                                AND GIVE
                                THE POOR

das ist: Lache, arbeite und gib den Armen. Rechts davon war wieder ein
eingerahmter Spruch:

                                HONESTY
                                   IS
                                THE BEST
                                 POLICY

das ist: Ehrenhaftigkeit ist die beste Politik. Hinter ihm, an der Wand,
so daß es jeder lesen mußte, der vor ihm saß und mit ihm sprach, war in
einem großen Rahmen der Spruch:

                               YOUR TIME
                                   IS
                             OF HIGH VALUE
                                 SO IS
                                  MINE

Deine Zeit hat großen Wert, meine gleichfalls. „Time is money“ war zu
gewöhnlich geworden, um es in der Office eines Präsidenten einer großen
Company in Silberrahmen zu hängen.

Auf dem Tische hatte er dann noch stehen ein Bild seiner Frau, schon
tüchtig fett. Und ein Bild seiner Tochter, die noch nicht fett war, der
man aber selbst auf dem Bilde ansehen konnte, daß ihr in dieser Welt
nichts mehr verborgen war. Auch sonst sah sie ganz aus wie eine
Filmschauspielerin.

In einem Schubfach zur rechten Hand, unter geschäftlichen Papieren
versteckt, hatte er noch ein paar Bilder liegen von Chordamen der
Follies. Die Mädchen auf den Bildern sahen frech aus und kostspielig.

Im selben Schubfach war noch ein Bild in einer Mappe. Auf diesem Bilde
stand geschrieben: To my beloved Daddy from your Flossy; meinem
geliebten Väterchen von Deiner Flossy. Er war gar nicht das Väterchen
der Flossy; aber es war nett von ihr, daß sie das so lieb sagte. Sie
kostete jeden Monat einen Scheck von tausend Dollar, ohne die Geschenke
und ohne die Abende, die er mit ihr in den Klubs oder in den Hotels an
den Autostraßen außerhalb der Stadt verbrachte.

Die Choristinnen hatten nichts auf ihre Bilder geschrieben. Er kannte
sie noch nicht so lange wie Flossy, dafür aber waren sie auch teurer.
Flossy war gleichfalls, in jener Zeit, als sie Mr. Collins kennenlernte,
Chordame gewesen; aber sie hatte das vergessen und durfte nicht daran
erinnert werden, ohne in Tobsucht zu verfallen, die zu besänftigen immer
recht kostspielig für Mr. Collins wurde.

Dann war da noch eine Dame, von der er nur ein ganz kleines Bildchen
besaß, das sich aber in einem schön gearbeiteten, schwer goldenen
Rähmchen befand. Es lag in dem wichtigeren Schubfach zu seiner linken
Hand, in einem Ebenholzkästchen, das immer verschlossen war. Dieses
kleine Bildchen stellte er zuweilen vor sich auf den Tisch, wenn er
längere Zeit zu arbeiten hatte und außer von seiner ersten Sekretärin
nicht gestört wurde. Kam ein ganz unerwarteter Besuch, etwa gar von
seiner Frau, dann verschwand das Bildchen rasch in der Hand oder in der
Westentasche.

Dieser Dame, in dem eleganten und sehr teuren goldenen Rähmchen, hatte
er letzte Woche ein Auto kaufen müssen. Aber keinen Tourenkasten für
zwölfhundert Dollar. Nicht für sie, wenn er etwas wollte von ihr. Das
Auto war eine hochklassige Angelegenheit mit allem Komfort und mit allen
Köstlichkeiten und Verführungen. Wie ein Boudoir. Kostete
sechzehntausend Dollar. War zu jener Zeit das eleganteste Auto westlich
der Rockies, der Rocky Mountains. Seit sie den Wagen hatte, quälte sie
nun jeden Tag viermal bei Telephon, daß sie auch eine Garage haben
müßte, wo sie den Wagen hinstellen könnte, und die Garage war nur zu
haben mit einem dazugehörigen sehr eleganten Wohnhaus.

Zweimal in der Woche des Abends, eigentlich war es Nacht, krabbelte sie
niedlich mit ihm herum; aber des Tages am Telephon nannte sie ihn
schäbig, weil er nicht schnell genug mit der Garage war. Er redete sich
damit heraus, daß er noch nichts Passendes soweit gefunden habe. Aber
das ging nur eine kurze Zeit. Dann mußte er wohl die Garage besorgen und
natürlich das Haus dazu, oder er hatte das Auto auf der Verlustseite zu
buchen. Denn wenn er zu schäbig war, die Garage heranzuschaffen, so
mochte sie wohl einen andern finden, der es als Ehre ansah, ihr die
Garage zu geben.

Zwei der Choristinnen, die ihm ein wenig näherstanden, waren gleichfalls
verwickelte Angelegenheiten. In geschäftlicher Beziehung und in jeder
anderen Beziehung auch. Jede hatte ihre besonderen Wünsche. Und alle
Wünsche hatten mit nichts anderem zu tun als mit Ausgaben, die alle aus
seiner Kasse gingen.


                                   3

Darum wird man wohl begreifen, daß der Präsident einer großen
amerikanischen Oil-Company nicht auf Rosen gebettet ist und daß er seine
schwere Not und seine bösen Sorgen hat, um sich durchs Leben zu schlagen
und beide Enden zusammenzubringen. Es erfordert die ganze Tüchtigkeit
und Weisheit eines Menschen, Präsident einer Oil-Company zu sein, wenn
man solche Schwierigkeiten in der Welt vorfindet, die man zu lösen hat
und gut zu lösen hat, wenn man Präsident sein und bleiben will. Dem
Präsidenten einer Oil-Company darf nicht der Vorwurf gemacht werden, daß
er vielleicht ein schwarzer Fleck in dem zarten weißen Körper der
menschlichen Gesellschaft sei. Das würde zwar nicht dem Öl schaden, wohl
aber den Aktionären. Die Aktionäre dürfen schon eher tun, was sie
wollen; denn jeder einzelne ist für sich allein verantwortlich. Aber der
Präsident einer Oil-Company hat höhere Pflichten und größere
Verantwortlichkeit. Er vertritt eine Idee, ein Prinzip. Er hat die
Verantwortung für die Haltbarkeit einer Säule im Bau, in der Struktur
des Staates. So kann auch ein gewöhnliches Mitglied einer
Kirchengemeinde sich mehr Freiheiten erlauben als der Pastor. Ein
Kirchenmitglied mag straucheln. Das schadet der Kirche in ihrer
Eigenschaft als einer Säule des Staates nicht. Wenn aber der Pastor aus
den Strängen schlägt, so kann die ganze Kirche zu wackeln beginnen, die
ganze Idee, auf der die Kirche beruht.

Was sind die ärmlichen dreihunderttausend Dollar, die so ein geplagter
und gejagter, bemitleidenswerter Präsident einer Oil-Company als
Jahresgehalt empfängt. Das reicht kaum für das Salz zur Suppe, die er
ißt. Der Präsident einer Oil-Company hat Verpflichtungen. So ist das
nicht. So einfach und schlicht ist das Leben nicht, wie vielleicht ein
erbärmlicher, drei Viertel verblödeter Indianer denkt. Das Leben ist bei
weitem verwickelter. Mehr, es ist wahrhaftig kompliziert. Wie soll man
sich da überhaupt noch durchfinden?

Da ist das große Haus in der Stadt mit achtundzwanzig Räumen. Der
Präsident kann nicht in einer Indianerhütte leben. Wofür wäre man sonst
Präsident einer Oil-Company? Da ist die Dienerschaft. Die Leute sind
keine Knechte und keine Mägde. Sie sind in Amerika. Sie sind hired
persons, gemietete Leute, Angestellte, Hausbeamte. Sie müssen gut
bezahlt werden.

Das Haus muß die besten Möbel haben und viel Möbel. Das Haus muß einen
Garten haben, einen gut gepflegten Garten, würdig des Präsidenten einer
Oil-Company.

Ein gutes elegantes Auto für sich selbst. Ein hochelegantes Auto für die
Frau Präsident. Sie muß einen Chauffeur haben; denn die Wagen müssen
gereinigt werden, und es müssen neue Reifen aufgezogen werden, neue
Zündkerzen eingesetzt, die Batterien müssen geladen werden, und es sind
noch andere Arbeiten zu tun.

Auch die Tochter muß ihr elegantes Auto haben. Sie will mit ihren
Freunden und Freundinnen ausfahren, um eine gute Zeit zu verbringen;
denn man ist ja nicht auf der Welt, um immer trübe und traurig in den
Winkeln herumzuhocken. Die Tochter hat keinen Chauffeur. Sie fährt den
Wagen selbst. Und sie fährt ihn gut. Aber die Strafmandate von zehn,
fünfzig und hundert Dollar für rasendes Fahren oder für unbedachtes
Stehenlassen des Wagens in der Nähe eines Feuerhydranten regnen nur so
auf sie herab. Sie fährt auch gelegentlich einen Hausierer um, der sich
absichtlich in den Weg stellte, um überfahren zu werden und eine
Schmerzenssumme einzuklagen. Es gibt genug Anwälte, die nichts weiter
tun, als die Schmerzenssummen für Überfahrene einzuklagen, weil sie von
jeder eingeklagten Summe fünfundzwanzig oder auch vierzig Prozent
erheben. Der Kläger, ein armer Teufel, kann keine Gebühren bezahlen,
darum geht der Anwalt mit ihm auf Teilung. Darum gewinnt auch immer der
Anwalt, weil er für seine Tasche gewinnt. Und wenn der Präsident nicht
bezahlt, so bezahlt die Versicherung, die es auch nicht umsonst macht.
Aber letzten Endes kommt das Zahlen doch zum Präsidenten.

Die Frau verlangt monatlich einen Scheck für tausend Dollar, für die
kleinen Ausgaben, die sie hat, für Nadelgeld, obgleich sie nie eine
Nähnadel oder Stecknadel in die Hand nimmt. Aber da sind die Eiscreams,
da ist die Masseuse, da ist der Tanzmeister. Sie spielt auch, und sie
spielt tüchtig und verliert in einer Bridgepartie mit ihren Freundinnen,
den Frauen anderer Präsidenten, in zwei Stunden dreitausend Dollar. Die
Rechnungen für ihre Pariser Kleider, ihre Lyoner Unterwäsche, ihre
New-Yorker Strümpfe, ihre Wiener Schuhe werden dem Mr. Präsidenten in
die Office geschickt. Das ist extra. Und extra sind auch die Hüte, von
denen sie jeden nur fünf Tage trägt. Whisky und französischer Likör sind
auch teuer. Erst recht seit der Prohibition.

Die Tochter bekommt nur dreihundert Dollar monatlich für kleine
Ausgaben. Aber in Wahrheit werden es monatlich immer dreitausend. Die
werden nicht gerechnet. Sie kommen auf das Konto für Allgemeines. Das
Töchterchen, wenn es wieder einmal knapp ist – und es ist viermal in der
Woche knapp –, flitzt schnell mal in die Privatoffice; und Mr. Collins,
der glückliche Vater, freut sich, daß er in seiner öden Arbeit
unterbrochen wird, daß er eine Entschuldigung findet, Dummheiten und
Lächerlichkeiten zu schwätzen mit dem Töchterchen auf seinen Knien. Und
er bildet sich ein, daß nun Sonnenschein in dem nüchternen Büro sei,
wenn sie ihn im Nacken krault und auf die Nasenspitze küßt und immerfort
schnattert: „Du bist das süßeste und liebste Väterchen auf der ganzen
Welt.“ So zieht sie ab, heute mit zweihundert Dollar, morgen mit
fünfzig, übermorgen mit zwanzig, dann wieder mit hundert und dann
wieder: „Süßes Rattenschwänzchen Väterchen, heute geht es dir aber
einmal schlecht, ich brauche heute fünfhundert, aber ich will auch ganz
brav dafür sein für den ganzen Rest des Monats.“ Drei Tage später ist
der Rest des Monats, den sie meinte, schon wieder um, wenngleich der
Kalender auf dem Tisch Magenkrämpfe bekommt, weil er sich nicht mehr
zurechtfindet und an sich selber nicht mehr glaubt. Aber es kostet
dennoch wieder fünfzig Dollar. Sonnenschein in der Office des
Präsidenten einer Oil-Company zu haben, kostet eben Geld.

Aber Mr. Collins blickt auf seinen Wahlspruch: „Lache und gib den
Armen!“ So lacht er eben und gibt denen, die es benötigen. Denn wer
benötigt, ist arm.

Und arm sind die Chordamen der Follies.

Kein Chormädchen zu haben ist eine Schande. Er würde sich im Klub
lächerlich machen. Man würde ihn jeden Tag, wenn er sich sehen ließe,
mit der mitleidigen Miene, mit der man zu Kranken spricht, anspringen:
„He, Greasy, Ölerchen“, sein Neckname im Klub, der sich auf seinen Beruf
als Präsident einer Oil-Company bezieht, „he, Greasy, ein Röhrchen mit
Phosphor-Arsenik-Pillen gefällig?“ Das würde jeden Tag so gehen, mit
jedem, den er träfe im Klub. Denn wenn sie einmal etwas erhascht haben,
von dem sie glauben, es sei witzig, dann wird es so lange geknetet und
abgetreten, bis man irrsinnig werden kann. Ehe diese Männer, die
Millionen mit einer Handbewegung verdienen können und auch verdienen,
einen neuen Witz erfinden oder gar einen Witz erfinden und verstehen,
der Geist oder Humor in sich trägt, darüber können Generationen
hingehen. Das Leben ist wahrhaft kompliziert.

Phosphor-Arsenik gebrauchen zu müssen ist ein Zeichen, daß man alt ist
oder sich dem Alter nähert. Aber der Präsident einer Oil-Company darf
niemals den Verdacht aufkommen lassen, daß er alt ist. Dann kann er wohl
Präsident der Vereinigten Staaten werden, zu welchem Amte man weder
Weisheit noch Jugendkraft vonnöten hat, wo diese Dinge sogar hinderlich
sind, wie die Mehrzahl der Beispiele beweist, aber er kann nicht mehr
Präsident einer Oil-Company sein. Das Amt des Präsidenten einer
Oil-Company erfordert Robustheit, Rücksichtslosigkeit, Brutalität,
Skrupellosigkeit. Weder ein alternder Mann, noch ein Philosoph, noch ein
Dichter eignet sich dazu.

So, um den Verdacht abzulenken, daß man Auffrischungsmittel nötig hat –
an die unfehlbare Treue zur eigenen Frau wird nicht geglaubt –, um den
andern Verdacht abzulenken, daß man geschminkten Jünglingen nicht abhold
sei, treten die Chormädchen in das verantwortungsvolle Leben des
Präsidenten ein. Er empfängt sie keineswegs mißmutig. Wenngleich er ein
guter Christ ist, der treu zu den Methodisten oder den Baptisten – wenn
er sehr hoch stehen will – zur Episcopal Church hält, so ist er als
Mensch und als Mann doch der Meinung, daß Mohammed wahrhaftig ein großer
Prophet war, der die Seele eines Mannes so vortrefflich verstand, daß er
Gesetze schuf, die den zahlreichen Kümmernissen eines Mannes
Erleichterung bringen sollten.


                                   4

Mr. Collins ist ein mächtiger Mann in der Ölindustrie. Er kann in
wenigen Tagen den Markt so erschüttern, daß hundert andere
Industriezweige zu wanken beginnen und mehrere stürzen, daß eine Panik
unter den Kleinen und Mittleren in Wallstreet ausbricht, die übergreift
auf die Großen, die unruhig zu werden beginnen, schlaflose Nächte
verbringen und für Zehntausende von Dollar Cables über die Erdoberfläche
kreisen lassen müssen, um den Markt wieder zu stabilisieren und die Ruhe
herzustellen, in der allein die Giganten ihre großen Geschäfte mit
Sicherheit abwickeln können.

Eine lächerlich unscheinbare Sache kann den Markt in jene Unruhe
bringen, daß innerhalb von zwei Stunden fünfhundert Millionen Dollar
Werte ihren Besitzer wechseln.

Da war eine Company, die Motoren fabrizierte. Sie war ganz unbekannt.
Niemand hatte je einen Motor dieser Company gesehen. Aber die Company
produzierte, immer in der Hoffnung, daß sie hochkommen könnte. Sie
zahlte keine Dividenden und hatte immer Unterbilanz. Ihre Aktien standen
auf sechsundvierzig, und niemand wollte sie dafür haben. Plötzlich
gingen die Aktien hinauf. Am ersten Tage gleich auf fünfundsechzig, am
zweiten Tage auf zweiundachtzig, am dritten Tage auf hundertzehn.
Niemand wußte, warum. Niemand wußte, wer der Aufkäufer war, denn die
Brokers, die aufkaufenden Agenten, gaben den Namen ihrer Auftraggeber
nicht preis. Selbst die sichersten Motor-Companien, wie die General
Motors, begannen zu fallen und fielen weiter. Denn bei einem so
unerwarteten Steigen eines unbekannten Papiers können die Gerüchte sich
auswirken. Die tollsten Gerüchte werden geglaubt und bringen die Börse
in Erregung. Hier lief das Gerücht um, jene Motor-Company habe ein
Patent erworben, das eine ganz neue Art von Motor schaffe, einen Motor,
der nur ein Zehntel des Gasolins gebrauche, den der übliche Motor
verwende, und er erzeuge achtmal mehr Kraft mit jenem Zehntel Gasolin.
Damit wurden alle anderen Motoren wertlos. Niemand würde mehr einen
Motor des alten Modells kaufen. So, alle Companien, die Motoren bauten,
und alle Companien, die Dinge produzierten, die mit Motoren etwas zu tun
hatten, begannen zu ratteln. Die Aktien der Oil-Companien wurden
unsicher, denn wenn die Motoren nur noch ein Zehntel Gasolin
gebrauchten, wo dann hin mit dem vielen Öl? Und alles war nichts anderes
als ein kleines Manöver des Mr. Collins, der einige kleinere
Oil-Companien, von denen er wußte, daß sie die Panik nicht überleben
konnten, aufsaugen wollte. Er bekam sie auch. Und die Papiere jener
unscheinbaren Motor-Company fielen zurück in ihr stilles und
beschauliches Dasein.

Mr. Collins braucht nur hundert Millionen Hektoliter Öl zurückzuhalten,
und der Markt kommt in Erregung, weil die Spieler nicht wissen, was los
ist, die Gerüchte sofort einsetzen und ihr Unheil anstiften. Oder Mr.
Collins kann hundert Millionen Hektoliter Öl, das er für solche
Spekulationszwecke in Reserve hielt, auf den Markt schleudern und ein
Preispanik hervorrufen, die alle Werte auf dem Markt mit sich reißt.
Denn alle Werte und Produkte sind in diesem System, das der Mensch von
heute geschaffen hat, so miteinander verwickelt und verwoben, daß eine
Werteveränderung des Öls sofort Werteveränderungen von Produkten nach
sich zieht, die gar nichts mit Öl zu tun haben. Ein Preissturz des Öls
kann eine gewaltige Preiserhöhung des Weizens oder der Baumwolle oder
der Papiere von Eisenbahn- und Dampfschiff-Companien hervorrufen.

Es geht hierbei sehr logisch zu. Viel logischer als beim Roulette. Es
geht so sehr logisch zu, daß ein kluger Mann, der genügend Kapital im
Rücken hat und die Gesetze, nach denen sich die Bewegungen hier durchaus
logisch vollziehen müssen, gut kennt und gut durchstudiert hat, immer
gewinnen muß. Nur hat selbst der Größte nicht diese unerschütterliche
Ruhe, die notwendig ist, um seinen Plan mit mathematischer Sicherheit zu
verfolgen. Auch der Größte läßt sich von der Unruhe mitreißen, weil er
Mensch ist und menschlichen Suggestionen unterliegt. Er läßt sich von
der Panik mit fortreißen, wie der Ruhigste und Bedächtigste bei einem
Theaterbrand von der Panik derer ergriffen wird, die um die Ausgänge
kämpfen, obgleich sie alle unversehrt ins Freie gelangen könnten, wenn
sie rasch, aber ohne sich zu drängen, durch die nächste Tür gingen und
dann draußen, außerhalb des Hauses, keine Knäuel bilden würden aus
Neugierde und um zu sehen, ob ihre Angehörigen nachkommen.


                                   5

Mr. Collins war ein mächtiger Mann in der Ölindustrie. Aber gegenüber
den vier Frauen war er doch nur ein gewöhnlicher Mann, der sich von den
übrigen Männern höchstens dadurch unterschied, daß er mehr bezahlen
konnte, ohne dafür mehr zu bekommen, als ein Mann eben von einem Mädchen
bekommen kann. Was ein Mann von einer Frau bekommen kann, ist immer
dasselbe. Keine Frau kann mehr geben, als sie hat. Und wenn sie gegeben
hat, was sie zu geben imstande ist, so kommt der Mann zu der großen
Weisheit, daß alle Frauen in dem Punkte, auf den allein es nur ankommt,
alle gleich sind. Die Frauen – ganz sicher – denken genau das gleiche
von den Männern. Nach vielen Erfahrungen kommt der Mann endlich zu der
Erkenntnis, daß von allen Frauen die erste, die er hatte, die beste war.
Denn die Erinnerung an sie liegt am weitesten zurück und ist am nächsten
der Erinnerung an seine Jugend, die ihm romantisch erscheint, weil sie
das Vergangene ist. Auch für die Frau ist der Mann, den sie zuerst
liebte, der Mann, den sie für den besten hält und den sie immer lieben
wird. Der Grund ist der gleiche wie beim Manne.

Man schätzt das am meisten, was am kostspieligsten ist. Selbst die
Freudengöttin liebt nur den Mann aufrichtig, für den sie das Geld
verdienen muß, und der sie gelegentlich noch verprügelt.

Unter den vier Beweisstücken, die Mr. Collins hatte, um seinen Freunden
zu beweisen, daß er in voller Lebenskraft stand, war Betty das
geschätzteste augenblicklich. Denn sie war die kostspieligste.

Flossy, die ihren Scheck von tausend Dollar jeden Monat bekam mit der
Regelmäßigkeit, mit der ein Ehemann das Geld für den Haushalt zu zahlen
hat, stand in seiner Vorstellung und in seinem Empfinden beinahe schon
im gleichen Range wie seine Frau, Mrs. Alice Dawis Collins. Er zankte
sich mit ihr, er stritt sich mit ihr, er fühlte sich berufen und
berechtigt, sie zu kritisieren, und die Nächte, die er mit ihr in
ehelicher Gemeinschaft im Bett verbrachte, waren genau geregelt und
bestimmt. Er verließ ihr Haus regelmäßig um vier Uhr morgens, wenn er
seine ehelichen Pflichten ihr gegenüber zu erfüllen hatte, weil er nicht
später nach Hause kommen wollte, um immer noch sagen zu können, daß er
so lange im Klub gewesen sei. Gleich seiner Frau hatte er Flossy zwei
Reisen im Jahr zu bewilligen, im Winter eine Reise nach Palm Beach in
Florida und im Sommer eine Reise nach Kanada oder nach Europa. Er
besuchte sie natürlich pflichtgemäß in Palm Beach, verbrachte einige
zehn Tage mit ihr und ging dann über Havanna, wohin er sie mitnahm, nach
Tampico, wohin er sie nicht mitnahm. Da er nach Tampico im Auftrage der
Company reisen mußte, so wurde die gesamte Reise auf das Konto
der Condor Oil Co. geschrieben, wodurch sich die fällige
Sommererholungsreise für Flossy beträchtlich verbilligte. Er hätte
Flossy ja auch nach Tampico mitnehmen können. Aber es war billiger, sie
von Havanna nach Palm Beach zurückzuschicken. Außerdem war es für ihn
bequemer. In Tampico fand er immer gleich am ersten Abend, was er
brauchte. Und er konnte sich bei einer anderen Haut-, Haar- und
Augenfarbe von Flossy angenehm erholen. Er verstand zwar nicht, was die
braune Hautfarbe in Tampico zu ihm sprach über Liebe. Aber das war nicht
nötig; denn beide wußten, was sie voneinander wollten, und für diese
Wünsche ist die Sprache international. Die Hautfarbe in Tampico konnte
das Wort Money recht gut in englisch aussprechen, auch die Zahlen, die
sie mit dem Worte Dollar verband. Mehr brauchte sie nicht zu wissen.
Weder er. Die Erholung von Flossy, nachdem er mit ihr zehn oder vierzehn
Tage ständig zusammen gewesen war, tat ihm sehr gut. Denn Flossy begann
seiner Frau immer ähnlicher zu werden. In allen Dingen. Im Bett. Im
Sprechen. In der Kleidung. Im Nörgeln. Im Predigen. Er war nicht
Philosoph genug, um zu wissen, daß zwei Frauen, die längere Zeit unter
dem Einfluß desselben Mannes stehen, von dem sie wirtschaftlich abhängig
sind, ähnlich werden wie Zwillinge.

Flossy war, wenn Mr. Collins die Endrechnung aufstellte, die billigste
seiner Freundinnen. Darum war sie auch die treueste. Und darum konnte er
sich mit ihr zuweilen genau so vortrefflich langweilen und veröden wie
mit seiner Frau.

Die zwei Chor-Ladies, die noch neueren Datums waren, wurden noch nicht
ganz für voll gerechnet, obgleich sie bereits mehr kosteten als Flossy,
lediglich für die Annäherungsgeschenke, die er zu machen hatte.
Vorläufig schienen beide noch irgendwo andere Verpflichtungen zu haben,
von denen sie sich endgültig zu lösen gedachten, sobald sie erst einmal
genau wußten, wieviel Mr. Collins wert war. Nicht wieviel er wert war
als Mann oder als Liebhaber, sondern wieviel er wert war in seiner
Zahlungsmöglichkeit und in seiner Zahlungswilligkeit. Keine der
Chor-Ladies natürlich wußte von der andern, daß auch sie sich in der
Annäherung zu Mr. Collins befand. Das verstand Mr. Collins zu verhüten;
denn sobald die beiden zu kämpfen anfingen darum, wer von ihnen Mr.
Collins gewinnen würde, dann wurde es teuer für Mr. Collins. Denn die
Lady, die unterlag, begann ihm Schwierigkeiten zu machen, um zu retten,
was zu retten war. Und das, was gerettet werden mußte, war immer eine
hohe Summe, durch die eine bis dahin unberührte Jungfräulichkeit –
angeblich bis dahin unberührte –, die bei dem Kampf um das Objekt
verlorengegangen war, wieder in den früheren Zustand zurechtgerückt
werden sollte.

Das ging sehr einfach zu. Es wurde immer nach dem gleichen oder ganz
ähnlichen Rezept gemacht. Es war nach diesem Rezept gemacht worden mit
Mr. Ayres, Präsident der Grannis & Cleveland Refining Company.


                                   6

Mr. Ayres fand eines Morgens in seiner Office einen Brief vor von
Simmons & Simmons Attorneys at law. Die Rechtsanwälte schrieben ihm, daß
Miß Minnie White, Sängerin und Tänzerin des Vanity-Theaters, eine Klage
einzubringen gedenke wegen Bruchs des Eheversprechens, und daß Miß
Minnie White ihren Schaden, den sie dadurch erlitten habe, auf eine
Summe von siebenhundertfünfzigtausend Dollar beziffert habe, eine Summe,
die in Anbetracht der guten Verhältnisse des Mr. Collins als lächerlich
geringfügig angesehen werden müßte.

Mr. Ayres hatte der Minnie niemals die Ehe versprochen. Das wußte Minnie
recht gut, und das wußten auch recht gut die Anwälte, ohne es zu sagen.
Auch Mr. Ayres wußte recht gut, daß sowohl Minnie als auch die Anwälte
genau wußten, daß er der Minnie nie die Ehe versprochen hatte. Aber
Minnie, die Anwälte und Mr. Ayres wußten, daß in Amerika eine Dame, die
ihren Fall gut vorzubringen verstand, bei den Geschworenen immer
durchsetzt, was sie durchzusetzen wünscht. Darum wurde hin und her
telephoniert und hin und her gesprochen, und Minnie ließ sich erweichen,
ihren Schaden mit hunderttausend Dollar endgültig wieder gutzumachen.
Sie bekam nur sechzigtausend in ihre Tasche, weil die Anwälte vierzig
Prozent der eingeklagten Summe beanspruchten. Denn wenn der Prozeß
verloren wurde, erhielten sie gar nichts, weil Miß Minnie ja nichts
hatte. Die Anwälte übernahmen das Risiko.

Mr. Ayres konnte selbst die hunderttausend Dollar nicht bezahlen, ohne
mit Erfolg in eine Bank einzubrechen, denn er hatte eine Familie. Sein
Gehalt war hoch, aber nicht so hoch, daß er so leicht hätte
hunderttausend Dollar missen können.

So wurde denn die Klage eingereicht. Es wurde nun schon nicht mehr
erwartet, daß Mr. Ayres den vollen Betrag zahlen würde, andernfalls
hätte er es nicht zur Klage kommen lassen, sondern sich geeinigt. Aber
die Klage mußte eingereicht werden, um eine Gelegenheit zu finden, die
Sache in die Zeitung zu bringen. Sobald es Gerichtssache war, konnte man
die Zeitung zur Mitwirkung heranziehen.

Mr. Ayres gehörte zur oberen Gesellschaft, und seine Stellung als
Präsident einer der mächtigen Companien machte ihn zu einer
interessanten Person, die in einen Skandal verwickelt zu sehen, das
Sensationsbedürfnis und die Klatschsucht der Menschen aufs höchste
befriedigte. Die armen Menschen, denen zotige Filme, schlüpfrige Romane,
saftige Lustspiele verboten werden oder so zensiert, daß sie zahm und
langweilig werden wie die Mittwochabendpredigt in der Methodistenkirche,
diese armen Leute finden auf einmal neue erfrischende Reize in dem
trockenen Leben, wenn sie eine saft- und spermastrotzende Geschichte auf
der ersten Seite der Zeitung lesen können. Hier darf der Zensor nicht
eingreifen, denn es ist ja eine Gerichtsangelegenheit. Die Gerichte sind
öffentlich, und sie müssen in einer echten Republik öffentlich sein, um
Korruptionen und ungerechte Urteile zu verhindern.

Was die Zeitungsreporter aus der einfachen Geschichte machten, das zu
lesen war staunenswert. Es machte alles vergessen, was die Zensoren
ihren Schutzbefohlenen in den letzten zwölf Monaten zu lesen und zu
sehen verboten hatten. Den alten trockenen Betschwestern der hohen und
allein heiligen Episcopal Church lief die schleimige Spucke sappernd aus
den ausgedörrten Mundwinkeln, als sie lesen durften, wie andere Leute
sich benehmen, die darauf verzichteten, sich allein und mit sich selbst
zu amüsieren.

In fetten Riesenlettern liefen gleich zwei Zeilen quer über die erste
Seite der Morgenblätter.

      PRESIDENT OF BIG CORPORATION SEEN WITH DANCER OF THE VANITY
                     THEATRE ONLY WITH STOCKINGS ON

Der Präsident einer der größten Companien wurde mit einer Tänzerin
gesehen, die nichts weiter anhatte als ihre Seidenstrümpfe.

Darunter in weniger fetten Lettern

     DENIES HAVING PROMISED MARRIAGE BY GIVING ENGAGEMENT RING SAYS
            RING WAS ONLY GIFT OF FRIENDSHIP WITHOUT MEANING

    Is Already Married has Three Children Eldest Collegegirl Dancer
    to be Mother soon asks Three Quarters of Million Dollars Damage

Er hat ihr die Ehe versprochen dadurch, daß er ihr den Verlobungsring an
den Finger steckte. Er leugnet es ab und behauptet, der Ring sei nur ein
kleines Freundschaftsgeschenk gewesen, das gar keine Bedeutung habe und
auf keinen Fall als ein Eheversprechen gemeint gewesen sei. Er ist
bereits verheiratet und hat drei Kinder, von denen die älteste Tochter
schon die Universität besucht. Die Tänzerin erwartet bald Mutterfreuden
und verlangt als Schadenersatz dreiviertel Millionen Dollar.

In noch kleineren, aber immer noch sehr auffallenden Lettern folgte nun

   Names of the Parties Concerned Still Withheld by Court Order will
                         be Published Very Soon

Die Namen der Klägerin und des Klägers werden vorläufig noch
zurückgehalten auf besonderen Beschluß des Gerichtshofes, sie werden
jedoch sehr bald veröffentlicht werden.

Diese Zurückhaltung der Namen ist ein besonderer Trick der Anwälte, die
Mr. Ayres Zeit geben wollen, sich zu einigen und zu bezahlen. Aber die
Zeitungen gleichfalls haben ein Interesse daran, die Namen noch nicht zu
nennen, weil sich Mr. Ayres ja auch noch mit den Zeitungen einigen kann.
Die Zeitungen sind unbestechlich. Besonders in den Staaten. Aber für
Inserate sind sie sehr empfänglich; und eine große Company hat immer
teure Inserate zu vergeben, auch wenn es nur die Jahresabrechnungen
sind, die beliebig oft wiederholt werden können, um fette Inserate zu
bringen. Auch die Zeitungsleute sind unbestechlich. Nirgends mehr
unbestechlich als in den Staaten. Aber sie hören gern gute Tips, um an
der Börse mit Erfolg zu spekulieren.

Der Gerichtshof hat bis jetzt noch gar nichts beschlossen, also auch
nicht die Zurückhaltung der Namen. Das Gericht weiß bis jetzt noch gar
nichts von der Sache, und der Richter liest die Zeitung in der
Straßenbahn mit der gleichen Freude wie die gedörrten Kirchenmitglieder.
Aber er liest es doch schon mit mehr menschlichem Verstehen, und er
liest es besonders mit Mitleid für den armen Präsidenten; denn er, der
Richter, kann morgen schon in derselben Suppe sitzen. Er hat keine
Tänzerin von dem Vanity. Das kann er sich nicht leisten. Aber er hat
eine Stenotypistin. Und wenn sie eines Tages plötzlich den Rapp bekommt
und ihr das Stenotypistendasein zu dumm wird, dann kann auch der Richter
seine Untaten und den heruntergerutschten Brusthalter seiner
Stenotypistin in fetten Lettern auf der ersten Seite der Morgenblätter
ausführlich beschrieben finden. Vorläufig weiß er noch nicht, um was es
sich hier handelt. Niemand vom Gericht weiß es bis jetzt. Die Anwälte
haben bisher noch nichts weiter getan, als eine Klage auf Schadenersatz
Unbekannt gegen Unbekannt Akt Simmons & Simmons Attorneys at law Nr. 916
G zu den Akten des Gerichts zu geben.

Mrs. Ayres, die Frau des Mr. Ayres, liest die saftige Geschichte
gleichfalls, und auch sie liest sie mit Andacht und Wollust. Sie weiß ja
noch nicht, daß es ihr treuer Gatte ist, der hier von den Reportern der
beabsichtigten Bigamie bezichtigt wird, und darum darf sie sich mit
glänzenden Augen an der Geschichte, die sie so saftig nicht einmal in
den französischen Romanen finden kann, ergötzen.

Am Abend, mit ihrem Manne bei Tische sitzend, wird ja natürlich über
diese Sensation gründlich gesprochen, um die irdische Freude, die eine
solche Geschichte bietet, bis zur letzten Verhauchung des Seufzers
auszukosten und auszuschwelgen. Sie ratet mit ihm hin und her, wer der
Präsident und die Tänzerin sein könnten. Er müßte den Präsidenten doch
eigentlich kennen, von dem Klub der Rotaries oder der Elks her. Es wäre
alles noch wonniger, wenn man ihn und die Tänzerin kennen würde, wenn
man ihre Bilder in den Zeitungen sehen könnte. Daß sie nur
Seidenstrümpfe und sonst nichts anhatte, als sie mit ihm durch das
Fenster, dessen Vorhang nicht ganz geschlossen war, beobachtet wurde,
das weiß man ja jetzt. Aber man möchte doch auch wissen, wie sie im
Gesicht und überhaupt über den grünen Strumpfbändern aussieht.
Vielleicht veröffentlicht die Zeitung bald ein Bild von ihr im
Badekostüm oder in dem Kostüm der Chormädchen des Vanity, die ja alle
während der Vorstellung keine Strümpfe anhaben, sondern nur Schuhe und
ein Bändchen um die Hüften und zwei mit glitzernden Glasperlchen
besetzten Säckchen vor den Brüsten.

Mr. Ayres, der natürlich weiß, um wen es sich handelt, weil ihn heute
morgen ja die Anwälte sofort bei Telephon gefragt haben, ob er schon die
Zeitung gelesen habe, entrüstet sich über die Verruchtheit der Zeitung
und beschimpft seine Frau, daß sie so lüstern sei, derartige
Sensationsgeschichten in den Blättern zu lesen und daß sie so tief
herabsinken wolle, nach den Bildern dieser Leute zu trachten.

Die ganze Stadt und Umgebung kaufen morgen und die nächsten Tage die
Zeitungen wie besessen. Alle hoffen, die Namen veröffentlicht zu finden.
Alle sind interessiert in der Frage, ob die Tänzerin, die nun bald
Mutter werden wird, schon so weit ist, daß sie nicht mehr auftreten
kann. Alle hoffen, daß sie noch nicht so weit ist und daß sie wenigstens
noch einige Male auftreten kann, damit man sie im Theater leibhaftig vor
sich sehen kann. Sobald ihr Name bekannt ist, kaufen die Billetthändler
des Theaters sofort das ganze Haus aus, und sie gehen mit den Billetts
zweihundert Prozent hinauf.

Da die Zeitungen ja nun in Erwartung, daß die Namen veröffentlicht
werden, in Massen verkauft werden, ist es nicht mehr nötig, die Namen zu
veröffentlichen. Inzwischen kommt ein neuer Skandal auf, ebenso fett und
ebenso saftig wie der des Präsidenten mit der Tänzerin, und Präsident
und Tänzerin werden vergessen. Wenn die Namen doch eines Tages dann
erscheinen sollten, so liest sie kaum noch jemand. Es hat sich so viel
inzwischen an Skandalen, an Korruptionen, an politischen Schwindeleien,
an erfolgreichen Ozeanflügen, an nicht erfolgreichen Besteigungen des
Himalaja, an Bankeinbrüchen, an Revolver- und Bombenattentaten in
Chicago, an Zugüberfällen in Mexiko, an Ermordung amerikanischer
Seelenretter in China ereignet, daß man acht Tage später wirklich nicht
mehr wissen kann, aus welchem Grunde eigentlich hier der Name eines
Präsidenten einer gleichgültigen Kupfer-Company und der Name einer
Tänzerin, die man nie auf einem Theaterzettel gedruckt findet,
veröffentlicht werden. Man hat augenblicklich viel mehr Interesse daran,
wieviel hunderttausend Dollar Ma Fergusson, der weibliche Gouverneur von
Texas, an dem Bau einer Staats-Automobil-Straße verdient hat, und was
sie mit dem Gelde zu tun gedenkt.


                                   7

Simmons & Simmons Attorneys at law können aber diesen Umschwung in der
Meinung der Zeitungsleser nicht abwarten; sie können nicht darauf
warten, daß Mr. Ayres etwa gar seiner Frau erzählt, was los ist und von
ihr mit verhältnismäßig geringen Kosten absolviert wird; sie können
nicht darauf warten, daß Mr. Ayres vielleicht mehrere der
Aufsichtsratsmitglieder seiner Company überzeugt, daß hier nur eine
schäbige Erpressung vorliegt und daß der gesamte Aufsichtsrat die
Zeitungen warnt, die Angelegenheit nicht bis zum äußersten zu
treiben. Dann sind die Zeitungen mausetot, denn unter den
Aufsichtsratsmitgliedern sind mehrere, die den Zeitungen innerhalb von
acht Stunden das Genick abdrehen können so gründlich, daß die Zeitung
vergißt, wie sie gestern hieß und wer ihre Hauptredakteure waren.

Auf solche Zwischenfälle dürfen Simmons & Simmons nicht warten. Sie
arbeiten rasch wie Teufel, die eine arme Seele, die im Eis eingebrochen
und ertrunken ist, zu fischen und aufzuwärmen, damit die Hölle auch
ihren Zweck erfüllt.

Die Anwälte nützen die ersten Stunden nach Erscheinen der Zeitung aus.
Wenn sie nicht in dieser Zeit gewinnen, kann es eine lange Geschichte
werden. Sie gewinnen natürlich, wie lange es auch dauert. Aber das Geld
kann ihnen entwischen. Mr. Ayres macht einen kühnen Strich und sichert
alles so gut ab, daß nicht viel zu bekommen ist. Er wartet den Skandal
in Europa ab, und wenn er zurückkommt, ist die Sache so billig geworden,
daß es sich für die Anwälte nicht mehr lohnt. Was aus Miß Minnie wird,
ist ihnen gleichgültig, war ihnen immer gleichgültig und wird ihnen ewig
gleichgültig bleiben.

An der ganzen Geschichte ist wenig wahr. Sie wird nur so aufgezaubert,
um in den Lesern den Hunger nach wollüstigen Geschichten, den sie
infolge der Zensur und der Prüderei nirgends sonst stillen können, zu
befriedigen. Dabei verdient die Zeitung.

Ob der Präsident seine Stellung verliert, ob seine Frau sich von ihm
scheiden läßt, ob sich die Tänzerin ertränkt, das kümmert die Zeitung
nicht. Kümmert sie erst wieder, wenn eine dieser Folgen abermals eine
Sensationsgeschichte ermöglicht.

Miß Minnie White war sehr oft mit Mr. Ayres zusammen, wenn sie nichts
weiter anhatte als ihre seidenen Strümpfe. Meist hatte sie noch weniger
an. Aber niemand hat sie je durch einen halbgeschlossenen Vorhang
beobachten können. Dazu waren sie viel zu vorsichtig. Nicht aus
eingeborener Schamhaftigkeit, sondern aus einfachen Nützlichkeits- und
Bequemlichkeitsgründen. Es wirkt störend und lenkt von der Hauptsache
ab, wenn man das Gefühl hat, man könnte beobachtet werden. Aber Simmons
& Simmons sind immer vorbereitet. Sie halten in Reserve einen
Privatdetektiv, der jederzeit beschwören kann und wird, daß er eine
Dame, nur mit Seidenstrümpfen an, zusammen mit einem Herrn, der auch
nicht viel mehr anhatte, in demselben Zimmer gesehen hat. Miß Minnie hat
nur den Ort, also das Haus anzugeben, wo das geschehen sein könnte, was
der Privatdetektiv gesehen hat. Alles übrige besorgen der Privatdetektiv
und Messrs. Simmons & Simmons Attorneys at law. Dann kommt noch eine
Waschfrau oder ein Chauffeur, die beschwören, daß sie Miß Minnie und Mr.
Ayres in jenes Haus haben gehen sehen. Gegen die Waschfrau kann niemand
ankommen. Sie ist die Ehrlichkeit und Wahrheit in Person. Mr. Ayres, so
vortrefflich auf dem glühenden Roste sitzend, muß zugeben, es ist wahr.
Er wird sich hüten, das Gegenteil zu schwören; denn er weiß, es haben
ihn auch noch andere Personen dort gesehen.

Miß Minnie White erwartet gar keine Mutterfreuden. Das weiß Mr. Ayres
ganz genau. Miß Minnie ist viel zu geschickt, um sich einem solchen
Unfall auszusetzen. Kinder sind immer eine Belästigung und durchaus kein
Segen des Himmels. Sie weiß das aus ihrer Jugendzeit in Minneapolis. Sie
hatte fünf Geschwister. Weder ihr Vater, der in einer Kofferfabrik
arbeitete, noch ihre Mutter, die in einer Hemdenfabrik arbeitete, haben
je von einem Himmelssegen gesprochen, immer nur von den Brats, der
Bastardbrut, die so viel essen und so viel zerreißen und ewig und immer
schreien, daß sie Hunger hätten.

Auch Messrs. Simmons & Simmons wissen, daß Miß White kein Kind erwartet.
Sie würden ihr dreist ins Gesicht hinein sagen, daß sie sie für klüger
gehalten hätten, denn sie habe doch sicher ihre Babyschuhe schon lange
genug ausgetreten, um Unterschiede machen zu können.

Erst recht die Zeitungen wußten, daß Miß Minnie White sich in solcher
Lage nicht befand. Hätte sie wirklich Mutterfreuden zu erwarten gehabt,
dann würden es die Zeitungen mit größter Vorsicht vermieden haben, es zu
erwähnen. Das hätte zu vielerlei Unannehmlichkeiten für die Zeitungen
führen können. Daß die Tänzerin sich Mutter fühle, hatten die Reporter
nur geschrieben, damit die Geschichte saftiger würde. Die Anwälte hatten
da etwas angedeutet, woraus die Reporter entnehmen mochten, was sie für
gut befanden. Eine solche Nachricht diente doch nur dem Ganzen. Namen
waren ja noch nicht genannt. Und hätte es dazu kommen müssen, Namen zu
nennen, so konnte Miß Minnie durch ihr ferneres Auftreten in dem Vanity
beweisen, daß es ein Reporterschwindel war.

Obgleich nun an der ganzen Geschichte sehr wenig dran war, so erreichten
die Anwälte doch ihren Zweck. Mr. Ayres wurde in Angst gejagt. Er mußte
befürchten, daß hier ein großer Skandal entstehen würde. Er wußte ja
nicht, wie weit die Anwälte zu gehen gedachten. Es war gar nicht einmal
nötig, daß der Name der Tänzerin veröffentlicht wurde. Es genügte, daß
sein Name bekanntgegeben wurde und daß die Zeitung seinen Namen
veröffentlichte, um den Lesern zu zeigen, wie unerschrocken sie sei, und
wie emsig sie darauf bedacht sei, das amerikanische Volk von der Unzucht
und der Verworfenheit, in die es einzelne skrupellose Mitglieder zu
verstricken suchten, zu befreien, daß dies eine der Hauptaufgaben der
Zeitung sei und daß man keine Rücksicht übe, auch wenn es sich um
Angehörige der obersten Klasse handele; viel eher sei man bereit, die
arbeitende Klasse und das arme Mädchen, die Tänzerin, die ja auch der
arbeitenden Klasse angehöre, zu entschuldigen als diese Magnaten, die
glaubten, daß sie in der freien Republik rechtschaffener Bürger tun
könnten, was sie wollten, nur weil sie mehr Geld hätten. Das würde die
Zeitung natürlich erst gesagt haben, nachdem sie genau wußte, daß der
Aufsichtsrat der Company, dessen Präsident Mr. Ayres war, wünschte, daß
Mr. Ayres kurz und klein gebrochen werden sollte, weil man ihn aus
diesem oder jenem Grunde los sein wollte und man ihn auf eine andere Art
nicht abschieben konnte.

Mr. Ayres wußte ja auch nicht immer, wie er zu seinem Aufsichtsrat
stand. Ob der ihn hielt oder fallen ließ. Darauf konnte es Mr. Ayres
nicht ankommen lassen. Auch wußte er nicht, wie es seine Frau aufnehmen
würde. Noch weniger wußte er, wie man es in den Klubs betrachten würde,
denen er angehörte. Ein Skandal solcher Art konnte ihn für lange Zeit
lahmlegen, und er hätte verteufelt hart arbeiten müssen, um wieder
hinaufzukommen.

Alle solche Möglichkeiten überdachte er, und dann ging er zu Messrs.
Simmons & Simmons und begann zu handeln. Er zahlte den Herren
zehntausend Dollar für die Unkosten, die sie gehabt hatten.

Darauf baten Messrs. Simmons & Simmons Miß Minnie White zu sich ins
Büro.

Mr. Henry Simmons empfing Miß White: „Wir haben vor einer halben Stunde
eine längere Unterredung mit Mr. Ayres gehabt. Er hat endgültig erklärt,
daß er nichts bezahle und daß er es ruhig sowohl auf den Prozeß als auch
auf den Skandal ankommen lassen wolle. Er sagt, und ich glaube, er hat
hier recht, daß, wenn wir es zum Skandal treiben, er seine Position
verliert und er dann überhaupt nichts zu zahlen imstande ist, ganz
gleich, wie der Prozeß ausgehen sollte. Er hat uns hier mit Tränen in
den Augen eingestanden, daß er Sie aufrichtig liebe, und er hat uns
gebeten, ein gutes Wort zu seinen Gunsten zu Ihnen zu sprechen. Er kann
ohne Sie nicht leben, und er will Ihnen auch den Stutzwagen kaufen, den
Sie sich so lange schon gewünscht hätten. Ich sehe wirklich nicht ein,
Madam, warum sich zwei so nette Leute, wie Sie beide sind, nicht
verstehen und lieben sollen. Was hat ein solches Streiten für einen
Sinn. Sie haben auch ein wenig schuld, Madam. Seien Sie nicht so hart zu
ihm. Er hat doch auch seine Sorgen und seine Ärgernisse.“ Miß Minnie
bekam Tränen in die Augen. Es waren echte Tränen; denn jetzt hatte es
keinen Zweck mehr, Tränen zu machen, um eine Summe herauszuquetschen.

„Er ist ja auch geplagt und gejagt und gehetzt, der arme Mann. Wie wir
alle. Auch wie Sie, Miß White.“

Sie tränte ein wenig mehr, weil sie neben dem Mitleid für ihn nun auch
Mitleid mit sich selbst bekam, als sie fand, daß auch ein Fremder fühlen
konnte, wie sehr sie geplagt und gehetzt sei im Leben und ewig mit
Leuten, die Geld von ihr haben wollten, auf ihren Fersen. Alle glaubten,
eine Chortänzerin des Vanity könne über Millionen verfügen. Jedes Paar
Schuhe, das eine andere Dame für fünfzehn Dollar bekam, mußte sie mit
fünfundzwanzig bezahlen. So ging es mit ihren Strümpfen, mit ihrer
Wäsche, ihren Hüten, und alle jene, die Trinkgelder bezogen, erwarteten
von ihr das Dreifache dessen, was sie von anderen Leuten erhielten. Und
wenn sie nicht das Dreifache zahlte, wurde sie verächtlich angesehen und
behandelt, als wäre sie ein Mädchen der dunklen Straßenwinkel.


                                   8

Wer ist Herr des Lebens? Der Präsident der Öl-Company? Oder der
Rechtsanwalt, der die schäbigsten Ehescheidungsprozesse und
Erpressungsmanöver übernimmt? Die Tänzerin eines Revue-Theaters?
Rockefeller? Sinclair? Morgan? Der Präsident der Vereinigten Staaten?
Keiner von denen, die als die Herren der Welt erscheinen, die Erdteile
kaufen und verkaufen können, die Republiken gebären und vernichten
können, Könige krönen und absetzen, Revolutionen erwecken und erwürgen
können, keiner von allen denen ist Herr des Lebens. Sie alle sind in der
Maschine, die da heißt „Das moderne Zeitalter“, „Unser heutiges Leben“.
Sie werden darin herumgewirbelt und herumgeworfen wie kleine Körnchen,
jetzt oben, nun unten, jetzt in der Mitte, nun in der Ecke, jetzt an der
rechten Seite, nun an der linken.

Vielleicht war der Herr des Lebens Hacinto der Indianer, der La Rosa
Blanca besaß, ohne sie zu besitzen. Er war vielleicht der Herr des
Lebens bis zu jenem Tage, an dem herausgefunden wurde, daß La Rosa
Blanca in ihrem Boden Öl trug.

Dann hörte auch Hacinto Yanyez auf, Herr des Lebens zu sein; denn nun
wurde auch er ein Körnchen, das in der Maschine hin und her gewirbelt
wird.

Vielleicht war Margarito der Herr des Lebens, Margarito, der die Mules
dokterte, der die Sprache der Mules verstand, der höllisch fluchen und
süße Balladen schmelzend singen konnte im selben Atemzug.

Vielleicht waren die Compadres der Rosa Blanca die Herren des Lebens. So
lange, bis sie ihr Heimatland verloren.

Vielleicht war der Herr des Lebens der Löwe im Dschungel. Aber die Flöhe
waren stärker als er; denn sie belästigten ihn, und er konnte sich ihrer
nicht erwehren; ein Dorn, den er sich in die Tatze trat, war stärker als
er, denn der Dorn machte ihn lahm; die Giftschlange, die ihn in die
nackte Nase biß, wenn er unvorsichtig war, konnte ihn zu Fall bringen,
und sie war darum stärker als er.

Vielleicht war der Herr des Lebens der farbenreiche Schmetterling, der
von Blume zu Blume wogte und sich um nichts kümmerte, sein Leben
auskostete, bis er sich im Netz einer Spinne verfing, die stärker war
als er.

Vielleicht war der Herr des Lebens der klassenstolze Arbeiter, der
seinen Vorarbeiter niederboxte und weidlich verprügelte, weil der
Vorarbeiter, der sich stärker und mächtiger glaubte, ihn angebrüllt
hatte. Aber der fleißige Arbeiter produzierte mehr, als der Markt
aufnehmen konnte, und die Fabrik konnte den Mann nicht mehr bezahlen und
mußte ihn entlassen; und seine Kinder zerfleischten den Arbeiter, weil
sie hungrig waren und sich als Herr der Welt glaubten, dessen Sklave und
Knecht ihr eigener Vater zu sein hatte.


                                   9

Von der Office ihrer Anwälte aus telephonierte Miß Minnie White ihrem
Freund Mr. Ayres, dem sie alles abbat, was sie ihm zugefügt hatte. Sie
sagte, sie sei wahnsinnig gewesen und habe sich von einer Freundin
aufhetzen lassen. Ob er nicht wieder gut sein wolle, sie liebe ihn über
alles.

Mr. Ayres bat ihr auch alles ab, was er ihr angetan hatte, und erklärte,
daß er allein die Schuld habe und daß er überglücklich sei, daß er sie
wieder sein nennen dürfe.

Zwei Tage darauf reisten beide in seinem Tourenwagen nach San Diego
hinunter. Das stundenlange Fahren auf der romantischen Autostraße
entlang der pazifischen Küste führte die beiden inniger zusammen, als
sie je vorher gewesen waren.

Das Zerwürfnis war beigelegt und vergessen. Es konnte beigelegt werden,
nachdem die Anwälte erreicht – für sich erreicht – hatten, was sie
wollten.

Das fernere Leben des Mr. Ayres und der Miß Minnie White hatte vorläufig
kein Interesse mehr weder für Messrs. Simmons & Simmons noch für die
Zeitungen. Die geschäftliche Seite der Angelegenheit war befriedigt
worden, und sich für das Privatleben zweier Menschen, aus dem sich
augenblicklich kein Dollar herausmünzen ließ, zu interessieren, ist
unfair und schmutzig. Man kann aber keinem Amerikaner nachsagen, daß er
unfair oder schmutzig sei. Er ist die Hilfsbereitschaft und die
Gastfreundschaft in Person.




3


                                   1

Mr. Collins mußte jetzt häufig an die Affäre des Mr. Ayres denken. Mr.
Ayres war sein intimer Freund. Sie hatten beide dasselbe College besucht
und gehörten beide denselben Klubs an. Deshalb war Mr. Collins
eingeweiht in alle Einzelheiten jener Affäre. Die genaue Kenntnis jener
Geschichte war ihm nützlich. Sie half ihm, auf der Hut zu sein.

Aber wie kann man auf seiner Hut sein, wenn die untere Hälfte des
Körpers größere Ansprüche stellt als im Alter von zwanzig Jahren. Mit
zwanzig Jahren hat man romantische Ideen, in denen manche rein
natürlichen Wünsche des Körpers einem als schmutzig erscheinen und man
an Keuschheit und an die Reinheit in der Liebe glaubt. Nicht weil der
Mensch in jenem Alter edler ist, sondern weil er furchtsamer ist den
Mädchen gegenüber und Mysterien wittert, die er nicht lösen zu können
glaubt, ohne sich in schwere Gefahr zu begeben.

Im Alter von fünfzig Jahren, nachdem man fünfundzwanzig Jahre Ehe und
fünfzig Gelegenheitsbigamien mit allen Stürmen, Orkanen, Typhoonen,
Klippen, Sandbänken, Sonnenschein und Regenschauern, die man auf seiner
Fahrstraße vorfindet, mehr oder weniger mutig und erfolgreich überwunden
hat, ist die Gewohnheit des reifen Mannes an die Stelle romantischer
Eseleien getreten. Alle Dinge des Lebens ohne Ausnahme werden nun rein
sachlich und nüchtern betrachtet. Daß eine Frau oder etwa gar die Liebe
irgendwelche Mysterien bergen könnten, dieser Glaube ist endgültig
gewichen. Die Frau mag ja zuweilen noch Mysterien verbreiten, weil man
die Frau nie auskennen lernt und sie immer auf dem Sprunge hockt, etwas
zu tun, was man auf keinen Fall von ihr erwartet hätte. Diese Mysterie
allein macht die Frau, besonders wenn es die ist, mit der man
verheiratet ist, allein noch erträglich. Erträglich in jenem Grade, den
man von dem Durchschnittsmenschen nach längerer Ehe zu sehen erhofft.
Alle jene stillen und beschaulichen Vergnügungen, an denen man sich als
Sechzehnjähriger – oder als Sechzehnjährige – ergötzte, haben ihren Reiz
und damit ihre Anziehungskraft völlig verloren. Nichts ist
übriggeblieben als reine Sachlichkeit und kalte Nüchternheit. Der
Gewohnheit muß man nun folgen. Alles das so beim Manne, so bei der Frau.

Liebe um seiner schönen Augen willen oder seines jugendlichen Feuers
wegen zu erwarten, diese Hoffnung ist dauernd geschwunden, und wenn
einem eine Frau oder ein Mädchen das erzählen will, so fühlt man sich
geschmeichelt, aber man glaubt es nicht mehr. Die Weisheit des
Lebensphilosophen, der man jetzt geworden ist, läßt solche
Glaubensstärke nicht mehr zu. Das Verstehen und Begreifen weiblicher
Schönheit hat sich geläutert. Man fällt nicht mehr auf jede glatte
Fratze hinein. Man ist wählerisch geworden, und man würde jetzt in der
Wahl seines Ehegenossen sehr vorsichtig sein.

