The Project Gutenberg eBook of Die Weiße Rose This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Die Weiße Rose Author: B. Traven Release date: October 8, 2025 [eBook #77012] Language: German Original publication: Berlin: Büchergilde Gutenberg, 1929 Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WEISSE ROSE *** B. TRAVEN DIE WEISSE ROSE BÜCHERGILDE GUTENBERG / BERLIN 1929 Satz und Druck der Buchdruckwerkstätte G. m. b. H., Berlin SW / Ausstattung Rudolf Dörwald, Berlin Nachdruck verboten / Alle Rechte, insbesondere die Rechte der Verfilmung, der Dramatisierung und der Übersetzung vorbehalten / Copyright 1929 by B. Traven, Tamaulipas (Mexiko) / Es propiedad del autor DIE WEISSE ROSE (LA ROSA BLANCA) EIN MEXIKANISCHES RANCHO-LIED Nah’ am Rande der Barranca, Gebadet tags im Sonnengold, Geliebkost von Frau Luna nachts, Traulich blüht La Rosa Blanca. Jeden Tag schon in der Frühe Sing’n die Vögel deinen Ruhm; Wie du blühst, seit Gott dich schuf, Ewig, weiße Rose, blühe. Wenn ich auch einst verwelken muß, Weiße Rose, du sollst blühen, Und mein letzter Lebenshauch Ist für dich mein Abschiedskuß. 1 1 Die Condor Oil Company war unter den großen amerikanischen Oil-Companien, die ihre Unternehmungen auf Mexiko ausgedehnt hatten, durchaus nicht die mächtigste und auch nicht die stärkste. Aber sie hatte den stärksten Appetit. Für die Entwicklung eines Individuums wie für die Entwicklung eines ganzen Volkes ist der Appetit bestimmend. Erst recht und ganz besonders ist ein guter Appetit bestimmend für die Entwicklung einer großkapitalistischen Company. Der Appetit entscheidet das Tempo der Machtentfaltung, und der Appetit entscheidet darum auch die Wahl der Mittel, die angewandt werden, um das Ziel zu erreichen: eine einflußreiche und gebietende Macht im internationalen Wirtschaftsleben zu sein. In ihrem Aufbau, in ihrem Wesen, in ihren Zielen und in ihren Arbeitsmethoden, wie auch in ihren Problemen, unterscheidet sich eine moderne großkapitalistische Company wenig von einem Staate. Der einzige sichtbare Unterschied ist wohl nur der, daß eine großkapitalistische Company gewöhnlich besser organisiert ist und vernünftiger und geschickter geleitet wird als ein Staat. Die Condor Oil Company war die jüngste der Companien, die hier miteinander und gegeneinander im Felde standen, wo um die Vorherrschaft auf dem Markt gekämpft wurde. Da sie die jüngste war, so war sie die gefräßigste. In der Auswahl und in der Anwendung der Mittel, einen einflußreichen Platz im Wettbewerb mit den alten und mächtigen Companien zu gewinnen, kannte sie weder Hemmungen noch Rücksichten. Wenn sie überhaupt einen Grundsatz hatte in bezug auf die Art des Kampfes, so war es der: Der Krieg, der am brutalsten geführt wird, dauert am kürzesten und ist darum der humanste. Hierin fand sie gleichzeitig eine moralische Entschuldigung ihrer Handlungen, so daß sie, vor sich selbst gerechtfertigt, sagen konnte, sie führe den humansten Kampf, und daß sofort Friede sein werde, sobald sie den Kampf gewonnen habe. Die Macht einer Öl-Company hängt nicht allein von der Zahl der Öl produzierenden Brunnen ab, die eine Company besitzt. Die Macht hängt vielmehr davon ab, wieviel Land sie besitzt oder unter Kontrolle hält. Und hier sind es drei Arten von Land, die in Frage kommen. Land, das bestimmt Öl trägt; Land, das nach dem Gutachten der Geologen Öl tragen muß; und Land, das nach dem Instinkt der Ölleute Öl haben sollte. Die dritte Gattung des Landes ist es, die Spekulationen ermöglicht und die Millionen an Dollars verdienen läßt, ohne daß auch nur ein einziges Faß Öl produziert zu werden braucht. So ging der Kampf der Companien darum, Land und immer mehr Land zu gewinnen. Es wurde mit größerem Eifer und mit größerer Geschicklichkeit daran gearbeitet, alles Land, das Öl haben könnte, zu erobern, dann daran, das Land, das eine Company bereits hatte, mit allen technischen und wissenschaftlichen Mitteln bis auf den letzten Hektar auszubeuten. Da die Condor Oil Company nicht durch ihr Kapital und nicht durch die Zahl und den Reichtum ihrer produzierenden Brunnen in die vorderste Reihe der gigantischen Öl-Companien treten konnte, so mußte sie den zweiten Weg einschlagen: mehr ölverdächtiges Land zu gewinnen, als irgendeine andere große Company besaß. Im Besitz eines gewaltigen Umfanges an Land, das Öl hatte oder Öl haben konnte und das darum notwendig war, den Ölbedarf des Marktes zu befriedigen, konnte sie Preise bestimmen und sie konnte eine Kontrolle ausüben auf Öl-Companien, die infolge ihrer gewaltigen Kapitalkraft unüberwindlich und unkontrollierbar schienen. So wird sich wohl leicht erklären lassen, daß es keine Untat gab und kein Verbrechen, das die Agenten, die im Auftrage der Company arbeiteten, das Land heranzuschaffen, nicht verübt hätten, um, wenn es der Company notwendig erschien, das gewünschte Land zu erhalten. Die Condor Oil Company hatte achtzehn reiche Brunnen laufen. Wo sie Land auch nur roch, das Ölland hätte sein können, oder Land, das vielleicht irgendeine andere Company zu erwerben gedachte, da war sie sofort auf dem Plan. In den erbarmungslosen Landabtreibungsgeschäften wirkte natürlich nie einer der Direktoren mit; nie einer ihrer obersten Beamten, und nur ganz selten ließ sie einen Amerikaner in diesem Zweige arbeiten. Die Direktoren kamen erst in Sicht, wenn das Land, das die Company haben wollte, bereits in jenen Händen war, die es für die Company bereit zu halten hatten. Die Company war immer nur der zweite Käufer. Die schäbigen Geschäfte wurden von mexikanischen oder spanischen, zuweilen von deutschen Unteragenten abgewickelt. Die Condor Co. hatte ihr Hauptquartier in San Francisco in Kalifornien. Das mexikanische Hauptquartier war in Tampico, Mexiko. Sie hatte Zweigquartiere in Panuco, in Tuxpam und in Ebano; und sie bereitete sich vor, noch zwei weitere Büros zu errichten, eines am Isthmus, das andere in Campeche. Sie hatte vortreffliche amerikanische, englische und schwedische Geologen für sich arbeiten, die gut bezahlt wurden. Sie beschäftigte einen großen Stab von Topographen, die das Gelände aufzunehmen und zu vermessen hatten. Die Topographen waren schon weniger gut bezahlt als die Geologen, denn ihre Arbeit wurde weniger hoch bewertet. Darum liefen die Topographen oft genug armselig und zerrissen herum wie Vagabunden. Die Geologen standen den Direktoren schon ein wenig näher, wirtschaftlich und gesellschaftlich; denn sie konnten gute Tips über reiches Ölland in die Ohren flüstern. Die Topographen dahingegen standen dem Proletariat näher, und da sie das freiwillig nicht eingestehen wollten, weil sie doch studiert hatten, mußten sie mehr und härter arbeiten als die Arbeiter, denen es Suppe oder Brühe war, ob man sie als Proletarier betrachtete oder nicht. Die Topographen wurden viel rascher rausgefeuert als kräftige Rigbauer; Topographen gab es reichlich, während die Rigbauer frech waren wie Straßendreck, denn sie schämten sich nicht, auch gelegentlich Tomaten einzukonservieren, wenn sie keine Rigs aufzubauen hatten, oder rausgefeuert worden waren, weil sie den Foreman verprügelt hatten. 2 In der Region der Condor Co., beinahe völlig umgrenzt von reich ölhaltenden Ländereien, die alle im Besitz oder in Lease, Vorpacht, der Company waren, lag die Hazienda La Rosa Blanca. Die Hazienda La Rosa Blanca hatte eine Größe von etwa achthundert Hektar. Sie gehörte dem Indianer Hacinto Yanyez. Ihre Produkte waren: Mais, Bohnen, Chile, Pferde, Rindvieh, Schweine, ferner Zuckerrohr, und damit auch Zucker, und endlich Orangen, Zitronen, Papayas, Tomaten, Ananas. Sie lag in der Ölzone im nördlichen Teil des Staates Veracruz. Die Hazienda machte ihren Besitzer nicht reich, wohl nicht einmal wohlhabend. Denn alles wurde in alter hergebrachter Weise kultiviert und bewirtschaftet. Es ging auf der Hazienda gemächlich und gemütlich zu. Niemand regte sich auf. Es wurde nicht gehetzt, nicht getrieben, und wenn wirklich einmal geschimpft wurde, so geschah das nur der Abwechslung wegen und weil das Leben ja zu eintönig verlaufen würde, wenn nicht gelegentlich einmal die Ventile abblasen können. Die helfenden Hände auf der Hazienda waren Indianer wie der Besitzer. Sie bekamen keine hohen Löhne. Gewiß nicht. Aber jede Familie hatte ihre Hütte mit einem geräumigen Hof. Die Familie konnte Vieh halten nach Belieben, und auf dem Lande, das ihr entsprechend ihrer Kopfzahl zugewiesen war, anbauen, was ihr für ihren Unterhalt nötig erschien. Alle jene Familien, die hier wohnten, lebten seit Generationen auf der Hazienda. Sie waren beinahe alle mit dem Besitzer versippt und verschwägert. Einige der Familien verdankten ihre Entstehung der großen Zeugungsfähigkeit eines der Vorfahren des Hacinto. Hacinto war der Pate beinahe aller Kinder, die auf der Hazienda geboren wurden, und Senjora Yanyez war die Patin. Der Pate, el padrino, und die Patin, la madrina, haben in Mexiko eine bei weitem wichtigere Stellung innerhalb der Familiengemeinschaft, denn in irgendeinem anderen Lande auf Erden. Das rührt von uralten Zeiten her, aus weit zurückliegender Zeit der Indianer. Infolge der ungemein häufigen Ineinanderverheiratung der Spanier mit indianischen Frauen haben sich in den Sitten des mexikanischen Volkes zahlreiche Gewohnheiten und Gebräuche der Indianer erhalten überall da, wo es sich um Küche, Haus und Familienbeziehungen handelt, also in jenen Dingen, wo der Mann gewöhnlich passiv und neutral ist, weil sie das Urgebiet der Frau betreffen. Der Pate galt im alten indianischen Mexiko – und gilt auch im heutigen Mexiko – ebensoviel für das Kind wie der eigene Vater. In zahlreichen Fällen, wenn der Vater stirbt oder sich, aus vielerlei Gründen, unfähig erweist, Erzieher des Kindes zu sein, tritt der Pate in die vollen Rechte und Pflichten des Vaters ein. Der Pate hat sich um das Wohlergehen des Kindes, zu dem er Pate ist, zu kümmern. Wenn ihn auch das öffentliche Gesetz nicht zwingt, seine Pflicht gegenüber dem Kinde, das der Hilfe bedarf, zu erfüllen, so kann er sich dieser Pflicht doch nicht entziehen; denn er würde dadurch seine Achtung und sein Ansehen in der Gesellschaft, die sich ja aus Familien zusammensetzt, verlieren, genau so gut, als ob er irgendeine sonstige schäbige Handlung begeht, die vielleicht vom Gesetz, nicht aber von dem Gesellschaftskreise, dem er angehört, verziehen wird. Der Vater des Kindes nennt den Paten des Kindes Compadre, das heißt Mit-Vater, und die Patin nennt er Comadre, das ist Mit-Mutter. Beide, Pate und Vater, reden sich mit Compadre an, und Patin und Mutter nennen sich gegenseitig Comadre. Und wenn der Vater des Kindes die Patin ruft, so sagt er auch nicht Senjora, sondern er ruft sie Comadre. Aus diesen Gründen betrachten sich der Vater des Kindes und der Pate des Kindes wie Brüder, und das Verhältnis zwischen beiden ist oft herzlicher als das zwischen Blutsverwandten, weil die Wahl eine freiwillige ist und die Wahl von der Sympathie abhängt, die jene zwei Leute füreinander empfinden. Wenn sich der indianische Farmarbeiter den Patron, den Herrn der Hazienda, zum Paten für sein Kind aussucht, dann kommt der Herr. Er ist nie zu stolz dazu; denn er betrachtet es als eine große Ehre, daß er zum Paten erwählt wurde. Das liegt im indianischen Blute. Und von dem Augenblicke an, wo der Herr Pate des Kindes jenes Farmarbeiters geworden ist, sagt der Farmarbeiter nun nicht mehr „Patron!“ zum Herrn, sondern Compadre. Und der Herr sagt nicht mehr „He, Juan!“ zu dem Arbeiter, sondern er sagt gleichfalls Compadre zu ihm, obgleich sich die rein wirtschaftliche Stellung der beiden zueinander nicht verändert. Sie sind von nun an Brüder und behandeln sich wie Brüder. Dieses Verhältnis besteht auf allen Haziendas in Mexiko, wo der Besitzer und die Hazienda-Leute indianischen Blutes sind. Ein solches Verhältnis bringt Zustände hervor, die anderswo auf Erden wohl nicht gefunden werden können. Dem Patron gehört die Hazienda. Sie gehörte seiner Familie schon, ehe Kolumbus geboren wurde. Denn der Vorfahr, der Gründer der Familie, war ein indianischer Fürst, der Häuptling eines Stammes der Huasteken, der in jenem Bereich seinen Sitz hatte. Aber der Patron betrachtet sich nur als Nutznießer der Hazienda. Er fühlt sich verantwortlich für das Wohlergehen aller, die auf der Hazienda leben; denn er ist ja der Compadre aller, und alle sind seine Compadres. Er kleidet sich nicht reicher als die, die auf der Hazienda arbeiten. Er trägt die Tilma wie sie, und wie sie trägt er Sandalen. Er ißt Tortillas und Frijoles wie alle übrigen. Aber dennoch ist das Verhältnis ein ganz anderes als das patriarchalische Verhältnis auf den alten europäischen Bauernhöfen, wo alle Knechte und Mägde am selben Tisch mit dem Bauern und der Bäuerin sitzen. Hier sind alle selbständig, alle haben ihre eigenen Familien, ihren eigenen Haushalt. Der Patron ist der Richter in allen ihren Angelegenheiten, ihr Ratgeber, ihr Briefschreiber – wenn er schreiben kann –, ihr Arzt, ihr Rechtsanwalt, ihr Verteidiger gegen Behörden, die Unmögliches verlangen, ihr Versorger in schlechten Ernten und der Versorger ihrer Witwen und Waisen. Jedoch er ist niemals „der“ Herr. Er bereichert sich nie an seinen Leuten. Er hat mehr Vieh als die übrigen, hat mehr Mais, mehr Bohnen und hat ein wenig mehr Geld. Ein wenig mehr. Nicht viel. Denn es leben viel zu viele Familien auf der Hazienda. Die Familien vermehren sich. Sie vermehren sich reichlich. Und alle jungen Paare, die eine neue Familie gründen, wollen in ihrer Heimat bleiben, also auf der Hazienda. Und für alle muß Land und Rat geschafft werden. Und wird geschafft. Der Patron muß ja ein wenig mehr haben als die übrigen, denn er hat zwanzigmal mehr Verpflichtungen als alle übrigen. Wo der Patron ein Mexikaner nichtindianischen Blutes oder wo er gar Spanier oder, schlimmer vielleicht, gar Deutscher ist, liegen die Dinge völlig anders. Da gibt es Herren und Knechte; denn da muß Geld verdient, da muß die Hazienda ertragreich gemacht werden, damit sie mit tausend Prozent Gewinn verkauft werden kann an einen, der abermals tausend Prozent an ihr gewinnen will. Da gibt es auch keine Compadres und keine Comadres. Hacinto Yanyez jedoch, der Patron der Hazienda La Rosa Blanca, war Indianer. Und weil er Indianer war und alten indianischen Gesetzen folgte, ohne ihren Wortlaut zu kennen, da er sie im Blut hatte, darum mußte ein Zusammenstoß einer amerikanischen Öl-Company mit ihm zu einer Tragödie führen. Denn die Waffen, die er zu führen verstand und die zu führen er gewohnt war, versagten gegenüber einer amerikanischen großkapitalistischen Company, die Milliarden verdienen mußte, um ihren Aktionären den Besitz einer Luxusjacht und Einkäufe in den Boulevards in Paris zu gewährleisten. 3 Die übrigen Haziendas, Farmen und Ranchos der Gegend hatte die Condor Oil Co. in der üblichen Weise gewonnen. Wie man so Land gewinnen kann. Diese Ländereien waren aufgeteilt worden in Lotes, in Lote Nr. 1, in Lote Nr. 2 und so an und fort bis Lote Nr. 78. Lote ist ungefähr dasselbe wie Parzelle oder Terreno. Aber im Familienschmuck der Condor Co. fehlte eine Perle. Die schönste Perle unter allen, die Hazienda La Rosa Blanca, Die Weiße Rose. Rund herum war das saftigste Ölland. Die reichsten Brunnen, die das schwarze Gold in dicken Strahlen hervorsprudelten, in Strahlen so mächtig, daß sie beim ersten Einblasen fünfhundert Meter hoch in die Wolken schossen mit dem ohrenbetäubenden Gebrüll eines gigantischen Wasserfalls oder mit dem Geschnaube von fünfzig vereinigten Expreßzug-Lokomotiven, die gleichzeitig ihre Ventile öffneten. Diese reichsten Brunnen lagen an den Grenzen der Hazienda. Die Condor Co. mußte in den Besitz der Rosa Blanca gelangen, auch wenn sie darum einen Krieg der Staaten mit Mexiko hätte heraufbeschwören müssen. Ihre Direktoren und Aktionäre zogen ja auf keinen Fall mit in den Krieg. Sie waren aus dem Alter heraus, und wären sie nicht aus dem Alter heraus gewesen, so hätten die Ärzte sie herzkrank, zuckerkrank oder lungenschwach geschrieben. Es wurde dem Senjor Hacinto Yanyez eine Lease, eine Vorpacht, angeboten mit fünf Dollar das Hektar jährlich für zwanzig Jahre und acht Prozent Beteiligung am Gewinn. Hacinto aber sagte zu den Agenten: „Das kann ich nicht. Ich kann die Hazienda nicht verpachten. Ich habe kein Recht dazu. Mein Vater hat sie auch nicht verpachtet. Auch nicht mein Abuelo, mein Großvater. Auch nicht dessen Vater. Ich muß sie behalten für die, die nach mir kommen werden. Die wollen auch essen. Und die müssen sie behalten für jene, die wieder nach ihnen kommen werden. So war das immer. Ich habe ja die Orangenbäume und die Nußbäume auch von meinem Vater bekommen. Hätte er keine gepflanzt, dann würde ich keine Orangen und keine Zitronen und keine Nüsse haben. Darum muß ich wieder junge Bäume pflanzen, damit auch die, die nach mir leben wollen, Orangen und Zitronen und Nüsse haben. Das ist nun eben so mit der Hazienda. Das können Sie doch verstehen, Senjor Pallares?“ Senjor Pallares, der Agent, der Aufkäufer für die Condor Co., konnte das natürlich nicht verstehen, weil er nie Land besessen und weil sein Vater nie Land gehabt hatte. Er war nur Licenciado, ein Rechtsanwalt, wie sein Vater auch gewesen war. Er kam zur Company und sagte dort, daß Hacinto verrückt sei. Darauf sagte der Direktor, wenn Hacinto verrückt sei, dann könnte man ihn ja ins Irrenhaus schicken. Hacinto wäre nicht der erste gewesen, der ins Irrenhaus geschickt wurde und dort verkam und starb, weil eine Oil-Company seinen Besitz auf keine andere Weise bekommen konnte. Dutzende waren ins Irrenhaus geschickt worden. Denn irre ist jeder, der es ablehnt, einen Kaufpreis für ein Stück Land anzunehmen, der tausendmal höher ist als der Kaufpreis für das Land war, ehe Öl in der Nähe gefunden wurde. Es kam ein anderer Agent. Wieder ein Mexikaner. Und wieder ein Licenciado. Senjor Perez. Er kam mit dem großen Geldsack, brachte das blinkende Gold gleich mit. Nicht alles. Aber doch einen großen Teil. Er hoffte, daß der Anblick des schönen gemünzten Goldes Hacinto nachgiebig machen würde. Licenciado Perez bot keine Lease an. Er wollte die Hazienda kaufen. Das gab mehr Geld und war darum eine größere Versuchung. „Aber ich kann doch die Hazienda nicht verkaufen, Senjor Licenciado“, sagte Hacinto in seiner ruhigen stoischen Weise. Zeit war für ihn kein bestimmter Begriff, darum ließ er sich auch beim Sprechen nicht zur Eile drängen. „Ich kann die Hazienda wirklich nicht verkaufen. Sie gehört doch gar nicht mir.“ „Wie?“ fragte Senjor Perez. „Gehört nicht Ihnen. Das ist ja neu. Steht doch in den Registern als Ihr Eigentum.“ Hacinto lachte: „Sie gehört mir natürlich, die Rosa Blanca. Wie sie einstmals meinem Vater gehört hat. Aber sie gehört auch meinem Vater nicht mehr. Ich meine, die Hazienda gehört mir nicht so, daß ich damit machen kann, was ich will. Sie gehört doch auch denen, die nach mir leben wollen. Für die bin ich verantwortlich. Ich bin nur der Verwalter für die, die später leben wollen und leben werden. Wie mein Vater nur der Verwalter war und dessen Vater und dessen Vater und so immer weiter zurück und so immer weiter voran.“ „Das ist ja Unsinn, Senjor Yanyez. Lassen Sie nur die andern für sich sorgen. Sie können ja Ihren Kindern das Geld geben oder hinterlassen. Die können Doktor werden in Mexiko oder Licenciado oder sie können sich einen schönen Laden kaufen, wo sie tüchtig verdienen können, und sie können sich Automobile kaufen.“ „Aber sie haben doch kein Land“, sagte Hacinto eigensinnig. „Sie müssen doch essen. Wie wollen sie denn essen, wenn sie keinen Mais bauen.“ „Seien Sie doch nicht so stumpfsinnig“, sagte Senjor Perez. „Ihre Nachkommen können sich doch den Mais für die Tortillas kaufen, sie haben doch dann Geld genug.“ „Aber der Mais muß doch angebaut werden. Es muß doch jemand Mais pflanzen. Dazu braucht man doch Land. Ein Automobil ist ja vielleicht ganz schön, aber es ist doch kein Mais. Und Fleisch ist auch nicht da. Und auch keine Bohnen und kein Chile.“ Senjor Perez gab es auf, in dieser Weise mit dem blöden Indianer weiter zu verhandeln. Er griff von einer neuen Seite an. „Sie werden doch einmal alt, nicht wahr?“ „Nein“, antwortete Hacinto. „Ich werde nicht alt. Wenn ich alt werde, dann bin ich tot. Dann sterbe ich. Alt werde ich nicht. Mein Vater ist auch nicht alt geworden. Er war gleich tot, als er glaubte, nicht mehr arbeiten zu können. Er war nicht alt. Er hat bis zum letzten Tage gearbeitet. Und ich kann das Land nicht verkaufen, weil die, die nachkommen, auch Land haben müssen.“ Er begann nun, alles das wieder aufzuzählen, was er schon dem Licenciado Pallares gesagt hatte, über die Orangenbäume und Nußbäume und über die späteren Geschlechter, die ihm vorwerfen werden, daß er übel für sie gesorgt hätte und daß sie verhungern müßten, weil er das Land weggegeben habe. Aber als er sich erinnerte, daß er das alles schon früher einmal zu jemand erzählt hatte, und als er sah, daß seine Worte auch nicht den geringsten Eindruck auf Senjor Perez machten, als er erkannte, daß Senjor Perez, obgleich er ein gelehrter Licenciado war, gar nichts verstand von Land und von Pflichten und von allen den Sachen, die Hacinto so wichtig erschienen, da fiel ihm etwas Neues ein. Bisher hatte er, wenn er von denen sprach, die nach ihm kommen würden und essen wollten, nur an seine eigenen Kinder und Nachfahren gedacht und nur an Nachkommen im allgemeinen. Jetzt aber, als ob ihm jemand auf dem reinen Wege der Gedankenübertragung daran erinnert hätte, kam ihm zum Bewußtsein, daß er ja noch viel größere Pflichten habe. Höhere Pflichten als die für seine eigenen Nachkommen. Was sollte denn aus seinen Compadres, aus seinen Comadres werden? Was aus den sechzig Familien, die auf seiner Hazienda lebten? Sie wurden alle enterbt, entlandet, entwurzelt, wenn er die Hazienda verkaufte. Sie alle waren ja seine Kinder, seine Schützlinge, seine Mündel, seine Pflegebefohlenen. Wie konnte er sie verlassen und ihnen das Land nehmen? Sie waren sein Blut und seine Seele gleich seinen leiblichen Kindern. Und alle werden doch eines Tages begraben und gefolgt werden von denen, die auch ihnen nachkommen werden und Land benötigen, um in der Welt sein zu können. „Nein, ich kann die Hazienda nicht verkaufen, Licenciado.“ Er sagte es jetzt noch bestimmter als vorher. „Die Hazienda gehört nicht mir, sie gehört ja auch meinen Compadres. Was sollen die denn tun?“ Senjor Perez zündete sich eine Zigarette an, spielte eine Weile mit dem Wachsfädchen, als ob er nach der besten Antwort suche, um Hacinto mit einem Satze dauernd zu schlagen. Als er das Fädchen ganz zermürbelt hatte, sagte er: „Die Leute? Die können alle in den Kamps arbeiten. Verdienen viel mehr als hier auf der Hazienda. Was haben sie denn hier? Fünfzig Centavos den Tag. Vielleicht achtzig. In den Kamps verdienen sie fünf Pesos, acht Pesos und arbeiten nur acht Stunden. Haben es viel leichter. Können sich Stiefel kaufen und ihren Frauen seidene Kleider und Lackschuhe und parfümierte Seife. Wenn sie sparen und nicht alles vertrinken, können sie sich bald einen Laden kaufen.“ Hacinto verstand das nicht. Er wußte gar nicht, wovon geredet wurde. In seinem Kopfe war immer nur ein Gedanke, ein einziger Gedanke. Aber dieser eine Gedanke war so stark, daß er für ihn die ganze Welt und alle ihre Probleme umfaßte und erklärte. Alle Fragen wurden in diesem einen großen Gedanken für ihn endgültig gelöst. Er konnte diesen Gedanken nicht mit den schönen Worten eines Dichters ausdrücken, auch nicht mit den verschnörkelten Sätzen eines Gelehrten und auch nicht mit dem Zahlengewirr eines Volkswirtschaftlers. Er konnte ihn immer wieder nur in einem kurzen schlichten Satze hersagen: „Aber sie haben doch dann kein Land mehr, und sie können doch keinen Mais anbauen.“ Das Wort Mais war für ihn, den Indianer, derselbe Ideenbegriff wie für den Europäer das Wort „Unser täglich Brot gib uns heute“. Heute, heute, lieber Gott; denn wir können nicht bis morgen warten, wir haben heute Hunger, und wenn wir das Brot nicht heute haben, so sind wir morgen tot. Für den Licenciado war aber das ewige Wiederholen desselben Satzes, den Hacinto wußte, langweilig. Hacinto wußte in der Tat keinen andern Satz, weil in dem Satze ja alle seine Weisheit verborgen lag, wie die Weisheit aller Menschen von jeher wurzelte in dem Worte „Land ist Brot, und Brot ist Leben“. Was brauchte es mehr! Aber der Licenciado Perez wußte, daß man Mais überall kaufen könne. Man brauche ja nur das Geld. Und das Geld kann man verdienen. Leicht verdienen. Für das Geld, das ihm die Company versprochen hatte, falls er den Kauf der Rosa Blanca durchsetzte, konnte er sich eine ganze Schiffsladung Mais kaufen. Mais, Mais und noch einmal Mais. An etwas anderes dachten alle diese stupiden Indianer nicht. Dennoch: in aller seiner Klugheit und in aller seiner Rechtsgelehrsamkeit dachte der Licenciado Perez nicht daran, daß der Mais aber doch gebaut werden müsse, wenn man ihn haben oder kaufen wolle. Irgendwo mußte der Mais doch gebaut werden. Aber der Licenciado lebte ja in einer andern Welt, wo man Mais und Land trennen konnte, ohne daß man daraus Probleme sich entwickeln sah. In seiner Welt war die Beziehung Mais und Land, Mensch und Land völlig getrennt. In seiner Welt dachte man schon nicht mehr Mais, sondern man dachte nur Produkt. In seiner Welt sagte man: „Was gehen uns die an, die nachkommen? Nach uns der Weltuntergang mit drahtloser Filmvorführung im Schlafzimmer. Land, Land, Land. Was ist Land? Wir brauchen das Land für Öl, damit wir unsere Automobile füttern können. Mais? Land für Mais? Zur Hölle mit diesem verblödeten Indianer! Wenn wir Mais gebrauchen, weil wir alles Land verölt haben, dann machen wir ihn mit der Maschine und kaufen ihn in Konservenbüchsen.“ 4 „Hacinto“, sagte nun Senjor Perez, vertraulich. Und er sprach eindringlich wie ein Mann, der auf seinen Bruder, der von Hause fortgelaufen ist, einreden mag, um ihn zur Heimkehr zu überreden, weil sich die Mutter die Augen ausweint. „Hacinto, nun seien Sie doch einmal vernünftig. Ich will Sie ja nicht betrügen.“ „Das glaube ich auch nicht, daß Sie das wollen“, antwortete Hacinto. „Ich will das Land ehrlich kaufen von Ihnen, für einen guten Preis.“ „Aber Senjor Licenciado, ich kann doch das Land nicht – –“ „Halt, halt“, unterbrach ihn Senjor Perez mit einem Tone, wie man zu einem Kranken redet, den man nicht aufregen darf. „Doch, Hacinto, Sie können verkaufen.“ „Nein, ich kann nicht“, sagte der Indianer eigensinniger als vorher. „Ich habe kein Recht dazu. Das Land gehört nicht mir.“ „Kommen Sie nun nicht abermals mit diesem Unsinn. Ich habe die Register durchgesehen und gefunden, das Land gehört Ihnen. Die Titel sind in der besten Ordnung. Habe nie so gute und reine Rechtstitel gesehen. Das Land gehört Ihnen, und Sie können damit machen, was Sie wollen. Verkaufen oder verschenken oder verpachten.“ „Aber meine Compadres und die, die nachkom–“ Senjor Perez, geübt in den Kniffen des geschickten Anwalts, ließ dem Indianer keine Zeit, sich wieder in den alten hartnäckigen Gedanken festzusetzen. Er wußte nun schon, was wieder folgen würde, und er griff darum gleich an: „Alle die Männer der Familien, die Sie hier auf der Hazienda haben, bekommen Arbeit in den Kamps der Condor Co. Das verspreche ich Ihnen. Ich bringe das mit als Kaufbedingung in den Kontrakt. Die Leute sollen keiner weniger als drei Pesos verdienen, und wenn sie anstellig sind und sich eingearbeitet haben, vier und fünf Pesos.“ „Ja, das glaube ich,“ meinte Hacinto, „soviel verdienen die Peons in den Kamps. Der Muchacho, der Junge vom José hier, arbeitet in einem Kamp und bekommt vier Pesos. Der Junge vom Pedro arbeitet auch in einem Kamp, er will Geld verdienen, weil er heiraten will und der Schwiegervater eine Kuh als Gabe für das Mädchen verlangt. Aber der Marcos, der auch in den Kamps gearbeitet hat, ist wieder hier. Er sagt, er will nie wieder in das Kamp gehen, und wenn man ihm zehn Pesos gibt. Er will lieber hierbleiben auf dem Land. Er sagt, er war immer traurig im Kamp, und hier lacht er immer.“ „Er ist eben ein Dummkopf, der Bursche. Man muß sich gewöhnen können, wenn man Geld verdienen will“, sagte der Licenciado. Und er hatte recht. Wie alle seines Berufs. Er lenkte nun zur Abwechslung das Gespräch auf eine andere Bahn: „Wenn Sie hier das viele Geld haben, Hacinto, dann können Sie sich ein Automobil kaufen.“ „Ich brauche kein Automobil“, sagte Hacinto gleichgültig. „Aber, Mann, Hombre, dann können Sie doch in einer halben Stunde in Tuxpam sein.“ „Ich will ja aber gar nicht in einer halben Stunde in Tuxpam sein. Ich will ja mit den Leuten am Wege sprechen und sehen, wie ihr Mais steht und was die Kleinen machen, die ich alle kenne, und ich will sehen, ob die blauen Buschblumen schon heraus sind und ob die großen Schildkröten an der Laguna Eier in den Sand gelegt haben und ob der schwere Mahagonybaum, der vor vier Jahren abbrach und sich quer über den Weg legte, noch immer nicht verfaulen will. Ich habe schon zweimal Feuer untergelegt, damit er durchbrennen soll. Aber er brennt nicht durch, und wir müssen nun immer herumreiten.“ „Estupido, stupid, stupid“, sagte Senjor Perez halblaut, und dann laut: „– aber sehen Sie, in einem Automobil –“ „Wenn ich nach Tuxpam will, um Schweine zu verkaufen oder um einen neuen Hut für Nazario mitzubringen, dann nehme ich den gelben Macho und reite früh um halb vier fort und bin um neun in Tuxpam. Das ist mir dann gerade Zeit genug. Und ich habe alles auf dem Wege gesehen, und ich habe mit Rafael gesprochen, der sich ein neues Palmdach auf den Jacal, auf sein Haus, gelegt hat, weil das andere zu alt war und durchregnete. Dann bin ich immer noch zeitig genug in Tuxpam. Ich brauche kein Automobil. Wirklich nicht, Licenciado.“ Senjor Perez sah sich wieder einmal hoffnungslos, und es kostete ihm ersichtlich große Mühe, eine neue Idee zu finden, um Hacinto den Besitz vielen Geldes verlockend zu machen. Ehe er aber etwas Neues sich ausdenken konnte, das Hacinto der Welt der Geldmacher vielleicht hätte näherbringen können, hatte der Indianer endlich eine Antwort gefunden auf das Angebot, alle Compadres als Arbeiter in den Ölkamps unterzubringen. Er konnte im Kopf nicht so schnell arbeiten wie ein Licenciado, der darin geübt war. Bei ihm dauerte es länger. Aber obgleich es länger dauerte, so traf er dennoch den Punkt. Und er traf ihn genauer, als Senjor Perez erwartet hatte. Er sagte: „Das ist ja recht gut, wenn hier die Männer Arbeit in den Kamps bekommen. Es kann ja sein, daß sie dort arbeiten können und Geld verdienen. Aber wenn der Brunnen gebohrt ist, dann ist doch keine Arbeit mehr für die Leute. Dann bekommen sie auch kein Geld mehr.“ „Die Company bohrt nicht nur hier Brunnen, sie hat sehr viel Land. Da werden dann die Leute von hier hingeschickt.“ Hacinto war aber jetzt durchaus auf dem richtigen Wege. Denn er sagte nun: „Dort aber, wo die Leute hingeschickt werden, sind dann doch die Leute von jenem Land, die Arbeit haben wollen. Was tun dann die?“ Senjor Perez fühlte, daß er überrumpelt war. Er fand hier nicht heraus. Ohne viel darüber nachzudenken, platzte er heraus: „Jene Leute müssen dann eben weiter gehen und sehen, wo sie Arbeit finden.“ „Aber man hat ihnen doch das Land weggekauft, wie können sie denn nun leben, wenn die Männer von hier ankommen. Sie haben doch kein Land mehr. Die müssen doch alle sterben, wenn die Männer von hier kommen. Es wird auch nicht ewig gebohrt. Einmal ist es doch alle, das Öl. Dann haben alle Männer vergessen, wie man Mais baut.