Ob man nun alles das findet, worauf der Philosoph Anspruch erheben muß,
also Schönheit der Frau, Geist – oder an Stelle des Geistes
Unterhaltungsgabe –, Geschmack in der Kleidung und im Benehmen und nicht
zu vergessen einen willensfreudigen gut gepflegten Körper, ob man das
haben kann oder nicht, hängt nun nur noch von der Zahlungsfähigkeit ab,
die man inzwischen erworben hat.

Es ist ja nun sehr selten, nein, um die Wahrheit zu gestehen, es trifft
sich nie auf Erden, daß man alles, also Schönheit, Geist,
Unterhaltungsgabe, Nichtlangweiligkeit, guten Geschmack,
willensfreudigen und gut gepflegten Körper in einer und derselben Frau
vereinigt vorfindet. Das gibt es nicht. Weil es gegen die Naturgesetze
geht. Daß es so etwas gibt, glaubt man nur zwischen sechzehn und
fünfundzwanzig, und das ist die Zeit, wo man seine größte Dummheit
macht, das ist, die Unrechte zu heiraten.

Weil man nun nicht alle jene Vorzüge in einer Frau vorfindet – diese
Weisheit hat man jetzt erworben –, so muß der kluge Mann, jener, dessen
untere Körperhälfte an Stärke und Verlangen und dessen obere
Körperhälfte an Weisheit zugenommen hat, auch in seinem Erholungsdasein
jene Spezialisierung vornehmen, die er in seinem Geschäft und in seinem
Beruf inzwischen vorgenommen hat. Nur wenn er inzwischen Spezialist in
seinem Beruf geworden ist, kann er die Mittel heranschaffen, die er
benötigt, um auch Spezialist in seinem Privatleben zu sein. Er hilft
sich damit, daß er eine Dame bevatert ihrer Schönheit wegen, der aber
der Geist fehlt, für den er sich eine erwirbt, die den Geist hat, aber
im Körper weniger Lust und Willen zeigt. Dafür ist wieder eine andere
da.

Darum unterlasse man den billigen Vorwurf der Frommen und die hitzige
Angeiferung der Kommunisten, daß Mr. Collins ein Wüstling genannt werden
müßte, weil er neben seiner Frau noch hatte: Eine Flossy, eine Betty und
zwei Chormädchen, die vorläufig noch warteten, dort eingereiht zu
werden, wo sie ihrer speziellen Befähigung entsprechend hingehörten. Mr.
Collins war durchaus kein Wüstling. Er war ein Produkt seiner Zeit. Ein
Körnchen, das in der großen Maschine „Unser hetzendes Zeitalter“ hin und
her gewirbelt wurde, ohne sich wehren zu können, ohne etwas dazu tun zu
können. Unter Menschen, wo es keine Ewigkeitsehen gab, wo niemand
gezwungen wurde, seinem Stande, seiner sozialen Stellung und seines
Vermögens entsprechend zu heiraten, wo die Aufzucht der jungen
Generation der Gesellschaft als Ganzes übertragen wurde, wo ein Mensch,
der die Gabe hatte, in der Organisation der Ölproduktion wahrhaft
geniale Fähigkeiten zu entwickeln, nicht gezwungen war, elegante Villen
zu besitzen, elegante Autos, luxuriöse Kleidung für seine Familie und
für sich, kostspielige Gewohnheiten für seine eigene Person, nur um eine
solche Stellung, wo er seine genialen Fähigkeiten zeigen konnte, zu
bekommen und zu behalten, unter solchen Menschen wäre Mr. Collins weder
ein Wüstling und Bigamist gewesen, noch ein Mörder Tausender von
Existenzen. Unter solchen Menschen wäre der Präsident der Condor Oil Co.
ein Mensch gewesen, gut wie ich, wahrscheinlich viel besser und nobler
als ich. Denn er besaß etwas, was nur wenige Menschen besitzen: Größe.
In unserer Zeit konnte er diese Größe nur zeigen durch Brutalität, durch
Rücksichtslosigkeit, durch Skrupellosigkeit. Seine Schuld war es nicht.


                                   2

Betty hatte ihm telephoniert, daß sie ihn dringend zu sprechen habe. Er
hatte ihr geantwortet, er könne sie jetzt nicht sprechen, weil er in
wichtiger Conference mit hohen Persönlichkeiten seiner Company sei.
Daraus machte sich Betty nichts. Sie sauste sofort in das Gebäude der
Condor Oil Co. Die zweite Sekretärin sagte ihr, daß Betty Mr. Collins
auf keinen Fall sprechen könnte, er sei in Conference.

So etwas konnte niemand ihr antun. Betty nicht. Conference oder nicht
Conference. Wenn sie, Betty, Mr. Collins zu sehen hatte, dann sah sie
ihn, und wenn er bereits begraben gewesen wäre. Dieses Temperament
und dieses wilde Draufgängerwesen war ja gerade eine ihrer
Hauptspezialitäten, warum sie von Mr. Collins in die Gruppe aufgenommen
worden war, die jene Einheit der vollkommenen Frau bildete, die Mr.
Collins nötig hatte, um dem aufregenden Leben gegenüber widerstandsfähig
und munter zu bleiben.

Wenn seine eigene Frau gewagt haben würde, was jetzt Betty tat, so würde
er sie erschossen haben, und das Gericht hätte ihn freigesprochen. Denn
der ungerufene Eintritt in das Allerheiligste wird immer mit dem Tode
bestraft. Eine wichtige Conference von Aufsichtsratsmitgliedern einer
amerikanischen Milliarden-Company ist um ein Vielfaches heiliger als das
Allerheiligste in Tibet.

Wer die Räderwerke kennt, muß zugeben, daß eine solche Conference in der
Tat heiliger ist als irgend etwas, das mit Religion zu tun hat. Und das
ist hier gesagt ohne Ironie. Nicht aus dem White House in Washington,
sondern aus einer solchen Conference kann hervorkommen – und ist
hervorgekommen – Ablehnung angebotener Gesandten fremder Mächte, Wechsel
eigener Gesandten, Krankheit und Rücktritt von Staatssekretären,
bewaffnete Einmischung in das bolschewistische Rußland, Aufhebung der
Redefreiheit für Kommunisten, Anzettelung einer neuen Revolution in
Mexiko, Unterstützung der Türken gegen England, Mindest-Zuchthausstrafe
für Wobblies zwanzig Jahre, Freihandel für Whiskyschmuggler, Absendung
von Panzerschiffen und Marinetruppen nach Columbia, Einmarsch von
amerikanischen Truppen in Peking, Sättigung von angeblich verhungernden
Kindern in Armenien und Griechenland mit den minderwertigen Konserven,
die infolge übereilten Friedensschlusses nicht mehr an die eigenen
Soldaten verkauft und verfüttert werden konnten, unbeschränkte Land- und
Wasserrechte für die Staaten in der unabhängig-abhängigen Republik
Nicaragua, belebte Hoffnung für den ehemaligen deutschen Kaiser, wieder
das Zepter in die Hand nehmen zu dürfen, Absetzung von zweitausend
Bürgermeistern und ihre Ersetzung durch andere, Schweigsamkeit des
amerikanischen Präsidenten, Entlassung des politischen Redakteurs der
New York Times, des wirtschaftlichen Redakteurs der New York World,
erzwungener Verkauf der Chicago Tribune, eine Flut von antisemitischen
Artikeln in den Zeitungen, eine Flut von prosemitischen Artikeln in den
Zeitungen, Wechsel der Professoren für Volkswirtschaft und der für
Internationales Recht an den Universitäten Columbia, Chicago und
California, Herabsetzung des Preises für Bibeln, Gewährung hoher
langfristiger Kredite an die deutsche Industrie, Gewährung von Krediten
an das bolschewistische Rußland, Deportierung von Pazifisten und
ähnlichen Friedensschalmeienbläsern, Bau von achtzehn neuen
Panzerschiffen, Kontrakt für alle Völker, keinen Krieg mehr zu führen,
ohne vorher in Washington um Erlaubnis zu bitten, Liga der Nationen
gegen die Menschheit und für den Profit, Glückwunschtelegramm an
Deutschland für Ablieferung eines Kriegszeppelins, Propaganda zur
Belebung der Sittlichkeit unter der arbeitenden Klasse, Verbot der
Prostitution für zwei Dollar und darunter, Ermunterung der Prostitution
für ein Auto zur Auffrischung der um ihre Existenz kämpfenden
amerikanischen Autoindustrie, Unterstützung der Abzahlungsidee und
ähnlicher Absichten zur Versklavung der weniger kaufkräftigen
proletarischen Bevölkerung, Verweigerung von Krediten an kooperative
Gesellschaften und an Vereinigungen, die Häuser bauen, um Wohnungen zum
Selbstkostenpreise vermieten zu können, und noch einiges mehr.

Überdenkt man alle die Konsequenzen, die aus den Beratungen und
Beschlüssen der Conferencen großer Companien hervorgehen können, so wird
man begreifen, daß es hier um heilige Dinge ging. Kein Gott war je so
mächtig, daß er verwickeltere Kombinationen hätte schaffen können als
hier geschaffen wurden. Es ging um Menschen und Völker, es ging um
christliche, mohammedanische und buddhistische Religionen, es ging um
Götter und Dämonen, um Versetzung von Gebirgen und Durchstechung von
Erdteilen, man brachte Ozeane zusammen, die nicht zusammen gehörten, und
man trennte Länder und Völker, die miteinander verwachsen waren seit
urewigen Zeiten. So etwas konnte Gott nur in Jahrmillionen tun, was hier
durch einen Beschluß getan wurde. Und wo ein solcher Beschluß gefaßt
wird, sei es im Himmel oder sei es im Olymp oder sei es im
Conference-Raum einer amerikanischen Milliarden-Company, da ist das
Allerheiligste, da und nirgendwo sonst muß das Allerheiligste der
Menschheit sein.


                                   3

An der Tür zu dem Raum hing ein kleines Plakat, worauf gedruckt stand

                         DON’T DISTURB KEEP OUT

Bitte, nicht stören, bleiben Sie draußen.

Das galt für Büroschreiber, für Magnaten, für den amerikanischen
Präsidenten, für den König von England und für Jehova. Aber es galt
nicht für Betty, die ihre Garage und das dazu gehörige Haus haben
wollte. Haben mußte, und zwar sofort, weil sie ihren Freundinnen erzählt
hatte, daß sie Garage und Haus bereits habe und Montag abend ihre
House-Warming-Party, ihre Einzugsfestlichkeit geben wollte, in einer
Aufmachung, daß die Filmkönige und Filmköniginnen in Hollywood vor Neid
zerbersten würden. Ein kleiner Schwimmteich aus Marmor sollte da sein.
Der würde mit warmem Wasser gefüllt. Nachts um ein Uhr würde sie dann
den Vorschlag machen, daß sich alle ausziehen sollten, um zu baden in
jenem Teich. Sie würde elegante dünnseidene Badegewänder zur Hand haben.
Wenn dann Männchen und Weibchen im Bade wären, würde sie alle Kleider
zusammenraffen lassen, alles vertauschen und verstecken. Für den Rest
der Nacht würde nur in Badekostümen getanzt.

„Ich sehe nicht, wo da der Spaß ist“, sagte Majory, eine ihrer
Freundinnen. „So etwas machen die Filmer in Hollywood jeden Tag.“

„Warte nur ab, May“, sagte Betty, „was dann hinterher kommt.“

Sie hatte alles – bisher nur in ihrem Plan, weil das Haus ja noch fehlte
– bereits fertig. Sobald in Badekostümen getanzt würde, dann würde sie
und noch einige Eingeweihte mit Brieföffnern zwischen die Tanzenden
schleichen und alle diese dünnen Seidendinger, die ja durch das Wasser
überhaupt schon nichts mehr verbargen, aufschlitzen, so daß jedes Kostüm
in zwei Hälften geteilt würde und herunterfiele.

Diesen Plan verriet sie nicht, weil das eine der Überraschungen war. Sie
hatte noch andere Überraschungen ausgedacht, die jener in nichts
nachstanden, sondern das Vergnügen vergrößerten.

Es muß zugegeben werden, daß Betty einen künstlerischen Geschmack besaß
und auch eine reiche Phantasie. Das war ihre zweite Spezialität als Teil
der vollkommenen Frau, nach der sich Mr. Collins sehnte.

Sie hatte guten Geschmack. In ihrer Kleidung und in ihrem Benehmen im
Hotel oder im eleganten Restaurant. Solange sie nicht schwer betrunken
war. Auch dann behielt sie ihren guten Geschmack bei, nur begann sie
dann höllisch frivol zu werden zum Ergötzen aller Anwesenden. Sie sagte
die unerhörtesten Dinge, und sie tat es mit der Gebärde und dem Ausdruck
eines unwissenden Kindes.

Wenn sie mit Mr. Collins den Saal eines Café-Kabaretts oder eines
Luxus-Restaurants betrat, so glaubte selbst der Verwöhnteste, eine
Fürstin käme hereingeschritten. Eine Fürstin, nicht wie eine Fürstin in
Wahrheit ist, unmodern, linkisch und mit einem Bauerngesicht, sondern
eine Fürstin, wie sie sich ein Romanleser vorstellt und wie sie
gelegentlich im Film erscheinen.

Dieses fürstliche Benehmen und diese fürstliche Haltung übertrug sich
natürlich auf das Ansehen des Mr. Collins. Er, der nicht gerade sehr
fürstlich, ja kaum bedeutend aussah, der seine Unsicherheit, die ihm
zuweilen in eleganter Umgebung überkam, nur durch ein burschikoses,
lautes, kollegiales, handfestes Gebaren übertünchte, wuchs vor den Augen
seiner Freunde, seiner Bekannten und seiner geschäftlichen Gegner
gewaltig in der Gegenwart der Fürstin Betty. Er gewann an materiellem
Wert, mehr als an persönlichem. Ein Mann, der einen so vortrefflichen
Geschmack besaß, eine Dame von so hervorragender Erscheinung zur
Geliebten zu haben, ein solcher Mann war in geschäftlichen Dingen zu
fürchten. Man mußte ihn als Freund gewinnen. Denn ein solcher Mann ist
zu allem fähig. Was muß der Mann für Geld machen, um sich eine solche
Fürstin halten zu können. Denn daß Betty nicht seine Frau war, wußte
jeder. Mit seiner Frau geht man nicht in diese Restaurants, wo der Abend
nicht unter fünfhundert Dollar kostet. Niemand kleidet seine Frau in
dieser verschwenderischen Weise. Und kein Geldmann hat eine Frau, die
wie eine Fürstin aussieht. So sieht immer nur eine Geliebte aus.

Ein Mann, der soviel Geld macht, daß er neben seiner Familie und sicher
noch einigen Kleinen vom Theater diese Fürstin unterhalten kann, ein
solcher Mann ist mächtig. Er ist nicht nur mächtig. Er ist eine Macht.
Eine Macht, mit der man nicht spielt, die man zum Freunde macht, und
wenn das nicht gelingt, die man respektiert. Denn wehe dem, der diese
Macht zu erschüttern oder ihr Unbequemlichkeiten zu bereiten sucht.
Dieser Mann mordet rücksichtslos, um seine geschäftlichen Pläne
durchzusetzen. Nicht aus Mordlust. Sondern, um diese Fürstin behalten zu
können, um dieser Fürstin würdig zu sein. Darum wird es niemand wagen,
mit Mr. Collins zu spielen, wenn es sich um Geschäft handelt.

Den Herren der Company, den Aktionären, die Einfluß haben und
kommandieren, ohne daß die Öffentlichkeit ihre Namen kennt, ist die
Fürstin Betty teils gleich einer Geschäftsteilhaberin, teils gute
Reklame. Die Fürstin hebt das Ansehen und die Macht Mr. Collins. Und
eine Company, die einen angesehenen und mächtigen Präsidenten hat, der
respektiert und zugleich gefürchtet ist, gewinnt ihr Spiel mit größerer
Sicherheit als eine Company, die ein knauseriges, verdörrtes,
pessimistisches, scheues und furchtsames Männchen als Präsidenten hat.
Die Klugheit, die das scheue Männchen vielleicht hat, ist viel wert.
Aber Mr. Collins mit seiner Lebensrobustheit, mit der Notwendigkeit auf
seinen Schultern, mehrere Millionen im Jahr verdienen zu müssen, um
seine Fürstinnen und Hofdamen unterhalten zu können, besiegt den Knauser
mit einer Handbewegung. Der Knauser ist vorsichtig in seinem Wagen, weil
er nicht viel für sich braucht und das Sichere nicht verlieren will. Mr.
Collins ist brutal und rücksichtslos im Wagen. Weil er immer nur
verlieren kann, darum muß er gewinnen, ganz gleich, was es kostet, ganz
gleich, wer und was darüber zugrunde geht. Sein Wille ist keineswegs
frei. Er ist ein Produkt, das er nicht selbst geschaffen hat. Er wurde
geschaffen. Er ist nicht anzuklagen. Nur seine Eltern vielleicht sind zu
verurteilen. Aber seine Eltern sind: die Zeit. Man verurteile die Zeit,
wenn man glaubt, verurteilen zu müssen.


                                   4

Die Art und Weise wie der Reverend Oberbonze der Ersten Allerheiligsten
und Alleingerechten Amerikanischen Baptisten-Kirche Einlaß in das
Himmelsheiligtum fordert und von dem erschreckten himmlischen
Aufsichtsrat, der um seine olympische Ruhe und Würde besorgt ist,
bewilligt bekommt, wurde um ein Vielfaches überboten von Betty, die vor
der Tür des Allerheiligsten der amerikanischen Nation stand und vor sich
das Plakat erblickte: Bitte, nicht stören, bleiben Sie draußen! Mit dem
schwer goldenen Griff ihres kurzen Schirmes stieß sie zweimal hart und
wuchtig, jegliche Ehrfurcht versagend, gegen die Tür, als wollte sie ein
Loch hindurchstoßen.

Die zweite Sekretärin, als sie solches sah, erbleichte, weil sie wußte,
daß sie nun ihre Stellung verloren hatte. Ihre Stellung behalten konnte
sie jetzt nur noch dadurch, daß sie Betty beim Herauskommen abfing und
sie mit verweinten Augen anflehte, Mr. Collins zu bitten, sie nicht zu
entlassen, sondern nur mit fünfundzwanzig Dollar zu bestrafen. Die
Sekretärin konnte durch eine dicke, blauanlaufende Beule unter ihrem
linken Auge vorweisen, daß sie den Eingang zum Allerheiligsten unter
Aufopferung ihres Lebens zu verteidigen versucht hatte, daß sie aber
höherer und brutalerer Gewalt habe weichen müssen. Die blaue Beule würde
ihr vielleicht angerechnet werden und ihr helfen, auch noch jene
fünfundzwanzig Dollar Strafe zu sparen.

Ohne auch nur zwei Anstandssekunden zu warten, ob man von drinnen
vielleicht rufen würde: „Come in!“, riß Betty die Tür mit einem weiten
Schwung auf.

Sie überfiel alle Anwesenden, die so würdig und feierlich beisammen
saßen wie Kardinäle bei einer Papstwahl, mit einem Blick, als ob sie
sagen wollte: „Ihr alle seid entlassen.“

Einen Schritt kam sie weiter, warf die Tür hinter sich zu mit einem
Krachen und rief zu dem Gottvater jener Conference: „What’s th’ bloomin’
idea, you little shrimp! Was denkst du dir denn eigentlich, du kleines,
armseliges, mickerndes, winselndes Jammerwürmchen, das du bist!“


                                   5

Betty sprach sehr sorgfältig und sehr gewählt, ohne daß es je geziert
und unnatürlich gelautet hätte. Und meist sprach sie sehr ruhig und
überlegend. Für eine junge Frau hatte sie eine tiefe Stimme. Aber die
Stimme war weich und voll; und sie hatte jene warme runde Fülle der
Stimme großer Tragödinnen, deren Macht allein in der Sprache ruht. Aber
wenn Betty in großer Erregung war oder wenn sie ihren Worten bestimmten
starken Nachdruck geben wollte, dann sprach sie Slang. Nicht, weil sie
sich gehen ließ oder weil sie sich vergaß, sondern sie sprach Slang mit
voller Absicht, um größere Wirkung zu erzielen. Wie auch ein tüchtiger
Businessman, obgleich er College und Universität besucht hat, Slang zu
sprechen beginnt, wenn er einem hartnäckigen Kunden seine Ware zu
verkaufen sucht. Auf Slang fallen wir alle herein und verlieren unsere
Vorsicht.

Betty stammte aus Seattle. Ihre Eltern lebten noch und glaubten, daß
Betty Privatsekretärin bei dem Herausgeber einer Zeitung in San
Francisco sei. Würden ihre Eltern das nicht geglaubt haben, so hätte
sich Betty auch nichts daraus gemacht. Ihr Vater hatte ein Geschäft für
Schiffsartikel, und die Familie lebte in guten und geordneten
Verhältnissen. Betty hatte das College besucht und ihr Examen in
Literatur und Geschichte gemacht. Sie sprach Französisch, Deutsch und
ein wenig Spanisch. Sie war eine Zeit Lehrerin in einer kleinen Stadt in
California gewesen, wurde aber wegen schlechten Betragens vom
Schulvorstande gefeuert. Das schlechte Betragen war darin erblickt
worden, daß sie einmal den Kindern erzählt hatte, man brauche die
Schöpfungsgeschichte in der Bibel nicht wörtlich nehmen, sondern der
Mensch habe sich in vielen Milliarden von Jahren aus einer mehr
tierischen Kreatur zu seiner heutigen Gestalt langsam entwickelt. Mit
diesem Entlassungszeugnis in der Hand konnte sie natürlich in den
Städten des Westens keine neue Stellung als Lehrerin finden. Und in den
großen Städten des Ostens und des Nordens waren alle Stellen auf Jahre
hinaus vorgemerkt. Sie wurde dann Redaktionssekretärin in einer
Tageszeitung in San Francisco. Einer der jüngeren Redakteure hatte sie
zum Abendessen in einem Kabarett eingeladen und durch einen Freund des
Mr. Collins, der gleichzeitig Freund jenes jungen Redakteurs war, lernte
sie an jenem Abend Mr. Collins kennen. Sie verlor ihre Stellung in der
Zeitung, weil sie es zweimal abgelehnt hatte, sich von dem leitenden
Redakteur zum Abendessen einladen zu lassen. Am Morgen nach der zweiten
Ablehnung wurde ihr gesagt, daß ihre Arbeit nicht genügend sei, weil sie
nicht rasch genug die Diktate aufnehmen könne, und daß man ihr empfehle,
sich um eine andere Stellung umzusehen. Bei diesem Umsehen nach einer
andern Stellung traf sie auf der Straße Mr. Collins, der sie unter
Erinnerung an ihr Bekanntwerden im Kabarett ansprach und sie zum Lunch
einlud. Sie wollte die Ausgabe für Lunch sparen und nahm die Einladung
an.

Bis dahin war sie ein Mädchen gewesen, wie jedes andere amerikanische
Mädchen, das eine gute Bildung bekommen hat, aber dann sein Leben selbst
verdienen muß. Unter dem Einfluß des Mr. Collins und im Umgang mit
diesem Manne, der Hunderttausende von Dollar zu verdienen schien für
keinen andern Zweck, als sie in großzügiger Weise wieder ausgeben zu
können, entwickelte sie sich innerhalb von vier Monaten zu einer der
elegantesten Damen von San Francisco, ohne je eingereiht werden zu
können in die Klasse der Halbweltdamen. Mr. Collins war ihr einziger
Mann, obgleich sie ihn ewig in der Erwartung hielt, daß er morgen nicht
mehr ihr einziger sein möchte. Daß sie ihn beherrschte, konnte man nicht
sagen. Sie vermied es sogar, ihn glauben zu lassen, daß sie ihn
beherrsche. Aber sie setzte alles durch, was sie wollte. Sie war bei
weitem gebildeter und klüger als er, und sie besaß auch mehr
Intelligenz. Und sie war in ihrem inneren Wesen vornehmer und taktvoller
als er. Sie war für ihn die Inspiration, die ein mächtiger Mann in der
Industrie so gut gebraucht wie ein Künstler. Denn Großzügigkeit und
Genialität in der Kunst wurzeln im selben Boden wie Großzügigkeit und
Genialität im Geldmachen. Als die wahre Herzensgeliebte eines Künstlers
hätte sie gelebt entsprechend dem Einkommen jenes Künstlers, und sie
wäre ebenso glücklich gewesen wie jetzt, in jener luxuriösen
Lebensweise, die dem Einkommen des Präsidenten einer der mächtigsten
Öl-Companien entsprach. Sie liebte Mr. Collins aufrichtig. Und nur, weil
sie ihn wirklich liebte, kam ihr nie der Gedanke, daß ihre Stellung von
den Menschen anders betrachtet werden könnte, als sie selbst ihre
Stellung betrachtete. Sie war überzeugt, daß sie zu Mr. Collins auch
dann stehen würde, wenn er von seiner Höhe herabstürzen sollte. Vor
seiner Großzügigkeit hatte sie Achtung, und sie bewunderte ihn darum.
Vor seiner Stellung dahingegen hatte sie gar keinen Respekt. Und darum
war es ihr auch ganz gleich, ob sie ihn durch ihr temperamentvolles
Eindringen in seine geschäftlichen Heiligtümer zum Erschüttern brachte
oder nicht. Sie glaubte an seine unüberwindliche Stärke. Sie glaubte,
daß, selbst wenn er fallen sollte, daß er immer wieder auf die Beine
käme und daß, wenn es ihm zu schwer würde, es allein zu tun, daß sie
fähig wäre, ihn so anzuspornen, daß er hoch müßte, selbst gegen seinen
Willen. Jedoch – und das wußte sie auch – sie würde diesen Mann nie
geheiratet haben, und sie würde ihn wohl kaum heiraten, auch wenn sie
Gelegenheit dazu hätte.

Heirat hatte für sie nur einen Sinn: Kinder haben zu können. Andernfalls
war Heirat Unsinn und Liebe besser. Wenn sie auch sonst alles von ihm
annahm, alles von ihm wünschte, eines wünschte sie auf keinen Fall von
ihm, und das war: ein Kind von ihm. Den Vater ihres Kindes dachte sie
sich anders. Der Vater ihres Kindes sollte haben: Seele. Und wenn es
sehr hoch kam: Die Seele eines Künstlers. Das aber war es, was Mr.
Collins vor allem fehlte: Seele. Jenes Ding, das sich eben nicht anders
bezeichnen läßt als: Seele.

Betty war aber dennoch nicht so vollkommen, daß sie nur Licht
ausstrahlte. Sie war weder eine Heilige noch ein Engel. Sie hatte ihre
heftigen Schatten. Einige dieser Schatten waren schon in ihr vorhanden
gewesen, als sie noch Kind war. Als sie größer wurde, hatte sie diese
Schatten ein wenig aufleuchten müssen, um unbestoßen durchs Leben zu
schlüpfen. Jedoch unter dem Einfluß des Mr. Collins hatten sich jene
leichten Schatten, die vielleicht endlich zu dünnen Nebeln geworden
wären, zu schweren Schlagschatten verdichtet.


                                   6

Mr. Collins war ein bedeutender Mann, wie immer man auch seine
Handlungen beurteilen mag. Er war in seinem Berufe ein Genie. Ein Genie
kann überall ein Genie sein. Nicht nur in der Kunst, nicht nur als
Feldherr, sondern auch als Schuhfabrikant, als Bankier, als Öl-Magnat.
Es sind auch oft genug Verbrecher Genies, weil ihre Genialität innerhalb
gesetzlicher Grenzen kein Wirkungsfeld findet. Im Grunde ist jedes Genie
ein Verbrecher, weil jedes Genie bestehende und ausgeprobte Gesetze
übertritt und zu Fall bringt. Darum sind Genies immer gefürchtet von dem
guten Bürger, dessen Existenz, die allein in Beharrlichkeit beruht, von
den Genies gefährdet wird.

Eine Frau nun, die Geliebte eines bedeutenden Mannes sein und bleiben
will, muß wohl in vielen ihrer Eigenschaften das unüberbrückbare
Gegenteil jenes Mannes sein, und zugleich muß sie ihm in vielen
Eigenheiten so ähnlich sein, als wäre sie ein Teil seines Selbst.
Liebende dürfen sich in vielen Dingen nicht verstehen, um immer wieder
Neues, Unerwartetes und Fremdes im andern zu finden. Das verhindert die
Monotonie, die sich in jeder gutgeschlossenen Ehe einstellt, wo jeder
des andern sicher ist. Und Liebende müssen sich in vielen Dingen so
gleich sein, daß sie sich mit einem Wink, im Tonfall der Stimme, sofort
verstehen.

In ihrer Bildung, in ihrem guten Geschmack, in ihrem künstlerischen
Empfinden, in ihren philosophischen Anschauungen war Betty das scharfe
Gegenstück des Mr. Collins. Dieser Eigenschaften wegen bewunderte er
sie, achtete er sie, kam er sich ihr gegenüber armselig vor, fürchtete
sie und vergaß sich nie als Gentleman. Sie dagegen bewunderte ihn seiner
geschäftlichen Brutalität wegen, seines robusten Wagens und seiner
Sicherheit wegen, mit der er geschäftliche Dinge beurteilte,
wirtschaftliche Vorgänge übersah und Ereignisse auf dem Markt voraus
verkündete, klarer und bestimmter als die alten Orakel.

Das waren ihre Gegensätze.

Ihre Ähnlichkeiten lagen mehr im Materiellen. Beide liebten Luxus, beide
liebten es, aufzufallen und zu strahlen. Er hatte gesagt: „Land, das ich
haben will und nicht kriegen kann, das gibt es im ganzen Universum
nicht. Wenn ich Land auf dem Jupiter haben will, dann bekomme ich es.“
Er meinte es wörtlich so. Er hatte auch Deutschland nach dem Kriege
kaufen wollen, als er aber hörte, daß dort ein Streichholz fünf
Milliarden Mark kostete, ließ er seine Kaufabsichten wieder fallen, weil
mit solchen geschäftsuntüchtigen Leuten, wie die Deutschen seien, nichts
unternommen werden könne.

Ähnlich, nein ebenso, war es mit Betty. Wenn sie etwas wollte, und
nachdem sie sich überzeugt hatte, daß das, was sie wollte, auf Erden zu
haben sei, dann mußte sie es bekommen. In diesem Wollen war sie
unerbittlich und rücksichtslos. Und ähnlich war sie ihm im Temperament.
Er war kühler in seinem Temperament, weil er wußte, daß, wenn er sich
vom Temperament fortreißen ließe, er Dummheiten machen könnte. In
geschäftlichen Manövern aber darf man keine Dummheiten machen. Jedoch
das Temperament war vorhanden, und es loderte über im letzten Rennen um
einen Erfolg, den er schon so weit zu seinen Gunsten entschieden hatte,
daß Dummheiten nun nicht mehr gemacht werden konnten. Er konnte jetzt so
weit in seinem Temperament gelangen, daß er seinen Gegner mit der Faust
ins Gesicht hieb, um ihn zum Nachgeben zu zwingen.

Diesen Eigensinn, ihren Willen durchzusetzen, und dieses Temperament,
die Betty seit ihrer Kindheit gehabt hatte und die sie beim
Heranwachsen, in der Schule, als Lehrerin, als Sekretärin, mehr und mehr
hatte unterdrücken müssen, waren unter dem Einfluß des Mr. Collins
gewachsen, bis sie sich endlich zu ihrer ganzen Pracht entfaltet hatten.


                                   7

Mr. Collins hatte das gewünschte Auto gekauft. Das eleganteste
Automobil, das auf dem Markte war. Hinsichtlich der Garage hatte er
gesagt, er wolle sehen. Er wiederholte es zu oft, das „Wir werden
sehen“. So begann es ihr langweilig zu werden. Und der ebensooft
wiederholten Ausrede „Ich habe noch nichts Passendes soweit finden
können“ wurde sie so überdrüssig, daß es zu dieser Katastrophe kommen
mußte, in das Allerheiligste der Nation mit Gewalt und Donnergetöse
einzubrechen.

In sein Privathaus wäre sie nie eingedrungen. Denn seiner Frau ging sie
aus dem Wege. Nicht weil sie etwa Angst vor ihr hatte, sondern weil das
zu Komplikationen hätte führen können. Vielleicht gar zu einer
Scheidung. Das wollte sie vermeiden. Ein frischgeschiedener Mann nach
langer Ehe, die zur Gewohnheit wurde, benimmt sich meist recht hilflos.
Wie ein Kind, das die Mutter verloren hat. In dieser Hilflosigkeit hätte
sie sich gar verleiten lassen, ihn zu heiraten. Das wollte sie auf
keinen Fall. Darum war es aus reinen Klugheitsgründen, daß sie sich nie
in sein Eheleben mischte. Mit keinem Worte. Sie drängte ihn sogar, sein
Eheleben und seine Frau nicht zu sehr zu vernachlässigen. Ob Mrs.
Collins von der Existenz der Betty wußte, war nicht sicher. Aber es darf
angenommen werden, daß sie unterrichtet war und daß auch sie es vermied,
es zu einem Skandal kommen zu lassen. Bei einer Scheidung in ihrem Alter
kam nicht viel heraus für sie. Sie konnte eine hohe Rente herausklagen.
Gewiß. Aber ihre gesellschaftliche Stellung war höher an der Seite des
Mr. Collins als ohne ihn. So tat sie, als ob sie nichts wisse. Und wenn
ihr eine Freundin es direkt zu melden wagte, so sagte sie: „Geschwätz,
nichts als Geschwätz. Ich kenne ihn besser. Er hat sein Vergnügen und
ein wenig Zerstreuung mit ihr, das ist alles. Ich gönne es ihm. Er hat
schwer zu arbeiten. Haben Sie die neuen Modelle gesehen bei Boiret &
Martin? Ich kaufe morgen vier davon.“


                                   8

Betty stand noch dicht bei der Tür. Sie wartete oder schien zu warten
auf das erste schüchterne Zeichen des Erwachens aller Anwesenden, die
von ihrem Donnerschlag betäubt worden waren.

Mr. Collins hatte heute nicht den Vorsitz in der Conference. Er hatte
den Vorsitz dem zweiten Vizepräsidenten übertragen, um für sich selbst
freier zu sein in der Behandlung der zu beratenden Gegenstände. Er stand
gerade, hatte ein Blatt in der Hand, von dem er soeben etwas vorgelesen
zu haben schien, in dem Augenblick, als der Donnerschlag erfolgte. Die
Herren alle standen auf in der Gegenwart der Dame. Sie rückten an ihren
Stühlen, sei es, um besser stehen zu können, oder sei es, weil sie
willens zu sein schienen, Betty einen Stuhl anzubieten, obgleich
genügend leere Stühle im Raum waren.

Die erste Privatsekretärin des Mr. Collins, die der Conference
beiwohnte, um Diktate aufzunehmen, sah auf zu Mr. Collins. Er bewegte
die Augenlider ein wenig, und die Sekretärin stand auf. Sie stand nicht
eigentlich auf, sondern sie schlich wie eine Schlange von ihrem Stuhle
herunter und wurmte sich still, unauffällig und völlig geräuschlos aus
dem Raume, als hätte sie etwas verbrochen. Ihr Hinausgehen wurde von
niemand bemerkt.

Einige der Herren kannten Betty, oder richtiger Miß Betty Cuttens, recht
gut. Jene Herren, begleitet von ihren Freundinnen, hatten sich zufällig
einmal im gleichen Kabarett mit Mr. Collins getroffen, als er mit Betty
dort war, um einen vergnügten Abend zu verbringen. So geschah es, daß
jene Herren gemeinschaftlichen Tisch mit Mr. Collins machten; und es
ergab sich dann ganz von selbst, daß jeder einzelne jener Herren einmal
oder zweimal an jenem Abend mit Betty tanzte, während Mr. Collins, in
höflicher Wiedervergeltung, der Reihe nach mit den Freundinnen jener
Herren in dem kleinen, aber sehr eleganten Saal herumfegte. Mr. Collins
war ein guter Tänzer, wohlgeübt und ausdauernd. Und er machte von seiner
Fähigkeit, gut und ausdauernd tanzen zu können, reichlich Gebrauch, weil
er meinte – und wohl mit gutem Recht so meinte –, daß Tanzen den Körper
geschmeidig und damit jung erhält. Auf dem amerikanischen Kontinent sind
die Männer viel weniger als in Europa darum besorgt, daß sie ihre Würde
verlieren möchten, wenn sie tanzen, wo immer sich eine Gelegenheit dazu
bietet. Hier können die Männer gar nicht so leicht ihre Würde verlieren,
wie das in Europa geschehen kann; denn ihre Würde wurzelt nicht in einem
Autoritätsglauben jener, die durch die Würde eines Präsidenten einer
gigantischen Schiffahrts-Gesellschaft klein und demütig gemacht werden
sollen, sondern die Würde wurzelt vielmehr in dem wirklichen, rein
praktischen Können des Mannes. Es ist eine Würde, die theoretisch und
dem Glauben nach, von jedem beliebigen anderen Manne auch erworben
werden kann, falls er die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, zu seinen
Gunsten ausnutzt. Und weil die Würde, selbst die Würde des Präsidenten
der Republik, in demokratischen Gefühlen wurzelt, kann jene Würde nicht
verlorengehen dadurch, daß sich ein Mann in seinem Privatleben und in
seinen Vergnügungen durchaus demokratisch benimmt. Wenn er Gefallen
daran findet, fährt er auf der Rutschbahn in Coney Island genau so
würdelos, genau so kreischend und johlend wie der Maurer oder der
Kesselschmied, der mit ihm im gleichen Wagen der Rutschbahn sitzt. Daß
er Generalpostmeister oder Staatssekretär des Krieges oder Präsident der
Missouri Railroad Company ist, kommt für ihn nur dann in Frage, wenn er
in seinem Allerheiligsten, in seinem Büro, sitzt. Wenn einer wirklich
den Würdefanatiker zu schauspielern versucht, so darf man ganz sicher
sein, daß er entweder ein schwaches Herz hat oder chronische
Verdauungsbeschwerden oder eine verrostete Leber. Mr. Collins jedenfalls
war gesund genug, seine Präsidentschaft in ein Schubfach seines
Schreibtisches einzukapseln, wenn er sich demokratisch vergnügen wollte.

Betty wurde von den Freunden und Geschäftsbekannten des Mr. Collins
durchaus so respektiert als wäre sie seine Frau. Die Herren wußten
stets, ob sie sich mit der Dame, die einer ihrer Freunde bei sich hatte,
vertraulich zeigen und sie gelegentlich umarmen oder küssen durften oder
nicht. Weder mit Flossy noch mit Betty durften sie sich irgendwelche
Vertraulichkeiten herausnehmen, so wenig wie sie es je mit Mrs. Collins
gewagt haben würden. Dagegen durfte man wohl in Gegenwart von Betty –
oder Flossy – Witze erzählen, die man in Anwesenheit von Mrs. Collins
nicht einmal hätte andeuten dürfen. Womit freilich nicht gesagt sein
soll, daß nicht Mrs. Collins kräftige Witze ebenso gern hörte wie
irgendeine andere Frau, die, um ihre Anständigkeit zu beweisen, die
Verpflichtung hat, an der passenden Stelle des Witzes zu erröten; jedoch
keine Verpflichtung hat, zu erröten, wenn sie den Witz an ihre
Freundinnen weiter gibt.

In Gegenwart von Betty durfte man sich aber, um doch einen Unterschied
machen zu können, viel freier, lustiger und vergnügter betragen als in
Gegenwart der Ehefrau. Man durfte die Champagnerflaschen, die der
Prohibition wegen und um den äußeren Anschein zu wahren, unter dem Tisch
zu stehen hatten, unbekümmert hervornehmen und offen zugeben, daß es
wirklicher Champagner sei und kein Canadian Ginger Ale, jenes harmlos
sein sollende Giftprodukt als Ersatz für die allein wirkliche und echte
Ware. Die Champagnerflaschen und die Whiskyflaschen und
Benediktinerkrüge standen der Vorsicht wegen unter dem Tisch. Denn wenn
ein Raid von den Agenten der Prohibition gemacht werden sollte, so
konnte jeder einzelne den Besitz jener Champagnerflaschen abschwören;
denn niemand ist verantwortlich für das, was ohne sein Wissen unter den
Tischen steht und dort sicher schon stand, ehe er den Saal betrat, und
was offenbar frühere Gäste, die ohne Moral, ohne Religion und ohne
Achtung vor dem Gesetze waren, dort unter dem Tisch zurückgelassen
hatten. Der Champagner wurde in Kristallgläsern serviert, weil ja
offiziell angenommen wurde, daß es Canadian Ginger Ale sei. Der Whisky
jedoch und der Martini Dry wurden in Mokkatassen serviert, mit
Zuckerdose und Creamkännchen, als wäre es wirklich Mokka. Wer in den
Saal trat und die Tische übersah, gewann den Eindruck, daß er sich bei
dem unschuldigen Tanzvergnügen eines Temperenzler-Stiftungsfestes
befände. Sollte wirklich von Agenten der Prohibition geraidet werden,
weil sie vom Wirt nicht genügend hoch mit Dollars besänftigt worden
waren, oder weil das Department einen neuen eifrigen Chef bekommen
hatte, der nach Lorbeer haschte, dessen Preis in Dollars noch nicht
entschieden war, oder weil die Agenten doch gelegentlich wieder einmal
eine „Nasse Hölle“ ausheben mußten, um dem guten Bürger zu zeigen, wie
ernst man die Gesetze der Prohibition behandele und wie nötig es sei,
das Budget für die Überwachung der Prohibition zu erhöhen – und damit
das Einkommen des Departments-Chefs –, sollte also wirklich ein
unerwarteter Raid erfolgen, dann wurden alle Mokkatassen mit einem Ruck
leer getrunken und schwarzer Kaffee, der für diesen Zweck auf den
Tischen bereit stand, in die Tassen gefüllt, um den Geruch des Whiskys
zu vernichten. Kein neugeborenes Lämmchen konnte unschuldiger sein als
die Leutchen, die hier versammelt waren, um sich nach der aufreibenden
Tagesarbeit harmlos und innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu vergnügen.
Wer betrunken gefunden wurde, hatte sich irgendwo anders betrunken und
war bereits betrunken, ehe er das Haus betrat, und der Wirt hatte sich
vergeblich bemüht, wie wohl bezeugt werden konnte, den Mann oder das
Paar in Ruhe abzuschieben. Ohne großen Skandal heraufzubeschwören, wäre
das aber nicht gelungen, und darum hatte der Wirt endlich dem Manne oder
dem Pärchen gestattet, hierzubleiben, falls sie sich anständig benahmen.
Man konnte ja nicht den Wirt dafür verantwortlich machen, was jenes Paar
in einem andern Lokal getrunken und sonst verübt hatte. Betty war good
sport, das will sagen, sie machte alles mit und sie verdarb niemand sein
Vergnügen oder seine gute Laune. In ihrem Beisein durften die Herren
unbekümmert ihre Freundinnen am Tisch küssen, und sorglos durfte man
zugeben, daß man schon ein wenig tipsy-topsy sei, daß man also bereits
einen kleinen Spencer weg habe. Jeder einzelne der Herren wußte aber
auch, wie weit man in Gegenwart Bettys gehen durfte.

Jedoch, wenn Mr. Collins mit einem der neuaufgenommenen Chormädchen
erschien, ging es bei weitem wilder zu. Und es kam oft genug sehr nahe
bis zu jenem Punkte, wo man nicht mehr genau unterscheiden konnte, wer
die Freundin wessen ist. Es konnte natürlich mit der Zeit recht wohl der
Fall eintreten, daß auch eins der Chormädchen respektiert werden mußte,
beinahe wie die Frau. Vorläufig aber hatte sich noch keine der beiden
Chordamen des Mr. Collins so weit hinaufschwingen können. Sie standen
beide noch im Wartesaal, und es war noch nicht zu erraten, welche von
den beiden im Luxuszug weiterreisen würde. Vielleicht kam keine der
beiden je so weit.


                                   9

Alle Herren des Aufsichtsrates, die hier jetzt im Allerheiligsten
versammelt waren, hatten von Betty gehört. Und als sie hereingedonnert
kam, wußte jeder, auch wer sie persönlich nicht kannte, daß diese Dame
Betty sei. Denn die Frau des Präsidenten würde das nicht gewagt haben,
was Betty getan hatte. Die Frau würde draußen in einem besonderen Zimmer
gewartet haben, bis ihr Gatte eine Minute Zeit für sie gehabt haben
würde. Und alle Herren, ohne Ausnahme, die jetzt zum ersten Male die
viel besprochene Fürstin persönlich sahen, waren erschreckt.

Unter einer Fürstin hatten sie sich immer sehr viel vorgestellt. Wenn
von der Freundin eines Magnaten gesprochen wurde, daß sie fürstlich
aussehe, so hatte man sofort seine bestimmten Ideen. Ideen und
Vorstellungen, die durch den Film gebildet wurden. Durch den Film, wo
eine ehemalige Verkäuferin in einem Krawattenladen so lange
aufgezaubert, aufgepinselt, aufgediademt, aufgeglittert, aufgeglasperlt,
aufgeatlast und aufgeseidet wird, bis sie das Fürstinnenbedürfnis der
Stenotypistinnen und der Lohnlistenschreiber befriedigt.

Aber was die Herren hier jetzt sahen, war keine
Florence-Vidor-Film-Puppe und keine entthronte Schafhirten-Königin aus
dem mythischen Balkanstaate Limonia-Silvania nach dem snickernden Stile
einer Gloria Swanson. Denn was die Herren hier vor sich sahen, war
hundertmal mehr, als sie je gedacht hatten, zu sehen. Sie sahen keine
Fürstin; sie sahen eine – ja, was denn nun –, nein, eine Kaiserin war
das nicht. Denn auch Kaiserinnen sind altmodisch und bäuerisch. Das war
auch keine Filmkönigin im Straßenanzug. Den Filmköniginnen haftete immer
unausbleiblich und unverwischbar der Geruch des Büros an oder der
Kartonfabrik oder des Warenhauses, aus denen sie hervorgegangen waren.
Betty haftete kein Geruch an aus ihrer Versuchszeit als Lehrerin und als
Zeitungssekretärin. Vielleicht weil sie niemals wirklich in ihrem Gefühl
Lehrerin oder Sekretärin gewesen war.

Betty war zur Fürstin geboren, und sie war nie etwas anderes gewesen als
Fürstin. Daß sie jetzt einen Satz in Slang hinausgefeuert hatte,
erniedrigte sie nicht, sondern bestätigte sie nur in ihrem Range als
Fürstin. So hat eine Fürstin mit ihren Untertanen umzuspringen. Mit den
Untertanen, die den Zorn und den Unwillen ihrer Fürstin heraufbeschworen
haben. So und nicht anders. Und die Untertanen haben alle stille zu sein
und dürfen nicht mucksen, sonst werden sie alle gehenkt.

Das Gefühl, daß sie von dieser Fürstin zum Tode verurteilt werden
könnten, hatten alle die Herren, die jetzt Betty zum ersten Male sahen.
Und selbst jene Herren, die mit ihr am gleichen Tische gesessen und
sogar mit ihr getanzt hatten, fühlten sich merkwürdig klein werden.

Nun darf ja in den Vereinigten Staaten eine Frau immer viel mehr tun und
viel mehr wagen, als ein Mann auch nur zu denken sich erlauben dürfte.
Die Staaten sind das Paradies der Frau. Die Frau kommandiert. Sie
herrscht in der Schule schon, weil es keine männlichen Lehrer gibt. Sie
herrscht natürlich erst recht im Haus. Sie herrscht in der Politik. Sie
darf sich überall vordrängen, überall mit dem Ellbogen die Männer
beiseitestoßen; und wehe dem armen Manne, der sie daran hindern oder zur
Rede stellen wollte. Sie ist die freieste der Frauen in der freiesten
Republik des Universums. Sie ist die freieste, solange sie gut gekleidet
ist, solange sie nicht in einer Arbeiterprozession die rote Fahne trägt,
solange sie nicht streikende Textilarbeiterin ist, solange sie nicht
keift und geifert, weil ihr Mann als streikender Minenarbeiter von den
Maschinengewehren der Miliz erschossen wurde, solange sie nicht
pazifistische Propaganda macht. Sobald sie das tut, wird sie mit dem
Knüttel des Polizisten genau so gut auf den Schädel geschlagen wie der
Mann. So weit kann die Freiheit selbst in der freiesten Republik nicht
gehen. Eine Grenze muß doch schließlich auch Freiheit haben, sonst wüßte
man ja nicht, wo die Freiheit anfängt und was Freiheit überhaupt ist.

Wäre sie nur eine Arbeiterin gewesen, die hier einmal beim Aufsichtsrat
hätte persönlich anfragen wollen, warum sie denn mit einem Wochenlohn
von vierzehn Dollar zu leben habe, während die Company Millionen Dollar
Überschüsse im Jahre habe, so hätte sie auch nicht so hier hereindonnern
dürfen wie Betty. Hätte sie das nur gewagt als Arbeiterin, so würde sie
sechzig Tage Arbeitshaus oder Korrektionshaus bekommen haben wegen
ungehörigen Benehmens und wegen Trunkenheit, auch wenn sie ebensowenig
betrunken war wie Betty, sondern überhaupt nie etwas trank, weil sie
keine zehn Dollar für eine Flasche Whisky ausgeben konnte.

Betty durfte aber tun, was sie wollte. Denn sie war eine Frau in der
freiesten Republik, wo die Frauen nicht gleich Sklaven behandelt werden,
wie das noch in Europa vorkommt und in Asien. Denn Betty war hier im
Recht. Sie mußte ihre Garage haben und das dazugehörige Wohnhaus, den
dazugehörigen Gärtner, der auch das Automobil zu waschen hatte und alle
vorkommenden Handwerkerarbeiten im Hause verrichten mußte. Und wenn das
Haus schon zur Garage gehörte und der Gärtner zum Haus und zum eleganten
Automobil, so gehörte auch ein chinesisches oder ein französisches
Kammermädchen dazu, um Betty in persönlichen Dingen behilflich zu sein,
damit sie nicht ihr Bett selbst ordnen, ihr Bad selbst anlassen und ihre
seidenen Strümpfe selbst auswaschen muß. Mr. Collins wollte doch auch
gelegentlich bei ihr essen, und so gehörte auch eine schwarze oder eine
irische oder eine schwedische Köchin zu der gut ausgestatteten Küche, wo
nichts fehlen durfte und wo das Geschirr mit elektrisch betriebener
Maschine gewaschen wurde und wo nur elektrisch gekocht werden sollte, um
Arbeit zu sparen und keinen Staub zu haben.


                                   10

Als die Herren der Conference hörten, um was es sich handelte,
verstanden sie Betty durchaus, warum sie hier dröhnend einbrechen mußte.
Sie war sicher nicht schuld, daß die heilige Conference mit so profanen
Dingen gestört wurde. Der Schuldige war Mr. Collins. Wie durfte er es
wagen, der Fürstin Betty etwas zu verweigern. Er bewies damit nur, daß
er von sehr weit unten heraufgekommen sein mußte und daß er den Geruch
von Corned Beef and Cabbage noch nicht völlig abgebadet hatte.

So war Betty in jeder Hinsicht gerechtfertigt.

Die Herren, die sich inzwischen von dem Donnerschlage so weit erholt
hatten, daß sie Betty nicht nur verstanden, ihr wildes Eindringen nicht
nur vollkommen entschuldigten, ihr sogar zubilligten, daß es ihre
Pflicht war, hier dem Collins mit Fäusten auf die Schultern und auf die
Brust zu trommeln, waren von ihren Stühlen mehr und mehr fortgegangen,
um Betty aus größter Nähe zu betrachten und sie in Gedanken
auszukleiden.

Dabei wuchs Mr. Collins in der Achtung der Mitglieder des Aufsichtsrates
mehr und mehr; und in den Augen der Herren, die Betty jetzt zum ersten
Male sahen, nahm Mr. Collins eine überirdische Größe an. War er bisher
schon sehr mächtig in der Company gewesen, so wurde er jetzt nach diesem
Vorgange übermächtig, und seine Stellung wurde unerschütterlich.




4


                                   1

Mr. Chaney Collins war ja nun in keinem Sinne ein Angestellter der
Condor Oil Co. So war das nicht. Er war Präsident der Company, aber
nicht ein Präsident in der Form eines Beamten. Er war Präsident, weil er
die Company gegründet hatte und weil er einer der Hauptaktionäre war.
Dennoch konnte er seine Stellung als Präsident verlieren. Wenn er in
einen Skandal verwickelt wurde, so sehr, daß er im Mittelpunkt des
Skandals stand, dann mußte er zurücktreten, weil ein Skandal ihres
Präsidenten das Ansehen einer Company erschüttern kann und ihre
Geschäfte leiden. Der Öffentlichkeit gegenüber muß der Präsident
makellos dastehen. Er muß ein Muster an Ehrbarkeit und Sittenreinheit
sein, sowohl der guten Bürger wegen, die ihr Geld in den Geschäften der
Company anlegen sollen, als auch und ganz besonders der Kommunisten und
ähnlicher Nörgler und Staatsumstürzler wegen. Die billigen Agitatoren,
denen die Fähigkeit fehlt, den Kapitalismus und das kapitalistische
System in ihren Grundproblemen zu begreifen und von den Grundproblemen
aus anzugreifen, verfallen immer zu leicht in die Torheit, das
Privatleben kapitalistischer Giganten zu untersuchen und am Privatleben
der Großen des Kapitals zu beweisen, wie verrottet und wie
zusammenbrechend das kapitalistische System sei.

Die Proletarier erfreuen sich an Klatsch und an Bettgeschichten anderer
ebensosehr wie die Mittelschicht des Volkes, wie die guten Bürger, die,
weil sie selbst zu ängstlich und zu knickerig sind, einen guten saftigen
Skandal zu inszenieren, ihre Neigung für Sauerei ausleben in der Sauerei
anderer, ob die anderen Großkapitalisten, Bischöfe oder Monarchen sind.
Und der Agitator ist, wenn er Skandalgeschichten auftischen kann, des
Beifallklatschens seiner Zuhörer sicherer, als wenn er von Problemen
spricht und Systeme zergliedert.

Um aber den Proletarier nicht zur Genußsucht zu verleiten und ihn
dadurch aufzustacheln, immer wieder höhere und noch höhere Löhne zu
verlangen und Mitrechte an dem zu fordern, was er produziert, muß der
Glaube in der Öffentlichkeit aufrechterhalten werden, daß der
Großkapitalist, der sich nach Meinung der Agitatoren vom Schweiße der
Proletarier sättigt, ein Muster an Sittenstrenge, an Sparsamkeit und an
Achtung vor dem Gesetz ist.

So kann ein peinlicher Skandal einen großen Mann zu Falle bringen, weil
die übrigen Großen, um sich zu decken und ihre Macht zu erhalten und zu
vermehren, den Mann fallen lassen müssen, um öffentlich kund zu tun, daß
sie keine Gemeinschaft mit ihm haben und daß sie nicht sind, wie jener
ist.

Wäre Mr. Collins in einen Skandal verwickelt worden, so konnte er nicht
mehr Präsident sein. Aber er wäre dennoch ein mächtiger Mann in der
Company geblieben, und er hätte, im Hintergrunde arbeitend, vielleicht
mehr tun können für die Company als vorher. Aber die Company hätte
dennoch gelitten. Denn einen so mächtigen und befähigten Mann wie Mr.
Collins als Präsidenten zu verlieren, überwindet eine Company nicht
leicht.

Durch seine Persönlichkeit und durch die majestätische Hoheit, die ihm
Betty als seine Geliebte verlieh, konnte er Erfolge für die Company
erzielen, die für jeden andern Präsidenten unerreichbar waren. Er konnte
den Bau von Straßen durchsetzen, die für die Geschäfte der Company
nützlich waren, weil sie eine rasche Verbindung zu ihren Ölfeldern
schufen, Straßen, die nur der Company dienten und die deshalb die
Company hätte bauen lassen müssen, die aber nun der Staat baute. Denn
Staatsgouverneure, Kongreßmitglieder, Bürgermeister, Stadtväter mußten
tun, was er bestimmte. Taten sie es nicht, so konnten sie nicht mehr
sein, was sie augenblicklich waren. Er machte die Politik, ohne daß er
sich je um Politik bekümmerte. Die Politiker, die berufsmäßig sich mit
Politik beschäftigten, wußten nie, daß sie genau das taten, was Mr.
Collins wollte, das sie tun sollten. Die Mehrzahl dieser Politiker
bildete sich ein, freie und unabhängige Politiker zu sein, die dem
Interesse des Gemeinwohls dienten. Viele von ihnen waren, vor ihrem
eigenen Gewissen, durchaus anständige und durchaus ehrenhafte Männer.

Wie man Politik macht, ohne daß die Politiker fühlen, daß sie nicht frei
handeln, sondern daß sie von einer irdischen Gottheit in ihrem Willen,
ihren Gedanken, ihren Reden und ihren Handlungen geleitet werden, das
hatte Mr. Collins frühzeitig in seinem Leben gelernt. Er war der
Schöpfer dieser Idee gewesen. Und er war auf die Idee verfallen, als er
mit seiner genialen Auffassungsgabe und Beobachtungsfähigkeit die wahre
Geschichte eines großen Bauarbeiterstreiks in Chicago erfaßt hatte.


                                   2

Mr. Collins stammte aus Harrisburg, Pa. Sein Vater hatte dort einen
Grocery Store, einen Laden für Kolonialwaren, Konserven und
Delikatessen. Nicht sehr bedeutend. Jahreseinkommen dreitausend Dollar.
Mr. Chaney Collins mußte sich durch das College durcharbeiten und
durchhungern. Sein Vater gab ihm nur einen Scheck von vierzig Dollar im
Monat, und es kam vor, daß der Scheck mehrere Male auf dreißig Dollar
herabgesetzt wurde.