“ Einfach wie alle Probleme waren, wenn Land genug da war und die Leute verstanden, es zu bebauen, so verwickelt wurden plötzlich die einfachsten Fragen, sobald die Leute aus ihrer Erde herausgerissen wurden. Das sah jetzt selbst Senjor Perez ein. Der Indianer hatte ihn völlig aus seiner sicheren Stellung innerhalb der menschlichen Gesellschaft geworfen. Er hatte ihn selbst aus allen den Weisheiten hinausgeschleudert, die sich Senjor Perez in Schule und Leben erworben hatte. Hätte er einem andern Licenciado, einem andern gebildeten Mann, ja hätte er nur einem Kaufmann aus einer größeren Stadt sich gegenüber gesehen, dann hätte er mit diesen Problemen irgendwie fertig werden können. Mit einem andern Manne, der in der Stadt und in städtischen Erwerbsmöglichkeiten lebte, hätte er diese Fragen besprechen können. Sie wären sicher zu einer Lösung gelangt, die beide befriedigt hätte, weil sie beide die gleiche Sprache redeten. Sie hätten sprechen können von Gesetzen, die dann nötig wurden, von Parlamentsbeschlüssen, von Dekreten des Präsidenten, von besseren Transportmöglichkeiten, von Massenproduktion notwendiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Massenproduktion infolge weitgehender Anwendung hochkräftiger Maschinen und wissenschaftlicher Lehren. Freilich blieb die Frage immer offen: Wo nehmen wir das Land her? Denn daß man Mais aus den Abfallprodukten des Öls oder aus der Schlacke der Steinkohle machen könnte, das schien ja selbst einem Licenciado ein wenig zu weit gegriffen. Wie dem auch immer war, gegenüber der verblüffenden Einfachheit, in der Hacinto die Probleme der menschlichen Gesellschaft und des menschlichen Daseins sah, kam sich Senjor Perez sehr hilflos vor. Er konnte den Indianer nicht erreichen. Es war so, als ob der Indianer auf einem andern Planeten stünde, zu dem man von dem Planeten, auf dem der Licenciado stand, niemals und mit keinem Mittel hinüberreisen kann. Der Indianer fühlte nicht, daß er den Licenciado geschlagen hatte, weil er nicht begriff, daß jemand anders denken könne als er, der Indianer, der in der Erde und mit der Erde lebte. Als ein Erzeugnis der Erde. Gleich einem Baume. Darum konnte er auch mit der letzten Waffe, die der Licenciado für die stärkste Waffe hielt und bis zuletzt aufbewahrt hatte, nicht besiegt werden. 5 Senjor Perez nahm den weißen Leinensack zur Hand. Er wog ihn eine Weile beträchtlich, und dann schüttete er mit einer raschen Bewegung den ganzen Inhalt aus. Es waren alles goldene Zehn-Pesos-Stücke. Hidalgos. Weil sie das Bild des mexikanischen Befreiungskämpfers Hidalgo aufgeprägt trugen. Senjor Perez begann das Geld abzuzählen, als ob der Kauf bereits vor sich gegangen sei. Er häufte das Geld in kleinen Säulchen auf, je fünfzig Hidalgos übereinandergelegt. Es sah sehr hübsch aus. Er hatte endlich vierhundert solcher Säulchen aufgestellt in Reihe und Glied wie Soldaten. Wohlgefällig, beinahe andächtig, überblickte er das Regiment und sagte: „Die Company zahlt Ihnen für das Hektar fünfhundert Pesos Oro Nacional. Achthundert Hektar sind vierhunderttausend Pesos in Gold. Das hier sind nur zweihunderttausend. Sie bekommen also noch einmal den gleichen Haufen. Morgen schon, wenn Sie wollen.“ Der Eindruck, den Senjor Perez zu erwecken gehofft hatte, blieb aber völlig aus. Der Indianer hatte durchaus kein Verständnis für diese Menge des Goldes. Hätte man ihm einen Berg Mais hingelegt oder fünfhundert Schweine, das hätte er verstanden. Freilich hätte er auch dafür die Rosa Blanca nicht verkauft. Der Mais war eines Tages aufgegessen, und die Schweine waren eines Tages aufgegessen. Was dann darauf? Hunger für die, die nachkommen. Verläßlich war nur die Erde. Sie erzeugte ewig und ewig, in nimmermüder Freigebigkeit, ewig und ewig sich wiederholend in Jungfräulichkeit, in bebender Liebe, in heißem Empfangen, in jubelndem Gebären, in zufriedenem Dahinwelken und dann wieder das stille und heilige Neuaufkeimen rührender Jungfräulichkeit, bebender Liebe und so an und so fort ewig und ewig wie die Sonne, wie der Mond, wie Tag und Nacht. Aber das Geld, der Mais, die Schweine, so viel es auch war, das alles war nur einmal und niemals wieder. Hacinto wußte auch recht gut den Wert eines Hidalgos. Das waren hundert oder hundertfünfzig oder auch nur achtzig Kilo Mais, je nach dem Marktpreis. Es war ein ausgewachsenes Schwein mittelmäßiger Güte. Ein Hidalgo, zehn Pesos, war viel Geld. Sehr viel Geld. Aber dieses Regiment Goldstücke, die hier auf dem Tisch aufmarschiert waren, machten keinen Eindruck auf Hacinto. Deren Wert faßte er nicht. Das war eine Gaukelei. Einen solchen Wert gab es nicht. „Das sieht sehr schön aus, Senjor Licenciado“, sagte er endlich, um der Spielerei des Licenciado eine höfliche Anerkennung zu widmen. „Gehört alles dir, Hacinto.“ Senjor Perez duzte ihn plötzlich, um recht brüderlich zu erscheinen. „Das gehört alles dir und noch einmal soviel, denn das ist nur die Hälfte. Für die Rosa Blanca.“ Der Licenciado hätte Hacinto auch ganz gut das Geld anbieten können für das Recht, ihm das Herz aus der lebenden Brust zu schneiden. So geschah es, daß jenes Regiment Gold für Hacinto kein Leben annahm. Es erweckte keine Träume in ihm. Regte keine Hoffnungen an. Diese Säulchen hatten keine Macht über ihn und konnten keine Macht über ihn gewinnen, weil vor seinen Augen etwas Größeres stand, etwas Höheres, etwas Heiliges. Was er besaß, das hatte er von seinen Vätern übernommen, nicht um es als Eigentum zu besitzen, sondern um es zu erhalten und es dereinst weiterzugeben an die Nachfolgenden. Was er besaß, war ihm nur geborgt worden, war nur sein, um es für die kommenden Geschlechter zu verwalten. Seine hohe Pflicht war, das geborgte Gut ungeschmälert weiterzugeben, wenn seine Stunde kam. Was hätte er sagen können, wenn er dereinst in den Jagdgründen der Ewigkeit seine Väter antraf und sie ihn fragen würden: „Was tatest du mit unserem Gut? Was tatest du mit dem Gut unserer Enkel und Urenkel?“ Er hätte sich vor Scham verkriechen müssen in die fernsten und dunkelsten Winkel der Gebüsche, wo nie die Sonne hin scheint und nie der Mond sein sanftes Silber dahingleiten läßt. Und was gar, wenn alle die Väter seiner Compadres kamen und ihn fragten: „Was tatest du mit unsern Söhnen und Töchtern?“ Und das würde so fort gehen bis in die urewigen fernsten Zeiten hinein. Alle dreißig oder vierzig oder fünfzig Jahre würden neue Männer heraufkommen in die grünen Jagdgefilde und würden ihn fragen: „Wo ist das Gut, das dir deine Väter anvertrauten für uns?“ Sie würden ihn herauszerren aus seinem dunklen Winkel und dann wieder zurückschleudern, wenn er nicht antworten könnte. So würde das fort gehen ewig und ewig. Und niemals Ruhe. Niemals Ruhe. Und so, während das Gold vor ihm kein Leben bekam, so bekam die Rosa Blanca in diesem Augenblick, als um sie gekämpft wurde, alles Leben. Sie nahm Gestalt an. Sie sprach zu ihm. Sie lachte ihn an. Sie wurde Person. Er hörte sie singen. Er konnte es nicht mehr ertragen. Er stand auf und trat in die offene Tür. 6 Dort stand er und überblickte den Hof. Der Hof sah, wie meist immer, auch heute nicht aufgeräumt aus. Jenes hatte er schon hundertmal ändern wollen und dieses. Immer, wenn er es sah, wollte er es ändern, und immer gleich darauf war es vergessen und blieb. Da in der Ecke, dicht bei dem Zaun, lag ein altes zerbrochenes Karrenrad von einem Maultierkarren, an dessen Existenz sich niemand mehr auf der Hazienda erinnern konnte. Jenes Karrenrad verfaulte langsam, denn es war aus gutem eisenharten Holz. Jeden Samstag sollte es fortgeräumt werden, und am Sonntagmorgen, wenn er in den Portico trat, lag das Karrenrad noch immer in seiner Ecke. Er erinnerte sich, daß es schon dagelegen hatte, als er fünf Jahre alt war. Da hatte sein Vater gesagt: „Das alte Karrenrad kann auch verbrannt werden, der Manuel mag es heute abend zerhacken und das Holz zu den Frauen in die Küche bringen.“ Der Auftrag wurde vergessen, und das Rad wurde nicht zerhackt. Dann hatte der Vater wieder einmal, als er es sah, gesagt: „Das Rad könnte man vielleicht zu etwas gebrauchen, ich werde mit Manuel reden, was er denkt, was man damit machen könnte.“ Hacinto war dann, als er acht Jahre oder so alt war, in den Speichen herumgeklettert mit der Absicht, seinen Körper geschmeidig zu machen gleich einer Schlange. Eine Zeitlang diente es, einen jungen Coyote, den er mit anderen Jungen gefangen hatte, daran festzubinden. Der Coyote sollte gezähmt werden, um ihn als Hund zu gebrauchen. Aber eines Nachts hatte sich der Coyote von dem Strick losgebissen und war entwischt. Dann sollte das Rad wieder einmal verbrannt werden. Dann sollte es wieder einmal mit Hilfe Manuels zu etwas anderem gebraucht werden. Dann, als Jüngling, hatte Hacinto des Abends auf dem Rad gesessen und – es war in seiner Liebeszeit – von seinem Mädchen, die jetzt seine Frau war, geträumt. Hatte darauf sitzend süße Rancholieder vor sich hin gesummt. Und hatte manche Nacht darauf gehockt und still vor sich hin geweint, als er glaubte, daß sie ihn nicht mochte. Hatte dann, ein wenig später, mit ihr des Nachts zusammen darauf gehockt und an zehn oder mehr Stellen Kerben eingeschnitten für die Umarmungen, die sie ihm gab oder was es sonst sein mochte. Er wußte gut, was es war, wofür er die Kerben einschnitt. Dann starb der Vater. Aber das alte zerbrochene Karrenrad lag noch immer da. Und noch immer an derselben Stelle. Dann starb auch der alte Mayordomo, der Manuel, der so oft den Auftrag erhalten hatte, das Rad zu zerhacken oder es zu etwas anderem zu gebrauchen. Jedoch das Rad ließ sich durch den Tod der beiden Männer nicht stören. Es lag da und lag da. Und nun seit Jahren, jeden Samstag, wenn der Hof aufgeräumt wurde, gab Hacinto den Befehl, daß das Rad endlich einmal beseitigt würde. Und jeden Sonntagmorgen, wenn er in den Portico trat und nach dem Wetter sah, lag das Karrenrad noch immer da. Bis zum nächsten Sabado. Aber am Sonntag würde sicher etwas auf dem großen Hofe gefehlt haben, hätte das Karrenrad nicht noch immer dagelegen. Und so lag es auch jetzt da. Friedlich, gemütlich, unverfroren, ausdauernd und selbstbewußt und wartete auf das endliche Verfaulen. Sein ältester Junge, Domingo, saß jetzt oft, allein und weltverloren, auf dem Rade und schnitt gelegentlich Kerben ein, wie er, der Vater, wohl bemerkt hatte. Er wußte auch, wer das Mädchen war. Was er jedoch am besten wußte, war, daß jenes Karrenrad immer noch daliegen würde, wenn er eines Tages abgerufen werden wird. Denn das Rad war kein lebloses Stück alten verwitternden Mahagoniholzes. Das Rad war ein Symbol. Ein Symbol der Rasse. Das Karrenrad war zeitlos geworden. Hacinto blickte zur Seite, und dort hockte Emilio, der Junge der Cocinera, der Köchin. Er hockte da auf dem Erdboden, hatte vor sich einen Schilfkorb stehen und körnte die Maiskörner aus den Kolben mit Hilfe eines schon entkörnten Kolbens. So, genau so, wurde der Mais hier schon entkörnt vor fünftausend Jahren, mehr, vor zwanzigtausend Jahren. Eine Entkörnungs-Maschine, die in fünf Minuten mehr auskörnte als der Junge in zwei Stunden, kostete sechzig Pesos oder gar nur fünfundvierzig. Sie sollte schon gekauft werden, als der Vater noch lebte. Hacinto hatte sie schon hundertmal kaufen wollen. Aber vielleicht geht es noch eine Weile ohne. Es ist ja fünftausend Jahre so gegangen. Warum denn nun mit einem Male so plötzlich? Der Emilio hat ja sonst sowieso auch weiter nichts zu tun und geht doch immer nur Kaninchen jagen. Kann er auch gut Mais auskörnen. Bekommt er kräftige Hände und Finger davon. Kann ihm nur nützlich sein im Leben. Drüben, in der Nähe des Zaunes, der den weiten Hof umfriedigt, steht Margarito, der Mayordomo der Hazienda, und doktert zwei Mules, die sich infolge ihrer Trägerarbeit den Rücken durchgescheuert haben. Er wäscht die Wunden mit schwarzer Seife und heißem Wasser sorgfältig aus und singt dabei. Er singt das uralte Rancholied von dem schönen Indianermädchen, das einen Indianerburschen liebte, ach so sehr, so sehr liebte. Aber dann kam der Mexikaner mit großem roten Hut und schweren silbernen Sporen herangesprengt, ach so sehr stolz, so sehr stolz, herangesprengt auf einem weißen Roß, ach so sehr, so sehr weißem Roß herangesprengt. Und der stolze herrische Mexikaner auf weißem Roß und mit großen silbernen Sporen machte viel honigsüße Worte, ach so sehr süße, so sehr süße Palabras. Und er verführte das Indianermägdelein, das ach so sehr, so sehr in Furcht war vor dem stolzen Mexikaner in dem großen roten, ach so sehr großen roten, so sehr großen roten Hut. Und endlich bekam das Indianermägdelein ein kleines Kindlein, ach ein so ganz kleines, so sehr kleines Kindlein; und das Mägdelein, die Mamacita tan morena, starb mit ihrem kleinen Kindlein heimlich im tiefen, ach so sehr tiefen, so sehr tiefen Busch, und eine blaue Blume, ach so sehr blaue, so sehr blaue Blume fiel auf ihr Grab, das die Ameisen, ach so sehr geschäftig, so sehr geschäftig, über das tote Mägdelein gebaut hatten. Während nun Margarito die hundertzwanzig Strophen, oder wie viele es sein mögen, singt – Hacinto hört in seiner Seele das ganze lange Lied in einer Viertelstunde; denn auch er kennt es und hat es gesungen in seiner Liebeszeit – und während Margarito singt und mit Andacht und Inbrunst die Reime schmelzend wiederholt und wiederholt, unterbricht er sich zuweilen und schreit auf die Mules ein: „Caramba, zum Donnerwetter, du Cabron, du himmelgottverfluchter und verfuckter Hurensohn, steh endlich still oder ich trete dich wahrhaftig, bei der heiligen allerreinsten Himmelsjungfrau, por Santa Purissima, doch noch in den verfluchten Ursch, du stinkiger Sohn einer alten Hure.“ Aber dieses gelegentliche Zurückfallen in die brutale nackte Wirklichkeit des harten arbeitsreichen Lebens tut dem gefühlvollen Gesang des Margarito keinen Abbruch. Er singt nach dieser irdischen Entgleisung ohne erschütternde Dissonanz sofort wieder in rührend schmelzender Weise von dem schönen Indianermädchen, das von einem stolzen Mexikaner in rotem Hut und auf feurigem weißen Roß verführt und entführt wurde. Dissonanzen sind Margarito fremd. Alles reimt sich, und alles ist in Harmonie. Hacinto ist Compadre des Margarito, er ist Pate zu allen seinen Kindern; und der Vater des Margarito ist Pate zu zwei Kindern, zu den beiden ältesten des Hacinto, zu Domingo, dem Jungen, und zu Juana, dem ältesten Mädchen. Die Vaterschaft des Margarito ist nicht ganz klar. So wird wenigstens getan. Aber auf der ganzen Hazienda weiß man, und jedem, der es wissen will, wird es erzählt, daß der Vater des Hacinto auch Vater des Margarito ist. Margarito selbst hält diese Tatsache für wahrscheinlich. Jedenfalls streitet er sie nie ab. Und seine Mutter, die noch lebt und auf der Hazienda die Hühner versorgt und im Hause mithilft, sagt weder ja noch nein. Sie ist weder stolz darauf, noch beschämt. Wenn ihr Gott die große Gnade erwies, sie mit Kindern zu segnen, so ist es an sich gleichgültig, wer der Vater ist. Der Vater wird von Gott geschickt als Mittel zum Zweck. Alimentationsfragen entstehen nicht, denn es wächst Mais und es wachsen Bohnen auf der Hazienda in Fülle; und jeder, der da lebt, hat ein Anrecht an dem Mais und an den Bohnen und an den Hühnern und an den Schweinen. Ob da zwanzig Kinder mehr essen oder fünfzig, Kinder, die sich auf die Familien verteilen und wo der Vater es als Ehre und Gnade des Himmels betrachtet, wenn er Vater sein darf, auch wenn er es gar nicht ist, das alles sind keine wichtigen Dinge. Der Patron der Hazienda sieht gar nicht hin. Die Kinder, alle Kinder, sind vom Himmel gesandt, und darum haben sie ein Recht zu leben. Wäre da kein Vater, dann ist immer der Patron der Hazienda noch da, der die Kinder ernährt, ernähren muß, nach indianischem Gesetz, und auch freudig ernährt, ob Gesetz oder nicht Gesetz. Gesetze, die nicht im Blut sind, haben ja doch keinen Wert. Und Hacinto sieht hinüber zu den verstreuten Hütten und schiefen Adobehäusern, wo sie alle wohnen, die Nachkommen sind jener, die mit seinen Vätern hier lebten. Ein kleines Volk, aber ein echtes Volk mit echtem König. Wo der König nicht Herrscher ist, wo der König nicht in Luxus lebt von dem, was sein Volk für ihn errackert, wo der König nichts ist als Verwalter, als Ratgeber, wo seine ganzen Rechte als König darin bestehen, für das Wohlergehen derer verantwortlich zu sein, die ihm von seinen Vätern anvertraut wurden. Anvertraut nicht als Untertanen, sondern als Gleichberechtigte, die sich in Jahrtausenden von Erfahrungen darauf geeinigt haben, daß eine Familie das Land des Volkes verwaltet, um zu vermeiden, daß nach dem Tode des Oberhauptes der Familie die Männer des Stammes in einen blutigen Kampf eintreten, um das Recht zu erkämpfen, wer Verwalter und Führer für die nächste Generation sein soll. Für solche Kämpfe haben die Leute keine Zeit, und sie haben keine Zeit, den Haß zu besänftigen, der nach solchen Kämpfen im Volke zurückbleibt. Die Stiere machen es so in den Viehherden. Aber die Indianer betrachten sich ja nicht dem Vieh gleich. Solche kleinen Völker werden immer nur dann in ihrer Ordnung und in ihrem uns primitiv erscheinenden Aufbau und Zusammenhalt gestört, wenn eine Sippe oder ein Stamm von Städtern, von Städteerbauern auf den Plan tritt. Städte müssen Menschen in Massen aufsaugen, um bestehen und sich entwickeln zu können. Und da diese Massen viel weniger Land bewohnen, als unbedingt nötig ist, sie zu ernähren, brechen sie in die Völker ein, die mit der Erde unmittelbar verwachsen sind, und bauen eine Ordnung auf, in der der Städter zum Tyrannen und der Bauer zum Heloten wird. Aus den Hütten qualmte der Rauch der Herde durch die immer offene Tür und durch die Ritzen der Wände. Vor einigen Hütten knieten die Frauen vor dem Metate und rieben den Mais. Die Schweine, die Hühner, die Truthühner, die Esel, die Vögel und Tiere des Busches und des Dschungels, die gezähmt waren und sich an das Haus gewöhnt hatten, kleine Rehe, Waschbären, Hunde und Katzen liefen auf den Höfen herum, drängten sich dicht an die Indianerin, die vor dem Metate hockte. Wenn sie sich ein wenig aufrichtete, um sich den Schweiß aus der Stirn zu wischen, so warf sie vielleicht einen Brocken des Maisteiges zwischen die hungrigen Gäste des Hofes, die einen wilden Kampf darum begannen. Dann lachte die Frau und ging wieder mit frischen Kräften an ihre Arbeit. An die Arbeit, die eine Handmühle in drei Minuten schafft und an der die Indianerin eine Stunde sitzt und alle Kräfte daran wenden muß, die sie in sich hat. Aber die Handmühle kostete fünfzehn Pesos, und was hätte man mit der übrigen Zeit anfangen sollen, wenn man die Maza in drei Minuten fertig hat. Es war aber ein größeres Vergnügen, alle die Tiere um sich zu haben und alle die Kinder dazwischen. In den drei Minuten an der Handmühle konnten die Tiere sich nicht versammeln, konnten die Kinder nicht mit den Tieren herumjagen und herumkreischen, konnte man nicht so viel sehen und nicht so viel erleben. Wenn man sah, wie der Waschbär auf die Katze losging oder der Hund vom Truthahn verdroschen wurde, das war Leben. Die Handmühle war kein Leben, kein Lachen; und man konnte dem Manne, wenn er vom Felde hereinkam, nichts erzählen, daß auch er lachen mußte. In einem alten aufgehängten Faßreifen bei einer anderen Hütte saß ein Papagei. Er war nicht angebunden und verübte die tollsten Streiche gegen die Kinder, gegen die Katze, gegen den Hund, gegen die Schweine. Wenn er während des Essens dann auf seinem Brett saß und seine zwei Tortillas bekam, so aß er nur wenig von den Tortillas. Er ließ die meisten Stückchen herunterfallen für ein bestimmtes Schwein, das er bevorzugte. Es war ein kleines, wild-graues, häßliches Schwein. Aber Loro, der Papagei, liebte es. Er ließ die Stückchen nur fallen, wenn jenes Schwein unter dem Brett stand. War ein anderes dort oder liefen Hühner herum, um etwas aufzuschnappen, so ließ der Papagei nichts herunterfallen. Das Schwein, das so geliebt wurde von dem Papagei, sah auf zu ihm wie zu einem Gotte, der Welten verschenkt. Die Familie, die in dieser Hütte wohnte, hatte das tausendmal gesehen; aber jeden Tag zu Mittag kamen die Kinder heraus oder auch der Vater oder die Mutter, um es immer wieder zu sehen. Sie konnten es nicht oft genug sehen. Wenn ein anderes Schwein den Brocken erwischte, den der Papagei für seinen Günstling hatte fallen lassen, dann schrie der Papagei wie besessen: „Cochino! Cochino! Schwein! Schwein!“ Es war das einzige, was er neben „Como estas?“ – Wie geht’s? – sprechen konnte. Hacinto, während er auf der Veranda stand, hörte das Kreischen „Cochino, Cochino“. Er kannte es, kannte den Papagei, kannte die Familie, kannte alles, alles. Das kreischende Geschrei des schimpfenden Papageis kam zu ihm nicht als ein einzelner Laut, es kam zu ihm nur als ein Ton, als eine Note, in den hunderttausend Tönen des ewig gleichen, vertrauten und heimatlichen Singens der Rosa Blanca. Alle Geräusche, alles Lärmen, das Quaken der Kühe, das Grunzen der Schweine, das Gackern der Hühner, das Krähen des Hahnes, das glucksende Belfern des Truthahnes, das Juchzen der Kinder, das winselnde Wimmern der Säuglinge, das gelegentliche Bellen der Hunde, das Klatschen von Tortillas in den Hütten, das Summen der Fliegen, das Geschwätze und Geschnatter der Frauen in der Küche seines Hauses, das Fluchen und Sichverschwören des Margarito, der die Mules dokterte, das Quieken des Hintertores, das in diesem Augenblick geöffnet wurde, das Blöken eines Jungen, dem seine Mutter eins hinter die Ohren zu wischen schien, weil er einen Krug zerbrochen hatte, das Rufen eines Indianers draußen in den Feldern, das Geigen der Zikaden und Grillen, das leise Läuten der sonnendurchfluteten blauen Luft über ihm, alles das vermischte sich zu einem einzigen geschlossenen Gesang für ihn. Der urewige Gesang einer mexikanischen Hazienda. Hier der besondere Gesang der Weißen Rose. Weit hinter den Hütten sah er Indianerfrauen den Hügel heraufkommen mit den Krügen auf dem Kopfe, in denen sie das Wasser vom Flusse zu ihren Heimen trugen. Die Frauen gingen barfuß. Das schwarze Haar lang offen hängend. Sie hatten es am Flusse gewaschen. Sie trugen lange rot und grün gestreifte Röcke um die schlanken Lenden gewickelt und weiße Blusen mit kurzen Ärmeln und roten Stickereien auf der Brust. So ging auch seine Frau gekleidet. Genau so. Nur wenn er sie mit nach Tuxpam nahm zur Plaza, zum Markt, dann trug sie ein Kattunkleid und Schuhe. Aber einen Hut hatte sie nie. Nie gehabt in ihrem Leben. Immer nur den Schal des Landes, den Rebozo. Von den Feldern kamen die Männer gemächlich schlendernd heim zum Essen. Sie trugen den Machete in der Hand und Hacken über die Schulter. Einige rauchten. Einige pfiffen. Die Jungen, die mit ihren Vätern draußen gewesen waren, haschten sich gegenseitig und grölten. An der kleinen Kapelle war die Tür mit frischem Grün geschmückt für die Fiesta am nächsten Sonntag. 7 Alles das sah Hacinto jetzt so, als sähe er es zum ersten Male in seinem Leben. Nie vorher hatte er das Singen der Weißen Rose so reich gehört wie jetzt. Und nie vorher hatte er so stark gefühlt, daß er der Kern des Ganzen hier ist, daß, wenn er sich hier von seiner Verantwortlichkeit löse, daß dann alles zusammenbreche. Die Familien würden sich zerstreuen, uralte Bande würden zerrissen werden, der Sohn würde seinen Vater nicht mehr erkennen, der Neffe nicht mehr seinen Onkel. Die Rosa Blanca würde nicht mehr die uralte Heimat eines Volkes sein, sie wird in der Erinnerung der Kinder der Rancho sein, wo der Vater einmal gearbeitet hat. Nichts wird die Kinder mehr in ihrer Seele mit der Rosa Blanca verknüpfen. Die Rosa Blanca wird gleich sein der Fabrik, in der der Vater arbeitet in der Stadt. Etwas Notwendiges, aber etwas, zu dem man keine persönliche Beziehung hat. Man wird wechseln von Ort zu Ort, um Arbeit zu finden, um leben zu können. Nichts wird mehr sicher sein. Heute ein guter Lohn, morgen ohne Arbeit. La Rosa Blanca hatte immer Arbeit, immer Nahrung, solange die Sonne aufgeht und untergeht. Aber daß es etwas in der Welt gibt, das einem Menschen die Sicherheit des Lebens und der Nahrung verbürgt, das werden die Kinder vergessen haben. Nahrung allein wird die Fabrik sein, das Ölkamp, die Kupfermine, die Textilfabrik, wo alle Nummern sind und alle Nummern haben, die am Abend beim Verlassen der Fabrik an einer Tafel aufgehängt werden. Alles das wußte Hacinto nicht. Er wußte nur, daß, wenn seine Compadres, wenn alle hier, die so gut wie seine Kinder waren, nicht mehr eine Rosa Blanca hatten, die ihre Urheimat war, daß dann etwas Höllisches mit ihnen geschehen würde. Es würde mit ihnen etwas geschehen, das gleich war, was einem Fisch geschieht, den man auf den Sand wirft, was einem Baum geschieht, den man ausgräbt und auf einem Steinhaufen in der Sonne liegen läßt. 8 Hacinto hatte weniger als fünf Minuten hier auf der Veranda gestanden, um zu überlegen, ob es einen Ausweg gebe. Ihm waren diese fünf Minuten erschienen wie ein ganzes Leben. Er hatte in diesen fünf Minuten nicht nur mit der Jetztzeit gelebt, sondern auch mit der Vorzeit und mit der Nachzeit. Er hatte gesprochen mit Vorvätern, die er nicht kannte, von denen er aber wußte, daß sie seine Vorväter waren. Er hatte gesprochen mit seinen Nachfahren, von denen er gleichfalls wußte, daß sie seines Blutes, seines Stammes sind, obgleich er sie nicht kannte. Es war schon schwieriger gewesen, die Nachfahren zu finden. Er hatte sie im Geiste weit herum suchen müssen, weit in der großen Republik und bis hinauf in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Denn sie waren nicht mehr in der Rosa Blanca. La Rosa Blanca war Lote Nr. 95 bis Lote Nr. 144 der Condor Oil Co. S. A. La Rosa Blanca war ein Terreno, übersät von hohen nüchternen Ölbohrtürmen. Wo einst die Orangen- und Zitronenbäumchen standen, wo einst sich die Kronen der Papayabäume in der flirrenden Luft wiegten, um ihre reifenden Früchte in der Sonne zu baden, wo einst die grünen Maisfelder waren und wo sich die Stauden im Reifen der goldenen Kolben ihre ewigen Märchen zuwisperten, da stöhnten und ratterten jetzt fauchende Lastautos mit stählernen Raupenbändern mitleidlos über die gequälte Erde, die sich hier aufbäumte in Schmerz, und die sich dort in Zorn knirschend zwischen die stählernen Bänder drängte, um deren brutale Macht zu zerbrechen. Ein Gewirr von eisernen Rohren überzog die Felder. Und darüber war ein Genetz von Lichtkabeln und Telephondrähten. Wohin man blickte, war ein Zischen von Dampfwolken, ein Aufblasen von schweren dicken Nebelballen. Der Boden war schlammig und sumpfig von Öl, das entsetzlich stank und pestete. Und überall war Schreien und Kommandieren und Schimpfen und Lärmen. Dampfpfeifen heulten. Drahtseile kreischten schrill über keuchende Räder und über quietschende Rollen. Rohreschleppende Reihen von Indianern marschierten über die Felder wie Sklaven in Ketten, gehetzt von fluchenden Aufsehern. Und die sonnendurchflutete Luft, die einst so voll war eines jauchzenden Gesanges, war nun angefüllt mit dem Gestöhn und dem Gekeuche, dem Rattern und Knattern, dem Stampfen und Poltern der Maschinen und Pumpen. Von den Nachfahren des Hacinto war keiner mehr hier, außer einem. Und dieser eine marschierte stolpernd in der Reihe der rohreschleppenden Sklaven, die zwei Pesos fünfzig den Tag bekamen; und wenn sie nicht willig waren oder wenn sie sich den Fuß zerquetscht hatten von einem Rohre, das darauf gefallen war, entlassen wurden. Diesen einen seiner Nachfahren hatte Hacinto hier im Geiste angetroffen. Er hielt ihn an und sprach zu ihm: „Wie gefällt es dir denn hier, hijito, mein Sohn?“ Hatte der Nachfahr geantwortet: „Gut, Padre. Gracias. Ich bekomme zwei Pesos fünfzig. In Pachuca, in den Silberminen, bekam ich nur einen Peso siebzig. Ich habe acht Kinder. Es ist hart, sie durchzubringen. Der Mais kostet jetzt zweiundzwanzig Centavos das Kilo, und die Hälfte ist hohl vom Wurm. Aber ich darf hier nicht länger stehenbleiben und mit dir sprechen, Padrecito mio, mein liebes Väterchen; denn wenn mich der Foreman hier stehen sieht und schwätzen, dann feuert er mich. Es ist nicht so leicht, andere Arbeit zu finden. Und ich habe acht Kinder.“ Er bückte sich über die Hand des Hacinto und küßte sie. Dann sprang er wieder rasch in die Reihe der marschierenden rohreschleppenden Sklaven. 9 Hacinto hätte wohl nicht zu überlegen brauchen. Er war ja der legitime Besitzer der Rosa Blanca. Aber er hielt es dennoch für gut, eine Weile mit sich zu beraten. Er wußte von anderen Rancheros: Wenn eine amerikanische Petroleum-Company einmal Land haben will, dann ist es schwer, sein Land zu verteidigen. Soviel kann man seinen Anwälten nicht zahlen, was eine Company ihren Anwälten bezahlt. Man hat sich vielleicht sogar gegen seine eigene Regierung zu verteidigen, und das ist ebenso schwer wie gegen eine amerikanische Öl-Company. Die Regierung erzielt hohe Einkünfte aus den Ausfuhrzöllen für das Öl, darum sieht sie darauf, daß recht viel Öl produziert und ausgeführt wird. Die Regierung braucht das Geld, um Schulen und Straßen zu bauen und um den Parlaments-Diputados hohe Tagesdiäten zu zahlen. Die Regierung muß sich die Diputados zu Freunden halten. Diputado zu sein ist ein Geschäft wie Schnapsbrenner oder Seidenhändler oder Zeitungsherausgeber. Der Diputado kann es nicht für einen Centavito tun, wenn er das Wohl des Volkes beraten soll. Wie auch der Pastor in der Kirche nicht umsonst Seelen retten und umsonst die Lehre des wahren Heils verkünden kann. Auf den Gotteslohn, von dem man sagt, daß er so süß sei, warten immer nur die, die nie klug werden. Diputados aber und Pfaffen gehören zu den klugen Leuten. Denn hat nicht schon der Herr gesagt: „Seid klug wie die Schlangen und nehmt, wo ihr es kriegen könnt; denn mühselig sind die Beladenen, und so ihr seid die Obrigkeit, dann müssen euch die andern untertan sein, damit auch das Scherflein der Witwe nicht verachtet werde.“ 10 Hacinto wachte auf aus seiner weltentrückten Versonnenheit. „Oye, Compadre“, rief er hinüber zu Margarito, der die Mules mit schwarzer Seife, heißem Wasser und Rancholiedern behandelte. „Oye, ven aca, komm hier einmal her.“ „Que paso, Compadre?“ fragte Margarito, während er über den Hof schlenderte. „Was ist los?“ Als Margarito vor ihm stand, sagte Hacinto zu ihm: „Da ist ein Caballero drin, in der Sala. Er sucht Arbeiter für die Ölkamps. Willst du nicht annehmen?“ „Ich annehmen, wie meinst du denn das, Compadre?“ fragte Margarito verwundert. „Wer macht denn dann hier den Mayordomo?“ „Damit werden wir schon fertig werden“, sagte der Patron. Margarito dachte einen Augenblick nach, und dann fragte er: „Wieviel zahlt er denn, der Senjor?“ „Zahlt vier Pesos den Tag.“ „Den Tag?“ fragte Margarito ungläubig. „Ja, den Tag.“ „Schönes Geld. De veras, schönes Geld.“ „Claro.“ „Wie lange hat er denn Arbeit?“ fragte Margarito. „So lange du willst. Drei Monate, sechs Monate oder für immer“, gab Hacinto zur Antwort. „Das ist zu lange. So lange will ich nicht fortbleiben. Drei Monate will ich wohl annehmen. Dann komme ich wieder zurück.“ Sagte Margarito. „Nein, zurückkommen kannst du dann nicht“, meinte Hacinto. „Was, Compadre? Nicht mehr zurückkommen. Wie denn? Nicht mehr zurückkommen. Warum?