Nachdem Mr. Collins das College verlassen hatte, ohne sich ausgezeichnet
und ohne ein besonderes Examen gemacht zu haben, bekam er
eine Anstellung in einer Bank durch die Vermittlung eines
Konservenfabrikanten, der dem alten Collins Waren verkaufte und sich die
Freundschaft und damit das Geschäft des alten Collins erhalten wollte.
Mr. Collins begann in der Bank mit sechzehn Dollar in der Woche. Nach
einem Jahr hatte er es auf achtzehn Dollar gebracht. Er wechselte über
zu einer Versicherungsgesellschaft, wo er mit zweiundzwanzig Dollar die
Woche begann und nach drei Jahren Arbeit vierzig Dollar erhielt.

Nun gelangte er in ein Inseratengeschäft. Er begann mit vierzig Dollar
die Woche und brachte es nach vier Jahren auf hundert Dollar
wöchentlich. Ein ganz unerhört hoher Lohn, den er sich erwarb, weil er
einige gute Ideen und Vorschläge für die Propaganda einer Zahnbürste,
eines Gesichtscreams, eines elektrischen Brotrösters, einer neuen
Zigarette, einer Messingputzpomade, eines zusammenlegbaren Tragstuhles
für kleine Kinder und einer neu erfundenen Bedachung, die aus einer
Mischung von Zement und Teer bestand, ausarbeitete. Seine Firma erzielte
aus seinen Ideen einen Reingewinn von vierzigtausend Dollar. Als er das
eines Tages aus den Büchern erfuhr, brach endlich der Weisheitszahn bei
ihm durch. Er erkannte, daß er bisher ein Esel gewesen sei.

So beschloß er, nun mit dem Weisheitszahn versehen, für sich selbst
anzufangen. Als er erklärte, daß er die Firma verlassen wollte, bot man
ihm hundertfünfzig Dollar die Woche an, endlich hundertachtzig und
zuletzt zweihundert Dollar und fünf Prozent Gewinnanteil von dem Verkauf
seiner Pläne, die er in Zukunft haben würde.

Er lehnte das alles ab, weil er sich von nun an nicht mehr um
Kleinigkeiten bekümmern wollte.


                                   3

Seine Beschäftigung mit dem Ausarbeiten von Inseratenplänen für die neue
Hausbedachung hatte ihn in Verbindung mit dem Hausbau gebracht, und sie
brachte ihn in Verkehr mit Hausbauspekulanten.

Er dachte selbst daran, sich mit Grundstücken und Häuserbau zu befassen.
Aber da kam der große Bauarbeiterstreik in Chicago. Rein zufällig erfuhr
er von einem der Spekulanten, der angetrunken war und prahlte, wie smart
er sei und wie er allen Hammeln Ringe durch die Nase gezogen habe, die
wahre Geschichte jenes Streikes.

Es waren da zwei Magnaten in Real Estate, in Grundstück- und
Häuserspekulation, die beide um die Vorherrschaft kämpften. Denn wer die
Vorherrschaft hatte, der machte die Politik in Chicago. Und wer die
Politik machte, der ordnete an, wo Straßenbahnen angelegt werden sollten
und wo nicht, wo Eisenbahnhöfe erbaut werden dürften und wo es verboten
wurde im Interesse der Einwohnerschaft, wo die Stadt ein Hospital zu
errichten hatte und wo die Gegend der Genesung von Kranken ungünstig
war. Wer die Macht hatte, wußte Jahre hindurch im voraus, wo eine
Straßenbahn hinkam. So konnte er Land billig aufkaufen von denen, die
nicht wußten, daß eine Straßenbahn beabsichtigt war, und konnte es mit
fünftausend Prozent Gewinn verkaufen, sobald die Bahn gelegt wurde. So
mit Bahnhöfen, so mit Hospitälern, so mit Schlachthäusern, so mit
Schulhäusern, so mit Mietkasernen, so mit allem, das von Bauland abhing.

Beide Magnaten hatten zu gleicher Zeit mehrere Blocks an Häusern,
Wohnhäusern, Bürohäusern, Läden, unter Konstruktion. Ein Objekt, das in
die vielen Millionen von Dollar ging.

Wer mit seinem Bauprogramm am ersten fertig war, hatte gewonnen. Er
konnte alle Mietverträge, die bereits gezeichnet waren, auf den Tag
einhalten, während der, der nicht zu dem gesetzten Termin fertig war, an
die Hauskäufer und Mieter hohe Konventionalstrafen zu zahlen hatte. Wer
zuerst fertig war, bekam alle Mieter, die auf Häuser warteten, und wer
zuletzt fertig war, konnte seine Häuser vielleicht monatelang leer
stehen haben. Niemand kaufte sie, weil der Bedarf an leeren Wohnungen,
Läden und Büros gedeckt war für die nächsten Monate.

So ging der Magnat, der am meisten Geld dafür ausgeben wollte und zuerst
die Idee hatte, zur Bauarbeiterunion und kaufte den Sekretär für
zehntausend Dollar. Unter dem erlauchten Einfluß des großen
unvergeßlichen Arbeiterführers Samuel Gompers, der einst die Ehre hatte,
unter den arbeitsamen und anständigen Proletariern des Gettos in
Amsterdam geboren zu werden, war das Führen einer Arbeiterunion genau so
gut ein Geschäft wie die Massenanfertigung von fertig gelöteten
Herrenanzügen oder schlecht abgesäumten Frauenhemden. Ein Unionführer
dieser Art, der bei seinem Tode nicht ein Bankguthaben von einigen
hunderttausend Dollar seinen verschiedenen weinenden Witwen und Waisen
hinterlassen konnte, hatte seinen Beruf nicht verstanden, sondern war
ein Dummkopf gewesen, der aus dem Gefängnis nur herauskam, um am
nächsten Tage wieder hineinzukommen, weil er glaubte, eine Arbeiterunion
habe etwas mit Sozialismus zu tun.

Der gekaufte Sekretär fand nun heraus, daß eine Arbeitszeit von zehn
Stunden zu lang und ein Tagelohn von sieben Dollar zu niedrig sei und
daß nun, inmitten dieser regen Bautätigkeit, endlich die Stunde gekommen
sei, das durchzusetzen, wofür einige Jahre vorher die Anarchisten in
Chicago gehenkt worden waren. Um das mit Erfolg durchzusetzen, dürfe man
aber nicht, wie der Sekretär den einberufenen Versammlungen von
Bauarbeitern erzählte, überall zugleich streiken, sondern man müsse erst
den einen Magnaten zu Tode streiken und dann den andern. Dann habe man
beide überwunden, und die Bauarbeiter seien dann endlich die Herren von
Chicago. Er wußte das alles gut und schön klarzumachen, und die
Bauarbeiter glaubten ihm alles, denn er war ja ihr Sekretär.

Der Magnat, der zuerst bestreikt werden sollte, war der Gegner jenes
Magnaten, der die zehntausend Dollar an den Sekretär bezahlt hatte. Der
Streik brach aus. Er wurde mit aller Wut und allem Haß geführt, der nur
aufgebracht werden kann von Arbeitern, die statt ihre sieben Dollar
Tagelohn jetzt nur die magere Streikunterstützung bekommen. Es gab viel
Schlägereien mit Streikbrechern, es wurden Streikende und Streikbrecher
erstochen, es wurde von Polizei in erregte Massen geschossen, und es gab
viel Gefängnis.

Endlich war der Magnat, der den Sekretär gekauft hatte, mit seinem
Bauprogramm fertig, und der Magnat, der nicht fertig war infolge des
Streiks, verlor sein Vermögen und war ausgeschaltet aus dem Wettrennen
um die Vorherrschaft im Real Estate in Chicago.

Die Arbeiter redeten sich halb zu Tode in ihren Versammlungen über die
Stärke des Unternehmertums und die unüberwindliche Macht des
Kapitalismus und rackerten mit vereinten Kräften, ihre Organisation zu
stärken und auch den letzten unorganisierten Mann heranzuschaffen, denn
nur eine starke Organisation war vonnöten, um den Kapitalismus zu
zerschmettern oder wenigstens einen auskömmlichen Tagelohn zu erhalten,
wenn man die sozialistische Weltordnung denn doch nicht so bald
erblicken sollte.

Die Kenntnis der wahren Geschichte dieses Streiks schuf die Grundlage
der Macht des Mr. Collins.


                                   4

Mr. Collins erinnerte sich eines Mitschülers aus seiner Collegezeit,
dessen Vater Vizepräsident einer der größten Anthracite Companien in
Pennsylvania war. Durch diesen Schulfreund gelang es ihm, eine
Unterredung mit dem Vizepräsidenten bewilligt zu erhalten.

Nachdem der Vizepräsident den Plan, den ihm Mr. Collins unterbreitete,
erfaßt hatte, wurde Collins eingeladen, einer besonderen Conference des
Direktoriums der Company beizuwohnen und dort seinen Plan ausführlich
noch einmal vorzubringen.

Der Plan des Mr. Collins war so geschickt, daß Collins, obgleich er nur
ein Niemand war, um seine Idee nicht betrogen werden konnte. Denn
versuchte die Company, den Plan auszuführen, ohne sich mit Mr. Collins
vorher über den Preis verständigt zu haben, so brauchte Mr. Collins nur
zu einer Zeitung gehen, und der Plan war vereitelt. Es gab immer eine
Zeitung, die, um eine große Sensation für sich allein zu haben, das
bevorstehende Manöver der großen Kohlen-Company veröffentlicht und Mr.
Collins sogar dafür bezahlt hätte.

Das erkannte das Direktorium sofort, und darum begann man, mit Mr.
Collins in ernsthafte Unterhandlungen einzutreten.

Mr. Collins forderte acht Prozent vom Reinertrag des Manövers. Man
einigte sich endlich auf fünf Prozent, die zu einem Zehntel in bar und
zu neun Zehnteln in Aktien der Company bezahlt werden sollten. Ferner
wurde Mr. Collins als Mitglied in den Aufsichtsrat aufgenommen und für
die Dauer des Manövers zum Privatsekretär des Präsidenten ernannt mit
einem Monatsgehalt von dreitausend Dollar. Praktisch hatte er wenig zu
tun; denn für die laufenden Geschäfte blieb die erste Privatsekretärin
im Dienst. Er hatte nur immer zur Hand zu sein, um seinen Rat bei allen
Truppenverschiebungen, die nötig sein sollten, abzugeben.

Er war damals noch nicht dreißig Jahre alt.


                                   5

Das Manöver begann. Es zeigte sich, daß das Manöver sich genau so
abwickelte, wie Mr. Collins geplant und wie er vorausgesehen hatte.

Der Haupttrick bestand darin, daß kein Wort vorzeitig laut wurde.

Die Company ließ in allen ihren Minen mit Überdruck arbeiten.
Überstunden und Überstunden. Es gab reichliche Prämien an die
Minenarbeiter für Hochleistungen. Tausende von neuen Arbeitern wurden
aus Europa herangeschleppt.

Alle Lager wurden mit Anthrazitkohle aufgefüllt bis zur Grenze. Große
Plätze wurden gemietet, um die geförderte Kohle aufzunehmen und
aufzuspeichern.

Neue Kunden wurden nicht angenommen. Es wurden nur die laufenden
Verträge mit den Eisenbahnen und Schiffsgesellschaften und
Großkohlenhändlern eingehalten, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.
Die Aktion wurde nach den Ratschlägen des Mr. Collins so geschickt
geleitet, ging so ruhig und unauffällig vor sich, daß keine andere
Company auch nur auf den Gedanken kam, daß hier einer der gewaltigsten
Schläge vorbereitet wurde, die in den Staaten je erlebt worden waren.
Denn das Manöver vollzog sich in jener ruhigen und satten Periode, die
schweren Wirtschaftskrisen voranzugehen pflegt. Jener satten Periode, in
der man nicht zu unsinnig wagt, weil der normale Verlauf der Geschäfte
genügend Gewinn einträgt und ein zu übermütiges Spekulieren nur zu einer
Unsicherheit führt, die einem augenblicklich unwillkommen ist. Man hält
sich an die fetten Aufträge, die man selbst hat, und man kümmert sich
nicht so viel darum, was andere tun, weil man nun, wo man genug Aufträge
hat, auch einmal vornehm tun darf und sich erlauben kann, auch andern
etwas zu gönnen.

Und eines Tages, nachdem mehrere Monate lang alles vorbereitet worden
war, wurde der große Schlag geführt.

Der Schlag begann nicht als Schlag, sondern er begann ganz ruhig als ein
Vortasten, als ein leises Streicheln.

Die Anthracite-Company verkündete allen ihren Arbeitern, daß von Freitag
nächster Woche ab alle Kontraktlöhne um fünfundzwanzig Prozent und alle
Tagelöhne um fünfzehn Prozent gekürzt würden.

Die Company arbeitete nach einem neuen System. Sie kaufte nicht
Unionssekretäre. Das brauchte sie gar nicht. Der Erfolg war viel größer
ohne die Mitwirkung von Unionssekretären, die vielleicht das Manöver
vermanscht hätten. Außerdem sind die Sekretäre der Minenarbeiter
unzuverlässig. Sie halten meist zu den Arbeitern, und sie sind ehrliche
Kameraden. Sie stehen auf ihrer Soap Box, ihrer Seifenkiste, und lassen
sich nicht eher zum Schweigen bringen, als bis sie von den Agenten der
Kohlenmagnaten mit Steinen so blutig geworfen sind, daß sie bewußtlos
von ihren Kameraden fortgetragen werden müssen. Die Zehntausende von
Arbeitern der Anthracite beriefen sofort Versammlungen ein, aber es kam
nichts heraus. Sie glaubten immer noch genug zu verdienen, auch nach dem
Abzug, mit dem Prämiensystem und wenn sie noch mehr rackerten und noch
mehr Überstunden machten als bisher. Einige Herren des Direktoriums
begannen schon unsicher zu werden. Mr. Collins jedoch blieb ganz ruhig.
Er zeigte in dieser Lage zum ersten Male seine Begabung als ein Großer
unter den Magnaten.

„Wir beginnen ja erst, Gentlemen“, sagte er. „Nur jetzt nicht unruhig
werden. Ich gebe Ihnen das Recht, mich zum Tode zu verurteilen, wenn es
nicht glückt. Und ich will das Urteil selbst an mir vollstrecken und
werde mich erschießen, wenn das Urteil gefällt ist. Aber stehen Sie.“
Man ließ ihn völlig frei handeln.


                                   6

Eine Woche darauf wurde das Prämiensystem aufgehoben.

Die zweite Woche darauf wurden alle Überstunden abgesagt, und die
Arbeiter, die auf die Prämien, auf die Überstunden, auf die hohen Löhne
inzwischen eingestellt waren, in Abzahlungsverpflichtungen eingegangen
waren, kleine Grundstücke gekauft und Hausbauten begonnen hatten, ihre
Kinder zum College geschickt hatten und so vieles mehr getan hatten, das
sie jetzt zu erwürgen drohte, begannen verwirrt zu werden.

Ein neues scharfes System wurde in den Minen eingeführt. Wer eine Minute
zu spät an der Förderstelle eintraf, durfte den ganzen Tag nicht
arbeiten, mußte aber im Schacht bleiben, weil für ihn kein Förderkorb da
war. Er mußte warten, bis seine Schicht ausfuhr. Außerdem wurde ihm für
die Minute, die er zu spät kam, ein halber Tagelohn abgezogen vom
nächsten Tage, den er wieder arbeitete.

Es geschah mehr. Die geförderte Kohle wurde schärfer untersucht. Wurden
mehr als vier Steine gefunden, mehr als eine halbe Schaufel Staub oder
Geriesel und fehlten mehr als fünf Pfund am Gewicht, dann wurde der
ganze Wagen geförderter Kohle als Null gebucht. Die Miners bekamen ihn
nicht bezahlt, aber die Company nahm ihn dennoch. Nun wurde die
Gewerkschaft von den Arbeitern angerufen, um einzugreifen. Sie war schon
beim Lohnabzug angerufen worden; aber nach langer Beratung beschlossen
die Vertrauensleute, daß man erst einmal abwarten wolle, ob nicht nur
ein Manöver der Company vorläge; denn nach den Berichten, die der
Sekretär studiert hatte, war das Geschäft in Anthrazit glänzend.

Die Vertreter der Gewerkschaft ersuchten um eine Conference mit dem
Direktorium. Das Direktorium erklärte, daß es mit fremden Leuten, die in
keiner der Minen der Company arbeiten, nicht verhandeln könne. Drei Tage
später, als das System der Vernullung geförderter Kohle immer
rücksichtsloser gehandhabt wurde, ersuchten die hierfür gewählten
Vertrauensleute, die bei der Company arbeiteten, um eine Conference
nach.

Ihnen wurde die Conference bewilligt. Und gleich nach den ersten Worten
wurde den Leuten gesagt, daß sie für den Verlust der Zeit, den sie durch
die Conference hätten, voll entschädigt werden sollten. Das sei ganz
natürlich.

Das stimmte die Leute, die gekommen waren, um zu zeigen, wie erregt sie
waren, friedlich, und sie, die sich vorgenommen hatten, sich wie
hungrige Tiger in der Conference zu benehmen, wurden durch gute
Zigarren, die man ihnen anbot, und durch höfliches Bitten, sich doch in
die tiefen weichen Sessel zu setzen, so zahm, daß der Präsident seinen
Kopf in die Rachen der Tiger stecken konnte, ohne befürchten zu müssen,
daß er einen Zahn fühlen würde.

Es wurde den Leuten klargemacht, es sei so viel Überschuß an Kohle
vorhanden, daß man die Absicht habe, die Minen für eine gute Weile
stillzulegen, und daß man nur die Pumpen und die Zimmerleute arbeiten
lassen wolle. Man ging so weit, daß man den Leuten die Bücher der
vorhandenen Lagerbestände vorlegte.

Die Leute verstanden nicht, solche Bücher zu lesen, weil das mit Kredit
und Debit, mit Soll und Haben ging und die Leute nicht wußten, auf
welcher Seite der Bestand war und auf welcher Seite der Abgang. Aber sie
blätterten in den Büchern herum und taten, als ob sie alles verstünden.
Sie mußten endlich zugeben, daß Riesenbestände von unverkaufter Kohle
vorhanden seien.

Die Leute wurden während der Conference, in der sie selbst wenig
redeten, immer mit Gentlemen angesprochen. Ohne daß sie es zugeben
wollten, ohne daß sie es zugegeben hätten, würde man sie gefragt haben,
so wurden sie dennoch durch diese höfliche Anrede beduselt. Sie hatten
ein heimliches Gefühl, daß sie hier gleichfalls Aufsichtsratsmitglieder
seien, die mitzubestimmen haben, über das, was nun mit den Minen
geschehen soll.

Als sie endlich wieder draußen waren, erkannten sie, daß sie um nichts
klüger waren als vorher. Es wurde ihnen verteufelt schwer, am Nachmittag
in der Versammlung einen Bericht zu geben, von dem, was sie geleistet
hatten und was alles geredet worden war. Diejenigen unter den Zuhörern,
die ganz genau das Gleiche geleistet haben würden, hätte man sie für die
Conference gewählt, schrien erbost zu den Vertrauensleuten hinauf: „Ihr
Hosenschieter, ihr lumpigen, ihr habt euch da wieder einmal gründlich
verseifen und verzuckern lassen; da haben wir die richtigen
schleichenden Katzenfüßer gewählt. Laßt euch in Teig einbacken und in
den Backofen schieben.“ Einer schrie gellend hinauf: „Wieviel hat euch
denn der lausige Hund bezahlt? Jetzt kannst du ja deinen Phonographen
bezahlen, he, Billy, he?“ Darauf folgte Lachen im Saal.

Am Mittwoch der folgenden Woche gab die Company bekannt, daß alle
Angehörigen der Gewerkschaft mit Ende der Woche entlassen seien, daß nur
die weiter arbeiten dürften, die ihre Unionsausweise auf dem Büro der
Company abgeben würden und daß alle übrigen, die keine Ausweise abgeben,
durch Unterschrift erklären sollen, daß sie nicht Mitglieder irgendeiner
Gewerkschaft seien. Käme heraus, daß jemand seine Unterschrift gegeben
habe und trotzdem Mitglied einer Gewerkschaft geblieben sei, so würde er
sofort entlassen, ohne daß ihm sein stehender Lohn ausbezahlt würde und
daß er mit seiner Familie innerhalb von achtundvierzig Stunden die
Häuser und das Gelände der Company verlassen haben müsse. Wenn nicht,
würde er wegen unberechtigten Betretens des Geländes der Company der
Polizei übergeben. Samstag morgen brach der Streik aus auf allen Minen
der Anthracite-Company. Es brach aus der Streik, den die Company
brauchte, um den Gewinn des Manövers einzukassieren. Wie hier, so immer:
Arbeiter streiken vielleicht selten, wenn es den Arbeitern günstig ist,
sondern sie streiken meist, wenn es dem Kapitalismus günstig ist. Nicht
aus Dummheit, sondern ehernen Gesetzen folgend. Was immer auch Arbeiter
tun mögen, innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems werden sie
das tun, was dem Kapitalismus dienlich ist, weil sie ein Teil des
Kapitalismus sind, weil sie mit ihm, während der Herrschaft dieses
Systems, verbunden sind auf Tod und Verderben, auf Leben und Untergang.
Der Aktive leistet, der Inaktive leidet. Innerhalb dieses Systems ist
der Kapitalist der Aktive. Er weiß, was er will. Er will Geld verdienen.
Der Arbeiter will nur etwas abhaben. Er will es genau so machen wie der
Kapitalist, er will mehr haben als sein Mitprolet. Wenn der Bäcker
streikt und gewinnt, dann wird für den Schuster das Brot teurer, und
dann muß der Bäcker mehr für die Stiefelsohlen bezahlen. Innerhalb
dieses Systems dient alles dem Kapitalismus. Nicht weil die einen
brutale Ausbeuter, die andern Hungernde und die übrigen Arbeiterverräter
sind, sondern weil sie sich alle in derselben Maschine befinden.

Mr. Chaney Collins kannte dieses Gesetz, und er nützte es zu seinen
Gunsten. Das war seine ganze Weisheit.


                                   7

Nun begann die Anthracite zu kassieren. Sie war die erste Company, die
moderne Ideen von proletarischen Rechten und proletarischer
Freiheitsbewegung zu Millionen von Dollar an Gewinn ausmünzte. Es ist
seitdem so oft getan worden, daß es inzwischen zur Gewohnheit und zu
einem anständigen Geschäftsgebaren geworden ist. Der Staat hat sich
dieses Tricks bedient, als er eine Lousitania notzüchtigte, um zu
offenbaren, daß seine Ehre zertrampelt worden sei und er nun nicht mehr
anders könne, als Wall Street das Nerven-Allheilmittel zu bewilligen.
Aber zur Zeit, als Mr. Collins dreißig Jahre alt war, da war dieses
Geschäft noch unabgegriffen, und es hatte keine Konkurrenten. Darum hat
auch seitdem nie wieder eine einzelne Company so viele Millionen
einkassiert für diesen Trick als damals die Anthracite-Company.

Der Streik bei der Anthracite hatte begonnen. Es waren ungefähr
zwanzigtausend Minenarbeiter beteiligt. Die großen Zeitungen sandten
Spezialreporter zu der Company, um dort alles das über den Streik und
seine Geschichte zu erfahren, was die Zeitungsleser hätte interessieren
können und was zur Sensation und damit zu fetten Zeitungsüberschriften
sich aufzaubern ließ.

Das Direktorium der Anthracite Co. bestimmte Mr. Collins auf seinen
eigenen Wunsch, im Namen des Direktoriums den Hunger der Reporter nach
aufregenden Geschichten zu befriedigen. Die Zeitungen erfolgreich zu
behandeln, ohne daß die Zeitungen fühlten, daß sie für die Pläne der
Anthracite gebraucht wurden, gehörte mit zu den Truppenbewegungen, die
Mr. Collins sorgfältig, lange vorher, ausgedacht hatte.

Den Reportern wurde erzählt, daß die Company übermäßig overstocked sei,
daß also alle ihre Lager überfüllt seien. Der Verkauf von Kohle habe
immer mehr und mehr nachgelassen. Die Company wüßte nicht, wohin mit der
vielen überschüssigen Kohle, weil der Bedarf weit unter der Produktion
stehe. Das wurde an Lagerbüchern und an Verkaufskontrakten, die man den
Reportern vorlegte, alles bewiesen.

Mr. Collins sagte, daß ein unerhörter Preissturz für Kohle bevorstünde.
Aus diesem Grunde hatte man, als einzigen Ausweg, beschlossen, die Löhne
zu kürzen, um den bevorstehenden Preissturz aushalten zu können. Die
Arbeiter hätten jedoch die Notwendigkeit dieser Lohnkürzung nicht
eingesehen, was man ja auch begreifen könnte, weil Arbeiter eben nicht
in der Volkswirtschaft genügend geschult seien. Er erklärte, die Company
könne von der Lohnkürzung nicht absehen, weil Beibehaltung der früheren
Löhne den Ruin der Company, ja den Ruin der gesamten amerikanischen
Kohlenindustrie nach sich ziehen müßte. Soweit die Company in Frage
käme, würde nicht nachgegeben, weil man nicht nachgeben könne, ohne
wirtschaftlichen Selbstmord zu begehen. Auf die Frage, warum die Company
ihren Arbeitern verboten hätte, einer Gewerkschaft anzugehören, erklärte
Mr. Collins, daß die Arbeiter gern für die gekürzten Löhne arbeiten
wollten, aber daß die Union es ihnen nicht erlaubte. Man könne eine
Einmischung von außen in die wirtschaftliche Politik der Company nicht
gestatten, ohne damit alle Rechte und Freiheiten, die dem Handel und der
Arbeit auf Grund der Konstitution gewährleistet seien, preiszugeben. Die
Company würde ihren willigen Arbeitern empfehlen, eine Gewerkschaft zu
gründen, der nur Arbeiter, die in den Minen der Company beschäftigt
sind, angehören sollen. Diese Gewerkschaft allein wolle man als
berechtigte Vertreterin der Arbeiter der Company ansehen. Es scheint
aber, fügte Mr. Collins hinzu, daß die Arbeiter nicht willens seien, den
durchaus berechtigten und notwendigen Wünschen der Company Rechnung zu
tragen. Deshalb könne er mit Sicherheit voraussagen, daß der Streik sehr
lange dauern würde, sechs Monate wenigstens, vielleicht auch acht oder
gar vierzehn Monate.

Die Reporter bedankten sich für die ausreichende Darlegung der Gründe
des Streikes, soweit die Company in Frage kam.


                                   8

Reporter dienen nur der Wahrheit; und sie betrachten es als ihre
heiligste Pflicht, die Wahrheit zu suchen, selbst wenn die Wahrheit in
den Kloaken des Volkes und in den Bettlaken von Individuen gesucht
werden muß. Denn nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ihren
Lesern zu berichten, ist die einzige hehre Aufgabe einer amerikanischen
Zeitung. Darum ist sie das irdische Instrument Gottes und die Zuchtrute
für alle Verlogenen und alle Volksvergifter, Aufwiegler, Juden, Fremde
und europäische Emigranten, die mit anarchistischen und ähnlichen
sozialistischen Ideen vollgefüllt an den Ufern unserer glorreichen
Republik landen, um unser schönes Land zu besudeln und zu zerstören.
Darum gingen die Reporter auch zur Union, um die Meinung der andern
Partei zu hören. Hier fanden sie jedoch, wie sie später ihren Lesern
mitteilten, nicht die Ruhe und Sicherheit in den Zielen, die sie bei dem
Direktorium der Company gefunden hatten. Hier fanden sie Unruhe,
Nervosität, inhaltlose Reden, anarchistische Schreier, unklare Begriffe
und verwirrte Vorstellungen über Profit, gemeinsames Zusammenwirken der
ganzen Nation, Rechte der Arbeiter, sich zu organisieren, angebliche
Pflichten gegen die eigenen Familien, verrückte Ansichten über Regierung
im allgemeinen und Bösartigkeit und Verworfenheit der Kapitalisten im
besonderen. Aber als klarer eindeutiger Wille trat hervor die feste
unerschütterliche Absicht, nicht eher nachzugeben, als bis die
Organisation anerkannt sei und die früheren Löhne, wenn auch mit einigen
kleinen Änderungen, wiederhergestellt seien; denn, so sagte man in der
Union, die früheren scheinbar so hohen Löhne seien schon niedrig genug
gewesen, um den zahlreichen und täglich zahlreicher und höher werdenden
Forderungen des täglichen Lebens gerecht werden zu können. Und auch hier
wurde den Reportern bestätigt, daß man auf einen langen, auf einen sehr
langen Streik vorbereitet sei und einen sehr langen Streik erwarte, weil
es nicht mehr nur um Löhne ginge, sondern um Prinzipien, die nun
endgültig entschieden werden müßten.

So wurde in fetten Überschriften auf der ersten Seite der Zeitungen
erklärt, der Wahrheit gemäß, daß ein Kohlenstreik von unabsehbarer Dauer
begonnen habe, der die gesamte amerikanische Industrie, ja das gesamte
amerikanische Wirtschaftsleben lahmzulegen drohe.

Hätte Mr. Collins den Bericht selbst geschrieben und hätte er die
Zeitungen bezahlt, daß sie seinen eigenen Bericht drucken sollten, der
Bericht hätte nicht besser in seine Pläne passen können.


                                   9

Die Anthracite hatte – denn auch das gehörte zu dem Plane des Mr.
Collins – die übrigen Anthracite- und Kohlen-Companien vor Ausbruch des
Streiks davon unterrichtet, daß ihr Verkauf stocke, daß sie ihre Lager
überfüllen müsse und daß sie sich genötigt sehe, erhebliche
Veränderungen in Löhnen vorzunehmen.

Jene übrigen Companien waren überreich beschäftigt, weil die Anthracite
sich vorsichtig aus dem Markte zog. Deshalb verstanden jene Companien
nicht, aus welchem Grunde die Anthracite so kurz laufe im Verkauf. Wenn
aber eine der größten Companien keinen Verkauf habe, Lager füllen müsse
und Lohnkürzungen vornehme, dann geht etwas vor auf dem Markte. Das
wurde sofort von allen Companien begriffen.

Sie begannen vorsichtig zu werden und beauftragten ihre Lohningenieure,
neue Lohnskalen auszuarbeiten mit gekürzten Löhnen. Aber die neuen
Lohnskalen wurden noch nicht in Wirkung gesetzt, weil man vorläufig noch
genügend reiche Aufträge hatte und keine Unruhe unter den eigenen
Arbeitern hervorrufen durfte.

Als der Streik bei der Anthracite Co. ausgebrochen war und die Berichte
in den Zeitungen ihre Schuldigkeit taten, antwortete die Börse in New
York mit einem Nachlassen der Kohlenaktien, mit einem Unsicherwerden der
Aktien der Eisenbahnen und der Schiffahrts-Gesellschaften und mit einem
deutlichen Flauwerden von Stahlaktien. Es begann eine Stille in Wall
Street einzusetzen. Eine Stille, die nach wenigen Tagen ängstlich wurde
und sich jener Stille näherte, die gefürchteten Orkanen in Wall Street
vorauszugehen pflegt.

Aber es kam noch nicht zu einer Katastrophe, noch nicht zu jenem wilden
Hin- und Herkaufen von Papieren und unsinnigen Verschleudern von Werten,
die dem Zyklonzentrum am nächsten lagen. Es schien, als ob man sich
gewaltsam zur Ruhe zwänge. Denn niemand wußte, was da vor sich ging.
Jeder wollte erst einmal warten, bis er den richtigen Tip von jemand
bekomme oder den richtigen Tip vielleicht träumen oder von einem
Wahrsager erhalten könnte. Aber das ganze Geschäft an der Börse wurde
flau. Zwei Tage darauf antwortete Chicago mit einer Flauheit, die man
seit vielen Monaten nicht erlebt hatte.

Als Ganzes jedoch genommen, war der Markt fest, weil die Werte, die
wenig mit Kohle zu tun hatten, tätig blieben und sich in der üblichen
Weile bewegten mit zwei Punkten herunter, mit fünf Punkten hinauf, und
morgen umgekehrt. Elektrizitätswerte begannen sogar auffällig
anzuziehen. Aber das stete Anziehen der Elektrizitätswerte schien zu
beweisen, daß man der Kohle immer weniger zu trauen anfange. Auf dieses
Anziehen der Elektrizität mußte, für jeden Eingeweihten klar, sehr bald
ein weiteres Nachlassen der Kohle folgen. Und dann natürlich begann der
Sturm zu fegen.


                                   10

Noch in derselben Woche zogen die Elektrizitätswerte, die von Kohle
unabhängig waren und ihre Kraft vom Wasser erhielten, plötzlich heftig
an und stürmten in einem Tage achtzehn Punkte hinauf.

Das war das erste Heulen des kommenden Orkans.

Die Schiffahrtsgesellschaften, die Eisenbahngesellschaften, die
Stahlwerke und die großen Kohlenhändler zeichneten keine neuen Verträge
und begannen nur zu kaufen für den Wochenbedarf. Ein Preissturz von
Kohle stand bevor, und ehe man nicht den neuen Preis kannte und ehe sich
der neue niedrige Preis nicht festgesetzt hatte, konnte man keine neuen
Verträge abschließen.

Nun begannen die übrigen Kohlen-Companien den schwer werdenden Markt zu
fühlen. Auf große Lager waren sie nicht vorbereitet. Denn große
Lagervorräte machen hohe Bankkredite nötig. Diese Bankkredite können
nicht über Nacht herangeschafft werden; sie erfordern Beratungen und
Verträge und Abberufung anderer Kredite. Die Banken wurden, infolge des
mehr und mehr unsicher werdenden Marktes, sehr vorsichtig im Kreditieren
von Kohlenvorräten, weil der Wert unsicher war. Wenn sie überhaupt
kreditierten, so kreditierten sie kaum mehr als den nackten Förderlohn
für die Kohle. So geschah es, daß die übrigen Companien keine
erheblichen Lager schaffen konnten.

Sie mußten die Kohle billiger fördern. Und nach dem üblichen System
konnte die Kohle nur dann billiger gefördert werden, wenn man die Löhne
der Arbeiter erheblich kürzte. Um sicher zu gehen, nahm man gleich die
Lohnskala der Anthracite-Company an.

Was blieb den Arbeitern übrig? Sie taten, was Mr. Collins wünschte, und
sie traten auch bei den übrigen großen Companien in den Streik, weil sie
sich den Lohnabzug nicht gefallen lassen konnten. Denn erstens hatten
sie Ehre und zweitens Familien.

Die kleineren Companien, die ja von dem Schwanken der Börse nicht so
sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, weil sie meist eine kleine, aber
sichere Kundschaft haben, wußten nun überhaupt nicht, was zu tun. Die
einen kürzten Löhne und verboten die Mitgliedschaft zur Union, während
die andern gar kein Risiko übernehmen wollten und einfach die Arbeiter
aussperrten und die Minen stillegten, um abzuwarten, was die Großen nun
erst einmal tun würden.

Alles das vollzog sich ohne ein geplantes und organisiertes Zusammen-
und Ineinanderarbeiten der verschiedenen Companien. Ein Zusammenarbeiten
mit den andern Companien hätte den Plan des Mr. Collins gestört. Aber es
war so geschickt von Mr. Collins gearbeitet worden, daß keine einzige
Company fühlte, daß sie absichtlich aus dem großen Raub ausgeschaltet
worden war. Mr. Collins hatte ja allen vorher mitgeteilt, daß die
Anthracite gefüllte Lager habe und Löhne kürzen müsse. Dadurch hatte er
den Schein bewahrt, daß er in Gemeinschaft mit allen Companien arbeite.
Niemand konnte ihm einen Vorwurf machen. Aber mit jener Mitteilung hatte
er gleichzeitig seine Pläne vollkommener gemacht und den Schleier über
seine Absichten gebreitet, den er nötig hatte, um ungestört arbeiten zu
können.


                                   11

Zweihundertvierzigtausend Minenarbeiter standen im Streik.
Zweihundertvierzigtausend Männer mit ihren Familien mußten von der
mageren Streikunterstützung leben, die ihnen die Unionen zahlten. Eine
Unterstützung, die geringer werden mußte mit jeder Woche, die der Streik
anhielt. Weil zweihundertvierzigtausend Familien weniger Geld hatten, so
konnten sie weniger kaufen. Und das riß Tausende von Geschäftsleuten und
kleinen Handwerkern mit sich, die gleichfalls weniger verdienten und
darum weniger ausgeben konnten, wodurch weitere Kreise wirtschaftlich in
Mitleidenschaft gezogen wurden. Jede Woche kamen mehr tausend Leute zur
Bank, um von ihren Sparguthaben abzuheben, weil sie leben mußten und
Verpflichtungen zu erfüllen hatten. So wurde das Geld in den Banken
knapp. Kredite zu bekommen, wurde immer schwerer mit jeder neuen Woche.
Der Zinsfuß wurde erhöht. Alles, was verpfändet werden mußte, bekam
weniger und weniger Wert. Die Leute mußten ihre teuer erworbenen
Möbelstücke für ein Zwanzigstel ihres Wertes verkaufen, um dafür Geld
für notwendige Lebensmittel zu bekommen. Darunter litten Möbelhändler
und Möbelfabrikanten sowie alle Leute, die Dinge verkauften oder Dinge
anfertigten, die jetzt weit unter ihrem Wert verschleudert wurden.

Die Arbeiter schlugen sich mit Polizisten herum und holten sich blutige
Köpfe. Sie stritten sich mit Fäusten in den Versammlungen, was
Streikbrecher sei und was unbedingt notwendiger Arbeiter sei, damit die
Mine nicht ersöffe. Sie schlugen und hetzten sich herum mit ihren
Frauen, die Geld haben wollten. Sie klagten die Sekretäre der Union an,
daß sie bestochene Agenten der Kapitalisten seien. Sie zerrissen ihre
Mitgliedsausweise der Union und spuckten darauf. Sie winselten bei den
Kolonnenführern um die Gnade, sie wieder aufzunehmen und sie nicht zu
vergessen, wenn der Streik zu Ende sei. Sie schworen, nie wieder zu
streiken, und wenn man die Löhne um sechzig Prozent kürze. Und sie
gingen zu den Hallelujasängern der Methodisten, der Baptisten und der
Episcopalians und warfen sich vor ihnen in den Staub der Kirchendiele
und wimmerten, daß ihre Seele nun geläutert und gerettet sei und daß sie
endlich in dieser schweren Prüfung heimgefunden hätten zu unserm Heiland
Jesus Christus. Und da waren die ewig Optimisten, die ewig Pessimisten,
die ewig Heulenden, die ewig Schimpfenden und endlich die
Kraftstrotzenden, die die Zähne aufeinanderbissen und halblaut in sich
hineinfraßen: „Zehntausendmal lieber verrecken, als diesen Räubern einen
Cent nachgeben!“ Da waren alle, alle, alle vertreten, die man auch in
einer Revolution findet. In jeder Revolution. Menschen, die essen wollen
und nichts zu essen haben. Menschen, die für ihr geregeltes Essen ihre
Seele verkaufen. Menschen, die sich lieber in die Faust beißen, als daß
sie „Zu Ihren Diensten, mein Herr!“ sagen. Menschen und Menschen und
Menschen. Und unter ihnen die Allgerechten, die Pharisäer der
proletarischen Bewegung.


                                   12

Der Orkan war da.

Es rasselte in der Börse von New York, daß man seine strahlende Freude
daran haben konnte, wenn man keine Papiere besaß und nur neutraler
Zuschauer war.

Das flog nur so wie Fetzen.

Die Fetzen des stolzen und bewunderten Wirtschaftssystems.

Es hagelte und dröhnte. Die Wände des Gebäudes dieses ehernen Systems
erzitterten.

Die Telephonzellen der Broker, der Börsenagenten, krachten.

Dreißig Punkte rauf. Schnell verkauft. Aber ehe zugesagt ist, zwanzig
runter, und niemand kauft sie für dreißig runter. Vierzig Punkte runter.
Vier Punkte rauf. Hoffnung. Einen Punkt rauf. Cable über den Erdglobus.
Markt beginnt sich zu festigen. Vierzehn Punkte runter. Markt erneut
flattrig.

Drei Schüsse in drei verschiedenen kleinen Zellen in der Wall Street.
Jede Zelle kostet viertausend Dollar Miete im Monat. Eine Mönchszelle
ist ein Rittersaal dagegen.

Zwölf Punkte rauf. Drei runter. Sieben runter. Vier runter. Zwei rauf.
Telephonmädchen bekommen Krämpfe. Telegraphisten werden irrsinnig. In
den Büros der Banken und in den winzigen Stübchen der Agenten rasen die
schmalen weißen Streifen mit den Todesurteilen und mit den
Hoffnungsbelebungen aus den Mäulern der Privattelegraphen heraus mit
unerfaßbarer Schnelligkeit.

Vier Mann stehen herum und lesen. Und lesen. Und lesen. Lesen die
herausschießenden Ziffern, die unaufhörlich und gespensterhaft sich
verändern. Lesen und erfassen mit einem dünnen Nervenfädchen ihres
Unterbewußtseins den Sinn und die Bedeutung und den ganzen
wirtschaftlichen Zusammenhang jener wenigen Buchstaben, die den Ziffern
voranticken und die den Namen der Company, deren Werte hin und her
fliegen, denen klar geben, die zu den Eingeweihten gehören. Für den
Uneingeweihten sind jene Buchstaben ebenso schwer zu lösen wie
alt-ägyptische Hieroglyphen. Und die Männer, die herumstehen um den
Ticker, lesen und lesen. Lesen, mit der rechten Hand den weißen Streifen
zerrend, um ihn noch schneller herauszuholen aus dem unermüdlich
spuckenden Maule, mit der linken Hand den Telephonbecher vor den
bebenden Mund gepreßt, um Orders zu geben. Orders zu geben so schnell,
wie das splitternde Hirn Ziffern, Situationen und Aktien, die man an der
Hand hat, zusammenreimen kann. Hirne, Mäuler, Ohren, Münde, Buchstaben
und zerrende Hände sind gejagt von Mächten, die hier nicht gesehen,
nicht gefühlt, sondern nur empfunden werden.

Und der unendlich lange weiße schmale Streifen schießt heraus, springt
heran und flattert herum.

Der schmale weiße Streifen sprudelt und zischt heran, entscheidet in
einer Sekunde die Schicksale von Zehntausenden von fleißigen und
willigen Arbeitern, deren menschliche Persönlichkeit, deren
Individualität hier ausgelöscht ist und die nur noch den Wert von
einigen Punkten rauf oder runter in Aktien haben. Und der Streifen
entscheidet die Schicksale von Hunderten von molligen Bürgern, die
Studienpläne ihrer Söhne, die Heiratspläne ihrer Töchter, die
Behäbigkeit ihres Alters. Und der lange, schmale weiße Streifen rennt
und rennt und rennt über die Spulen. Getrieben, gejagt, gehetzt,
gezerrt.

Nachdem er seine Sprache geredet hat, ballt er sich auf unter dem
kleinen Tischchen, auf dem der Apparat tickt und tickt und tickt. Die
tickende Uhr des Weltgerichts für Tausende und Tausende. Der Streifen
ballt sich auf in einen immer größer werdenden Knäuel. Papierkorb.

Die erregten Männer stehen in dem Knäuel, der sich mehr und mehr um ihre
Füße schlingt, wie eine lange dünne Schlange.

Nachdem Giganten und Pygmäen versucht haben, so rasch zu entscheiden,
wie die Ziffern heranstürmen, bäumt sich der Streifen tot und vergessen
über den Papierkorb hinweg, zu einem wirren Haufen aufknüllend. Niemand
hat auch nur so viel Zeit, den Streifen einmal abzureißen. Er knüllt und
bauscht und bäumt sich rastlos weiter auf.

Und endlich sieht der Knäuel aus wie ein Skelett mit tausend
verschlungenen und vertwisteten langen dünnen Knöchelchen.

Der Leichnam finanzieller Gedanken.

Erdbeben in der Wall Street. Erdbeben des Wirtschaftssystems.

Jeden Tag Selbstmorde von Männern, die gestern groß, mächtig,
unangreifbar, unerschütterlich schienen und waren. Säulen einer
Wirtschaft, die so gesund und kraftstrotzend in die Welt blickte, als
müßte das Universum sich vor ihr verbeugen.

Niemand mehr vermag die Katastrophe zu beherrschen. Sie wird größer und
größer.

Was so mächtig und ehern erschien, dieses so wohlorganisierte, scheinbar
so klug durchdachte, so gefestigt sein sollende Wirtschaftssystem kracht
in allen seinen Fundamenten, weil ein Zweig unsicher geworden ist: Die
Kohle, die Nahrung der Industrie.

Niemand kann das Rad still halten. Es rennt, es rast schneller und
schneller und reißt tiefer und tiefer in den Körper der Wirtschaft
hinein.


                                   13

Bankstürme beginnen. Die Sparer sind von Panik erfaßt worden. Sie
fürchten, nein schlimmer, sie sind sicher, daß ihr Geld, für das sie
gespart und gedarbt haben, verloren ist. In unendlich langen Reihen
stehen sie schon vor Mitternacht vor den Banken, um die ersten zu sein,
wenn die Kassen öffnen. Je früher man da ist, je größer die Möglichkeit,
noch etwas zu retten. Das geordnete Leben der Banken wird zerrissen.
Alle Kräfte müssen heran, um auszuzahlen. Niemand zahlt etwas ein. Alle
Kredite werden aufgekündigt. Banken in andern Ländern werden bittend
angekabelt, auszuhelfen mit flüssigem Geld und mit Schecks. Alle
Reserven der nationalen Bankvereinigung werden aufgerufen. Aber die
Reihen vor den Banken verlängern sich.

Und dann beginnen die Banken zu krachen, weil sie nicht zahlen können.
Das Geld ist ausgeliehen; denn wenn die Bank kein Geld ausleihen kann,
dann kann sie ihren kleinen Sparern keine Zinsen zahlen. Erst krachen
die kleinen Banken. Die großen helfen sich noch damit, daß sie die
Kassenstunden auf zwei, endlich auf eine beschränken.

Dann beginnen auch größere zu krachen.

Und hinter all diesem Wirrwarr sitzt kein plötzliches Verschwinden eines
Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die
unwiederbringliche Werte vernichtete. Hinter all diesem Zusammenbrechen
wirtschaftlicher Ordnung und wirtschaftlicher Sicherheit, die ständig
bedroht wird von Aufwieglern, sitzt nichts anderes als die gestörte
Einbildung derer, die etwas haben, die unsicher gewordene Hoffnung
derer, die viel besitzen, und derer, die wenig besitzen. Alles das, was
nun in der Wall Street geschieht, beruht in nichts anderem, als daß die
Gedanken plötzlich, zu plötzlich, eine andere Richtung eingenommen haben
als die gewohnte. Massenhypnose. Massensuggestion. Die Suggestion, die
Einbildung: „Ich kann verlieren!“ reißt dieses schöne, von Gott
gewollte, von Gott begnadete, von Gott beschützte Wirtschaftssystem in
Fetzen. Und dennoch sind alle Werte gleichgeblieben. Die Werte haben
sich nicht geändert. Es ist ebensoviel Kohle auf Erden wie vorher. Alles
Geld ist noch da, und es ist kein Cent vom Erdball heruntergefallen in
das Weltall, aus dem er nicht mehr gefischt werden kann. Alle Häuser
stehen noch da. Alle Wälder. Alle Wasserfälle. Alle Ozeane. Die
Eisenbahnen und Schiffe sind alle noch unversehrt. Und Hunderttausende
gesunder und kräftiger Menschen sind willig, zu arbeiten und zu
produzieren und den vorhandenen Reichtum der Erde zu vermehren. Kein
Ingenieur hat die Fähigkeit verloren, neue Maschinen zu konstruieren.
Kein Kohlenschacht ist von einer Naturgewalt verschüttet worden. Die
Sonne steht leuchtend und warm am Himmel wie immer. Es regnet wie immer.
Das Getreide steht auf den Feldern und reift wie immer. Die
Baumwollfelder stehen in Pracht. Nichts hat sich am vorhandenen Wert
irdischen Reichtums geändert. Die Menschen, als Einheit gesehen, sind
ebenso reich wie gestern. Und nur darum, und allein nur darum, weil sich
der Besitz einzelner zu verändern und zu verschieben droht, darum bricht
eine Katastrophe für die gesamte Menschheit herein. Eine Katastrophe
gleich den Katastrophen vergangener Zeiten, wenn Hungersnöte in einem
Erdstrich ausbrachen und man keinen Ausgleich mit jenen Erdstrichen
schaffen konnte, die im Überfluß erstickten, weil Transportmittel und
Telegraphen fehlten.

Ein Wirtschaftssystem, eine Wirtschaftsordnung, geschaffen von Menschen,
die von sich selbst behaupten, Intelligenz zu besitzen. Menschen jedoch,
die trotz aller ihrer so hochentwickelten Technik, die sie schufen, noch
immer nicht die Primitivität völlig unzivilisierter Menschen überwunden
haben, soweit ein durchdachtes und wohl geregeltes Wirtschaftssystem in
Frage kommt.


                                   14

Die Wirtschaftskrise, gefürchtet gleich einem Strafgericht des Himmels,
und monatelang vorher, oder eigentlich ständig, in prophetischer Weise
mit drohendem Zeigefinger angekündigt von Kommunisten und Sozialisten,
die behaupten, so etwas immer voraus zu wissen, begann nun kräftig
einzusetzen.

Wirtschaftskrisen haben für neunundneunzig Prozent der Menschen etwas
Unheimliches an sich, etwas Mystisches. Denn neunundneunzig Prozent der
Menschen, ob religiös oder irreligiös, sehen in einer Wirtschaftskrise
die Zuchtrute einer übernatürlichen Gewalt, die mit dem kapitalistischen
System unlöslich verbunden erscheint und die sich offenbar von Menschen
nicht abwenden oder vermeiden läßt. Neunundneunzig Prozent der Menschen
leiden unter einer Krise. Die einen mehr, die andern weniger. Darum wird
sie angesehen, wie man in vergangenen Jahrhunderten Pestilenzen,
Hungersnöte und Mongolenüberfälle betrachtete.

Dennoch werden diese Wirtschaftskrisen keineswegs durch übernatürliche
und mystische Mächte hervorgerufen, sondern immer nur dadurch, daß eine
Einzelperson oder eine Gruppe von Einzelpersonen in das geregelte
Wirtschaftsleben gewalttätig eingreift, um es zu einem großen privaten
Vorteil auszunützen. Geht das Wirtschaftsleben seinen ruhigen Gang
weiter, ohne daß Paniken künstlich erzeugt werden, so können wohl
Schwankungen innerhalb der Wirtschaft vor sich gehen, aber es kann
niemals eine schwere Krise ausbrechen. Denn ganz so chaotisch, wie es
häufig erscheint, ist das kapitalistische Wirtschaftssystem ja nun
keineswegs. Die Kapitalisten machen zuweilen Dummheiten, aber sie sind
keine Narren. Und nur Narren werden sinnlos darauflos produzieren, ohne
stets beide Augen auf den Markt und dessen Aufnahmefähigkeit gerichtet
zu halten. Selbst Erfindungen und selbst Neukonstruktionen besserer
Maschinen können wohl den einen oder den anderen aus dem Sattel werfen,
aber selbst sie können keine Krisen hervorrufen. Etwas hat man immerhin
auf unserm Kontinent schon gelernt: Je höher die Löhne und je kürzer die
Arbeitszeit und je größer die Bildung der Arbeiter ist, desto
gesicherter ist der ruhige Ablauf des Wirtschaftslebens, und desto
schwieriger ist es selbst für einen Mächtigen, eine schwere Krise
heraufzubeschwören.

Wenn Hunderte und aber Hunderte von Millionen Tonnen bester Kohle
unauffällig und geschickt ihrer Bestimmung entzogen werden, ohne daß die
Menschheit sich darauf vorbereiten konnte, so muß das Resultat genau das
gleiche sein, als ob ein Erdbeben oder eine gewaltige Wasserflut die
Werte eines großen Teiles der Erde zerstörte. Aber eine Naturkatastrophe
kann das Wirtschaftsleben nicht so in Unordnung bringen wie eine große
Spekulation. Bei einer Naturkatastrophe weiß man, was geschehen ist, man
weiß, wo es fehlt und wo man und wie man anzusetzen hat, um den Schaden
wieder zurechtzurücken. Aber bei einer Spekulation weiß niemand, was
eigentlich geschehen ist. Niemand weiß, ob Kohle die Ursache ist oder
Geld oder Mangel an Eisen oder Erz oder Spekulation in Getreide oder in
Baumwolle oder in Öl. Darum kann niemand an die Quelle des Unheils
heran, weil die Quelle nur einem einzigen bekannt ist, der seine
Wissenschaft nicht verrät, um seine Vorteile in dem Wirrwarr zu finden.




5


                                   1

Es wurde nun recht lebhaft im Lande.

Volkswirtschafter, Großindustrielle, Bankiers schrieben weise Aufsätze
in den Zeitungen. Alle kamen zu dem Ergebnis, daß nur die Kohlennot, die
jetzt schwer fühlbar wurde, die Ursache dieser so unerwartet rasch
gekommenen Krise sei, und wenn man die Kohlennot beheben könnte, so wäre
die Krise bald zu Ende. Die Kohlennot war tatsächlich nun vorhanden.
Denn wenn alle Minenarbeiter streikten, so mußte in wenigen Wochen jeder
Brocken Kohle aufgezehrt sein.

In fetten Überschriften riefen die Zeitungen die Regierung an, den
Streik zu schlichten um jeden Preis. Aber diesem Vorschlag widersetzten
sich Hunderte großer Companien und Tausende von Großindustriellen, weil
ein Eingreifen der Regierung in den Streik die Freiheit von Handel und
Arbeit antaste und also gegen die Heilige Konstitution sei.

Die Regierung zeigte auch gar keine Miene, einzugreifen. Sie tat das
einzige, dessen eine Regierung heute fähig zu sein scheint: Sie sandte
Miliz und Maschinengewehre in die Streikdistrikte. Es kam zu
Beschimpfungen und Steinwürfen auf die Soldaten, weil ihre Anwesenheit
die Streikenden erregte. So wurde dann tüchtig in die Streikprozessionen
hineingepfeffert. Heute hier, morgen dort. Und alle Leute, die das
Gespenst der Kohlennot fürchteten – und das waren hundert Prozent der
Bevölkerung, nachdem die Streikenden abgerechnet waren –, sagten: „Das
ist gut, daß die Regierung da Ordnung schafft und den Anarchisten das
Hirn aus dem Schädel bläst; nun werden die Streikenden wohl zur Vernunft
kommen.“

Selbst Arbeiter und selbst organisierte Arbeiter waren den streikenden
Minenleuten durchaus nicht freundlich gesinnt. Wenn der Kohlenstreik
lange anhielt, dann mußten nach und nach auch alle Fabriken schließen,
und es gab keine Arbeit mehr. Es wurde zwar Geld an die Miners
geschickt, aber man tat es mit saurer Gebärde, und man knabberte an
jedem Cent herum, ehe man ihn endgültig leistete.

Der langsam einsetzenden Kohlennot folgte ein Kohlenhunger. Und dieser
Kohlenhunger begann schnell in eine Tollwut überzugehen. Es kam zu
Angstkäufen. Man kaufte Kohle für Jahre auf, um den Keller voll zu haben
und für alle Fälle gerüstet zu sein. Und war der Keller endlich so voll,
daß der Besitzer sagen konnte: „Meinetwegen kann der Streik fünf Jahre
dauern, ich bin gerüstet!“, dann war der Mann wahrhaft glücklich. Ob
sein Nachbar noch ein Kilogramm Kohle erwischen konnte, das war ihm
gleichgültig.

Das waren die kleinen Leute, die nur Kohle für das Haus brauchten.

Die Großen, die Eisenbahn- und Schiffsgesellschaften, warteten noch,
weil sie noch nicht klar sehen und vorläufig noch von Lager abheben
konnten. Aber die Kleinen bauten den Preis auf. Nach wenigen Wochen
kostete die Tonne Kohle im Großhandel, was sie bisher im Verkauf von
zehn Kilo, also im allerkleinsten Handel, gekostet hatte.

Die Großen begannen Verträge mit englischen, deutschen und französischen
Companien abzuschließen, um sich Kohle zu sichern.


                                   2

Nun mußte Mr. Collins, der bisher nur zugesehen hatte, wie sich sein
Plan abwickelte, wieder eingreifen, damit der Markt nicht vorzeitig sich
beruhige.

Die Reporter waren nur zu willig, Neuigkeiten von Mr. Collins zu
erfahren; denn sie hielten ihn bereits für einen ganz Großen, der alles
vorausgewußt hatte. Hätte man seine Prophezeiungen damals, als bei ihm
der Streik ausbrach, genügend ernst genommen, so wäre es sicher nicht zu
dieser Krise gekommen.

Als die Reporter nun wieder bei ihm saßen, um zu hören, ob er etwas
Neues wußte und wie er sich den weiteren Verlauf des Streikes denke, da
sagte er ganz ruhig: „Die Unionen sind schuld an der ganzen Not, unter
der die Nation jetzt leidet. Wir hätten uns leicht mit unsern Leuten
verständigen können. Es sind alles fleißige, nüchterne, ehrenhafte
Arbeiter, die wir haben. Einige wenige ausgenommen. Aber stets müssen
sich die Agitatoren und Aufwiegler der Union hineindrängen. Sie allein
verhindern jede Verständigung. Die Absicht der Unionen ist ja durchaus
klar. Ich brauche darüber nicht viel zu sprechen. Sie, als erfahrene
Zeitungsleute, wissen das viel besser als ich, der ich ja nur ein
Geschäftsmann bin. Es ist die Absicht der Unionen, das Wirtschaftsleben
der Nation in Verwirrung zu bringen. Und wenn es so verwirrt ist, daß
alle Menschen ohne Arbeit und Brot sind, dann wollen jene Leute die
politische Macht ergreifen und ihren sozialistischen Zukunftsstaat
verwirklichen. Das würde ein Ende unserer freien und wahrhaft
demokratischen Republik sein, für die unsere Vorväter so glorreich
gekämpft und gelitten haben und ehrenvoll gestorben sind. Denken Sie
sich, wenn unser Volk ausgeliefert würde jenen fremden Aufwieglern, die
ihrer anarchistischen Ideen wegen aus ihren unfreien Ländern vertrieben
wurden und nun eine gastliche Aufnahme bei uns fanden, weil wir niemand
seiner Meinung und seiner Ansichten wegen verfolgen und verstoßen. Zum
Dank dafür, daß wir ihnen Schutz und Gastfreundschaft gewährten, führen
sie unsere Nation zum Ruin.