“ Das verstand Margarito nicht, daß er nicht mehr zurückkommen sollte zur Rosa Blanca, nicht mehr zurück in sein Heimatland. „Der Caballero nimmt die Arbeiter nur an, wenn sie weiter bei der Company arbeiten. Immer. Wenn hier in der Nähe die Arbeit fertig ist, dann werden die Peons weiter geschickt zu andern Kamps“, erklärte Hacinto der Wahrheit gemäß. „Nicht mehr zurück zur Rosa Blanca? Nie mehr zurück?“ philosophierte Margarito vor sich hin. „Nein, da gehe ich nicht. Vier Pesos den Tag, Caramba! Das ist saftiges Geld. Aber nicht mehr zurück und für immer in den Kamps, wo es so stinkt und wo sich die Leute immer schlagen und streiten. Nein, Compadre, sag ihm, ich will doch lieber nicht gehen. Vier Pesos, muy buen dinero. Aber nein, ich kann nicht gehen. Kannst ihm auch sagen, dem Caballero, er wird hier keine Leute bekommen können, wenn sie nicht wieder zurückgehen dürfen und wenn es für immer ist. In der Stadt kann er ja genug kriegen. Von hier geht keiner.“ „Es sind doch drei Jungen von hier gegangen“, erinnerte Hacinto. „Ja freilich“, sagte Margarito. „Aber einer, der Marcos, ist doch wieder hier. Er sagt, er geht nie wieder fort in die Kamps. Er sagt, das sei nichts. Immer nur Arbeit und gar kein Spaß. Immer ist der Foreman hinterher und treibt und schimpft, soviel sie auch arbeiten. Der Junge vom Pedro ist doch nur da, um das Heiratsgeld für seine Muchacha schneller beisammen zu haben. Und der Junge vom José darf nicht mehr zurückkommen. Der José läßt ihn nicht mehr ins Haus, er hat sich da mit einem der Salonmädchen eingelassen, die er heiraten will. Das ist die Sache mit ihm. Vier Pesos. Holla. Bueno. Aber ich gehe doch lieber nicht, Compadre. Es ist so sehr viel Gestank da und immer Geschrei und Geschimpfe. Und was sollen die Mulas machen und die Pferde, wenn ich nicht hier bin? Die hören ja nur auf mich. Ich kann auch dann nicht mehr sehen, wenn das Kalb an der Kuh saugt und wie die Stiere sich auskämpfen, wer der Stärkste ist, und die kleinen Schweine und die Küken. Und die Kinder sind auch allein. Wenn ich sie mitnehme zum Kampdorf, da haben sie keinen Platz und wissen nicht, was sie tun sollen den ganzen Tag. Überhaupt, Compadre, wenn ich nicht zurück kann hier zur Rosa Blanca und überhaupt kannst du doch dem Caballero sagen, daß ich nicht will und daß auch sonst kein anderer von hier will. Die wollen auch alle wieder zurück. Wir gehören doch hier her. Und ich muß nun wieder zu den Mules rüber, die sehen böse aus und müssen gut gedoktert werden. Javier hätte besser achtgeben sollen. Er versteht auch gar nichts, wie er die Tiere aufzupacken hat.“ Margarito schlenderte zurück über den Hof, das Lied vom Indianerliebchen pfeifend. Als er näher zu den beiden Mules kam und sah, daß eines der Tiere unruhig war und das andere zu beißen suchte, unterbrach er wieder einmal sein Lied und schrie: „Macho, du himmelgottverfluchter Coyote von einem Mule, ich komme dir gleich hin und trete dich in den –.“ Aber als er nun wirklich hinkam, trat er nicht und stieß er nicht das Tier, sondern zog es nur von dem andern Mule fort, so daß die Beißerei von selbst aufhörte. 11 Was konnte Hacinto tun nach dieser Unterredung mit Margarito? Es war so, wie er wußte, daß es sein wird. Sie gehörten hierher, alle. Alle waren Kinder der Rosa Blanca. Sie und La Rosa Blanca waren eine Einheit, die man nicht trennen konnte. Man kann ein Kind von der Mutter trennen. Beide überleben den Schmerz. Aber man konnte diese Menschen hier nicht von der Rosa Blanca trennen. Wurden sie getrennt, so hörten beide auf zu sein, was sie waren. La Rosa Blanca konnte ein Rancho bleiben oder eine Hazienda; aber sie war nicht mehr Die Rosa Blanca. Sie war eine Hazienda wie viele tausend. Nun gar, wenn sie ein Ölfeld wurde. Und gingen die Menschen fort von ihr, die hier wurzelten seit Jahrhunderten, sie waren nicht mehr dieselben Menschen. Sie waren dann nur noch verwirrte und zerstreute heimatlose Landarbeiter oder Peons in den Kamps oder Strolche in den Straßen der Stadt. Sie waren Entwurzelte, die ihren Lebenszweck verloren hatten und ihren Lebensstrang, weil sie nirgends mehr hingehörten. Sie verloren nicht nur den Lebensstrang, der sie mit der Erde verband, sondern sie verloren mehr. Größeres. Sie verloren ihr Herz und ihre Seele, die eins waren mit der Rosa Blanca, wo ihre Geschichte wurzelte; wo ihre Wiegenlieder, ihre Liebeslieder, ihre Märchen, ihre Spukgeschichten, ihre bösen Kobolde, ihre Erdgeister, ihre Feen und Elfen und Baumnymphen geboren waren und lebten. Margarito hatte Hacinto nur bestätigt, was Hacinto lange vorher wußte und was sein Vater und sein Großvater und alle die Vorväter gewußt hatten, daß ihm die Rosa Blanca nicht gehörte, daß er nicht der Eigentümer sei, daß er nur der Verwalter dessen war, das Eigentum aller war, die hier lebten und die hier seit ewigen, scheinbar urewigen Zeiten lebten. Jeder wollte zurück, weil er mußte. Er konnte irgendwo anders arbeiten, irgendwo anders Geld verdienen, aber leben konnte er nur hier. Darum hatte Hacinto kein Recht, kein alleiniges Recht an der Rosa Blanca. Und hätte er einen Rat der Männer zusammengerufen, wie es beinahe jeden Monat getan wurde, wenn die Arbeit besprochen wurde, diesmal jedoch, um die Frage vorzulegen: „Sollen wir die Rosa Blanca verkaufen und viel Geld bekommen?“, so würden alle gesagt haben: „Das können wir nicht, da sind doch die Kinder.“ 12 Hacinto ging hinein in die Stube. Der Licenciado saß noch immer am Tische und hatte die Säulchen vor sich stehen. Er hatte es nicht gewagt, den Tisch zu verlassen, um auf die Veranda zu kommen. Er fürchtete, es könnte ein Goldstück gestohlen werden, und er müßte alles wieder aufs neue nachzählen. Aber ob da ein Goldstück auf dem Tische gelegen hätte oder zehn oder tausend, er hätte eine Stunde oder einen halben Tag den Tisch allein und unbewacht lassen können, und wenn er zurückkam, hätte er nicht nachzuzählen brauchen. Es hätte nichts gefehlt. Er war aber Licenciado. Darum traute er den Menschen nicht. Noch nicht einmal so weit, wie er sie sah. „Nun wohl, Hacinto“, sagte Senjor Perez, als er den Indianer eintreten sah, „dann wäre also La Rosa Blanca verkauft. Hier, zählen Sie das Geld nach.“ Hacinto setzte sich nicht. Er sagte ruhig: „La Rosa Blanca ist nicht verkauft. Und La Rosa Blanca wird nicht verkauft werden, auch wenn Sie zehnmal mehr auf den Tisch legen. Dieses Geld da hat für mich gar keinen Wert. Man kann überhaupt kein Land für Geld umtauschen.“ „Alles Land wird doch für Geld vertauscht oder verkauft“, wandte Senjor Perez ein, nur um etwas zu sagen. Hacinto, noch immer stehend, sagte darauf: „Land ist ewig, Geld ist nicht ewig, darum kann man Land nicht gegen Geld vertauschen.“ „Also dann nicht“, rief der Licenciado nach einer Weile erbost aus. Während er das Geld einsackte, fügte er hinzu: „Du bist ein blöder alter Dickkopf. Das ist es, was du bist. Man sollte dich in das Asyl für die Irren schicken, in die Castaneda. Da ist es, wo du hingehörst. Und wir werden die Rosa Blanca doch noch bekommen. Da kannst du nur ganz sicher sein. Und wir werden sie billig bekommen, das kannst du mir glauben. Viel, viel billiger. Du hast deine Gelegenheit verpaßt, Hermanito, Brüderchen. Das will ich dir nur sagen. Wir werden dich schon kriegen.“ „Ihr alle könnt mich gar nicht kriegen“, rief Hacinto, nun gleichfalls ein wenig erbost werdend. „Ihr könnt mich alle mal am Ursch kratzen, das könnt ihr. Und Furcht könnt ihr mir schon lange nicht einjagen. Ihr nicht. Und keiner. Und du kriegst auch nicht einen Mann von der Rosa Blanca für die Kamps zum Arbeiten. Das kann ich dir nur auch sagen. Willst du noch eine Copita haben, ein Gläschen. Eine guter Habanero von San Juan Bautista.“ Er schenkte die Gläschen ein, der Licenciado sagte: „Salud!“ Hacinto hielt sein Gläschen hoch und antwortete: „Salud! Gesundheit!“, und sie gossen ihre Gläschen hinunter. Der Licenciado band den Leinensack zu, rief seinen Mozo, die Pferde zu bringen, saß auf, verabschiedete sich mit allen den Höflichkeiten, die ein Mexikaner auch dann nicht vergißt, wenn er enttäuscht oder verärgert ist, und ritt davon. 13 Als Hacinto auf der Veranda stand und den Fortreitenden nachblickte, dachte er nur über eines nach: „Wie kann er mich denn in die Castaneda bringen, ich bin doch gar nicht verrückt. Ich bin doch ganz vernünftig, ganz klar im Kopf.“ Dann schlenderte er hinüber zu Margarito, sah ihm eine Weile beim Doktern der Mules zu und sagte endlich: „Nächste Woche könnten wir das Jungvieh in den Korral treiben und die Brandmarken aufdrücken. Und am Sonntag werden wir beide einmal nach der Concordia reiten. Don Federico hat einen vorzüglichen Eselhengst, den er verkaufen will. Schleppt eine Carga von achtzig Kilo ohne Zucken. Werden wir eine feine Mulezucht anlegen.“ „Das habe ich dir nun schon seit fünf Jahren gesagt, Compadre“, meinte Margarito. „Die Mules sind jetzt sehr schön im Preise, und da läßt sich gut etwas machen mit Muleaufzucht.“ „Laß die beiden kranken Mules hier jetzt zwei Wochen auf der Weide ohne Arbeit, damit sie sich wieder gut aufholen“, sagte Hacinto. Dann ging er ins Haus. Von der Veranda aus rief er den Frauen in der Küche zu, daß er Kaffee haben wolle, er sei durstig. 2 1 Der Report des Licenciado Perez lief im Hauptquartier der Condor Oil Company in San Francisco ein. „Was denkt sich denn dieser Chunk von einem dreckigen Indianer, was er ist und mit wem er es hier zu tun hat!“ sagte der Präsident der Company, Mr. Collins. „Das Land, das ich haben will und nicht kriegen kann, gibt es im ganzen Universum nicht. In diesem Universum einmal sicher nicht. Wenn ich Land haben will und es ist auf dem Jupiter, ich bekomme es, sure as death.“ Diese Äußerung des Präsidenten wurde als ein guter Witz betrachtet, weil sie vom Präsidenten kam. Der Witz machte die Runde durch alle Büros der Company, und jeder Angestellte fühlte sich verpflichtet, zu lachen, eben weil es ein Witz des Präsidenten war. Nur der jüngste Officeboy, ein vierzehnjähriger respektloser Lümmel, lachte nicht darüber, sondern sagte zu der jüngsten Officegirl, ebenso rotznasig wie er: „So ein Cabbage, und er nennt sich Präs, wie will er denn rauf auf den Jupiter! Ein guter Witz vom Präs? Da muß mir einer am Bauch kitzeln, und selbst dann fange ich an zu weinen.“ Dann kicherten die beiden zusammen, bis sie der Chef anblökte: „Ruhe da, ihr Kükenfratzen!“ Diese beiden Küken brauchten auch nicht zu lachen über einen Witz des Präsidenten; denn sie hatten keine Familie zu versorgen, und vier Dollars die Woche konnten sie auch anderswo verdienen. 2 Präsident Mr. Collins war smart. Das war sicher. Wenn er etwas wollte, dann gab es nichts, das ihn daran hätte hindern können, es zu erlangen. „Du mußt nur ernstlich etwas wollen, dann erhältst du es mit Gewißheit!“ war einer seiner zahlreichen Wahlsprüche, die er um sich herum angehäuft hatte. Gleich hinter seinem Tintenfaß mit dem eleganten Halter eingesteckt „Always ready“ – immer fertig zum sofortigen Gebrauch –, da stand auf dem Riesenschreibtisch, eingerahmt in einem echt silbernen Rahmen, ein Blatt japanischen Papiers der teuersten Art, auf dem in roten gotischen Lettern gedruckt war: SMILE, SMILE, SMILE ALWAYS AND FOREVER SMILE das ist: Lache, lache, lache, immer und für ewig lache. In einer kleinen Schrift darunter stand in Reimen, daß man auch dann lachen solle, wenn man körperliche Schmerzen erdulde, wenn einem das Liebste entrissen würde, wenn man von allen seinen Freunden verlassen sei und wenn man all sein Hab und Gut verlöre. Links davon stand ein anderer Spruch in goldenen Lettern: SMILE WORK AND GIVE THE POOR das ist: Lache, arbeite und gib den Armen. Rechts davon war wieder ein eingerahmter Spruch: HONESTY IS THE BEST POLICY das ist: Ehrenhaftigkeit ist die beste Politik. Hinter ihm, an der Wand, so daß es jeder lesen mußte, der vor ihm saß und mit ihm sprach, war in einem großen Rahmen der Spruch: YOUR TIME IS OF HIGH VALUE SO IS MINE Deine Zeit hat großen Wert, meine gleichfalls. „Time is money“ war zu gewöhnlich geworden, um es in der Office eines Präsidenten einer großen Company in Silberrahmen zu hängen. Auf dem Tische hatte er dann noch stehen ein Bild seiner Frau, schon tüchtig fett. Und ein Bild seiner Tochter, die noch nicht fett war, der man aber selbst auf dem Bilde ansehen konnte, daß ihr in dieser Welt nichts mehr verborgen war. Auch sonst sah sie ganz aus wie eine Filmschauspielerin. In einem Schubfach zur rechten Hand, unter geschäftlichen Papieren versteckt, hatte er noch ein paar Bilder liegen von Chordamen der Follies. Die Mädchen auf den Bildern sahen frech aus und kostspielig. Im selben Schubfach war noch ein Bild in einer Mappe. Auf diesem Bilde stand geschrieben: To my beloved Daddy from your Flossy; meinem geliebten Väterchen von Deiner Flossy. Er war gar nicht das Väterchen der Flossy; aber es war nett von ihr, daß sie das so lieb sagte. Sie kostete jeden Monat einen Scheck von tausend Dollar, ohne die Geschenke und ohne die Abende, die er mit ihr in den Klubs oder in den Hotels an den Autostraßen außerhalb der Stadt verbrachte. Die Choristinnen hatten nichts auf ihre Bilder geschrieben. Er kannte sie noch nicht so lange wie Flossy, dafür aber waren sie auch teurer. Flossy war gleichfalls, in jener Zeit, als sie Mr. Collins kennenlernte, Chordame gewesen; aber sie hatte das vergessen und durfte nicht daran erinnert werden, ohne in Tobsucht zu verfallen, die zu besänftigen immer recht kostspielig für Mr. Collins wurde. Dann war da noch eine Dame, von der er nur ein ganz kleines Bildchen besaß, das sich aber in einem schön gearbeiteten, schwer goldenen Rähmchen befand. Es lag in dem wichtigeren Schubfach zu seiner linken Hand, in einem Ebenholzkästchen, das immer verschlossen war. Dieses kleine Bildchen stellte er zuweilen vor sich auf den Tisch, wenn er längere Zeit zu arbeiten hatte und außer von seiner ersten Sekretärin nicht gestört wurde. Kam ein ganz unerwarteter Besuch, etwa gar von seiner Frau, dann verschwand das Bildchen rasch in der Hand oder in der Westentasche. Dieser Dame, in dem eleganten und sehr teuren goldenen Rähmchen, hatte er letzte Woche ein Auto kaufen müssen. Aber keinen Tourenkasten für zwölfhundert Dollar. Nicht für sie, wenn er etwas wollte von ihr. Das Auto war eine hochklassige Angelegenheit mit allem Komfort und mit allen Köstlichkeiten und Verführungen. Wie ein Boudoir. Kostete sechzehntausend Dollar. War zu jener Zeit das eleganteste Auto westlich der Rockies, der Rocky Mountains. Seit sie den Wagen hatte, quälte sie nun jeden Tag viermal bei Telephon, daß sie auch eine Garage haben müßte, wo sie den Wagen hinstellen könnte, und die Garage war nur zu haben mit einem dazugehörigen sehr eleganten Wohnhaus. Zweimal in der Woche des Abends, eigentlich war es Nacht, krabbelte sie niedlich mit ihm herum; aber des Tages am Telephon nannte sie ihn schäbig, weil er nicht schnell genug mit der Garage war. Er redete sich damit heraus, daß er noch nichts Passendes soweit gefunden habe. Aber das ging nur eine kurze Zeit. Dann mußte er wohl die Garage besorgen und natürlich das Haus dazu, oder er hatte das Auto auf der Verlustseite zu buchen. Denn wenn er zu schäbig war, die Garage heranzuschaffen, so mochte sie wohl einen andern finden, der es als Ehre ansah, ihr die Garage zu geben. Zwei der Choristinnen, die ihm ein wenig näherstanden, waren gleichfalls verwickelte Angelegenheiten. In geschäftlicher Beziehung und in jeder anderen Beziehung auch. Jede hatte ihre besonderen Wünsche. Und alle Wünsche hatten mit nichts anderem zu tun als mit Ausgaben, die alle aus seiner Kasse gingen. 3 Darum wird man wohl begreifen, daß der Präsident einer großen amerikanischen Oil-Company nicht auf Rosen gebettet ist und daß er seine schwere Not und seine bösen Sorgen hat, um sich durchs Leben zu schlagen und beide Enden zusammenzubringen. Es erfordert die ganze Tüchtigkeit und Weisheit eines Menschen, Präsident einer Oil-Company zu sein, wenn man solche Schwierigkeiten in der Welt vorfindet, die man zu lösen hat und gut zu lösen hat, wenn man Präsident sein und bleiben will. Dem Präsidenten einer Oil-Company darf nicht der Vorwurf gemacht werden, daß er vielleicht ein schwarzer Fleck in dem zarten weißen Körper der menschlichen Gesellschaft sei. Das würde zwar nicht dem Öl schaden, wohl aber den Aktionären. Die Aktionäre dürfen schon eher tun, was sie wollen; denn jeder einzelne ist für sich allein verantwortlich. Aber der Präsident einer Oil-Company hat höhere Pflichten und größere Verantwortlichkeit. Er vertritt eine Idee, ein Prinzip. Er hat die Verantwortung für die Haltbarkeit einer Säule im Bau, in der Struktur des Staates. So kann auch ein gewöhnliches Mitglied einer Kirchengemeinde sich mehr Freiheiten erlauben als der Pastor. Ein Kirchenmitglied mag straucheln. Das schadet der Kirche in ihrer Eigenschaft als einer Säule des Staates nicht. Wenn aber der Pastor aus den Strängen schlägt, so kann die ganze Kirche zu wackeln beginnen, die ganze Idee, auf der die Kirche beruht. Was sind die ärmlichen dreihunderttausend Dollar, die so ein geplagter und gejagter, bemitleidenswerter Präsident einer Oil-Company als Jahresgehalt empfängt. Das reicht kaum für das Salz zur Suppe, die er ißt. Der Präsident einer Oil-Company hat Verpflichtungen. So ist das nicht. So einfach und schlicht ist das Leben nicht, wie vielleicht ein erbärmlicher, drei Viertel verblödeter Indianer denkt. Das Leben ist bei weitem verwickelter. Mehr, es ist wahrhaftig kompliziert. Wie soll man sich da überhaupt noch durchfinden? Da ist das große Haus in der Stadt mit achtundzwanzig Räumen. Der Präsident kann nicht in einer Indianerhütte leben. Wofür wäre man sonst Präsident einer Oil-Company? Da ist die Dienerschaft. Die Leute sind keine Knechte und keine Mägde. Sie sind in Amerika. Sie sind hired persons, gemietete Leute, Angestellte, Hausbeamte. Sie müssen gut bezahlt werden. Das Haus muß die besten Möbel haben und viel Möbel. Das Haus muß einen Garten haben, einen gut gepflegten Garten, würdig des Präsidenten einer Oil-Company. Ein gutes elegantes Auto für sich selbst. Ein hochelegantes Auto für die Frau Präsident. Sie muß einen Chauffeur haben; denn die Wagen müssen gereinigt werden, und es müssen neue Reifen aufgezogen werden, neue Zündkerzen eingesetzt, die Batterien müssen geladen werden, und es sind noch andere Arbeiten zu tun. Auch die Tochter muß ihr elegantes Auto haben. Sie will mit ihren Freunden und Freundinnen ausfahren, um eine gute Zeit zu verbringen; denn man ist ja nicht auf der Welt, um immer trübe und traurig in den Winkeln herumzuhocken. Die Tochter hat keinen Chauffeur. Sie fährt den Wagen selbst. Und sie fährt ihn gut. Aber die Strafmandate von zehn, fünfzig und hundert Dollar für rasendes Fahren oder für unbedachtes Stehenlassen des Wagens in der Nähe eines Feuerhydranten regnen nur so auf sie herab. Sie fährt auch gelegentlich einen Hausierer um, der sich absichtlich in den Weg stellte, um überfahren zu werden und eine Schmerzenssumme einzuklagen. Es gibt genug Anwälte, die nichts weiter tun, als die Schmerzenssummen für Überfahrene einzuklagen, weil sie von jeder eingeklagten Summe fünfundzwanzig oder auch vierzig Prozent erheben. Der Kläger, ein armer Teufel, kann keine Gebühren bezahlen, darum geht der Anwalt mit ihm auf Teilung. Darum gewinnt auch immer der Anwalt, weil er für seine Tasche gewinnt. Und wenn der Präsident nicht bezahlt, so bezahlt die Versicherung, die es auch nicht umsonst macht. Aber letzten Endes kommt das Zahlen doch zum Präsidenten. Die Frau verlangt monatlich einen Scheck für tausend Dollar, für die kleinen Ausgaben, die sie hat, für Nadelgeld, obgleich sie nie eine Nähnadel oder Stecknadel in die Hand nimmt. Aber da sind die Eiscreams, da ist die Masseuse, da ist der Tanzmeister. Sie spielt auch, und sie spielt tüchtig und verliert in einer Bridgepartie mit ihren Freundinnen, den Frauen anderer Präsidenten, in zwei Stunden dreitausend Dollar. Die Rechnungen für ihre Pariser Kleider, ihre Lyoner Unterwäsche, ihre New-Yorker Strümpfe, ihre Wiener Schuhe werden dem Mr. Präsidenten in die Office geschickt. Das ist extra. Und extra sind auch die Hüte, von denen sie jeden nur fünf Tage trägt. Whisky und französischer Likör sind auch teuer. Erst recht seit der Prohibition. Die Tochter bekommt nur dreihundert Dollar monatlich für kleine Ausgaben. Aber in Wahrheit werden es monatlich immer dreitausend. Die werden nicht gerechnet. Sie kommen auf das Konto für Allgemeines. Das Töchterchen, wenn es wieder einmal knapp ist – und es ist viermal in der Woche knapp –, flitzt schnell mal in die Privatoffice; und Mr. Collins, der glückliche Vater, freut sich, daß er in seiner öden Arbeit unterbrochen wird, daß er eine Entschuldigung findet, Dummheiten und Lächerlichkeiten zu schwätzen mit dem Töchterchen auf seinen Knien. Und er bildet sich ein, daß nun Sonnenschein in dem nüchternen Büro sei, wenn sie ihn im Nacken krault und auf die Nasenspitze küßt und immerfort schnattert: „Du bist das süßeste und liebste Väterchen auf der ganzen Welt.“ So zieht sie ab, heute mit zweihundert Dollar, morgen mit fünfzig, übermorgen mit zwanzig, dann wieder mit hundert und dann wieder: „Süßes Rattenschwänzchen Väterchen, heute geht es dir aber einmal schlecht, ich brauche heute fünfhundert, aber ich will auch ganz brav dafür sein für den ganzen Rest des Monats.“ Drei Tage später ist der Rest des Monats, den sie meinte, schon wieder um, wenngleich der Kalender auf dem Tisch Magenkrämpfe bekommt, weil er sich nicht mehr zurechtfindet und an sich selber nicht mehr glaubt. Aber es kostet dennoch wieder fünfzig Dollar. Sonnenschein in der Office des Präsidenten einer Oil-Company zu haben, kostet eben Geld. Aber Mr. Collins blickt auf seinen Wahlspruch: „Lache und gib den Armen!“ So lacht er eben und gibt denen, die es benötigen. Denn wer benötigt, ist arm. Und arm sind die Chordamen der Follies. Kein Chormädchen zu haben ist eine Schande. Er würde sich im Klub lächerlich machen. Man würde ihn jeden Tag, wenn er sich sehen ließe, mit der mitleidigen Miene, mit der man zu Kranken spricht, anspringen: „He, Greasy, Ölerchen“, sein Neckname im Klub, der sich auf seinen Beruf als Präsident einer Oil-Company bezieht, „he, Greasy, ein Röhrchen mit Phosphor-Arsenik-Pillen gefällig?“ Das würde jeden Tag so gehen, mit jedem, den er träfe im Klub. Denn wenn sie einmal etwas erhascht haben, von dem sie glauben, es sei witzig, dann wird es so lange geknetet und abgetreten, bis man irrsinnig werden kann. Ehe diese Männer, die Millionen mit einer Handbewegung verdienen können und auch verdienen, einen neuen Witz erfinden oder gar einen Witz erfinden und verstehen, der Geist oder Humor in sich trägt, darüber können Generationen hingehen. Das Leben ist wahrhaft kompliziert. Phosphor-Arsenik gebrauchen zu müssen ist ein Zeichen, daß man alt ist oder sich dem Alter nähert. Aber der Präsident einer Oil-Company darf niemals den Verdacht aufkommen lassen, daß er alt ist. Dann kann er wohl Präsident der Vereinigten Staaten werden, zu welchem Amte man weder Weisheit noch Jugendkraft vonnöten hat, wo diese Dinge sogar hinderlich sind, wie die Mehrzahl der Beispiele beweist, aber er kann nicht mehr Präsident einer Oil-Company sein. Das Amt des Präsidenten einer Oil-Company erfordert Robustheit, Rücksichtslosigkeit, Brutalität, Skrupellosigkeit. Weder ein alternder Mann, noch ein Philosoph, noch ein Dichter eignet sich dazu. So, um den Verdacht abzulenken, daß man Auffrischungsmittel nötig hat – an die unfehlbare Treue zur eigenen Frau wird nicht geglaubt –, um den andern Verdacht abzulenken, daß man geschminkten Jünglingen nicht abhold sei, treten die Chormädchen in das verantwortungsvolle Leben des Präsidenten ein. Er empfängt sie keineswegs mißmutig. Wenngleich er ein guter Christ ist, der treu zu den Methodisten oder den Baptisten – wenn er sehr hoch stehen will – zur Episcopal Church hält, so ist er als Mensch und als Mann doch der Meinung, daß Mohammed wahrhaftig ein großer Prophet war, der die Seele eines Mannes so vortrefflich verstand, daß er Gesetze schuf, die den zahlreichen Kümmernissen eines Mannes Erleichterung bringen sollten. 4 Mr. Collins ist ein mächtiger Mann in der Ölindustrie. Er kann in wenigen Tagen den Markt so erschüttern, daß hundert andere Industriezweige zu wanken beginnen und mehrere stürzen, daß eine Panik unter den Kleinen und Mittleren in Wallstreet ausbricht, die übergreift auf die Großen, die unruhig zu werden beginnen, schlaflose Nächte verbringen und für Zehntausende von Dollar Cables über die Erdoberfläche kreisen lassen müssen, um den Markt wieder zu stabilisieren und die Ruhe herzustellen, in der allein die Giganten ihre großen Geschäfte mit Sicherheit abwickeln können. Eine lächerlich unscheinbare Sache kann den Markt in jene Unruhe bringen, daß innerhalb von zwei Stunden fünfhundert Millionen Dollar Werte ihren Besitzer wechseln. Da war eine Company, die Motoren fabrizierte. Sie war ganz unbekannt. Niemand hatte je einen Motor dieser Company gesehen. Aber die Company produzierte, immer in der Hoffnung, daß sie hochkommen könnte. Sie zahlte keine Dividenden und hatte immer Unterbilanz. Ihre Aktien standen auf sechsundvierzig, und niemand wollte sie dafür haben. Plötzlich gingen die Aktien hinauf. Am ersten Tage gleich auf fünfundsechzig, am zweiten Tage auf zweiundachtzig, am dritten Tage auf hundertzehn. Niemand wußte, warum. Niemand wußte, wer der Aufkäufer war, denn die Brokers, die aufkaufenden Agenten, gaben den Namen ihrer Auftraggeber nicht preis. Selbst die sichersten Motor-Companien, wie die General Motors, begannen zu fallen und fielen weiter. Denn bei einem so unerwarteten Steigen eines unbekannten Papiers können die Gerüchte sich auswirken. Die tollsten Gerüchte werden geglaubt und bringen die Börse in Erregung. Hier lief das Gerücht um, jene Motor-Company habe ein Patent erworben, das eine ganz neue Art von Motor schaffe, einen Motor, der nur ein Zehntel des Gasolins gebrauche, den der übliche Motor verwende, und er erzeuge achtmal mehr Kraft mit jenem Zehntel Gasolin. Damit wurden alle anderen Motoren wertlos. Niemand würde mehr einen Motor des alten Modells kaufen. So, alle Companien, die Motoren bauten, und alle Companien, die Dinge produzierten, die mit Motoren etwas zu tun hatten, begannen zu ratteln. Die Aktien der Oil-Companien wurden unsicher, denn wenn die Motoren nur noch ein Zehntel Gasolin gebrauchten, wo dann hin mit dem vielen Öl? Und alles war nichts anderes als ein kleines Manöver des Mr. Collins, der einige kleinere Oil-Companien, von denen er wußte, daß sie die Panik nicht überleben konnten, aufsaugen wollte. Er bekam sie auch. Und die Papiere jener unscheinbaren Motor-Company fielen zurück in ihr stilles und beschauliches Dasein. Mr. Collins braucht nur hundert Millionen Hektoliter Öl zurückzuhalten, und der Markt kommt in Erregung, weil die Spieler nicht wissen, was los ist, die Gerüchte sofort einsetzen und ihr Unheil anstiften. Oder Mr. Collins kann hundert Millionen Hektoliter Öl, das er für solche Spekulationszwecke in Reserve hielt, auf den Markt schleudern und ein Preispanik hervorrufen, die alle Werte auf dem Markt mit sich reißt. Denn alle Werte und Produkte sind in diesem System, das der Mensch von heute geschaffen hat, so miteinander verwickelt und verwoben, daß eine Werteveränderung des Öls sofort Werteveränderungen von Produkten nach sich zieht, die gar nichts mit Öl zu tun haben. Ein Preissturz des Öls kann eine gewaltige Preiserhöhung des Weizens oder der Baumwolle oder der Papiere von Eisenbahn- und Dampfschiff-Companien hervorrufen. Es geht hierbei sehr logisch zu. Viel logischer als beim Roulette. Es geht so sehr logisch zu, daß ein kluger Mann, der genügend Kapital im Rücken hat und die Gesetze, nach denen sich die Bewegungen hier durchaus logisch vollziehen müssen, gut kennt und gut durchstudiert hat, immer gewinnen muß. Nur hat selbst der Größte nicht diese unerschütterliche Ruhe, die notwendig ist, um seinen Plan mit mathematischer Sicherheit zu verfolgen. Auch der Größte läßt sich von der Unruhe mitreißen, weil er Mensch ist und menschlichen Suggestionen unterliegt. Er läßt sich von der Panik mit fortreißen, wie der Ruhigste und Bedächtigste bei einem Theaterbrand von der Panik derer ergriffen wird, die um die Ausgänge kämpfen, obgleich sie alle unversehrt ins Freie gelangen könnten, wenn sie rasch, aber ohne sich zu drängen, durch die nächste Tür gingen und dann draußen, außerhalb des Hauses, keine Knäuel bilden würden aus Neugierde und um zu sehen, ob ihre Angehörigen nachkommen. 5 Mr. Collins war ein mächtiger Mann in der Ölindustrie. Aber gegenüber den vier Frauen war er doch nur ein gewöhnlicher Mann, der sich von den übrigen Männern höchstens dadurch unterschied, daß er mehr bezahlen konnte, ohne dafür mehr zu bekommen, als ein Mann eben von einem Mädchen bekommen kann. Was ein Mann von einer Frau bekommen kann, ist immer dasselbe. Keine Frau kann mehr geben, als sie hat. Und wenn sie gegeben hat, was sie zu geben imstande ist, so kommt der Mann zu der großen Weisheit, daß alle Frauen in dem Punkte, auf den allein es nur ankommt, alle gleich sind. Die Frauen – ganz sicher – denken genau das gleiche von den Männern. Nach vielen Erfahrungen kommt der Mann endlich zu der Erkenntnis, daß von allen Frauen die erste, die er hatte, die beste war. Denn die Erinnerung an sie liegt am weitesten zurück und ist am nächsten der Erinnerung an seine Jugend, die ihm romantisch erscheint, weil sie das Vergangene ist. Auch für die Frau ist der Mann, den sie zuerst liebte, der Mann, den sie für den besten hält und den sie immer lieben wird. Der Grund ist der gleiche wie beim Manne. Man schätzt das am meisten, was am kostspieligsten ist. Selbst die Freudengöttin liebt nur den Mann aufrichtig, für den sie das Geld verdienen muß, und der sie gelegentlich noch verprügelt. Unter den vier Beweisstücken, die Mr. Collins hatte, um seinen Freunden zu beweisen, daß er in voller Lebenskraft stand, war Betty das geschätzteste augenblicklich. Denn sie war die kostspieligste. Flossy, die ihren Scheck von tausend Dollar jeden Monat bekam mit der Regelmäßigkeit, mit der ein Ehemann das Geld für den Haushalt zu zahlen hat, stand in seiner Vorstellung und in seinem Empfinden beinahe schon im gleichen Range wie seine Frau, Mrs. Alice Dawis Collins. Er zankte sich mit ihr, er stritt sich mit ihr, er fühlte sich berufen und berechtigt, sie zu kritisieren, und die Nächte, die er mit ihr in ehelicher Gemeinschaft im Bett verbrachte, waren genau geregelt und bestimmt. Er verließ ihr Haus regelmäßig um vier Uhr morgens, wenn er seine ehelichen Pflichten ihr gegenüber zu erfüllen hatte, weil er nicht später nach Hause kommen wollte, um immer noch sagen zu können, daß er so lange im Klub gewesen sei. Gleich seiner Frau hatte er Flossy zwei Reisen im Jahr zu bewilligen, im Winter eine Reise nach Palm Beach in Florida und im Sommer eine Reise nach Kanada oder nach Europa. Er besuchte sie natürlich pflichtgemäß in Palm Beach, verbrachte einige zehn Tage mit ihr und ging dann über Havanna, wohin er sie mitnahm, nach Tampico, wohin er sie nicht mitnahm. Da er nach Tampico im Auftrage der Company reisen mußte, so wurde die gesamte Reise auf das Konto der Condor Oil Co. geschrieben, wodurch sich die fällige Sommererholungsreise für Flossy beträchtlich verbilligte. Er hätte Flossy ja auch nach Tampico mitnehmen können. Aber es war billiger, sie von Havanna nach Palm Beach zurückzuschicken. Außerdem war es für ihn bequemer. In Tampico fand er immer gleich am ersten Abend, was er brauchte. Und er konnte sich bei einer anderen Haut-, Haar- und Augenfarbe von Flossy angenehm erholen. Er verstand zwar nicht, was die braune Hautfarbe in Tampico zu ihm sprach über Liebe. Aber das war nicht nötig; denn beide wußten, was sie voneinander wollten, und für diese Wünsche ist die Sprache international. Die Hautfarbe in Tampico konnte das Wort Money recht gut in englisch aussprechen, auch die Zahlen, die sie mit dem Worte Dollar verband. Mehr brauchte sie nicht zu wissen. Weder er. Die Erholung von Flossy, nachdem er mit ihr zehn oder vierzehn Tage ständig zusammen gewesen war, tat ihm sehr gut. Denn Flossy begann seiner Frau immer ähnlicher zu werden. In allen Dingen. Im Bett. Im Sprechen. In der Kleidung. Im Nörgeln. Im Predigen. Er war nicht Philosoph genug, um zu wissen, daß zwei Frauen, die längere Zeit unter dem Einfluß desselben Mannes stehen, von dem sie wirtschaftlich abhängig sind, ähnlich werden wie Zwillinge. Flossy war, wenn Mr. Collins die Endrechnung aufstellte, die billigste seiner Freundinnen. Darum war sie auch die treueste. Und darum konnte er sich mit ihr zuweilen genau so vortrefflich langweilen und veröden wie mit seiner Frau. Die zwei Chor-Ladies, die noch neueren Datums waren, wurden noch nicht ganz für voll gerechnet, obgleich sie bereits mehr kosteten als Flossy, lediglich für die Annäherungsgeschenke, die er zu machen hatte. Vorläufig schienen beide noch irgendwo andere Verpflichtungen zu haben, von denen sie sich endgültig zu lösen gedachten, sobald sie erst einmal genau wußten, wieviel Mr. Collins wert war. Nicht wieviel er wert war als Mann oder als Liebhaber, sondern wieviel er wert war in seiner Zahlungsmöglichkeit und in seiner Zahlungswilligkeit. Keine der Chor-Ladies natürlich wußte von der andern, daß auch sie sich in der Annäherung zu Mr. Collins befand. Das verstand Mr. Collins zu verhüten; denn sobald die beiden zu kämpfen anfingen darum, wer von ihnen Mr. Collins gewinnen würde, dann wurde es teuer für Mr. Collins. Denn die Lady, die unterlag, begann ihm Schwierigkeiten zu machen, um zu retten, was zu retten war. Und das, was gerettet werden mußte, war immer eine hohe Summe, durch die eine bis dahin unberührte Jungfräulichkeit – angeblich bis dahin unberührte –, die bei dem Kampf um das Objekt verlorengegangen war, wieder in den früheren Zustand zurechtgerückt werden sollte. Das ging sehr einfach zu. Es wurde immer nach dem gleichen oder ganz ähnlichen Rezept gemacht. Es war nach diesem Rezept gemacht worden mit Mr. Ayres, Präsident der Grannis & Cleveland Refining Company. 