Wenn wir in unsern Minen die Mitgliedschaft zur Union verbieten, so
wissen wir, was wir tun. Wir wollen die United States of America nicht
vernichtet und zertrümmert sehen von wahnsinnigen Wirrköpfen, sondern
wir wollen sie erhalten und aufbauen zu einem großen schönen Lande, in
dem jeder glücklich sein soll und kann, der guten Willens ist. Ich
glaube fest, treu und zuversichtlich, wie auch Sie, meine Herren von der
Zeitung, an unser gutes und erprobtes, echt amerikanisches Evangelium
von den beiden B, Bigger and Better, Größer und Besser, in bezug auf
unsere große Nation.

Die Vernichtung der Union ist gleichbedeutend mit der Erhaltung der
Nation. Darum können wir nicht nachgeben, weil wir höhere Interessen
haben als nur den nackten Geldgewinn. Die Erhaltung des Staates gilt uns
mehr. Sobald wir die Union der Minenarbeiter vernichtet haben, wird die
Union der Transportarbeiter vorgenommen. Sie ist, nächst der
Minenarbeiter-Gewerkschaft, die gefährlichste; denn sie hat das Rad der
Volkswirtschaft in ihrer Hand.“

Alles übrige, was Mr. Collins den Reportern erzählte, ist unwichtig. Man
kann es in jedem Traktätchen, das gegen das Proletariat geschrieben ist,
nachlesen. Mr. Collins legte auch auf das Fehlende nicht so großen Wert.
Er redete überhaupt nur noch alles übrige, um den Kernpunkt genügend zu
verschleiern. Er besaß diplomatische Fähigkeiten.


                                   3

Die Reporter veröffentlichten die Predigt des Mr. Collins wortgetreu und
auf der ersten Seite. So kam die Meinung des Mr. Collins auch richtig
hin zu denen, für die sie gemeint war und die nun erreicht wurden, ohne
daß es nötig wurde, Unionssekretäre mit einigen tausend Dollar
aufzukaufen. Diejenigen, für die die Weisheit des Mr. Collins gemünzt
war, waren die Transportarbeiter.

Als sie hörten, daß ihre Union die nächste sei, die folgen würde, sobald
die Minenarbeiter zermanscht seien, kamen sie in Wut. Sie taten Mr.
Collins den Gefallen. Sie taten alles ganz genau so, wie es Mr. Collins
gewünscht hatte. Sie taten es sogar viel besser, als er erwartet hatte.
Bediene dich gut erprobter Rezepte, und der Kuchen muß gelingen.

Die Transportarbeiter beriefen Riesenversammlungen ein. Sie sagten, es
geht um Leben und um Sterben. Es wurde beraten und gedonnert. Und heraus
kam der Beschluß, einmütig gefaßt: „Die Minenarbeiter müssen unterstützt
werden, die Minenarbeiter dürfen nicht verlieren. Darum wird kein
Kohlenschiff an unseren Küsten ausgeladen, das von England oder
Deutschland oder aus irgendeinem fremden Lande kommt. Notwendigenfalls
Sympathiestreik im gesamten Transportarbeitergewerbe, einschließlich der
Eisenbahnen.“

Die Magnaten ließen es nicht darauf ankommen. Transportarbeiterstreik,
der ja in den Vereinigten Staaten immer mit schwerer und sehr
kostspieliger Sabotage der Transportmittel verknüpft ist, konnte man
gerade jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Das hätte die Lage nur noch
mehr verwirrt, und man hätte dann alles aus den Händen verloren und
nicht mehr absehen können, wohin das endlich noch führen möchte.

Die Verträge mit den englischen und deutschen Kohlenhäusern wurden nicht
gezeichnet, und es kamen keine Kohlenschiffe an.

Ganz genau das war es, was Mr. Collins wollte.


                                   4

Von nun an ging alles wie geölt.

Mr. Collins arbeitete nach dem Rezept in der Bibel, nach jenem Rezept,
das Joseph, den Sohn Jakobs, aus einem vergessenen Gefängnisbruder zum
reichsten Manne und endlich sogar zum Vizekönig in Ägypten machte. Zum
Leidwesen vieler, in damaliger Zeit, wieder ein Fremder und wieder ein
Jude. Joseph, wie man wohl recht gut weiß, sammelte alles Getreide zu
billigen Preisen in den sogenannten fetten Jahren, als der Preis sehr
tief stand, und er verkaufte das Getreide dann in den Hungerjahren zu
Wucherpreisen. Die Bibel, wie so oft, erzählt uns das nur nicht richtig.
Sie erzählt das ein wenig verbrämt, damit der liebe Gott auch etwas von
dem Ruhme abbekommen soll. Man kann ja einem Juden nicht allen Ruhm
allein lassen. Und es ist seit jener ägyptischen Periode, daß die
Blutsgenossen des Joseph nach und nach den ganzen Getreidehandel
übernommen haben, besonders in den Staaten, weil ja die Christen doch
nicht richtig mit Getreide umgehen können und weil die Juden die längere
und reichere Erfahrung haben.

Mr. Collins war nicht Jude. Er wollte sogar den Juden die Einwanderung
in die Staaten verbieten. Aber es muß gesagt werden, daß er größer war
als Joseph und größer als der Earl of Beaconsfield, der es, geschickt
wie Joseph, verstanden und vermocht hatte, sich aus einem Benjamin
D’Israeli zum englischen Vizekönig emporzuarbeiten.

Mr. Collins war größer als Joseph und größer als Beaconsfield; denn es
ist ja immer so: Wenn jemand ganz groß und rücksichtslos ist, dann ist
er ganz bestimmt kein Jude. Und hierin liegt ein Trost für die, die
nicht Juden sind.

Mr. Collins war größer. Und er war moderner. Er bediente sich nicht
eines Traumes, den ein anderer hatte, sondern er bediente sich der
proletarischen Solidarität. Jener proletarischen Solidarität, von der
immer so viel geredet wird und die man so selten sieht, wenn ein
Mobilmachungsbefehl an die Mauern geklebt wird und wenn die Soldaten
ausmarschieren.

Mr. Collins hatte den Vorteil auf seiner Seite, daß die Menschen, die
Geld hatten, eine Todesangst ausstanden, daß die Solidarität des
Proletariats zu einer gewaltigen Macht werden könnte, die Welten zu
bewegen imstande sei.


                                   5

Mr. Collins war nicht sentimental. Er kassierte. Er kassierte die Sahne
der Nation. Ei, was mußte die Nation bluten! Die Tonne Kohle ging auf
den doppelten Preis. Auf den dreifachen. Auf den vierfachen Preis. Und
nun öffnete Mr. Collins die Scheuern und half der sterbenden Industrie
wieder auf die Beine. Er wurde der Retter der Nation. Würde er
politischen Ehrgeiz gehabt haben, man hätte ihn zum Präsidenten erwählt.
Er wurde ein zweiter Washington.

Die Company kassierte nur und kassierte. Sie hatte keine Ausgaben. Alle
Ausgaben hatte nur die Minenarbeiter-Union, deren reiche Kassen bis auf
den letzten kupfernen Cent geleert wurden. Ausgaben hatte nur das
Proletariat, das sammelte und sammelte, schimpfend und murrend, aber
doch sammelte für die hungernden Miners. Die Könige machen Krieg, und
das Proletariat blutet und stirbt. Magnaten machen einen großen
Fischzug, und das Proletariat opfert seinen letzten Cent und verhungert.
Immer das Proletariat! Und immer und nochmals das Proletariat. Verflucht
noch mal, Prolet, was bist du doch für ein Esel!


                                   6

Mr. Collins hatte, als die Schlacht geschlagen war und das
Wirtschaftsleben und Wall Street sich wieder zu beruhigen begannen, für
seine eigene Tasche einen kleinen Reingewinn von zart einer Million
vierhunderttausend Dollar gemacht.

Die Arbeiter hatte er nun nicht mehr nötig, sie waren nur Schachfiguren
gewesen. Schlimmer als Schachfiguren. Selbst eine hölzerne Schachfigur
weiß, daß sie Schachfigur ist. Aber die Arbeiter wußten nicht, und sie
haben es bis heute nicht erfahren, daß sie nur Figuren waren, die hin
und her geschoben wurden, von Mr. Collins. Die Arbeiter erhoben ein
großes Geschrei, daß sie den Streik gewonnen hätten, als sie wieder
zurückkehren durften in die Minen, daß ihnen der Lohn nur um zehn
Prozent gekürzt wurde, und daß man ihnen wieder ihre Union ließ, damit
sie sich daran erfreuen konnten.

Denn was kümmerten sich die Companien ernsthaft um die Unionen. Union
oder nicht Union. Der Arbeiter verhungert, wenn er keine Arbeit hat. Und
ob er Arbeit hat oder nicht, das bestimmt nicht seine Union, sondern das
bestimmt der, der nicht predigt, sondern der handelt und keine
Sentimentalität kennt. Prolet, du hast vortreffliche Lehrmeister.


                                   7

Mr. Collins zählte nicht die Gefallenen. Er stellte keine Verlustlisten
auf derer, die von der Miliz erschossen waren, derer, die auf Jahre
hinaus in Gefängnissen saßen, derer, die ihre Existenzen verloren
hatten, derer, die Selbstmord begangen hatten, derer, die ins Irrenhaus
gekommen waren, derer, die in Hospitälern lagen.

Es sind schlechte Generale, die sich um die Gefallenen kümmern.

Wir haben mit den Lebenden genug zu tun.

Und während der Prolet seine Gefallenen begräbt, beweint und beredet,
gewinnt sein Gegner Zeit, die neue Schlacht zu planen und vorzubereiten.




6


                                   1

Mr. Collins war jetzt oben. War vollberechtigtes Mitglied im Generalstab
des Wirtschaftslebens der Nation.

Aber alle die Männer, die bisher mit ihm gearbeitet hatten, also das
Direktorium der Anthracite Company, begannen sich vor ihm zu fürchten.
Sie alle hatten keine Sentimentalität. Aber sie besaßen noch genug
Zimperlichkeit, nicht bis zur letzten Grenze zu gehen.

Was die Anthracite getan hatte, war alles innerhalb der Grenzen des
Gesetzes geblieben. In allen ihren Handlungen war die Company vom Gesetz
geschützt. Jeder hatte das Recht, Lager aufzuhäufen, wann und wo und
wieviel er wollte. Und jeder hatte das Recht, seine Lager zu öffnen,
wann es ihm am günstigsten erschien. Die Anthracite hatte niemals in
diesem großen Raubzug mit Lügen gearbeitet. Sie hatte offen verkündet,
daß sie Lager auffülle. Und sie hatte das ganze Manöver durchgeführt,
ohne das Trustgesetz irgendwo zu verletzen. Sie hatte mit keiner anderen
Company ein trustähnliches Abkommen getroffen, um den Markt zu
beherrschen. Das Geschäft war so sauber, so ehrenhaft, so anständig wie
nur immer ein Geschäft innerhalb des kapitalistischen Systems sein kann.
Daß die Menschen sich in eine Panik jagen lassen, kann man nicht der
Anthracite zum Vorwurf machen. Dafür ist der liebe Gott verantwortlich,
der alles geschaffen hat und keine Maus verrecken läßt, wenn es nicht in
seinem Willen liegt. Ließen sich Menschen nicht erschrecken, könnte nie
jemand Millionen verdienen. Nie könnte jemand Menschen für seine
Privatzwecke gebrauchen, wenn die Menschen mehr Selbstvertrauen und mehr
Mut hätten und sich nicht fürchteten vor einigen Tagen Hunger und vor
dem Alter.

Wenngleich das Geschäft durchaus in gesetzlichen Grenzen geblieben war,
so scheuten dennoch die Herren des Direktoriums vor einem neuen
ähnlichen Geschäft zurück. Es waren da immer Zeitungen von Sozialisten
und anderen Leuten, die aus Neid nörgeln, die irgendwie Weisheit
bekommen und ein derartiges Manöver aufdecken können. Und alle die
Menschen, die unter diesem Raubzug leiden, werden zu Anklägern. Wo
Ankläger sind, da finden sich auch sofort Richter ein. Ein Mensch gilt
nur so lange als ehrenhaft, solange man seine Geschäfte nicht zu
durchschauen vermag. Keiner der Männer des Direktoriums konnte in das
Zuchthaus geschickt werden, aber alle konnten in der Öffentlichkeit
beschimpft werden als Zerstörer des Staates und als Förderer
sozialistischer Ideen. Ein Kapitalist, der durch gar zu rigorose
kapitalistische Manöver der Propaganda der Sozialisten und Anarchisten
Material liefert, ist einem Verbrecher gleich, und er ist schlimmer als
ein Anarchist.

Das erkannten die Herren des Direktoriums rechtzeitig. So blieben sie
auch verschont von den Stürmen, die einige Jahre später den
amerikanischen Kapitalismus durchschüttelten und die Sozialisten mit
Dynamit versorgten, von jenen Stürmen, die der große Ölskandal, der
sogenannte Tea-Pot-Dome-Skandal, verursachte. Stürme, die sogar den
Präsidenten der Republik, Mr. Harding, so durcheinanderschüttelten, daß
er krank wurde, sich hinlegte und sofort starb. So rechtzeitig starb,
daß man ihm – Ehre vor einem Toten, der sich nicht verteidigen kann –
nicht mehr genau nachrechnen konnte, wieviel Millionen er mit Mr.
Sinclair verdient hatte auf Kosten der Nation, während sein Kronprinz,
Mr. Coolidge, darüber die Sprache verlor und seitdem der größte
Schweiger unter den Präsidenten der amerikanischen Nation genannt wird.

So kamen die Herren des Direktoriums zu der Überzeugung, es sei das
beste, Mr. Collins, diesen Allzumächtigen, aus der Anthracite
hinauszukaufen.

Mr. Collins bekam seinen Anteil am Gewinn in Aktien der Anthracite, die
jetzt sehr hoch standen, weil der Bedarf an Kohle groß war und wieder
tüchtig gefördert wurde. Durch diesen Besitz der Aktien bekam Mr.
Collins eine hohe Stimmenzahl in der Company; und er hätte jetzt,
lediglich durch seine Stimmenmacht, die Company abermals in ein Manöver
verlocken können, was das Direktorium vermeiden wollte. Es hatte genug
an dem einen Manöver für lange Zeit; denn das Risiko an Skandal war denn
doch zu hoch für jene Herren. Mr. Collins wurde als Abenteurer
angesehen, der sich um Skandale nicht kümmerte. Damals noch nicht, weil
er noch im Aufstieg war. Später änderte es sich auch bei ihm in dieser
Hinsicht. Mit zunehmendem Alter gibt man mehr auf gesellschaftliche Ehre
und soziale Stellung als in der Jugend, wo man vorgibt, Bohemien zu
sein. Auch wenn man sonst keinerlei Berührung mit Kunst hat.

Die Herren boten Mr. Collins einen sehr guten Preis für seine Aktien. So
wurden sie ihn los und dankten Gott und gaben der Kirche.


                                   2

Ein Mann in den States mit einem Bank Account von einer und einer halben
Million Dollar, gewesenes einflußreiches Mitglied des Direktoriums der
mächtigen Anthracite Company, bekannt bei und gekannt von allen großen
Zeitungen als starker und smarter Knabe, ein solcher Mann muß zu einer
kapitalistischen Macht werden, auch wenn er gar nicht will. Er wird dazu
gezwungen. Er wird hineinverwickelt in alle großen Geschäfte und alle
großen Manöver. Das System duldet ihn nicht als Außenstehenden und nicht
als Zurücktretenden. Das System benötigt seine ein und eine halbe
Million Dollar, und das System benötigt seine Erfahrung, seine
Kenntnisse, seine Kraft und seinen Willen. Große Companien schenken ihm
Aktien, nur damit er drin ist, nur damit er an der Company interessiert
wird, nur damit er mit zu Rate gezogen werden kann. Die Banken lassen
ihn nicht in Ruhe. Er muß sich beteiligen hier und dort, weil man ihn
nicht für so schäbig hält, daß er sich mit vier Prozent begnügen könnte.
Und einem Manne mit dem Rufe, den Mr. Collins nun hat, kommt niemand mit
seichten Dingen. Man kommt ihm nur mit sicheren Sachen. Und nur mit
solchen Geschäften, wo achtzehn Prozent sicher sind wie der Tod. Nur die
kleinen Höker werden zu Dummheiten verlockt. Ein Mr. Collins nie. Wer
Kartoffeln fünfkiloweise verkauft und Petersilie für zwei Cent das
Sträußchen, der kann zu einem kleinen behäbigen Wohlstand gelangen, aber
er wird nie Millionen machen. Genau so wenig wie jemals ein Proletarier,
der immer in der Fabrik arbeitet und es nie wagt, sich einmal auf die
eigenen Füße zu stellen, fünfzigtausend Dollar für sich zusammenbringen
wird. Er würde dazu zehn Leben nötig haben, weil er ja stets nur einen
kleinen Teil dessen bekommt, was er produziert. Die wahrhaft großen
Vermögen werden nur gemacht von denen, die an den Nervensträngen der
Nation, an den Lebensnerven der Menschen zupacken. Und skrupellos
zupacken.


                                   3

Die Lebensnerven der zivilisierten Menschen sind: Getreide, Baumwolle,
Kohle und Eisen. Wer eines dieser vier Dinge beherrscht, ist
allmächtiger als der liebe Gott; denn er kann Kirchen bauen und Kirchen
verweigern, kann Pfaffen ernähren und Pfaffen verhungern lassen. Und
wenn der liebe Gott keine Pfaffen mehr hat, wird er schnell vergessen.
Fleisch, Leder, Häuser und Grundstücke sind auch wichtig. Aber der
Mensch kann sich mit Fleisch sehr einschränken, kann seine Schuhe bis
zum letzten Fetzen auftragen, kann sich sehr zusammenpferchen, daß er
jahrelang ohne neue Häuser auskommt. Aber Brot braucht er, seine Hemden
und Kleider aus Baumwolle sind nicht so dauerhaft wie Leder. Kohle
braucht er, um nicht zu erfrieren, um Licht zu haben und Hilfskraft für
seine Arbeit. Eisen braucht er für Werkzeuge, Maschinen und gelegentlich
für seine Schießprügel und Kanonen.

Alles das hatte Mr. Collins rechtzeitig im Leben begriffen. Darum hatte
er sich der Kohle bedient, um in den Sattel zu kommen.

Als man ihn aus der Kohle hinausdrängte, weil er zu gefährlich war,
mußte er nach einem anderen Lebensnerv der Menschen suchen, um mit Macht
spielen zu können. Besaß er Macht, so konnte er sich alle Genüsse
verschaffen, die das moderne Leben bietet. Spielte er mit Macht, so
konnte er alle Werte auskosten, die einem Menschen das Leben interessant
und lebenswert machen. Zu spekulieren und mit Macht zu spielen ist
erregender und köstlicher als am Roulett zu sitzen. Auf das Roulett kann
man keinen Einfluß ausüben. Am Roulett zu spielen, erfordert keine
Intelligenz. Jeder Trottel kann es, darum findet man in der Nähe eines
Roulettes auch nichts anderes als Trottel, Spitzbuben und Frauen, die
auf den Gewinn der Trottel warten.

Mr. Collins war kein Trottel. Er hatte Intelligenz. Und er war ewig aus
seinem Innern heraus gedrängt, seine Intelligenz zu gebrauchen.


                                   4

Es war die Zeit, als das Automobil aus seinen ersten schüchternen
Gehversuchen heraus war. Aber nur wenige erkannten die große Zukunft,
die das Automobil hatte. Der Glaube an die Unüberwindlichkeit der
Eisenbahn war noch unerschüttert. Die ersten Versuche mit Flugmaschinen
waren vorüber. Sie hatten vielen Männern das Leben gekostet, aber sie
waren geglückt. Man konnte bereits einige Kilometer weit fliegen und
eine halbe Stunde über dem Erdboden bleiben, bis man abstürzte und sich
das Genick brach, wenn man nicht vorher schon verbrannt war. Die
Vorarbeiten für den Dieselmotor waren auch geglückt und zeigten denen,
die Intelligenz besaßen und die nicht das Bestehende für die letzte
Weisheit menschlicher Fähigkeiten ansahen, bereits den Weg, den die
Technik gehen würde. Gehen mußte.

Mr. Collins erkannte mit seinem guten Instinkt, daß die Kohle als
Lebensnerv der Menschen zu verkalken begann und daß der Tag kommen
würde, an dem die Kohle unwichtig war, vielleicht gar entbehrt werden
konnte. Denn schon damals dachte niemand, der nur ein wenig Vernunft
besaß, daran, daß man Automobile und Flugmaschinen mit Kohlen heizen und
bewegen werde.

So kam es, daß Mr. Collins den jungen, frischen, unverbrauchten neuen
Lebensnerv der Menschen packte: das Öl.

Er tippte auch gleich die richtigen Stellen an, die damals noch ganz neu
waren. Er kaufte Felder in Kalifornien und in Oklahoma. Er kaufte in
Gegenden, wo kein Geologe Öl vermutet hatte. Und er gewann.

Er gründete die Condor Oil Co. Sie war sehr klein. Beinahe die kleinste
aller Companien an Kapital.

Aber sobald sie erst einmal geboren war, den ersten Schrei ausgestoßen
und den ersten vollen Atemzug getan hatte, da begann sie auch gleich zu
fressen. Und sie fraß und fraß. Fraß alle anderen kleinen und mittleren
Companien auf und verschlang alle Privatunternehmer. Und sie fraß und
fraß, bis sie so dick und voll war, daß sie gewichtig neben den
allergrößten Öl- und Petroleum-Companien stand, angesehen und
gefürchtet. Mr. Collins war so geschickt, daß er Manöver vermied, die
einen Sinclair, den mächtigsten Ölmagnaten, in einen der größten und
stinkigsten kapitalistischen Skandale verwickelten, die das
amerikanische Volk, das ja so unermeßlich reich ist an kapitalistischen
Skandalen, in den letzten Jahren gesehen hat. Ein Skandal, der so sehr
an den Fundamenten des kapitalistischen Systems rüttelte, wie das nie
eine kommunistische Propaganda fertigbringen wird. Daß ein System einen
solchen Skandal überleben kann, daß das Volk darüber sogar lachen und
satirische Chansons in den Vaudeville-Theatern anhören kann, ohne das
System auch nur anzuklagen, beweist, wie fest gefügt und sicher dieses
System noch steht. Beweist, daß dieses System mit den Mitteln, die
Sozialisten und Bolschewisten empfehlen, wohl schwerlich, wenn
überhaupt, gestürzt werden kann. In den Staaten einmal sicher nicht.
Noch nicht. Und jedenfalls nicht mit den angepriesenen Rezepten. Mr.
Sinclair wird nicht verflucht, sondern er wird bewundert, wie smart er
war, daß es ihm sogar gelang, die militärische Bereitschaft der Nation
zu kaufen und in Öl und Dollars zu verwandeln. Und seit Jahren arbeiten
sich die Rechtsgelehrten das Hirn in den Köpfen blutig, um
herauszufinden, nach welchem Paragraphen des amerikanischen Gesetzbuches
Mr. Sinclair und seine Spießgesellen auf Präsidentensesseln und im
Kabinett denn nun eigentlich verfolgt werden können. Ein Verbrechen
liegt vor. Ein Verbrechen, nach dem jeder Bürger, der nicht
Multimillionär ist, wegen schweren Hochverrats und Landesverrats mit dem
Tode bestraft werden muß. Es ist zwar kein Feind da, an den das Land
verraten werden könnte, denn Mexiko hat seine eigenen Sorgen. Aber es
könnte doch ein Feind da sein. Und daß ein Feind da sein könnte, dieser
Glaube muß dem Volke erhalten werden, und dieser Glaube muß genährt und
gezüchtet werden, damit die Stahlfabrikanten nicht verhungern und die
Erbauer von Panzerschiffen genügend Geld verdienen, um es mit ihren
Chormädchen der Follies in Paris und Berlin ausgeben zu können. Denn in
den Staaten ist die Unsittlichkeit mit Chormädchen und ähnlichen
Lebenshungrigen verboten. Darum ist sie so teuer. Und darum ist Mr.
Collins trotz seiner Millionengewinne immer in Geldnöten.




7


                                   1

Seine ewige Geldnot wurzelte in seiner Not, die er mit den Frauen hatte.
Teils mit den Frauen überhaupt und im allgemeinen, und teils mit den
bestimmten Frauen, die um ihn waren.

Wie er eigentlich zu seiner angetrauten Frau gekommen war, das hätte er
so genau jetzt nicht mehr sagen können. Er konnte sich jedoch recht wohl
erinnern, daß nicht er sie geheiratet hatte, sondern sie ihn. Sie hatte
weder Geld mitgebracht, noch hatte sie ihn in eine gesellschaftliche
Schicht gehoben, wo er einflußreiche Freunde hätte finden
können. Die Heirat hatte sich begeben, als er Clerk in einer
Versicherungsgesellschaft war und fünfunddreißig Dollar die Woche
verdiente. Mit fünfunddreißig Dollar Wochenlohn kann man ja auch kaum
erwarten, eine reiche Heirat zu machen oder in die bessere und darum
wertvolle Gesellschaftsschicht durch Heirat zu gelangen.

Der Heirat war nichts, aber auch gar nichts voraufgegangen, was man
heiße Liebe oder etwa gar romantische Liebe hätte nennen können. Der
ganze Vorgang hatte sich so trocken und nüchtern abgespielt wie ein
Abschluß der Einbruchsversicherung eines Möbelhändlers. Beide, Mann und
Frau, waren dann eines Tages ziemlich erstaunt gewesen, als eine Tochter
plötzlich geboren wurde. Denn beide hatten sich keine besondere Mühe
dazu gegeben, und beide hatten nichts besonders Auffallendes empfunden
in jenem Drei-Minuten-Funkspruch, der die Möglichkeit einer nicht
unwahrscheinlichen Geburt in Aussicht stellte.

Ob er eigentlich glücklich oder unglücklich verheiratet sei, dieser
Gedanke kam Mr. Collins nie. Er stand seiner Ehe neutral gegenüber. Er
erfüllte seine Pflichten als ewig geldgebender Unterhalter der Familie,
und er erfüllte seine übrigen Pflichten so sparsam wie zulässig und
begründete diese Sparsamkeit durchaus glaubhaft mit der Entschuldigung,
daß er überarbeitet und übernervös sei.

Da seine legitime Ehegesponstin seinen Hunger nach der Frau nicht
befriedigen konnte und nie befriedigt hatte und er eines Tages die Augen
öffnete und fand, daß es Frauen gibt, die wirklich fähig zu sein
scheinen, etwas Ähnliches wie Liebe empfinden zu können, begann er die
Frau zu suchen. Er suchte die Frau und fand eine und fand auch eine
andere.

Als er dann in die Höhe stieg und genügend Mittel hatte, das Beste zu
wählen, was zu haben war, läuterte sich sein Geschmack. Der geläuterte
Geschmack wurde natürlich recht teuer. Und er wurde um so teurer, je
mehr er sich läuterte; und er läuterte sich um so mehr, je höher Mr.
Collins stieg und je mehr Geld er ausgeben konnte. Alles das ergab sich
wie von selbst.

Daß sein Geschmack einen hohen Grad von Läuterung erreicht hatte,
vielleicht den höchsten Grad, den ein Mann von der Art des Mr. Collins
überhaupt je erlangen kann, bewies zur Genüge, daß er es vermocht hatte,
Betty zu gewinnen und Betty zu erhalten. Mit Geld allein hätte er Betty
nicht halten können; wenngleich natürlich sein Geld eine wichtige Rolle
in diesem Unternehmen zu erfüllen hatte. Betty verlangte mehr als nur
gerade Geld. Sie verlangte alles das von ihm, was er sich im Laufe der
Jahre, in denen er auf der ständigen Suche nach der vollkommenen Frau
gewesen war, im Umgang mit zahlreichen Frauen, angefangen bei
bescheidenen und weiterentwickelt bei den Künstlerinnen ihres Faches,
erworben hatte. Wäre er frisch und unentwickelt von seiner Ehefrau zu
Betty gekommen, so hätte er sich keine Hoffnung auf irgendwelchen Erfolg
ihr gegenüber machen können, auch wenn er doppelt soviel an Einkommen
gehabt hätte, als er zu dieser Zeit hatte. Trotz seines Geldes würde ihn
Betty verstoßen haben, auch wenn sie keine heilen Schuhe an den Füßen
gehabt hätte. Denn Betty verkaufte ihre Neigung nicht. Sie gab und
empfing wie eine Ehefrau.

Das Geld, was Mr. Collins an Betty verwandte, war in keiner Weise
verschwendet oder verloren, wie das Geld, das er auf Chormädchen
auslieh. Das Geld, das er für Betty ausgab, gleich wieviel, gleich in
welcher Weise, war eine seiner besten Kapitalsanlagen. Das wußte er
wohl, und das wußte auch Betty recht gut. Dennoch, und das muß hier auch
gesagt werden, um Mr. Collins gerecht zu werden, war er doch weit davon
entfernt, seine Beziehungen zu Betty als Kapitalsanlage zu betrachten.
In Betty und durch Betty hatte er, der reife Mann, wohl zum ersten Male
in seinem aufregenden und unromantischen Leben die Erkenntnis und das
Verständnis für das gewonnen, was zwei Menschen mit ihren Herzen
zueinander führt und zueinander hält.

Diese Erkenntnis hatte Mr. Collins als Mensch hart getroffen. Und wäre
er nicht von Natur aus sehr robust und durchaus unsentimental veranlagt
gewesen, so hätte ihn eine solche Erkenntnis aus den Angeln werfen
können. Aber damit hätte er Betty wieder verloren; denn seine
Unsentimentalität, sein völliger Mangel an Romantik machte ihn für Betty
erträglich. Sentimentale Säuseleien konnten ihr seelisches und
körperliches Erbrechen erzeugen.

Betty war von Hause aus reichlich mit angeborener Sentimentalität
versorgt. Das tat gewiß der Schuß schwedischen Blutes, der in ihr war.
Den größten Teil ihrer Sentimentalität verlor sie, als, aus rein
ökonomischen Gründen, ihre erste große und tiefe Liebe in die acht Winde
ging. Das war ein verteufelt harter Hieb gegen ihr Leben gewesen. Aber
der Hieb befreite sie von allen Schlacken bürgerlicher Primitivität, die
ihr bis zu jener entscheidenden Stunde noch angehaftet hatten.

Sie ging endlich als eine Persönlichkeit, die bewußt im Leben steht, aus
jener Katastrophe hervor. Und sie hatte eine große und leidenschaftliche
Freundschaft mit dem ersten Manne ihres Herzens gerettet, eine
Freundschaft, die haltbarer und größer an wahren Werten war, als je eine
noch so heiße Liebe werden kann.

Sentimentalität ist nirgends mehr hinderlich als im Leben. Und
Sentimentalität ist am meisten hinderlich in den Staaten, wo sie ein
Verbrechen ist und in vielen Fällen auch sehr schwer bestraft wird.

Den letzten schwachen Rest ihrer Sentimentalität verlor Betty dann als
Redaktionssekretärin, wo sie es lernte, Backpfeifen an aufdringliche
Redakteure und Reporter mit solcher nachdrücklichen Schärfe und mit
einer so überraschenden Häufigkeit auszuteilen, daß sie den Nicknamen
Beaty bekam, die Dreschende.


                                   2

Betty wuchs unter dem Einfluß des Allerheiligsten, in dem sie sich jetzt
befand, über die Fürstin hinaus. Sie wuchs hinan zu einer Göttin. Im
gegenwärtigen Augenblick zu einer Göttin der Rache, deren Blick und
deren Gebärde den Menschlein, die ihr nicht zu Willen waren, Unheil ohne
Gnade ankündigten. So hatte sie Mr. Collins noch nie gesehen.

Aber so hatte er auch noch nie mit ihr zu spielen und zu handeln gewagt,
wie er es in den letzten Tagen getan hatte, in denen er sie hinhielt mit
dem Versprechen, daß er die Garage und das Haus besorgen würde, und dann
gar nicht mehr daran dachte, sobald er sie nicht mehr hörte oder sah.

So konnte er seine Chormädchen behandeln. Aber nicht Betty. Hier hatte
ihn seine Weisheit, die er als Führer im Wirtschaftsleben der Nation so
sicher offenbarte, völlig im Stich gelassen. Er schwor sich jetzt zu,
daß er das nie wieder versuchen würde.

Ohne daß sie ein Wort weiter sagte, wußte er, daß die Geschichte nun
sehr teuer werden würde. Zehnmal teurer, als sie gewesen wäre, wenn er
gleich am ersten Tage, an dem sie den Wunsch aussprach, Garage und Haus
gemietet hätte.

Jetzt verlangte sie mehr. Sie sagte kurz: „Wann kaufst du das Haus?“ Von
einem Mieten des Hauses wurde schon gar nicht mehr geredet.

„Ja; also, wann kaufst du das Haus?“ wiederholte sie sachlich: „Montag
ist die Party. Dann muß möbliert sein. Alles, bis auf den letzten Ring
an den Vorhängen. Und Telephon und Licht. Ich will alles baden in Licht,
überfluten und überschwemmen mit Licht. Gentlemen“ – sie wandte sich
direkt an die Herren – „Gentlemen, Sie alle werden Mr. Collins und mir
gewiß die Ehre erweisen, bei der Party anwesend zu sein. Bringen Sie
alles mit, was Sie wünschen, alles Weibliche, was Sie an Freunden haben.
Es geht durchaus ungezwungen zu. Paris in Frisco. Verstehen Sie, meine
Herren. Ungezwungen. Importierter Prediger ist auch da, um Ehen zu
schließen und später, wenn die Paare finden, die Charaktere stimmen
nicht zueinander, sie wieder zu lösen. Und wenn Sie dann am Morgen
gehen, sind Sie frei wie vorher. Die Kosten für Eheschließung und
Ehescheidung müssen Sie selbst tragen. Das sind Privatkosten. Er macht
es billig. Imitation ist immer billig, und wenn Sie zwei oder mehr Ehen
schließen und scheiden während der Nacht, gibt er Ihnen Rabatt. Ist
Schwede. Versteht aber, was Sie wollen. War in Schweden wirklich
Prediger. In Stockholm. Sie haben ihm das Fahrgeld nach Amerika gegeben,
weil er über Kirchengelder, die fehlten, nicht Auskunft geben konnte, wo
sie geblieben waren. Collins, mein Liebling, du erinnerst die Herren,
bitte, an die Party.“

Sie ging auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihn und war wieder hinaus.


                                   3

Die Herren waren nicht aus dem Lachen gekommen, während sie im
Telegrammstil ihre Party empfahl. Sie alle sagten zu, daß sie kommen
würden. Sie sagten es im Ernst und mit Inbrunst. Und sie hatten nur
einen unangenehmen Gedanken, daß etwas dazwischenkommen könnte, was sie
verhindern möchte, bei der Party anwesend zu sein. Daß sie nicht ihre
Frauen mitbringen mußten, sondern ihre Freundinnen, die weniger
langweilig waren und auf jeden Scherz sprangen, ihn verstanden,
geschickt erweiterten und meist sofort praktisch anwandten, versprach
den Eingeladenen alle irdischen Genüsse, die die Großen der Nation nötig
haben, um ihre Spannkraft nicht zu verlieren und nicht durch Nervosität,
Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit zur Arbeitsunfähigkeit verurteilt zu
werden. Wer arbeitet, soll auch genießen. Und wer tüchtig arbeitet, der
soll auch nach dem Maßstabe des Wertes und des Gewinnes seiner Arbeit
genießen.

Es sei schon jetzt gesagt, daß alle Herren des Aufsichtsrates zur Party
kamen; daß alle mit ihren Freundinnen, oder was es sein mochte, kamen,
und daß alle am nächsten Morgen, lange nach vier Uhr, heimkehrten mit
dem Bewußtsein, daß sie alles genossen hatten, was sie erwartet hatten,
zu genießen. Jeder war wenigstens einmal verheiratet und einmal
geschieden worden. Und wenn er sich noch kräftig genug in den Lenden
fühlte, so war auch ein zweites Mal und ein drittes Mal geheiratet und
geschieden worden. Zehn Dollar kostete die Eheschließung und zehn Dollar
die Scheidung. Brautgemächer waren auch da. Die Kammermädchen, die für
die Bereithaltung der Brautgemächer zu sorgen hatten, bekamen für jede
Öffnung eines der Brautgemächer zehn Dollar von dem glücklichen
Bräutigam.

So ging am Ende ein jeder reich beschenkt nach Hause.

Es wurde nur darauf gesehen, daß jeder, der nach Hause ging, auch wieder
richtig geschieden war; denn es war wiederholt versichert worden, daß
der Prediger echt sei und daß die Heirat infolgedessen vor dem Gesetz
ihre Gültigkeit habe. Was die jungen Bräute bei der Scheidung von ihren
scheidenden und sich lösenden ehemaligen Ehemännern an Ablösegeld
empfingen, hatten die Paare unter sich selbst auszumachen, weil man die
Kosten für eine gerichtliche Entscheidung vermeiden wollte. Die Bräute
sagten auch alle vor der Eheschließung schon, wieviel sie erwarteten,
falls die Ehe noch in derselben Nacht, häufig in derselben Stunde,
wieder geschieden würde. Darum ging auch alles viel schöner, viel
reibungsloser – aber nein, reibungslos will ich nicht sagen –, viel
glatter, viel ordentlicher und mit viel weniger Zank und Gestank zu, als
das sonst im Leben geschieht, wo man Sachen ernst nimmt, die der Mensch
niemals ernst nehmen sollte. Aber nein, es muß immer gleich alles ewig
sein. Nun wohl, wenn ihr an ewigen Genuß, an ewige Liebe, an ewige Treue
glaubt, dann müßt ihr für euren törichten Glauben eben auch bezahlen, so
wie ihr der Kirche bezahlen müßt, wenn ihr daran glaubt.


                                   4

Als Betty gegangen war, wurde die Konferenz wieder aufgenommen. Aber
niemand wußte etwas zu sagen. Jeder hatte andere Gedanken. Gedanken an
die Fürstin, Gedanken an die eigene Geliebte, Gedanken an das
bevorstehende Fest, Gedanken an den Schimmer der Göttlichkeit, der für
einige Minuten im Raume geweilt hatte, wo alles ungöttlich war, wenn
auch sehr reich. Und es war keiner da, der nicht Mr. Collins in jenen
Augenblicken angesehen hätte, als wäre er nicht von dieser Welt. Wie
kann einem Manne wie Mr. Collins, einem Geldmanne, wenn auch einem
mächtigen Geldmanne, so etwas in den Schoß fallen!

Und diese Herren, die so geübt sind, sich zu jeder Minute auf jede
beliebige Sache mit aller ihrer Schärfe konzentrieren zu können, gaben
es auf und beschlossen, die Konferenz zu vertagen. Millionen von Dollars
blieben infolge dieser Vertagung, die Betty verursacht hatte, für einige
Tage länger in den Händen, in denen sie heute waren.

Die Tatsache, daß alle Herren zugesagt hatten, zur Party der Miß Betty
zu erscheinen, gab Mr. Collins nur noch vermehrte Macht in der Company.
Denn es war ja nicht nur Bettys Party, es war ja auch seine. Er bezahlte
ja die ganze Party. Und er bekam alle Herren nahe und zu einer
Intimität, die allen seinen Plänen nur günstig war. Um bei einem so
übertollen Feste zu einem reinen und vollen Genuß zu kommen, müssen alle
Gesetze gebrochen werden, die Bigamie, Nackttänze und Alkoholkonsum
unter schwere Strafe stellen und die abgestempelte bürgerliche Ehre und
Anständigkeit der Großen des Volkes bedrecken, wenn es bekannt wird.
Darum werden Verschwörer und Verbündete eines solchen Festes sich auch
immer willig zeigen, Verschwörer und Verbündete zu sein in Geschäften,
mit deren Hilfe man die Unkosten für jenes Fest zu bestreiten und die
Kosten für ein anderes noch tolleres Fest heranzuschaffen gedenkt.

Mr. Collins konnte bei diesem Fest seine Spießgesellen besser studieren
als in den Konferenzen. Hier lernte er ihre schwachen Seiten kennen, wo
er sie anpacken und niederzwingen konnte, wenn sie ihm nicht folgen
wollten bei der Ausarbeitung eines neuen großen Raubzuges.

So war es wieder Betty gewesen, die ihn zu größerer Macht erhob. Seine
Frau hätte das nie vermocht. Ihr fehlte die Gabe, Dinge so zu schieben
und zu lenken, daß niemand sah, wie und von wem gelenkt wurde.


                                   5

Es war ein kühner Schachzug von Betty gewesen, daß sie im rechten
Augenblick die Herren mit der Einladung überrumpelte. Sie tat es aus
zwei Gründen. Und sie tat es keineswegs so spontan wie es schien. Sie
hatte in zwei Sekunden die Situation übersehen und sofort zugeschlagen.
Sie erfaßte sofort den Kern. Sie wußte, daß, wenn sie die Herren einlud
und die Herren zusagten, daß Mr. Collins nun keine Ausrede mehr
gebrauchen konnte. Er mußte das schönste und teuerste Haus kaufen, das
zu haben war, er mußte das Haus verschwenderisch ausmöblieren, und er
mußte das Fest so reich halten, daß einflußreiche Millionäre, die
verwöhnt sind, sich nicht langweilten und das Fest etwa als eine „rotten
affair full of boredom“, eine ludermäßig langweilige Geschichte
bezeichneten.

Das war der eine Grund für ihre Einladung. Der andere Grund war rein
sachlich und geschäftlich. Sie verhalf Mr. Collins, ohne daß er es
ahnte, zu einer intimen Freundschaft mit jenen mächtigen Männern, was
seinem Geschäft nützlich war und dadurch ihrem eigenen Einkommen; denn
je mehr er verdiente, um so mehr konnte sie aus ihm herauswirtschaften.


                                   6

Nachdem die Herren eingeladen waren und zugesagt hatten, mußte Mr.
Collins in der Tat nach dem teuersten Hause suchen und es kaufen. Es war
ein Palast. Reich möbliert. Das frühere Eigentum einer Filmkönigin, die
mehr als Tempelhüterin der Venus verdient hatte als im Film, obgleich
sie auch im Film dreitausend Dollar wöchentlich machte. Aber das war nur
eine schlichte Nebeneinnahme, die gerade für die Unterwäsche reichte.
Die Filmkönigin hatte sich kürzlich einen neuen Palast bauen lassen, und
so war dieser Palast hier frei geworden.

Der Palast war in spanischem Kolonialstil erbaut. Der Innenhof war
überdacht mit Glas, das mosaikartig und reich in Farben gefaßt war. Es
war eine Bequemlichkeit besonderer Art, daß das Marmorbad, das bei dem
Fest eine so große Rolle spielen sollte, schon da war, im Innenhof, und
daß die Monturen des Bades reich versilbert waren. Es konnte geheizt
werden, und der ganze Innenhof konnte rasch auf tropisches Klima
gebracht werden. Das Bad selbst war an ähnliche Überraschungen, wie die
bevorstehenden, gewöhnt und fand sich freudig bereit, alles zu tun, was
man von ihm wünschte. Die Plätze für die drei Orchester waren so gut
verdeckt, daß man weder die Musiker sah, noch daß die Musiker – was
wichtiger war – unter keinen Umständen sehen konnten, was die taten,
denen sie aufspielten. Bei jedem Orchester war außerdem eine
Vertrauensperson, ein zuverlässiger Neger, der die Verantwortung für das
gute Verhalten der Musiker übernahm, um spätere Erpressungen mit Hilfe
von geglückten Blitzlichtaufnahmen zu vermeiden. Die Musiker wußten, was
geschah. Aber sie kümmerten sich um nichts. Sie hatten alle Familien,
wurden sehr gut bezahlt, und sie wußten, daß bei gutem Verhalten sie
auch bei ferneren Festen anderer Gastgeber zur Mitwirkung herangezogen
werden würden. Was auch immer man dem Luxus und dem Genuß nachsagen mag
an bösen Dingen, sie haben meist das Gute an sich: sie lassen andere
verdienen. So wird ein Ausgleich geschaffen, der die Achse der sich
drehenden Erde in ihrer Ruhe hält.

Betty trank nur drei Glas Champagner. Nur aus Höflichkeit. Sie
verheiratete sich nicht ein einziges Mal auf diesem Fest. Nicht einmal
mit Mr. Collins. Als er etwas andeutete, holte sie eine der freien
Bräute herbei, nahm beide unter den Arm und führte sie dem schwedischen
Prediger zu. Mr. Collins ließ sich vermählen, und Betty gratulierte dem
jungen Paar und übergab es einem Kammermädchen der Brautgemächer. Betty
hatte gelernt, Welt und Männer zu regieren. Die ganze volle Woche nach
dem Fest seufzte Mr. Collins in ihrer Gegenwart, wollte sich von seiner
Frau scheiden lassen, um Betty zu heiraten, gab ihr in seiner Tollheit
schriftliche Gelöbnisse – ein gefährliches Ding in den Staaten – und
erwürgte sie beinahe in seinem Hunger nach ihr. Sie zerriß die
Gelöbnisse vor seinen Augen und warf ihm die Stücke ins Gesicht.

Von diesem Tage an konnte er für sie morden.


                                   7

Er verfiel in eine Raserei des Machthungers. Er gab sich auf. Das will
sagen: Er gab sich auf als einer, der für sich selbst Macht erobern
möchte. Er wollte Macht zu keinem andern Zwecke mehr, als vor Betty und
in ihren Augen als der Mächtigste, der Klügste und der Kühnste
dazustehen. In alten Zeiten wäre er jetzt ausgezogen und hätte
Kontinente erobert.

Aber Kontinente werden heute nicht mehr mit Soldaten aus Fleisch und
Blut erobert. Und Generale und Generalfeldmarschälle haben ihren Nymbus
verloren. Als General Pershing sogenannt siegreich von den Feldern in
Frankreich heimkehrte, jubelte man ihm zu. Am Tage des Einzugs. Am
nächsten Tage war er vergessen. Die erste Seite der Zeitungen, die
gestern voll war von seinem Ruhm, ihn Alexander, Cäsar, Washington und
Grant gleichstellte, war heute überdröhnt von dem Fallen der Stahlaktien
und von der nahenden Sintflut des Bolschewismus. Niemand dachte
auch nur für einen Augenblick daran, ihn auf die Liste der
Präsidentschafts-Kandidaten zu setzen. Er war nur gerade ein
angestellter Metzgergeselle der Nation gewesen. Wer hat heute Zeit, sich
um arbeitslose Metzger zu bekümmern!

Die Armee eines Mr. Collins, die er ausschickt, um Kontinente zu
beherrschen – erobern will er sie gar nicht –, ist anderer Art. Seine
Armee besteht aus Agenten, die Prämien bekommen. Seine Soldaten sind
Schecks. Seine Kriegspläne bauen sich auf aus Renntips, aus den Tips für
das Rennen um Öl.

Es beherrscht nicht länger mehr der die Welt und die Menschen, der die
größte Armee, die besten Kanonen und die meisten Flugzeuge hat, sondern
der beherrscht die Welt, der das Öl beherrscht. Was kann der größte
Feldherr heute tun, wenn ihm Mr. Collins das Öl verweigert? Dann
schwirrt kein Bomben tragendes, kein Giftgas spritzendes Flugzeug durch
die Lüfte. Dann kriecht kein Kriegstank über das Schlachtfeld. Dann
schleppen keine Lastautos Armeen von einer Front, wo sie im Augenblick
nicht gebraucht werden, zu einer anderen Front, wo sie den Krieg
entscheiden sollen. Dann fährt kein Unterseeboot in den Meeren. Dann
bewegt sich keines der Riesengeschütze.

Wenn Mr. Collins sagt: „Ich habe kein Öl!“, so muß man es ihm glauben,
und niemand kann ihn des Landesverrats anschuldigen, denn niemand kann
Beweise bringen. Er hat die Pläne von den Rohrleitungen, von den
Zufahrtsstraßen, von den Brunnen, von den Pumpstationen. Mit wenigen
Kommandos kann er die Dinge alle so verwirren, daß keine hunderttausend
Hektoliter Öl herangeschafft werden können, ohne hunderttausend
Hektoliter Öl an Kraft unnötig zu vergeuden.

Man kann es wagen, die Gesetze der Rechte des Privateigentums zu
erschüttern dadurch, daß man allen seinen Ölbesitz konfisziert. Aber
wenn man nicht seine Kenntnisse, sein so kompliziertes System der
Förderung, der Verteilung und des Transportes gleichzeitig mit
konfiszieren kann, so ist der, der konfisziert, ebenso hilflos wie der
Franzose, der das Transportsystem des Ruhrgebietes in Deutschland
konfiszierte. Es bewegt sich. Freilich. Aber es bewegt sich so
schwerfällig, daß der Nutzen aufgefressen wird von der Bewegung.




8


                                   1

Es war zwei Tage nach dem Feste Bettys.

Mr. Collins kam in seine Office um elf ein halb Uhr morgens. Er fand
aufgehäuft auf seinem Tische die Rechnungen für den Palast, den er
gekauft hatte, für die Ummöblierung des Hauses, für die Party, für den
Champagner. Bei dem Schmuggel von Champagner, Whisky und anderen
Sorten Alkohols wird viel abgefangen, Tausende von Dollars an
Bestechungsgeldern müssen den Beamten der Prohibitionsüberwachung
gezahlt werden, hohe Summen an Strafen müssen aufgebracht werden.
Diejenigen, die an Stelle der Größeren die Gefängnisstrafen absitzen,
müssen unterstützt werden, damit sie ruhig bleiben und nicht reden und
damit man immer wieder andere findet, die neue Gefängnisstrafen
übernehmen. Alles das kommt in einer Flasche Champagner im Preise zum
Ausdruck. Und so ist es billig, wenn eine Flasche Champagner nur sechzig
Dollar kostet. Fünfhundert Flaschen Champagner waren auf dem Feste, die
Weine, Liköre und Whiskys nicht gezählt. Bei einem solchen Gelage wird,
wie bei allen solchen Gelagen, kaum ein Drittel getrunken, der Rest wird
vergeudet und ausgegossen von den Schwelgenden, in Trunkenheit, in
Übermut und im Protzen.

Ein roher Überschlag der Rechnungen, der Palast eingeschlossen, ergab
die lächerlich kleine Summe von achthundertvierzigtausend Dollar. Die
Rechnungen für die Kostüme und Juwelen der Betty standen noch aus, weil
die Lieferanten dieser Dinge höflich sind gegenüber denen, wo das Geld
sicher ist.

Die beiden Chordamen Mr. Collins’, die jüngsten Datums waren
hinsichtlich ihres Eintritts in das Leben des Magnaten, hatten von dem
Fest gehört. Sie waren aufs höchste erbost, daß sie nicht eingeladen
worden waren. Sie meldeten sich darum in ihrer wütendsten Stunde und
lagen fest auf Mr. Collins, ihren Zorn zu besänftigen. Sie drohten mit
Skandal, Briefen an die Zeitungen, Briefen an die Kirche, der Mr.
Collins angehörte, Briefen an die Agenten der Prohibition. Sie zählten
das nicht einzeln auf in ihrem Telephongeschnatter, aber sie sagten:
„Dann mache ich Sauce für dich, sweet Daddy, mein süßes Väterchen.“ Die
eine wußte noch immer nicht von der anderen. Mr. Collins wußte, was
Sauce bedeutete. Sie würden zwar die Sauce nicht machen; denn Mr.
Collins war ein zu guter und fetter Kunde, als daß man es voreilig mit
ihm verdorben hätte. Ein endgültiger Schlag wurde nur dann geführt, wenn
jede Hoffnung, sich ihn warm zu halten, für dauernd aufgegeben werden
mußte. Die Besänftigung ihrer Bosheit mit einigen neuen Kostümen, einem
Pelz und einem Brillantenarmband als Zugabe, schätzte Mr. Collins auf
rund fünfundzwanzigtausend Dollar.

Wenn alles schön beisammen war, was noch fehlte in dem Berg der
Rechnungen, die hier lagen und die noch zu erwarten waren, so kamen rund
neunhunderttausend Dollar in ruhiger Erhabenheit zusammen.

Mr. Collins sagte halblaut: „Purty in the neighborhood of one Million
nice little beautiful bucks, hübsch nahe einer Million guter und schöner
Dollar.“


                                   2

Als er das überdachte, schwankte er ein wenig, als ob er fallen wollte.
Denn obgleich er an Summen gewöhnt war, so war eine solche Ausgabe, die
unmittelbar aus seiner Tasche ging und die genau betrachtet nur einem
Zeitvertreib galt, doch so stark in ihrer Wirkung, daß er den Atem
unbewußt für einige Sekunden anhielt und dann in einem schweren Seufzer
ausstieß.

Diese gewaltige Summe warf seine gesamte Privatfinanz über den Haufen.
Es wurde ihm wirr im Hirn. Er wußte für den Augenblick nicht, wie er
diese Summe herbeischaffen konnte, ohne ein solches Loch in seinen
Finanzen zu reißen, daß kaum eine Aussicht blieb, es zu stopfen. Es war,
als ob plötzlich in ein gutes Schiff mitten im Ozean eine Platte
durchstoßen war und das Wasser in einem so dicken Strahl hereinschoß,
daß alle Pumpen dagegen machtlos schienen.

Denn neben dieser Summe, die plötzlich aus seinem Budget herausgerissen
wurde, liefen gerade in der gleichen Zeit viele andere Ausgaben, die
nicht aufgehalten werden konnten. Seine Frau wollte nach Paris gehen und
dort einige Monate leben, dann nach Deutschland und Italien. Seine
Tochter wollte und sollte nach England gehen und nach Dresden, um zwei
Jahre in Europa zu studieren. Flossy mußte auch nach Paris, weil sie
einen geschickten Arzt benötigte, der eine unvorsichtige Liebesnacht mit
Mr. Collins regulieren sollte. In Amerika war das zu gefährlich. Dann
brauchte Flossy, wenn es vorüber war, eine Erholung am Mittelmeer. Alle
diese Ausgaben konnten nicht vermieden und nicht aufgeschoben werden.
Mit der notwendigen Reiseausstattung für Frau, Tochter und Flossy
einbegriffen kam das auf etwa dreihunderttausend Dollar.


                                   3

Die Gedanken, die das Hirn eines Menschen, der sich in großer Erregung
befindet, innerhalb von zehn Sekunden durcheilen können – etwa, wenn er
soeben von einem vorbeirasenden Automobil am Arme gestreift wurde und
ihm bewußt wird, daß er buchstäblich nur um die Dicke eines Zündholzes
vom Tode entfernt war –, lassen sich kaum in einem dicken Buche alle
aufzählen. Die Fähigkeit des Hirns, im Zustande eines plötzlichen
Blutandranges rasch und dennoch logisch zu denken, ist ungeheuerlich.

Von den Tausenden von Gedanken, die Mr. Collins in den ersten Sekunden
hatte, als ihm die Summe, die er beschaffen mußte, zum Bewußtsein kam,
können hier nur einige aufgezählt werden.

Zuerst dachte er daran, sich zu erschießen, um dieser Aufgabe, jenen
Forderungen gerecht zu werden, zu entgehen. Aber das verwarf er sofort
wieder. Er war viel zu stark in seinem Wesen, als daß er in einer
solchen Art von Flucht eine Lösung hätte suchen können.

Dann dachte er daran, die Kaufverträge rückgängig zu machen oder den
Palast Agenten zu einem sofortigen Wiederverkauf anzubieten. Auch das
raste davon so schnell wie gekommen. Denn was Mr. Collins einmal
entschieden hat, das bleibt entschieden. Er ist viel zu stolz zuzugeben,
daß er irgendwelche Dinge übereilt getan haben könnte. Wenn er wirklich
den Palast verkaufen will, dann verkauft er ihn, wann er will, und
nicht, wann er gedrängt wird, weil er Forderungen nicht decken kann.
Seine Aufgabe ist, Geld zu machen, um das zu bezahlen, wofür er sich
verpflichtet hat.