6 Mr. Ayres fand eines Morgens in seiner Office einen Brief vor von Simmons & Simmons Attorneys at law. Die Rechtsanwälte schrieben ihm, daß Miß Minnie White, Sängerin und Tänzerin des Vanity-Theaters, eine Klage einzubringen gedenke wegen Bruchs des Eheversprechens, und daß Miß Minnie White ihren Schaden, den sie dadurch erlitten habe, auf eine Summe von siebenhundertfünfzigtausend Dollar beziffert habe, eine Summe, die in Anbetracht der guten Verhältnisse des Mr. Collins als lächerlich geringfügig angesehen werden müßte. Mr. Ayres hatte der Minnie niemals die Ehe versprochen. Das wußte Minnie recht gut, und das wußten auch recht gut die Anwälte, ohne es zu sagen. Auch Mr. Ayres wußte recht gut, daß sowohl Minnie als auch die Anwälte genau wußten, daß er der Minnie nie die Ehe versprochen hatte. Aber Minnie, die Anwälte und Mr. Ayres wußten, daß in Amerika eine Dame, die ihren Fall gut vorzubringen verstand, bei den Geschworenen immer durchsetzt, was sie durchzusetzen wünscht. Darum wurde hin und her telephoniert und hin und her gesprochen, und Minnie ließ sich erweichen, ihren Schaden mit hunderttausend Dollar endgültig wieder gutzumachen. Sie bekam nur sechzigtausend in ihre Tasche, weil die Anwälte vierzig Prozent der eingeklagten Summe beanspruchten. Denn wenn der Prozeß verloren wurde, erhielten sie gar nichts, weil Miß Minnie ja nichts hatte. Die Anwälte übernahmen das Risiko. Mr. Ayres konnte selbst die hunderttausend Dollar nicht bezahlen, ohne mit Erfolg in eine Bank einzubrechen, denn er hatte eine Familie. Sein Gehalt war hoch, aber nicht so hoch, daß er so leicht hätte hunderttausend Dollar missen können. So wurde denn die Klage eingereicht. Es wurde nun schon nicht mehr erwartet, daß Mr. Ayres den vollen Betrag zahlen würde, andernfalls hätte er es nicht zur Klage kommen lassen, sondern sich geeinigt. Aber die Klage mußte eingereicht werden, um eine Gelegenheit zu finden, die Sache in die Zeitung zu bringen. Sobald es Gerichtssache war, konnte man die Zeitung zur Mitwirkung heranziehen. Mr. Ayres gehörte zur oberen Gesellschaft, und seine Stellung als Präsident einer der mächtigen Companien machte ihn zu einer interessanten Person, die in einen Skandal verwickelt zu sehen, das Sensationsbedürfnis und die Klatschsucht der Menschen aufs höchste befriedigte. Die armen Menschen, denen zotige Filme, schlüpfrige Romane, saftige Lustspiele verboten werden oder so zensiert, daß sie zahm und langweilig werden wie die Mittwochabendpredigt in der Methodistenkirche, diese armen Leute finden auf einmal neue erfrischende Reize in dem trockenen Leben, wenn sie eine saft- und spermastrotzende Geschichte auf der ersten Seite der Zeitung lesen können. Hier darf der Zensor nicht eingreifen, denn es ist ja eine Gerichtsangelegenheit. Die Gerichte sind öffentlich, und sie müssen in einer echten Republik öffentlich sein, um Korruptionen und ungerechte Urteile zu verhindern. Was die Zeitungsreporter aus der einfachen Geschichte machten, das zu lesen war staunenswert. Es machte alles vergessen, was die Zensoren ihren Schutzbefohlenen in den letzten zwölf Monaten zu lesen und zu sehen verboten hatten. Den alten trockenen Betschwestern der hohen und allein heiligen Episcopal Church lief die schleimige Spucke sappernd aus den ausgedörrten Mundwinkeln, als sie lesen durften, wie andere Leute sich benehmen, die darauf verzichteten, sich allein und mit sich selbst zu amüsieren. In fetten Riesenlettern liefen gleich zwei Zeilen quer über die erste Seite der Morgenblätter. PRESIDENT OF BIG CORPORATION SEEN WITH DANCER OF THE VANITY THEATRE ONLY WITH STOCKINGS ON Der Präsident einer der größten Companien wurde mit einer Tänzerin gesehen, die nichts weiter anhatte als ihre Seidenstrümpfe. Darunter in weniger fetten Lettern DENIES HAVING PROMISED MARRIAGE BY GIVING ENGAGEMENT RING SAYS RING WAS ONLY GIFT OF FRIENDSHIP WITHOUT MEANING Is Already Married has Three Children Eldest Collegegirl Dancer to be Mother soon asks Three Quarters of Million Dollars Damage Er hat ihr die Ehe versprochen dadurch, daß er ihr den Verlobungsring an den Finger steckte. Er leugnet es ab und behauptet, der Ring sei nur ein kleines Freundschaftsgeschenk gewesen, das gar keine Bedeutung habe und auf keinen Fall als ein Eheversprechen gemeint gewesen sei. Er ist bereits verheiratet und hat drei Kinder, von denen die älteste Tochter schon die Universität besucht. Die Tänzerin erwartet bald Mutterfreuden und verlangt als Schadenersatz dreiviertel Millionen Dollar. In noch kleineren, aber immer noch sehr auffallenden Lettern folgte nun Names of the Parties Concerned Still Withheld by Court Order will be Published Very Soon Die Namen der Klägerin und des Klägers werden vorläufig noch zurückgehalten auf besonderen Beschluß des Gerichtshofes, sie werden jedoch sehr bald veröffentlicht werden. Diese Zurückhaltung der Namen ist ein besonderer Trick der Anwälte, die Mr. Ayres Zeit geben wollen, sich zu einigen und zu bezahlen. Aber die Zeitungen gleichfalls haben ein Interesse daran, die Namen noch nicht zu nennen, weil sich Mr. Ayres ja auch noch mit den Zeitungen einigen kann. Die Zeitungen sind unbestechlich. Besonders in den Staaten. Aber für Inserate sind sie sehr empfänglich; und eine große Company hat immer teure Inserate zu vergeben, auch wenn es nur die Jahresabrechnungen sind, die beliebig oft wiederholt werden können, um fette Inserate zu bringen. Auch die Zeitungsleute sind unbestechlich. Nirgends mehr unbestechlich als in den Staaten. Aber sie hören gern gute Tips, um an der Börse mit Erfolg zu spekulieren. Der Gerichtshof hat bis jetzt noch gar nichts beschlossen, also auch nicht die Zurückhaltung der Namen. Das Gericht weiß bis jetzt noch gar nichts von der Sache, und der Richter liest die Zeitung in der Straßenbahn mit der gleichen Freude wie die gedörrten Kirchenmitglieder. Aber er liest es doch schon mit mehr menschlichem Verstehen, und er liest es besonders mit Mitleid für den armen Präsidenten; denn er, der Richter, kann morgen schon in derselben Suppe sitzen. Er hat keine Tänzerin von dem Vanity. Das kann er sich nicht leisten. Aber er hat eine Stenotypistin. Und wenn sie eines Tages plötzlich den Rapp bekommt und ihr das Stenotypistendasein zu dumm wird, dann kann auch der Richter seine Untaten und den heruntergerutschten Brusthalter seiner Stenotypistin in fetten Lettern auf der ersten Seite der Morgenblätter ausführlich beschrieben finden. Vorläufig weiß er noch nicht, um was es sich hier handelt. Niemand vom Gericht weiß es bis jetzt. Die Anwälte haben bisher noch nichts weiter getan, als eine Klage auf Schadenersatz Unbekannt gegen Unbekannt Akt Simmons & Simmons Attorneys at law Nr. 916 G zu den Akten des Gerichts zu geben. Mrs. Ayres, die Frau des Mr. Ayres, liest die saftige Geschichte gleichfalls, und auch sie liest sie mit Andacht und Wollust. Sie weiß ja noch nicht, daß es ihr treuer Gatte ist, der hier von den Reportern der beabsichtigten Bigamie bezichtigt wird, und darum darf sie sich mit glänzenden Augen an der Geschichte, die sie so saftig nicht einmal in den französischen Romanen finden kann, ergötzen. Am Abend, mit ihrem Manne bei Tische sitzend, wird ja natürlich über diese Sensation gründlich gesprochen, um die irdische Freude, die eine solche Geschichte bietet, bis zur letzten Verhauchung des Seufzers auszukosten und auszuschwelgen. Sie ratet mit ihm hin und her, wer der Präsident und die Tänzerin sein könnten. Er müßte den Präsidenten doch eigentlich kennen, von dem Klub der Rotaries oder der Elks her. Es wäre alles noch wonniger, wenn man ihn und die Tänzerin kennen würde, wenn man ihre Bilder in den Zeitungen sehen könnte. Daß sie nur Seidenstrümpfe und sonst nichts anhatte, als sie mit ihm durch das Fenster, dessen Vorhang nicht ganz geschlossen war, beobachtet wurde, das weiß man ja jetzt. Aber man möchte doch auch wissen, wie sie im Gesicht und überhaupt über den grünen Strumpfbändern aussieht. Vielleicht veröffentlicht die Zeitung bald ein Bild von ihr im Badekostüm oder in dem Kostüm der Chormädchen des Vanity, die ja alle während der Vorstellung keine Strümpfe anhaben, sondern nur Schuhe und ein Bändchen um die Hüften und zwei mit glitzernden Glasperlchen besetzten Säckchen vor den Brüsten. Mr. Ayres, der natürlich weiß, um wen es sich handelt, weil ihn heute morgen ja die Anwälte sofort bei Telephon gefragt haben, ob er schon die Zeitung gelesen habe, entrüstet sich über die Verruchtheit der Zeitung und beschimpft seine Frau, daß sie so lüstern sei, derartige Sensationsgeschichten in den Blättern zu lesen und daß sie so tief herabsinken wolle, nach den Bildern dieser Leute zu trachten. Die ganze Stadt und Umgebung kaufen morgen und die nächsten Tage die Zeitungen wie besessen. Alle hoffen, die Namen veröffentlicht zu finden. Alle sind interessiert in der Frage, ob die Tänzerin, die nun bald Mutter werden wird, schon so weit ist, daß sie nicht mehr auftreten kann. Alle hoffen, daß sie noch nicht so weit ist und daß sie wenigstens noch einige Male auftreten kann, damit man sie im Theater leibhaftig vor sich sehen kann. Sobald ihr Name bekannt ist, kaufen die Billetthändler des Theaters sofort das ganze Haus aus, und sie gehen mit den Billetts zweihundert Prozent hinauf. Da die Zeitungen ja nun in Erwartung, daß die Namen veröffentlicht werden, in Massen verkauft werden, ist es nicht mehr nötig, die Namen zu veröffentlichen. Inzwischen kommt ein neuer Skandal auf, ebenso fett und ebenso saftig wie der des Präsidenten mit der Tänzerin, und Präsident und Tänzerin werden vergessen. Wenn die Namen doch eines Tages dann erscheinen sollten, so liest sie kaum noch jemand. Es hat sich so viel inzwischen an Skandalen, an Korruptionen, an politischen Schwindeleien, an erfolgreichen Ozeanflügen, an nicht erfolgreichen Besteigungen des Himalaja, an Bankeinbrüchen, an Revolver- und Bombenattentaten in Chicago, an Zugüberfällen in Mexiko, an Ermordung amerikanischer Seelenretter in China ereignet, daß man acht Tage später wirklich nicht mehr wissen kann, aus welchem Grunde eigentlich hier der Name eines Präsidenten einer gleichgültigen Kupfer-Company und der Name einer Tänzerin, die man nie auf einem Theaterzettel gedruckt findet, veröffentlicht werden. Man hat augenblicklich viel mehr Interesse daran, wieviel hunderttausend Dollar Ma Fergusson, der weibliche Gouverneur von Texas, an dem Bau einer Staats-Automobil-Straße verdient hat, und was sie mit dem Gelde zu tun gedenkt. 7 Simmons & Simmons Attorneys at law können aber diesen Umschwung in der Meinung der Zeitungsleser nicht abwarten; sie können nicht darauf warten, daß Mr. Ayres etwa gar seiner Frau erzählt, was los ist und von ihr mit verhältnismäßig geringen Kosten absolviert wird; sie können nicht darauf warten, daß Mr. Ayres vielleicht mehrere der Aufsichtsratsmitglieder seiner Company überzeugt, daß hier nur eine schäbige Erpressung vorliegt und daß der gesamte Aufsichtsrat die Zeitungen warnt, die Angelegenheit nicht bis zum äußersten zu treiben. Dann sind die Zeitungen mausetot, denn unter den Aufsichtsratsmitgliedern sind mehrere, die den Zeitungen innerhalb von acht Stunden das Genick abdrehen können so gründlich, daß die Zeitung vergißt, wie sie gestern hieß und wer ihre Hauptredakteure waren. Auf solche Zwischenfälle dürfen Simmons & Simmons nicht warten. Sie arbeiten rasch wie Teufel, die eine arme Seele, die im Eis eingebrochen und ertrunken ist, zu fischen und aufzuwärmen, damit die Hölle auch ihren Zweck erfüllt. Die Anwälte nützen die ersten Stunden nach Erscheinen der Zeitung aus. Wenn sie nicht in dieser Zeit gewinnen, kann es eine lange Geschichte werden. Sie gewinnen natürlich, wie lange es auch dauert. Aber das Geld kann ihnen entwischen. Mr. Ayres macht einen kühnen Strich und sichert alles so gut ab, daß nicht viel zu bekommen ist. Er wartet den Skandal in Europa ab, und wenn er zurückkommt, ist die Sache so billig geworden, daß es sich für die Anwälte nicht mehr lohnt. Was aus Miß Minnie wird, ist ihnen gleichgültig, war ihnen immer gleichgültig und wird ihnen ewig gleichgültig bleiben. An der ganzen Geschichte ist wenig wahr. Sie wird nur so aufgezaubert, um in den Lesern den Hunger nach wollüstigen Geschichten, den sie infolge der Zensur und der Prüderei nirgends sonst stillen können, zu befriedigen. Dabei verdient die Zeitung. Ob der Präsident seine Stellung verliert, ob seine Frau sich von ihm scheiden läßt, ob sich die Tänzerin ertränkt, das kümmert die Zeitung nicht. Kümmert sie erst wieder, wenn eine dieser Folgen abermals eine Sensationsgeschichte ermöglicht. Miß Minnie White war sehr oft mit Mr. Ayres zusammen, wenn sie nichts weiter anhatte als ihre seidenen Strümpfe. Meist hatte sie noch weniger an. Aber niemand hat sie je durch einen halbgeschlossenen Vorhang beobachten können. Dazu waren sie viel zu vorsichtig. Nicht aus eingeborener Schamhaftigkeit, sondern aus einfachen Nützlichkeits- und Bequemlichkeitsgründen. Es wirkt störend und lenkt von der Hauptsache ab, wenn man das Gefühl hat, man könnte beobachtet werden. Aber Simmons & Simmons sind immer vorbereitet. Sie halten in Reserve einen Privatdetektiv, der jederzeit beschwören kann und wird, daß er eine Dame, nur mit Seidenstrümpfen an, zusammen mit einem Herrn, der auch nicht viel mehr anhatte, in demselben Zimmer gesehen hat. Miß Minnie hat nur den Ort, also das Haus anzugeben, wo das geschehen sein könnte, was der Privatdetektiv gesehen hat. Alles übrige besorgen der Privatdetektiv und Messrs. Simmons & Simmons Attorneys at law. Dann kommt noch eine Waschfrau oder ein Chauffeur, die beschwören, daß sie Miß Minnie und Mr. Ayres in jenes Haus haben gehen sehen. Gegen die Waschfrau kann niemand ankommen. Sie ist die Ehrlichkeit und Wahrheit in Person. Mr. Ayres, so vortrefflich auf dem glühenden Roste sitzend, muß zugeben, es ist wahr. Er wird sich hüten, das Gegenteil zu schwören; denn er weiß, es haben ihn auch noch andere Personen dort gesehen. Miß Minnie White erwartet gar keine Mutterfreuden. Das weiß Mr. Ayres ganz genau. Miß Minnie ist viel zu geschickt, um sich einem solchen Unfall auszusetzen. Kinder sind immer eine Belästigung und durchaus kein Segen des Himmels. Sie weiß das aus ihrer Jugendzeit in Minneapolis. Sie hatte fünf Geschwister. Weder ihr Vater, der in einer Kofferfabrik arbeitete, noch ihre Mutter, die in einer Hemdenfabrik arbeitete, haben je von einem Himmelssegen gesprochen, immer nur von den Brats, der Bastardbrut, die so viel essen und so viel zerreißen und ewig und immer schreien, daß sie Hunger hätten. Auch Messrs. Simmons & Simmons wissen, daß Miß White kein Kind erwartet. Sie würden ihr dreist ins Gesicht hinein sagen, daß sie sie für klüger gehalten hätten, denn sie habe doch sicher ihre Babyschuhe schon lange genug ausgetreten, um Unterschiede machen zu können. Erst recht die Zeitungen wußten, daß Miß Minnie White sich in solcher Lage nicht befand. Hätte sie wirklich Mutterfreuden zu erwarten gehabt, dann würden es die Zeitungen mit größter Vorsicht vermieden haben, es zu erwähnen. Das hätte zu vielerlei Unannehmlichkeiten für die Zeitungen führen können. Daß die Tänzerin sich Mutter fühle, hatten die Reporter nur geschrieben, damit die Geschichte saftiger würde. Die Anwälte hatten da etwas angedeutet, woraus die Reporter entnehmen mochten, was sie für gut befanden. Eine solche Nachricht diente doch nur dem Ganzen. Namen waren ja noch nicht genannt. Und hätte es dazu kommen müssen, Namen zu nennen, so konnte Miß Minnie durch ihr ferneres Auftreten in dem Vanity beweisen, daß es ein Reporterschwindel war. Obgleich nun an der ganzen Geschichte sehr wenig dran war, so erreichten die Anwälte doch ihren Zweck. Mr. Ayres wurde in Angst gejagt. Er mußte befürchten, daß hier ein großer Skandal entstehen würde. Er wußte ja nicht, wie weit die Anwälte zu gehen gedachten. Es war gar nicht einmal nötig, daß der Name der Tänzerin veröffentlicht wurde. Es genügte, daß sein Name bekanntgegeben wurde und daß die Zeitung seinen Namen veröffentlichte, um den Lesern zu zeigen, wie unerschrocken sie sei, und wie emsig sie darauf bedacht sei, das amerikanische Volk von der Unzucht und der Verworfenheit, in die es einzelne skrupellose Mitglieder zu verstricken suchten, zu befreien, daß dies eine der Hauptaufgaben der Zeitung sei und daß man keine Rücksicht übe, auch wenn es sich um Angehörige der obersten Klasse handele; viel eher sei man bereit, die arbeitende Klasse und das arme Mädchen, die Tänzerin, die ja auch der arbeitenden Klasse angehöre, zu entschuldigen als diese Magnaten, die glaubten, daß sie in der freien Republik rechtschaffener Bürger tun könnten, was sie wollten, nur weil sie mehr Geld hätten. Das würde die Zeitung natürlich erst gesagt haben, nachdem sie genau wußte, daß der Aufsichtsrat der Company, dessen Präsident Mr. Ayres war, wünschte, daß Mr. Ayres kurz und klein gebrochen werden sollte, weil man ihn aus diesem oder jenem Grunde los sein wollte und man ihn auf eine andere Art nicht abschieben konnte. Mr. Ayres wußte ja auch nicht immer, wie er zu seinem Aufsichtsrat stand. Ob der ihn hielt oder fallen ließ. Darauf konnte es Mr. Ayres nicht ankommen lassen. Auch wußte er nicht, wie es seine Frau aufnehmen würde. Noch weniger wußte er, wie man es in den Klubs betrachten würde, denen er angehörte. Ein Skandal solcher Art konnte ihn für lange Zeit lahmlegen, und er hätte verteufelt hart arbeiten müssen, um wieder hinaufzukommen. Alle solche Möglichkeiten überdachte er, und dann ging er zu Messrs. Simmons & Simmons und begann zu handeln. Er zahlte den Herren zehntausend Dollar für die Unkosten, die sie gehabt hatten. Darauf baten Messrs. Simmons & Simmons Miß Minnie White zu sich ins Büro. Mr. Henry Simmons empfing Miß White: „Wir haben vor einer halben Stunde eine längere Unterredung mit Mr. Ayres gehabt. Er hat endgültig erklärt, daß er nichts bezahle und daß er es ruhig sowohl auf den Prozeß als auch auf den Skandal ankommen lassen wolle. Er sagt, und ich glaube, er hat hier recht, daß, wenn wir es zum Skandal treiben, er seine Position verliert und er dann überhaupt nichts zu zahlen imstande ist, ganz gleich, wie der Prozeß ausgehen sollte. Er hat uns hier mit Tränen in den Augen eingestanden, daß er Sie aufrichtig liebe, und er hat uns gebeten, ein gutes Wort zu seinen Gunsten zu Ihnen zu sprechen. Er kann ohne Sie nicht leben, und er will Ihnen auch den Stutzwagen kaufen, den Sie sich so lange schon gewünscht hätten. Ich sehe wirklich nicht ein, Madam, warum sich zwei so nette Leute, wie Sie beide sind, nicht verstehen und lieben sollen. Was hat ein solches Streiten für einen Sinn. Sie haben auch ein wenig schuld, Madam. Seien Sie nicht so hart zu ihm. Er hat doch auch seine Sorgen und seine Ärgernisse.“ Miß Minnie bekam Tränen in die Augen. Es waren echte Tränen; denn jetzt hatte es keinen Zweck mehr, Tränen zu machen, um eine Summe herauszuquetschen. „Er ist ja auch geplagt und gejagt und gehetzt, der arme Mann. Wie wir alle. Auch wie Sie, Miß White.“ Sie tränte ein wenig mehr, weil sie neben dem Mitleid für ihn nun auch Mitleid mit sich selbst bekam, als sie fand, daß auch ein Fremder fühlen konnte, wie sehr sie geplagt und gehetzt sei im Leben und ewig mit Leuten, die Geld von ihr haben wollten, auf ihren Fersen. Alle glaubten, eine Chortänzerin des Vanity könne über Millionen verfügen. Jedes Paar Schuhe, das eine andere Dame für fünfzehn Dollar bekam, mußte sie mit fünfundzwanzig bezahlen. So ging es mit ihren Strümpfen, mit ihrer Wäsche, ihren Hüten, und alle jene, die Trinkgelder bezogen, erwarteten von ihr das Dreifache dessen, was sie von anderen Leuten erhielten. Und wenn sie nicht das Dreifache zahlte, wurde sie verächtlich angesehen und behandelt, als wäre sie ein Mädchen der dunklen Straßenwinkel. 8 Wer ist Herr des Lebens? Der Präsident der Öl-Company? Oder der Rechtsanwalt, der die schäbigsten Ehescheidungsprozesse und Erpressungsmanöver übernimmt? Die Tänzerin eines Revue-Theaters? Rockefeller? Sinclair? Morgan? Der Präsident der Vereinigten Staaten? Keiner von denen, die als die Herren der Welt erscheinen, die Erdteile kaufen und verkaufen können, die Republiken gebären und vernichten können, Könige krönen und absetzen, Revolutionen erwecken und erwürgen können, keiner von allen denen ist Herr des Lebens. Sie alle sind in der Maschine, die da heißt „Das moderne Zeitalter“, „Unser heutiges Leben“. Sie werden darin herumgewirbelt und herumgeworfen wie kleine Körnchen, jetzt oben, nun unten, jetzt in der Mitte, nun in der Ecke, jetzt an der rechten Seite, nun an der linken. Vielleicht war der Herr des Lebens Hacinto der Indianer, der La Rosa Blanca besaß, ohne sie zu besitzen. Er war vielleicht der Herr des Lebens bis zu jenem Tage, an dem herausgefunden wurde, daß La Rosa Blanca in ihrem Boden Öl trug. Dann hörte auch Hacinto Yanyez auf, Herr des Lebens zu sein; denn nun wurde auch er ein Körnchen, das in der Maschine hin und her gewirbelt wird. Vielleicht war Margarito der Herr des Lebens, Margarito, der die Mules dokterte, der die Sprache der Mules verstand, der höllisch fluchen und süße Balladen schmelzend singen konnte im selben Atemzug. Vielleicht waren die Compadres der Rosa Blanca die Herren des Lebens. So lange, bis sie ihr Heimatland verloren. Vielleicht war der Herr des Lebens der Löwe im Dschungel. Aber die Flöhe waren stärker als er; denn sie belästigten ihn, und er konnte sich ihrer nicht erwehren; ein Dorn, den er sich in die Tatze trat, war stärker als er, denn der Dorn machte ihn lahm; die Giftschlange, die ihn in die nackte Nase biß, wenn er unvorsichtig war, konnte ihn zu Fall bringen, und sie war darum stärker als er. Vielleicht war der Herr des Lebens der farbenreiche Schmetterling, der von Blume zu Blume wogte und sich um nichts kümmerte, sein Leben auskostete, bis er sich im Netz einer Spinne verfing, die stärker war als er. Vielleicht war der Herr des Lebens der klassenstolze Arbeiter, der seinen Vorarbeiter niederboxte und weidlich verprügelte, weil der Vorarbeiter, der sich stärker und mächtiger glaubte, ihn angebrüllt hatte. Aber der fleißige Arbeiter produzierte mehr, als der Markt aufnehmen konnte, und die Fabrik konnte den Mann nicht mehr bezahlen und mußte ihn entlassen; und seine Kinder zerfleischten den Arbeiter, weil sie hungrig waren und sich als Herr der Welt glaubten, dessen Sklave und Knecht ihr eigener Vater zu sein hatte. 9 Von der Office ihrer Anwälte aus telephonierte Miß Minnie White ihrem Freund Mr. Ayres, dem sie alles abbat, was sie ihm zugefügt hatte. Sie sagte, sie sei wahnsinnig gewesen und habe sich von einer Freundin aufhetzen lassen. Ob er nicht wieder gut sein wolle, sie liebe ihn über alles. Mr. Ayres bat ihr auch alles ab, was er ihr angetan hatte, und erklärte, daß er allein die Schuld habe und daß er überglücklich sei, daß er sie wieder sein nennen dürfe. Zwei Tage darauf reisten beide in seinem Tourenwagen nach San Diego hinunter. Das stundenlange Fahren auf der romantischen Autostraße entlang der pazifischen Küste führte die beiden inniger zusammen, als sie je vorher gewesen waren. Das Zerwürfnis war beigelegt und vergessen. Es konnte beigelegt werden, nachdem die Anwälte erreicht – für sich erreicht – hatten, was sie wollten. Das fernere Leben des Mr. Ayres und der Miß Minnie White hatte vorläufig kein Interesse mehr weder für Messrs. Simmons & Simmons noch für die Zeitungen. Die geschäftliche Seite der Angelegenheit war befriedigt worden, und sich für das Privatleben zweier Menschen, aus dem sich augenblicklich kein Dollar herausmünzen ließ, zu interessieren, ist unfair und schmutzig. Man kann aber keinem Amerikaner nachsagen, daß er unfair oder schmutzig sei. Er ist die Hilfsbereitschaft und die Gastfreundschaft in Person. 3 1 Mr. Collins mußte jetzt häufig an die Affäre des Mr. Ayres denken. Mr. Ayres war sein intimer Freund. Sie hatten beide dasselbe College besucht und gehörten beide denselben Klubs an. Deshalb war Mr. Collins eingeweiht in alle Einzelheiten jener Affäre. Die genaue Kenntnis jener Geschichte war ihm nützlich. Sie half ihm, auf der Hut zu sein. Aber wie kann man auf seiner Hut sein, wenn die untere Hälfte des Körpers größere Ansprüche stellt als im Alter von zwanzig Jahren. Mit zwanzig Jahren hat man romantische Ideen, in denen manche rein natürlichen Wünsche des Körpers einem als schmutzig erscheinen und man an Keuschheit und an die Reinheit in der Liebe glaubt. Nicht weil der Mensch in jenem Alter edler ist, sondern weil er furchtsamer ist den Mädchen gegenüber und Mysterien wittert, die er nicht lösen zu können glaubt, ohne sich in schwere Gefahr zu begeben. Im Alter von fünfzig Jahren, nachdem man fünfundzwanzig Jahre Ehe und fünfzig Gelegenheitsbigamien mit allen Stürmen, Orkanen, Typhoonen, Klippen, Sandbänken, Sonnenschein und Regenschauern, die man auf seiner Fahrstraße vorfindet, mehr oder weniger mutig und erfolgreich überwunden hat, ist die Gewohnheit des reifen Mannes an die Stelle romantischer Eseleien getreten. Alle Dinge des Lebens ohne Ausnahme werden nun rein sachlich und nüchtern betrachtet. Daß eine Frau oder etwa gar die Liebe irgendwelche Mysterien bergen könnten, dieser Glaube ist endgültig gewichen. Die Frau mag ja zuweilen noch Mysterien verbreiten, weil man die Frau nie auskennen lernt und sie immer auf dem Sprunge hockt, etwas zu tun, was man auf keinen Fall von ihr erwartet hätte. Diese Mysterie allein macht die Frau, besonders wenn es die ist, mit der man verheiratet ist, allein noch erträglich. Erträglich in jenem Grade, den man von dem Durchschnittsmenschen nach längerer Ehe zu sehen erhofft. Alle jene stillen und beschaulichen Vergnügungen, an denen man sich als Sechzehnjähriger – oder als Sechzehnjährige – ergötzte, haben ihren Reiz und damit ihre Anziehungskraft völlig verloren. Nichts ist übriggeblieben als reine Sachlichkeit und kalte Nüchternheit. Der Gewohnheit muß man nun folgen. Alles das so beim Manne, so bei der Frau. Liebe um seiner schönen Augen willen oder seines jugendlichen Feuers wegen zu erwarten, diese Hoffnung ist dauernd geschwunden, und wenn einem eine Frau oder ein Mädchen das erzählen will, so fühlt man sich geschmeichelt, aber man glaubt es nicht mehr. Die Weisheit des Lebensphilosophen, der man jetzt geworden ist, läßt solche Glaubensstärke nicht mehr zu. Das Verstehen und Begreifen weiblicher Schönheit hat sich geläutert. Man fällt nicht mehr auf jede glatte Fratze hinein. Man ist wählerisch geworden, und man würde jetzt in der Wahl seines Ehegenossen sehr vorsichtig sein. Ob man nun alles das findet, worauf der Philosoph Anspruch erheben muß, also Schönheit der Frau, Geist – oder an Stelle des Geistes Unterhaltungsgabe –, Geschmack in der Kleidung und im Benehmen und nicht zu vergessen einen willensfreudigen gut gepflegten Körper, ob man das haben kann oder nicht, hängt nun nur noch von der Zahlungsfähigkeit ab, die man inzwischen erworben hat. Es ist ja nun sehr selten, nein, um die Wahrheit zu gestehen, es trifft sich nie auf Erden, daß man alles, also Schönheit, Geist, Unterhaltungsgabe, Nichtlangweiligkeit, guten Geschmack, willensfreudigen und gut gepflegten Körper in einer und derselben Frau vereinigt vorfindet. Das gibt es nicht. Weil es gegen die Naturgesetze geht. Daß es so etwas gibt, glaubt man nur zwischen sechzehn und fünfundzwanzig, und das ist die Zeit, wo man seine größte Dummheit macht, das ist, die Unrechte zu heiraten. Weil man nun nicht alle jene Vorzüge in einer Frau vorfindet – diese Weisheit hat man jetzt erworben –, so muß der kluge Mann, jener, dessen untere Körperhälfte an Stärke und Verlangen und dessen obere Körperhälfte an Weisheit zugenommen hat, auch in seinem Erholungsdasein jene Spezialisierung vornehmen, die er in seinem Geschäft und in seinem Beruf inzwischen vorgenommen hat. Nur wenn er inzwischen Spezialist in seinem Beruf geworden ist, kann er die Mittel heranschaffen, die er benötigt, um auch Spezialist in seinem Privatleben zu sein. Er hilft sich damit, daß er eine Dame bevatert ihrer Schönheit wegen, der aber der Geist fehlt, für den er sich eine erwirbt, die den Geist hat, aber im Körper weniger Lust und Willen zeigt. Dafür ist wieder eine andere da. Darum unterlasse man den billigen Vorwurf der Frommen und die hitzige Angeiferung der Kommunisten, daß Mr. Collins ein Wüstling genannt werden müßte, weil er neben seiner Frau noch hatte: Eine Flossy, eine Betty und zwei Chormädchen, die vorläufig noch warteten, dort eingereiht zu werden, wo sie ihrer speziellen Befähigung entsprechend hingehörten. Mr. Collins war durchaus kein Wüstling. Er war ein Produkt seiner Zeit. Ein Körnchen, das in der großen Maschine „Unser hetzendes Zeitalter“ hin und her gewirbelt wurde, ohne sich wehren zu können, ohne etwas dazu tun zu können. Unter Menschen, wo es keine Ewigkeitsehen gab, wo niemand gezwungen wurde, seinem Stande, seiner sozialen Stellung und seines Vermögens entsprechend zu heiraten, wo die Aufzucht der jungen Generation der Gesellschaft als Ganzes übertragen wurde, wo ein Mensch, der die Gabe hatte, in der Organisation der Ölproduktion wahrhaft geniale Fähigkeiten zu entwickeln, nicht gezwungen war, elegante Villen zu besitzen, elegante Autos, luxuriöse Kleidung für seine Familie und für sich, kostspielige Gewohnheiten für seine eigene Person, nur um eine solche Stellung, wo er seine genialen Fähigkeiten zeigen konnte, zu bekommen und zu behalten, unter solchen Menschen wäre Mr. Collins weder ein Wüstling und Bigamist gewesen, noch ein Mörder Tausender von Existenzen. Unter solchen Menschen wäre der Präsident der Condor Oil Co. ein Mensch gewesen, gut wie ich, wahrscheinlich viel besser und nobler als ich. Denn er besaß etwas, was nur wenige Menschen besitzen: Größe. In unserer Zeit konnte er diese Größe nur zeigen durch Brutalität, durch Rücksichtslosigkeit, durch Skrupellosigkeit. Seine Schuld war es nicht. 