Dann bekam er eine heftige Wut auf Betty, weil sie ihn derartig
überwältigen konnte, sie eine solche Macht über ihn besaß, so daß er
Überlegung, Berechnung und Urteil verlor. Aber die Wut verhauchte noch
im Entstehen. „Was kann denn sie dafür?“ sagte er in seinen fließenden
Gedanken. „Sie kann doch wahrhaftig nichts dafür; denn wenn ich nicht
will, brauche ich doch ihren Wünschen nicht nachzugeben. Wenn ich so
schlapp bin, daß ich tue, was sie wünscht, so ist sie durchaus im Recht,
mich zu nehmen für das, was ich wert bin.“ Gleichzeitig aber redete er
sich aus, daß er schlapp sei und ein Weiberknecht. Er war Manns genug,
zu wissen, was er wollte, und zu wissen, wem er gab und warum er gab. So
schlug die aufkommende Wut in einen Respekt gegen sie um. Er fühlte eine
tiefe Hochachtung ihr gegenüber, daß sie so smart sei, ihn so geschickt
zu behandeln, daß er tun mußte, was sie wünschte. Er wurde sehr stolz
auf sich und fühlte sich allen andern Männern überlegen, daß es ihm
geglückt sei, eine so smarte und dabei so elegante und stolze Frau zu
gewinnen und zu halten. Aus diesem Stolz heraus wuchs noch in derselben
Sekunde ein starkes Selbstbewußtsein. Ein erneutes Kraftgefühl
durchströmte sein Blut in dem Gedanken, diese Frau zu haben und für sie
Aufregungen durchkosten zu müssen. Seine Gedanken begannen sich jetzt zu
ordnen. Er begann, sich zu konzentrieren. Er verfiel in eine rasende
Sehnsucht, Betty jetzt im Arm zu halten und zu küssen, um gewiß zu sein,
daß er sie besitze. Sie allein war wert, daß er überhaupt lebte. Er
begann sie in einer ganz neuen Art zu lieben. Nicht nur mehr als Frau,
sondern als den einzigen Lebenszweck. Als einen Genius, der mehr wert
war als ein Genius, weil er auch Fleisch war und irdische Genüsse geben
konnte. Der Gedanke an sie, die ungemein starke Liebe, die er für sie
fühlte, die inniger wurde, weil er ihr abbat, daß er wütend auf sie
werden konnte, gab ihm eine unerhörte Schwungkraft. Alles
Pessimistische, was er eben gedacht hatte, alles Ängstliche verflog. Er
bedauerte plötzlich, daß er nur eine Million dreihunderttausend Dollar
zu decken hatte. Er wünschte, daß es zehn Millionen Dollar wären, die er
heranzuschaffen hätte. Er fühlte die Welt zu klein und eng werden, um
seine Kräfte spielen lassen zu können, um sich so zu entfalten, wie es
seinem Kraftgefühl wohl getan hätte. Eine und eine halbe Million Dollar
zu machen, das war gar nichts. Es war gar nicht der Rede wert. Das war
nur gerade die Arbeit für einen Stümper. Wenn er ansetzte, einmal
wirklich und ernsthaft ansetzte, dann wirbelten Milliarden. Dann sollten
Milliarden ihren mysteriösen Wertfaktor verlieren und nichts anderes
mehr sein als hilflose Objekte, mit denen er spielte.

„Eine und eine halbe Million?“ rief er laut aus. „Eine und eine halbe
Million? Nichts weiter? Ein Dreck. Fünf Millionen müssen herangeschafft
werden. Betty, du sollst deine Jacht haben. Du sollst die eleganteste
Jacht haben, die der amerikanische Kontinent zu bauen vermag. Und wenn
du die Jacht des Königs von England außerdem noch haben willst, ich
mache ihn bankerott und kaufe alle seine Jachten, Pferde und Schlösser
auf der Auktion. Eine und eine halbe Million Dollar. Was für lange
überflüssige Reden für ein Trinkgeld!“

Er war so laut geworden, daß seine Privatsekretärin an die Tür klopfte,
die Tür vorsichtig öffnete und leise fragte: „Haben Sie mich gerufen,
Mr. Collins?“

„Ja. Nein. Augenblick. Kommen Sie in einer Minute wieder, Ida, habe
dringende Briefe.“

„Yes, Sir.“ Ida machte die Tür geräuschlos zu.

Mr. Collins nahm das Telephon: „Lucky, wie geht es dir. Abendessen
heute. Siberts? Oder. Gut denn, Siberts. Hör, wie ist der Chauffeur?
Gut. Halt ihn fest an der Leine. Die Burschen wollen immer kommandieren.
Puffe ihn gleich am ersten Tag an seinen richtigen Platz. Wie kommst du
durch mit dem großen Haus? Besser, du nimmst noch einen Mann, der
zugreifen kann. Vielleicht auch noch ein Mädchen mehr. Also um neun. Wir
nehmen deinen Wagen. Das grüne? Nei–, ach nein. Sehe dich lieber im
blaßblauen. Nein, nicht doch. Scheitele das Haar. Gefällt mir mehr.
Aber, warum denn? Besser, du nimmst nicht die neuen Schuhe. Wollen doch
tanzen. Neue Schuhe machen immer rasch müde. Später? Weißt du doch. Bei
dir natürlich. Ich schicke meine Sachen und einen Officeanzug heute
nachmittag zu dir. Habe eine Überraschung. Hat was mit Perlen zu tun.
Nein, sage ich nicht. Also neun. Kuß. Bye, bye. Bin mitten drin in der
dicksten Arbeit. Bye, bye.“


                                   4

Und es war genau in dieser Minute, daß die Sekretärin wieder an die Tür
klopfte und – weil sie eine Vertraute war – sofort in ihrer leisen Art
eintrat, ohne das „Come in“ abzuwarten. Es war ihr schon einmal
geschehen, daß sie so herein kam, während sich Mr. Collins gerade mit
einem – nun sagen wir einem Chormädchen – in einer Weise unterhielt, wie
man sich gewöhnlich in seiner Office nicht mit einer Dame zu unterhalten
pflegt. Aber Ida hatte Takt. Es wurde nicht einmal bemerkt, daß sie hier
gewesen war. Aber Mr. Collins hatte es gefühlt. Und als jene Dame
gegangen war, rief Mr. Collins die Sekretärin herein und sagte: „Ida,
Sie sind eine der tüchtigsten Sekretärinnen, die ich je hatte. Sie
verstehen Ihre Arbeit und Sie haben Takt. Beide Dinge schätze ich. Hier
ist die Anweisung zur Kasse, von Montag ab bekommen Sie achtzig die
Woche. Ich habe später noch Briefe.“

Ida hatte bis zu jenem Tage nur fünfundfünfzig Dollar die Woche gehabt.
Nicht der Lohnerhöhung wegen, sondern wegen der Art, in der Mr. Collins
die Angelegenheit erledigte, wegen des Tones in seiner Stimme, wegen der
Tatsache, daß er mit keiner Miene, keinem Augenzwinkern etwas andeutete
oder Schweigen gebot, verehrte Ida seit jenem Tage Mr. Collins wie einen
Halbgott. Er hätte tun dürfen mit ihr oder in ihrer Gegenwart, was immer
er wollte, sie hätte jede seiner Handlungen als ein Sakrament
betrachtet.

Das war eine der Ursachen der Erfolge des Mr. Collins. Er sah einen
Menschen, und er wußte, wie er ihn zu gewinnen hatte. Die einen brüllte
er nieder, die andern redete er nieder und wieder andere streichelte er
nieder. Und wenn nichts half, schlug er sie zu Boden. Aber stets blieb
ihm eine lächelnde Höflichkeit eigen, eine Höflichkeit, die nichts
verbergen sollte, sondern die echt war und darum ihrer Wirkung stets
gewiß.

Ida sagte: „Die Herren sind da mit dem Report aus Mexiko. Es ist die
Sache mit der Rosa Blanca.“


                                   5

Und es war in diesem Augenblick, als Mr. Collins noch unter dem Eindruck
der einen und einen halben Million Dollar stand, die gedeckt werden
mußten.

Es war in diesem Augenblick, als, in dem Gedanken an Betty, seine Kraft
gigantische Größe annahm, fünf Millionen heranzuschaffen, um die
eleganteste Jacht für Betty zu kaufen und den König von England zur
Bankerotterklärung zu zwingen.

In diesem selben Augenblick war es, daß die Herren des
Grundstückdepartments der Condor Co. sich zur Beratung anmelden ließen,
um den Report des Licenciados Perez aus Mexiko vorzulegen und mit Mr.
Collins durchzusprechen und zu beschließen, was getan werden sollte: ob
man von der Rosa Blanca absehen oder ob man einen neuen Versuch
unternehmen sollte, die Rosa Blanca zu gewinnen.

Und weil der Report gerade in jenem Augenblick vorgetragen und zur
Beratung unterbreitet wurde, darum war es, daß Mr. Collins rief, rief
mit dem ganzen Kraftbewußtsein, in das er sich während der letzten
vergangenen drei Minuten hineingerast hatte: „Das Land, das ich haben
will und nicht kriegen kann, gibt es im ganzen großen Universum nicht.
Wäre es selbst auf dem Jupiter, ich hole es herunter. Die Weiße Rose
will ich haben. Und kein Gott und kein Präsident von Mexiko und keine
Anti-Imperialistische Liga kann mich daran hindern, die Weiße Rose zu
brechen. Ich will sie brechen, und ich werde sie brechen. – Danke für
heute, Gentlemen. Ich werde nachdenken. Werde Ihnen mitteilen lassen,
wann ich die Beschlüsse und Pläne genügend vorbereitet habe, um sie mit
Ihnen besprechen zu können. So long. Goodbye.“


                                   6

Nachdem jene Beratung mit den Herren des Grundstückdepartments vorüber
war, wurde erneut in allen Registern in Mexiko herumgesucht, ob sich
nicht doch noch eine Lücke fände, wo man die Besitztitel des Hacinto
Yanyez angreifen könnte. Es gab keine Lücken. Die Titel waren alt und
gut; und sie waren stets rechtskräftig erneuert worden, wann die Gesetze
es verlangten.

Der Gouverneur in Jalapa wurde erneut bearbeitet, den Verkauf der Rosa
Blanca durch ein besonderes Decreto zu verfügen mit der Begründung, daß
Staatsgründe über Privatrechten zu stehen hätten und daß aus
Staatsgründen der Verkauf der Rosa Blanca angeordnet worden sei. Es
wurde dem Gouverneur durch einen Diputado, den die Condor Co. für ihre
Interessen gewonnen hatte, auch gleich geschickt zu suggerieren
versucht, was die Staatsgründe seien.

Dieser Diputado, der wegen zwei Frauen, die er in Mexiko City außer
seiner eigenen Frau unterhielt, immer in Geldnöten war, versuchte dem
Gouverneur klarzumachen, daß der Staat die Einnahmen aus den
Ausfuhrzöllen für das Öl unbedingt gebrauche, daß jene Ausfuhrzölle eine
Lebensbedingung des Staates und der ganzen Nation seien. Aus diesem
Grunde müßte die Produktion und die Ausfuhr von Öl mit allen Kräften
unterstützt werden. Gemeinwohl ginge über Privatrecht. Die Rosa Blanca
enthalte vielleicht das reichste Ölfeld in Mexiko, und ein Gouverneur
dürfe gar nicht die Einnahmen aus diesem Öl der Nation vorenthalten aus
einer falschen Einstellung heraus und aus Rücksicht auf ein paar
Indianerfamilien, die irgendwo anders angesiedelt werden könnten.

Der Diputado hatte sein Verschen schön auswendig gelernt, besser als
seine inhaltlosen Reden, die er in der Camera de Diputados, dem
mexikanischen Parlament, zu halten pflegte.

Der Gouverneur in Jalapa jedoch ließ sich durch den schmalzigen Diputado
nicht in seiner Meinung beirren.

Er erklärte dem Licenciado Perez, der die Condor Oil Co. als ihr
Syndikus in Mexiko vertrat und der den Diputado vorgeschickt hatte, um
das Feld übersichtlich zu machen: „Ich werde den Fall noch einmal genau
untersuchen. Es liegt nicht in meiner Absicht, die Condor Company in
irgendeiner Weise zu schädigen oder ihre ernste Arbeit zu erschweren. Im
Gegenteil, ich betrachte es als meine Aufgabe, solange ich hier
Gouverneur bin, jede Produktion, sei es Öl oder sei es Zucker oder Holz
oder Baumwolle oder Früchte oder Landwirtschaft, zu fördern. Und ob es
sich um eine fremde Company handelt oder um eine mexikanische, das
bleibt hier ohne Einfluß auf mich. Die konstitutionellen Rechte eines
jeden in Mexiko, sei er Bürger oder Fremder, achte ich. Ich verspreche
Ihnen, Licenciado, daß ich mein Bestes tun werde, der Condor Company zu
helfen bei dem Ankauf der Rosa Blanca, wenn ich mich überzeugen kann,
daß der Besitz der Rosa Blanca für die Condor Company unbedingt
notwendig ist, um die Produktion von Öl zu fördern. Ich werde mit Don
Hacinto dann auch sprechen, und ich glaube versichern zu können, daß ich
ihn bewegen kann, dem Verkauf seiner Hazienda zuzustimmen. Aber ich
vergesse doch nicht einen Augenblick lang, daß auch Don Hacinto Rechte
und Meinungen in dieser Sache hat, die ebenso gut begründet sind,
vielleicht noch besser als die der Condor Company. Aber ohne das Für und
Dagegen genau untersucht zu haben, kann ich nicht urteilen und will ich
auch nicht urteilen. Ich verstehe, daß nicht nur Don Hacinto allein in
Frage kommt, sondern daß hier auch das Schicksal von sechzig oder
siebzig mexikanischen Familien in Erwägung gezogen werden muß.“

„Die können alle Arbeit bei der Condor Company bekommen, oder die können
auf Kosten der amerikanischen Company irgendwo anders im Staate
angesiedelt werden“, warf Licenciado Perez ein.

„Gewiß kann das getan werden“, sagte der Gouverneur. „Gewiß, como no,
warum nicht? Aber so einfach erscheint mir das denn doch nicht. Es steht
hier nicht nur das nackte Materielle in Frage. Es tritt auch noch etwas
rein Seelisches hinzu. Sehen Sie denn das nicht, Licenciado?“

„Ich weiß nicht, Senjor Gouverneur“, antwortete Senjor Perez, „was Sie
meinen. Worauf Sie zielen.“

Der Gouverneur lächelte ironisch. Er ließ seine blendend weißen Zähne
sehen, die in dem braunen Gesicht, das bewies, daß er reichlich viel
indianisches Blut aufgenommen hatte, wie hochpoliertes Elfenbein
glänzten. Er sagte: „Don Hacinto und die indianischen Familien geben
doch nicht nur Land auf, das ersetzt werden kann durch Land in anderer
Gegend der Republik, sie geben doch auch Land auf, das ihre Heimat ist,
das die Heimat ihrer Vorfahren ist, das in seinem Boden die Gebeine
ihrer verehrten Väter birgt. Sie geben Land auf, das gedüngt wurde mit
dem Blute, mit dem Schweiß, mit den Hoffnungen, mit der Trauer, mit der
Freude ihrer Väter und Mütter und ihrer selbst. Sie geben Land auf, das
um dieser Dinge wegen ihnen heilig ist, heilig wie mir meine Mutter,
mein Vater, meine Frau und meine Kinder sind.“

Nach einer längeren Pause, in der weder von ihm noch von Senjor Perez
etwas gesagt worden war, trat der Gouverneur wieder an seinen
Schreibtisch und sagte sehr sachlich: „Nun wohl, Licenciado, wie ich
gesagt habe: Ich erweise Ihnen gern eine Gefälligkeit, aus alter
Schulfreundschaft heraus, und ich bin auch gern bereit, der
amerikanischen Company gefällig zu sein, wenn es sich mit dem, was ich
für richtig halte, vereinbaren läßt. Aber ich will Ihnen nun doch sagen
– und das soll gelten –, daß, wenn die Company nicht sehr gute Gründe
hat, daß ich dann in dieser Sache nichts zu verfügen gedenke, daß ich es
dann Don Hacinto allein überlasse, was er tun will. Er hat das Recht, zu
verkaufen oder nicht zu verkaufen. Kann ich überzeugt werden, der
Verkauf der Rosa Blanca ist notwendig im Staatsinteresse, dann werden
wir weiter sehen. Kann ich mich von dieser Notwendigkeit jedoch nicht
überzeugen, dann schließe ich den Fall, soweit ich oder der Staat
Veracruz in Frage kommen. Was macht die Familie, Perez? Ist Maria schon
durch mit dem Examen in der Medizin?“

„Ah, noch nicht. Sie hat noch zwei Jahre zu machen. Meine Senjora ist in
Guadalajara bei meiner Schwägerin.“

„Meine Grüße, Perez. Adios. Adios.“

Die Herren schüttelten sich sehr freundschaftlich die Hände, und
Licenciado Perez verließ das Regierungsgebäude in dem Bewußtsein, daß er
gewonnen habe.

Er telegraphierte an das Hauptquartier der Company in San Francisco:
Gouverneur in Sachen Rosa Blanca gewonnen, noch etwas gedulden.


                                   7

Nachdem Licenciado Perez gegangen war, machte der Gouverneur einige
Notizen auf seinen Erinnerungsblock, dann drückte er auf einen der
zahlreichen Knöpfe des Klingelsystems und empfing die übrigen Besucher,
die sich zu persönlichen Conferencen angemeldet hatten. Es kamen
Direktoren von amerikanischen, mexikanischen, englischen, holländischen
Companien, es kamen Arbeiter in Overalls, es kamen Sekretäre und
Vertreter von Arbeitersyndikaten, es kamen Indianer aus fernen Winkeln
des Staates, es kamen Lehrer, Ingenieure, Architekten, Beamte der
Elektrizitätsgesellschaften.

So vergaß der Gouverneur bald wieder die Rosa Blanca.

Am Samstag reiste er zu einer politischen Conference in Mexiko City,
einer Conference, die vom Präsidenten der Republik einberufen worden
war. In dieser Conference wurde auch gesprochen, daß man nun bald daran
zu denken habe, die Paragraphen der Konstitution, die durch die
Revolution des Volkes geschaffen wurde, endlich in Kraft zu setzen,
insbesondere jene Paragraphen, die sich mit der Tyrannei der
katholischen Kirche befassen, und jene, die den Naturreichtum des
Landes, insbesondere das Öl, als Volkseigentum erklären.

Da erinnerte sich der Gouverneur wieder an die Rosa Blanca. Er machte
eine erneute Notiz in seinem Taschenbuch und unterstrich sie mehrere
Male.

Als er am Montag zurückkehrte, ließ er sich sofort alle Akten bringen,
die sich auf die Condor Oil Company bezogen. Er rief einen Ingenieur des
Arbeitsamtes zur Mithilfe herbei. Mit ihm studierte er alle Pläne der
Ländereien, die die Company besaß, zählte ihre Brunnen aus, studierte
die statistischen Aufstellungen ihrer Produktion, ihrer produzierenden
und ihrer toten Brunnen, studierte alle Parzellen, wo die Company
augenblicklich auf Öl bohrte, und alle Parzellen, wo die Company nicht
bohrte, berechnete alle Reserven an ölhaltigem Land, das die Company
hielt, und alle Reserven an zweifelhaftem Land, das die Company unter
ihrer Kontrolle hatte. Er notierte sich alles gut auf, und was er nicht
genügend verstand, das ließ er sich von dem Ingenieur, dessen besonderes
Arbeitsgebiet bei der Regierung die Überwachung der Ölfelder war,
ausführlich erklären.

Am nächsten Freitag nahm er sich drei Tage Urlaub für Inspektionen und
reiste mit seinem Burschen zur Hazienda La Rosa Blanca, um Don Hacinto
kennenzulernen, seine Meinung zu hören und die Hazienda zu sehen.

Er blieb zwei Nächte und einen halben Tag auf der Hazienda, aß mit
Hacinto am gleichen Tisch dasselbe schlichte Essen, das Hacinto aß,
schlief in dem Bett, das man ihm anbieten konnte und dessen Matratze nur
Bretter waren, über die zwei der üblichen Petates, Schilfmatten,
gebreitet waren. Mehr konnte ihm die Rosa Blanca nicht bieten, denn mehr
hatte sie nicht, mehr brauchte sie nicht, mehr hatte sie seit mehreren
hundert Jahren nicht gehabt, mehr wollte sie nicht haben; denn sie war
vollkommen glücklich in dem, was sie hatte.

Der Gouverneur besuchte mit Hacinto und Margarito alle Familien, die auf
der Hazienda wohnten, ging in alle Hütten, sprach mit allen Leuten,
hätschelte die Kinder, nahm das eine und das andere auf den Arm, gab
ihnen Zuckerwaren und kleine Geldmünzen. Wenn er eine Hütte verließ, um
zur nächsten zu gehen, folgte ihm die ganze Familie nach. So ging es von
einem Hause zum andern, bis er, bei der letzten Hütte angelangt, alle
Familien der Hazienda, mit allen Kindern, Hunden, Eselsfüllen und
Schweinen hinter sich hatte.

Niemand auf der ganzen Hazienda, auch Hacinto nicht, auch Margarito
nicht, ermüdete ihn damit, nach jedem zweiten Worte Senjor Gouverneur zu
sagen, niemand sagte ihm ein schmeichelhaftes Wort, niemand haschte nach
einer Gunst, niemand strengte sich an, ihn lächeln zu machen.

Aber in jeder Hütte, wo er eintrat, kam ihm der Hausherr entgegen, wenn
er nicht schon vor der Tür gestanden hatte, neigte den Kopf und sagte
schlicht: „A sus ordenes, Senjor, ich stehe zu Ihren Diensten; das Haus,
in dem Sie sich befinden, ist Ihr Haus.“

Die Frau des Hauses, immer ein nacktes Kind auf dem Arm, pflückte sofort
Blumen und gab sie einem der größeren Kinder, die nackt und halbnackt
herumliefen, damit es die Blumen dem Gouverneur überreiche. Dann ging
der Gouverneur, gefolgt von allen in einem Haufen, über die Felder der
Rosa Blanca, betrachtete sich den Mais, das Zuckerrohr, die Orangen- und
Zitronenpflanzung, die Trapiche, in der das Zuckerrohr ausgepreßt wurde,
das Baumwollfeld, die Papayapflanzung, die Bananenpflanzung, die Weide,
wo die Kühe waren, die Mules, die Pferde, die Esel. Auch den Papagei,
der ein häßliches Schwein zum Freunde hatte und sich mit den andern
Schweinen herumzankte, mußte er sehen. Alles, was zu sehen war, sah er
sich an. Sah sich alles so an, als ob er in den Ferien wäre und
nirgendwo in der Welt ein Amt zurückgelassen habe, das viel Sorgen
bereitet, viel Arbeit mit sich trägt, viel Neid hervorruft und wenig
Freude bringt.

Der Gouverneur war in einer Großstadt geboren und aufgewachsen. Er hatte
immer nur in der Großstadt gelebt. Hatte in Mexiko City studiert. War
zuweilen von Freunden eingeladen worden auf die Haziendas der reichen
Mexikaner, die gleich Lords auf ihrem Besitztum leben, meist jedoch mehr
Großstädter als Landbewohner sind und mehr Wochen im Jahr in Mexiko, in
Puebla, in Queretaro oder in San Luis Potosi zubringen als auf ihrer
Hazienda, deren Leitung sie ihrem Mayordomo überlassen.

Zum ersten Male in seinem Leben war er nun auf einer Hazienda, deren
Besitzer Indianer war, und wo alle Menschen, die dort lebten, Indianer
waren.

Es geschah ganz unerwartet, daß in ihm sich plötzlich der Indianer
regte, der in seinem Blute war. Denn obgleich er gebildet war wie ein
gebildeter Amerikaner, obgleich er gekleidet war wie jeder amerikanische
Großstädter, obgleich er lebte, wie jeder zivilisierte Mensch in einer
Großstadt lebt, so war seine Hautfarbe, die Farbe und die Schwermut
seiner Augen, die Farbe und Strähnigkeit seines Haares doch so durchaus
gleich Hacinto, daß sie waren, als hätte beide dieselbe Mutter geboren.
Das weiße Blut, das er von einem spanischen Vorfahren in seinen Adern
hatte, war nicht stark genug gewesen, auch nur einen Schimmer in ihm zu
zeigen. Die Ur-Rasse des Kontinents war so mächtig, daß sie alles fremde
europäische Blut, das in ihm war, aufgesogen hatte, wie sie alles fremde
Blut nach und nach aufsaugt, das hier geboren wird. Denn das fremde Blut
unterliegt ja nicht nur dem Einfluß des indianischen Blutes durch
Mischungen bei der Zeugung, sondern es unterliegt auch denselben
Einflüssen des Klimas, des Wassers und der Nahrung, die in Jahrtausenden
die Eigenheit und Einzigkeit der indianischen Rasse schufen.

Und weil der Indianer in ihm sich regte, sich geltend machte unter
dieser Umgebung, darum begann er, mit den Indianern jetzt und hier zu
fühlen und zu empfinden. Dinge, die er vorher nicht verstanden hatte,
begann er jetzt in seinem Gefühl und in seiner Seele zu verstehen.

Als er zu Licenciado Perez von der Heimat und den Heimatsrechten der
Leute auf der Rosa Blanca geredet hatte, da sprach er rein theoretisch
von Heimat. Etwa so wie von Heimat in Gesetzesparagraphen geredet wird,
durch die Nationalität und Staatsangehörigkeit von Individuen festgelegt
werden soll. Heimat war dann ein allgemeiner Begriff, der sich durch
Dokumente ausdrücken ließ, durch Auszüge aus dem Geburtsregister
bestätigt und begrenzt wurde. Eine rein zufällige Sache, die durch den
Wohnungswechsel der Eltern und auch durch absichtliche und
unabsichtliche Fehler in den Registern beeinflußt werden konnte.

Hier nun aber sah der Gouverneur den Begriff Heimat von einer Seite aus,
die ihm bisher fremd geblieben war. Diese Heimat konnte durch Gesetz,
durch Register weder bestimmt noch beeinflußt werden. Diese Heimat war
eine Angelegenheit der Seele. Diese Heimat war etwas, das den Menschen
schuf. Den Großstädter sowie auch viele Bauern und Farmer kann man in
eine andere Großstadt oder auf eine andere Farm versetzen, und sie sind
sofort wieder daheim. Aber hier waren die Menschen so eins mit der Erde,
daß sie aufhörten Mensch zu sein, wenn sie aus dieser Heimat entwurzelt
wurden.

So kam der Gouverneur, aus seinem indianischen Blute heraus, zu der
Überzeugung, daß kein Öl auf der Erde, kein Automobil, kein Dieselmotor
wertvoll genug sei, dagegen Heimat auszutauschen. Öl und Automobile und
Flugmaschinen sind schöne Dinge, die dem Menschen viel Nutzen und viel
Erleichterung in seiner Arbeit bringen; aber was bedeuten dem Menschen,
insbesondere diesen Menschen hier, Öl und Motoren, wenn sie ihn in
seinem Wesen und in seiner Seele viel ärmer machen als er ist mit der
Heimat als Lebensbasis, mit der Heimat, die ihm Inbegriff alles dessen
ist, was Freude, Glück, Zufriedenheit, Ruhe, Lebenssicherheit, Liebe,
Poesie, Kunst, Religion, Gottheit, Paradies sind.

Wir alle, wir Armen, wir freuen uns an der Maschine, am Flugzeug, am
Radioapparat, am Fernkino nur darum, weil wir unsere Heimat verloren
haben. Der Verlust unserer Heimat ließ uns stumpf und zerrissen zurück.
Um uns zu betäuben, um unseres Verlustes, unseres Schmerzes uns nicht
bewußt zu werden, darum brauchen wir Gasolin, das uns Schnelligkeit
vorzaubert, damit wir rascher fliehen können vor uns selbst und vor
unseren Herzensnöten.

Das alles kam hier jetzt dem Gouverneur zum Bewußtsein. Weil er
indianisches Blut hatte und in seinem Blute der Heimat noch näher stand
als der Weiße, der seine Heimat seit Jahrtausenden verloren hat und
seitdem rastlos in der Welt umherflitzt, immer getrieben und gehetzt,
niemals Zeit habend, niemals Zeit gewinnend, ob er Eisenbahnen baut und
Expreßzüge, oder ob er Flugzeuge baut oder drahtlose Telephone. Er wird
immer rastloser, immer gehetzter, hat immer weniger Zeit, je mehr er
auch erfindet, um Zeit zu gewinnen. Gejagt von einem Kontinent zum
andern, von Asien nach Europa, von Europa nach Amerika, von Amerika
wieder nach Asien. Dann Kriegszüge und Weltkriege, um eine neue Heimat
zu finden. Und alle seine Wissenschafter suchen und suchen vergebens, zu
finden, wo die Heimat des Weißen ist.

Und der Gouverneur sprach mit Hacinto und mit Margarito und mit den
übrigen Männern. Sprach mit ihnen, als hätte er sie gekannt seit
zehntausend Jahren. Er verstand alles, was sie sagten, und begriff
alles. Begann sich mit ihnen allen zu duzen. Trank mit ihnen Tequila und
Habanero aus derselben Flasche, die von Mund zu Munde ging.

Er, der Indianer, hatte heimgefunden, hörte zum ersten Male seine Seele
zu ihm sprechen, hatte zum ersten Male in seinem Leben das Bewußtsein,
daß er zu Hause sei, war zum ersten Male in seinem Leben wahrhaft
glücklich, zufrieden und eines unbekümmert freudigen Mutes, der keine
Furcht vor Sorgen kennt.

Er zog die eleganten braunen Schuhe von den Füßen und ließ sich von
Hacinto ein paar alte Sandalen geben. Zog den Rock aus, knöpfte den
Kragen ab, steckte den Kopf durch den Schlitz der Tilma und warf sie
sich über. Drehte sich Zigaretten aus Maisblättern. Aß Tortillas und
Frijoles. Schälte das Fleisch von den gebackenen Hühnchen mit den
Fingern ab und tunkte es mit den Fingern in die rotbraune Mole. Nahm
nach Indianerart das Salz prisenweise mit den Fingern auf und schob es
so in den Mund. Biß große Stücke von der grünen Chile ab und trank den
Kaffee schwarz und gesüßt mit dem braunen rohen Zucker, der auf der
Hazienda selbst gemacht wurde.

Der Gouverneur mußte alle Pferde reiten, um zu sagen, welches das beste
sei.

War der Gouverneur in der Stadt mit seinen Freunden zusammen und wurde
nicht über Politik geredet, dann wußten meist nach einer Weile weder er
noch seine Freunde, was man reden sollte. Und weil man keinen Unsinn
reden und keinen Klatsch breittreten und ausstänkern wollte, fanden sich
der Gouverneur und seine Freunde immer recht hilflos. Dann mußte man
sich mit Dominoklötzchen helfen oder mit Schach oder mit Billard oder
mit Karten; weil man nicht wußte, was man mit sich und mit seinen
Freunden beginnen sollte und man doch auch nicht ganz und gar verdusseln
wollte.

Hier, auf der Rosa Blanca, kam dem Gouverneur auch nicht für eine Minute
der Wunsch nach Domino oder Karten.

Er saß mit Hacinto und Margarito in Schaukelstühlen in dem Portico. Alle
Männer der Hazienda waren da. Einige saßen auf der Holztreppe, die vom
Hofe in den Portico führte, andere hockten auf dem Erdboden vor der
Treppe, wieder andere hockten im Portico, auf dem Fußboden aus dicken
Bohlen, andere saßen auf dem Geländer des Porticos, und wieder andere
lehnten sich gegen die Säulen. Sie mischten sich nicht in das Gespräch,
das die drei Männer, die in den Schaukelstühlen sich wiegten, führten.
Sie hörten nur zu, um zu hören und zu erfahren. Zuweilen flüsterte der
eine der zuhörenden Männer zu einem andern. Zuweilen rief Hacinto oder
Margarito einen der Männer herbei, um ihn etwas zu fragen, was auf das
Gespräch sich bezog, eine Auskunft über die Mules, über das Vieh, über
eine Familie und was es so gab im Leben auf der Hazienda.

Die Dinge, die der Gouverneur mit Hacinto und Margarito besprach, waren
so ureinfach, wie Dinge überhaupt nur sein können. Sie sprachen über
Mais, über Zucker, über Salz, über den Preis für Kühe und Schweine, über
Holz und Wald, über gutes und schlechtes Weideland, über den Ertrag
anderer Haziendas, über die Zahl der Kinder, die einzelne Familien
hatten, über Krankheiten des einen Mannes oder einer Frau, über
Kurmittel für Kühe, Pferde und Mules, über die Beschaffenheit der Wege
in der Nähe, über die weite Entfernung der Schule für die Kinder, die
nur unregelmäßig die Schule besuchten, über die Tatsache, daß Hacinto
noch im selben Jahr eine Schule bauen wolle auf der Hazienda und daß er
den Lehrer bezahlen werde, über Wetter, über die Menge des Regens, über
Trockenheit, über die Tiger, die im Busch herumfauchten und zuweilen ein
Kalb oder eine Ziege fortschleppten, über Moskitos, über Henequen, den
zu bauen man angefangen habe und von dessen Fasern man jetzt auf der
Hazienda alle Leinen und Lassos selbst anfertige und man sogar schon
überschüssige Ware verkaufte, und was es so an den Vorgängen und
Geschehnissen auf einer großen Hazienda gab.

Mit keinem Worte redeten die Leute von Politik. Ob Don Manuel oder Don
Justo Präsident der Republik war, darum kümmerte sich hier kein Mensch;
ob die Amerikaner in die Republik einmarschieren wollten oder ob sie in
den Häfen von Nicaragua mit Panzerschiffen protzten und dort Kanonen
abfeuerten, das war für die Menschen hier ohne jedes Interesse. Ihre
Heimat war nicht die mexikanische Republik, ihre Heimat war die Weiße
Rose; und Dinge, die sich nicht auf die Rosa Blanca in irgendeiner Weise
bezogen, existierten nicht für die Leute.

Dennoch, trotzdem es erschien, als hätten die Männer keine weiten
Interessen über ihre enge Heimat hinaus, so waren doch ihre Reden
zuweilen so voll von Weisheit und Philosophie, daß der Gouverneur mehr
als einmal aufhorchte und im Vergleichen so viele Meinungen, die er
anderswo gehört oder gelesen hatte, recht nichtig und unbedeutend fand,
nicht wert, über sie nachzudenken.

Hier mußte er immerwährend denken. Eine völlig neue Welt eröffnete sich
vor ihm. Eine Welt, von deren Existenz er nichts gewußt hatte, obgleich
er glaubte, alles studiert zu haben, was es auf Erden und in Büchern
gab. Alles war hier einfach und natürlich. Alles ließ sich sofort
verstehen, weil alles in natürlichen Dingen und Vorgängen wurzelte.
Nichts erschien kompliziert. Nichts war umkleidet und verkleidet von
Paragraphen, Formeln und Entscheidungen in Parlamenten und in
Obergerichtshöfen. Hier waren keine Gesetze, keine Katechismen, keine
Statuten, keine Parteiprogramme. Und trotzdem lebten die Menschen hier,
und trotzdem ging alles seinen Lauf. Nirgends war ein Zusammenstoßen,
nirgends ein Verwirren, nirgends eine Unklarheit. Die Frauen bekamen
alle viele Kinder. Für alle war Nahrung vorhanden, und alle wuchsen
heran, wenn sie die ersten Jahre überstanden hatten. Hier gab es keine
Probleme. Hier gab es keine sozialen Fragen. Hier gab es weder Reiche
noch Arme, weder Ausbeuter noch Sklaven. Und wenn es wirklich Streit
gab, so wurzelte er in so einfachen Ursachen, daß er mit einem Worte
Hacintos geschlichtet und so entschieden wurde, daß alle seine
Entscheidung als die einzige und als die richtige anerkannten. Es gab
hier keine Ungerechtigkeit, weil die Gerechtigkeit natürlich und
selbstverständlich war. Denn niemand dachte über Gerechtigkeit nach,
weil Begriffe von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit hier völlig fehlten
und sich nicht entwickeln konnten.


                                   8

Am Abend, als die Nacht schwarz war, wurde auf einem altarähnlichen
Block von Steinen, der in der Mitte des Hofes war, eine großer Haufen
Holz angezündet, der den weiten Platz des Hofes der Hazienda
erleuchtete. So wurde es getan seit vielen hundert Jahren.

Dann kamen alle Familien zum Tanz.

Einige Männer der Hazienda spielten auf Geigen, Gitarren und Flöten die
Tanzmusik. Es wurde zu den Tänzen meist gesungen von denen, die
musizierten, und von denen, die nicht tanzten.

Um Mitternacht oder so begannen alle Männer und Frauen zu singen, ohne
dabei zu tanzen.

Und dann sangen sie ihre Nationalhymne, das Lied ihrer Heimat, den
Gesang des heimatlichen Ranchos, das Lied von der Weißen Rose, die nahe
der Barranca so traulich und friedlich blüht seit ewigen Zeiten her:

   Wenn ich auch einst verwelken muß,
   Weiße Rose, du sollst blühen,
   Und mein letzter Lebenshauch
   Ist für dich mein Abschiedskuß.

Die Leute standen eine Weile still, vom flackernden Feuer des Altars
beleuchtet.

Dann begannen sie aus drängendem Gefühl, den letzten Sang noch einmal zu
wiederholen, begleitet von der schlichten Musik der Geigen, Gitarren und
Flöten:

   Cuándo llame la muerte a mi
   Pensaré en ti mi Rosa Blanca
   Y mi ultimo suspiro
   Lleve dulces besos para ti.

Hacinto und Margarito hatten das Lied mitgesungen. Den letzten Sang, als
er wiederholt wurde, sang auch der Gouverneur mit. Und als er sang,
dachte er, daß diese Hymne ebenso schön sei wie die Nationalhymne des
mexikanischen Volkes. Und er dachte, daß ihr eigenes Lied den Leuten
hier mehr sagte als die strahlend schöne Hymne der Republik, die zwar
süß ist und feurig zugleich, aber doch nicht den Frieden dieses
schlichten Gesanges hier atmet, denn sie beginnt mit einem schmetternden
Kriegsschrei, der alle Söhne und Töchter der Republik aufruft, ihr
schönes Land gegen den Feind, der es zertreten will, zu verteidigen.

Hätten die Mexikaner als Volk die brüderliche Liebe, die jene Menschen
hier auf der Rosa Blanca vereint zu einer einigen Familie, so brauchten
sie weder Amerikaner noch Briten zu fürchten; weil sie dann sicherer
wären als mit Soldaten und Geschützen. Denn kein fremdes Kriegsheer kann
weit in mexikanische Erde kommen, wenn es keine Verbündeten unter den
Mexikanern selbst findet. So war es, als Cortes in Mexiko
einmarschierte, so war es, als MacMahon in das Land zog, und so war es,
als die Amerikaner nach Chapultepec und siebzig Jahre später nach
Veracruz kamen. Der Feind des mexikanischen Volkes, sein größter Feind,
sitzt im Lande und nicht draußen. Das dachte der Gouverneur, als das
Heimatlied endlich verklungen war und die Leute wieder zu tanzen
begonnen hatten.

Der Tanz dauerte bis zum ersten Aufleuchten des Morgensternes.

Der Gouverneur tanzte mit den Frauen und Mädchen.

Er vergaß Bälle, Parlamentsreden, Regierungsgeschäfte und Öl-Companien.
Alles das hatte aufgehört in der Welt zu existieren.

Es waren nur noch in der Welt: Tanz, Musik, süße Lieder. Es waren nur
noch auf Erden, beleuchtet von einem rotgelben flackernden Feuer,
weißgekleidete Männer und Frauen in bunten Röcken und weißen Jacken,
reichgestickt mit roten, grünen, gelben Blättern und verzierten Ranken.
Es gab nur noch lachende, tanzende, schwitzende Frauen mit schweren
schwarzen Augen, nacktem braunen Hals und nackten braunen kräftigen
Armen. Nur noch Frauen und Mädchen mit glänzenden freudigen Augen und
mit leuchtenden Blumen und roten Wollbändern in das tiefschwarze dicke
Haar geflochten.

Es war nur noch Singen in der Welt, nur noch Freude, Sorglosigkeit,
Zufriedenheit, Sicherheit, ein loderndes Feuer auf einem Steinaltar.

Und Heimat. Und Heimat. Nichts als Heimat.


                                   9

Der Gouverneur war zurückgekommen nach Jalapa.

Er bestellte Licenciado Perez zur Audienz.

Sagte zu ihm: „Ich habe den Fall Condor Oil noch einmal genau
vorgenommen. Ingenieur Ramirez vom Industrie- und Arbeitsdepartment ist
mir behilflich gewesen. Er kennt alle Akten und Pläne. Wir haben
folgendes festgestellt: Die Condor Oil ist die zweitstärkste Company in
Mexiko, soweit der Besitz und soweit Leases von Ölland in Frage kommen.
Die Company hat bis heute nur ein Vierzigstel ihrer Ländereien unter
Produktion und unter Bohrungen. Selbst wenn die Company im gleichen
Tempo wie bisher weiter arbeiten sollte, was ich nicht glaube, dann hat
die Company noch für fünfzig Jahre genügend Land zur Verfügung und unter
ihrer Kontrolle, um so viel Öl zu produzieren, wie sie benötigt. Es
liegt also keine Notwendigkeit vor, ihr noch mehr Land – und jetzt
zwangsweise – zuzuschieben, um sie arbeitsfähig und produktiv zu
erhalten. Sie hat bei weitem noch nicht den zwanzigsten Teil derjenigen
ihrer Felder unter Arbeit genommen, die nicht zweifelhafte Felder sind,
sondern sichere und tragende Felder. Wir haben festgestellt, daß die
Company selbst jene Felder noch nicht angebohrt hat, die anzubohren sie
auf Grund der Konzessionen, die ihr gegeben wurden, verpflichtet war.
Wir haben das Recht, ihr diese Felder abzunehmen und sie frei zu stellen
für andere willige Companien oder für die Nationalproduktion, weil sie
die Konzessionsbedingungen nicht erfüllt hat. Wir denken vorläufig nicht
daran, sie zur Einhaltung der Konzessionsverpflichtungen zu zwingen, um
nicht den Anschein in den Staaten zu erwecken, als ob wir den fremden
Companien das Arbeiten erschweren. Die Condor Oil benötigt also die Rosa
Blanca nicht. Eine andere Company kommt nicht in Frage, weil die Condor
Oil alles Land rund um die Rosa Blanca unter Kontrolle hält mit ihren
Leases, soweit es nicht Besitz der Condor Oil ist.

Unter diesen Umständen kann ich nicht, selbst wenn ich Ihnen und der
Condor Oil gefällig sein wollte, ein Staatsinteresse vorschieben, um den
Verkauf der Rosa Blanca durch Decreto zu verfügen. Das wäre ungerecht
und unwahr.

Ferner: Dasselbe Staatsinteresse, das die Condor Oil anzurufen gedenkt,
um ihre Produktion zu heben, dasselbe Staatsinteresse zwingt mich, die
Rosa Blanca in dem Besitz zu lassen, in dem sie sich heute und seit
Hunderten von Jahren befindet. Der Besitzer hat nicht die Absicht, zu
verkaufen. Und das Staatsinteresse gebietet uns eher, die Rosa Blanca zu
erhalten und mit allen Kräften des Staates zu schützen, als sie für die
Produktion von Öl freizugeben. Die Condor Oil Company ist in Mexiko
registriert, aber ihre Aktionäre sind bis auf einen, den ich den
gesetzlichen mexikanischen Aktionär nennen möchte, keine mexikanischen
Bürger. Dahingegen sind alle Leute, die auf der Rosa Blanca leben und
von ihr leben, mexikanische Bürger, denen wir aus demselben
Staatsinteresse heraus, das die Condor Oil zu ihren Gunsten anruft, die
Heimat nicht nehmen können, die Heimat, auf die sie in ihrem Lande ein
konstitutionelles Recht haben.

Läge freilich der Fall vor, daß das Öl, das nach Angaben der Geologen
die Rosa Blanca in reichem Maße trägt, unbedingt notwendig gebraucht
wird und genügend Öl aus den Ländereien, die unter Kontrolle der
Oil-Companien stehen, nicht herangeschafft werden kann, dann muß die
Rosa Blanca geopfert werden. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Nach
menschlichem Ermessen wird ein solcher Fall in den nächsten fünfzig
Jahren nicht eintreten. Und tritt er nach fünfzig Jahren wirklich ein,
das zu entscheiden, was dann zu geschehen hat, ist nicht meine Aufgabe
und ist nicht die Aufgabe der Federal-Regierung. Dann wird Zeit genug
sein, den Fall zu entscheiden, und ich überlasse die Entscheidung den
Männern, die dann leben und regieren werden.

Und damit, lieber Licenciado, ist der Fall La Rosa Blanca für mich und,
solange ich im Amte bin, auch für die mexikanische Regierung
abgeschlossen. Wenn die Company dennoch den Kauf der Rosa Blanca von Don
Hacinto auf privatem Wege erzielt, so ist das eine Sache, die über meine
Rechte und Befugnisse hinausgeht. Die Regierung jedenfalls kann hier
nichts verfügen und wird hier nichts verfügen.“

„Ja, dann“, sagte Licenciado Perez, „dann muß die Condor Oil wohl eben
die Idee aufgeben. Ich habe das meinige getan.“

Der Gouverneur stand auf, ging um den Tisch herum und kam ganz dicht auf
Licenciado Perez zu. Er tippte ihn freundschaftlich auf die Brust und
sagte: „Das war es, Perez, was ich Ihnen amtlich zu sagen hatte. Und das
ist es, was als Schlußdokument in die Akten kommt, den Fall Condor Oil
Company und La Rosa Blanca betreffend. Persönlich aber möchte ich Ihnen
sagen: Lassen Sie die Finger fort von der Weißen Rose. Es wäre schade um
sie, wenn sie gebrochen würde und sich in ein stinkendes, lärmendes
Ölfeld verwandelte. Ich war dieser Tage dort. Sie ist ein Juwel. Und es
wohnen Menschen dort. Indianer. Prachtmenschen, die Lumpen und Banditen
werden, wenn sie die Weiße Rose nicht mehr haben. Wir haben doch genug
der Fälle in der Republik. Wer sind denn alle die Banditen und
Zugräuber, die wir haben? Alles Leute, denen eine Rosa Blanca
verlorenging, und die nun nicht länger wissen, was sie mit sich anfangen
sollen, die in den Städten verludern und dann auf den billigsten Ausweg
verfallen, sich am Leben zu halten, auf Stehlen und auf Morden. Außerdem
noch etwas. Es kann der Tag kommen, daß wir, die Mexikaner, Öl
gebrauchen und nicht wissen, wo wir es haben können, weil die Gringos
alles in Händen halten. Dann kann uns vielleicht die Weiße Rose zur
Rettung werden, kann vielleicht unsere letzte Rettung sein, weil die
Männer vor uns, besonders der Coyote Porfirio Diaz, das Land verkauft
und verschachert haben. Dann mag die Weiße Rose geopfert werden, dann
mag eine kleine Heimat geopfert werden, um eine größere Heimat, die
Republik, die Heimat des mexikanischen Volkes, zu erhalten. Ja, das –
das wäre dann eigentlich alles, lieber Licenciado. Wenn ich sonst für
Sie etwas tun kann, Sie wissen, Sie dürfen immer auf mich zählen.“


                                   10

Perez ging zur Western Union Cable Office und schrieb das Telegramm aus
für San Francisco: Rosa Blanca verloren.

Als er das Telegramm dem Beamten überreichen wollte, stand da ein
amerikanischer Zeitungsmann, der ein längeres Telegramm für die A. P. –
Associated Press, Telegraphendienst der Vereinigten amerikanischen
Zeitungen – aufgab und in der Preisverhandlung mit dem Beamten englisch
sprach.

Licenciado Perez fühlte sich plötzlich als Mexikaner, was er lange Zeit
vergessen zu haben schien, weil ihn die Condor Oil sehr gut bezahlte.

Er zerriß das Formular und schrieb ein neues Telegramm.

Es hieß nun: Rosa Blanca aus.

Damit wollte er sagen, daß die Weiße Rose aus dem Rennen endgültig
ausgeschieden sei.

Obgleich er für ihre Erhaltung nichts getan hatte, so fühlte er jetzt
dennoch eine stille Freude, daß die Weiße Rose für Mexiko gewonnen war.


                                   11

Sechs Tage später erhielt er einen Brief vom Hauptquartier der Condor
Oil, in dem ihm empfohlen wurde, dem Gouverneur auf geschickte Art
hunderttausend Dollar beizubringen, wenn nötig, seien auch
einhundertfünfzigtausend zur Verfügung. Zwei Schecks lagen dem Briefe
bei.

Perez antwortete sofort und riet der Condor Co., keine
Bestechungsversuche irgendwelcher Art gegenüber dem Gouverneur zu wagen,
sie könne dabei nur verlieren, und er könne ihr die übelsten Geschichten
machen, denn er sei nicht von dem Schlage, der in den Staaten in den
Filmen und in den billigen Romanen gezeigt wird.

Dann schrieb er einen zweiten Brief, in dem er der Company mitteilte,
daß er sein Amt als mexikanischer Syndikus der Condor Oil niederlege,
weil er mit anderen Geschäften zu überhäuft sei.

Nachdem er den Brief geschrieben und in den Umschlag gesteckt hatte,
überlegte er eine Weile.

Dann sagte er zu sich: „Das wäre eine Dummheit. Wenn ich helfen will und
Einfluß haben will, muß ich drinbleiben und darf nicht hinausgehen.
Nicht mehr drin, bin ich völlig machtlos. Dann kriegt vielleicht so ein
Weiberfeger, der seine Zeit und sein Geld in den Kabaretts verludert,
das Amt. Und um mit seinen Weibern und seinen Kognakflaschen fertig zu
werden, ist er immer hinter den Dollars her und verkauft seine Seele und
die Seele aller anderen und tut alles, was die da drüben kommandieren,
ob Ehre oder nicht Ehre.“

Er zerriß den Kündigungsbrief und blieb Syndikus. Schrieb jedoch in den
anderen Brief noch hinein, daß er dringend rate, die Rosa Blanca aus dem
Spiele zu lassen, weil die Stimmung im Lande gegen die fremden
Öl-Companien und gegen ihre Manipulationen zur Zeit nicht gerade sehr
gut sei.

Als Mr. Collins den Brief las, sagte er zu dem ersten Vizepräsidenten:
„Dieser Licenciado Perez ist einer der besten Anwälte, die wir da unten
haben können. Er steht glänzend mit der Regierung und mit den drei
Gouverneuren, mit denen wir zu tun haben. Er ist ein kluger Bursche.
Diplomat. Aber er ist nicht smart. Für bestimmte Sachen ist er nicht zu
gebrauchen. Wir werden besser tun, uns nebenbei einen Curbstone
Polisher, einen Eckensteher, zu halten, der den Daumennagel auf die
Knöchelsehnen zu drücken versteht. Werde darüber nachdenken.“




9


                                   1

Wer Mr. Chaney Collins nicht näher kannte, der mochte glauben, daß er
die Rosa Blanca aufgegeben und vergessen habe. Denn er regte sich nicht
auf, als die Telegramme und Briefe von Senjor Perez kamen. Die ganze
Erregung, die er der Rosa Blanca je zu widmen gedacht hatte, war zum
Ausdruck gekommen an jenem Tage, als der Bescheid von Senjor Perez
einlief, daß Don Hacinto nicht verkaufen wolle, selbst nicht für den
Phantasiepreis, der ihm angeboten worden war. In jener erregten Stunde,
als die eine und eine halbe Million Dollar Verpflichtung auf ihm
lasteten, versprach er sich, daß er die Rosa Blanca haben müsse. Mit
diesem Versprechen, das er sich selbst gab, war die Angelegenheit für
ihn dauernd entschieden. Die Rosa Blanca nun zu bekommen, war nur noch
eine Frage der Zeit und der darauf verwendeten Kleinarbeit.

Mr. Collins war gleich einem großzügigen Mörder. Die höchste Erregung
äußerte sich nur in jener Stunde, in der ein Mord beschlossen wurde. War
der Mord, also die Tat, erst einmal beschlossen, dann wurde er kalt und
nüchtern, konnte ruhig und klar darüber nachdenken wie über die Lösung
einer mathematischen Aufgabe. Nicht eine Spur von Erregung konnte jetzt
mehr seine Pläne beeinflussen. Das war eine andere Ursache seiner Größe
und seiner Erfolge, daß er die Erregung des Spielers nur in der Stunde
der Entscheidung hatte, in der Stunde, in der ein Plan oder richtiger
ein Ziel bestimmt wurde, und daß er, nachdem das Ziel gesetzt war, sich
in dieser Sache nie wieder erregte, sondern nüchtern blieb. Seine
Gedanken arbeiteten rein mechanisch, wenn es galt, die einzelnen
Schachzüge zu tun. Hatte er das Ziel gesetzt, so gab es für die
Betroffenen kein Entrinnen mehr. Sie waren wie eingeschlossen in einen
großen Raum. Sie glaubten sich noch frei, weil sie Türen sahen; aber sie
wußten nicht, daß die Türen geschlossen waren.

Aber die Wände des Raumes schoben sich immer enger und enger zusammen,
schlossen den Gefangenen immer dichter ein, bis endlich der Tag kam, an
dem die Wände den Gefangenen erdrückt hatten und er herausgenommen
wurde, zerbrochen und tot, um auf den Kehrichthaufen der früheren Opfer
geworfen zu werden.


                                   2

Mr. Collins hatte die eine und eine halbe Million Dollar auf Kredit von
seiner Bank nehmen müssen. Er war die Verpflichtung eingegangen, diesen
Kredit innerhalb einer bestimmten Frist abzulösen. Und da er es
unternommen hatte, nicht nur jene eine und eine halbe Million zu decken,
sondern noch drei und eine halbe Million hinzuzuschaffen, um Betty die
eleganteste Jacht der Erde zu kaufen und noch einiges andere mehr, so
war er im Grunde vorläufig genau so gut ein Gefangener wie die Opfer,
die er sich ausgesucht hatte. Nur war er ein Gefangener, der Willen,
Aktivität und Bewegungsfreiheit hatte, Ziel und Wege kannte, um sich aus
der Gefangenschaft zu befreien, während seine Opfer in der Verteidigung
waren und statt Aktivität nur Passivität besaßen. Sie konnten nicht
angreifen, und sie mußten sich verteidigen nach seinem Willen, mit dem
er den Angriff leitete. Sie waren auch schon darum im Nachteil, weil sie
nicht sahen, wo der Feind war, wer der Feind war, mit welchen Waffen er
kämpfte, welche Verbündete er hatte und wo er angriff. So war für sie
die Niederlage schon entschieden im selben Augenblick, in dem er den
Angriff eröffnete.

Aus den laufenden Geschäften der Company hätte er das Geld, das er
herbeischaffen wollte, auch herausholen können; aber es hätte mehr Zeit
gekostet, als er darauf verwenden konnte.

Statt gleichzeitig zwanzig neue Brunnen anzubohren, konnte er den Befehl
erteilen, daß gleichzeitig fünfzig neue Brunnen gebohrt wurden. Er
durfte damit rechnen, daß von fünfzig Brunnen etwa zehn bis fünfzehn
Brunnen mit Öl einkamen. Aber nach den Erfahrungen in den Feldern, in
denen gebohrt wurde, war kaum zu erwarten, daß die einzelnen Brunnen
mehr brachten als zwischen zweitausend und achttausend Hektoliter
täglich. Ob ein Brunnen tot wird, also kein Öl zutage fördert, oder ob
ein Brunnen tausend Hektoliter Öl täglich produziert oder hunderttausend
Hektoliter täglich, das ist gleich, so weit die Bohrungskosten in Frage
kommen. Jeder Brunnen zu bohren kostet so ziemlich das gleiche, ob er
tot wird oder ob er produziert.

Wenn also Mr. Collins in einer verhältnismäßig kurz beschränkten Zeit
fünf Millionen Dollar mehr verdienen wollte als sein übliches Einkommen
war, so mußte die Condor Oil Co., die C. O. C., wie sie im Ölgeschäft
kurz genannt wurde, um keine Zeit mit langen Worten zu verlieren,
innerhalb kurzer Zeit zweihundert Millionen Dollar durch eine besonders
hoch getriebene Produktion mehr verdienen als bisher, damit auf die
Aktien, die Prämien und die Tantiemen des Mr. Collins jener Betrag extra
kommen konnte.

Wird die Produktion durch geglückte Bohrungen und durch geschickte
Spekulationen und Manipulationen auf dem Markte derart hoch getrieben,
so verdiente nicht nur Mr. Collins in wenigen Wochen mehr als bisher,
sondern ebenso auch alle übrigen Aktionäre und Aufsichtsratsmitglieder.
Darum hat Mr. Collins alle jene Leute als Verbündete, weil auch sie alle
ihre besonderen Mehrausgaben für ihre Betties, Jachten und ähnliche
notwendige und unentbehrliche Zerstreuungen haben. Manche von ihnen
begrüßen eine erhöhte Dividende aus ihren Aktien mit noch größerer
Freude als vielleicht Mr. Collins; denn alle sitzen trotz ihrer
Riesenvermögen irgendwo fest, sind irgendwo verwickelt in Spekulationen,
müssen Erpresser und Erpresserinnen befriedigen, sind Käufe und
Verpflichtungen eingegangen und haben jeder einzelne ein Heer von
Faulenzern, die in Luxus leben wollen, an den Rockzipfeln hängen, ein
Heer von Verwandten und Nichtverwandten, die sich nicht abschütteln
lassen. Da zahlreiche ihrer Geschäfte, wohl die meisten ihrer Geschäfte,
immer gerade noch so haardicht an den Maschen des Gesetzes
entlanggleiten und zuweilen, in unbedachten Momenten, in die Maschen
hineinschlüpfen, so müssen Polizeigewaltige, Richter und politische
Athleten bezahlt und immer aufs neue bezahlt werden, Hunderttausende von
Dollar müssen an die politische Partei, die am Ruder ist, sagen wir, die
Republikanische Partei, bezahlt werden, und ist eine Sache gar zu heiß
geworden, dann muß eine Kirche gebaut werden oder ein Hospital oder eine
Bibliothek, um sich wieder aus den Maschen zu befreien. Heere von
Agenten und Spitzeln sind im ständigen Gehalt. Zeitungen müssen
aufgekauft oder gut ausbezahlt werden.

Die Verbündeten also, die Mr. Collins hat, sind die besten Verbündeten,
die man haben kann. Sie brauchen eine unerwartet hohe Nebeneinnahme so
dringend wie er. Und sie sind auch darum gute und die besten
Verbündeten, weil alle ihre Beziehungen haben. Der Schwager des einen
ist Polizeipräsident, der Bruder des andern Oberstaatsanwalt, der Vetter
eines andern Kongreßmitglied und die Schwester wieder eines andern hat
zu ihrem zweiten Bettgenossen ein Mitglied des Kabinetts.

Mit solchen Verbündeten läßt sich natürlich gut und leicht kämpfen.

Der Indianer Hacinto Yanyez hat solche gute Verbündete nicht. Darum ist
er auch hier wieder im Nachteil.

Was immer Mr. Collins auch tun mag, um seine Ziele zu erreichen und
seine Pläne durchzusetzen, solange jene Pläne den Erfolg haben, den man
von ihnen erwartet, also höhere Dividenden herauszuholen, wird es
sanktioniert von allen, die an der großen Schüssel sitzen. Und alle tun
ihre Bestes dazu, daß die Pläne sich verwirklichen. Denn in den langen
und verzweigten Kanälen fließen einige zehn Dollar gelegentlich selbst
bis zu jenem Polizisten, der von seinem ordentlichen Gehalt auf keinen
Fall seine große Familie ernähren und seine Söhne und Töchter auf das
College zum Studieren schicken kann, damit sie nicht wie er Polizisten
zu werden brauchen oder Stenotypisten, sondern Bankbeamte, und sie
dadurch dem Schüsselrande näher kommen als der Vater war.


                                   3

Die sozialistischen und die kommunistischen Zeitungen haben zuweilen
sogenannte Brumm-Redakteure, die alle Strafen, die auf die Zeitung
fallen, in irgendeiner Form abzubrummen haben, damit die wertvolleren
Arbeitskräfte der Zeitung erhalten bleiben.

Einen solchen Brummer hatte auch die Condor Oil Co. Dieser Brummer war
gegenwärtig ein Mr. Abner. Ursprünglich deutscher Herkunft. Sein Vater
hatte noch Ebner geheißen. Mr. Abner hatte College und Universität
besucht. Hätte er das nicht getan, so wäre er vielleicht ein ehrenwerter
Chauffeur oder Mechaniker geworden und hätte sich recht und wacker
durchs Leben geschunden, hätte gute amerikanische Bürger gezeugt, wäre
endlich eines Tages mit Anstand gestorben und eine Woche lang von seiner
zurückgelassenen Witwe und jenen neuerzeugten amerikanischen Bürgern,
nach Einkassierung seiner Lebensversicherung, geziemend beweint und
sachgemäß betrauert worden.

Aber Mr. Abner wollte im weißen Kragen gehen, auch des Werktags. Und
darum kam er nach Beendigung seiner Studien als Junior in ein
Anwaltsbüro, wo er alle die kleinen Schundsachen machen mußte, die ein
Anwalt mit aufnimmt, um sein Büropersonal beschäftigen zu können, damit
es nicht an den Bleistiften saugt und zum Fenster hinaussieht.

Mr. Abner war auch schon in jenem Anwaltsbüro ein Brummer gewesen. Jede
dreckige und jede windige Sache, die bei dem Anwalt unterlief, hatte Mr.
Abner, der Juniorteilhaber der Firma, zu verantworten. Er war der
stinkende Anwalt, während der Senior immer reine Hände behielt und alles
Geld einkassierte, ob es aus dem Gestank einer schmierigen Ehescheidung
kam oder aus dem Mistpfuhl einer Erpressung oder aus den
Schadenersatzklagen eines Gauners, der sich mit einem Stein das
Schienbein zerschlug, sich dann vor ein elegantes Automobil warf, von
dem er nicht überfahren, sondern nur gestreift wurde, und endlich aus
der Versicherung des Autobesitzers dreitausend Dollar herausschindete,
von welchem Betrag der Seniorteilhaber des Mr. Abner die Hälfte abbekam.
Auf allerlei verzwickten und gewundenen Pfaden und mit Hilfe eines
Ladenfräuleins, durch die er Bettschwager eines Aufsichtsratsmitgliedes
der Condor Oil wurde, gelang es Mr. Abner endlich, in der Condor Oil
Company zu landen. Er erhielt fünfundsiebzig Dollar die Woche, einen
jährlichen Weihnachtsbonus von dreihundert Dollar und wurde sechster
Syndikus der Condor Oil Company.

Mr. Collins, der ein gutes Auge für die Talente seines großen Personals
hatte, erkannte bald die weiten Fähigkeiten des Mr. Abner als Brummer.
Um ihn vorteilhafter gebrauchen zu können, machte ihn Mr. Collins zum
dritten Junior-Vizepräsidenten mit hundertfünfundzwanzig Dollar die
Woche, gab ihm zwei Aktien und Anrecht auf Prämien für Dinge, die Mr.
Abner geknobelt hatte. Mr. Collins hatte ihm bei der Rangerhöhung und
Lohnerhöhung gesagt, daß er, Mr. Abner, für alle Dinge, die er schiebe,
die volle Verantwortung zu übernehmen habe, daß er jetzt ablehnen könne,
wenn er wolle, daß er aber, wenn er akzeptiere, gebunden sei.

Mr. Collins war ehrlich. Er hatte gefunden, daß es sich besser arbeiten
läßt, wenn man jemand offen sagt, wozu er gut ist und wozu nicht. Und er
sagte Mr. Abner auch gleich, daß, falls er annehme und daß, wenn Dinge
rauchig werden, er etwa gar das Maul verdrehe, daß man ihn so blasen
würde, daß er sich glücklich schätzen würde, wenn er dann noch irgendwo
in den Staaten die Stiefel putzen dürfte.

Mr. Abner war ja kein Grünhorn und wußte sofort, was Mr. Collins damit
meinte. Abends, in einem Winkel, gab es Senge. Und was für welche! Und
wenn die Senge abgeheilt war, so konnte Mr. Abner nach Osten oder nach
Westen ziehen, nach Süden, Norden oder Zentral, er war keine zwei Wochen
in Stellung und das Haus bekam einen Brief mit dem Inhalt, daß sich Mr.
Abner eines unerhörten Vertrauensbruches schuldig gemacht habe, daß er
unzuverlässig sei, weil er ein wackliges Maul habe. Selbst wenn das Haus
Mr. Abner hätte behalten wollen, weil vielleicht hier ein verwackeltes
Zungenwerk keinen Schaden stiften konnte, so wollte es doch kein Haus,
sei es klein oder groß, mit dem mächtigen Mr. Collins verderben, und Mr.
Abner mußte weiterziehen, und wenn er großes Glück hatte, konnte er als
Reporter arbeiten auf Provision. Und das ist ein stachliges Bettchen,
Gnade Gott dem Schächer.

Aber Mr. Abner war nicht verwöhnt. Skrupel kannte er nicht. Schlimmere
Dinge als in seinem ersten Anwaltsbüro konnten nicht vorkommen.
Außerdem, eine Condor Oil Company läßt niemand, der ihren Dreck
gefressen hat, im Gefängnis verrosten. Eine Condor Oil Company kennt den
Wert einer Arbeit und bezahlt den vollen Wert. So nahm Mr. Abner den
Brummerposten an mit allen Bedingungen, die damit verknüpft waren und
noch verknüpft werden konnten, ohne daß sie jetzt erwähnt wurden.


                                   4

Dieser Mr. Abner war es, der nun in die Privatoffice des Mr. Collins
gerufen wurde.

Nachdem sich Mr. Abner gesetzt hatte, nachdem ihm eine der besten
Zigarren angeboten worden war, setzte sich Mr. Collins ihm gegenüber.
„Abner, ich habe eine Spezialsache für Sie“, begann Mr. Collins. „Eine
Sache, die ich nur Ihnen anvertrauen möchte, weil ich unter allen Herren
keinen weiß, der diese Sache geschickter und klüger handeln könnte als
Sie.“

So war noch nie in seinem Leben mit Mr. Abner geredet worden. Mr.
Collins hätte jetzt von ihm verlangen dürfen, daß er allein nach Tibet
reisen, dort die Buddha-Figur aus dem Tempel stehlen und nach Amerika
bringen müßte. Mr. Abner hätte es getan oder wenigstens versucht.

„Die Sache liegt so, Abner. Wir haben da unten in Mexiko, im Staate
Veracruz, große Ölländereien unter Kontrolle. Mitten drin, und sehr
unbequem für uns, ist eine Farm, oder wie man da unten wohl sagt, eine
Hazienda. Heißt La Rosa Blanca. Blöder Name für eine Farm. Aber die
Leute sind einmal so. Können wir nicht ändern, ehe wir da nicht einmal
fest zugreifen.

Na also, die Hazienda müssen wir haben, weil sie uns in unserer
Bewegungsfreiheit hindert. Hat schwer Öl. Wir rechnen mit Brunnen von
fünfzigtausend und vielleicht von achtzigtausend Barrels in jenem
Gelände. Der Besitzer ist ein verlauster Indianer. Halb verblödet, wie
diese Indianer alle sind. Weiß nicht, was er will. Ein Faß Branntwein
täte es. Und ein paar tausend blanke Dollar dem Bürgermeister der
Gemeinde, zu der die Hazienda gehört, in die Hände geschoben. Aber seit
der Revolution haben die Leute da unten ja alle den Größenwahn bekommen.
Reden sich die Mäuler aus dem Gelenk und denken, sie müßten alles Öl für
sich allein haben oder für die Nation, wie sie sagen. Wir haben dem
verrückten Nigger, der die Hazienda besitzt, tausend Dollar für den
Hektar angeboten, rund vierhundert Dollar für den Acre. Denken Sie,
dieser Feuerfresser will dafür verkaufen? Er will nicht. Und der Hektar
da unten ist wert zwei Dollar im Durchschnitt. Wir haben unter dem
Regime des alten Ruprecht Porfirco Diatsch, oder wie der alte Fuchs
geheißen hat, Tausende von Hektar Land für fünfundzwanzig Cent den
Hektar gekauft. Natürlich mit einem Tausender für den Bonzen, der da
amtlich was zu sagen hat. Aber wie erwähnt, seit der Revolution sind
diese Schmierkadetten bockbeinig geworden wie alte Mules. Die Anwälte,
die wir da unten haben, sind keine Haselnuß wert. Kosten uns eine
Unmasse Geld und tun nichts. Sitzen den ganzen Tag und die ganze Nacht
in ihrem Harem. Wissen Sie doch, daß da unten in Mexiko noch die
Vielweiberei herrscht?“

„Weiß ich“, bestätigte Mr. Abner. „Hab’s erst gestern wieder gelesen in
einer Novelle in der Zeitschrift Action Stories.“

„Ja, na dann kennen Sie ja das Land und die Leute, die da hausen. Wissen
Sie, wieviel Generale die da unten haben? Das wissen Sie nicht. Aber ich
habe es von Mr. Halburn, der im letzten Sommer unten war. Die haben so
viel Generale, daß jeder einzelne Soldat seinen eigenen General hat. Und
wenn ein Soldat stirbt, dann duellieren sich zwei Generale, und der
General, der überlebt, bekommt dann wieder einen Soldaten, den er
kommandieren darf, damit er General bleiben kann. Die Agenten, die wir
da unten haben, taugen auch nichts. Telegraphieren nur immerfort um
Diäten und Bestechungsgelder, die sie zu zahlen haben, aber wenn wir was
haben wollen von ihnen, dann schreiben sie, es sei gegenwärtig nichts zu
machen, ehe wir nicht Waffen schicken, um den Banditen und Rebellen zu
helfen, die Regierung zu stürzen.

Sie sehen also, Abner, daß man da direkt und auf geradem Wege nichts
erreichen kann. Die Leute sehen nicht, wo ihr Glück ist. Ich habe nun
die Überzeugung gewonnen, daß weder die Anwälte noch die Agenten
ernsthaft etwas getan haben, um den Kauf der Hazienda durchzubringen.
Die Leute verstehen nicht die Psychologie des Kaufens. Darum kommen sie
auch zu nichts und betteln uns ewig an. Wenn wir direkt mit dem Indianer
– er läuft nackt herum, wie mir gesagt wurde – verhandeln könnten, dann
könnten wir ihm klarmachen, welche Vorteile es für ihn hat, seine
Hazienda für gutes Geld zu verkaufen und sich irgendwo anders in Mexiko
oder in Arizona eine größere und schönere Farm dafür zu kaufen, mit
allen Maschinen und guten Straßen und einem guten Absatzmarkt für seine
Produkte.“

Mr. Abner unterbrach hastig und sagte: „Jetzt verstehe ich, Mr. Collins,
was zu tun ist. Wir müssen den Indianer hierherbringen in die Office.
Dann können wir ihn unter Feuer nehmen.“


                                   5

Mr. Collins hatte eigentlich nicht daran gedacht, den Indianer Hacinto
nach San Francisco zu bringen. Er hatte mehr daran gedacht, daß man
versuchen sollte, eine Zusammenkunft mit Hacinto in seinem Lande zu
ermöglichen, vielleicht in Mexiko City oder in San Luis Potosi, daß man
dann tüchtige Leute mit ihm verhandeln ließe und daß man ihn in der
Stadt zerstreue, betrunken mache, mit ihm in die Lichtspiele ginge, daß
man ihn mit Geschenken für ihn und seine Frau übertölpele und seine
Abreise verzögere mit allen Mitteln, bis er zugestimmt habe. Mehr in
dieser Weise hatte sich das Mr. Collins gedacht, als er sagte, daß man
direkt mit ihm verhandeln müßte.

Aber der Einwurf des Mr. Abner brachte ihn auf die bessere Idee. Wenn es
gelingt, Hacinto nach den Staaten, vielleicht gar nach San Francisco zu
locken, dann ist der Ankauf der Rosa Blanca gesichert.

Und nachdem Mr. Abner den Vorschlag selbst gemacht hatte, änderte Mr.
Collins sofort seinen Plan und sagte: „Das ist das beste, das einzige,
was wir tun müssen. Wir müssen den Mann hierherbekommen, hier nach San
Francisco, in unsere Office. Hier können wir mit ihm den endgültigen
Preis festsetzen und ihm in Ruhe die Vorteile klarmachen, die er durch
den Verkauf erzielen kann. Wir können ihm hier schöne Farmen zeigen und
sie ihm zum Tausch anbieten. Die werden ihn schon verlocken. Kann er
doch dann selbst sehen, was sich mit Geld alles machen läßt. Er wird gar
nicht mehr zurück wollen auf seine alte verluderte und verdreckte
Hazienda. Die Leute sind da noch so weit zurück. Sie werden es nicht
glauben, Abner, aber es ist wahr, die reiben den Mais noch auf einem
Stein wie die Höhlenmenschen.“

Mr. Collins war oft in Mexiko gewesen. Manches Jahr zweimal, um die
Felder zu inspizieren und sich Informationen an der Quelle zu holen.
Aber wie alle seinesgleichen, wußte er von dem Lande und von den
Menschen, die es bewohnen, gar nichts. Wo sollte er es auch herwissen?
Er wohnte im Hotel Imperial in Tampico, aß nur in amerikanischen
Restaurants und raste im Auto von Ölfeld zu Ölfeld. In den Feldern sah
er sich die mexikanischen Arbeiter überhaupt nicht an. Kaum daß er mit
den amerikanischen Drillern und Timekeepern einige Worte redete über die
Art des Geländes, in dem sie bohrten. Und wenn er mit seinem Auto übers
Land sauste, dann flog er an den Hütten der indianischen Landleute
vorüber, ohne auch nur einen Blick in das Leben jener Menschen zu tun.
Er sah nur die Schilfhütten, die Palmdächer, die Lehmhäuser, die nackten
Kinder, die barfüßigen Männer und Frauen, die herumlaufenden Schweine
und Hühner, die seinem Automobil immer im Wege waren. Aber vom Lande
wußte er nur das, was er in den amerikanischen Zeitungen und in den
Romanen und Novellen der Zeitschriften las, die Thriller, den Leser
aufregende Sensationsgeschichten, brachten. Wenn er von Mexiko hörte,
dann hörte er nur immer von Banditen, von Rebellionen, von Revolutionen,
von Revolverschießereien im Parlament, von Dreck, von Unwissenheit, von
abergläubischem Katholizismus. Das war das Mexiko, das er kannte.

Es war jedoch ein Gleichgewicht in der Welt vorhanden: Wenn der
Mexikaner von Amerika, von den Estados Unidos, hörte, so waren es immer
nur Millionäre und Milliardäre, die dort wohnten, denn Amerikaner, die
nicht wenigstens Millionäre waren, gab es nicht. Nicht für den
Mexikaner. Jeder Amerikaner ist Millionär, und wenn er nicht Millionär
ist, so ist er nicht Amerikaner. Nach der Meinung der Mexikaner leben
alle Amerikaner nur in Wolkenkratzern, weil es andere Häuser in Amerika
nicht gibt. Und es gibt nur einen einzigen Amerikaner, der etwas anderes
tut, als Geld zu machen und die armen Mexikaner auszurauben, und das ist
Mr. Limber, un hombre muy simpatico, ein sehr sympathischer Mensch,
dessen Name sich aber sehr schwer aussprechen läßt, weshalb der
Mexikaner statt Mr. Lindbergh einfach Mr. Limber sagt, und jeder weiß,
wer gemeint ist.

Diese eingehende Kenntnis eines Volkes gegenüber dem Nachbarvolke ist
der Aufklärungsarbeit der Zeitungen zu verdanken. Denn jeder weiß, daß
die Zeitung nur eine große Aufgabe zu erfüllen hat, die Menschen
aufzuklären und ihnen nichts als die reine Wahrheit zu verkünden.

Und was Mr. Collins nicht aus den Zeitungen und Zeitschriften über
Mexiko und über die Mexikaner lernte, das erfuhr er aus den Anekdoten,
die man sich im Hotel erzählte, um sich die Langeweile zu vertreiben,
Anekdoten, die nicht in Mexiko erfunden waren, sondern die dem Life, dem
Judge und anderen amerikanischen Witzblättern entnommen waren.


                                   6

So war es durchaus erklärlich, daß Mr. Collins die Mexikaner, und nun
insbesondere den widerspenstigen Indianer Hacinto Yanyez, so
einschätzte, daß sie sich geräuschlos einfügten in seine Kenntnis von
Mexiko und von den Mexikanern. Daß es auf Erden Menschen geben konnte,
die den Wert des Geldes nicht begriffen, die nicht wußten, was für eine
wundervolle, was für eine heilige Sache tausend schöne blanke Dollar
sind, das war etwas, das Mr. Collins nicht verstehen konnte. Er glaubte
es auch nicht, daß es so etwas gäbe. Er glaubte nur, daß die Höhe einer
Summe einen Menschen bewegen könnte, etwas zu tun oder etwas nicht zu
tun. Daß es aber Menschen geben könnte, denen Geld gleichgültig war und
die andere Dinge viel höher schätzten als Geld, das glaubte er nicht.
Und wenn jemand behauptete, daß ihm irgendein Ding, ein materielles oder
ein seelisches Ding mehr wert sei als money, als selbst die höchste
Summe von money, so war das nach seiner Meinung nur ein Trick, um eine
höhere Summe herauszuarbeiten.

„So ist Ihnen nun Ihre Aufgabe klar, Mr. Abner“, fuhr Mr. Collins in
seiner Rede fort. „Sie haben den Mann, diesen Don Hacinto,
hierherzubringen. Ich überlasse es ganz Ihrer Klugheit, in welcher Weise
Sie das erzielen. Die Beträge, die für diesen Zweck notwendig sind,
stehen zu Ihrer Verfügung. Freilich warne ich vor einem: Kein
Verbrechen, Abner. Das decke ich nicht. Vor allen Dingen dürfen Sie den
Mann nicht kidnappen, nicht hinterrücks stehlen und entführen und
hierherbringen. Etwa gar narkotisiert. Das gibt eine Schweinerei, für
die Sie selbst zu bezahlen haben. Das sage ich Ihnen hiermit
ausdrücklich. Das würde uns auch nicht helfen. Die mexikanische
Regierung könnte den Vertrag dann anfechten, und wir sausen böse ab. Der
Mann muß freiwillig kommen. Wie Sie das zuwege bringen, ist nun Ihre
Sache. Ich halte Sie für klug und für intelligent genug, das geschickt
zu tun. Darum haben wir auch Sie, Mr. Abner, für diese schwierige
Aufgabe gewählt. Wenn der Mann hier in San Francisco ist, dann erhalten
Sie eine Sonderprämie von zehntausend Dollar. Vorausgesetzt natürlich,
wie ich bereits sagte, daß Sie keine Gewalt und kein Verbrechen ausgeübt
haben, ihn hierherzuschaffen. Ich habe mich doch klar ausgedrückt, Mr.
Abner? Nicht wahr? Gut. Wenn der Mann dann hier ist, wäre Ihre Aufgabe
in der Hauptsache erschöpft. Das übrige, was dann zu tun ist, wird die
Aufgabe anderer Herren sein, deren Spezialität es ist, Käufe
abzuschließen. Sie reisen vielleicht noch in dieser Woche hinunter nach
Mexiko, um den Fall an seiner Quelle zu studieren und die richtigen
Maßnahmen zu treffen. That’s all. Damit wären wir zu Ende. Sie kennen
Ihre Aufgabe. In den Einzelheiten verlasse ich mich ganz auf Ihre
Geschicklichkeit.“


                                   7

So notwendig und so dringend wie Mr. Collins seine fünf Millionen Dollar
benötigte, so notwendig und dringend benötigte Mr. Abner eine Prämie von
zehntausend Dollar und eine besondere Anerkennung der Company für gute
Leistung.




10


                                   1

Die wilde Gier des Mr. Collins nach dem Besitz der Rosa Blanca war
keineswegs eine reine Profitgier, wenngleich er nicht einen Moment lang
seine Absicht aus den Augen verlor, fünf Millionen Dollar
außerordentlichen Gewinn heranzuschaffen.

Seine Erklärung für sein brutales Vorgehen war nicht ganz so skrupellos
kapitalistisch, wie es dem Fernstehenden erscheinen mag. Er war durchaus
kein Unmensch. Als Mensch war er weder Mörder noch Spitzbube. Als Mensch
war er liebenswert. Andernfalls hätte Betty ihn nicht einen Tag lang als
ihren Freund und Geliebten geduldet. Hätte er die Rosa Blanca besucht,
hätte er die Fähigkeit gehabt, das Wesen der Weißen Rose, das ihres
Besitzers und ihrer Bewohner zu verstehen und zu begreifen, hätte er sie
mit Liebe sehen können, statt mit einem bloßen geschäftlichen Interesse,
dann wäre er gewiß der Mensch gewesen, der mit aller seiner Macht die
Weiße Rose vor dem Brechen und dem Verwelken geschützt haben würde.
Aber, fern von ihr, fern von ihrer Seele, sah er in ihr nur ein Objekt.
Er sah in ihr nur eine amerikanische Farm.

Keine einzige amerikanische Farm, die er kannte, war eine Heimat. Keiner
von den Farmern, die er kannte, dachte nur eine Minute lang daran, die
Farm, auf der er lebte, zu einer Heimat zu machen. Wer eine Farm kaufte,
rackerte sich halb zu Tode, um die Farm hochzubringen. Aber nicht
hochzubringen mit der Absicht, sie zu einem dauernden Heim zu gestalten,
sondern sie hochzubringen mit der Absicht, sie um fünfzig oder
hundertfünfzig Prozent teurer zu verkaufen, als er sie gekauft hatte.
Die Farm war ein Geschäftsobjekt, wie ein Kaufladen oder wie ein
Holzplatz. Keinen Farmer verknüpfte mit seiner Farm irgendein seelisches
Band. Die Farm wurde nur angesehen nach ihrem Werte als geldmachendes
totes Objekt. So auch das Vieh, das darauf war, und so auch die
Fruchtbäume, die dort standen. Wenn ein Farmer neue Bäumchen anpflanzte,
so tat er es nicht in dem heiligen Gedanken, daß auch die nachkommenden
Geschlechter Apfel, Birnen, Nüsse, Apfelsinen haben wollten und daß wir
ihnen diese Früchte hinterlassen müssen, so wie unsere Vorfahren für uns
Bäumchen pflanzten. Der Farmer baute die Bäumchen nur darum an, weil er
eine Farm mit vielen angepflanzten Fruchtbäumchen teurer verkaufen
konnte als ohne Bäume, denn die Farm versprach dem neuen Besitzer einen
höheren Gewinn. Wenn ein Farmer eine billige Farm hochgebracht hatte
durch seine Arbeit, so beeilte er sich rasch, einen Käufer zu finden,
der ihm einen guten Preis zahlte, damit der jetzige Besitzer wieder
irgendwo anders eine billige Farm kaufen konnte, mit der Absicht, sie
hochzubringen und dann teurer zu verkaufen.


                                   2

In solcher Umgebung lebend, nur solche Farmer kennend, wie konnte man
erwarten, daß Mr. Collins die Weiße Rose verstand. Er wußte ja nicht
einmal, daß Rosa Blanca bedeutete The White Rose, die Weiße Rose. Mr.
Collins sah in der Rosa Blanca nur eine Farm, nichts weiter, und in
ihrem Besitzer sah er nichts anderes, als einen eigensinnigen Mexikaner,
der von den Millionengewinnen gehört hat, die aus den Ölfeldern
herausgeholt werden und der nun versucht, den denkbar höchsten Preis aus
seiner Farm herauszuquetschen.

Wer nimmt sich das Recht heraus, einen Mr. Collins anzuklagen, einen
Mann, der das Produkt seiner Umgebung ist, wie ich ein Produkt meiner
Umgebung und meiner Erfahrung bin. Mr. Collins handelt durchaus
folgerichtig, entsprechend der Einflüsse, denen er unterliegt. Er kann
nicht anders handeln. Und würde er anders handeln, dann wäre er kein
Ölmagnat. Und folgen wir den Dingen bis zu ihrer letzten Konsequenz, so
kann es in der Tat dahin kommen, daß die Menschheit kein Öl hat, das Öl,
das sie so dringend gebraucht in dem Stande der gegenwärtigen
Zivilisation. Das Öl, das so wichtig, so unentbehrlich geworden ist, daß
der nächste große Krieg in seinem Grundziel nur um den Besitz des Öls
und seines kleinen Hilfsknechtes, den Kautschuk, geschlagen werden wird.
Jedes Stück Land, das Öl hat, kann schließlich eine Rosa Blanca sein für
die, die darauf leben. Und wenn jedes Stück eine Rosa Blanca wäre und
sentimental als Rosa Blanca gewertet werden wollte, so wäre eben kein Öl
da. Was dann geschehen müßte, um das notwendige Öl zu erhalten, wäre
genau dasselbe, vielleicht mit einigen Abänderungen, was jetzt Mr.
Collins tut, um die Weiße Rose zu brechen.


                                   3

Für alle seine Handlungen hatte Mr. Collins eine Rechtfertigung, die es
ihm in jedem einzelnen Falle erleichterte, sein Gewissen zu beruhigen,
wenn ein Vergehen gar zu brüsk erschien und zuweilen gar Konsequenzen
hatte, die er weder gewollt noch vorausgesehen hatte. Eine nackte
Profitgier kann auf die Dauer selbst den hartgesottensten Geldmacher
nicht vor Selbstanklagen und unruhigen Gedanken schützen. Es ruht in
allen Menschen eine mehr oder weniger starke Furcht vor Vergeltung für
das, was er tut oder bereits getan hat. Diese Vergeltung hat nicht immer
etwas mit der Vergeltung nach dem Tode zu tun, an die manche Menschen
glauben. Noch hat diese Vergeltung etwas mit einer Vergeltung zu tun,
die auf strafrechtlichem Wege erzielt wird, daß also der Mensch mit dem
Gesetz in Konflikt kommt und vor einem Richter Rede und Antwort stehen
muß für seine Handlungen.

Nein, die Vergeltung, die hier gemeint ist und die alle Menschen in
ihrem Instinkt fühlen und fürchten, ist anderer Art. Die Menschen
fürchten, daß eine schäbige Tat, die sie begangen haben, sich an ihnen
oder an denen rächen könnte, die sie lieben. Manche Leute fürchten, daß
alles Gut, was sie auf unrechte und niederträchtige Art gewinnen, wieder
verlorengeht. Andere fürchten, daß sie nach einer bösen Tat von Unglück
in ihrem ferneren Leben verfolgt werden, daß sie krank werden oder
siech, und daß, wenn sie selbst nicht getroffen werden, ihre Kinder oder
Frauen oder besten Freunde dafür leiden müssen. Viele gehen so weit in
diesem Glauben, daß sie erwarten, daß ganz genau dasselbe, was sie
jemand antaten, ihnen selbst eines Tages angetan werden wird.

Das ist einer der psychologischen Gründe, die beinahe alle Menschen eine
Grenze ziehen läßt, über die sie nicht hinauszugehen wagen. Jeder Mensch
weiß, daß er nicht der Allmächtige, nicht der Allstarke ist. Jeder weiß,
daß er irgendwie in die Hände eines Stärkeren fallen kann, der ihn genau
so behandelt, wie er andere behandelt hat. Dieser Instinkt ist es, der
das soziale Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen allein
ermöglicht. Dieser Instinkt ist es, der einen bösartigen Menschen daran
hindert, nachts Eisenbahngleise zu zerstören. Einmal kann in dem Zuge
jemand sitzen, den der Mann auf keinen Fall vernichten möchte. Zum
andern kann eines Tages auch ein anderer das nachmachen und die Schienen
zerstören, wenn er selbst im Zuge sitzt und umkommen kann. Aus demselben
Grunde foltert und quält auch kein normaler Mensch einen anderen
Menschen, der in seiner Macht ist, und auch nur selten ein Tier, aus
reiner Freude am Foltern.

Jeder Mensch sucht nach einer Rechtfertigung, um das Niederträchtige und
Unsoziale, das er tut, vor sich zu begründen, um es dadurch weniger
niederträchtig und weniger unsozial erscheinen zu lassen.

Kein König, kein Präsident, keine Gruppe von Kapitalisten werden einen
Krieg anzetteln, ohne den Krieg zu rechtfertigen, daß er dem Gemeinwohl
diene, daß er aus diesen oder jenen Gründen nicht vermieden werden
könne, daß die Achtung vor anderen Völkern, also die Ehre, den Krieg
gebiete. Ohne eine moralische Rechtfertigung wird kein Krieg begonnen.
Und eine gute Rechtfertigung zu finden, ist die erste Aufgabe derer, die
glauben, einen Krieg zu benötigen. Je besser die Rechtfertigung ist, um
so sicherer ist der Erfolg in allen Handlungen, die eine Mitwirkung oder
die wohlmeinende Duldung anderer Menschen verlangen. Das verhindert
natürlich nicht, daß zahlreiche Handlungen begangen und viele Taten
verübt werden, wo nach einer Rechtfertigung gar nicht gesucht wird, weil
es zu schwer ist, eine gute Rechtfertigung zu finden und weil die
Ausführung der Tat aus irgendwelchen Gründen nicht aufgeschoben werden
kann. Dies war der Fall bei dem großen Raubzug des Mr. Collins in der
Kohlenverwirrung, die er heraufbeschworen hatte.


                                   4

Die Rechtfertigung, die Mr. Collins für seine gegenwärtigen Handlungen
hatte, war keine erkünstelte, keine, die er sich in raffinierter Weise
ausgedacht und zurechtgelegt hatte, um vor sich und seinen Mitmenschen
unbefangen dastehen zu können.

Er sagte sich: Die Menschen brauchen Öl. Sie werden morgen noch viel
mehr Öl nötig haben als heute. Und nächsten Monat werden sie noch
hundertmal mehr Öl nötig haben. Und im nächsten Jahr werden die Menschen
fünftausendmal mehr Öl nötig haben als heute, wenn man erst einmal eine
Flugmaschine für fünfhundert Dollar kaufen kann und sie so einfach in
ihrer Handhabung ist, daß sie jeder ohne Gefahr für sich oder andere
fahren kann. Immer mehr Dieselmotoren verdrängen die Dampfmaschine,
immer mehr Eisenbahnen werden mit Öl gefeuert. Immer mehr andere
wichtige Produkte werden aus Öl heraus produziert. Also die Menschen
brauchen mehr und mehr Öl, wenngleich sie nur dieselben Mengen an
Weizen, Baumwolle und Leder gebrauchen.

Die Condor Oil Company ist eine der stärksten Companien der Erde. Die
Condor Oil Company hält einen gewaltigen Teil ölhaltiger Ländereien in
ihren Händen, in California, in Oklahoma, in Mexiko, in Venezuela, in
Columbia. Und weil das so ist, darum hat die Condor Oil Co. die
Verantwortung übernommen, den Menschen das erforderliche Öl zu
verschaffen. Mit der Verantwortung hat sie gleichzeitig die
Verpflichtung übernommen, das Öl heranzuschaffen, damit die Menschheit
nicht darbt an Öl. Da ich der Präsident der Condor Oil Co. bin, so habe
ich mit allen meinen Fähigkeiten darauf zu sehen, daß immer mehr Öl
vorhanden ist, als heute und morgen gebraucht wird. Denn übermorgen wird
mehr gebraucht, und wenn ich nicht vorsorge, wenn ich nicht erwäge, daß
alle Brunnen nach einer mehr oder weniger langen Frist leer laufen und
daß zahlreiche Brunnen, die gebohrt werden, nicht produzieren, so kann
es geschehen, daß die Menschen eines Tages nicht genügend Öl zur
Verfügung haben, ihre Maschinen nicht laufen, ihre Motoren verhungern,
die Eisenbahnen nicht fahren, die Schiffe keine notwendigen
Rohmaterialien aus fremden Ländern bringen und Zehntausende, ja
Hunderttausende von Arbeitern ohne Verdienst sind. Und wenn so etwas
geschehen sollte, dann macht man mir den Vorwurf, mir, dem Präsidenten
der mächtigen Condor Oil Company, ich bin dann verantwortlich für alles
Unheil, das aus dem Mangel an Öl entsteht. Was kann ich tun dagegen? Ich
muß das Öl heranschaffen und bereit halten für die Menschheit, damit sie
nicht Not leidet. Wenn ich dabei verdiene, sagen wir, sehr gut dabei
verdiene, so ist das nur eine Bezahlung, die die Menschheit mir schuldet
für meine Mühe, für meine Vorsorge, für meine schlaflosen Nächte, für
meine Geschicklichkeit, mit der ich das Öl herbeizuschaffen verstehe.

Was kann ich denn dafür, wenn Farmer von ihrem Lande vertrieben werden,
das ihnen Heimat geworden ist. Ich bin nicht verantwortlich dafür, wenn
sie vielleicht gar Selbstmord begehen, weil sie den Verlust ihrer Heimat
nicht verwinden können. Es haben sich ja auch ein paar alte Postillione
aufgehängt, weil die Leute nicht mehr ihr lustiges Peitschenknallen und
ihre Lieder auf dem Posthorn hören wollten, sondern vorzogen, mit der
Eisenbahn zu fahren, weil es billiger war, bequemer und rascher.

Daß dieser hundsgemeine Schurke, der Abner, ein Bursche, den ich nicht
riechen kann seiner Schäbigkeit wegen, jetzt da runtergeht, um der Rosa
Blanca das Genick zu brechen, ist ja fürwahr recht traurig. Verflucht
und gottverdammt noch mal. Aber tausendmal trauriger ist es, wenn die
Menschen eines Tages kein Öl haben. Ich habe diese Welt nicht
geschaffen. Das weiß der liebe Gott im Himmel droben. Darum bin ich auch
nicht verantwortlich für diese verrückte Welt. Ich habe auch das Öl
nicht erfunden und mich eigentlich nie ernsthaft darum gekümmert, wozu
die Menschen es überhaupt haben wollen. Aber die Menschen wollen es nun
einmal haben, weil sie es brauchen, und ich bin verpflichtet, es ihnen
zu geben, weil ich weiß, wo es ist. Warum hat denn der liebe Gott, der
so allweise und so allmächtig ist, nicht das alles anders und besser
gemacht? In vielen Dingen hätte ich mehr geleistet. Mr. Collins ist
vielleicht kein sehr hervorragender Mensch. Aber in seiner
Rechtfertigung findet sich kaum ein Fehler.




11


                                   1

Mr. Abner hatte auf dem College Spanisch gelernt. Aber wie das immer so
geht mit einer fremden Sprache, die man in der Schule lernt: Als er nach
Mexiko kam, fand er, daß die Mexikaner – nach seiner Meinung – ihre
eigene Muttersprache nicht verstanden.

Er klaubte sich jedoch durch und war eines Tages in Tuxpam angelangt,
jenem kleinen Städtchen, von dem aus er seinen Angriff zu leiten
gedachte. Er machte sich nicht sofort auf den Weg zur Rosa Blanca, weil
er in Tuxpam erst einmal das Gelände, auf dem er zu fechten hatte,
studieren wollte.

Seine ersten Tage verbrachte er damit, sich in den Cantinas und in den
Pool-rooms, den Billardsälen, herumzudrücken. Er hoffte, daß er
vielleicht mancherlei hören könnte, das ihm nützlich sei.

Hier machte er die Bekanntschaft eines Mestizen, dessen Vater ein
Amerikaner gewesen war, der sich in diesem Lande des leichten Lebens
mehr und mehr hatte gehen lassen, völlig heruntergekommen war, sich ganz
dem Trunke ergab und mit einer Indianerin, mit der er lebte, ein Kind
fertiggebracht hatte, jenen Mestizen, dessen Name Frigillo war.

Frigillo war als Junge nach den Staaten gegangen, hatte hier in allen
nur denkbaren Erwerbszweigen gearbeitet, war mehrfach wegen Diebstahls
im Gefängnis gewesen, schließlich von den amerikanischen Behörden wieder
nach seiner Heimat Mexiko deportiert worden. Er sprach genügend
Englisch. Das half ihm ein gut Teil, wohlbezahlte Arbeit als
Kolonnenführer mexikanischer Peons in den Ölfeldern zu finden.

Diese geregelte Arbeit in den Feldern sagte ihm nicht zu. Er stellte
sich auf eigene Füße und wurde Anwerbungsagent für die Öl-Companien, er
warb für die Companien Peons an, die in den Feldern zu arbeiten hatten.
Für jeden angeworbenen Mann bekam er eine bestimmte Provision, die je
nach den Verhältnissen von drei Pesos bis zwölf Pesos für den Mann
betrug. Er verdiente damit ganz schönes Geld; denn die Leute wechselten
häufig. Und wenn sie nicht häufig genug wechselten, so verstand er es,
die Leute unter irgendeinem Vorwande fortzuschieben, damit die Company
wieder neue Leute bei ihm bestellen mußte.

Augenblicklich lag er müßig, weil alle Felder mit Leuten versorgt waren
und die Löhne so gut standen, daß die Leute es für besser hielten, nicht
so oft zu wechseln.

Frigillo hatte natürlich ein persönliches Interesse daran, daß neue
Felder zur Produktion aufgelegt wurden, weil das erneuten Bedarf an
Arbeitern gab und somit leichten Verdienst für ihn.

Nicht gleich am ersten Tage ihrer Bekanntschaft, aber noch in derselben
Woche begann Mr. Abner, der sich vom Glück begünstigt sah, diesen
Mestizen gefunden zu haben, von der Rosa Blanca zu sprechen. Er sagte
kein Wort davon, daß er der Rosa Blanca wegen in Mexiko sei. Er erzählte
Frigillo, daß er hier sei, um gutes Ölland zu kaufen.

La Rosa Blanca war bekannt dafür, reiches Ölland zu sein. Und noch
besser bekannt im ganzen Staate war die Tatsache, daß eine große
amerikanische Öl-Company die Rosa Blanca kaufen wollte, daß aber Don
Hacinto einem Verkaufe nicht zugestimmt habe. Es wurde von fünf
Millionen Dollar geredet, die jene Company Don Hacinto geboten hätte.


                                   2

„Dieser Mann ist ja nicht richtig im Kopf“, sagte Frigillo zu Mr. Abner,
als sie den Fall besprachen. „Was könnte der Mann für ein herrliches
Leben führen. Und wieviel hundert Arbeiter, die heute nach den Staaten
auswandern müssen, könnten dort gute Arbeit finden. Sie sind dran,
Mister.“

Mr. Abner und Senjor Frigillo spielten Billard, und Mr. Abner ließ den
Mestizen gewinnen, um ihn freundlich und redselig zu stimmen.

„Aus. Sie haben’s wieder gemacht“, sagte Mr. Abner, während er dem
letzten Stoß des Frigillos zusah und sein Queue frisch ankreidete, um
damit anzudeuten, daß er einem neuen Spiel mit Erwartung entgegensähe.

Das neue Spiel begann, und beide Männer redeten, wie nebenbei, immer von
der Rosa Blanca und von Don Hacinto, zwischendurch einige Worte über das
Spiel einschiebend.

„Da kann es jenem Manne und den armen Burschen, die da auf der Hazienda
für ein paar Centavos sich zu Tode arbeiten müssen, doch nur von Segen
sein, wenn das Land gut verkauft werden kann. Diese armen Leute haben
doch rein gar nichts vom Leben. Können sich kaum Stiefel kaufen, und in
ein Kino sind sie nie gekommen.“

„Aber, Mister“, sagte Frigillo, „das ist es ja gerade, was ich eben
sagen wollte. Was könnten die Leute verdienen und wie gut könnte es
ihnen gehen. Die können mit Lachen ihre vier und fünf Peso den Tag
einschieben, und das in acht Stunden. Was haben sie denn jetzt? Siebzig
Centavo den Tag. Wenn sie soviel überhaupt kriegen. Das glaube ich noch
nicht einmal, daß sie siebzig Centavo den Tag haben. Und dann geht das
vom ersten Hahnenkrähen bis in die tiefe schwarze Nacht hinein. Na,
wissen Sie, Mister, den Stoß, den Sie da eben gemacht haben, den macht
meine kleine linke Zehe besser. Wo haben Sie denn eigentlich
Billardspielen gelernt? Geben Sie jetzt mal fein acht, wie wir in Mexiko
einen solchen Ball nehmen. Nehme ich wie Ham and Eggs.“

„Na, so ist das nicht, Senjor, wir können auch Poolen. Warten Sie nur,
wenn ich Ihnen mal mit einem Bällchen komme. Da können Sie dann
vielleicht von New York bis Los Angeles reisen, und Sie werden einen so
eleganten Stoß nicht wieder zu sehen kriegen. Haben Sie das gesehen,
Hombre. So spielen wir mit Mexikanern. Und das kann ich gleich noch
einmal machen und viel pfeifender. Donner und Spucke, der ist
abgeglitscht. Was für eine dreckige Sorte von Kreide habt ihr denn hier.
Das ist überhaupt keine Kreide, das ist Lippenpomade. Warum verkauft
denn der Don Cazimpo –“

„Hacinto heißt er, H–atsche, a–a, c–ce, i–i, n–enne–t–te–o–o. Hacinto,
Hacinto Yanyez. Ja, warum er nicht verkauft? Quien sabe, was weiß ich.
Vielleicht nicht genug, was er geboten kriegt. Wird seinen Preis haben.“

Mr. Abner stieß das Queue auf den Boden und kreidete wieder. Dabei sagte
er: „Vielleicht verstehen die Licenciados, die mit ihm verhandeln, den
Mann nicht zu nehmen. Wissen nicht, wie man einen Mann von seinem
Vorteil überzeugt.“

Frigillo legte sich über das Billard, um einen schwierigen Ball zu
holen. Als es ihm geglückt war, meinte er: „Das wird es sein. Diese
Licenciados haben kein Interesse daran, ob er verkauft oder nicht. Sie
kriegen ihr Geld, und um das übrige kümmern sie sich nicht.“

„Ich habe wirklich eine gute Absicht, das Land zu kaufen“, sagte Mr.
Abner, während er dem Spielen des Frigillo zusah. „Ich habe dicke
Geldleute im Rücken, die jede Summe bezahlen.“

„Na, aber hören Sie“, warf Frigillo ein, „wenn Sie so dickes Geld hinter
sich haben, dann – dann – wissen Sie, Mister, warum laden Sie Don
Hacinto nicht ein, nach den Staaten zu kommen. Bezahlen ihm schön die
Reise, und wenn Sie ihn drüben haben, können doch die Leute, die das
Geld dranwagen wollen, in aller Ruhe mit ihm den Preis durchsprechen.“

„Das wäre eine Idee, Senjor. Aber denken Sie denn, daß er so eine Reise
macht?“

„Nein, das denke ich nicht“, sagte Frigillo. „Das denke ich sicher
nicht, daß Hacinto so eine Reise macht. Nicht so ohne weiteres, so ohne
Grund. Aber wenn Sie einen guten Grund finden. Warum nicht? Jeder Mensch
macht ja gern einmal eine Reise. Aber Hacinto – nein, das glaube ich
nicht, daß er so weit reist. Ohne Grund nicht. Freilich, er weiß ja
nicht, was weit ist. Ich glaube nicht, daß er je weiter gekommen ist in
seinem ganzen Leben als bis Jalapa.“

„Könnten Sie denn nicht einen Grund herausfinden, Senjor, der gut ist,
daß er in eine Reise einwilligt. Die Reise hin und auch wieder zurück
zahle ich ganz gern. Zahle auch dann, wenn er endlich nicht verkauft.
Aber wir haben doch dann wenigstens alles versucht.“

Frigillo sah über den Tisch, und während er einen Ball überlegte, wie er
ihn am besten fassen könnte, sagte er gedankenlos: „Grund. Einen Grund.
Ja, ich weiß nicht – na, ich nehme den Ball einmal von links und setze
ihn drüben auf die Kante, nahe der Ecke. Vorbei. Ich glaube wahrhaftig,
die Kreide taugt wirklich nichts. Aber, Mister, nein, wenn Sie sich nun
nicht besser hineinquetschen, dann kommen Sie heute nicht auf ein
einziges Spiel.“

„Der Tisch scheint nicht gut ausgekegelt zu sein. Der ist ganz bestimmt
nicht in der Waage. Der hängt schief. Verwette fünf Dollar, daß der
Tisch da in der linken Ecke überhängt.“ Mr. Abner ging um den
Billardtisch herum und blickte von allen Seiten waagerecht über ihn
hinweg mit einer Wichtigkeit, als ob die Geschicke der Welt davon
abhängig wären, daß der Tisch genau in der Waage steht. Nachdem er an
den Platz gekommen war, von wo aus er seinen Ball ansetzen wollte,
kreidete er wieder das Queue und sagte: „Sie kennen doch den Mann
Hacinto gut, Senjor?“

„Freilich kenne ich ihn“, antwortete Frigillo. „Kenne ihn so gut, als ob
er mein eigener Bruder wäre.“

„Dann sollte es Ihnen doch nicht schwerfallen, Senjor.“

„Was schwerfallen?“ fragte Frigillo.

„Einen Grund herauszufinden, daß Don Hacinto nach den Staaten reist.
Hören Sie, Senjor, mein Wort, ein Wort: Wenn es Ihnen glückt, einen
guten Grund zu finden, daß Don Hacinto mit mir reist, sollen Sie auch
daran verdienen.“

„Wieviel?“ fragte Frigillo, während er seinen Ball faßte.

„Sagen wir hundert Peso Gold“, sagte Mr. Abner.

„Hundert Dollar Americano.“ Dabei schob Frigillo seinen Ball, als ob
sich die hundert Dollar auf den Ball bezögen.

„Einverstanden, Senjor Frigillo, hundert Dollar Americano, wenn Don
Hacinto mit mir im Zuge sitzt.“

„Natürlich nicht schon morgen. So rasch geht das nicht“, sagte Frigillo.
„Ich rechne aber ganz klar auch damit, Mister, wenn Sie das Land kaufen
und auflegen für Produktion, dann bekomme ich die Kommission für die
Arbeiter, die hier gebraucht werden.“

„Da ist doch keine lange Rede darüber. Freilich bekommen Sie die
Kommission“, sagte Mr. Abner.

Frigillo sah Mr. Abner an, legte den Kopf einmal auf die rechte
Schulter, dann auf die linke, und meinte endlich: „Wir müßten das ja
vielleicht etwas schriftlich machen. Aber ich bin ja kein Säugling und
weiß, daß Schriftliches auch seinen Haken hat. Aber zu meiner Sicherheit
will ich Ihnen doch hier gleich sagen, daß, wenn Sie die Abmachungen,
die wir hier getroffen haben, nicht einhalten, ich Ihnen eine solche
Dreckerei machen kann, daß Sie und alle Ihre dicken Leute nicht mehr
Hiss sagen können. Verstehen Sie? Gut, dann sind wir uns ja über alles
klar.“

„Es besteht nicht die kleinste Absicht“, sagte Mr. Abner, „die
Bedingungen zu umgehen. Wer hilft, dem wird wieder geholfen. Und einen
Agenten für die Anwerbung von Arbeitern brauchen wir. Also warum
streiten? Ob Sie die Kommission bekommen oder ein Senjor Z und X, das
ist für uns gleich. Aber Sie kennen wir, und darum werden Sie
vorgezogen. Ist doch klar und logisch.“

„Das ist Ihr Ball, Mister“, sagte darauf Frigillo. „Nehmen Sie ihn
vielleicht ganz scharf von rechts unten und halten Sie hier auf den
Punkt der Bande hier. Hier wo ich zeige. So würde ich ihn holen. Na, ich
dachte es ja vorher, den haben Sie schön verkracht. Der Teufel mag
wissen, wo Sie das gelernt haben, was Sie Billardspielen nennen. Ich
nenne das, was Sie da spielen, Eierwürfeln. Aber Leute haben ja manchmal
recht merkwürdige Auffassungen über Billardspielen. Es gibt auch hier
Gerechte und Sünder wie überall.“


                                   3

Frigillo nahm sich Zeit in der Sache. Er mußte das alles gut ausdenken,
wie er zu Mr. Abner sagte. Er hatte auch nicht viel Interesse daran, daß
es schnell ging. Denn solange der Gringo hier war, konnte er ihm täglich
fünfzehn bis zwanzig Peso im Billard abnehmen. Man verdient das Geld
nicht immer so leicht, und wenn man eine einträgliche Beschäftigung
gefunden hat, muß man eine Weile bei ihr aushalten.

Aber dann eines Tages, etwa eine Woche später, schien Senjor Frigillo
mit seinem Plan fertig zu sein. Mr. Abner hatte inzwischen auch gelernt,
worauf die Verzögerung zurückzuführen sei. Er gab sich mehr Mühe, und
Frigillo verdiente nicht mehr so viel beim Billard. So verlor der
Mestizo das Interesse daran, den Gringo länger hierzubehalten. Der Plan,
den sich Senjor Frigillo ausgedacht hatte, wurde beraten, und Mr. Abner
fand ihn brauchbar.

Sie mieteten sich Pferde und ritten eines Morgens los, um Don Hacinto
und die Rosa Blanca zu sehen.


                                   4

Sie kamen zur Hazienda. Der Mestize stellte Mr. Abner vor und sagte zu
Hacinto: „Don Hacinto, hier ist ein Americano, der gute und kräftige
Reitpferde kaufen möchte, die hier in dieser Gegend geboren und groß
geworden sind, weil er sie in den Ölfeldern gebrauchen möchte, für
Inspektionsritte.“

Der Indianer sah sich Mr. Abner an, und weil Mr. Abner ihn offen ins
Gesicht sah und anlachte, gefiel ihm der Fremde.

Er sagte endlich: „Ich habe Pferde, gute kräftige Pferde, die hier auf
der Hazienda geboren wurden. Es sind kleine, struppig aussehende
Caballitos, aber sie sind kräftig und zäh wie Mules. Gut in der
Fütterung. Nicht lastimado, keine einzige wunde Stelle auf dem Rücken.
Eingeritten. Kann Ihnen vier, fünf, vielleicht auch sechs verkaufen.
Wollen Sie die Caballos sehen? Dann werde ich Margarito rufen, und er
kann die Pferde auf der Pastura einfangen und herbringen.“

Mr. Abner hatte sich gegen einen Pfosten des Portico gelehnt und sagte
müde: „Es ist nun heute schon recht spät, Don Hacinto. Wir sind auch
herzlich müde von dem langen Ritt. Vielleicht bleibe ich ein oder zwei
Tage hier, und wir können das Geschäft in Ruhe durchsprechen. Ich möchte
auch die Pferde, die ich kaufe, hier ein wenig umherreiten, um zu sehen,
wie sie unter dem Sattel sind.“

Er verstand gar nichts von Pferden.

Der Indianer sagte: „Es su casa, Senjor, das Haus gehört Ihnen. Ich
stehe zu Ihren geschätzten Diensten, Senjor, a sus apreciables ordenes.“
Dann rief er über den weiten Hof: „Miguelito, nimm die Pferde der
Caballeros, reite sie zum Fluß hinunter zum Trinken und bringe sie dann
auf die eingezäunte Weide. Gib acht, daß der Hengst sie nicht beißt.
Schmiere ihnen da auf die aufgeriebenen Satteldrücke Bickmorin zum
Abheilen und hier vorn am Hals des Prieto pinsele Kreolin ein, daß die
Maden herauskommen.“

Er klopfte die Pferde auf die Schinken und faßte sie mit Daumen und
Zeigefinger in die Nasenlöcher. Die Pferde schnüffelten und wieherten,
als sie Kameraden auf der Weide rochen.

„Muy bien, Patron, werde ich alles tun“, sagte Miguel, und er begann
sich mit den Pferden zu befassen.


                                   5

Die Männer traten ins Haus.

Ein Indianerjunge brachte eine Schüssel mit Wasser, Seife und einem
Handtuch und bot das den Männern an. Sie wuschen sich die Hände. Dann
brachte der Junge auf einem Tablett zwei große Gläser Wasser, und die
beiden Angekommenen spülten sich den Mund aus und gurgelten die Kehle
sauber von dem Staub des Weges.

Don Hacinto hatte inzwischen die Habaneroflasche herbeigeholt, drei
Gläser eingeschenkt, und mit einem „Salud!“ tranken sie sich Willkommen.

„Guter Habanero“, sagte Frigillo und besah sich die Flasche und das
Etikett.

„Ist gut“, erwiderte Don Hacinto. „Ist von San Juan Bautista, Tabasco.
Ist aus Weintrauben.“

Mr. Abner, um auch etwas zu sagen, warf ein: „Ja, ihr Mexikaner seid gut
dran. Ihr seid ein freies Volk. Wir haben es nicht so gut wie ihr. Wenn
wir einen trinken, wissen wir nie, ob wir hinterher blind sein werden.
Die können auf die Flaschen Etikette kleben, die ganz grau sind vom
Alter, mit Scotch Whisky draufgedruckt in altfranzösischen Lettern. Das
ist gar kein Beweis, daß dann auch in der Flasche wirklich Whisky drin
ist. Es kann auch eine Zyankalilösung sein, und man muß froh sein, daß
man es merkt, ehe man einen zu großen Schluck genommen hat. Dieser
Habanero ist wirklich gut. Das wußte ich auch gar nicht, daß ihr in
Mexiko einen so guten Brandy machen könnt.“

„Wollen Sie noch einen zum Nachspülen, Senjor?“ fragte Hacinto lachend
und gutgelaunt.

„Gut, well then, noch einen. Aber halt, nur halb voll, Senjor. Wir – ich
fürchte – wir, ja wir haben die Gewohnheit verloren und fallen lang um
nach einem Fingerhut voll.“

Sie alle tranken noch einen dreiviertel voll zum Nachspülen, und damit
der erste sich im Magen nicht allein langweilen sollte, wurde endlich
noch ein ganzer nachgeschüttet.

Darauf fühlten sich alle wohl und zufrieden.

Es wurden drei grobgearbeitete Schaukelstühle in den Portico gebracht,
und die Männer begannen zu reden über alles mögliche.

Der Mestize brachte zuerst das Gespräch auf die Staaten. Wie reich die
Leute dort seien, wie hoch die Häuser wären, was man in den Theatern
alles sehen könnte, daß in New York die Eisenbahn unter der Erde liefe
und an anderen Stellen hoch über den Häusern hinweg, daß die Eisenbahn
sogar unter dem Fluß entlang liefe, daß man, in seiner Wohnstube
sitzend, mit dem Radio die Musik hören könnte, die zwanzigtausend Meilen
weit entfernt in Rußland oder in China gespielt würde, daß die Doktoren
einen Menschen ganz der Länge nach aufschneiden, alles aus dem Körper
herausnehmen und auswaschen und dann wieder hineinstecken und den ganzen
Körper wieder zunähen, und am nächsten Tage kann der Mann schon wieder
spazierengehen. Don Hacinto wußte ja, daß so etwas alles nicht wahr sei,
daß man es hier nur erzählte, um sich zu unterhalten. Freilich wußte er
doch, daß manches wohl wahr sei; denn er hatte ja ein Flugzeug eines
Tages gesehen, das über die Hazienda dahinschwirrte.

Aber Mr. Abner zeigte Bilder vor aus den Staaten, und da konnte Don
Hacinto sehen, daß wirklich die Häuser so groß seien und daß man
wirklich tief unter die Erde kriechen mußte, um in den Zug einsteigen zu
können, der unter der Erde dahinraste. So war vielleicht alles wahr, was
hier erzählt wurde, auch das, daß die Doktoren einem Menschen den Kopf
abschneiden, reparieren und wieder annähen konnten. Wenn die Leute wie
Vögel durch die Luft fliegen und mit Apparaten hören konnten, was in
China geredet wurde, dann war überhaupt alles möglich. Dem Mr. Abner
würde er ja nicht alles so leicht geglaubt haben, denn der war ein
Fremder, von dem man nicht wußte, ob er die Wahrheit sprach, weil er ja
auch nicht richtig sprechen konnte und man immer zur Hälfte raten mußte,
was er eigentlich sagen wollte. Mit Frigillo, das war schon etwas
anderes. Frigillo blieb ja auch nicht immer ganz bei der Wahrheit. Das
war schon richtig, das wußte Hacinto auch. Kein Wunder, denn der Vater
Frigillos war ja ein Fremder gewesen. Aber immerhin, Frigillo war zur
Hälfte Indianer. Hacinto kannte ihn, seit er ein Junge gewesen war, und
darum konnte man Frigillo schon eher etwas glauben als dem Fremden.
Frigillo war ja auch lange in den Staaten gewesen und sprach ebenso gut
die fremde Sprache wie der Gringo.

Wenn nun der Gringo etwas sagte, das Hacinto nicht ganz glaubhaft
schien, so sah er Frigillo an. Und wenn Frigillo das durch Kopfnicken
oder wörtliche Zustimmung bestätigte, dann natürlich wußte Hacinto, daß
es wahr sei, was da gesagt wurde.

Endlich setzten sie sich zum Abendessen nieder. Mr. Abner wurde mit dem
Essen nicht ganz einig. Er war einmal in Los Angeles in einem
mexikanischen Restaurant gewesen, aus Neugierde. Damals glaubte er, daß
die Speisen, die ihm in jenem Restaurant vorgesetzt wurden,
Phantasiegerichte seien, die man den Besuchern gab, um ihre Neugier zu
befriedigen.