2 Betty hatte ihm telephoniert, daß sie ihn dringend zu sprechen habe. Er hatte ihr geantwortet, er könne sie jetzt nicht sprechen, weil er in wichtiger Conference mit hohen Persönlichkeiten seiner Company sei. Daraus machte sich Betty nichts. Sie sauste sofort in das Gebäude der Condor Oil Co. Die zweite Sekretärin sagte ihr, daß Betty Mr. Collins auf keinen Fall sprechen könnte, er sei in Conference. So etwas konnte niemand ihr antun. Betty nicht. Conference oder nicht Conference. Wenn sie, Betty, Mr. Collins zu sehen hatte, dann sah sie ihn, und wenn er bereits begraben gewesen wäre. Dieses Temperament und dieses wilde Draufgängerwesen war ja gerade eine ihrer Hauptspezialitäten, warum sie von Mr. Collins in die Gruppe aufgenommen worden war, die jene Einheit der vollkommenen Frau bildete, die Mr. Collins nötig hatte, um dem aufregenden Leben gegenüber widerstandsfähig und munter zu bleiben. Wenn seine eigene Frau gewagt haben würde, was jetzt Betty tat, so würde er sie erschossen haben, und das Gericht hätte ihn freigesprochen. Denn der ungerufene Eintritt in das Allerheiligste wird immer mit dem Tode bestraft. Eine wichtige Conference von Aufsichtsratsmitgliedern einer amerikanischen Milliarden-Company ist um ein Vielfaches heiliger als das Allerheiligste in Tibet. Wer die Räderwerke kennt, muß zugeben, daß eine solche Conference in der Tat heiliger ist als irgend etwas, das mit Religion zu tun hat. Und das ist hier gesagt ohne Ironie. Nicht aus dem White House in Washington, sondern aus einer solchen Conference kann hervorkommen – und ist hervorgekommen – Ablehnung angebotener Gesandten fremder Mächte, Wechsel eigener Gesandten, Krankheit und Rücktritt von Staatssekretären, bewaffnete Einmischung in das bolschewistische Rußland, Aufhebung der Redefreiheit für Kommunisten, Anzettelung einer neuen Revolution in Mexiko, Unterstützung der Türken gegen England, Mindest-Zuchthausstrafe für Wobblies zwanzig Jahre, Freihandel für Whiskyschmuggler, Absendung von Panzerschiffen und Marinetruppen nach Columbia, Einmarsch von amerikanischen Truppen in Peking, Sättigung von angeblich verhungernden Kindern in Armenien und Griechenland mit den minderwertigen Konserven, die infolge übereilten Friedensschlusses nicht mehr an die eigenen Soldaten verkauft und verfüttert werden konnten, unbeschränkte Land- und Wasserrechte für die Staaten in der unabhängig-abhängigen Republik Nicaragua, belebte Hoffnung für den ehemaligen deutschen Kaiser, wieder das Zepter in die Hand nehmen zu dürfen, Absetzung von zweitausend Bürgermeistern und ihre Ersetzung durch andere, Schweigsamkeit des amerikanischen Präsidenten, Entlassung des politischen Redakteurs der New York Times, des wirtschaftlichen Redakteurs der New York World, erzwungener Verkauf der Chicago Tribune, eine Flut von antisemitischen Artikeln in den Zeitungen, eine Flut von prosemitischen Artikeln in den Zeitungen, Wechsel der Professoren für Volkswirtschaft und der für Internationales Recht an den Universitäten Columbia, Chicago und California, Herabsetzung des Preises für Bibeln, Gewährung hoher langfristiger Kredite an die deutsche Industrie, Gewährung von Krediten an das bolschewistische Rußland, Deportierung von Pazifisten und ähnlichen Friedensschalmeienbläsern, Bau von achtzehn neuen Panzerschiffen, Kontrakt für alle Völker, keinen Krieg mehr zu führen, ohne vorher in Washington um Erlaubnis zu bitten, Liga der Nationen gegen die Menschheit und für den Profit, Glückwunschtelegramm an Deutschland für Ablieferung eines Kriegszeppelins, Propaganda zur Belebung der Sittlichkeit unter der arbeitenden Klasse, Verbot der Prostitution für zwei Dollar und darunter, Ermunterung der Prostitution für ein Auto zur Auffrischung der um ihre Existenz kämpfenden amerikanischen Autoindustrie, Unterstützung der Abzahlungsidee und ähnlicher Absichten zur Versklavung der weniger kaufkräftigen proletarischen Bevölkerung, Verweigerung von Krediten an kooperative Gesellschaften und an Vereinigungen, die Häuser bauen, um Wohnungen zum Selbstkostenpreise vermieten zu können, und noch einiges mehr. Überdenkt man alle die Konsequenzen, die aus den Beratungen und Beschlüssen der Conferencen großer Companien hervorgehen können, so wird man begreifen, daß es hier um heilige Dinge ging. Kein Gott war je so mächtig, daß er verwickeltere Kombinationen hätte schaffen können als hier geschaffen wurden. Es ging um Menschen und Völker, es ging um christliche, mohammedanische und buddhistische Religionen, es ging um Götter und Dämonen, um Versetzung von Gebirgen und Durchstechung von Erdteilen, man brachte Ozeane zusammen, die nicht zusammen gehörten, und man trennte Länder und Völker, die miteinander verwachsen waren seit urewigen Zeiten. So etwas konnte Gott nur in Jahrmillionen tun, was hier durch einen Beschluß getan wurde. Und wo ein solcher Beschluß gefaßt wird, sei es im Himmel oder sei es im Olymp oder sei es im Conference-Raum einer amerikanischen Milliarden-Company, da ist das Allerheiligste, da und nirgendwo sonst muß das Allerheiligste der Menschheit sein. 3 An der Tür zu dem Raum hing ein kleines Plakat, worauf gedruckt stand DON’T DISTURB KEEP OUT Bitte, nicht stören, bleiben Sie draußen. Das galt für Büroschreiber, für Magnaten, für den amerikanischen Präsidenten, für den König von England und für Jehova. Aber es galt nicht für Betty, die ihre Garage und das dazu gehörige Haus haben wollte. Haben mußte, und zwar sofort, weil sie ihren Freundinnen erzählt hatte, daß sie Garage und Haus bereits habe und Montag abend ihre House-Warming-Party, ihre Einzugsfestlichkeit geben wollte, in einer Aufmachung, daß die Filmkönige und Filmköniginnen in Hollywood vor Neid zerbersten würden. Ein kleiner Schwimmteich aus Marmor sollte da sein. Der würde mit warmem Wasser gefüllt. Nachts um ein Uhr würde sie dann den Vorschlag machen, daß sich alle ausziehen sollten, um zu baden in jenem Teich. Sie würde elegante dünnseidene Badegewänder zur Hand haben. Wenn dann Männchen und Weibchen im Bade wären, würde sie alle Kleider zusammenraffen lassen, alles vertauschen und verstecken. Für den Rest der Nacht würde nur in Badekostümen getanzt. „Ich sehe nicht, wo da der Spaß ist“, sagte Majory, eine ihrer Freundinnen. „So etwas machen die Filmer in Hollywood jeden Tag.“ „Warte nur ab, May“, sagte Betty, „was dann hinterher kommt.“ Sie hatte alles – bisher nur in ihrem Plan, weil das Haus ja noch fehlte – bereits fertig. Sobald in Badekostümen getanzt würde, dann würde sie und noch einige Eingeweihte mit Brieföffnern zwischen die Tanzenden schleichen und alle diese dünnen Seidendinger, die ja durch das Wasser überhaupt schon nichts mehr verbargen, aufschlitzen, so daß jedes Kostüm in zwei Hälften geteilt würde und herunterfiele. Diesen Plan verriet sie nicht, weil das eine der Überraschungen war. Sie hatte noch andere Überraschungen ausgedacht, die jener in nichts nachstanden, sondern das Vergnügen vergrößerten. Es muß zugegeben werden, daß Betty einen künstlerischen Geschmack besaß und auch eine reiche Phantasie. Das war ihre zweite Spezialität als Teil der vollkommenen Frau, nach der sich Mr. Collins sehnte. Sie hatte guten Geschmack. In ihrer Kleidung und in ihrem Benehmen im Hotel oder im eleganten Restaurant. Solange sie nicht schwer betrunken war. Auch dann behielt sie ihren guten Geschmack bei, nur begann sie dann höllisch frivol zu werden zum Ergötzen aller Anwesenden. Sie sagte die unerhörtesten Dinge, und sie tat es mit der Gebärde und dem Ausdruck eines unwissenden Kindes. Wenn sie mit Mr. Collins den Saal eines Café-Kabaretts oder eines Luxus-Restaurants betrat, so glaubte selbst der Verwöhnteste, eine Fürstin käme hereingeschritten. Eine Fürstin, nicht wie eine Fürstin in Wahrheit ist, unmodern, linkisch und mit einem Bauerngesicht, sondern eine Fürstin, wie sie sich ein Romanleser vorstellt und wie sie gelegentlich im Film erscheinen. Dieses fürstliche Benehmen und diese fürstliche Haltung übertrug sich natürlich auf das Ansehen des Mr. Collins. Er, der nicht gerade sehr fürstlich, ja kaum bedeutend aussah, der seine Unsicherheit, die ihm zuweilen in eleganter Umgebung überkam, nur durch ein burschikoses, lautes, kollegiales, handfestes Gebaren übertünchte, wuchs vor den Augen seiner Freunde, seiner Bekannten und seiner geschäftlichen Gegner gewaltig in der Gegenwart der Fürstin Betty. Er gewann an materiellem Wert, mehr als an persönlichem. Ein Mann, der einen so vortrefflichen Geschmack besaß, eine Dame von so hervorragender Erscheinung zur Geliebten zu haben, ein solcher Mann war in geschäftlichen Dingen zu fürchten. Man mußte ihn als Freund gewinnen. Denn ein solcher Mann ist zu allem fähig. Was muß der Mann für Geld machen, um sich eine solche Fürstin halten zu können. Denn daß Betty nicht seine Frau war, wußte jeder. Mit seiner Frau geht man nicht in diese Restaurants, wo der Abend nicht unter fünfhundert Dollar kostet. Niemand kleidet seine Frau in dieser verschwenderischen Weise. Und kein Geldmann hat eine Frau, die wie eine Fürstin aussieht. So sieht immer nur eine Geliebte aus. Ein Mann, der soviel Geld macht, daß er neben seiner Familie und sicher noch einigen Kleinen vom Theater diese Fürstin unterhalten kann, ein solcher Mann ist mächtig. Er ist nicht nur mächtig. Er ist eine Macht. Eine Macht, mit der man nicht spielt, die man zum Freunde macht, und wenn das nicht gelingt, die man respektiert. Denn wehe dem, der diese Macht zu erschüttern oder ihr Unbequemlichkeiten zu bereiten sucht. Dieser Mann mordet rücksichtslos, um seine geschäftlichen Pläne durchzusetzen. Nicht aus Mordlust. Sondern, um diese Fürstin behalten zu können, um dieser Fürstin würdig zu sein. Darum wird es niemand wagen, mit Mr. Collins zu spielen, wenn es sich um Geschäft handelt. Den Herren der Company, den Aktionären, die Einfluß haben und kommandieren, ohne daß die Öffentlichkeit ihre Namen kennt, ist die Fürstin Betty teils gleich einer Geschäftsteilhaberin, teils gute Reklame. Die Fürstin hebt das Ansehen und die Macht Mr. Collins. Und eine Company, die einen angesehenen und mächtigen Präsidenten hat, der respektiert und zugleich gefürchtet ist, gewinnt ihr Spiel mit größerer Sicherheit als eine Company, die ein knauseriges, verdörrtes, pessimistisches, scheues und furchtsames Männchen als Präsidenten hat. Die Klugheit, die das scheue Männchen vielleicht hat, ist viel wert. Aber Mr. Collins mit seiner Lebensrobustheit, mit der Notwendigkeit auf seinen Schultern, mehrere Millionen im Jahr verdienen zu müssen, um seine Fürstinnen und Hofdamen unterhalten zu können, besiegt den Knauser mit einer Handbewegung. Der Knauser ist vorsichtig in seinem Wagen, weil er nicht viel für sich braucht und das Sichere nicht verlieren will. Mr. Collins ist brutal und rücksichtslos im Wagen. Weil er immer nur verlieren kann, darum muß er gewinnen, ganz gleich, was es kostet, ganz gleich, wer und was darüber zugrunde geht. Sein Wille ist keineswegs frei. Er ist ein Produkt, das er nicht selbst geschaffen hat. Er wurde geschaffen. Er ist nicht anzuklagen. Nur seine Eltern vielleicht sind zu verurteilen. Aber seine Eltern sind: die Zeit. Man verurteile die Zeit, wenn man glaubt, verurteilen zu müssen. 4 Die Art und Weise wie der Reverend Oberbonze der Ersten Allerheiligsten und Alleingerechten Amerikanischen Baptisten-Kirche Einlaß in das Himmelsheiligtum fordert und von dem erschreckten himmlischen Aufsichtsrat, der um seine olympische Ruhe und Würde besorgt ist, bewilligt bekommt, wurde um ein Vielfaches überboten von Betty, die vor der Tür des Allerheiligsten der amerikanischen Nation stand und vor sich das Plakat erblickte: Bitte, nicht stören, bleiben Sie draußen! Mit dem schwer goldenen Griff ihres kurzen Schirmes stieß sie zweimal hart und wuchtig, jegliche Ehrfurcht versagend, gegen die Tür, als wollte sie ein Loch hindurchstoßen. Die zweite Sekretärin, als sie solches sah, erbleichte, weil sie wußte, daß sie nun ihre Stellung verloren hatte. Ihre Stellung behalten konnte sie jetzt nur noch dadurch, daß sie Betty beim Herauskommen abfing und sie mit verweinten Augen anflehte, Mr. Collins zu bitten, sie nicht zu entlassen, sondern nur mit fünfundzwanzig Dollar zu bestrafen. Die Sekretärin konnte durch eine dicke, blauanlaufende Beule unter ihrem linken Auge vorweisen, daß sie den Eingang zum Allerheiligsten unter Aufopferung ihres Lebens zu verteidigen versucht hatte, daß sie aber höherer und brutalerer Gewalt habe weichen müssen. Die blaue Beule würde ihr vielleicht angerechnet werden und ihr helfen, auch noch jene fünfundzwanzig Dollar Strafe zu sparen. Ohne auch nur zwei Anstandssekunden zu warten, ob man von drinnen vielleicht rufen würde: „Come in!“, riß Betty die Tür mit einem weiten Schwung auf. Sie überfiel alle Anwesenden, die so würdig und feierlich beisammen saßen wie Kardinäle bei einer Papstwahl, mit einem Blick, als ob sie sagen wollte: „Ihr alle seid entlassen.“ Einen Schritt kam sie weiter, warf die Tür hinter sich zu mit einem Krachen und rief zu dem Gottvater jener Conference: „What’s th’ bloomin’ idea, you little shrimp! Was denkst du dir denn eigentlich, du kleines, armseliges, mickerndes, winselndes Jammerwürmchen, das du bist!“ 5 Betty sprach sehr sorgfältig und sehr gewählt, ohne daß es je geziert und unnatürlich gelautet hätte. Und meist sprach sie sehr ruhig und überlegend. Für eine junge Frau hatte sie eine tiefe Stimme. Aber die Stimme war weich und voll; und sie hatte jene warme runde Fülle der Stimme großer Tragödinnen, deren Macht allein in der Sprache ruht. Aber wenn Betty in großer Erregung war oder wenn sie ihren Worten bestimmten starken Nachdruck geben wollte, dann sprach sie Slang. Nicht, weil sie sich gehen ließ oder weil sie sich vergaß, sondern sie sprach Slang mit voller Absicht, um größere Wirkung zu erzielen. Wie auch ein tüchtiger Businessman, obgleich er College und Universität besucht hat, Slang zu sprechen beginnt, wenn er einem hartnäckigen Kunden seine Ware zu verkaufen sucht. Auf Slang fallen wir alle herein und verlieren unsere Vorsicht. Betty stammte aus Seattle. Ihre Eltern lebten noch und glaubten, daß Betty Privatsekretärin bei dem Herausgeber einer Zeitung in San Francisco sei. Würden ihre Eltern das nicht geglaubt haben, so hätte sich Betty auch nichts daraus gemacht. Ihr Vater hatte ein Geschäft für Schiffsartikel, und die Familie lebte in guten und geordneten Verhältnissen. Betty hatte das College besucht und ihr Examen in Literatur und Geschichte gemacht. Sie sprach Französisch, Deutsch und ein wenig Spanisch. Sie war eine Zeit Lehrerin in einer kleinen Stadt in California gewesen, wurde aber wegen schlechten Betragens vom Schulvorstande gefeuert. Das schlechte Betragen war darin erblickt worden, daß sie einmal den Kindern erzählt hatte, man brauche die Schöpfungsgeschichte in der Bibel nicht wörtlich nehmen, sondern der Mensch habe sich in vielen Milliarden von Jahren aus einer mehr tierischen Kreatur zu seiner heutigen Gestalt langsam entwickelt. Mit diesem Entlassungszeugnis in der Hand konnte sie natürlich in den Städten des Westens keine neue Stellung als Lehrerin finden. Und in den großen Städten des Ostens und des Nordens waren alle Stellen auf Jahre hinaus vorgemerkt. Sie wurde dann Redaktionssekretärin in einer Tageszeitung in San Francisco. Einer der jüngeren Redakteure hatte sie zum Abendessen in einem Kabarett eingeladen und durch einen Freund des Mr. Collins, der gleichzeitig Freund jenes jungen Redakteurs war, lernte sie an jenem Abend Mr. Collins kennen. Sie verlor ihre Stellung in der Zeitung, weil sie es zweimal abgelehnt hatte, sich von dem leitenden Redakteur zum Abendessen einladen zu lassen. Am Morgen nach der zweiten Ablehnung wurde ihr gesagt, daß ihre Arbeit nicht genügend sei, weil sie nicht rasch genug die Diktate aufnehmen könne, und daß man ihr empfehle, sich um eine andere Stellung umzusehen. Bei diesem Umsehen nach einer andern Stellung traf sie auf der Straße Mr. Collins, der sie unter Erinnerung an ihr Bekanntwerden im Kabarett ansprach und sie zum Lunch einlud. Sie wollte die Ausgabe für Lunch sparen und nahm die Einladung an. Bis dahin war sie ein Mädchen gewesen, wie jedes andere amerikanische Mädchen, das eine gute Bildung bekommen hat, aber dann sein Leben selbst verdienen muß. Unter dem Einfluß des Mr. Collins und im Umgang mit diesem Manne, der Hunderttausende von Dollar zu verdienen schien für keinen andern Zweck, als sie in großzügiger Weise wieder ausgeben zu können, entwickelte sie sich innerhalb von vier Monaten zu einer der elegantesten Damen von San Francisco, ohne je eingereiht werden zu können in die Klasse der Halbweltdamen. Mr. Collins war ihr einziger Mann, obgleich sie ihn ewig in der Erwartung hielt, daß er morgen nicht mehr ihr einziger sein möchte. Daß sie ihn beherrschte, konnte man nicht sagen. Sie vermied es sogar, ihn glauben zu lassen, daß sie ihn beherrsche. Aber sie setzte alles durch, was sie wollte. Sie war bei weitem gebildeter und klüger als er, und sie besaß auch mehr Intelligenz. Und sie war in ihrem inneren Wesen vornehmer und taktvoller als er. Sie war für ihn die Inspiration, die ein mächtiger Mann in der Industrie so gut gebraucht wie ein Künstler. Denn Großzügigkeit und Genialität in der Kunst wurzeln im selben Boden wie Großzügigkeit und Genialität im Geldmachen. Als die wahre Herzensgeliebte eines Künstlers hätte sie gelebt entsprechend dem Einkommen jenes Künstlers, und sie wäre ebenso glücklich gewesen wie jetzt, in jener luxuriösen Lebensweise, die dem Einkommen des Präsidenten einer der mächtigsten Öl-Companien entsprach. Sie liebte Mr. Collins aufrichtig. Und nur, weil sie ihn wirklich liebte, kam ihr nie der Gedanke, daß ihre Stellung von den Menschen anders betrachtet werden könnte, als sie selbst ihre Stellung betrachtete. Sie war überzeugt, daß sie zu Mr. Collins auch dann stehen würde, wenn er von seiner Höhe herabstürzen sollte. Vor seiner Großzügigkeit hatte sie Achtung, und sie bewunderte ihn darum. Vor seiner Stellung dahingegen hatte sie gar keinen Respekt. Und darum war es ihr auch ganz gleich, ob sie ihn durch ihr temperamentvolles Eindringen in seine geschäftlichen Heiligtümer zum Erschüttern brachte oder nicht. Sie glaubte an seine unüberwindliche Stärke. Sie glaubte, daß, selbst wenn er fallen sollte, daß er immer wieder auf die Beine käme und daß, wenn es ihm zu schwer würde, es allein zu tun, daß sie fähig wäre, ihn so anzuspornen, daß er hoch müßte, selbst gegen seinen Willen. Jedoch – und das wußte sie auch – sie würde diesen Mann nie geheiratet haben, und sie würde ihn wohl kaum heiraten, auch wenn sie Gelegenheit dazu hätte. Heirat hatte für sie nur einen Sinn: Kinder haben zu können. Andernfalls war Heirat Unsinn und Liebe besser. Wenn sie auch sonst alles von ihm annahm, alles von ihm wünschte, eines wünschte sie auf keinen Fall von ihm, und das war: ein Kind von ihm. Den Vater ihres Kindes dachte sie sich anders. Der Vater ihres Kindes sollte haben: Seele. Und wenn es sehr hoch kam: Die Seele eines Künstlers. Das aber war es, was Mr. Collins vor allem fehlte: Seele. Jenes Ding, das sich eben nicht anders bezeichnen läßt als: Seele. Betty war aber dennoch nicht so vollkommen, daß sie nur Licht ausstrahlte. Sie war weder eine Heilige noch ein Engel. Sie hatte ihre heftigen Schatten. Einige dieser Schatten waren schon in ihr vorhanden gewesen, als sie noch Kind war. Als sie größer wurde, hatte sie diese Schatten ein wenig aufleuchten müssen, um unbestoßen durchs Leben zu schlüpfen. Jedoch unter dem Einfluß des Mr. Collins hatten sich jene leichten Schatten, die vielleicht endlich zu dünnen Nebeln geworden wären, zu schweren Schlagschatten verdichtet. 6 Mr. Collins war ein bedeutender Mann, wie immer man auch seine Handlungen beurteilen mag. Er war in seinem Berufe ein Genie. Ein Genie kann überall ein Genie sein. Nicht nur in der Kunst, nicht nur als Feldherr, sondern auch als Schuhfabrikant, als Bankier, als Öl-Magnat. Es sind auch oft genug Verbrecher Genies, weil ihre Genialität innerhalb gesetzlicher Grenzen kein Wirkungsfeld findet. Im Grunde ist jedes Genie ein Verbrecher, weil jedes Genie bestehende und ausgeprobte Gesetze übertritt und zu Fall bringt. Darum sind Genies immer gefürchtet von dem guten Bürger, dessen Existenz, die allein in Beharrlichkeit beruht, von den Genies gefährdet wird. Eine Frau nun, die Geliebte eines bedeutenden Mannes sein und bleiben will, muß wohl in vielen ihrer Eigenschaften das unüberbrückbare Gegenteil jenes Mannes sein, und zugleich muß sie ihm in vielen Eigenheiten so ähnlich sein, als wäre sie ein Teil seines Selbst. Liebende dürfen sich in vielen Dingen nicht verstehen, um immer wieder Neues, Unerwartetes und Fremdes im andern zu finden. Das verhindert die Monotonie, die sich in jeder gutgeschlossenen Ehe einstellt, wo jeder des andern sicher ist. Und Liebende müssen sich in vielen Dingen so gleich sein, daß sie sich mit einem Wink, im Tonfall der Stimme, sofort verstehen. In ihrer Bildung, in ihrem guten Geschmack, in ihrem künstlerischen Empfinden, in ihren philosophischen Anschauungen war Betty das scharfe Gegenstück des Mr. Collins. Dieser Eigenschaften wegen bewunderte er sie, achtete er sie, kam er sich ihr gegenüber armselig vor, fürchtete sie und vergaß sich nie als Gentleman. Sie dagegen bewunderte ihn seiner geschäftlichen Brutalität wegen, seines robusten Wagens und seiner Sicherheit wegen, mit der er geschäftliche Dinge beurteilte, wirtschaftliche Vorgänge übersah und Ereignisse auf dem Markt voraus verkündete, klarer und bestimmter als die alten Orakel. Das waren ihre Gegensätze. Ihre Ähnlichkeiten lagen mehr im Materiellen. Beide liebten Luxus, beide liebten es, aufzufallen und zu strahlen. Er hatte gesagt: „Land, das ich haben will und nicht kriegen kann, das gibt es im ganzen Universum nicht. Wenn ich Land auf dem Jupiter haben will, dann bekomme ich es.“ Er meinte es wörtlich so. Er hatte auch Deutschland nach dem Kriege kaufen wollen, als er aber hörte, daß dort ein Streichholz fünf Milliarden Mark kostete, ließ er seine Kaufabsichten wieder fallen, weil mit solchen geschäftsuntüchtigen Leuten, wie die Deutschen seien, nichts unternommen werden könne. Ähnlich, nein ebenso, war es mit Betty. Wenn sie etwas wollte, und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß das, was sie wollte, auf Erden zu haben sei, dann mußte sie es bekommen. In diesem Wollen war sie unerbittlich und rücksichtslos. Und ähnlich war sie ihm im Temperament. Er war kühler in seinem Temperament, weil er wußte, daß, wenn er sich vom Temperament fortreißen ließe, er Dummheiten machen könnte. In geschäftlichen Manövern aber darf man keine Dummheiten machen. Jedoch das Temperament war vorhanden, und es loderte über im letzten Rennen um einen Erfolg, den er schon so weit zu seinen Gunsten entschieden hatte, daß Dummheiten nun nicht mehr gemacht werden konnten. Er konnte jetzt so weit in seinem Temperament gelangen, daß er seinen Gegner mit der Faust ins Gesicht hieb, um ihn zum Nachgeben zu zwingen. Diesen Eigensinn, ihren Willen durchzusetzen, und dieses Temperament, die Betty seit ihrer Kindheit gehabt hatte und die sie beim Heranwachsen, in der Schule, als Lehrerin, als Sekretärin, mehr und mehr hatte unterdrücken müssen, waren unter dem Einfluß des Mr. Collins gewachsen, bis sie sich endlich zu ihrer ganzen Pracht entfaltet hatten. 7 Mr. Collins hatte das gewünschte Auto gekauft. Das eleganteste Automobil, das auf dem Markte war. Hinsichtlich der Garage hatte er gesagt, er wolle sehen. Er wiederholte es zu oft, das „Wir werden sehen“. So begann es ihr langweilig zu werden. Und der ebensooft wiederholten Ausrede „Ich habe noch nichts Passendes soweit finden können“ wurde sie so überdrüssig, daß es zu dieser Katastrophe kommen mußte, in das Allerheiligste der Nation mit Gewalt und Donnergetöse einzubrechen. In sein Privathaus wäre sie nie eingedrungen. Denn seiner Frau ging sie aus dem Wege. Nicht weil sie etwa Angst vor ihr hatte, sondern weil das zu Komplikationen hätte führen können. Vielleicht gar zu einer Scheidung. Das wollte sie vermeiden. Ein frischgeschiedener Mann nach langer Ehe, die zur Gewohnheit wurde, benimmt sich meist recht hilflos. Wie ein Kind, das die Mutter verloren hat. In dieser Hilflosigkeit hätte sie sich gar verleiten lassen, ihn zu heiraten. Das wollte sie auf keinen Fall. Darum war es aus reinen Klugheitsgründen, daß sie sich nie in sein Eheleben mischte. Mit keinem Worte. Sie drängte ihn sogar, sein Eheleben und seine Frau nicht zu sehr zu vernachlässigen. Ob Mrs. Collins von der Existenz der Betty wußte, war nicht sicher. Aber es darf angenommen werden, daß sie unterrichtet war und daß auch sie es vermied, es zu einem Skandal kommen zu lassen. Bei einer Scheidung in ihrem Alter kam nicht viel heraus für sie. Sie konnte eine hohe Rente herausklagen. Gewiß. Aber ihre gesellschaftliche Stellung war höher an der Seite des Mr. Collins als ohne ihn. So tat sie, als ob sie nichts wisse. Und wenn ihr eine Freundin es direkt zu melden wagte, so sagte sie: „Geschwätz, nichts als Geschwätz. Ich kenne ihn besser. Er hat sein Vergnügen und ein wenig Zerstreuung mit ihr, das ist alles. Ich gönne es ihm. Er hat schwer zu arbeiten. Haben Sie die neuen Modelle gesehen bei Boiret & Martin? Ich kaufe morgen vier davon.“ 8 Betty stand noch dicht bei der Tür. Sie wartete oder schien zu warten auf das erste schüchterne Zeichen des Erwachens aller Anwesenden, die von ihrem Donnerschlag betäubt worden waren. Mr. Collins hatte heute nicht den Vorsitz in der Conference. Er hatte den Vorsitz dem zweiten Vizepräsidenten übertragen, um für sich selbst freier zu sein in der Behandlung der zu beratenden Gegenstände. Er stand gerade, hatte ein Blatt in der Hand, von dem er soeben etwas vorgelesen zu haben schien, in dem Augenblick, als der Donnerschlag erfolgte. Die Herren alle standen auf in der Gegenwart der Dame. Sie rückten an ihren Stühlen, sei es, um besser stehen zu können, oder sei es, weil sie willens zu sein schienen, Betty einen Stuhl anzubieten, obgleich genügend leere Stühle im Raum waren. Die erste Privatsekretärin des Mr. Collins, die der Conference beiwohnte, um Diktate aufzunehmen, sah auf zu Mr. Collins. Er bewegte die Augenlider ein wenig, und die Sekretärin stand auf. Sie stand nicht eigentlich auf, sondern sie schlich wie eine Schlange von ihrem Stuhle herunter und wurmte sich still, unauffällig und völlig geräuschlos aus dem Raume, als hätte sie etwas verbrochen. Ihr Hinausgehen wurde von niemand bemerkt. Einige der Herren kannten Betty, oder richtiger Miß Betty Cuttens, recht gut. Jene Herren, begleitet von ihren Freundinnen, hatten sich zufällig einmal im gleichen Kabarett mit Mr. Collins getroffen, als er mit Betty dort war, um einen vergnügten Abend zu verbringen. So geschah es, daß jene Herren gemeinschaftlichen Tisch mit Mr. Collins machten; und es ergab sich dann ganz von selbst, daß jeder einzelne jener Herren einmal oder zweimal an jenem Abend mit Betty tanzte, während Mr. Collins, in höflicher Wiedervergeltung, der Reihe nach mit den Freundinnen jener Herren in dem kleinen, aber sehr eleganten Saal herumfegte. Mr. Collins war ein guter Tänzer, wohlgeübt und ausdauernd. Und er machte von seiner Fähigkeit, gut und ausdauernd tanzen zu können, reichlich Gebrauch, weil er meinte – und wohl mit gutem Recht so meinte –, daß Tanzen den Körper geschmeidig und damit jung erhält. Auf dem amerikanischen Kontinent sind die Männer viel weniger als in Europa darum besorgt, daß sie ihre Würde verlieren möchten, wenn sie tanzen, wo immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Hier können die Männer gar nicht so leicht ihre Würde verlieren, wie das in Europa geschehen kann; denn ihre Würde wurzelt nicht in einem Autoritätsglauben jener, die durch die Würde eines Präsidenten einer gigantischen Schiffahrts-Gesellschaft klein und demütig gemacht werden sollen, sondern die Würde wurzelt vielmehr in dem wirklichen, rein praktischen Können des Mannes. Es ist eine Würde, die theoretisch und dem Glauben nach, von jedem beliebigen anderen Manne auch erworben werden kann, falls er die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, zu seinen Gunsten ausnutzt. Und weil die Würde, selbst die Würde des Präsidenten der Republik, in demokratischen Gefühlen wurzelt, kann jene Würde nicht verlorengehen dadurch, daß sich ein Mann in seinem Privatleben und in seinen Vergnügungen durchaus demokratisch benimmt. Wenn er Gefallen daran findet, fährt er auf der Rutschbahn in Coney Island genau so würdelos, genau so kreischend und johlend wie der Maurer oder der Kesselschmied, der mit ihm im gleichen Wagen der Rutschbahn sitzt. Daß er Generalpostmeister oder Staatssekretär des Krieges oder Präsident der Missouri Railroad Company ist, kommt für ihn nur dann in Frage, wenn er in seinem Allerheiligsten, in seinem Büro, sitzt. Wenn einer wirklich den Würdefanatiker zu schauspielern versucht, so darf man ganz sicher sein, daß er entweder ein schwaches Herz hat oder chronische Verdauungsbeschwerden oder eine verrostete Leber. Mr. Collins jedenfalls war gesund genug, seine Präsidentschaft in ein Schubfach seines Schreibtisches einzukapseln, wenn er sich demokratisch vergnügen wollte. Betty wurde von den Freunden und Geschäftsbekannten des Mr. Collins durchaus so respektiert als wäre sie seine Frau. Die Herren wußten stets, ob sie sich mit der Dame, die einer ihrer Freunde bei sich hatte, vertraulich zeigen und sie gelegentlich umarmen oder küssen durften oder nicht. Weder mit Flossy noch mit Betty durften sie sich irgendwelche Vertraulichkeiten herausnehmen, so wenig wie sie es je mit Mrs. Collins gewagt haben würden. Dagegen durfte man wohl in Gegenwart von Betty – oder Flossy – Witze erzählen, die man in Anwesenheit von Mrs. Collins nicht einmal hätte andeuten dürfen. Womit freilich nicht gesagt sein soll, daß nicht Mrs. Collins kräftige Witze ebenso gern hörte wie irgendeine andere Frau, die, um ihre Anständigkeit zu beweisen, die Verpflichtung hat, an der passenden Stelle des Witzes zu erröten; jedoch keine Verpflichtung hat, zu erröten, wenn sie den Witz an ihre Freundinnen weiter gibt. In Gegenwart von Betty durfte man sich aber, um doch einen Unterschied machen zu können, viel freier, lustiger und vergnügter betragen als in Gegenwart der