Nun aber sah er hier auf der Hazienda, daß die Leute in Mexiko wirklich
das aßen, was ihm in jenem Restaurant angeboten wurde. Die Tortillas
behagten ihm nicht, und die Unmassen grünen und roten Pfeffers in den
Speisen verursachten, daß er ganze Tonkrüge voll Wasser während des
Essens trinken mußte. In Tuxpam aß er in einem Restaurant amerikanische
Gerichte. Hier auf der Hazienda dagegen mußte er sich endlich einmal
nach den Sitten des Landes richten. Er sehnte sich nach Weißbrot,
Butter, Schinken, Beefsteak, viel kalter Milch und Cookies mit
Sodageschmack.


                                   6

Nach dem Essen saßen die Männer wieder in ihren Schaukelstühlen in dem
Portico, rauchten viel und redeten noch mehr.

Auf dem Altarstein inmitten des weit ausgedehnten Hofes vor dem
Haupthause der Hazienda brannte der mächtige Holzstoß, um Licht zu
geben.

Grillen sangen im nahen Busch und in den Feldern. Zuweilen blökte eine
Kuh. Dann schnaubte ein Pferd. Ein Mule trompetete, und ein Esel bähte
mit klagender Stimme. Weit fort, in einer der Hütten, durch deren
staketenartige Wände das Licht von den Herdfeuern glimmerte, bellte ein
Hund. Einige andere antworteten. An den Zäunen des großen Hofes drückten
sich junge Burschen wie schleichende Schatten entlang. In den Ecken
kicherten Mädchen. Aus der Küche hörte man das Schnattern der Köchinnen
und dazwischendurch die tiefe, ruhige, volle Stimme der Frau des Hauses,
die in einem Schaukelstuhl auf dem lehmgestampften Boden der Küche sich
wiegte und eine Zigarette nach der anderen rauchte, dabei den Mädchen
zusehend, ihnen Anordnungen gebend und mit ihnen lachend, schäkernd und
scherzend zur gleichen Zeit. Das Kind einer der Köchinnen winselte, und
man hörte die Frau rufen: „Dame el pobrecito, gib mir mal das Kleine
her, du behandelst es fahrlässig. Er muß ja schreien, der arme kleine
Bettler.“ Das Kind beruhigte sich auf dem Schoße der Frau sofort. Sie
blies ihm schmeichelnd leicht Tabakrauch ins Gesicht, um herumvagierende
Moskitos fern zu halten. Schweine grunzten, stießen sich und quiekten.

Der Himmel war ein tiefschwarzblauer Dom, mit goldenen Knöpfchen
festgeheftet an der gewölbten Hand des Universums.

Und Mr. Abner dachte und überlegte und rechnete, wie er die zehntausend
Dollar verteilen wollte, die ihm sicher waren.


                                   7

Am nächsten Morgen besahen sich die Männer die Pferde. Mr. Abner, dem
Rate Frigillos folgend, lobte die Pferde über jedes anständige Maß
hinaus, obgleich sie nur gewöhnliche mexikanische Ranchopferde waren,
ohne Rasse und ohne einen Willen zur Zucht verratend.

Es freute Hacinto, seine Pferde so von einem Fremden zu loben hören.
Denn er war sehr stolz auf seine Pferde und auf seine Mules.

Der Indianer war so freudig gestimmt über das Lob, daß er Mr. Abner alle
sechs Pferde zum Geschenk machte und sich entschieden weigerte, auch nur
einen Peso anzunehmen.

Er sagte zu Mr. Abner: „Wenn Sie die Pferde so loben, Senjor, dann kann
ich sie wahrlich nicht verkaufen. Das schmerzt meinem Herzen. Sie haben
dann auch gar keinen Preis. Ich kann sie Ihnen jetzt nur noch schenken
als eine Erinnerungsgabe von der Rosa Blanca.“

Frigillo stieß Mr. Abner heftig in die Seite, in dem Augenblick, als
Hacinto das eine der Pferde streichelte und gutmütig und abschiednehmend
auf den Mund tätschelte.

„Senjor“, sagte nun Mr. Abner mit einer Stimme, als müßte er gewaltsam
seine Rührung verbergen, „die Ehre, die Sie mir mit dem Geschenk der
Pferde, dieser köstlichen Pferde, erweisen, kann ich – ich weiß wirklich
nicht. Nein, ich kann das nicht annehmen. Die Pferde sind zu kostbar, um
sie als Geschenk anzunehmen.“

Sagte der Indianer schlicht: „Bitte, Senjor, wollen Sie mir in der Tat
ein solches Herzeleid antun und ein ehrliches Geschenk, das Ihnen die
Rosa Blanca anbietet, ablehnen? Das glaube ich nicht, daß Sie so
unhöflich sein können. Das wäre eine Schmach, die Sie mir antun. Ich
könnte die Pferde jetzt gar nicht mehr verkaufen, seit ich weiß, daß Sie
die Pferde so sehr schätzen und so sehr lieben. Ich kann die Pferde
nicht mehr zurücknehmen. Die Pferde sind Ihr Eigentum, son suyos,
Senjor.“

Nun war das ja nicht so, daß der Indianer in Wahrheit die Pferde ganz
und gar verschenkte. Nach der Sitte der Mexikaner und der indianischen
Mexikaner erwartete er natürlich ein Gegengeschenk. Das verlangte die
Höflichkeit. Eine Höflichkeit, die zu üben der Fremde in Mexiko
gewöhnlich vergißt. Absichtlich oder unabsichtlich, das kann nicht immer
leicht entschieden werden. Der Mexikaner, wenn er jemand liebgewonnen
hat, verschenkt das Hemd vom Leibe und seine Frau dazu, dem Manne, den
er ehren will. Er denkt dabei nie an ein Gegengeschenk. Nie. Aber er hat
einen peinlichen Geschmack im Munde, wenn das Gegengeschenk ausbleibt.
Nicht des materiellen Wertes wegen, der mit dem Gegengeschenk verknüpft
ist, sondern des Gefühls wegen, daß ein Vorgang sich nur zur Hälfte
entwickelte. Er empfindet dann, daß er nicht verstanden wurde, weil die
Höflichkeit und die Ehre, die er zu erweisen gedachte, nicht mit
gleicher Höflichkeit und Ehre erwidert wurde. Die Harmonie ist
zerrissen. Die Welt steht nicht mehr im Gleichgewicht. Er hat das
Empfinden, daß er selbst nicht in dem gleichen Maße geachtet und geehrt
wird, wie er den andern ehrte und achtete. Und ein solches Empfinden ist
immer weh, selbst bei Menschen, die ihre Achtung nicht mit Geschenken
beteuern, sondern nur mit leeren Worten. Geld als Gegengeschenk
anzubieten, wäre eine Beleidigung, die zu tödlicher Feindschaft führen
kann, wüßte der Mexikaner nicht, daß der Fremde unter dem Einfluß
anderer Sitten steht als er. Mr. Abner erhielt einen zweiten Stoß in die
Seite.

Darauf besann er sich seiner Rolle und sagte, beinahe mit Tränen in den
Augen: „Senjor Yanyez, die Ehre, die Sie mir erweisen, ist so herzlich,
so aufrichtig von Ihnen gemeint, daß ich mich gezwungen sehe, das
Geschenk der Pferde von Ihnen anzunehmen. Ich kann Ihnen sagen, daß die
Pferde mir mehr wert sein sollen als nur Tiere. Sie sollen mich an die
Rosa Blanca erinnern und an Sie, der Sie mir, einem Fremden, eine so
große Freundlichkeit zeigten, wie ich nie erwartet hätte, in Mexiko zu
finden. Sie als einen Freund hier gefunden zu haben, macht mir Ihr
schönes Land Mexiko wert und teuer wie ein Heimatland. Ich danke Ihnen
viele viele tausend Male für das so kostbare Geschenk, von dem ich nicht
glaube, daß ich es je in irgendeiner Form vergelten kann.“ Hacinto
umarmte Mr. Abner und hielt ihn lange so umschlossen, dabei ihm
wiederholt auf den Rücken klopfend. Dann schüttelten sie sich die Hände.
Und damit war von der Seite des Indianers aus ein Freundschaftspakt
geschlossen, der für den Indianer so groß gemeint war, daß er auch noch
für die Kinder des Mr. Abner galt.


                                   8

Mr. Abner ging einen Schritt auf und einen ab. Dann blieb er wieder vor
Don Hacinto stehen und sagte: „Es fällt mir schwer, irgend etwas zu
finden, mit dem ich Ihre generöse Freigebigkeit und Gastfreundschaft
vergelten könnte, Senjor. Als die größte Ehre und Freude, die Sie mir
bereiten könnten, würde ich es betrachten, wenn Sie auf eine Woche oder
besser auf zwei Wochen mein Gast sein würden in meinem Heimatlande. Ich
würde Ihnen alles das zeigen, wovon wir hier gesprochen haben, die
himmelhohen Häuser, die Eisenbahnen, die unter dem Flusse entlang
sausen, wir würden in ihnen fahren, die Kinobilder, die sprechen können,
die Radioapparate, mit denen wir die Musik hören, die von den Chinesen
in China gemacht wird, und wir würden auch in einem Flugzeug eine kleine
Reise machen, so daß Sie sich die Erde einmal von oben aus ansehen
könnten. Mit dieser Reise, die ich natürlich hin und zurück bezahle, das
müssen Sie mir gestatten, Senjor, möchte ich Ihre so liebe
Gastfreundschaft vergelten, die mir in Ihrem Hause geboten wurde. Ich
habe auch einen Rancho in California –“

Nun begann Mr. Abner zu lügen.

„– und ich habe auch eine Maultierzucht. Ich züchte aber nicht so kleine
Mules, wie Sie hier haben. Nein, ich züchte die großen Mules, diese
großen Tiere, die Sie ja auch bei der mexikanischen Artillerie und bei
den mexikanischen Maschinengewehr-Regimentern sehen können.“ Diese Mules
hatte Hacinto in einer illustrierten Sonntagsbeilage des Universal, der
großen Zeitung in Mexiko City, gesehen, die er von einem Krämer in
Tuxpam bekommen hatte. Die Bilder mit den Riesenmules des mexikanischen
Militärs hatte er ausgeschnitten und an die Wand im Wohnraume angeklebt.
Dort hatte Mr. Abner die Bilder gesehen, und er wußte jetzt sehr
geschickt die dort abgebildeten großen Mules für seine Zwecke zu
gebrauchen.

„Daß es so große und starke Mules gibt“, sagte Don Hacinto, „hätte ich
vorher nicht geglaubt, bis ich die Bilder sah. Da hätte ich wohl viele
Freude daran, solche Mules hier zu züchten.“

„Das ist gewiß, Don Hacinto“, nickte Mr. Abner, „solche Mules zu
züchten, ist eine Freude, schon der reinen Sache wegen, auch wenn man
gar nicht an die Preise denkt, die man dafür haben kann. Ich glaube
nicht, daß ich das kostbare Geschenk, das Sie mir mit den Pferden hier
gemacht haben, besser vergelten kann, als wenn Sie mir die Ehre erweisen
würden, von mir drei Stuten und einen Eselhengst als Gegengeschenk
anzunehmen, um damit eine neue Muleszucht zu beginnen, die neben der
Freude, die Sie daran haben werden, gleichzeitig eine schöne dauernde
Erinnerung sein wird an die köstlichen Tage freundschaftlichen
Austausches von Gedanken und Erfahrungen, die wir hier auf Ihrem schönen
Rancho gemeinsam verlebt haben.“

Mr. Abner konnte reden. Das wird man ihm nach diesem Beispiel wohl
zuerkennen müssen. Er konnte besser reden als ein jüdischer
Altkleiderhändler der Eastside in New York. Mr. Abner hätte dem Teufel
die Hölle abgeschwatzt, wenn er Interesse daran gehabt hätte. Aber an
der Hölle hatte Mr. Abner zur Zeit wenig Interesse. Nach den Regeln der
christlichen Kirche, an die er als ein guter und treuer amerikanischer
Bürger mit dem hundertundein Prozent Bürgerschaftspatent glaubte, war
ihm die Hölle ja eines Tages so gewiß, daß er sich jetzt wirklich nicht
darum bekümmern konnte. Denn nur wenn die Regeln der Methodisten nicht
ganz auf Wahrheit beruhten, hatte er die stille Hoffnung, im Himmel zu
landen.


                                   9

Durch den innigen Freundschaftspakt, durch den sich der Indianer mit Mr.
Abner verbunden fühlte, verlor der Indianer alle Vorsicht und alles
Mißtrauen jenem Fremden gegenüber.

Wir, die wir weder Indianer noch Mexikaner sind, können uns aus einer
solchen Einladung, die uns verdächtig erscheint oder die uns unbequem
ist, herausziehen dadurch, daß wir sagen: „Danke für die große Ehre,
aber ich habe gerade jetzt keine Zeit für eine Reise. Vielleicht später
einmal.“ Ein Mexikaner jedoch, und noch viel weniger ein Indianer, kann
sich aber nicht so leicht aus der Schlinge, in der man ihn fangen
möchte, befreien. Sein Charakter läßt es nicht zu, sich mit leeren
Worten herauszureden.

Der Mestize Frigillo kannte seine Leute vortrefflich. Darum war der Tip,
den er Mr. Abner gegeben hatte, um die hundert Dollar Fanggeld zu
verdienen, so wirksam.

Denn genau so wie Mr. Abner Don Hacinto schwer beleidigt haben würde,
hätte er das Geschenk der Pferde abgelehnt, ebenso sehr würde jetzt Don
Hacinto den Mr. Abner beleidigt haben, würde er die angebotene Reise,
die Gastfreundschaft und die Zuchttiere nicht angenommen haben. Der
Indianer würde dem Fremden eine viel größere Beleidigung zugefügt haben,
weil ja der Fremde das Geschenk angenommen hatte. Auch der
Freundschaftspakt ließe keine Ablehnung zu. Und endlich war auch Don
Hacinto nicht so wohl versorgt mit guten Kniffen und wirksamen Ausreden,
um eine Ablehnung begründen zu können, ohne den Freund zu beleidigen und
zu verletzen. Was war eine Freundschaft wert, wenn sie schon beim ersten
Freundschaftsbeweis in die Brüche zu gehen drohte?

Hätte freilich Don Hacinto gewußt, daß die Reise nach San Francisco und
zurück ungefähr zweihundertfünfzig Dollar kostete, hätte er gewußt, wie
teuer gute Zuchttiere in den Staaten sind, dann wäre er vielleicht
vorsichtiger gewesen und hätte sich das alles erst einmal gut überlegt.
Aber er war bereits so gut gefangen mit Hilfe des Mestizen, daß, selbst
wenn er alle Preise gekannt hätte, er dann geglaubt hätte, daß Mr. Abner
eben die Pferde so hoch einschätzte, daß sie ein so hohes Gegengeschenk
wert waren. Und diese hohe Einschätzung seiner Pferde hätte Don Hacinto
nur noch entscheidender besiegt, weil er auf seine Pferde sehr stolz war
und weil die Anerkennung des Wertes, den er in seinen Pferden sah, eine
Ehre für ihn bedeutete, der diese Pferde gezüchtet hatte.

So war der Indianer in seinen eigenen Sitten, in seinem eigenen
Charakter gefangen. Und kein Mensch auf Erden sitzt fester als der, der
in diesen Dingen gefangen ist. Fange einen Menschen in dem, was er seine
Ehre nennt, und er gibt dir seinen Gott, seine Weltanschauung und seine
elfjährige Tochter als Dreingabe. Ein so gottverdammt blödes Ding wie
ein Duell, in dem der erschossen wird, dessen Ehre geschändet wurde von
dem, der ihn erschoß, beweist mehr als Psychologen in dicken Büchern
vergeblich zu beweisen suchen.

Frigillo kannte die Stelle, an der ein Mexikaner und erst recht ein Don
Hacinto verwundbar ist. Nicht nur der Speer eines Hagen, sondern eine
Giftfliege, im Misthaufen gezeugt und geboren, kann einen Siegfried
töten, wenn sie seine verwundbare Stelle kennt.


                                   10

Nach drei Tagen war Don Hacinto reisefertig.

Mr. Abner war jetzt des Indianers so sicher, daß er Frigillo schon in
Tuxpam das Fanggeld auszahlte; und weil alles so gut gegangen war, ihm
nicht hundert, sondern zweihundert Dollar auszahlte.

Von Tuxpam fuhren Mr. Abner und Don Hacinto durch die Laguna auf einem
Motorlastboot nach Tampico.

Mr. Abner konnte nun mit seinem Opfer über San Luis Potosi nach El Paso
reisen. Aber er überlegte und wählte dann den Weg Monterrey–Laredo.
Durch diesen Weg hatte er Don Hacinto bereits in einem und einem halben
Tage aus Mexiko heraus, während es auf dem andern Wege zwei Tage länger
gedauert haben würde.


                                   11

In San Francisco angekommen, mietete Mr. Abner sofort ein möbliertes
Haus, dessen Lage und Charakter ihm für seine Zwecke günstig erschienen.
Er reportierte in der Privatoffice des Mr. Collins die Ankunft des
Indianers.

Es wurde sofort beraten, was man zu tun gedenke.

Don Hacinto wurde endlich von Mr. Abner in das Gebäude der Condor Oil
Company gebracht, und es wurde nun mit allen Kräften und Schlichen an
dem Manne gearbeitet, einem Verkauf der Rosa Blanca zuzustimmen.

Aber in dieser Angelegenheit wußte Don Hacinto ganz genau, was er
wollte. So blieben alle Verhandlungen ergebnislos. Eine Million Dollar,
die ihm als letztes Gebot bewilligt wurden, machten keinen besonderen
Eindruck auf ihn. Es hätten auch zehn Millionen Dollar sein dürfen. Für
ihn war die Rosa Blanca ein Gut, das nicht verkauft werden konnte, so
wenig verkauft werden konnte, wie jemand die Notwendigkeit, essen und
trinken zu müssen, verkaufen kann.

Als nun alles versucht worden war, als sich endlich ergab, daß auch alle
weiteren Versuche und Angebote, Don Hacinto zum Verkauf zu bewegen,
fruchtlos sein würden, ersuchte Mr. Collins den Mr. Abner um eine
Privatbesprechung. Die Privatbesprechung fand ohne Zeugen statt.


                                   12

Don Hacinto hatte in San Francisco einen Bekannten getroffen. Dieser
Mann war in der Nähe von Tuxpam groß geworden, hatte dort geheiratet und
war kurz nach seiner Heirat mit seiner Frau nach San Francisco gezogen,
wo er einen kleinen Laden aufgemacht hatte. Der Name jenes Mannes war
Espinosa. Aus irgendeinem Grunde hatte Don Hacinto seinem Freunde Mr.
Abner nichts davon gesagt, daß er jenen Bekannten getroffen hatte.
Dieser Mexikaner Espinosa konnte später einiges an Aufklärung
beibringen, als er beim mexikanischen Konsul war, und das erzählte, was
er wußte. Es war vielleicht ein Glück für ihn, daß Don Hacinto diese
Bekanntschaft nie erwähnt hatte. Denn Senjor Espinosa wurde im Verlauf
der Geschichte der Condor Oil Company sehr unbequem. Aber als die Condor
Oil von dem Manne hörte, war es zu spät, ihm so oder so den Mund zu
stopfen. Wäre der Plan nicht gar zu gut vorbereitet und ausgeführt
worden, so hätte er an Senjor Espinosa scheitern können. Senjor Espinosa
wußte nicht viel, aber das Wenige, was er wußte, bestätigte alles das,
was der mexikanische Konsul in San Francisco und die mexikanischen
Beamten in ihrem Heimatlande ahnten.


                                   13

Eines Tages wurde Don Hacinto von Mr. Abner eingeladen, mit ihm im
Automobil nach seinem Ranch, nach dem Ranch des Mr. Abner zu fahren. Mr.
Abner hatte natürlich keinen Ranch.

Und als sie spät am Abend auf der offenen Landstraße waren, wurde das
Automobil angehalten von Leuten, die dort irgendwo gewartet hatten. Don
Hacinto erhielt mit einem Knüttel einen heftigen Hieb über den Schädel.
In dem Summen, das sein Hirn durchsauste, dachte er an die Weiße Rose,
an das alte Karrenrad im Hofe, an große Mules, an Pferde, an Margarito,
an den Papagei und an Domingo, seinen erwachsenen Sohn. Vielleicht
dachte er an andere Dinge. Aber die erwähnten mögen wohl wirklich die
gewesen sein, an die er dachte. Er war nicht völlig betäubt. Er richtete
sich halb auf, als wollte er etwas zu dem neben ihm sitzenden Mr. Abner
sagen. In diesem Augenblick erhielt er einen zweiten kräftigen Hieb, der
ihn zusammensinken ließ. Er wurde aus dem Wagen gezerrt, und Mr. Abner
fuhr weiter. Hacinto wurde ausgekleidet bis auf die Haut. Ihm wurden
zerlumpte Hemden und Kleider auf den Körper gezogen. Dann fuhr ein
zweites Auto vor, in dem die angekommen waren, die das Auto des Mr.
Abner aufgehalten hatten. Der jetzt ganz zerlumpt aussehende Indianer
wurde nun mitten auf die Straße gelegt, das Auto entfernte sich ein
Stück und raste dann in voller Geschwindigkeit über den Körper, sorgsam
achtgebend, daß die Räder der einen Seite über den Hals Hacintos liefen.
Das Auto kehrte um und überfuhr Hacinto ein zweites Mal. Die Männer
stiegen aus und beleuchteten Hacinto mit elektrischen Taschenlampen. Sie
untersuchten ihn sorgfältig, und als sie sahen, daß er tot war, wirklich
tot, stiegen sie wieder ein und rasten zurück zur Stadt. Mr. Abner nahm
einen andern Weg, um zur Stadt zurückzugelangen.


                                   14

Der Leichnam des Don Hacinto wurde am nächsten Morgen gefunden. Der
Coroner, der amtliche Leichenbeschauer, gab seinen Bericht; und Don
Hacinto wurde auf Staatskosten eingegraben.

Der Bericht besagte, daß ein armer, zerlumpter Mann, offenbar ein
Mexikaner, den Händen nach zu urteilen ein Landarbeiter, der sich über
die Grenze geschmuggelt hatte, um in den Staaten Arbeit zu finden, in
der Nacht von mehreren Automobilen überfahren worden sei. Weder der Name
des Mannes, noch die Nummern der Automobile konnten festgestellt werden.
Um eine spätere Identifikation zu ermöglichen, wurde der Leichnam
gemessen, Haar- und Augenfarbe festgestellt, besondere Merkmale des
Körpers gesucht und gefunden, und endlich wurden Gesicht und Profil
photographiert. Der Identifikationsbericht wurde dem Department für
Identifikation der Polizei in Los Angeles übergeben, in deren Bereich
der Leichnam gefunden wurde. Dort lagert der Bericht, und dort wird er
lagern, bis eines Tages ein Erdbeben die Stadt und alle amtlichen
Dokumente zerstören wird.

Denn niemand auf Erden hat ein Interesse an dem Leichnam eines
zerlumpten mexikanischen Landarbeiters, der sich nach den Staaten
eingeschmuggelt hat.




12


                                   1

Zwei Wochen später wurden bei der Regierung in Jalapa von der Condor Oil
Company die Verkaufsakten der Rosa Blanca zur Bestätigung eingereicht.
Der Besitzwechsel wurde in die Register eingetragen. Die Aktien
bestanden aus einem Verkaufskontrakt in Höhe von vierhunderttausend
Dollar, für welchen Betrag die Company die Stempelmarken, die Steuern
und die Registrierung bezahlte. Der Kontrakt war unterzeichnet von
Hacinto Yanyez, dem ersten Vizepräsidenten der Condor Oil Company, zwei
Zeugen und einem Syndikus. Dem Kontrakt lag ein Affidavit, eine
eidesstattliche Urkunde, eines amtlich vereideten amerikanischen Notars
bei, der den Verkauf und die Zeichnung der Unterschriften bestätigte.
Alle Dokumente waren ordnungsmäßig von dem mexikanischen Konsul in San
Francisco beglaubigt, gleichfalls waren die Übersetzungen in das
Spanische von ihm beglaubigt worden. Er hatte ja nichts weiter zu
beglaubigen als die Unterschriften und die amtliche Befugnis jenes
Notars.

Streng nach dem Gesetz hätte freilich der Verkauf in der Office des
mexikanischen Konsuls und im Beisein von mexikanischen Konsularbeamten
stattfinden müssen, um unantastbare Gültigkeit zu haben. Aber das
Affidavit des Notars kann wohl unoffiziell bezweifelt werden, kann
jedoch amtlich und offiziell nie bestritten oder gar angegriffen werden,
ohne zu diplomatischen Auseinandersetzungen zu führen, die man bei einem
solchen Objekt gern vermeidet, um so mehr als der Vizepräsident der
Company, seine zwei Zeugen, der Syndikus und der Notar in jeder Hinsicht
ehrenhafte und achtbare Bürger sind, die in vorzüglichem Rufe stehen und
– eine wichtige Sache – politischen Einfluß haben. Ein ganz leiser
Zweifel nur an ihrer Rechtschaffenheit kann zu sehr unangenehmen und
peinlichen Folgerungen führen.

Also sind die Dokumente gut und werden ohne Bedenken als vollwertige
Dokumente registriert.


                                   2

Nach der Registrierung verging ein Monat.

Dann trafen auf der Rosa Blanca die Ingenieure der Company ein, um zu
vermessen.

Es kam sofort zu Streitigkeiten auf der Hazienda.

Der älteste Sohn des Hacinto und Senjora Yanyez, die Frau des Hacinto,
widersetzten sich dem Herumwühlen der Ingenieure. Die Männer, die auf
der Hazienda wohnten, kamen alle herbei, und wären die Ingenieure nicht
schnell wieder abgezogen, so wäre es zu bösen Gefechten gekommen.

Die Ingenieure behaupteten, die Company habe die Hazienda gekauft. Das
bestritten der Sohn, die Frau, Margarito und alle Männer. Denn jeder
wußte, daß Hacinto die Hazienda niemals zu verkaufen gedachte. Die
Ingenieure hatten keine Abschriften der Dokumente bei sich, und so
konnten sie freilich nichts anderes tun, als wieder abreisen.


                                   3

Die Company telegraphierte an die Regierung nach Jalapa und ersuchte um
militärischen Schutz bei der Übernahme der Hazienda.

Jetzt erfuhr der Gouverneur von der Angelegenheit zum ersten Male; denn
mit der Registrierung der Dokumente hatte er ja nichts zu tun. „Da ist
etwas nicht in Ordnung“, sagte er als erstes Wort zu seinem Sekretär. Er
ließ sich sofort die Akten bringen, sah sie aufmerksam durch und sagte
dann: „Die Dokumente sind richtig, haben Siegel und Zeichnung unseres
Konsuls. Aber ich verstehe nicht den Yanyez. Er dachte gar nicht daran,
zu verkaufen. Freilich ist der Betrag nun in vierhunderttausend Dollar
bezahlt, während früher Don Hacinto nur vierhunderttausend Peso geboten
waren. Das ist immerhin ein so gewaltiger Unterschied im Preise, daß
dieser Unterschied wohl für Don Hacinto entscheidend gewesen sein mag.
Was kann man wissen, was die Burschen ihm sonst noch versprochen haben.“

Er sandte die Akten wieder zurück in das Registeramt.

Einige andere Dinge kamen dazwischen. Als er damit durch war, stand er
auf, zündete sich eine Zigarette an, ging zum Tische des Sekretärs im
Nebenraum und redete zu ihm in einer Weise, als wollte er durch das
Reden seine Gedanken ordnen und in eine bestimmte Richtung leiten.

„Dennoch verstehe ich nicht“, der Sekretär wußte noch nicht, daß der
Gouverneur unausgesetzt an den Fall der Rosa Blanca gedacht hatte,
während er andere Dinge erledigte, „dennoch verstehe ich nicht“,
wiederholte der Gouverneur, „warum da militärischer Schutz nötig ist.
Wenn er die Hazienda verkauft hat und für eine so hohe Summe, warum
übergeben die Leute denn die Hazienda nicht? Ist er selbst denn nicht
da, noch nicht zurückgekehrt?“

Ihm fegte ein Gedanke so heftig das Hirn, daß er erschrak.

In nervöser Hast kommandierte er dem Sekretär: „Sofort amtliches
Telegramm zur Telegraphen- oder Telephonstation nächst zur Rosa Blanca,
daß ich ältesten Sohn und wennmöglich Senjora Yanyez ebenfalls sofort
mit raschester Gelegenheit hier zu sehen wünsche mit Briefen oder
Telegramm versehen, die sie etwa von Don Hacinto empfangen haben
sollten, während er in San Francisco war. Don Hacinto soll mitkommen,
falls er inzwischen eingetroffen ist. Ich bin überzeugt“, sagte der
Gouverneur in einem andern Ton, um anzudeuten, daß dies nicht für das
Telegramm bestimmt sei, „Don Hacinto ist nicht auf der Hazienda, sonst
könnten da keine Auseinandersetzungen sein. Aber wo ist er denn dann?“

„Vielleicht macht er sich gute Tage in San Francisco mit dem vielen
Geld“, sagte der Sekretär lachend.

„Das ist möglich. Aber ich glaube es nicht. Ein paar Tage ja,
vielleicht. Man kennt ja einen Menschen nicht wieder, wenn er plötzlich
viel Geld in die Hand bekommt.“

Darauf sagte der Sekretär: „Kann sein, daß er sich einen guten Ranch
ansieht, um sich dort anzukaufen, in California.“

„Kann auch sein“, gab der Gouverneur zur Antwort. „Aber es scheint,
seine Leute hier haben von ihm gar keine Nachricht, nicht einmal eine
Nachricht von dem Verkauf. Merkwürdig ist es auf alle Fälle.“

Abermals kamen andere Dinge zur Office, die der Gouverneur zu bearbeiten
hatte.

Es schien, daß er den Fall nicht los wurde aus seinen Gedanken. Denn als
er um vier Uhr des Nachmittags zurückkam zur Office, sagte er zu seinem
Sekretär: „Da ist doch das Affidavit in den Akten. Wozu in aller Welt
ist denn da ein Affidavit nötig? Ist doch gar nicht nötig.“

„Das scheint mir aber doch nötig zu sein“, warf der Sekretär ein. „Da
der Verkaufskontrakt nicht auf dem mexikanischen Konsulat abgeschlossen
wurde, wie es hätte eigentlich geschehen müssen, so haben die
Kontrahenten als Ersatz hierfür das Affidavit eines amtlichen Notars
eingesetzt. Vielleicht war der Konsul nicht anwesend.“

„Dann ist doch eine Vertretung auf dem Konsulat“, sagte der Gouverneur.

„Schon“, meinte der Sekretär, „aber vielleicht hatte die Vertretung
nicht so weitgehende Vollmachten.“

Der Gouverneur schüttelte den Kopf: „Bei Abschließung eines so wichtigen
Kontraktes, der sich auf Besitzwechsel in einem fremden Lande bezieht,
insbesondere wo ein Besitzwechsel aus den Händen eines Staatsbürgers in
die Hände eines Fremden in Frage kommt, kann man auch einige Tage
warten, bis der Konsul zurückkommt, oder sie konnten nach Los Angeles
reisen, um dort auf dem Konsulat den Verkauf abzuschließen.“

„Aber die Company ist in San Francisco ansässig“, wandte der Sekretär
ein. „Für die Company ist das mexikanische Konsulat in San Francisco
zuständig.“

„Die Company wollte ganz sicher gehen, darum das Affidavit des Notars“,
sagte der Gouverneur. „Aber wenn sie so sicher gehen wollte, war das
Sicherste, zu unserm Konsul zu gehen und dort den Kontrakt in seinem
Beisein abzuschließen. Warum die Vertragsschließenden das vermieden
haben, unsern Konsul aufzusuchen, ist ja eben gerade das, was mir so
merkwürdig erscheint.“

„Aber, Senjor Gouverneur“, sagte der Sekretär, „erlauben Sie, bitte,
unser Konsul hat die Dokumente bestätigt.“

„Was hat er denn bestätigt? Was denn? Er hat die Richtigkeit der
Unterschriften der Personen bestätigt, die ihm persönlich bekannt zu
sein scheinen, nach dem, was in seiner Bestätigung gesagt ist. Er hat
ferner bestätigt, daß der Notar, der das Affidavit ausgestellt hat, ein
Public Notary, ein amtlich vereideter öffentlicher Notar ist, dessen Amt
und Befugnis zu Recht bestehen. Weiter nichts. Aber es bleibt mir nichts
anderes übrig. Also dann, weiteres Telegramm an die Condor Oil, daß
militärischer Schutz vorbereitet werde und, wenn notwendig, in wenigen
Tagen zur Verfügung stehe. Solange der Kontrakt nicht bezweifelt werden
kann, hat die Company alle Rechte auf ihrer Seite.“


                                   4

Einige Tage später kamen der Sohn und die Frau des Hacinto nach Jalapa.
Sie wurden sofort vom Gouverneur gerufen.

Er kannte beide Leute persönlich von seinem Besuch auf der Rosa Blanca
her.

Sie sahen beide sehr verhärmt aus. Trugen ihre Sorgen und ihre
schlaflosen Nächte offen auf dem Gesicht.

Der Gouverneur war herzlich zu ihnen. Er ließ sie fühlen, daß sie
Vertrauen zu ihm haben durften.

Bot dem Sohne Zigaretten an und der Frau Schokolade aus einem Karton,
den er aus einem Schubfache seines Schreibtisches zog.

Als er ihr den Karton reichte, damit sie sich einige Stücke herausnehmen
sollte, begann er zu lächeln und sagte: „Entschuldigen Sie, Donja
Concepcion, Sie rauchen lieber auch Zigaretten. Hier, bitte, versuchen
Sie diese.“ Er reichte ihr sein ledernes Zigarettentäschchen, und die
Frau nahm eine Zigarette heraus, lächelnd unter Tränen, die ihr dick in
den Augen standen.

„Wo ist Don Hacinto?“ fragte der Gouverneur.

„Das wissen wir nicht“, sagte die Frau. „Wir machen uns so viel Sorge,
was mit ihm geschehen sein kann. Seit er mit dem Amerikaner fortgereist
ist, haben wir nichts mehr von ihm gehört.“

„Er hat die Rosa Blanca an die Company verkauft.“

„Das ist eine Lüge“, schrien beide, die Frau und der junge Mann. „Das
hat er nicht getan. Er verkauft die Rosa Blanca nicht für hunderttausend
Millionen Peso“, setzte die Frau allein hinzu.

Der Gouverneur nahm die Dokumente zur Hand, die er sich hatte bringen
lassen, und reichte sie der Frau: „Hier sind die Verkaufsakten, Donja
Concepcion.“

Die Frau überflog den Inhalt, ohne eigentlich zu lesen. Sie kam zu den
Unterschriften und schrie: „Das hat Hacinto nicht geschrieben, diesen
Namen.“

Der Gouverneur fragte rasch: „Warum glauben Sie, Don Hacinto hätte das
nicht geschrieben?“

„Einfach, einfach“, schrie die Frau erregt, „er kann ja gar nicht
schreiben. Nicht einen einzigen Buchstaben kann er schreiben.“

Der Gouverneur sprang auf, und der Sekretär schrie: „Gouverneur.“

Für einen Augenblick sagte niemand etwas.

Der Gouverneur sah Senjora Yanyez an in einer Weise, als sähe er sie
nicht.

Dann sprach die Frau erregt: „Er kann ja gar nicht schreiben, der
Hacinto. Hat es nie gelernt. Kann auch nicht lesen. Alles, was zu
schreiben ist auf der Hazienda, das schreibe ich. Ich habe es in der
Schule gelernt. Bin sieben Jahre in die Escuela Mixta, in die gemischte
Schule in Tuxpam gegangen. Jetzt schreibt alles der Domingo hier, den
wir auch in die Schule geschickt haben. Aber Hacinto kann nicht
schreiben.“

„Also Hacinto kann nicht schreiben“, sagte der Gouverneur und setzte
sich wieder.

Die Frau, die noch immer die Dokumente in der Hand hielt, blickte wie
verloren noch einmal über die Unterschriften, sah auch die Unterschrift
der Quittung, verglich beide Unterschriften und sagte dann: „Außerdem,
Senjor Gouverneur, ist der Name falsch geschrieben. Wir schreiben
unseren Familiennamen nicht mit einem Y in der Mitte, sondern mit einem
N und mit einer Tilde darüber. Nur am Anfang schreiben wir den Namen mit
einem Y, in der Mitte nicht.“

Der Gouverneur nahm die Dokumente der Frau aus den Händen, sah
gleichfalls auf die Unterschriften und sagte: „Das ist richtig. Ist mir
zuerst gar nicht aufgefallen. Die Amerikaner schreiben Yanyez in der
Mitte mit einem Y, weil sie kein N mit Tilde haben. Aber Mexikaner
schreiben den Namen nie in der Weise. Wunder, daß dies dem Konsul nicht
aufgefallen ist.“

„Kein Wunder“, mischte sich der Sekretär ein, „daß es dem Konsul nicht
aufgefallen ist. Es kann jedermann seinen Namen schreiben, wie es von
seinem Vater übernommen wurde. Auf die Schreibung von Namen finden die
Regeln der Orthographie keine Anwendung. Und ob der Name so oder so
geschrieben wird, er bleibt in der Aussprache ja immer der gleiche.“

„Hören Sie nun gut zu, Donja Concepcion“, sagte der Gouverneur
freundlich zu Senjora Yanyez. „Wir werden sofort eine Untersuchung
darüber einleiten, was hier an der Sache richtig und was unrichtig ist.
Ich darf Ihnen hier amtlich nicht sagen, was ich denke; denn die
Dokumente sind gesetzlich einwandfrei, ganz gleich, was dahinter an
Unrichtigkeit verborgen sein mag. Ich bin verpflichtet als Gouverneur,
die Dokumente als zu recht bestehend anzuerkennen, und ich bin
verpflichtet, dem, der auf Grund dieser Dokumente das Recht hat, sich
Besitzer zu nennen, zu seinen Rechten zu verhelfen. Wenn nicht anders,
dann mit militärischer Gewalt.“

„Das heißt also“, sagte Senjora Yanyez erschreckt, „daß wir die Hazienda
nicht mehr besitzen, daß wir und alle Leute herunter müssen von unserm
Land.“

„Das ist richtig, Donja Concepcion. Die Company ist augenblicklich im
Vorteil. Da können wir nichts tun. Die Company kann auf Grund der
Dokumente hier die amerikanische Regierung anrufen, und die
amerikanische Regierung wird dann auf diplomatischem Wege unsere
Regierung zwingen, die Hazienda an den neuen Besitzer zu übergeben und
ihn in jeder Weise in seinen Rechten zu unterstützen, selbst gegen ihre
eigenen Bürger. Wenn Sie, Donja Concepcion, ähnliche Dokumente vorweisen
können auf eine Hazienda, die in den Staaten ist, dann müßte Ihnen die
amerikanische Regierung dort oben genau so gut helfen wie unsere
Regierung den amerikanischen Bürgern hier in Mexiko helfen muß, wenn
einwandfreie Dokumente die Besitzrechte klarstellen. Das sind
internationale Rechte, die hier walten. Und nur dann, wenn wir in der
Lage sind, zu beweisen, daß die Dokumente auf ungesetzliche oder gar
verbrecherische Weise erlangt wurden, daß also die Dokumente den
wirklichen Tatbestand unrichtig wiedergeben, können wir eingreifen und
die Besitzübernahme vertagen, bis eindeutig und unzweifelhaft der
wirkliche Besitzer festgestellt ist. In einem solchen Falle würde
derjenige im Besitz und in der Nutznießung der Hazienda bleiben, der sie
augenblicklich im Besitz hat. Das wären also Sie und Ihr Sohn. Aber wir
können Sie nicht in dem Besitz lassen, weil bis jetzt die Dokumente als
echt angesehen werden müssen. Klar gesagt, die Dokumente an sich sind
echt. Wir, aber nur wir hier, bezweifeln die Echtheit der Unterschrift
des Don Hacinto. Daß diese Unterschrift unecht ist, müssen wir erst
beweisen.“

„Aber Hacinto kann doch nicht schreiben“, wiederholte die Frau
eigensinnig.

„Das weiß ich, Senjora. Aber wir müssen es beweisen. Und das ist
schwer.“

„Schwer?“ rief die Frau erstaunt aus. „Schwer, wenn ich alles schreiben
mußte, weil er nicht schreiben konnte?“

„Es kann ihm ja jemand die Hand geführt haben, Donja Concepcion. Wir
wissen das jetzt noch nicht.“

Daran hatte Senjora Yanyez nicht gedacht. Sie sah alle Hoffnungen, die
aufgekeimt waren, schwinden.

„Sie müssen bedenken, Senjora“, sagte der Gouverneur, „daß die
Unterschrift und der Verkaufsabschluß von mehreren Zeugen bestätigt
worden sind. Alles Leute, die in angesehenen Stellungen sind.“

„Diese Leute sind Betrüger“, schrie Senjora Yanyez.

„Sie dürfen das sagen, ich nicht. Der Kontrakt und die Unterschriften
sind außerdem amtlich bestätigt von einem vereideten Notar.“

„Alle Notare und Licenciados sind Betrüger“, sagte die Frau.

„Mag sein“, lachte der Gouverneur. „Aber wenn ich oder unser Konsul in
San Francisco sagen, der amerikanische Notar ist ein Schwindler, so kann
das sehr wohl zu einem Kriege zwischen unserm Lande und den Staaten
führen. So schlicht läßt sich die Angelegenheit nicht zu Ihren Gunsten
lösen. Leider nicht. Ich glaube nicht, daß Hacinto die Rosa Blanca
verkauft hat. Das ist sicher. Aber was ich glaube, das gilt amtlich
nicht. Ich komme also zu dem, was ich Ihnen nun sagen muß, Donja
Concepcion. Es tut mir wehe, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist meine
Pflicht als Gouverneur. Die Company ist im nominellen Besitz der
Hazienda. Sie müssen ihr weichen, und alle Leute müssen hinaus. Da ist
nichts dagegen zu tun. Wenn ein Betrug vorliegt und wenn wir den Betrug
beweisen können, dann erhalten Sie die Rosa Blanca zurück mit allem
Schaden ersetzt, den Sie materiell erlitten haben. Aber augenblicklich
sind Sie im Nachteil. Ich werde mich sofort mit der Company in
Verbindung setzen, und ich werde versuchen, die Company zu bewegen, daß
Sie und so viele Familien wie möglich auf der Hazienda bleiben dürfen,
bis sie alle die Ernte herein haben. Die Company beginnt wohl nicht
gleich an allen Stellen zur selben Zeit zu bohren, so daß genügend Raum
offen bleibt für Sie und für zahlreiche andere Familien.

„Aus allen den Gründen, die ich Ihnen sagte, möchte ich Sie bitten, den
Ingenieuren keine Schwierigkeiten dort zu bereiten. Die Ingenieure sind
ganz und gar schuldlos. Die sind Arbeiter, die von der Company bezahlt
werden und darum tun müssen, was die Company ihnen befiehlt. Wollen Sie
mir versprechen, Donja Concepcion, und auch Sie“ – er wandte sich an den
Sohn –, „meiner Bitte zu folgen und den Besitzwechsel vorläufig
anzuerkennen?“

„Den Besitzwechsel erkennen wir nicht an, nie, niemals“, rief die Frau
erregt. „Wir haben auch nicht einmal das Geld. Nur wenn mir Hacinto
selbst sagt, daß er die Hazienda verkauft hat, dann will ich es gern
glauben, auch wenn man ihm alles Geld gestohlen hat. Aber so lange mir
das Hacinto nicht selbst gesagt hat, erkenne ich nichts an und glaube
ich nichts und behaupte, das ist ein infamer Betrug der Gringos, die
unsere Hazienda haben wollen.“ Sie schwieg.

Der Gouverneur sah sie ruhig an, ohne ein Wort zu sagen.

Und unter dem Blick des Mannes, der so freundlich und so klar zu ihr
gesprochen hatte, der ihr Gast gewesen war und dort in ihrem Hause so
fröhlich gewesen war, begann sie sich zu beruhigen, als säße sie ihrem
Vater gegenüber, der ihr nur Gutes wollte.

Sie schluckte einige Male, als ob sie aufkommende Tränen unterdrücken
müßte oder Worte, die sie nicht sagen wollte.

Dann, noch immer unter dem ruhigen Blick des Gouverneurs stille haltend,
sagte sie endlich ganz leise: „Gut, Senjor Gobernador, die Ingenieros
mögen kommen und arbeiten, so viel sie wollen. Ich werde allen Leuten
sagen, daß man sie in Ruhe läßt.“

Der Gouverneur stand auf, ging um seinen Tisch herum, kam zu der Frau,
ergriff langsam ihre Hände wie einem Kinde, schüttelte die Hände, und
endlich küßte er sie. Dann sagte er ebenso leise, wie die Frau
gesprochen hatte: „Ich danke Ihnen, Conchita“ – Conchita ist der
Kosename für Concepcion –, „ich danke Ihnen, daß Sie mir mein Amt
erleichtern. Vergessen Sie nicht, daß Sie einen Freund in mir haben.
Nicht nur als Gouverneur, sondern mehr als Ihr Freund und als der Freund
Hacintos, verspreche ich Ihnen, daß ich mit allen Kräften arbeiten
werde, die Wahrheit herauszufinden. Und ich verspreche Ihnen, daß, wenn
ich die Wahrheit gefunden habe, daß dann die Weiße Rose nicht umsonst
gebrochen wurde. Wenn sie auch vielleicht nicht mehr blühen kann in
ihrer Schönheit, so soll sie doch nicht verwelken, nimmer verwelken. Sie
soll eine Frucht tragen, die reifen wird. Und der Beginn der Reife soll
der Anfang sein der Befreiung des Landes und seiner Bürger, damit wir
ein Land besitzen, in dem eine jede Rose, ob weiß, oder rot, die
Freiheit haben soll, zu blühen so schön sie will und so lange sie mag.“

Die Frau verstand seine Worte nicht. Aber sie fühlte ihren Sinn, und sie
trug ihn in ihrem Herzen gleich dem ewigen Glauben der Menschen an eine
endliche Erlösung aus aller Pein.




13


                                   1

Der Gouverneur reiste Ende der Woche nach Mexiko City. Er suchte
Licenciado Perez auf, fand ihn aber nicht in seiner Office.

Am späten Nachmittag ging der Gouverneur in ein Restaurant, wohin er
sich mit einigen Senatoren verabredet hatte, um dort mehrere Sachen
politischer Natur mit ihnen zu beraten. Als er den großen Saal des
Restaurants betrat, sah er in einer Nische den Licenciado mit seiner
Frau sitzen und Tee trinken. Er ging sofort zu ihm und bat ihn um eine
kurze Unterredung. Die beiden Herren setzten sich an einen der kleinen
Tische.

„Don Hacinto hat die Rosa Blanca verkauft“, sagte der Gouverneur ohne
jede Einleitung.

„Ja, das ist richtig“, antwortete Senjor Perez, „ich habe als
gesetzlicher Vertreter die Akten zur Registrierung an die Regierung
geschickt.“

„Ist Ihnen an den Dokumenten etwas aufgefallen?“ fragte der Gouverneur.

Licenciado Perez blickte scharf auf: „Warum, Senjor Gobernador? Ja. Mir
ist daran aufgefallen, daß die Dokumente nicht in der Office unseres
Konsuls unterzeichnet wurden. Aber das kann gute Gründe haben. Die
Urkunden sind rechtsgültig bestätigt vor einem öffentlichen
amerikanischen Notar. Alle Unterschriften und die Übersetzung sind
jedoch von unserm Konsul bestätigt, der alle Unterzeichner persönlich
kennt.“

„Kannte unser Konsul auch Don Hacinto persönlich, als er die
Unterschriften bestätigte?“ fragte der Gouverneur.

„Das kann ich nicht wissen“, antwortete Senjor Perez.

„Haben Sie von uns schon die amtliche Bestätigung erhalten, daß die
Dokumente registriert sind?“ fragte der Gouverneur.

„Die amtliche Bestätigung habe ich noch nicht in Händen, aber Senjor
Jazmines vom Registeramt hat mir auf meine Anfrage mitgeteilt, daß die
Registrierung erfolgt sei“, sagte Senjor Perez.

„Das ist richtig. Die Registrierung ist erfolgt“, bestätigte der
Gouverneur. „Ehe Sie der Company mitteilen, daß die Registrierung
erfolgt ist, möchte ich Sie noch sprechen. Wenn irgend möglich morgen
schon, weil ich übermorgen früh zurückreisen muß.“

„Gut“, antwortete der Licenciado. „Morgen ist zwar Sonntag, aber ich
werde um elf Uhr in meiner Office sein, und wir können dort allein und
ungestört sprechen.“

„Bueno, also morgen um elf“, sagte der Gouverneur. „Entschuldigen Sie
mich jetzt, Licenciado, dort sind die Herren, mit denen ich zu
verhandeln habe.“


                                   2

Als der Gouverneur und der Licenciado am nächsten Morgen beisammensaßen,
schoß der Gouverneur sofort auf sein Ziel los: „Ist es Ihnen nicht
aufgefallen, daß Don Hacinto so rasch verkaufte, sobald er dort in San
Francisco war?“

„Nein, das ist mir nicht aufgefallen. Um so weniger, als man ihm nun in
Dollars zahlte, was ich ihm nur in Pesos geboten hatte. Einer so hohen
Summe konnte er wohl nicht widerstehen.“

„Don Hacinto hat den Kontrakt unterschrieben, im Original und in allen
Kopien“, sagte der Gouverneur.

„Ja, das hat er“, bestätigte der Licenciado.

„Wissen Sie, Licenciado“, fragte nun der Gouverneur scheinbar sehr
ruhig, „daß Don Hacinto nicht schreiben kann?“

„Was?“ schrie Senjor Perez. „Er kann nicht schreiben?“

„Nein, keinen einzigen Buchstaben.“

Nach einer Weile ruhigen Überlegens sagte Senjor Perez: „Man kann ihm
die Hand geführt haben. Das ist gesetzlich zulässig.“

„Richtig. Aber dann muß das in einem so wichtigen Dokument ausdrücklich
bestätigt werden von einem Notar, ebenso wenn an Stelle des Namens des
Unterzeichners, der des Schreibens unkundig ist, eine Figur oder drei
Kreuze gemalt werden.“

„Ja, Sie haben recht, Gouverneur“, sagte der Anwalt, „das hätte
bestätigt werden müssen, um Rechtskraft zu bekommen.“

Der Gouverneur dachte eine Weile nach.

Endlich sagte er: „Nun einige andere Fragen, Licenciado. Einige
Rechtsfragen.“

„Bitte, fragen Sie.“

„Halten Sie es für möglich, daß die Zeugen, die unterzeichnet haben, der
Syndikus, der Notar, der Vizepräsident, Schurken sind?“ fragte der
Gouverneur.

Senjor Perez lachte laut heraus: „Aber, Senjor Gobernador, das ist eine
Frage! Wie kann ich wissen, ob alle diese Leute Schurken sind. Sie alle
sind angesehene Herren, achtbare Männer vor dem Gesetz und vor der
großen Öffentlichkeit. Was sie in ihrem wahren Charakter sein mögen, der
einer Öffentlichkeit nicht bekannt ist, kann natürlich niemand wissen.
Und was weder Gesetz noch Öffentlichkeit wissen, darf uns nicht kümmern,
was immer wir auch von jemand denken mögen in unserer privaten Meinung.“

„So ungewöhnlich ist jedoch meine Frage nicht“, rechtfertigte sich der
Gouverneur. „Ich will mich klarer aussprechen. Gesetzt den Fall, es
liegt hier ein Verbrechen oder, sagen wir milder, eine Ungesetzlichkeit
vor, glauben Sie, daß so viele achtbare Männer bei einer so
folgenschweren Ungesetzlichkeit Hilfe leisten würden?“

„Nein, das glaube ich nicht“, sagte der Licenciado. „Jeder einzelne
dieser Herren mag vielleicht eine schwere Ungesetzlichkeit begehen.
Warum nicht? Aber keiner von denen wird je irgend etwas Ungesetzliches
tun in Gemeinschaft anderer. Das ist gefährlich. Ein solcher Mann ist
immer in Händen dessen, der Zeuge war. Dazu sind solche Männer zu
intelligent und zu vorsichtig.“

„Das ist es, das ist es ganz genau, was ich dachte“, erwiderte der
Gouverneur. „Wenn also hier eine Ungesetzlichkeit vorgekommen ist, so
ist es durchaus möglich, daß keiner der Zeugen weiß, was vorgekommen
ist?“

„Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen, Gobernador.“

„Gut. Also ich meine: Waren alle Zeugen gleichzeitig zugegen, als Don
Hacinto den Kontrakt und die Kopien unterschrieb?“

„Das kann ich nicht wissen“, sagte der Licenciado der Wahrheit gemäß.

„Freilich nicht, Senjor Perez, freilich können Sie das nicht wissen;
denn Sie waren ja selbst nicht zugegen. Wie geht denn das gewöhnlich zu
bei einer solchen Vertragsabschließung?“

„Ah, Gobernador, jetzt endlich habe ich begriffen, worauf Sie
hinzielen“, sagte Senjor Perez. „Ein Vertrag, besonders ein so wichtiger
Vertrag wie dieser hier, wo es sich um ein großes Objekt handelt, soll
eigentlich, um allen Bedingungen gerecht zu werden, im Beisein aller
Unterzeichner abgeschlossen werden. Soll eigentlich, aber geschieht
meist nicht, und die Gesetze sagen wenig Genaues hierüber. In vielen
Fällen, ich kann aus meiner eigenen Praxis sagen, in den meisten Fällen,
geht das so vor sich: Ein Verantwortlicher der Company, hier also war es
der erste Vizepräsident, unterzeichnet den Vertrag, der ihm von dem
Syndikus oder einer andern Person vorgelegt wird. Er unterzeichnet ihn
in seiner Office gleichzeitig mit hundert andern Kontrakten und Briefen.
Sieht meist gar nicht hin, was er unterzeichnet, weil er sich auf sein
Personal verläßt. Dann wird der Vertrag dem andern Kontrahenten
vorgelegt, hier also dem Senjor Hacinto Yanyez. Auch der unterzeichnet
ihn an dem Orte, wo ihm der Vertrag vorgelegt wird, vielleicht in seinem
Hotelzimmer. Dann geht der Vertrag zu dem einen Zeugen und dann zu dem
andern, zu jedem allein. Alle diese Unterzeichner kennen sich meist
persönlich und kennen ihre gegenseitigen Signaturen, die auch meist
registriert sind. Der Vertrag geht dann, wenn es erforderlich ist, zu
dem Notar, der die Unterschriften bestätigt, weil er ebenfalls alle
Unterzeichner persönlich und deren Unterschriften kennt. Irgendwelche
Bedenken hat er nicht, weil ihm der Vertrag eingereicht wird von einer
angesehenen und bekannten Company, über deren Rechtschaffenheit kein
Zweifel besteht. Das wird so gemacht und muß meist so gemacht werden,
weil es sehr oft ganz unmöglich ist, alle Unterzeichner an demselben Ort
und zu derselben Zeit zusammen zu haben. Der eine wohnt vielleicht in
Chicago, der andere in Albany, wieder ein anderer in Phoenix. Kommt nun
ein Vertrag mit den Unterschriften so achtbarer und bekannter Herren und
mit der Beglaubigung eines Notars versehen zu unserm Konsul oder zu
einem andern Konsul, so wird der gar keine Bedenken haben, die amtliche
Bestätigung zu geben. Er hat meist gar keine Zeit, den Vertrag genau
durchzusehen und lange darüber nachzudenken, daß an den Unterschriften
etwas nicht stimmen könnte. Man muß heute sehr viel Vertrauen sich
gegenseitig entgegenbringen. Würde man das nicht tun, gäbe es solche
Zeitverluste, daß alles Wirtschaftsleben ins Stocken geriete.“

„Es ist also dann möglich“, sagte jetzt der Gouverneur, „daß eine andere
Person und nicht Don Hacinto unterzeichnet haben kann.“

„Das ist natürlich möglich. Und bei der ganzen Vertragsabschließung
braucht nur eine einzige Person wirklich die Wahrheit zu wissen, während
alle übrigen Unterzeichner in der Tat unschuldig sind und man ihnen nach
den obwaltenden Umständen nicht einmal vorwerfen kann, daß sie
fahrlässig gehandelt hätten, weil der ganze Geschäftsverlauf in der
üblichen und gewohnten Weise vor sich gegangen ist.“

„Ganz genau so, wie ich mir gedacht habe, daß es geschehen sein könnte“,
sagte der Gouverneur. „Betrachten wir den Fall weiter. Wenn nun einer
der wichtigsten Unterzeichner, sagen wir Don Hacinto, aus der Welt
verschwindet, dann kann nie der Beweis beigebracht werden, daß er den
Vertrag nicht unterzeichnet hat.“

„Doch, Senjor Gobernador“, erwiderte der Anwalt. „Man kann seine
Unterschrift, die auf dem Kontrakt und in den Kopien, von
Sachverständigen vergleichen lassen mit andern Unterschriften, die Don
Hacinto irgendwo und irgendwann gegeben hat und von denen man ganz
zweifelsfrei weiß, daß es sich um legitime Unterschriften seiner Person
handelt.“

„Ein solcher Beweis ist aber nicht zu erbringen“, wandte der Gouverneur
ein, „wenn frühere Unterschriften des Don Hacinto nicht existieren.“

„In einem derartigen Falle dann freilich nicht“, sagte Licenciado Perez.

Der Gouverneur dachte eine Weile nach. Dann: „Wahrscheinlich war der
Mann, der an Stelle des Don Hacinto unterzeichnete, ein Mexikaner, der
sich vielleicht gar als ein Mann mit dem Namen Yanyez ausweisen konnte.
Der Name Yanyez ist ja nicht gerade häufig, aber doch genügend oft
vorhanden, um jemand mit diesem Namen vorzuschieben. Sehr möglich, daß
der vorgeschobene Mann gar nichts wußte, unterschrieb da etwas, von
dessen Inhalt er wenig verstand. Man gab ihm einige Dollar in die Hand,
und der arme Teufel tat, was man von ihm verlangte, froh darüber, daß er
so leicht zwanzig oder fünfzig Dollar verdienen konnte. Möglich, daß
jener Mann nach der Unterzeichnung verschwand. Was gilt dort drüben ein
armer mexikanischer Arbeiter. Sie werden zu Dutzenden erschlagen, und
niemand erfährt es. Wenn hier in Mexiko ein Amerikaner von Banditen
erschlagen wird, dann erfährt es sofort die ganze Welt, und die ganze
Welt entrüstet sich über die Unsicherheit in Mexiko.“

Plötzlich, gleich einem Donnerschlag, schlug die Stimme des Gouverneurs
auf den Licenciado ein: „Wissen Sie auch, Perez, daß Don Hacinto noch
nicht zurückgekehrt ist aus den Staaten?“

Senjor Perez fuhr erschreckt auf: „Was sagen Sie da? Nicht zurück?“

„Nein, er ist nicht zurück“, wiederholte der Gouverneur. „Niemand daheim
hat irgendeine Nachricht von ihm erhalten. Niemand weiß, wo er ist,
niemand weiß, wo das Geld ist, das er empfangen hat.“

„Das ist doch nicht möglich, Gobernador“, sagte der Licenciado, immer
erregter werdend. „Das kann doch gar nicht sein!“

„Es ist aber so“, nickte der Gouverneur. „Und nun will ich Ihnen sagen,
was ich denke. Don Hacinto hat den Kontrakt nicht unterschrieben; denn
erstens wollte er die Rosa Blanca nicht verkaufen, und zweitens konnte
er nicht schreiben. Don Hacinto hat die Hazienda nicht verkauft. Die
Unterschrift hat irgendein mexikanischer Arbeiter für ein paar Dollar
gezeichnet. Das war schlau, denn wir schreiben ja die Buchstaben ein
wenig anders als die Amerikaner. Hätte ein Amerikaner unterschrieben, so
würde man sofort gesehen haben, daß der Unterzeichner nicht Mexikaner
war. Man hat einen Arbeiter oder einen Schuljungen hergenommen, um die
Unterschrift so ungelenk erscheinen zu lassen, wie gewöhnlich die
Unterschrift eines wenig schreibgewandten Landmannes aussieht. Nach
meiner festen Überzeugung ist Don Hacinto dort oben ermordet worden, als
er nicht zu bewegen war, die Hazienda zu verkaufen.“

„Aber das ist ja unerhört, was Sie da sagen, Senjor!“ rief der
Licenciado.

„Keineswegs unerhört“, sagte der Gouverneur ernst. „Sie haben mir ja
soeben bestätigt, wie solche Verträge unterzeichnet werden, daß also die
Unterzeichner nicht alle am gleichen Ort und zu gleicher Zeit bei der
Unterzeichnung zugegen zu sein brauchen, weil sich eine Person auf die
Rechtschaffenheit der andern verläßt. Ich gebe zu, daß dies eine
rechtsgültige Handlung ist, weil – Sie gaben mir ja die Gründe an – es
sonst oft nicht möglich sein würde, einen Vertrag abzuschließen, denn
man kann die Personen nicht alle immer beisammen haben. Ich unterzeichne
auch die meisten Verträge und Briefe, die mir von meinen Leuten hier
vorgelegt werden, im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit meiner Sekretäre.
In dem Falle des Don Hacinto freilich gab das eine Möglichkeit, einen
Vertrag zu erschleichen. Ich bin überzeugt, daß Don Hacinto das Geld
nicht bekommen hat, und wenn er es bekam, so wurde es ihm wieder
abgenommen, sobald er ermordet war.“

„Ich kann das nicht glauben“, sagte Senjor Perez. „Ich kenne den
Präsidenten der Company, den Mr. Collins, persönlich. Er macht auf mich
nicht den Eindruck, daß er zu einer so grauenhaften Tat seine Zustimmung
geben würde.“

„Sie als Anwalt, lieber Perez, sollten doch recht vorsichtig sein, die
Menschen lediglich nach ihrem Eindruck, den sie auf andere Menschen
machen, zu beurteilen. Es handelt sich ja nicht um einen gemeinen Mord
im üblichen Sinne. Einen gemeinen Mord begeht ein solcher Mann natürlich
nicht. Aber hier ist der Mord nach der Auffassung des Mannes nötig im
Interesse seiner Company. Er, jener Präsident, betrachtet einen solchen
Mord mehr als einen politischen Mord. Und bei politischen Morden nimmt
das Gewissen gewöhnlich eine andere Stellung ein als bei einem Morde,
der rein persönlichen Interessen dient. Vielleicht lag der Mord nicht in
den Plänen des Präsidenten. In seinen Plänen lag nur der Besitz der
Hazienda. Er gab dann einem Subjekte den Auftrag, den Verkauf der
Hazienda durchzusetzen um jeden Preis. Jenes Subjekt, nicht die
Intelligenz und Ruhe des Präsidenten besitzend, wählte dann den
kürzesten und rohesten Weg, um den Auftrag, der ihm gegeben war, zu
erfüllen. Jenes Subjekt mag der Mann gewesen sein, der auf der Hazienda
war und der Don Hacinto nach den Staaten gelockt hat. Aber das ist nur
eine Vermutung.“

„Sollte nicht vielleicht alles nur Vermutung sein, was Sie mir hier
gesagt haben, Gobernador?“ fragte Senjor Perez.

„Gestern war alles nur Vermutung. Heute, nach der Unterredung mit Ihnen,
die mir Aufklärung gab über die Art und Weise, wie solche Verträge
unterzeichnet und bestätigt werden, bin ich gewiß, daß meine Vermutung
richtig ist oder wenigstens, daß sie der Wahrheit sehr nahe kommt. Wir
haben jetzt nur noch eine Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden. Bei
allen Verbrechen wird immer ein Fehler gemacht. Es wird auch hier ein
Fehler gemacht worden sein. Und ich vermute – ich betone diesmal, ich
vermute nur –, daß der Vertrag unterzeichnet wurde, nachdem Don Hacinto
bereits ermordet war oder nachdem man ihn geschickt – wie das dort oft
gemacht wird – in irgendeiner Weise verunglücken ließ, auf der Jagd oder
auf der Bahn oder im Auto oder beim Baden oder beim Segeln. Wir müssen
versuchen, seinen Leichnam zu finden und festzustellen, wann er starb.
Können wir dann vergleichen, daß der Vertrag unterzeichnet wurde,
nachdem Don Hacinto tot war, dann haben wir den Betrug erwiesen.“

„So etwas dürfte schwerfallen“, meinte der Licenciado.

„Das weiß ich, Senjor Perez. Es ist nur eine Idee von mir. Aber ich
werde dieser Idee folgen. Ich möchte Sie bitten, mir hierbei zu helfen.
Sie sind ja nicht nur der Vertreter jener Company, Sie sind ja auch
Mexikaner, nicht wahr, Senjor Perez?“

„Mit ganzem Herzen, Senjor Gobernador, das brauche ich nicht zu
versichern“, sagte der Licenciado offen. „Und in einem solchen Falle,
angesichts einer so schäbigen Tat, wo es sich um nackten Raub unseres
Landes handelt, bin ich Mexikaner erst recht und allen zum Trotz. Trotz
seiner Eigensinnigkeit und seiner Schwerfälligkeit habe ich Don Hacinto
achten und schätzen gelernt während meiner mehreren Besuche auf seiner
Hazienda. Und ich darf Ihnen offen eingestehen, daß, als er, trotz der
aufgehäuften Goldstücke auf seinem Tische, endgültig von jedem Verkauf
abstand, ich einen tiefen Respekt vor dem Manne bekam. Und obgleich mir
eine hohe Provision verlorenging, war ich im Herzen doch froh, daß er
dieses schöne Stück Heimat nicht an die Amerikaner verkaufte, daß ein so
schönes Stück Erde, das solche Menschen erzeugte, wie er war und wie
alle übrigen dort sind, die ich kennenlernte, nicht in ein stinkendes
und lärmendes Ölkamp verwandelt wurde. Und das ist meine ehrliche
Meinung, Gobernador.“

„Nun gut“, sagte der Gouverneur, „kommen wir zum Handeln. Schreiben Sie
der Company, daß Sie die Bestätigung der Registrierung noch nicht
erhalten hätten, was ja der Wahrheit entspricht. Sie dürfen ruhig
hinzufügen, daß nach privaten Mitteilungen, die Sie erhalten hätten, die
Registrierung erfolgt sei. Dann schreiben Sie ferner, daß hier bei der
Regierung inzwischen Bedenken aufgetaucht seien. Sagen Sie offen, es
habe sich herausgestellt, daß Don Hacinto nicht schreiben konnte. Und
sagen Sie endlich, daß die Regierung ein Interesse habe, zu erfahren, wo
sich Don Hacinto befinde, um ihn über einige Einzelheiten in dem
Vertrage zu vernehmen.“

„Halt!“ unterbrach der Licenciado. „Das werde ich nicht schreiben. Denn
gesetzt den Fall, Don Hacinto ist noch am Leben, dann wird man nun
versuchen, ihn noch nachträglich zu beseitigen, um einen so unbequemen
Zeugen loszuwerden.“

„Das ist wahr. Daran hatte ich nicht gedacht“, sagte der Gouverneur.
„Sagen Sie einfach, Don Hacinto sei hier noch nicht wieder
zurückgekehrt, und seine Familie habe ein Interesse daran, zu wissen, wo
er sei, ob man dort nichts über ihn erfahren könnte.“




14


                                   1

Auf der Hazienda Rosa Blanca arbeiteten die Ingenieure nun mit voller
Kraft.

Die Maisfelder, Zuckerstauden, Orangen- und Zitronenbäume wurden
niedergemacht, um Platz zu schaffen für die Bohrtürme. Eine Straße wurde
geschlagen und geebnet, um auf den schweren Lastautozügen das Material,
die Dampfkessel und Maschinen heranzufördern. Jede Familie, die so
kurzerhand von ihrem Feld herunter und aus ihrer Hütte heraus mußte,
erhielt von den Ingenieuren je zweihundertfünfzig Peso ausbezahlt, um
ihren Abzug zu beschleunigen. Das Abstandsgeld, das gleichzeitig als das
Abstandsgeld für den Verlust der reifenden Ernten galt, wurde in
silbernen Ein-Peso-Stücken ausbezahlt, damit es recht viel aussehen
sollte und damit mit diesem Silberhaufen der Schmerz um die sterbende
Heimat gelindert und kuriert werden sollte. Es dauerte nur wenige Tage,
dann mußte auch die Familie des Don Hacinto die Hazienda verlassen.

Die Ingenieure waren gutmütig. Sie sahen das Weh der Menschen, die von
ihren Urwurzeln gerissen wurden. Und um ihnen gefällig zu sein und ihnen
zu zeigen, daß sie keine Schuld an diesem Zerbrechen einer Heimat
trugen, fuhren sie mit den leer zurückgehenden Autos die Habe der
Familien dort hin, wohin die Leute zu wandern gedachten.

Die Compadres brachten ihre Familien in kleine Orte, die nahe ihrer
verlorenen Heimat lagen, weil die Männer alle in dem neu aufgelegten
Kamp gutbezahlte Arbeit erhielten. Sie bekamen vier Peso und vier Peso
fünfzig den Tag.

Der Mestize Frigillo hatte die Kommission für die Anwerbung dieser Leute
bekommen. Nie vorher hatte er eine so leichte und angenehme Kommission
in seinem Leben gehabt. Er brauchte nicht zu reisen, um Leute zu suchen,
brauchte deren Reisegeld nicht zu bezahlen, und er hatte überhaupt keine
Mühe. Denn alle Leute waren gleich zur Hand, weil sie ja nicht wußten
wohin und weil sie noch froh waren, so schnell ein anderes Einkommen zu
finden, nachdem ihnen die Ernten, gegenwärtige und zukünftige, genommen
waren.

Die Familie des Don Hacinto siedelte sich in Tuxpam an. Sie hatte für
Haus und Ernte eine Abstandssumme von zweitausend Peso bekommen. Die
Frau wollte das Geld nicht annehmen. Aus Stolz. Sie wollte kein Geld von
Räubern und Mördern in Händen haben, wie sie sagte. Aber der Sohn war
vernünftiger. Er wußte, daß die Mutter, die ja nicht mehr jung war, und
auch die jüngeren Geschwister das Geld gut gebrauchen konnten. Und so
nahm er das Geld in Empfang und gab es seiner Mutter, als sie in Tuxpam
eine kleine Tienda, einen kleinen Kramladen, kauften, damit die Mutter
eine Beschäftigung und ein kleines sicheres Einkommen haben möge.

Er selbst, der Sohn, arbeitete eine Zeitlang als Kolonnenführer in dem
neuen Kamp. Die Ingenieure, immer darauf bedacht, zu lindern und zu
heilen, wo sie nur konnten, lernten ihn nach einigen Wochen als
Chauffeur an, und Domingo fuhr die Material-Autos von Tuxpam zum Kamp.
Er bekam nun zehn Peso den Tag. Da er sehr anstellig und willig war,
lernten ihn die Ingenieure zum Tooldresser an, wobei er fünfzehn Peso
den Tag verdiente. Er ist später noch höher hinaufgerückt und wurde
endlich ein geschickter Driller, als der er fünfhundert Dollar Americano
den Monat verdiente und gute Prämien erhielt für jeden einkommenden
Brunnen, den er gebohrt hatte.


                                   2

Der Erzähler dieser Geschichte hat nicht die Absicht, falsche
Sentimentalitäten zu erzeugen und stimmungsvolle Wirkungen zu erzielen,
damit der Zuhörer von einer schönen und rührenden Geschichte sprechen
kann, die von dem Knicken eines zarten Rösleins handelt. Darum sei der
Wahrheit gemäß mitgeteilt, daß nicht nur die Ingenieure, sondern auch
das Direktorium der Condor Oil Company gut halfen, die ehemaligen
Bewohner der Hazienda wenigstens in materieller Weise den Verlust ihrer
Heimat weniger hart fühlen zu lassen. Und es sei ferner, der Wahrheit
folgend, hier gesagt, daß viele der Männer, wenn nicht vielleicht alle,
sich nach wenigen Wochen so gut in die neuen Verhältnisse hineinfanden,
daß sie wohl bald kaum noch bereit gewesen wären, ihr neues Leben gegen
das frühere zu vertauschen. Sie alle trugen jetzt gute Kleider, alle
trugen jetzt Schuhe und Stiefel, auch die Frauen, alle Kinder besuchten
die Schule, und die Frauen arbeiteten weniger hart als vorher. Und alle
Leute ohne Ausnahme, insbesondere die Kinder, lebten jeden Tag mehr und
mehr modernen hygienischen Grundsätzen gehorchend.

Materiell betrachtet waren alle Betroffenen jetzt besser für das Leben
im allgemeinen gerüstet als vorher. Sie waren nicht mehr nur die
Bewohner eines kleinen Fleckchens Erde, wo sie nichts weiter von der
Welt und anderen Menschen wußten, als soweit ihr Auge den Horizont sah.
Sie wurden mehr und mehr Menschen, die bewußt in einer großen Welt
lebten, in einer größeren Heimat, in der mexikanischen Republik. Sie
fühlten die Größe der Welt und den Umfang menschlichen Zusammenarbeitens
über die ganze Erde hinweg. Ihre Feinde waren früher die Nachbarn auf
der zweitnächsten Hazienda gewesen. Aber diese Feindschaft verschwand
mit dem Wachsen in eine größere Welt hinein. Sie fühlten ganz leise das
erste Keimen jenes Gedankens, daß alle Menschen auf der Erde eine
Einheit sind, alle eine große Bruderschaft bilden. Sie sahen in den
Filmen, die eifrige geschäftstüchtige Unternehmer in den Kamp-Orten
vorführten, was andere Menschen, weit entfernt von hier, taten, wie sie
handelten, wie sie dachten, wie sie arbeiteten, wie sie liebten, wie sie
ihre Kinder behandelten, wie sie betrogen und schwindelten. So sahen
sie, daß andere Menschen nicht so sehr verschieden von ihnen selbst
waren. Und das verstärkte das brüderliche Band zu anderen Menschen und
anderen Völkern. Sie hörten dem Radio zu, das von den amerikanischen
Ingenieuren und Ölleuten in die Kamps gebracht wurde. Sie hörten Musik
und Worte aus anderen Ländern, hörten die Reden des Präsidenten der
Republik, hörten die Reden von Ärzten, Lehrern, Instruktoren, Künstlern,
Gesundheitsinspektoren, die im Auftrage der mexikanischen Regierung die
Mission zu erfüllen hatten, Kenntnisse und Wissen und guten Rat in die
fernsten Gegenden der Republik zu tragen. Sie trafen mit anderen
Arbeitern zusammen, die aus anderen Staaten der Republik kamen, die viel
gesehen und viel erlebt hatten. So eröffnete sich vor den körperlichen
und vor den geistigen Augen dieser Leute eine ganz neue Welt, von deren
Existenz sie nie etwas vorher gewußt hatten. Eine Welt, die ihnen einst
fern geschienen hatte wie ein Planet im Weltall. Und jetzt sahen sie
jene ferne Welt, lebten in ihr, lebten mit ihr, verstanden sie mehr und
mehr und fühlten sich bald als Glieder jener neuen größeren Welt, nicht
als geduldete, sondern als berechtigte und notwendige Mitbewohner jener
neuen Welt. Denn sobald sie sich erst einmal hier in dieser großen Welt
ein wenig mehr zurechtgefunden hatten, lernten sie, daß man sie in jener
großen Welt gebrauchte, daß sie notwendig waren, auch wenn sie nur
eiserne Rohre heranschleppten und dabei halfen, diese Rohre einzuheben
in die Bohrlöcher. Diese Arbeit war wichtig, denn wenn niemand die Rohre
ablud und heranschleppte, so konnten die Automobile kein Gasolin
bekommen und sie konnten nicht fahren. So fühlten sie auch bald heraus,
aus gutem echtem Naturinstinkt, daß sie ebenso wichtig in dieser großen
Welt waren wie die Ingenieure und Bohrer. Sie hatten eine schöne Heimat
verloren, eine liebe Heimat, von der sie einst glaubten, daß sie ihren
Verlust nicht überleben könnten. Aber als sie zu sehen lernten und als
sie begannen aufzuwachen aus ihrer Benommenheit, aus ihren kleinen
uralten Gewohnheiten, erkannten sie, daß sie an Stelle der kleinen,
engen Heimat eine größere gewonnen hatten, die auch ihre Schönheiten
hatte. Und während die alte kleine Heimat immer zu bleiben schien, was
sie war, so war die neue größere Heimat von anderer Art. Die neue Heimat
stand nicht still am Horizont. Sie wuchs und wuchs, wuchs mit jedem Tage
neuer Erkenntnis zu einer immer größeren Heimat, die keine Grenze zu
haben schien, die alle Menschen, alle Länder, alle Gedanken, die gedacht
wurden, umfaßte. An Seele freilich war viel mit dem Untergang der
ehemaligen kleinen Heimat verlorengegangen. Vieles sah nun häßlich aus.
Vieles fehlte ihnen, was sie einst reich machte in ihren Empfindungen,
in ihrer stillen natürlichen Freude.

Früher, in ihrer kleinen Heimat, hatten sie reiche seelische
Empfindungen gehabt, aber es fehlte ihnen die Gabe, jene Empfindungen
richtig und klar auszudrücken und im Austausch mit anderen Leuten die
eigenen schönen Empfindungen zu vertiefen und zu erweitern.

Jetzt waren die seelischen Empfindungen oft weniger reich, aber sie
lernten mehr und mehr, diese Empfindungen in Worten anderen Menschen
klarzumachen und aus den Worten ihrer Mitmenschen, die wieder über deren
eigene Empfindungen und Erfahrungen sprechen konnten, neue Schätze
gewinnen, wodurch der Verlust früherer schöner Empfindungen durchaus
wettgemacht wurde. Es kam natürlich auch hier, im Verkehr mit anderen
Menschen, rohen, empfindungslosen, gedankenfaulen Menschen, oft manches
Häßliche und Böse in ihr Leben. Aber wer es abzuschütteln verstand, wer
genügend Robustheit aufbrachte, die harten Ellbogenstöße mancher rohen
Mitmenschen nicht zu beachten, den traf das Häßliche weniger, und er
nahm nur teil an dem, was gut und schön war.

Als Ganzes gesehen und vorurteilslos betrachtet, jede törichte
Sentimentalität ausschaltend, darf mit Gewißheit gesagt werden: Die
Menschen hatten viel verloren und bei dem Verlust viel gewonnen. Und es
kam ein Tag, Monate später oder Jahre später, aber der Tag kam, an dem
alle mit Recht sagen konnten: Wir sind reicher geworden als wir waren;
wir sind größer geworden als unsere Väter waren, denn wir sind heute
Bürger der Erde, und was mehr ist, wir sind heute bewußt Bürger der
Erde; wir sind bewußte Bürger der Erde, weil wir die Erde und die
übrigen Menschen begreifen und mehr und mehr verstehen. Und weil wir
mehr Menschen verstehen, darum ist unsere Liebe größer geworden. Was
Größeres kann der Mensch auf Erden gewinnen, als daß seine Liebe größer
wird!




15


                                   1

Licenciado Perez hatte sein Schreiben direkt an Mr. Collins gerichtet,
um zu vermeiden, daß der Inhalt an untergeordnete Personen bekannt
wurde.

Mr. Collins ließ sofort Mr. Abner rufen.

„Was habe ich Ihnen gesagt, Abner?“ Er fuhr ihn verteufelt scharf an.
„Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß mir keine Sauerei gemacht wird? Ich
habe Ihnen auch gesagt, daß ich für Dummheiten keine Verantwortung
übernehme und daß ich Sie glatt und mitleidlos den Behörden ausliefere,
wenn Sie Dinge begehen, die ich nicht decken kann. Für Dummheiten kennen
wir keine Gnade. Ich lasse Sie fallen bis in die Hände des Henkers, wie
Sie es verdient haben, wenn Sie eine Aufgabe nicht klar durchführen
können.“

Mr. Abner war bleich geworden.

„Ist etwas herausgekommen?“ sagte er halblaut und furchtsam.

„Ja. Alles.“ Mr. Collins sagte es kalt und erbarmungslos.

„Dann kann ich mir nur noch einen Revolver kaufen“, sagte Mr. Abner
hilflos.

„Wenn Sie dazu noch Zeit haben, Abner. Sie werden kaum vierundzwanzig
Stunden haben, Mann. Und kaufen Sie einen guten, der nicht fehlt im
rechten Augenblick. Der mexikanische Konsul hat die Sache in den
Händen.“

Mr. Collins arbeitete, wie nur ein wahrhaft großes Genie zu arbeiten
weiß.

Er hatte seine Agenten und seine Detektive auf dem Plane gehabt die
ganze Zeit hindurch. Und es waren tüchtige Leute.


                                   2

Auch der mexikanische Konsul hatte gute Detektive. Mexikaner, die in den
Staaten geboren waren und die von dem Konsul in der Hauptsache gebraucht
wurden, um diejenigen seiner Landsleute zu beobachten, die in den
Grenzstaaten der Vereinigten Staaten Revolutionen gegen ihr Heimatland
Mexiko anzettelten und Waffen über die Grenze nach Mexiko schmuggelten.
Sie nannten sich alle Patrioten. Einzelne waren ehrliche Leute, die
ernsthaft glaubten, daß sie ihrem Heimatlande nützten, wenn sie durch
Revolutionen und Rebellionen der gegenwärtigen mexikanischen Regierung
Unbequemlichkeiten bereiteten.

Diese Leute waren die Porfiristen, die Anhänger des gestürzten Regimes
des Diktators Porfirio Diaz. Jene Männer glaubten, ehrliche Leute zu
sein. Sie waren der Meinung, daß ihrem Lande nur dadurch gedient werden
kann, wenn das alte konservative System des Porfirio Diaz wieder zur
Macht gelangt. Sie waren der Meinung, daß Mexiko nur dann gedeihen kann,
wenn die Amerikaner, die Engländer, die Deutschen, überhaupt alle
Fremden ihr Kapital hereinbrachten, um die Naturschätze Mexikos
herauszuholen. Dieses System hatte mehr als dreißig Jahre in Mexiko
gewirtschaftet mit dem Erfolg, daß in der Blütezeit jenes Systems, im
Jahre 1910, fünfundneunzig Prozent der Mexikaner keine Schuhe an den
Füßen und nur Lumpen am Körper trugen, daß das ganze Volk, von einer
dünnen Oberschicht abgesehen, versklavt war wie selten ein Volk
versklavt gewesen ist, ein System, das so wenig an Bildungsarbeit getan
hatte, daß bei Ausbruch der Revolution achtzig Prozent des Volkes weder
lesen noch schreiben konnten.

Dann waren da jene ehrlichen mexikanischen Patrioten, die darum
Revolutionen anzetteln wollten, weil ihnen einige Personen in den
öffentlichen Ämtern der Republik nicht gefielen, sei es, weil sie jene
Posten gern selbst gehabt hätten, sei es, weil jene Personen, die in den
Ämtern saßen, ihnen nichts zu verdienen gegeben hatten.

Dann waren da jene halbehrlichen mexikanischen Patrioten, die von den
amerikanischen und englischen Kapitalisten als Werkzeuge gebraucht
wurden, ohne daß sie es wußten.

Und endlich waren da noch jene herrlichen Patrioten, die ganz offen sich
von amerikanischen Companien und Magnaten bezahlen ließen, um
Rebellionen in Mexiko anzustiften, die den amerikanischen Companien und
Bankiers so willkommen sind, um finanzielle Spekulationen erfolgreich
durchführen zu können.

Alle diese Patrioten mußte die mexikanische Regierung in den Staaten
durch besondere Agenten überwachen lassen, um ihre Bürger und ihr Land
vor Schaden zu bewahren, soweit das in den Kräften der mexikanischen
Regierung stand.

Ein Fall wie der skandalöse verbrecherische Raub der Weißen Rose konnte
sehr wohl zu einer Rebellion in Mexiko oder zu einem bewaffneten
Einmarsch amerikanischer Truppen in das mexikanische Land führen, wenn
die mexikanische Regierung nicht sehr vorsichtig handelte. Diplomatische
Anfragen und Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit oder die
Unrechtmäßigkeit der Verkaufskontrakte konnten zu peinlichen
Verwicklungen führen, wenn man auf der einen Seite die Ruhe verlor, denn
die Beziehungen zwischen beiden Mächten waren seit der Revolution
gespannt genug, so daß es nur eines Funkens bedurfte, um das Feuer
ausbrechen zu lassen.


                                   3

Eines Tages kam ein Mexikaner zum mexikanischen Konsul in San Francisco,
um die Geburt eines Sohnes dort registrieren zu lassen, damit der Sohn
mexikanischer Bürger bleibe.

Der Konsul betrat den Geschäftsraum gerade in dem Augenblicke, als ein
Beamter die Personalien jenes Mannes niederschrieb. Er fragte nach dem
Geburtsort des Mannes. Und der Mann antwortete laut: „Tuxpam, Estado
Veracruz.“

Darauf blieb der Konsul stehen und redete den Mann an: „Sie sind aus
Tuxpam, Senjor?“

„Si, Senjor, a sus ordenes.“

„Kennen Sie dort in der Nähe die Hazienda Rosa Blanca?“

„Kenne ich, Senjor.“

„Kennen Sie Senjor Hacinto Yanyez?“

„Kenne ich, er ist der Besitzer, der Duenjo, der Rosa Blanca.“

„Ja, den meine ich“, sagte der Konsul.

„Don Hacinto ist jetzt hier, in San Francisco, Senjor. Oder er war
wenigstens hier vor einiger Zeit.“

„Haben Sie mit ihm gesprochen?“

„Ja, wir waren verschiedene Male beisammen und haben in dem Restaurant
des Senjor Palido zweimal zusammen gesessen“, sagte der Mann.

„Hat Don Hacinto zu Ihnen etwas gesagt, daß er die Rosa Blanca verkaufen
will?“ fragte der Konsul.

„Er hat mir gesagt, daß er mit einem Amerikaner mit Namen Mr. Abner
hierhergekommen sei. Dieser Amerikaner hat ihn eingeladen, mit ihm nach
hier zu kommen, um ihm einige Zuchtesel und Zuchtstuten zu schenken als
Gegengeschenk für sechs Pferde, die ihm Don Hacinto geschenkt hatte. Mr.
Abner hat Don Hacinto überreden wollen, ihm die Rosa Blanca zu
verkaufen. Er hat ihm endlich eine halbe Million Dollar für die Hazienda
geboten. Ist sie gar nicht wert, die Rosa Blanca, Senjor.“

„Schon gut“, unterbrach ihn der Konsul. „Erzählen Sie weiter, was Sie
wissen.“

Der Konsul war von dem Gouverneur in Jalapa über alle Einzelheiten
inzwischen unterrichtet worden, so daß er wohl wußte, was und wie zu
fragen bei einer Gelegenheit, die sich ihm jetzt so günstig bot.

„Don Hacinto sagte mir“, fuhr der Mann fort, „daß er die Rosa Blanca
niemals verkaufen würde, auch nicht, wenn man ihm zwei Millionen Dollar
böte. Ich habe ihm gesagt, er müßte wissen, was er täte, und ich würde
die Hazienda verkaufen, wenn ich an seiner Stelle wäre. Aber er wollte
nichts davon hören und sagte, daß er nie daran dächte, die Rosa Blanca
zu verkaufen, er könnte es nicht der vielen Familien wegen, die darauf
lebten, und er wollte auch nicht, daß über die Gräber seines Vaters und
seiner Mutter die Automobile fahren.“

„Haben Sie den Don Hacinto hier einmal betrunken gesehen?“

„Etwas. Das kam mir dumm vor, weil Don Hacinto wenig trinkt. Er sagte
mir, daß Mr. Abner ihm immerfort zu trinken gegeben habe, und daß er
nicht ablehnen wollte, zu trinken, um nicht unhöflich zu sein.“

„Hat er etwas zu Ihnen gesagt, daß er auf dem Rancho des Mr. Abner
gewesen sei, um sich die Zuchttiere anzusehen?“

„Er sagte mir, daß Mr. Abner immer keine Zeit habe, um zum Rancho zu
fahren, und er sagte mir dann auch noch, daß er anfange zu glauben, daß
Mr. Abner gar keinen Rancho und gar keine Zuchttiere habe.“

Der Konsul fragte darauf: „Wohnte Don Hacinto bei Ihnen oder in einem
Hotel?“

„Er sagte mir, daß er mit Mr. Abner in dessen Hause wohnte. Das muß da
irgendwo in der Brenton Street sein.“

„Hat Don Hacinto Ihnen gesagt, daß er viel Geld bekommen habe?“

„Das Gegenteil, Senjor Konsul. Don Hacinto sagte mir am letzten Tage,
als ich ihn sah –“

„Halt, wann sahen Sie ihn das letztemal?“

„Mittwoch vor, vor – vier, fünf, sieben, Mittwoch vor elf Wochen.“

„Sie wissen den Tag genau?“

„Ja, Senjor. Denn an dem Tage hatte ich bei der Bank einen Scheck
gekauft, den ich nach Mexiko schicken mußte für Sarapes, die ich
importieren wollte. Vorher habe ich nie Sarapes hier gehandelt. Aber ich
habe gedacht, das könnte vielleicht ein gutes Nebengeschäft sein.“

„Und an dem Tage –“ Der Konsul zögerte.

„Ja, es war genau an dem Tage. Denn ich traf Don Hacinto vor der Bank,
und wir sind zusammen hineingegangen, und er hat zugesehen, wie man das
macht, wenn man einen Scheck kauft. Viel Geld hatte er nicht, denn er
sagte mir, es könne sein, daß er sich von mir Geld borgen müßte für die
Rückreise, weil Mr. Abner gar nicht von der Rückreise spreche, die er
ihm doch zugesagt hatte.“

„Später haben Sie Don Hacinto nicht mehr gesehen?“

„Nein. Und ich glaubte, er sei nun abgereist. Aber ich war doch sehr
verwundert, daß er nicht kam, Adios zu sagen. Wir waren doch gute
Freunde auch von früher her. Er kennt meine Frau und kennt alle meine
Verwandten, die noch in der Nähe von Tuxpam leben.“

„Das ist gut. Lassen Sie Ihre Adresse hier. Ich brauche Sie vielleicht
noch. Ich will Ihnen auch gleich sagen, weshalb. Don Hacinto ist nicht
zurückgekehrt nach Mexiko. Er hat die Grenze nirgends rückpassiert. Und
wenn es ganz gewiß ist, daß Sie ihn an jenem Mittwoch vor elf Wochen zum
letzten Male gesehen haben, dann hat er fünf Tage später den
Verkaufskontrakt für die Rosa Blanca unterschrieben.“

„Das glaube ich nicht. Er wollte nicht verkaufen. Ich glaube es auch
sonst nicht. Hacinto konnte nicht schreiben, nicht einmal seinen eigenen
Namen.“

„Das ist richtig. Hat er Ihnen gesagt, daß er vielleicht seinen Namen
auf der Reise mit Mr. Abner oder in dessen Hause schreiben gelernt hat.
Vielleicht hat es ihn Mr. Abner gelehrt.“

„Glaube ich nicht, Senjor Konsul. So etwas wäre so wichtig in seinem
Leben gewesen, daß er davon gesprochen hätte zu mir.“

„Das denke ich auch“, sagte der Konsul.

„Hacinto ist auch nicht der Mann, der so schnell schreiben lernen
könnte, in so kurzer Zeit. Einen Buchstaben vielleicht oder zwei oder
drei. Aber nicht den vollen Namen. Hacinto nicht, Senjor.“

„Gut. Ich lasse Sie benachrichtigen, wenn ich Sie noch einmal benötige.
Einen Jungen haben Sie? Guter mexikanischer Bürger, eh?“

„Aber kräftig, Senjor.“

„Wie soll er denn heißen, der Muchacho?“

„Emilio, Senjor Konsul, a sus ordenes.“ – „Adios denn.“

Der Konsul ging in seine Office und telephonierte sofort an einen seiner
Agenten. Am Nachmittag diktierte er den Report nach Jalapa.


                                   4

Mr. Collins sah Mr. Abner, der sich von seinem Schreck nicht zu erholen
schien, an und sagte: „Wissen Sie, daß dieser Mann Yanyez nicht
schreiben konnte? Nicht einmal seinen Namen?“

Mr. Abner setzte sich rasch, um nicht zu fallen.

„Verflucht! Daran habe ich nie gedacht“, sagte er schwitzend.

„Das ist es ja, was ich meinte“, sagte Mr. Collins. „Nicht daran
gedacht. Wer hat Ihnen denn den Auftrag gegeben, den Namen zu fälschen?“

Mr. Abner bekam einen Ruck von innen. Sein Gesicht, das wegzuschwimmen
angefangen hatte, bekam Festigkeit, und er sagte: „Ich habe doch den
Mann schreiben gelehrt auf der Reise und in meinem Hause.“

„Sehr klug, Abner. Aber es hilft Ihnen nichts. Sie haben nicht
aufgepaßt. Er hat einen Landsmann hier getroffen. Hat viel mit ihm
gesprochen. Der Landsmann hat geschwätzt. Beim Konsul. Ist alles schon
in den Akten. Licenciado Perez hat es hier schon im Brief. Dieser Mann
Yanyez hat hier seinem Landsmann erzählt, daß er nicht schreiben kann.“

Das war nicht richtig, was Mr. Collins hier sagte. Der Landsmann hatte,
nach dem Bericht des Senjor Perez, nur gesagt, daß ihm Senjor Yanyez
nichts davon erzählt hatte, daß er inzwischen schreiben gelernt hatte.

„Das mit dem Namen allein ist ja nun so wichtig nicht“, sagte Mr.
Collins. Er bereitete Größeres vor. Denn daß Senjor Yanyez nicht
ausdrücklich erzählt hatte, daß er inzwischen nicht schreiben gelernt
habe, war sehr gut. Das bedeutete die Rettung der Unterschrift und damit
die Rettung des Vertrages.

„Das mit dem Namen ist so wichtig nicht. Wir werden sofort notariell in
Ihrem Beisein und mit Ihrer Eidesversicherung festlegen lassen, daß Sie
Senjor Yanyez auf der Reise schreiben gelehrt haben, damit er die Grenze
passieren konnte.“

„Ja, das werde ich bestätigen“, sagte Mr. Abner, der glaubte, daß die
Schlinge sich zu öffnen beginne.

„Das mit dem Namen allein ist es nicht“, wiederholte Mr. Collins.
„Schlimmer ist, daß der Janitor, der Portier des Hauses, das Sie
gemietet hatten, Sie mit dem Yanyez hat im Automobil fortfahren sehen.
Daß Sie, jedoch nicht Yanyez, von der Fahrt am folgenden Tage
zurückgekommen sind, daß Agenten des mexikanischen Konsuls, die, uns
selbst unbekannt, in Ihrem Hause und in der Garage gewirtschaftet haben,
Blut und ein paar blutverschmierte schwarze indianische Haare in Ihrem
Auto gefunden haben. Ist photographiert. Die Haare sind im mexikanischen
Konsulat, wie ich von unseren Agenten weiß. So, und nun hören Sie mehr,
Abner, Sie blöder Draufschläger, der Sie sind.“

Mr. Abner saß zusammengekauert in seinem Stuhl und schien nicht mehr
zuzuhören.

Mr. Collins fuhr in dem, was er sagen wollte, mit einer eiskalten Stimme
ruhig fort: „Wir haben die Quittungen, daß Yanyez vierhunderttausend
Dollar in acht Schecks von uns empfangen hat. Diese Schecks sind bei der
Bank eingelöst worden. Auch das weiß das mexikanische Konsulat. Der Mann
Yanyez ist mit Ihnen zuletzt gesehen worden. Er hat in Ihrem Hause
gewohnt. Das Geld hat er nicht heimgeschickt. Wer denken Sie wohl,
Abner, wer das Geld haben muß? Meinen Sie nicht, daß der das Geld hat,
nach Meinung des Staatsanwaltes haben muß, der mit Yanyez in einem Auto
fortgefahren ist und allein wiederkam, in dessen Automobil Blut und
blutverklebte indianische Haare gefunden wurden, in dessen Hause Yanyez
lebte, in einem Hause, das kurz vor der Ankunft des Yanyez rasch
gemietet wurde? Meinen Sie nicht, Abner, daß man zuerst an den Mann
denken wird, der Yanyez von Mexiko lockte, um ihn hier in seinem Hause
zu haben, an den Mann, der am besten wußte, wieviel Geld Yanyez hatte
und wo er es aufbewahrte?“

Mr. Abner sagte nichts und rührte sich nicht. Er war grau und zerfallen.
Sein Haar wirr und naß.

Mr. Collins drückte auf einen Knopf.

Dann kamen der Notar, der erste Vizepräsident, ein Sekretär und der
erste Syndikus der Company.

Der Notar setzte das Affidavit auf, in dem Mr. Abner auf seinen Eid
bekundete, daß er Senjor Hacinto Yanyez auf der Reise seinen Namen
schreiben gelehrt habe, damit Yanyez die Grenze passieren könnte, und
daß er zugegen gewesen sei, als Yanyez den Verkaufskontrakt, die Kopien
und die Quittungen für die Schecks unterzeichnet habe.


                                   5

Nachdem sich die Herren wieder entfernt hatten, Mr. Collins und Mr.
Abner allein waren, sagte Mr. Collins ruhig: „Sie sind aus unserer
Company entlassen. Hier ist das Zeugnis. Es ist darin gesagt, daß Sie
freiwillig gehen, um einen Posten in China zu übernehmen.“

„Danke“, sagte Mr. Abner kurz, als er das Zeugnis, das in einem Umschlag
war, in Empfang nahm.

„Brauchen Sie noch mehr Geld, Abner? Oder haben Sie genug an dem, das
Sie in der Sache bereits gemacht haben?“ fragte Mr. Collins.

Absichtlich oder unabsichtlich legte er einen ironischen Ton in seine
Frage.

„Ich könnte noch fünfzigtausend gebrauchen“, sagte Mr. Abner, der durch
die Amtshandlung des Notars seine knöcherne Ruhe wiedergefunden zu haben
schien.

„Sie sind unverschämt wie – ich weiß nicht, wie ich Sie vergleichen
soll“, sagte Mr. Collins.

Und frech erwiderte Mr. Abner: „Sagen Sie ruhig: Gierig wie der
Präsident einer Oil-Company.“

„Das konnten Sie sich sparen, Abner“, sagte Mr. Collins. „Das konnten
Sie sich wahrhaftig sparen, denn es ist zu billig. Aber es beweist mir
nur erneut, daß Ihnen Geist fehlt. Denn hätten Sie auch nur eine Spur
von Geist, dann hätten Sie nicht eine Reihe solcher Dummheiten machen
können. Man kann wohl eine Dummheit begehen, aber gleich drei Dutzend,
gleich ein halbes Hundert von Dummheiten zu machen, dazu gehört ein
Übermaß von Idiotie. Aber es ist ja nicht meine Aufgabe, Sie zu
erziehen. Einen Rat aber will ich Ihnen denn doch noch geben. Ich weiß
nicht, was Sie zu tun gedenken, den Revolver oder rasche Abreise, aber
was ich Ihnen rate, ist das: Was Sie auch immer zu tun gedenken, tun Sie
es innerhalb vierundzwanzig Stunden; denn wenn Huerta in Mexiko nicht
bald losschlägt, dann kommen Sie nicht mehr davon. Dann haben Sie nicht
einmal mehr Zeit, den Revolver zu laden.“


                                   6

Mr. Abner hatte Glück. Huerta schlug los, wie die Oil-Companien erwartet
hatten. Ob sie es auch befohlen hatten, zu dieser Zeit loszuschlagen,
wird man so bald nicht erfahren.

Die mexikanische Regierung hatte keine Zeit mehr, sich um eine so kleine
Sache wie eine Weiße Rose zu bekümmern; denn die große Heimat
derjenigen, die das Land durch eine lange und schwere Revolution
gerettet hatten für das mexikanische Volk, kam in Gefahr, wieder
verlorenzugehen an diejenigen, die den Untergang alter verrotteter
Zustände beweinten und alles haßten, was nicht den Talmiglanz des
Porfirismo aufgeklebt hatte.

Huerta gelang es, mit Hilfe von Generalen, die in der neuen Zeit nicht
jene großen mühelosen Einkünfte erzielen konnten, die sie im alten
Regime gehabt hatten, Veracruz zu nehmen und zu halten. Der Gouverneur
in Jalapa mußte aus seinem Amte gehen. Als Colonel übernahm er ein
Bataillon, um mit der Regierung gegen Huerta zu kämpfen. Landsleute
gegen Landsleute. Väter gegen Söhne. Brüder gegen Brüder.

Die Huerta-Leute ergriffen auch Yucatan. Erschossen den
Arbeitergouverneur des Staates. Und um ganz sicher zu gehen, auch seinen
Sohn. Überall, wo Huerta hinkam, begann ein Erschießen und Erhängen der
Arbeiterführer und der Syndikalisten.

Öltankschiffe der amerikanischen Companien brachten in den Tiefen ihrer
leeren Tanks die Waffen herein, um das Land immer mehr und tiefer
aufzuwühlen.

Aber Tampico, das Huerta ebenso leicht hätte nehmen können, blieb
unbesetzt; denn von hier wurde der Reichtum des Landes, um den der
Bruderkrieg ging, das Öl, verladen. Dieser Hafen mußte offen bleiben, um
zu zeigen, wo die Auftraggeber wohnten und wer sie waren.




16


                                   1

Die Rosa Blanca war nun geworden Lote Nr. 119 bis Lote Nr. 176. Hier
wurde gearbeitet. Hier wurde produziert. Hier wurden Milliarden gemacht,
während das mexikanische Volk zu vertrotteln schien und sich die Köpfe
zerschlug und die Leiber zerfleischte, damit hier in aller Ruhe und ohne
die unbequeme Aufsicht der Regierung das reiche, schwarze bebende Blut
der mexikanischen Erde, das Öl, in unerhörten Massen fortgeschafft
werden mochte.

Was kümmerte sich der Mexikaner darum, daß die großen Companien in
dieser Zeit des Bruderkampfes tun durften und taten, was sie nur immer
wollten! Keine Konzessionen wurden geachtet, keine Verträge eingehalten,
Recht und Unrecht verwischten sich. Was man nicht freiwillig bekam,
wurde erzwungen durch Mord, durch Raub, durch Verschleppung. Der
Mexikaner war den Companien wieder einmal gefällig, tat, was sie
wollten. Er schlug sich mit seinen Brüdern herum, während die fremden
Magnaten ihm ruhig und lachend und höhnend den letzten Fetzen Hemd vom
Leibe zogen. Sein Land und die Wohlfahrt seines Volkes war dem Mexikaner
nicht wichtig. Viel wichtiger war ihm, daß nicht Senjor X.
Gouverneur war, und nicht Senjor Y. Präsident und nicht Senjor Z.
Oberbürgermeister. Wer Gouverneur oder Präsident oder Oberbürgermeister
werden sollte, das war ihnen auch gleichgültig. Wenn es nur der nicht
war, der es augenblicklich gerade war. Sie waren noch nicht so reif
geworden, um zu erkennen, daß sie mit ihrem Zerfleischen des eigenen
Volkes nur die Werkzeuge der Magnaten waren. Sie glaubten große
Patrioten zu sein, glaubten ihr Land zu befreien, und sie waren doch nur
die Sklaven der fremden Kapitalisten. Denn wenn es zum Ende kam,
bezahlten nicht die fremden Kapitalisten die Zeche, sondern wieder das
mexikanische Volk.


                                   2

So konnte es geschehen, daß die Rosa Blanca vergessen wurde und daß Lote
Nr. 119 bis Lote Nr. 176 der Condor Oil Company Weltruf bekam. Rosa
Blanca war jetzt verschmiert, verölt, verräuchert, verqualmt, verdreckt.
Sie war erfüllt von dem Stöhnen, Ächzen, Dröhnen, Rattern und Fauchen
der Maschinen, der Pumpen, der schweren Lastautomobile. In ihrem
eintönigen ermüdenden Rhythmus rasselten die Bohrer auf und nieder, Tag
und Nacht und Nacht und Tag. Die Driller wurden von ausschwenkenden
Rohren erschlagen, die Tooldresser von fallenden Hebern zermalmt, die
Hilfsleute wurden eingeholt von dem schweren Stahlkabel und stückweise
aufgerädert auf das Seilrad. Aber die Bohrer rasselten auf und nieder,
auf und nieder, Tag und Nacht und Nacht und Tag. Wer zerfleischt wurde,
zählte nicht mehr mit und war sofort vergessen. Sofort war ein anderer
da, der den Bohrer Gott bediente. Denn man zahlte dreißig Dollar den Tag
dem Manne, der den Bohrer leitete, dem Driller. Und für dreißig Dollar
den Tag muß man etwas wagen.

Es wurde mit einer Raserei gearbeitet, die bis dahin unerhört gewesen
war. Die gute Zeit, daß sich die Mexikaner gegenseitig zersäbelten und
zerschossen, mußte ausgenutzt werden. Niemand sah während dieser Zeit
auf die Rechtsgültigkeit der Konzessionen und Kontrakte. Darum heraus
mit allem Öl, das nur herausgeholt werden kann! Denn wenn sich die
Mexikaner wieder vertragen, dann ist die schöne Zeit der Gesetzlosigkeit
vorüber; dann können sogar die Kontrakte der Rosa Blanca nachgeprüft
werden.

Darum heraus mit dem Öl!

Und die Compadres alle schleppten Rohre, und sie sahen aus wie in Ketten
laufende Sklaven. Alles, alles sah so aus, wie Hacinto es einst in
seiner Vision gesehen hatte.


                                   3

Dann endlich kam der erste Brunnen auf der Rosa Blanca ein.

Hundertzwanzigtausend Hektoliter tägliche Produktion. Es wurde in die
ganze Welt hinaustelegraphiert. Alle Welt hörte davon. Nur nicht die
Mexikaner. Die kämpften darum, wer nicht Präsident sein sollte. Die
hatten keine Zeit, Telegramme zu lesen und nachzusehen, was man mit
ihrer Erde tat.

Vier Tage darauf kam der zweite Brunnen ein mit neunzigtausend
Hektoliter täglicher Produktion. Und jeder Hektoliter, jedes Barrel, ein
schöner grüner amerikanischer Dollar in die Taschen der Aktionäre der
Condor Oil Company.

In derselben Woche der dritte Brunnen mit hundertzehntausend Hektoliter
Tagesproduktion. Und so ging das nun jeden Tag. Hunderttausend Barrels,
sechzigtausend, hundertzwanzigtausend, vierzigtausend.


                                   4

Mr. Collins saß in seiner Office und las die Telegramme der einkommenden
Brunnen. Die Brunnen schienen unter sich einen Wettlauf veranstaltet zu
haben, wer von ihnen die höchste Zahl an Barrels produzieren könnte.

„Die Jacht des Königs von England für Betty?“ sagte Mr. Collins. „Nicht
für mich. Nicht für Betty. Gegen die Jacht, die Betty jetzt bekommt,
soll die Jacht des Königs von England aussehen wie ein ausgedientes
Fischerboot.“

Er nahm das Telephon und sprach mit Betty. Redete sie an mit „My
empress“. Fürstin genügte ihm nicht mehr. Darum erhob er sie zur
Kaiserin. Ihm fehlte nur noch der Dom, in dem er sich zu krönen
gedachte, sie zur Seite. Aber da fiel ihm ein, daß er den Baptisten eine
Kirche versprochen hatte. Und es war schade, daß man sich in den Staaten
nicht zum Kaiser krönen lassen kann. Nicht um seiner selbst willen, wohl
aber Bettys wegen würde man ihm den Kaiser geglaubt haben.

Als er das Telephon absetzte, brachte seine erste Sekretärin, die Ida,
eine Zeitung herein.

Sie hielt die Zeitung aufgeregt in der Hand und sagte: „News, Mr.
Collins, große Neuigkeiten.“

Er fing sofort die fettgedruckten Lettern der Headlines

     American Killed in Singapore Gambling House Accused of Having
                         Cheated While Gambling

Mr. Collins sah Ida an. Was kümmerte ihn ein Amerikaner, der in
Singapore wegen Falschspielens in einer Spielhölle von seinen
Mitspielern erschossen worden war! Kam auch in Chicago vor und in New
York und in San Francisco. Wenn er sich um solche Dinge kümmern sollte,
dann könnte er zwanzig Stunden den Tag Zeitungen lesen. Er verstand Ida
nicht. Seit wann interessierte sie sich denn für Sensationen der
Reporter?

Als aber Ida sagte: „Lesen Sie nur den Text, Mr. Collins“, da nahm er
die Zeitung wieder auf und flog über den Inhalt. Ah, well: Nach einer
Schiffsgepäckkarte, die man in den Taschen des Erschossenen fand, ist
der Amerikaner ein Mr. Abner aus San Francisco.

„Schade um diesen Mann!“ sagte Mr. Collins zu Ida in bedauerndem Tone.
„Eigentlich schade um ihn. Für Öl war er ja nicht zu gebrauchen. Machte
Dummheiten. Aber er hätte einen ganz vorzüglichen Präsidenten einer
Stahl-Korporation machen können. Er hatte die Nerven dazu. Es fehlte ihm
nur die Ruhe und etwas mehr Geschlossenheit des Charakters. Beweist sein
Falschspielen.“

Dann hatte er ihn auch schon vergessen. Und für dauernd. Denn er fragte
sofort: „Neue Cables da von Mexiko, Lote Nr. 119 und folgende?“

„Acht“, sagte Ida kurz und gab ihm die geöffneten Telegramme.

„Wieviel Tote?“ fragte er, während er die Telegramme rasch
durchblätterte.

„Keiner“, sagte die Sekretärin.


                                   5

Mit dieser kurzen Antwort offenbarte die Sekretärin, daß sie nicht mehr
nur gerade eine übliche Sekretärin war. Sie war inzwischen mehr
geworden. Sie war Öl geworden, dachte nur in Öl und verstand die Sprache
des Öls in ihrer vollen Klarheit.

In dem Kamp Lote Nr. 119 bis Nr. 176 war die hetzende Arbeit immer
rasender geworden. Die Prämien für den leitenden Driller, der einen
laufenden Brunnen einbrachte, waren noch höher gesetzt worden, um die
Leute zur wildesten Raserei anzuspornen. Der Driller gab von seiner
Prämie allen übrigen Leuten, die an seinem Brunnen arbeiteten, Teile der
Prämie ab. Er ließ leben. Aber nur die, die mit ihm rasten. Zeige dem
Proletarier eine Zwanzigdollarnote, und er wird sofort Kapitalist. Du
glaubst es nicht? Versuche es. Prämien wirken heute besser, als früher
Peitschen halfen.

Wenn vier oder fünf Brunnen am gleichen Tage zu bohren begonnen wurden,
dann erhielt derjenige Driller, der unter diesen gleichzeitig begonnenen
Brunnen seinen Brunnen zuerst einbrachte, außer seiner üblichen Prämie
noch eine Extraprämie von dreitausend Dollar. Auch die Company ließ
leben. Leben und leben lassen. Aber bei dieser wahnwitzigen Raserei
verging nun kein Tag mehr, ohne daß ein Peon oder zwei oder drei und
vielleicht gar ein Tooldresser oder ein Driller obendrein auf dem
Schlachtfelde des Öls blieben, die zahlreichen Verwundeten und
Verkrüppelten nicht gerechnet. Und wenn wieder ein Mann zermalmt war
oder ein anderer in eine sich twistende Schleife des Stahltaues geriet
und ihm der ganze Körper zerbrochen wurde, als wäre er von einer
Riesenschlange umzingelt worden, dann hagelte es nur so von teuflischen
Flüchen, des Aufenthalts wegen, der die Prämie vermanschen konnte. Denn
der Leichnam mußte ausgeschält werden, damit man weiter arbeiten konnte.

Und darum: Als Mr. Collins fragte: „Wieviel Tote?“, da dachte Ida, seine
intelligente Sekretärin, auch nicht eine Sekunde lang daran, daß Mr.
Collins gefragt haben könnte nach der Zahl der toten Männer, die jene
acht Brunnen wieder gekostet hatten.

Sie verstand sofort, daß er nur wissen wollte, wieviel tote, also
wieviel nicht produzierende Brunnen, sogenannte Dry Holes – trockene
Löcher – unter jenen acht neu eingebrachten Brunnen seien. Sie kannte
die Sprache des Öls.

Die toten Männer kamen nicht in die Cables. Denn die Cables kosteten
jedes Wort achtunddreißig Centavos. Die toten Männer kamen in den
Monatsbericht. Beim Monatsbericht konnte man mehrere Listen in einen
Brief stecken, der nur zehn Centavos kostete.

Konnten ja besser aufpassen die Leute. Ein Ölkamp ist doch kein
Kindergarten. Für Tote und für Leute, die nicht besser aufpassen, ist in
dieser Welt kein Platz.

Was kümmert uns der Mensch? Wichtig ist nur das Öl.




                     Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen, zum Teil basiert auf späteren Ausgaben, sind hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 9]:
   ... Zeugungsfähigkeit einer der Vorfahren des Hacinto. Hacinto
       war der ...
   ... Zeugungsfähigkeit eines der Vorfahren des Hacinto. Hacinto
       war der ...

   [S. 41]:
   ... Büro sei, wenn sie ihm im Nacken krault und auf die
       Nasenspitze küßt ...
   ... Büro sei, wenn sie ihn im Nacken krault und auf die
       Nasenspitze küßt ...

   [S. 41]:
   ... lächerlich machen. Man würde ihm jeden Tag, wenn er sich
       sehen ließe, ...
   ... lächerlich machen. Man würde ihn jeden Tag, wenn er sich
       sehen ließe, ...

   [S. 94]:
   ... eines Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die
       unwiderbringliche ...
   ... eines Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die
       unwiederbringliche ...

   [S. 107]:
   ... stinkigsten kapitalistischen Skandale verwickelte, die das
       amerikanische ...
   ... stinkigsten kapitalistischen Skandale verwickelten, die das
       amerikanische ...

   [S. 108]:
   ... Tode bestraft werden muß. Es ist zwar kein Feind da, an dem
       das ...
   ... Tode bestraft werden muß. Es ist zwar kein Feind da, an den
       das ...

   [S. 124]:
   ... Der Diputado hatte sein Verschen schön auswendig gelernt,
       besser als ...
   ... Dieser Diputado, der wegen zwei Frauen, die er in Mexiko City
       außer ...

   [S. 135]:
   ... Konzessionen, die ihr gegeben wurden, anzubohren verpflichtet
       war. ...
   ... Konzessionen, die ihr gegeben wurden, verpflichtet war. ...

   [S. 148]:
   ... zu Ihrer Verfügung. Freilich warne ich vor eins: Kein
       Verbrechen, ...
   ... zu Ihrer Verfügung. Freilich warne ich vor einem: Kein
       Verbrechen, ...

   [S. 169]:
   ... daß die Räder der eine Seite über den Hals Hacintos
       liefen. ...
   ... daß die Räder der einen Seite über den Hals Hacintos
       liefen. ...

   [S. 178]:
   ... Der Gouverneur sah sie ruhig an, ohne eine Wort zu sagen. ...
   ... Der Gouverneur sah sie ruhig an, ohne ein Wort zu sagen. ...

   [S. 197]:
   ... „Das ich richtig. Hat er Ihnen gesagt, daß er vielleicht
       seinen Namen ...
   ... „Das ist richtig. Hat er Ihnen gesagt, daß er vielleicht
       seinen Namen ...






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WEISSE ROSE ***


    

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generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

This website includes information about Project Gutenberg™,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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