Ehefrau. Man durfte die Champagnerflaschen, die der Prohibition wegen und um den äußeren Anschein zu wahren, unter dem Tisch zu stehen hatten, unbekümmert hervornehmen und offen zugeben, daß es wirklicher Champagner sei und kein Canadian Ginger Ale, jenes harmlos sein sollende Giftprodukt als Ersatz für die allein wirkliche und echte Ware. Die Champagnerflaschen und die Whiskyflaschen und Benediktinerkrüge standen der Vorsicht wegen unter dem Tisch. Denn wenn ein Raid von den Agenten der Prohibition gemacht werden sollte, so konnte jeder einzelne den Besitz jener Champagnerflaschen abschwören; denn niemand ist verantwortlich für das, was ohne sein Wissen unter den Tischen steht und dort sicher schon stand, ehe er den Saal betrat, und was offenbar frühere Gäste, die ohne Moral, ohne Religion und ohne Achtung vor dem Gesetze waren, dort unter dem Tisch zurückgelassen hatten. Der Champagner wurde in Kristallgläsern serviert, weil ja offiziell angenommen wurde, daß es Canadian Ginger Ale sei. Der Whisky jedoch und der Martini Dry wurden in Mokkatassen serviert, mit Zuckerdose und Creamkännchen, als wäre es wirklich Mokka. Wer in den Saal trat und die Tische übersah, gewann den Eindruck, daß er sich bei dem unschuldigen Tanzvergnügen eines Temperenzler-Stiftungsfestes befände. Sollte wirklich von Agenten der Prohibition geraidet werden, weil sie vom Wirt nicht genügend hoch mit Dollars besänftigt worden waren, oder weil das Department einen neuen eifrigen Chef bekommen hatte, der nach Lorbeer haschte, dessen Preis in Dollars noch nicht entschieden war, oder weil die Agenten doch gelegentlich wieder einmal eine „Nasse Hölle“ ausheben mußten, um dem guten Bürger zu zeigen, wie ernst man die Gesetze der Prohibition behandele und wie nötig es sei, das Budget für die Überwachung der Prohibition zu erhöhen – und damit das Einkommen des Departments-Chefs –, sollte also wirklich ein unerwarteter Raid erfolgen, dann wurden alle Mokkatassen mit einem Ruck leer getrunken und schwarzer Kaffee, der für diesen Zweck auf den Tischen bereit stand, in die Tassen gefüllt, um den Geruch des Whiskys zu vernichten. Kein neugeborenes Lämmchen konnte unschuldiger sein als die Leutchen, die hier versammelt waren, um sich nach der aufreibenden Tagesarbeit harmlos und innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu vergnügen. Wer betrunken gefunden wurde, hatte sich irgendwo anders betrunken und war bereits betrunken, ehe er das Haus betrat, und der Wirt hatte sich vergeblich bemüht, wie wohl bezeugt werden konnte, den Mann oder das Paar in Ruhe abzuschieben. Ohne großen Skandal heraufzubeschwören, wäre das aber nicht gelungen, und darum hatte der Wirt endlich dem Manne oder dem Pärchen gestattet, hierzubleiben, falls sie sich anständig benahmen. Man konnte ja nicht den Wirt dafür verantwortlich machen, was jenes Paar in einem andern Lokal getrunken und sonst verübt hatte. Betty war good sport, das will sagen, sie machte alles mit und sie verdarb niemand sein Vergnügen oder seine gute Laune. In ihrem Beisein durften die Herren unbekümmert ihre Freundinnen am Tisch küssen, und sorglos durfte man zugeben, daß man schon ein wenig tipsy-topsy sei, daß man also bereits einen kleinen Spencer weg habe. Jeder einzelne der Herren wußte aber auch, wie weit man in Gegenwart Bettys gehen durfte. Jedoch, wenn Mr. Collins mit einem der neuaufgenommenen Chormädchen erschien, ging es bei weitem wilder zu. Und es kam oft genug sehr nahe bis zu jenem Punkte, wo man nicht mehr genau unterscheiden konnte, wer die Freundin wessen ist. Es konnte natürlich mit der Zeit recht wohl der Fall eintreten, daß auch eins der Chormädchen respektiert werden mußte, beinahe wie die Frau. Vorläufig aber hatte sich noch keine der beiden Chordamen des Mr. Collins so weit hinaufschwingen können. Sie standen beide noch im Wartesaal, und es war noch nicht zu erraten, welche von den beiden im Luxuszug weiterreisen würde. Vielleicht kam keine der beiden je so weit. 9 Alle Herren des Aufsichtsrates, die hier jetzt im Allerheiligsten versammelt waren, hatten von Betty gehört. Und als sie hereingedonnert kam, wußte jeder, auch wer sie persönlich nicht kannte, daß diese Dame Betty sei. Denn die Frau des Präsidenten würde das nicht gewagt haben, was Betty getan hatte. Die Frau würde draußen in einem besonderen Zimmer gewartet haben, bis ihr Gatte eine Minute Zeit für sie gehabt haben würde. Und alle Herren, ohne Ausnahme, die jetzt zum ersten Male die viel besprochene Fürstin persönlich sahen, waren erschreckt. Unter einer Fürstin hatten sie sich immer sehr viel vorgestellt. Wenn von der Freundin eines Magnaten gesprochen wurde, daß sie fürstlich aussehe, so hatte man sofort seine bestimmten Ideen. Ideen und Vorstellungen, die durch den Film gebildet wurden. Durch den Film, wo eine ehemalige Verkäuferin in einem Krawattenladen so lange aufgezaubert, aufgepinselt, aufgediademt, aufgeglittert, aufgeglasperlt, aufgeatlast und aufgeseidet wird, bis sie das Fürstinnenbedürfnis der Stenotypistinnen und der Lohnlistenschreiber befriedigt. Aber was die Herren hier jetzt sahen, war keine Florence-Vidor-Film-Puppe und keine entthronte Schafhirten-Königin aus dem mythischen Balkanstaate Limonia-Silvania nach dem snickernden Stile einer Gloria Swanson. Denn was die Herren hier vor sich sahen, war hundertmal mehr, als sie je gedacht hatten, zu sehen. Sie sahen keine Fürstin; sie sahen eine – ja, was denn nun –, nein, eine Kaiserin war das nicht. Denn auch Kaiserinnen sind altmodisch und bäuerisch. Das war auch keine Filmkönigin im Straßenanzug. Den Filmköniginnen haftete immer unausbleiblich und unverwischbar der Geruch des Büros an oder der Kartonfabrik oder des Warenhauses, aus denen sie hervorgegangen waren. Betty haftete kein Geruch an aus ihrer Versuchszeit als Lehrerin und als Zeitungssekretärin. Vielleicht weil sie niemals wirklich in ihrem Gefühl Lehrerin oder Sekretärin gewesen war. Betty war zur Fürstin geboren, und sie war nie etwas anderes gewesen als Fürstin. Daß sie jetzt einen Satz in Slang hinausgefeuert hatte, erniedrigte sie nicht, sondern bestätigte sie nur in ihrem Range als Fürstin. So hat eine Fürstin mit ihren Untertanen umzuspringen. Mit den Untertanen, die den Zorn und den Unwillen ihrer Fürstin heraufbeschworen haben. So und nicht anders. Und die Untertanen haben alle stille zu sein und dürfen nicht mucksen, sonst werden sie alle gehenkt. Das Gefühl, daß sie von dieser Fürstin zum Tode verurteilt werden könnten, hatten alle die Herren, die jetzt Betty zum ersten Male sahen. Und selbst jene Herren, die mit ihr am gleichen Tische gesessen und sogar mit ihr getanzt hatten, fühlten sich merkwürdig klein werden. Nun darf ja in den Vereinigten Staaten eine Frau immer viel mehr tun und viel mehr wagen, als ein Mann auch nur zu denken sich erlauben dürfte. Die Staaten sind das Paradies der Frau. Die Frau kommandiert. Sie herrscht in der Schule schon, weil es keine männlichen Lehrer gibt. Sie herrscht natürlich erst recht im Haus. Sie herrscht in der Politik. Sie darf sich überall vordrängen, überall mit dem Ellbogen die Männer beiseitestoßen; und wehe dem armen Manne, der sie daran hindern oder zur Rede stellen wollte. Sie ist die freieste der Frauen in der freiesten Republik des Universums. Sie ist die freieste, solange sie gut gekleidet ist, solange sie nicht in einer Arbeiterprozession die rote Fahne trägt, solange sie nicht streikende Textilarbeiterin ist, solange sie nicht keift und geifert, weil ihr Mann als streikender Minenarbeiter von den Maschinengewehren der Miliz erschossen wurde, solange sie nicht pazifistische Propaganda macht. Sobald sie das tut, wird sie mit dem Knüttel des Polizisten genau so gut auf den Schädel geschlagen wie der Mann. So weit kann die Freiheit selbst in der freiesten Republik nicht gehen. Eine Grenze muß doch schließlich auch Freiheit haben, sonst wüßte man ja nicht, wo die Freiheit anfängt und was Freiheit überhaupt ist. Wäre sie nur eine Arbeiterin gewesen, die hier einmal beim Aufsichtsrat hätte persönlich anfragen wollen, warum sie denn mit einem Wochenlohn von vierzehn Dollar zu leben habe, während die Company Millionen Dollar Überschüsse im Jahre habe, so hätte sie auch nicht so hier hereindonnern dürfen wie Betty. Hätte sie das nur gewagt als Arbeiterin, so würde sie sechzig Tage Arbeitshaus oder Korrektionshaus bekommen haben wegen ungehörigen Benehmens und wegen Trunkenheit, auch wenn sie ebensowenig betrunken war wie Betty, sondern überhaupt nie etwas trank, weil sie keine zehn Dollar für eine Flasche Whisky ausgeben konnte. Betty durfte aber tun, was sie wollte. Denn sie war eine Frau in der freiesten Republik, wo die Frauen nicht gleich Sklaven behandelt werden, wie das noch in Europa vorkommt und in Asien. Denn Betty war hier im Recht. Sie mußte ihre Garage haben und das dazugehörige Wohnhaus, den dazugehörigen Gärtner, der auch das Automobil zu waschen hatte und alle vorkommenden Handwerkerarbeiten im Hause verrichten mußte. Und wenn das Haus schon zur Garage gehörte und der Gärtner zum Haus und zum eleganten Automobil, so gehörte auch ein chinesisches oder ein französisches Kammermädchen dazu, um Betty in persönlichen Dingen behilflich zu sein, damit sie nicht ihr Bett selbst ordnen, ihr Bad selbst anlassen und ihre seidenen Strümpfe selbst auswaschen muß. Mr. Collins wollte doch auch gelegentlich bei ihr essen, und so gehörte auch eine schwarze oder eine irische oder eine schwedische Köchin zu der gut ausgestatteten Küche, wo nichts fehlen durfte und wo das Geschirr mit elektrisch betriebener Maschine gewaschen wurde und wo nur elektrisch gekocht werden sollte, um Arbeit zu sparen und keinen Staub zu haben. 10 Als die Herren der Conference hörten, um was es sich handelte, verstanden sie Betty durchaus, warum sie hier dröhnend einbrechen mußte. Sie war sicher nicht schuld, daß die heilige Conference mit so profanen Dingen gestört wurde. Der Schuldige war Mr. Collins. Wie durfte er es wagen, der Fürstin Betty etwas zu verweigern. Er bewies damit nur, daß er von sehr weit unten heraufgekommen sein mußte und daß er den Geruch von Corned Beef and Cabbage noch nicht völlig abgebadet hatte. So war Betty in jeder Hinsicht gerechtfertigt. Die Herren, die sich inzwischen von dem Donnerschlage so weit erholt hatten, daß sie Betty nicht nur verstanden, ihr wildes Eindringen nicht nur vollkommen entschuldigten, ihr sogar zubilligten, daß es ihre Pflicht war, hier dem Collins mit Fäusten auf die Schultern und auf die Brust zu trommeln, waren von ihren Stühlen mehr und mehr fortgegangen, um Betty aus größter Nähe zu betrachten und sie in Gedanken auszukleiden. Dabei wuchs Mr. Collins in der Achtung der Mitglieder des Aufsichtsrates mehr und mehr; und in den Augen der Herren, die Betty jetzt zum ersten Male sahen, nahm Mr. Collins eine überirdische Größe an. War er bisher schon sehr mächtig in der Company gewesen, so wurde er jetzt nach diesem Vorgange übermächtig, und seine Stellung wurde unerschütterlich. 4 1 Mr. Chaney Collins war ja nun in keinem Sinne ein Angestellter der Condor Oil Co. So war das nicht. Er war Präsident der Company, aber nicht ein Präsident in der Form eines Beamten. Er war Präsident, weil er die Company gegründet hatte und weil er einer der Hauptaktionäre war. Dennoch konnte er seine Stellung als Präsident verlieren. Wenn er in einen Skandal verwickelt wurde, so sehr, daß er im Mittelpunkt des Skandals stand, dann mußte er zurücktreten, weil ein Skandal ihres Präsidenten das Ansehen einer Company erschüttern kann und ihre Geschäfte leiden. Der Öffentlichkeit gegenüber muß der Präsident makellos dastehen. Er muß ein Muster an Ehrbarkeit und Sittenreinheit sein, sowohl der guten Bürger wegen, die ihr Geld in den Geschäften der Company anlegen sollen, als auch und ganz besonders der Kommunisten und ähnlicher Nörgler und Staatsumstürzler wegen. Die billigen Agitatoren, denen die Fähigkeit fehlt, den Kapitalismus und das kapitalistische System in ihren Grundproblemen zu begreifen und von den Grundproblemen aus anzugreifen, verfallen immer zu leicht in die Torheit, das Privatleben kapitalistischer Giganten zu untersuchen und am Privatleben der Großen des Kapitals zu beweisen, wie verrottet und wie zusammenbrechend das kapitalistische System sei. Die Proletarier erfreuen sich an Klatsch und an Bettgeschichten anderer ebensosehr wie die Mittelschicht des Volkes, wie die guten Bürger, die, weil sie selbst zu ängstlich und zu knickerig sind, einen guten saftigen Skandal zu inszenieren, ihre Neigung für Sauerei ausleben in der Sauerei anderer, ob die anderen Großkapitalisten, Bischöfe oder Monarchen sind. Und der Agitator ist, wenn er Skandalgeschichten auftischen kann, des Beifallklatschens seiner Zuhörer sicherer, als wenn er von Problemen spricht und Systeme zergliedert. Um aber den Proletarier nicht zur Genußsucht zu verleiten und ihn dadurch aufzustacheln, immer wieder höhere und noch höhere Löhne zu verlangen und Mitrechte an dem zu fordern, was er produziert, muß der Glaube in der Öffentlichkeit aufrechterhalten werden, daß der Großkapitalist, der sich nach Meinung der Agitatoren vom Schweiße der Proletarier sättigt, ein Muster an Sittenstrenge, an Sparsamkeit und an Achtung vor dem Gesetz ist. So kann ein peinlicher Skandal einen großen Mann zu Falle bringen, weil die übrigen Großen, um sich zu decken und ihre Macht zu erhalten und zu vermehren, den Mann fallen lassen müssen, um öffentlich kund zu tun, daß sie keine Gemeinschaft mit ihm haben und daß sie nicht sind, wie jener ist. Wäre Mr. Collins in einen Skandal verwickelt worden, so konnte er nicht mehr Präsident sein. Aber er wäre dennoch ein mächtiger Mann in der Company geblieben, und er hätte, im Hintergrunde arbeitend, vielleicht mehr tun können für die Company als vorher. Aber die Company hätte dennoch gelitten. Denn einen so mächtigen und befähigten Mann wie Mr. Collins als Präsidenten zu verlieren, überwindet eine Company nicht leicht. Durch seine Persönlichkeit und durch die majestätische Hoheit, die ihm Betty als seine Geliebte verlieh, konnte er Erfolge für die Company erzielen, die für jeden andern Präsidenten unerreichbar waren. Er konnte den Bau von Straßen durchsetzen, die für die Geschäfte der Company nützlich waren, weil sie eine rasche Verbindung zu ihren Ölfeldern schufen, Straßen, die nur der Company dienten und die deshalb die Company hätte bauen lassen müssen, die aber nun der Staat baute. Denn Staatsgouverneure, Kongreßmitglieder, Bürgermeister, Stadtväter mußten tun, was er bestimmte. Taten sie es nicht, so konnten sie nicht mehr sein, was sie augenblicklich waren. Er machte die Politik, ohne daß er sich je um Politik bekümmerte. Die Politiker, die berufsmäßig sich mit Politik beschäftigten, wußten nie, daß sie genau das taten, was Mr. Collins wollte, das sie tun sollten. Die Mehrzahl dieser Politiker bildete sich ein, freie und unabhängige Politiker zu sein, die dem Interesse des Gemeinwohls dienten. Viele von ihnen waren, vor ihrem eigenen Gewissen, durchaus anständige und durchaus ehrenhafte Männer. Wie man Politik macht, ohne daß die Politiker fühlen, daß sie nicht frei handeln, sondern daß sie von einer irdischen Gottheit in ihrem Willen, ihren Gedanken, ihren Reden und ihren Handlungen geleitet werden, das hatte Mr. Collins frühzeitig in seinem Leben gelernt. Er war der Schöpfer dieser Idee gewesen. Und er war auf die Idee verfallen, als er mit seiner genialen Auffassungsgabe und Beobachtungsfähigkeit die wahre Geschichte eines großen Bauarbeiterstreiks in Chicago erfaßt hatte. 2 Mr. Collins stammte aus Harrisburg, Pa. Sein Vater hatte dort einen Grocery Store, einen Laden für Kolonialwaren, Konserven und Delikatessen. Nicht sehr bedeutend. Jahreseinkommen dreitausend Dollar. Mr. Chaney Collins mußte sich durch das College durcharbeiten und durchhungern. Sein Vater gab ihm nur einen Scheck von vierzig Dollar im Monat, und es kam vor, daß der Scheck mehrere Male auf dreißig Dollar herabgesetzt wurde. Nachdem Mr. Collins das College verlassen hatte, ohne sich ausgezeichnet und ohne ein besonderes Examen gemacht zu haben, bekam er eine Anstellung in einer Bank durch die Vermittlung eines Konservenfabrikanten, der dem alten Collins Waren verkaufte und sich die Freundschaft und damit das Geschäft des alten Collins erhalten wollte. Mr. Collins begann in der Bank mit sechzehn Dollar in der Woche. Nach einem Jahr hatte er es auf achtzehn Dollar gebracht. Er wechselte über zu einer Versicherungsgesellschaft, wo er mit zweiundzwanzig Dollar die Woche begann und nach drei Jahren Arbeit vierzig Dollar erhielt. Nun gelangte er in ein Inseratengeschäft. Er begann mit vierzig Dollar die Woche und brachte es nach vier Jahren auf hundert Dollar wöchentlich. Ein ganz unerhört hoher Lohn, den er sich erwarb, weil er einige gute Ideen und Vorschläge für die Propaganda einer Zahnbürste, eines Gesichtscreams, eines elektrischen Brotrösters, einer neuen Zigarette, einer Messingputzpomade, eines zusammenlegbaren Tragstuhles für kleine Kinder und einer neu erfundenen Bedachung, die aus einer Mischung von Zement und Teer bestand, ausarbeitete. Seine Firma erzielte aus seinen Ideen einen Reingewinn von vierzigtausend Dollar. Als er das eines Tages aus den Büchern erfuhr, brach endlich der Weisheitszahn bei ihm durch. Er erkannte, daß er bisher ein Esel gewesen sei. So beschloß er, nun mit dem Weisheitszahn versehen, für sich selbst anzufangen. Als er erklärte, daß er die Firma verlassen wollte, bot man ihm hundertfünfzig Dollar die Woche an, endlich hundertachtzig und zuletzt zweihundert Dollar und fünf Prozent Gewinnanteil von dem Verkauf seiner Pläne, die er in Zukunft haben würde. Er lehnte das alles ab, weil er sich von nun an nicht mehr um Kleinigkeiten bekümmern wollte. 3 Seine Beschäftigung mit dem Ausarbeiten von Inseratenplänen für die neue Hausbedachung hatte ihn in Verbindung mit dem Hausbau gebracht, und sie brachte ihn in Verkehr mit Hausbauspekulanten. Er dachte selbst daran, sich mit Grundstücken und Häuserbau zu befassen. Aber da kam der große Bauarbeiterstreik in Chicago. Rein zufällig erfuhr er von einem der Spekulanten, der angetrunken war und prahlte, wie smart er sei und wie er allen Hammeln Ringe durch die Nase gezogen habe, die wahre Geschichte jenes Streikes. Es waren da zwei Magnaten in Real Estate, in Grundstück- und Häuserspekulation, die beide um die Vorherrschaft kämpften. Denn wer die Vorherrschaft hatte, der machte die Politik in Chicago. Und wer die Politik machte, der ordnete an, wo Straßenbahnen angelegt werden sollten und wo nicht, wo Eisenbahnhöfe erbaut werden dürften und wo es verboten wurde im Interesse der Einwohnerschaft, wo die Stadt ein Hospital zu errichten hatte und wo die Gegend der Genesung von Kranken ungünstig war. Wer die Macht hatte, wußte Jahre hindurch im voraus, wo eine Straßenbahn hinkam. So konnte er Land billig aufkaufen von denen, die nicht wußten, daß eine Straßenbahn beabsichtigt war, und konnte es mit fünftausend Prozent Gewinn verkaufen, sobald die Bahn gelegt wurde. So mit Bahnhöfen, so mit Hospitälern, so mit Schlachthäusern, so mit Schulhäusern, so mit Mietkasernen, so mit allem, das von Bauland abhing. Beide Magnaten hatten zu gleicher Zeit mehrere Blocks an Häusern, Wohnhäusern, Bürohäusern, Läden, unter Konstruktion. Ein Objekt, das in die vielen Millionen von Dollar ging. Wer mit seinem Bauprogramm am ersten fertig war, hatte gewonnen. Er konnte alle Mietverträge, die bereits gezeichnet waren, auf den Tag einhalten, während der, der nicht zu dem gesetzten Termin fertig war, an die Hauskäufer und Mieter hohe Konventionalstrafen zu zahlen hatte. Wer zuerst fertig war, bekam alle Mieter, die auf Häuser warteten, und wer zuletzt fertig war, konnte seine Häuser vielleicht monatelang leer stehen haben. Niemand kaufte sie, weil der Bedarf an leeren Wohnungen, Läden und Büros gedeckt war für die nächsten Monate. So ging der Magnat, der am meisten Geld dafür ausgeben wollte und zuerst die Idee hatte, zur Bauarbeiterunion und kaufte den Sekretär für zehntausend Dollar. Unter dem erlauchten Einfluß des großen unvergeßlichen Arbeiterführers Samuel Gompers, der einst die Ehre hatte, unter den arbeitsamen und anständigen Proletariern des Gettos in Amsterdam geboren zu werden, war das Führen einer Arbeiterunion genau so gut ein Geschäft wie die Massenanfertigung von fertig gelöteten Herrenanzügen oder schlecht abgesäumten Frauenhemden. Ein Unionführer dieser Art, der bei seinem Tode nicht ein Bankguthaben von einigen hunderttausend Dollar seinen verschiedenen weinenden Witwen und Waisen hinterlassen konnte, hatte seinen Beruf nicht verstanden, sondern war ein Dummkopf gewesen, der aus dem Gefängnis nur herauskam, um am nächsten Tage wieder hineinzukommen, weil er glaubte, eine Arbeiterunion habe etwas mit Sozialismus zu tun. Der gekaufte Sekretär fand nun heraus, daß eine Arbeitszeit von zehn Stunden zu lang und ein Tagelohn von sieben Dollar zu niedrig sei und daß nun, inmitten dieser regen Bautätigkeit, endlich die Stunde gekommen sei, das durchzusetzen, wofür einige Jahre vorher die Anarchisten in Chicago gehenkt worden waren. Um das mit Erfolg durchzusetzen, dürfe man aber nicht, wie der Sekretär den einberufenen Versammlungen von Bauarbeitern erzählte, überall zugleich streiken, sondern man müsse erst den einen Magnaten zu Tode streiken und dann den andern. Dann habe man beide überwunden, und die Bauarbeiter seien dann endlich die Herren von Chicago. Er wußte das alles gut und schön klarzumachen, und die Bauarbeiter glaubten ihm alles, denn er war ja ihr Sekretär. Der Magnat, der zuerst bestreikt werden sollte, war der Gegner jenes Magnaten, der die zehntausend Dollar an den Sekretär bezahlt hatte. Der Streik brach aus. Er wurde mit aller Wut und allem Haß geführt, der nur aufgebracht werden kann von Arbeitern, die statt ihre sieben Dollar Tagelohn jetzt nur die magere Streikunterstützung bekommen. Es gab viel Schlägereien mit Streikbrechern, es wurden Streikende und Streikbrecher erstochen, es wurde von Polizei in erregte Massen geschossen, und es gab viel Gefängnis. Endlich war der Magnat, der den Sekretär gekauft hatte, mit seinem Bauprogramm fertig, und der Magnat, der nicht fertig war infolge des Streiks, verlor sein Vermögen und war ausgeschaltet aus dem Wettrennen um die Vorherrschaft im Real Estate in Chicago. Die Arbeiter redeten sich halb zu Tode in ihren Versammlungen über die Stärke des Unternehmertums und die unüberwindliche Macht des Kapitalismus und rackerten mit vereinten Kräften, ihre Organisation zu stärken und auch den letzten unorganisierten Mann heranzuschaffen, denn nur eine starke Organisation war vonnöten, um den Kapitalismus zu zerschmettern oder wenigstens einen auskömmlichen Tagelohn zu erhalten, wenn man die sozialistische Weltordnung denn doch nicht so bald erblicken sollte. Die Kenntnis der wahren Geschichte dieses Streiks schuf die Grundlage der Macht des Mr. Collins. 4 Mr. Collins erinnerte sich eines Mitschülers aus seiner Collegezeit, dessen Vater Vizepräsident einer der größten Anthracite Companien in Pennsylvania war. Durch diesen Schulfreund gelang es ihm, eine Unterredung mit dem Vizepräsidenten bewilligt zu erhalten. Nachdem der Vizepräsident den Plan, den ihm Mr. Collins unterbreitete, erfaßt hatte, wurde Collins eingeladen, einer besonderen Conference des Direktoriums der Company beizuwohnen und dort seinen Plan ausführlich noch einmal vorzubringen. Der Plan des Mr. Collins war so geschickt, daß Collins, obgleich er nur ein Niemand war, um seine Idee nicht betrogen werden konnte. Denn versuchte die Company, den Plan auszuführen, ohne sich mit Mr. Collins vorher über den Preis verständigt zu haben, so brauchte Mr. Collins nur zu einer Zeitung gehen, und der Plan war vereitelt. Es gab immer eine Zeitung, die, um eine große Sensation für sich allein zu haben, das bevorstehende Manöver der großen Kohlen-Company veröffentlicht und Mr. Collins sogar dafür bezahlt hätte. Das erkannte das Direktorium sofort, und darum begann man, mit Mr. Collins in ernsthafte Unterhandlungen einzutreten. Mr. Collins forderte acht Prozent vom Reinertrag des Manövers. Man einigte sich endlich auf fünf Prozent, die zu einem Zehntel in bar und zu neun Zehnteln in Aktien der Company bezahlt werden sollten. Ferner wurde Mr. Collins als Mitglied in den Aufsichtsrat aufgenommen und für die Dauer des Manövers zum Privatsekretär des Präsidenten ernannt mit einem Monatsgehalt von dreitausend Dollar. Praktisch hatte er wenig zu tun; denn für die laufenden Geschäfte blieb die erste Privatsekretärin im Dienst. Er hatte nur immer zur Hand zu sein, um seinen Rat bei allen Truppenverschiebungen, die nötig sein sollten, abzugeben. Er war damals noch nicht dreißig Jahre alt. 5 Das Manöver begann. Es zeigte sich, daß das Manöver sich genau so abwickelte, wie Mr. Collins geplant und wie er vorausgesehen hatte. Der Haupttrick bestand darin, daß kein Wort vorzeitig laut wurde. Die Company ließ in allen ihren Minen mit Überdruck arbeiten. Überstunden und Überstunden. Es gab reichliche Prämien an die Minenarbeiter für Hochleistungen. Tausende von neuen Arbeitern wurden aus Europa herangeschleppt. Alle Lager wurden mit Anthrazitkohle aufgefüllt bis zur Grenze. Große Plätze wurden gemietet, um die geförderte Kohle aufzunehmen und aufzuspeichern. Neue Kunden wurden nicht angenommen. Es wurden nur die laufenden Verträge mit den Eisenbahnen und Schiffsgesellschaften und Großkohlenhändlern eingehalten, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Die Aktion wurde nach den Ratschlägen des Mr. Collins so geschickt geleitet, ging so ruhig und unauffällig vor sich, daß keine andere Company auch nur auf den Gedanken kam, daß hier einer der gewaltigsten Schläge vorbereitet wurde, die in den Staaten je erlebt worden waren. Denn das Manöver vollzog sich in jener ruhigen und satten Periode, die schweren Wirtschaftskrisen voranzugehen pflegt. Jener satten Periode, in der man nicht zu unsinnig wagt, weil der normale Verlauf der Geschäfte genügend Gewinn einträgt und ein zu übermütiges Spekulieren nur zu einer Unsicherheit führt, die einem augenblicklich unwillkommen ist. Man hält sich an die fetten Aufträge, die man selbst hat, und man kümmert sich nicht so viel darum, was andere tun, weil man nun, wo man genug Aufträge hat, auch einmal vornehm tun darf und sich erlauben kann, auch andern etwas zu gönnen. Und eines Tages, nachdem mehrere Monate lang alles vorbereitet worden war, wurde der große Schlag geführt. Der Schlag begann nicht als Schlag, sondern er begann ganz ruhig als ein Vortasten, als ein leises Streicheln. Die Anthracite-Company verkündete allen ihren Arbeitern, daß von Freitag nächster Woche ab alle Kontraktlöhne um fünfundzwanzig Prozent und alle Tagelöhne um fünfzehn Prozent gekürzt würden. Die Company arbeitete nach einem neuen System. Sie kaufte nicht Unionssekretäre. Das brauchte sie gar nicht. Der Erfolg war viel größer ohne die Mitwirkung von Unionssekretären, die vielleicht das Manöver vermanscht hätten. Außerdem sind die Sekretäre der Minenarbeiter unzuverlässig. Sie halten meist zu den Arbeitern, und sie sind ehrliche Kameraden. Sie stehen auf ihrer Soap Box, ihrer Seifenkiste, und lassen sich nicht eher zum Schweigen bringen, als bis sie von den Agenten der Kohlenmagnaten mit Steinen so blutig geworfen sind, daß sie bewußtlos von ihren Kameraden fortgetragen werden müssen. Die Zehntausende von Arbeitern der Anthracite beriefen sofort Versammlungen ein, aber es kam nichts heraus. Sie glaubten immer noch genug zu verdienen, auch nach dem Abzug, mit dem Prämiensystem und wenn sie noch mehr rackerten und noch mehr Überstunden machten als bisher. Einige Herren des Direktoriums begannen schon unsicher zu werden. Mr. Collins jedoch blieb ganz ruhig. Er zeigte in dieser Lage zum ersten Male seine Begabung als ein Großer unter den Magnaten. „Wir beginnen ja erst, Gentlemen“, sagte er. „Nur jetzt nicht unruhig werden. Ich gebe Ihnen das Recht, mich zum Tode zu verurteilen, wenn es nicht glückt. Und ich will das Urteil selbst an mir vollstrecken und werde mich erschießen, wenn das Urteil gefällt ist. Aber stehen Sie.“ Man ließ ihn völlig frei handeln. 6 Eine Woche darauf wurde das Prämiensystem aufgehoben. Die zweite Woche darauf wurden alle Überstunden abgesagt, und die Arbeiter, die auf die Prämien, auf die Überstunden, auf die hohen Löhne inzwischen eingestellt waren, in Abzahlungsverpflichtungen eingegangen waren, kleine Grundstücke gekauft und Hausbauten begonnen hatten, ihre Kinder zum College geschickt hatten und so vieles mehr getan hatten, das sie jetzt zu erwürgen drohte, begannen verwirrt zu werden. Ein neues scharfes System wurde in den Minen eingeführt. Wer eine Minute zu spät an der Förderstelle eintraf, durfte den ganzen Tag nicht arbeiten, mußte aber im Schacht bleiben, weil für ihn kein Förderkorb da war. Er mußte warten, bis seine Schicht ausfuhr. Außerdem wurde ihm für die Minute, die er zu spät kam, ein halber Tagelohn abgezogen vom nächsten Tage, den er wieder arbeitete. Es geschah mehr. Die geförderte Kohle wurde schärfer untersucht. Wurden mehr als vier Steine gefunden, mehr als eine halbe Schaufel Staub oder Geriesel und fehlten mehr als fünf Pfund am Gewicht, dann wurde der ganze Wagen geförderter Kohle als Null gebucht. Die Miners bekamen ihn nicht bezahlt, aber die Company nahm ihn dennoch. Nun wurde die Gewerkschaft von den Arbeitern angerufen, um einzugreifen. Sie war schon beim Lohnabzug angerufen worden; aber nach langer Beratung beschlossen die Vertrauensleute, daß man erst einmal abwarten wolle, ob nicht nur ein Manöver der Company vorläge; denn nach den Berichten, die der Sekretär studiert hatte, war das Geschäft in Anthrazit glänzend. Die Vertreter der Gewerkschaft ersuchten um eine Conference mit dem Direktorium. Das Direktorium erklärte, daß es mit fremden Leuten, die in keiner der Minen der Company arbeiten, nicht verhandeln könne. Drei Tage später, als das System der Vernullung geförderter Kohle immer rücksichtsloser gehandhabt wurde, ersuchten die hierfür gewählten Vertrauensleute, die bei der Company arbeiteten, um eine Conference nach. Ihnen wurde die Conference bewilligt. Und gleich nach den ersten Worten wurde den Leuten gesagt, daß sie für den Verlust der Zeit, den sie durch die Conference hätten, voll entschädigt werden sollten. Das sei ganz natürlich. Das stimmte die Leute, die gekommen waren, um zu zeigen, wie erregt sie waren, friedlich, und sie, die sich vorgenommen hatten, sich wie hungrige Tiger in der Conference zu benehmen, wurden durch gute Zigarren, die man ihnen anbot, und durch höfliches Bitten, sich doch in die tiefen weichen Sessel zu setzen, so zahm, daß der Präsident seinen Kopf in die Rachen der Tiger stecken konnte, ohne befürchten zu müssen, daß er einen Zahn fühlen würde. Es wurde den Leuten klargemacht, es sei so viel Überschuß an Kohle vorhanden, daß man die Absicht habe, die Minen für eine gute Weile stillzulegen, und daß man nur die Pumpen und die Zimmerleute arbeiten lassen wolle. Man ging so weit, daß man den Leuten die Bücher der vorhandenen Lagerbestände vorlegte. Die Leute verstanden nicht, solche Bücher zu lesen, weil das mit Kredit und Debit, mit Soll und Haben ging und die Leute nicht wußten, auf welcher Seite der Bestand war und auf welcher Seite der Abgang. Aber sie blätterten in den Büchern herum und taten, als ob sie alles verstünden. Sie mußten endlich zugeben, daß Riesenbestände von unverkaufter Kohle vorhanden seien. Die Leute wurden während der Conference, in der sie selbst wenig redeten, immer mit Gentlemen angesprochen. Ohne daß sie es zugeben wollten, ohne daß sie es zugegeben hätten, würde man sie gefragt haben, so wurden sie dennoch durch diese höfliche Anrede beduselt. Sie hatten ein heimliches Gefühl, daß sie hier gleichfalls Aufsichtsratsmitglieder seien, die mitzubestimmen haben, über das, was nun mit den Minen geschehen soll. Als sie endlich wieder draußen waren, erkannten sie, daß sie um nichts klüger waren als vorher. Es wurde ihnen verteufelt schwer, am Nachmittag in der Versammlung einen Bericht zu geben, von dem, was sie geleistet hatten und was alles geredet worden war. Diejenigen unter den Zuhörern, die ganz genau das Gleiche geleistet haben würden, hätte man sie für die Conference gewählt, schrien erbost zu den Vertrauensleuten hinauf: „Ihr Hosenschieter, ihr lumpigen, ihr habt euch da wieder einmal gründlich verseifen und verzuckern lassen; da haben wir die richtigen schleichenden Katzenfüßer gewählt. Laßt euch in Teig einbacken und in den Backofen schieben.“ Einer schrie gellend hinauf: „Wieviel hat euch denn der lausige Hund bezahlt? Jetzt kannst du ja deinen Phonographen bezahlen, he, Billy, he?“ Darauf folgte Lachen im Saal. Am Mittwoch der folgenden Woche gab die Company bekannt, daß alle Angehörigen der Gewerkschaft mit Ende der Woche entlassen seien, daß nur die weiter arbeiten dürften, die ihre Unionsausweise auf dem Büro der Company abgeben würden und daß alle übrigen, die keine Ausweise abgeben, durch Unterschrift erklären sollen, daß sie nicht Mitglieder irgendeiner Gewerkschaft seien. Käme heraus, daß jemand seine Unterschrift gegeben habe und trotzdem Mitglied einer Gewerkschaft geblieben sei, so würde er sofort entlassen, ohne daß ihm sein stehender Lohn ausbezahlt würde und daß er mit seiner Familie innerhalb von achtundvierzig Stunden die Häuser und das Gelände der Company verlassen haben müsse. Wenn nicht, würde er wegen unberechtigten Betretens des Geländes der Company der Polizei übergeben. Samstag morgen brach der Streik aus auf allen Minen der Anthracite-Company. Es brach aus der Streik, den die Company brauchte, um den Gewinn des Manövers einzukassieren. Wie hier, so immer: Arbeiter streiken vielleicht selten, wenn es den Arbeitern günstig ist, sondern sie streiken meist, wenn es dem Kapitalismus günstig ist. Nicht aus Dummheit, sondern ehernen Gesetzen folgend. Was immer auch Arbeiter tun mögen, innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems werden sie das tun, was dem Kapitalismus dienlich ist, weil sie ein Teil des Kapitalismus sind, weil sie mit ihm, während der Herrschaft dieses Systems, verbunden sind auf Tod und Verderben, auf Leben und Untergang. Der Aktive leistet, der Inaktive leidet. Innerhalb dieses Systems ist der Kapitalist der Aktive. Er weiß, was er will. Er will Geld verdienen. Der Arbeiter will nur etwas abhaben. Er will es genau so machen wie der Kapitalist, er will mehr haben als sein Mitprolet. Wenn der Bäcker streikt und gewinnt, dann wird für den Schuster das Brot teurer, und dann muß der Bäcker mehr für die Stiefelsohlen bezahlen. Innerhalb dieses Systems dient alles dem Kapitalismus. Nicht weil die einen brutale Ausbeuter, die andern Hungernde und die übrigen Arbeiterverräter sind, sondern weil sie sich alle in derselben Maschine befinden. Mr. Chaney Collins kannte dieses Gesetz, und er nützte es zu seinen Gunsten. Das war seine ganze Weisheit. 7 Nun begann die Anthracite zu kassieren. Sie war die erste Company, die moderne Ideen von proletarischen Rechten und proletarischer Freiheitsbewegung zu Millionen von Dollar an Gewinn ausmünzte. Es ist seitdem so oft getan worden, daß es inzwischen zur Gewohnheit und zu einem anständigen Geschäftsgebaren geworden ist. Der Staat hat sich dieses Tricks bedient, als er eine Lousitania notzüchtigte, um zu offenbaren, daß seine Ehre zertrampelt worden sei und er nun nicht mehr anders könne, als Wall Street das Nerven-Allheilmittel zu bewilligen. Aber zur Zeit, als Mr. Collins dreißig Jahre alt war, da war dieses Geschäft noch unabgegriffen, und es hatte keine Konkurrenten. Darum hat auch seitdem nie wieder eine einzelne Company so viele Millionen einkassiert für diesen Trick als damals die Anthracite-Company. Der Streik bei der Anthracite hatte begonnen. Es waren ungefähr zwanzigtausend Minenarbeiter beteiligt. Die großen Zeitungen sandten Spezialreporter zu der Company, um dort alles das über den Streik und seine Geschichte zu erfahren, was die Zeitungsleser hätte interessieren können und was zur Sensation und damit zu fetten Zeitungsüberschriften sich aufzaubern ließ. Das Direktorium der Anthracite Co. bestimmte Mr. Collins auf seinen eigenen Wunsch, im Namen des Direktoriums den Hunger der Reporter nach aufregenden Geschichten zu befriedigen. Die Zeitungen erfolgreich zu behandeln, ohne daß die Zeitungen fühlten, daß sie für die Pläne der Anthracite gebraucht wurden, gehörte mit zu den Truppenbewegungen, die Mr. Collins sorgfältig, lange vorher, ausgedacht hatte. Den Reportern wurde erzählt, daß die Company übermäßig overstocked sei, daß also alle ihre Lager überfüllt seien. Der Verkauf von Kohle habe immer mehr und mehr nachgelassen. Die Company wüßte nicht, wohin mit der vielen überschüssigen Kohle, weil der Bedarf weit unter der Produktion stehe. Das wurde an Lagerbüchern und an Verkaufskontrakten, die man den Reportern vorlegte, alles bewiesen. Mr. Collins sagte, daß ein unerhörter Preissturz für Kohle bevorstünde. Aus diesem Grunde hatte man, als einzigen Ausweg, beschlossen, die Löhne zu kürzen, um den bevorstehenden Preissturz aushalten zu können. Die Arbeiter hätten jedoch die Notwendigkeit dieser Lohnkürzung nicht eingesehen, was man ja auch begreifen könnte, weil Arbeiter eben nicht in der Volkswirtschaft genügend geschult seien. Er erklärte, die Company könne von der Lohnkürzung nicht absehen, weil Beibehaltung der früheren Löhne den Ruin der Company, ja den Ruin der gesamten amerikanischen Kohlenindustrie nach sich ziehen müßte. Soweit die Company in Frage käme, würde nicht nachgegeben, weil man nicht nachgeben könne, ohne wirtschaftlichen Selbstmord zu begehen. Auf die Frage, warum die Company ihren Arbeitern verboten hätte, einer Gewerkschaft anzugehören, erklärte Mr. Collins, daß die Arbeiter gern für die gekürzten Löhne arbeiten wollten, aber daß die Union es ihnen nicht erlaubte. Man könne eine Einmischung von außen in die wirtschaftliche Politik der Company nicht gestatten, ohne damit alle Rechte und Freiheiten, die dem Handel und der Arbeit auf Grund der Konstitution gewährleistet seien, preiszugeben. Die Company würde ihren willigen Arbeitern empfehlen, eine Gewerkschaft zu gründen, der nur Arbeiter, die in den Minen der Company beschäftigt sind, angehören sollen. Diese Gewerkschaft allein wolle man als berechtigte Vertreterin der Arbeiter der Company ansehen. Es scheint aber, fügte Mr. Collins hinzu, daß die Arbeiter nicht willens seien, den durchaus berechtigten und notwendigen Wünschen der Company Rechnung zu tragen. Deshalb könne er mit Sicherheit voraussagen, daß der Streik sehr lange dauern würde, sechs Monate wenigstens, vielleicht auch acht oder gar vierzehn Monate. Die Reporter bedankten sich für die ausreichende Darlegung der Gründe des Streikes, soweit die Company in Frage kam. 8 Reporter dienen nur der Wahrheit; und sie betrachten es als ihre heiligste Pflicht, die Wahrheit zu suchen, selbst wenn die Wahrheit in den Kloaken des Volkes und in den Bettlaken von Individuen gesucht werden muß. Denn nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ihren Lesern zu berichten, ist die einzige hehre Aufgabe einer amerikanischen Zeitung. Darum ist sie das irdische Instrument Gottes und die Zuchtrute für alle Verlogenen und alle Volksvergifter, Aufwiegler, Juden, Fremde und europäische Emigranten, die mit anarchistischen und ähnlichen sozialistischen Ideen vollgefüllt an den Ufern unserer glorreichen Republik landen, um unser schönes Land zu besudeln und zu zerstören. Darum gingen die Reporter auch zur Union, um die Meinung der andern Partei zu hören. Hier fanden sie jedoch, wie sie später ihren Lesern mitteilten, nicht die Ruhe und Sicherheit in den Zielen, die sie bei dem Direktorium der Company gefunden hatten. Hier fanden sie Unruhe, Nervosität, inhaltlose Reden, anarchistische Schreier, unklare Begriffe und verwirrte Vorstellungen über Profit, gemeinsames Zusammenwirken der ganzen Nation, Rechte der Arbeiter, sich zu organisieren, angebliche Pflichten gegen die eigenen Familien, verrückte Ansichten über Regierung im allgemeinen und Bösartigkeit und Verworfenheit der Kapitalisten im besonderen. Aber als klarer eindeutiger Wille trat hervor die feste unerschütterliche Absicht, nicht eher nachzugeben, als bis die Organisation anerkannt sei und die früheren Löhne, wenn auch mit einigen kleinen Änderungen, wiederhergestellt seien; denn, so sagte man in der Union, die früheren scheinbar so hohen Löhne seien schon niedrig genug gewesen, um den zahlreichen und täglich zahlreicher und höher werdenden Forderungen des täglichen Lebens gerecht werden zu können. Und auch hier wurde den Reportern bestätigt, daß man auf einen langen, auf einen sehr langen Streik vorbereitet sei und einen sehr langen Streik erwarte, weil es nicht mehr nur um Löhne ginge, sondern um Prinzipien, die nun endgültig entschieden werden müßten. So wurde in fetten Überschriften auf der ersten Seite der Zeitungen erklärt, der Wahrheit gemäß, daß ein Kohlenstreik von unabsehbarer Dauer begonnen habe, der die gesamte amerikanische Industrie, ja das gesamte amerikanische Wirtschaftsleben lahmzulegen drohe. Hätte Mr. Collins den Bericht selbst geschrieben und hätte er die Zeitungen bezahlt, daß sie seinen eigenen Bericht drucken sollten, der Bericht hätte nicht besser in seine Pläne passen können. 9 Die Anthracite hatte – denn auch das gehörte zu dem Plane des Mr. Collins – die übrigen Anthracite- und Kohlen-Companien vor Ausbruch des Streiks davon unterrichtet, daß ihr Verkauf stocke, daß sie ihre Lager überfüllen müsse und daß sie sich genötigt sehe, erhebliche Veränderungen in Löhnen vorzunehmen. Jene übrigen Companien waren überreich beschäftigt, weil die Anthracite sich vorsichtig aus dem Markte zog. Deshalb verstanden jene Companien nicht, aus welchem Grunde die Anthracite so kurz laufe im Verkauf. Wenn aber eine der größten Companien keinen Verkauf habe, Lager füllen müsse und Lohnkürzungen vornehme, dann geht etwas vor auf dem Markte. Das wurde sofort von allen Companien begriffen. Sie begannen vorsichtig zu werden und beauftragten ihre Lohningenieure, neue Lohnskalen auszuarbeiten mit gekürzten Löhnen. Aber die neuen Lohnskalen wurden noch nicht in Wirkung gesetzt, weil man vorläufig noch genügend reiche Aufträge hatte und keine Unruhe unter den eigenen Arbeitern hervorrufen durfte. Als der Streik bei der Anthracite Co. ausgebrochen war und die Berichte in den Zeitungen ihre Schuldigkeit taten, antwortete die Börse in New York mit einem Nachlassen der Kohlenaktien, mit einem Unsicherwerden der Aktien der Eisenbahnen und der Schiffahrts-Gesellschaften und mit einem deutlichen Flauwerden von Stahlaktien. Es begann eine Stille in Wall Street einzusetzen. Eine Stille, die nach wenigen Tagen ängstlich wurde und sich jener Stille näherte, die gefürchteten Orkanen in Wall Street vorauszugehen pflegt. Aber es kam noch nicht zu einer Katastrophe, noch nicht zu jenem wilden Hin- und Herkaufen von Papieren und unsinnigen Verschleudern von Werten, die dem Zyklonzentrum am nächsten lagen. Es schien, als ob man sich gewaltsam zur Ruhe zwänge. Denn niemand wußte, was da vor sich ging. Jeder wollte erst einmal warten, bis er den richtigen Tip von jemand bekomme oder den richtigen Tip vielleicht träumen oder von einem Wahrsager erhalten könnte. Aber das ganze Geschäft an der Börse wurde flau. Zwei Tage darauf antwortete Chicago mit einer Flauheit, die man seit vielen Monaten nicht erlebt hatte. Als Ganzes jedoch genommen, war der Markt fest, weil die Werte, die wenig mit Kohle zu tun hatten, tätig blieben und sich in der üblichen Weile bewegten mit zwei Punkten herunter, mit fünf Punkten hinauf, und morgen umgekehrt. Elektrizitätswerte begannen sogar auffällig anzuziehen. Aber das stete Anziehen der Elektrizitätswerte schien zu beweisen, daß man der Kohle immer weniger zu trauen anfange. Auf dieses Anziehen der Elektrizität mußte, für jeden Eingeweihten klar, sehr bald ein weiteres Nachlassen der Kohle folgen. Und dann natürlich begann der Sturm zu fegen. 10 Noch in derselben Woche zogen die Elektrizitätswerte, die von Kohle unabhängig waren und ihre Kraft vom Wasser erhielten, plötzlich heftig an und stürmten in einem Tage achtzehn Punkte hinauf. Das war das erste Heulen des kommenden Orkans. Die Schiffahrtsgesellschaften, die Eisenbahngesellschaften, die Stahlwerke und die großen Kohlenhändler zeichneten keine neuen Verträge und begannen nur zu kaufen für den Wochenbedarf. Ein Preissturz von Kohle stand bevor, und ehe man nicht den neuen Preis kannte und ehe sich der neue niedrige Preis nicht festgesetzt hatte, konnte man keine neuen Verträge abschließen. Nun begannen die übrigen Kohlen-Companien den schwer werdenden Markt zu fühlen. Auf große Lager waren sie nicht vorbereitet. Denn große Lagervorräte machen hohe Bankkredite nötig. Diese Bankkredite können nicht über Nacht herangeschafft werden; sie erfordern Beratungen und Verträge und Abberufung anderer Kredite. Die Banken wurden, infolge des mehr und mehr unsicher werdenden Marktes, sehr vorsichtig im Kreditieren von Kohlenvorräten, weil der Wert unsicher war. Wenn sie überhaupt kreditierten, so kreditierten sie kaum mehr als den nackten Förderlohn für die Kohle. So geschah es, daß die übrigen Companien keine erheblichen Lager schaffen konnten. Sie mußten die Kohle billiger fördern. Und nach dem üblichen System konnte die Kohle nur dann billiger gefördert werden, wenn man die Löhne der Arbeiter erheblich kürzte. Um sicher zu gehen, nahm man gleich die Lohnskala der Anthracite-Company an. Was blieb den Arbeitern übrig? Sie taten, was Mr. Collins wünschte, und sie traten auch bei den übrigen großen Companien in den Streik, weil sie sich den Lohnabzug nicht gefallen lassen konnten. Denn erstens hatten sie Ehre und zweitens Familien. Die kleineren Companien, die ja von dem Schwanken der Börse nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, weil sie meist eine kleine, aber sichere Kundschaft haben, wußten nun überhaupt nicht, was zu tun. Die einen kürzten Löhne und verboten die Mitgliedschaft zur Union, während die andern gar kein Risiko übernehmen wollten und einfach die Arbeiter aussperrten und die Minen stillegten, um abzuwarten, was die Großen nun erst einmal tun würden. Alles das vollzog sich ohne ein geplantes und organisiertes Zusammen- und Ineinanderarbeiten der verschiedenen Companien. Ein Zusammenarbeiten mit den andern Companien hätte den Plan des Mr. Collins gestört. Aber es war so geschickt von Mr. Collins gearbeitet worden, daß keine einzige Company fühlte, daß sie absichtlich aus dem großen Raub ausgeschaltet worden war. Mr. Collins hatte ja allen vorher mitgeteilt, daß die Anthracite gefüllte Lager habe und Löhne kürzen müsse. Dadurch hatte er den Schein bewahrt, daß er in Gemeinschaft mit allen Companien arbeite. Niemand konnte ihm einen Vorwurf machen. Aber mit jener Mitteilung hatte er gleichzeitig seine Pläne vollkommener gemacht und den Schleier über seine Absichten gebreitet, den er nötig hatte, um ungestört arbeiten zu können. 11 Zweihundertvierzigtausend Minenarbeiter standen im Streik. Zweihundertvierzigtausend Männer mit ihren Familien mußten von der mageren Streikunterstützung leben, die ihnen die Unionen zahlten. Eine Unterstützung, die geringer werden mußte mit jeder Woche, die der Streik anhielt. Weil zweihundertvierzigtausend Familien weniger Geld hatten, so konnten sie weniger kaufen. Und das riß Tausende von Geschäftsleuten und kleinen Handwerkern mit sich, die gleichfalls weniger verdienten und darum weniger ausgeben konnten, wodurch weitere Kreise wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen wurden. Jede Woche kamen mehr tausend Leute zur Bank, um von ihren Sparguthaben abzuheben, weil sie leben mußten und Verpflichtungen zu erfüllen hatten. So wurde das Geld in den Banken knapp. Kredite zu bekommen, wurde immer schwerer mit jeder neuen Woche. Der Zinsfuß wurde erhöht. Alles, was verpfändet werden mußte, bekam weniger und weniger Wert. Die Leute mußten ihre teuer erworbenen Möbelstücke für ein Zwanzigstel ihres Wertes verkaufen, um dafür Geld für notwendige Lebensmittel zu bekommen. Darunter litten Möbelhändler und Möbelfabrikanten sowie alle Leute, die Dinge verkauften oder Dinge anfertigten, die jetzt weit unter ihrem Wert verschleudert wurden. Die Arbeiter schlugen sich mit Polizisten herum und holten sich blutige Köpfe. Sie stritten sich mit Fäusten in den Versammlungen, was Streikbrecher sei und was unbedingt notwendiger Arbeiter sei, damit die Mine nicht ersöffe. Sie schlugen und hetzten sich herum mit ihren Frauen, die Geld haben wollten. Sie klagten die Sekretäre der Union an, daß sie bestochene Agenten der Kapitalisten seien. Sie zerrissen ihre Mitgliedsausweise der Union und spuckten darauf. Sie winselten bei den Kolonnenführern um die Gnade, sie wieder aufzunehmen und sie nicht zu vergessen, wenn der Streik zu Ende sei. Sie schworen, nie wieder zu streiken, und wenn man die Löhne um sechzig Prozent kürze. Und sie gingen zu den Hallelujasängern der Methodisten, der Baptisten und der Episcopalians und warfen sich vor ihnen in den Staub der Kirchendiele und wimmerten, daß ihre Seele nun geläutert und gerettet sei und daß sie endlich in dieser schweren Prüfung heimgefunden hätten zu unserm Heiland Jesus Christus. Und da waren die ewig Optimisten, die ewig Pessimisten, die ewig Heulenden, die ewig Schimpfenden und endlich die Kraftstrotzenden, die die Zähne aufeinanderbissen und halblaut in sich hineinfraßen: „Zehntausendmal lieber verrecken, als diesen Räubern einen Cent nachgeben!“ Da waren alle, alle, alle vertreten, die man auch in einer Revolution findet. In jeder Revolution. Menschen, die essen wollen und nichts zu essen haben. Menschen, die für ihr geregeltes Essen ihre Seele verkaufen. Menschen, die sich lieber in die Faust beißen, als daß sie „Zu Ihren Diensten, mein Herr!“ sagen. Menschen und Menschen und Menschen. Und unter ihnen die Allgerechten, die Pharisäer der proletarischen Bewegung. 12 Der Orkan war da. Es rasselte in der Börse von New York, daß man seine strahlende Freude daran haben konnte, wenn man keine Papiere besaß und nur neutraler Zuschauer war. Das flog nur so wie Fetzen. Die Fetzen des stolzen und bewunderten Wirtschaftssystems. Es hagelte und dröhnte. Die Wände des Gebäudes dieses ehernen Systems erzitterten. Die Telephonzellen der Broker, der Börsenagenten, krachten. Dreißig Punkte rauf. Schnell verkauft. Aber ehe zugesagt ist, zwanzig runter, und niemand kauft sie für dreißig runter. Vierzig Punkte runter. Vier Punkte rauf. Hoffnung. Einen Punkt rauf. Cable über den Erdglobus. Markt beginnt sich zu festigen. Vierzehn Punkte runter. Markt erneut flattrig. Drei Schüsse in drei verschiedenen kleinen Zellen in der Wall Street. Jede Zelle kostet viertausend Dollar Miete im Monat. Eine Mönchszelle ist ein Rittersaal dagegen. Zwölf Punkte rauf. Drei runter. Sieben runter. Vier runter. Zwei rauf. Telephonmädchen bekommen Krämpfe. Telegraphisten werden irrsinnig. In den Büros der Banken und in den winzigen Stübchen der Agenten rasen die schmalen weißen Streifen mit den Todesurteilen und mit den Hoffnungsbelebungen aus den Mäulern der Privattelegraphen heraus mit unerfaßbarer Schnelligkeit. Vier Mann stehen herum und lesen. Und lesen. Und lesen. Lesen die herausschießenden Ziffern, die unaufhörlich und gespensterhaft sich verändern. Lesen und erfassen mit einem dünnen Nervenfädchen ihres Unterbewußtseins den Sinn und die Bedeutung und den ganzen wirtschaftlichen Zusammenhang jener wenigen Buchstaben, die den Ziffern voranticken und die den Namen der Company, deren Werte hin und her fliegen, denen klar geben, die zu den Eingeweihten gehören. Für den Uneingeweihten sind jene Buchstaben ebenso schwer zu lösen wie alt-ägyptische Hieroglyphen. Und die Männer, die herumstehen um den Ticker, lesen und lesen. Lesen, mit der rechten Hand den weißen Streifen zerrend, um ihn noch schneller herauszuholen aus dem unermüdlich spuckenden Maule, mit der linken Hand den Telephonbecher vor den bebenden Mund gepreßt, um Orders zu geben. Orders zu geben so schnell, wie das splitternde Hirn Ziffern, Situationen und Aktien, die man an der Hand hat, zusammenreimen kann. Hirne, Mäuler, Ohren, Münde, Buchstaben und zerrende Hände sind gejagt von Mächten, die hier nicht gesehen, nicht gefühlt, sondern nur empfunden werden. Und der unendlich lange weiße schmale Streifen schießt heraus, springt heran und flattert herum. Der schmale weiße Streifen sprudelt und zischt heran, entscheidet in einer Sekunde die Schicksale von Zehntausenden von fleißigen und willigen Arbeitern, deren menschliche Persönlichkeit, deren Individualität hier ausgelöscht ist und die nur noch den Wert von einigen Punkten rauf oder runter in Aktien haben. Und der Streifen entscheidet die Schicksale von Hunderten von molligen Bürgern, die Studienpläne ihrer Söhne, die Heiratspläne ihrer Töchter, die Behäbigkeit ihres Alters. Und der lange, schmale weiße Streifen rennt und rennt und rennt über die Spulen. Getrieben, gejagt, gehetzt, gezerrt. Nachdem er seine Sprache geredet hat, ballt er sich auf unter dem kleinen Tischchen, auf dem der Apparat tickt und tickt und tickt. Die tickende Uhr des Weltgerichts für Tausende und Tausende. Der Streifen ballt sich auf in einen immer größer werdenden Knäuel. Papierkorb. Die erregten Männer stehen in dem Knäuel, der sich mehr und mehr um ihre Füße schlingt, wie eine lange dünne Schlange. Nachdem Giganten und Pygmäen versucht haben, so rasch zu entscheiden, wie die Ziffern heranstürmen, bäumt sich der Streifen tot und vergessen über den Papierkorb hinweg, zu einem wirren Haufen aufknüllend. Niemand hat auch nur so viel Zeit, den Streifen einmal abzureißen. Er knüllt und bauscht und bäumt sich rastlos weiter auf. Und endlich sieht der Knäuel aus wie ein Skelett mit tausend verschlungenen und vertwisteten langen dünnen Knöchelchen. Der Leichnam finanzieller Gedanken. Erdbeben in der Wall Street. Erdbeben des Wirtschaftssystems. Jeden Tag Selbstmorde von Männern, die gestern groß, mächtig, unangreifbar, unerschütterlich schienen und waren. Säulen einer Wirtschaft, die so gesund und kraftstrotzend in die Welt blickte, als müßte das Universum sich vor ihr verbeugen. Niemand mehr vermag die Katastrophe zu beherrschen. Sie wird größer und größer. Was so mächtig und ehern erschien, dieses so wohlorganisierte, scheinbar so klug durchdachte, so gefestigt sein sollende Wirtschaftssystem kracht in allen seinen Fundamenten, weil ein Zweig unsicher geworden ist: Die Kohle, die Nahrung der Industrie. Niemand kann das Rad still halten. Es rennt, es rast schneller und schneller und reißt tiefer und tiefer in den Körper der Wirtschaft hinein. 13 Bankstürme beginnen. Die Sparer sind von Panik erfaßt worden. Sie fürchten, nein schlimmer, sie sind sicher, daß ihr Geld, für das sie gespart und gedarbt haben, verloren ist. In unendlich langen Reihen stehen sie schon vor Mitternacht vor den Banken, um die ersten zu sein, wenn die Kassen öffnen. Je früher man da ist, je größer die Möglichkeit, noch etwas zu retten. Das geordnete Leben der Banken wird zerrissen. Alle Kräfte müssen heran, um auszuzahlen. Niemand zahlt etwas ein. Alle Kredite werden aufgekündigt. Banken in andern Ländern werden bittend angekabelt, auszuhelfen mit flüssigem Geld und mit Schecks. Alle Reserven der nationalen Bankvereinigung werden aufgerufen. Aber die Reihen vor den Banken verlängern sich. Und dann beginnen die Banken zu krachen, weil sie nicht zahlen können. Das Geld ist ausgeliehen; denn wenn die Bank kein Geld ausleihen kann, dann kann sie ihren kleinen Sparern keine Zinsen zahlen. Erst krachen die kleinen Banken. Die großen helfen sich noch damit, daß sie die Kassenstunden auf zwei, endlich auf eine beschränken. Dann beginnen auch größere zu krachen. Und hinter all diesem Wirrwarr sitzt kein plötzliches Verschwinden eines Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die unwiederbringliche Werte vernichtete. Hinter all diesem Zusammenbrechen wirtschaftlicher Ordnung und wirtschaftlicher Sicherheit, die ständig bedroht wird von Aufwieglern, sitzt nichts anderes als die gestörte Einbildung derer, die etwas haben, die unsicher gewordene Hoffnung derer, die viel besitzen, und derer, die wenig besitzen. Alles das, was nun in der Wall Street geschieht, beruht in nichts anderem, als daß die Gedanken plötzlich, zu plötzlich, eine andere Richtung eingenommen haben als die gewohnte. Massenhypnose. Massensuggestion. Die Suggestion, die Einbildung: „Ich kann verlieren!“ reißt dieses schöne, von Gott gewollte, von Gott begnadete, von Gott beschützte Wirtschaftssystem in Fetzen. Und dennoch sind alle Werte gleichgeblieben. Die Werte haben sich nicht geändert. Es ist ebensoviel Kohle auf Erden wie vorher. Alles Geld ist noch da, und es ist kein Cent vom Erdball heruntergefallen in das Weltall, aus dem er nicht mehr gefischt werden kann. Alle Häuser stehen noch da. Alle Wälder. Alle Wasserfälle. Alle Ozeane. Die Eisenbahnen und Schiffe sind alle noch unversehrt. Und Hunderttausende gesunder und kräftiger Menschen sind willig, zu arbeiten und zu produzieren und den vorhandenen Reichtum der Erde zu vermehren. Kein Ingenieur hat die Fähigkeit verloren, neue Maschinen zu konstruieren. Kein Kohlenschacht ist von einer Naturgewalt verschüttet worden. Die Sonne steht leuchtend und warm am Himmel wie immer. Es regnet wie immer. Das Getreide steht auf den Feldern und reift wie immer. Die Baumwollfelder stehen in Pracht. Nichts hat sich am vorhandenen Wert irdischen Reichtums geändert. Die Menschen, als Einheit gesehen, sind ebenso reich wie gestern. Und nur darum, und allein nur darum, weil sich der Besitz einzelner zu verändern und zu verschieben droht, darum bricht eine Katastrophe für die gesamte Menschheit herein. Eine Katastrophe gleich den Katastrophen vergangener Zeiten, wenn Hungersnöte in einem Erdstrich ausbrachen und man keinen Ausgleich mit jenen Erdstrichen schaffen konnte, die im Überfluß erstickten, weil Transportmittel und Telegraphen fehlten. Ein Wirtschaftssystem, eine Wirtschaftsordnung, geschaffen von Menschen, die von sich selbst behaupten, Intelligenz zu besitzen. Menschen jedoch, die trotz aller ihrer so hochentwickelten Technik, die sie schufen, noch immer nicht die Primitivität völlig unzivilisierter Menschen überwunden haben, soweit ein durchdachtes und wohl geregeltes Wirtschaftssystem in Frage kommt. 14 Die Wirtschaftskrise, gefürchtet gleich einem Strafgericht des Himmels, und monatelang vorher, oder eigentlich ständig, in prophetischer Weise mit drohendem Zeigefinger angekündigt von Kommunisten und Sozialisten, die behaupten, so etwas immer voraus zu wissen, begann nun kräftig einzusetzen. Wirtschaftskrisen haben für neunundneunzig Prozent der Menschen etwas Unheimliches an sich, etwas Mystisches. Denn neunundneunzig Prozent der Menschen, ob religiös oder irreligiös, sehen in einer Wirtschaftskrise die Zuchtrute einer übernatürlichen Gewalt, die mit dem kapitalistischen System unlöslich verbunden erscheint und die sich offenbar von Menschen nicht abwenden oder vermeiden läßt. Neunundneunzig Prozent der Menschen leiden unter einer Krise. Die einen mehr, die andern weniger. Darum wird sie angesehen, wie man in vergangenen Jahrhunderten Pestilenzen, Hungersnöte und Mongolenüberfälle betrachtete. Dennoch werden diese Wirtschaftskrisen keineswegs durch übernatürliche und mystische Mächte hervorgerufen, sondern immer nur dadurch, daß eine Einzelperson oder eine Gruppe von Einzelpersonen in das geregelte Wirtschaftsleben gewalttätig eingreift, um es zu einem großen privaten Vorteil auszunützen. Geht das Wirtschaftsleben seinen ruhigen Gang weiter, ohne daß Paniken künstlich erzeugt werden, so können wohl Schwankungen innerhalb der Wirtschaft vor sich gehen, aber es kann niemals eine schwere Krise ausbrechen. Denn ganz so chaotisch, wie es häufig erscheint, ist das kapitalistische Wirtschaftssystem ja nun keineswegs. Die Kapitalisten machen zuweilen Dummheiten, aber sie sind keine Narren. Und nur Narren werden sinnlos darauflos produzieren, ohne stets beide Augen auf den Markt und dessen Aufnahmefähigkeit gerichtet zu halten. Selbst Erfindungen und selbst Neukonstruktionen besserer Maschinen können wohl den einen oder den anderen aus dem Sattel werfen, aber selbst sie können keine Krisen hervorrufen. Etwas hat man immerhin auf unserm Kontinent schon gelernt: Je höher die Löhne und je kürzer die Arbeitszeit und je größer die Bildung der Arbeiter ist, desto gesicherter ist der ruhige Ablauf des Wirtschaftslebens, und desto schwieriger ist es selbst für einen Mächtigen, eine schwere Krise heraufzubeschwören. Wenn Hunderte und aber Hunderte von Millionen Tonnen bester Kohle unauffällig und geschickt ihrer Bestimmung entzogen werden, ohne daß die Menschheit sich darauf vorbereiten konnte, so muß das Resultat genau das gleiche sein, als ob ein Erdbeben oder eine gewaltige Wasserflut die Werte eines großen Teiles der Erde zerstörte. Aber eine Naturkatastrophe kann das Wirtschaftsleben nicht so in Unordnung bringen wie eine große Spekulation. Bei einer Naturkatastrophe weiß man, was geschehen ist, man weiß, wo es fehlt und wo man und wie man anzusetzen hat, um den Schaden wieder zurechtzurücken. Aber bei einer Spekulation weiß niemand, was eigentlich geschehen ist. Niemand weiß, ob Kohle die Ursache ist oder Geld oder Mangel an Eisen oder Erz oder Spekulation in Getreide oder in Baumwolle oder in Öl. Darum kann niemand an die Quelle des Unheils heran, weil die Quelle nur einem einzigen bekannt ist, der seine Wissenschaft nicht verrät, um seine Vorteile in dem Wirrwarr zu finden. 5 1 Es wurde nun recht lebhaft im Lande. Volkswirtschafter, Großindustrielle, Bankiers schrieben weise Aufsätze in den Zeitungen. Alle kamen zu dem Ergebnis, daß nur die Kohlennot, die jetzt schwer fühlbar wurde, die Ursache dieser so unerwartet rasch gekommenen Krise sei, und wenn man die Kohlennot beheben könnte, so wäre die Krise bald zu Ende. Die Kohlennot war tatsächlich nun vorhanden. Denn wenn alle Minenarbeiter streikten, so mußte in wenigen Wochen jeder Brocken Kohle aufgezehrt sein. In fetten Überschriften riefen die Zeitungen die Regierung an, den Streik zu schlichten um jeden Preis. Aber diesem Vorschlag widersetzten sich Hunderte großer Companien und Tausende von Großindustriellen, weil ein Eingreifen der Regierung in den Streik die Freiheit von Handel und Arbeit antaste und also gegen die Heilige Konstitution sei. Die Regierung zeigte auch gar keine Miene, einzugreifen. Sie tat das einzige, dessen eine Regierung heute fähig zu sein scheint: Sie sandte Miliz und Maschinengewehre in die Streikdistrikte. Es kam zu Beschimpfungen und Steinwürfen auf die Soldaten, weil ihre Anwesenheit die Streikenden erregte. So wurde dann tüchtig in die Streikprozessionen hineingepfeffert. Heute hier, morgen dort. Und alle Leute, die das Gespenst der Kohlennot fürchteten – und das waren hundert Prozent der Bevölkerung, nachdem die Streikenden abgerechnet waren –, sagten: „Das ist gut, daß die Regierung da Ordnung schafft und den Anarchisten das Hirn aus dem Schädel bläst; nun werden die Streikenden wohl zur Vernunft kommen.“ Selbst Arbeiter und selbst organisierte Arbeiter waren den streikenden Minenleuten durchaus nicht freundlich gesinnt. Wenn der Kohlenstreik lange anhielt, dann mußten nach und nach auch alle Fabriken schließen, und es gab keine Arbeit mehr. Es wurde zwar Geld an die Miners geschickt, aber man tat es mit saurer Gebärde, und man knabberte an jedem Cent herum, ehe man ihn endgültig leistete. Der langsam einsetzenden Kohlennot folgte ein Kohlenhunger. Und dieser Kohlenhunger begann schnell in eine Tollwut überzugehen. Es kam zu Angstkäufen. Man kaufte Kohle für Jahre auf, um den Keller voll zu haben und für alle Fälle gerüstet zu sein. Und war der Keller endlich so voll, daß der Besitzer sagen konnte: „Meinetwegen kann der Streik fünf Jahre dauern, ich bin gerüstet!“, dann war der Mann wahrhaft glücklich. Ob sein Nachbar noch ein Kilogramm Kohle erwischen konnte, das war ihm gleichgültig. Das waren die kleinen Leute, die nur Kohle für das Haus brauchten. Die Großen, die Eisenbahn- und Schiffsgesellschaften, warteten noch, weil sie noch nicht klar sehen und vorläufig noch von Lager abheben konnten. Aber die Kleinen bauten den Preis auf. Nach wenigen Wochen kostete die Tonne Kohle im Großhandel, was sie bisher im Verkauf von zehn Kilo, also im allerkleinsten Handel, gekostet hatte. Die Großen begannen Verträge mit englischen, deutschen und französischen Companien abzuschließen, um sich Kohle zu sichern. 2 Nun mußte Mr. Collins, der bisher nur zugesehen hatte, wie sich sein Plan abwickelte, wieder eingreifen, damit der Markt nicht vorzeitig sich beruhige. Die Reporter waren nur zu willig, Neuigkeiten von Mr. Collins zu erfahren; denn sie hielten ihn bereits für einen ganz Großen, der alles vorausgewußt hatte. Hätte man seine Prophezeiungen damals, als bei ihm der Streik ausbrach, genügend ernst genommen, so wäre es sicher nicht zu dieser Krise gekommen. Als die Reporter nun wieder bei ihm saßen, um zu hören, ob er etwas Neues wußte und wie er sich den weiteren Verlauf des Streikes denke, da sagte er ganz ruhig: „Die Unionen sind schuld an der ganzen Not, unter der die Nation jetzt leidet. Wir hätten uns leicht mit unsern Leuten verständigen können. Es sind alles fleißige, nüchterne, ehrenhafte Arbeiter, die wir haben. Einige wenige ausgenommen. Aber stets müssen sich die Agitatoren und Aufwiegler der Union hineindrängen. Sie allein verhindern jede Verständigung. Die Absicht der Unionen ist ja durchaus klar. Ich brauche darüber nicht viel zu sprechen. Sie, als erfahrene Zeitungsleute, wissen das viel besser als ich, der ich ja nur ein Geschäftsmann bin. Es ist die Absicht der Unionen, das Wirtschaftsleben der Nation in Verwirrung zu bringen. Und wenn es so verwirrt ist, daß alle Menschen ohne Arbeit und Brot sind, dann wollen jene Leute die politische Macht ergreifen und ihren sozialistischen Zukunftsstaat verwirklichen. Das würde ein Ende unserer freien und wahrhaft demokratischen Republik sein, für die unsere Vorväter so glorreich gekämpft und gelitten haben und ehrenvoll gestorben sind. Denken Sie sich, wenn unser Volk ausgeliefert würde jenen fremden Aufwieglern, die ihrer anarchistischen Ideen wegen aus ihren unfreien Ländern vertrieben wurden und nun eine gastliche Aufnahme bei uns fanden, weil wir niemand seiner Meinung und seiner Ansichten wegen verfolgen und verstoßen. Zum Dank dafür, daß wir ihnen Schutz und Gastfreundschaft gewährten, führen sie unsere Nation zum Ruin. Wenn wir in unsern Minen die Mitgliedschaft zur Union verbieten, so wissen wir, was wir tun. Wir wollen die United States of America nicht vernichtet und zertrümmert sehen von wahnsinnigen Wirrköpfen, sondern wir wollen sie erhalten und aufbauen zu einem großen schönen Lande, in dem jeder glücklich sein soll und kann, der guten Willens ist. Ich glaube fest, treu und zuversichtlich, wie auch Sie, meine Herren von der Zeitung, an unser gutes und erprobtes, echt amerikanisches Evangelium von den beiden B, Bigger and Better, Größer und Besser, in bezug auf unsere große Nation. Die Vernichtung der Union ist gleichbedeutend mit der Erhaltung der Nation. Darum können wir nicht nachgeben, weil wir höhere Interessen haben als nur den nackten Geldgewinn. Die Erhaltung des Staates gilt uns mehr. Sobald wir die Union der Minenarbeiter vernichtet haben, wird die Union der Transportarbeiter vorgenommen. Sie ist, nächst der Minenarbeiter-Gewerkschaft, die gefährlichste; denn sie hat das Rad der Volkswirtschaft in ihrer Hand.“ Alles übrige, was Mr. Collins den Reportern erzählte, ist unwichtig. Man kann es in jedem Traktätchen, das gegen das Proletariat geschrieben ist, nachlesen. Mr. Collins legte auch auf das Fehlende nicht so großen Wert. Er redete überhaupt nur noch alles übrige, um den Kernpunkt genügend zu verschleiern. Er besaß diplomatische Fähigkeiten. 3 Die Reporter veröffentlichten die Predigt des Mr. Collins wortgetreu und auf der ersten Seite. So kam die Meinung des Mr. Collins auch richtig hin zu denen, für die sie gemeint war und die nun erreicht wurden, ohne daß es nötig wurde, Unionssekretäre mit einigen tausend Dollar aufzukaufen. Diejenigen, für die die Weisheit des Mr. Collins gemünzt war, waren die Transportarbeiter. Als sie hörten, daß ihre Union die nächste sei, die folgen würde, sobald die Minenarbeiter zermanscht seien, kamen sie in Wut. Sie taten Mr. Collins den Gefallen. Sie taten alles ganz genau so, wie es Mr. Collins gewünscht hatte. Sie taten es sogar viel besser, als er erwartet hatte. Bediene dich gut erprobter Rezepte, und der Kuchen muß gelingen. Die Transportarbeiter beriefen Riesenversammlungen ein. Sie sagten, es geht um Leben und um Sterben. Es wurde beraten und gedonnert. Und heraus kam der Beschluß, einmütig gefaßt: „Die Minenarbeiter müssen unterstützt werden, die Minenarbeiter dürfen nicht verlieren. Darum wird kein Kohlenschiff an unseren Küsten ausgeladen, das von England oder Deutschland oder aus irgendeinem fremden Lande kommt. Notwendigenfalls Sympathiestreik im gesamten Transportarbeitergewerbe, einschließlich der Eisenbahnen.“ Die Magnaten ließen es nicht darauf ankommen. Transportarbeiterstreik, der ja in den Vereinigten Staaten immer mit schwerer und sehr kostspieliger Sabotage der Transportmittel verknüpft ist, konnte man gerade jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Das hätte die Lage nur noch mehr verwirrt, und man hätte dann alles aus den Händen verloren und nicht mehr absehen können, wohin das endlich noch führen möchte. Die Verträge mit den englischen und deutschen Kohlenhäusern wurden nicht gezeichnet, und es kamen keine Kohlenschiffe an. Ganz genau das war es, was Mr. Collins wollte. 4 Von nun an ging alles wie geölt. Mr. Collins arbeitete nach dem Rezept in der Bibel, nach jenem Rezept, das Joseph, den Sohn Jakobs, aus einem vergessenen Gefängnisbruder zum reichsten Manne und endlich sogar zum Vizekönig in Ägypten machte. Zum Leidwesen vieler, in damaliger Zeit, wieder ein Fremder und wieder ein Jude. Joseph, wie man wohl recht gut weiß, sammelte alles Getreide zu billigen Preisen in den sogenannten fetten Jahren, als der Preis sehr tief stand, und er verkaufte das Getreide dann in den Hungerjahren zu Wucherpreisen. Die Bibel, wie so oft, erzählt uns das nur nicht richtig. Sie erzählt das ein wenig verbrämt, damit der liebe Gott auch etwas von dem Ruhme abbekommen soll. Man kann ja einem Juden nicht allen Ruhm allein lassen. Und es ist seit jener ägyptischen Periode, daß die Blutsgenossen des Joseph nach und nach den ganzen Getreidehandel übernommen haben, besonders in den Staaten, weil ja die Christen doch nicht richtig mit Getreide umgehen können und weil die Juden die längere und reichere Erfahrung haben. Mr. Collins war nicht Jude. Er wollte sogar den Juden die Einwanderung in die Staaten verbieten. Aber es muß gesagt werden, daß er größer war als Joseph und größer als der Earl of Beaconsfield, der es, geschickt wie Joseph, verstanden und vermocht hatte, sich aus einem Benjamin D’Israeli zum englischen Vizekönig emporzuarbeiten. Mr. Collins war größer als Joseph und größer als Beaconsfield; denn es ist ja immer so: Wenn jemand ganz groß und rücksichtslos ist, dann ist er ganz bestimmt kein Jude. Und hierin liegt ein Trost für die, die nicht Juden sind. Mr. Collins war größer. Und er war moderner. Er bediente sich nicht eines Traumes, den ein anderer hatte, sondern er bediente sich der proletarischen Solidarität. Jener proletarischen Solidarität, von der immer so viel geredet wird und die man so selten sieht, wenn ein Mobilmachungsbefehl an die Mauern geklebt wird und wenn die Soldaten ausmarschieren. Mr. Collins hatte den Vorteil auf seiner Seite, daß die Menschen, die Geld hatten, eine Todesangst ausstanden, daß die Solidarität des Proletariats zu einer gewaltigen Macht werden könnte, die Welten zu bewegen imstande sei. 5 Mr. Collins war nicht sentimental. Er kassierte. Er kassierte die Sahne der Nation. Ei, was mußte die Nation bluten! Die Tonne Kohle ging auf den doppelten Preis. Auf den dreifachen. Auf den vierfachen Preis. Und nun öffnete Mr. Collins die Scheuern und half der sterbenden Industrie wieder auf die Beine. Er wurde der Retter der Nation. Würde er politischen Ehrgeiz gehabt haben, man hätte ihn zum Präsidenten erwählt. Er wurde ein zweiter Washington. Die Company kassierte nur und kassierte. Sie hatte keine Ausgaben. Alle Ausgaben hatte nur die Minenarbeiter-Union, deren reiche Kassen bis auf den letzten kupfernen Cent geleert wurden. Ausgaben hatte nur das Proletariat, das sammelte und sammelte, schimpfend und murrend, aber doch sammelte für die hungernden Miners. Die Könige machen Krieg, und das Proletariat blutet und stirbt. Magnaten machen einen großen Fischzug, und das Proletariat opfert seinen letzten Cent und verhungert. Immer das Proletariat! Und immer und nochmals das Proletariat. Verflucht noch mal, Prolet, was bist du doch für ein Esel! 6 Mr. Collins hatte, als die Schlacht geschlagen war und das Wirtschaftsleben und Wall Street sich wieder zu beruhigen begannen, für seine eigene Tasche einen kleinen Reingewinn von zart einer Million vierhunderttausend Dollar gemacht. Die Arbeiter hatte er nun nicht mehr nötig, sie waren nur Schachfiguren gewesen. Schlimmer als Schachfiguren. Selbst eine hölzerne Schachfigur weiß, daß sie Schachfigur ist. Aber die Arbeiter wußten nicht, und sie haben es bis heute nicht erfahren, daß sie nur Figuren waren, die hin und her geschoben wurden, von Mr. Collins. Die Arbeiter erhoben ein großes Geschrei, daß sie den Streik gewonnen hätten, als sie wieder zurückkehren durften in die Minen, daß ihnen der Lohn nur um zehn Prozent gekürzt wurde, und daß man ihnen wieder ihre Union ließ, damit sie sich daran erfreuen konnten. Denn was kümmerten sich die Companien ernsthaft um die Unionen. Union oder nicht Union. Der Arbeiter verhungert, wenn er keine Arbeit hat. Und ob er Arbeit hat oder nicht, das bestimmt nicht seine Union, sondern das bestimmt der, der nicht predigt, sondern der handelt und keine Sentimentalität kennt. Prolet, du hast vortreffliche Lehrmeister. 7 Mr. Collins zählte nicht die Gefallenen. Er stellte keine Verlustlisten auf derer, die von der Miliz erschossen waren, derer, die auf Jahre hinaus in Gefängnissen saßen, derer, die ihre Existenzen verloren hatten, derer, die Selbstmord begangen hatten, derer, die ins Irrenhaus gekommen waren, derer, die in Hospitälern lagen. Es sind schlechte Generale, die sich um die Gefallenen kümmern. Wir haben mit den Lebenden genug zu tun. Und während der Prolet seine Gefallenen begräbt, beweint und beredet, gewinnt sein Gegner Zeit, die neue Schlacht zu planen und vorzubereiten. 6 1 Mr. Collins war jetzt oben. War vollberechtigtes Mitglied im Generalstab des Wirtschaftslebens der Nation. Aber alle die Männer, die bisher mit ihm gearbeitet hatten, also das Direktorium der Anthracite Company, begannen sich vor ihm zu fürchten. Sie alle hatten keine Sentimentalität. Aber sie besaßen noch genug Zimperlichkeit, nicht bis zur letzten Grenze zu gehen. Was die Anthracite getan hatte, war alles innerhalb der Grenzen des Gesetzes geblieben. In allen ihren Handlungen war die Company vom Gesetz geschützt. Jeder hatte das Recht, Lager aufzuhäufen, wann und wo und wieviel er wollte. Und jeder hatte das Recht, seine Lager zu öffnen, wann es ihm am günstigsten erschien. Die Anthracite hatte niemals in diesem großen Raubzug mit Lügen gearbeitet. Sie hatte offen verkündet, daß sie Lager auffülle. Und sie hatte das ganze Manöver durchgeführt, ohne das Trustgesetz irgendwo zu verletzen. Sie hatte mit keiner anderen Company ein trustähnliches Abkommen getroffen, um den Markt zu beherrschen. Das Geschäft war so sauber, so ehrenhaft, so anständig wie nur immer ein Geschäft innerhalb des kapitalistischen Systems sein kann. Daß die Menschen sich in eine Panik jagen lassen, kann man nicht der Anthracite zum Vorwurf machen. Dafür ist der liebe Gott verantwortlich, der alles geschaffen hat und keine Maus verrecken läßt, wenn es nicht in seinem Willen liegt. Ließen sich Menschen nicht erschrecken, könnte nie jemand Millionen verdienen. Nie könnte jemand Menschen für seine Privatzwecke gebrauchen, wenn die Menschen mehr Selbstvertrauen und mehr Mut hätten und sich nicht fürchteten vor einigen Tagen Hunger und vor dem Alter. Wenngleich das Geschäft durchaus in gesetzlichen Grenzen geblieben war, so scheuten dennoch die Herren des Direktoriums vor einem neuen ähnlichen Geschäft zurück. Es waren da immer Zeitungen von Sozialisten und anderen Leuten, die aus Neid nörgeln, die irgendwie Weisheit bekommen und ein derartiges Manöver aufdecken können. Und alle die Menschen, die unter diesem Raubzug leiden, werden zu Anklägern. Wo Ankläger sind, da finden sich auch sofort Richter ein. Ein Mensch gilt nur so lange als ehrenhaft, solange man seine Geschäfte nicht zu durchschauen vermag. Keiner der Männer des Direktoriums konnte in das Zuchthaus geschickt werden, aber alle konnten in der Öffentlichkeit beschimpft werden als Zerstörer des Staates und als Förderer sozialistischer Ideen. Ein Kapitalist, der durch gar zu rigorose kapitalistische Manöver der Propaganda der Sozialisten und Anarchisten Material liefert, ist einem Verbrecher gleich, und er ist schlimmer als ein Anarchist. Das erkannten die Herren des Direktoriums rechtzeitig. So blieben sie auch verschont von den Stürmen, die einige Jahre später den amerikanischen Kapitalismus durchschüttelten und die Sozialisten mit Dynamit versorgten, von jenen Stürmen, die der große Ölskandal, der sogenannte Tea-Pot-Dome-Skandal, verursachte. Stürme, die sogar den Präsidenten der Republik, Mr. Harding, so durcheinanderschüttelten, daß er krank wurde, sich hinlegte und sofort starb. So rechtzeitig starb, daß man ihm – Ehre vor einem Toten, der sich nicht verteidigen kann – nicht mehr genau nachrechnen konnte, wieviel Millionen er mit Mr. Sinclair verdient hatte auf Kosten der Nation, während sein Kronprinz, Mr. Coolidge, darüber die Sprache verlor und seitdem der größte Schweiger unter den Präsidenten der amerikanischen Nation genannt wird. So kamen die Herren des Direktoriums zu der Überzeugung, es sei das beste, Mr. Collins, diesen Allzumächtigen, aus der Anthracite hinauszukaufen. Mr. Collins bekam seinen Anteil am Gewinn in Aktien der Anthracite, die jetzt sehr hoch standen, weil der Bedarf an Kohle groß war und wieder tüchtig gefördert wurde. Durch diesen Besitz der Aktien bekam Mr. Collins eine hohe Stimmenzahl in der Company; und er hätte jetzt, lediglich durch seine Stimmenmacht, die Company abermals in ein Manöver verlocken können, was das Direktorium vermeiden wollte. Es hatte genug an dem einen Manöver für lange Zeit; denn das Risiko an Skandal war denn doch zu hoch für jene Herren. Mr. Collins wurde als Abenteurer angesehen, der sich um Skandale nicht kümmerte. Damals noch nicht, weil er noch im Aufstieg war. Später änderte es sich auch bei ihm in dieser Hinsicht. Mit zunehmendem Alter gibt man mehr auf gesellschaftliche Ehre und soziale Stellung als in der Jugend, wo man vorgibt, Bohemien zu sein. Auch wenn man sonst keinerlei Berührung mit Kunst hat. Die Herren boten Mr. Collins einen sehr guten Preis für seine Aktien. So wurden sie ihn los und dankten Gott und gaben der Kirche. 2 Ein Mann in den States mit einem Bank Account von einer und einer halben Million Dollar, gewesenes einflußreiches Mitglied des Direktoriums der mächtigen Anthracite Company, bekannt bei und gekannt von allen großen Zeitungen als starker und smarter Knabe, ein solcher Mann muß zu einer kapitalistischen Macht werden, auch wenn er gar nicht will. Er wird dazu gezwungen. Er wird hineinverwickelt in alle großen Geschäfte und alle großen Manöver. Das System duldet ihn nicht als Außenstehenden und nicht als Zurücktretenden. Das System benötigt seine ein und eine halbe Million Dollar, und das System benötigt seine Erfahrung, seine Kenntnisse, seine Kraft und seinen Willen. Große Companien schenken ihm Aktien, nur damit er drin ist, nur damit er an der Company interessiert wird, nur damit er mit zu Rate gezogen werden kann. Die Banken lassen ihn nicht in Ruhe. Er muß sich beteiligen hier und dort, weil man ihn nicht für so schäbig hält, daß er sich mit vier Prozent begnügen könnte. Und einem Manne mit dem Rufe, den Mr. Collins nun hat, kommt niemand mit seichten Dingen. Man kommt ihm nur mit sicheren Sachen. Und nur mit solchen Geschäften, wo achtzehn Prozent sicher sind wie der Tod. Nur die kleinen Höker werden zu Dummheiten verlockt. Ein Mr. Collins nie. Wer Kartoffeln fünfkiloweise verkauft und Petersilie für zwei Cent das Sträußchen, der kann zu einem kleinen behäbigen Wohlstand gelangen, aber er wird nie Millionen machen. Genau so wenig wie jemals ein Proletarier, der immer in der Fabrik arbeitet und es nie wagt, sich einmal auf die eigenen Füße zu stellen, fünfzigtausend Dollar für sich zusammenbringen wird. Er würde dazu zehn Leben nötig haben, weil er ja stets nur einen kleinen Teil dessen bekommt, was er produziert. Die wahrhaft großen Vermögen werden nur gemacht von denen, die an den Nervensträngen der Nation, an den Lebensnerven der Menschen zupacken. Und skrupellos zupacken. 3 Die Lebensnerven der zivilisierten Menschen sind: Getreide, Baumwolle, Kohle und Eisen. Wer eines dieser vier Dinge beherrscht, ist allmächtiger als der liebe Gott; denn er kann Kirchen bauen und Kirchen verweigern, kann Pfaffen ernähren und Pfaffen verhungern lassen. Und wenn der liebe Gott keine Pfaffen mehr hat, wird er schnell vergessen. Fleisch, Leder, Häuser und Grundstücke sind auch wichtig. Aber der Mensch kann sich mit Fleisch sehr einschränken, kann seine Schuhe bis zum letzten Fetzen auftragen, kann sich sehr zusammenpferchen, daß er jahrelang ohne neue Häuser auskommt. Aber Brot braucht er, seine Hemden und Kleider aus Baumwolle sind nicht so dauerhaft wie Leder. Kohle braucht er, um nicht zu erfrieren, um Licht zu haben und Hilfskraft für seine Arbeit. Eisen braucht er für Werkzeuge, Maschinen und gelegentlich für seine Schießprügel und Kanonen. Alles das hatte Mr. Collins rechtzeitig im Leben begriffen. Darum hatte er sich der Kohle bedient, um in den Sattel zu kommen. Als man ihn aus der Kohle hinausdrängte, weil er zu gefährlich war, mußte er nach einem anderen Lebensnerv der Menschen suchen, um mit Macht spielen zu können. Besaß er Macht, so konnte er sich alle Genüsse verschaffen, die das moderne Leben bietet. Spielte er mit Macht, so konnte er alle Werte auskosten, die einem Menschen das Leben interessant und lebenswert machen. Zu spekulieren und mit Macht zu spielen ist erregender und köstlicher als am Roulett zu sitzen. Auf das Roulett kann man keinen Einfluß ausüben. Am Roulett zu spielen, erfordert keine Intelligenz. Jeder Trottel kann es, darum findet man in der Nähe eines Roulettes auch nichts anderes als Trottel, Spitzbuben und Frauen, die auf den Gewinn der Trottel warten. Mr. Collins war kein Trottel. Er hatte Intelligenz. Und er war ewig aus seinem Innern heraus gedrängt, seine Intelligenz zu gebrauchen. 4 Es war die Zeit, als das Automobil aus seinen ersten schüchternen Gehversuchen heraus war. Aber nur wenige erkannten die große Zukunft, die das Automobil hatte. Der Glaube an die Unüberwindlichkeit der Eisenbahn war noch unerschüttert. Die ersten Versuche mit Flugmaschinen waren vorüber. Sie hatten vielen Männern das Leben gekostet, aber sie waren geglückt. Man konnte bereits einige Kilometer weit fliegen und eine halbe Stunde über dem Erdboden bleiben, bis man abstürzte und sich das Genick brach, wenn man nicht vorher schon verbrannt war. Die Vorarbeiten für den Dieselmotor waren auch geglückt und zeigten denen, die Intelligenz besaßen und die nicht das Bestehende für die letzte Weisheit menschlicher Fähigkeiten ansahen, bereits den Weg, den die Technik gehen würde. Gehen mußte. Mr. Collins erkannte mit seinem guten Instinkt, daß die Kohle als Lebensnerv der Menschen zu verkalken begann und daß der Tag kommen würde, an dem die Kohle unwichtig war, vielleicht gar entbehrt werden konnte. Denn schon damals dachte niemand, der nur ein wenig Vernunft besaß, daran, daß man Automobile und Flugmaschinen mit Kohlen heizen und bewegen werde. So kam es, daß Mr. Collins den jungen, frischen, unverbrauchten neuen Lebensnerv der Menschen packte: das Öl. Er tippte auch gleich die richtigen Stellen an, die damals noch ganz neu waren. Er kaufte Felder in Kalifornien und in Oklahoma. Er kaufte in Gegenden, wo kein Geologe Öl vermutet hatte. Und er gewann. Er gründete die Condor Oil Co. Sie war sehr klein. Beinahe die kleinste aller Companien an Kapital. Aber sobald sie erst einmal geboren war, den ersten Schrei ausgestoßen und den ersten vollen Atemzug getan hatte, da begann sie auch gleich zu fressen. Und sie fraß und fraß. Fraß alle anderen kleinen und mittleren Companien auf und verschlang alle Privatunternehmer. Und sie fraß und fraß, bis sie so dick und voll war, daß sie gewichtig neben den allergrößten Öl- und Petroleum-Companien stand, angesehen und gefürchtet. Mr. Collins war so geschickt, daß er Manöver vermied, die einen Sinclair, den mächtigsten Ölmagnaten, in einen der größten und stinkigsten kapitalistischen Skandale verwickelten, die das amerikanische Volk, das ja so unermeßlich reich ist an kapitalistischen Skandalen, in den letzten Jahren gesehen hat. Ein Skandal, der so sehr an den Fundamenten des kapitalistischen Systems rüttelte, wie das nie eine kommunistische Propaganda fertigbringen wird. Daß ein System einen solchen Skandal überleben kann, daß das Volk darüber sogar lachen und satirische Chansons in den Vaudeville-Theatern anhören kann, ohne das System auch nur anzuklagen, beweist, wie fest gefügt und sicher dieses System noch steht. Beweist, daß dieses System mit den Mitteln, die Sozialisten und Bolschewisten empfehlen, wohl schwerlich, wenn überhaupt, gestürzt werden kann. In den Staaten einmal sicher nicht. Noch nicht. Und jedenfalls nicht mit den angepriesenen Rezepten. Mr. Sinclair wird nicht verflucht, sondern er wird bewundert, wie smart er war, daß es ihm sogar gelang, die militärische Bereitschaft der Nation zu kaufen und in Öl und Dollars zu verwandeln. Und seit Jahren arbeiten sich die Rechtsgelehrten das Hirn in den Köpfen blutig, um herauszufinden, nach welchem Paragraphen des amerikanischen Gesetzbuches Mr. Sinclair und seine Spießgesellen auf Präsidentensesseln und im Kabinett denn nun eigentlich verfolgt werden können. Ein Verbrechen liegt vor. Ein Verbrechen, nach dem jeder Bürger, der nicht Multimillionär ist, wegen schweren Hochverrats und Landesverrats mit dem Tode bestraft werden muß. Es ist zwar kein Feind da, an den das Land verraten werden könnte, denn Mexiko hat seine eigenen Sorgen. Aber es könnte doch ein Feind da sein. Und daß ein Feind da sein könnte, dieser Glaube muß dem Volke erhalten werden, und dieser Glaube muß genährt und gezüchtet werden, damit die Stahlfabrikanten nicht verhungern und die Erbauer von Panzerschiffen genügend Geld verdienen, um es mit ihren Chormädchen der Follies in Paris und Berlin ausgeben zu können. Denn in den Staaten ist die Unsittlichkeit mit Chormädchen und ähnlichen Lebenshungrigen verboten. Darum ist sie so teuer. Und darum ist Mr. Collins trotz seiner Millionengewinne immer in Geldnöten. 7 1 Seine ewige Geldnot wurzelte in seiner Not, die er mit den Frauen hatte. Teils mit den Frauen überhaupt und im allgemeinen, und teils mit den bestimmten Frauen, die um ihn waren. Wie er eigentlich zu seiner angetrauten Frau gekommen war, das hätte er so genau jetzt nicht mehr sagen können. Er konnte sich jedoch recht wohl erinnern, daß nicht er sie geheiratet hatte, sondern sie ihn. Sie hatte weder Geld mitgebracht, noch hatte sie ihn in eine gesellschaftliche Schicht gehoben, wo er einflußreiche Freunde hätte finden können. Die Heirat hatte sich begeben, als er Clerk in einer Versicherungsgesellschaft war und fünfunddreißig Dollar die Woche verdiente. Mit fünfunddreißig Dollar Wochenlohn kann man ja auch kaum erwarten, eine reiche Heirat zu machen oder in die bessere und darum wertvolle Gesellschaftsschicht durch Heirat zu gelangen. Der Heirat war nichts, aber auch gar nichts voraufgegangen, was man heiße Liebe oder etwa gar romantische Liebe hätte nennen können. Der ganze Vorgang hatte sich so trocken und nüchtern abgespielt wie ein Abschluß der Einbruchsversicherung eines Möbelhändlers. Beide, Mann und Frau, waren dann eines Tages ziemlich erstaunt gewesen, als eine Tochter plötzlich geboren wurde. Denn beide hatten sich keine besondere Mühe dazu gegeben, und beide hatten nichts besonders Auffallendes empfunden in jenem Drei-Minuten-Funkspruch, der die Möglichkeit einer nicht unwahrscheinlichen Geburt in Aussicht stellte. Ob er eigentlich glücklich oder unglücklich verheiratet sei, dieser Gedanke kam Mr. Collins nie. Er stand seiner Ehe neutral gegenüber. Er erfüllte seine Pflichten als ewig geldgebender Unterhalter der Familie, und er erfüllte seine übrigen Pflichten so sparsam wie zulässig und begründete diese Sparsamkeit durchaus glaubhaft mit der Entschuldigung, daß er überarbeitet und übernervös sei. Da seine legitime Ehegesponstin seinen Hunger nach der Frau nicht befriedigen konnte und nie befriedigt hatte und er eines Tages die Augen öffnete und fand, daß es Frauen gibt, die wirklich fähig zu sein scheinen, etwas Ähnliches wie Liebe empfinden zu können, begann er die Frau zu suchen. Er suchte die Frau und fand eine und fand auch eine andere. Als er dann in die Höhe stieg und genügend Mittel hatte, das Beste zu wählen, was zu haben war, läuterte sich sein Geschmack. Der geläuterte Geschmack wurde natürlich recht teuer. Und er wurde um so teurer, je mehr er sich läuterte; und er läuterte sich um so mehr, je höher Mr. Collins stieg und je mehr Geld er ausgeben konnte. Alles das ergab sich wie von selbst. Daß sein Geschmack einen hohen Grad von Läuterung erreicht hatte, vielleicht den höchsten Grad, den ein Mann von der Art des Mr. Collins überhaupt je erlangen kann, bewies zur Genüge, daß er es vermocht hatte, Betty zu gewinnen und Betty zu erhalten. Mit Geld allein hätte er Betty nicht halten können; wenngleich natürlich sein Geld eine wichtige Rolle in diesem Unternehmen zu erfüllen hatte. Betty verlangte mehr als nur gerade Geld. Sie verlangte alles das von ihm, was er sich im Laufe der Jahre, in denen er auf der ständigen Suche nach der vollkommenen Frau gewesen war, im Umgang mit zahlreichen Frauen, angefangen bei bescheidenen und weiterentwickelt bei den Künstlerinnen ihres Faches, erworben hatte. Wäre er frisch und unentwickelt von seiner Ehefrau zu Betty gekommen, so hätte er sich keine Hoffnung auf irgendwelchen Erfolg ihr gegenüber machen können, auch wenn er doppelt soviel an Einkommen gehabt hätte, als er zu dieser Zeit hatte. Trotz seines Geldes würde ihn Betty verstoßen haben, auch wenn sie keine heilen Schuhe an den Füßen gehabt hätte. Denn Betty verkaufte ihre Neigung nicht. Sie gab und empfing wie eine Ehefrau. Das Geld, was Mr. Collins an Betty verwandte, war in keiner Weise verschwendet oder verloren, wie das Geld, das er auf Chormädchen auslieh. Das Geld, das er für Betty ausgab, gleich wieviel, gleich in welcher Weise, war eine seiner besten Kapitalsanlagen. Das wußte er wohl, und das wußte auch Betty recht gut. Dennoch, und das muß hier auch gesagt werden, um Mr. Collins gerecht zu werden, war er doch weit davon entfernt, seine Beziehungen zu Betty als Kapitalsanlage zu betrachten. In Betty und durch Betty hatte er, der reife Mann, wohl zum ersten Male in seinem aufregenden und unromantischen Leben die Erkenntnis und das Verständnis für das gewonnen, was zwei Menschen mit ihren Herzen zueinander führt und zueinander hält. Diese Erkenntnis hatte Mr. Collins als Mensch hart getroffen. Und wäre er nicht von Natur aus sehr robust und durchaus unsentimental veranlagt gewesen, so hätte ihn eine solche Erkenntnis aus den Angeln werfen können. Aber damit hätte er Betty wieder verloren; denn seine Unsentimentalität, sein völliger Mangel an Romantik machte ihn für Betty erträglich. Sentimentale Säuseleien konnten ihr seelisches und körperliches Erbrechen erzeugen. Betty war von Hause aus reichlich mit angeborener Sentimentalität versorgt. Das tat gewiß der Schuß schwedischen Blutes, der in ihr war. Den größten Teil ihrer Sentimentalität verlor sie, als, aus rein ökonomischen Gründen, ihre erste große und tiefe Liebe in die acht Winde ging. Das war ein verteufelt harter Hieb gegen ihr Leben gewesen. Aber der Hieb befreite sie von allen Schlacken bürgerlicher Primitivität, die ihr bis zu jener entscheidenden Stunde noch angehaftet hatten. Sie ging endlich als eine Persönlichkeit, die bewußt im Leben steht, aus jener Katastrophe hervor. Und sie hatte eine große und leidenschaftliche Freundschaft mit dem ersten Manne ihres Herzens gerettet, eine Freundschaft, die haltbarer und größer an wahren Werten war, als je eine noch so heiße Liebe werden kann. Sentimentalität ist nirgends mehr hinderlich als im Leben. Und Sentimentalität ist am meisten hinderlich in den Staaten, wo sie ein Verbrechen ist und in vielen Fällen auch sehr schwer bestraft wird. Den letzten schwachen Rest ihrer Sentimentalität verlor Betty dann als Redaktionssekretärin, wo sie es lernte, Backpfeifen an aufdringliche Redakteure und Reporter mit solcher nachdrücklichen Schärfe und mit einer so überraschenden Häufigkeit auszuteilen, daß sie den Nicknamen Beaty bekam, die Dreschende. 2 Betty wuchs unter dem Einfluß des Allerheiligsten, in dem sie sich jetzt befand, über die Fürstin hinaus. Sie wuchs hinan zu einer Göttin. Im gegenwärtigen Augenblick zu einer Göttin der Rache, deren Blick und deren Gebärde den Menschlein, die ihr nicht zu Willen waren, Unheil ohne Gnade ankündigten. So hatte sie Mr. Collins noch nie gesehen. Aber so hatte er auch noch nie mit ihr zu spielen und zu handeln gewagt, wie er es in den letzten Tagen getan hatte, in denen er sie hinhielt mit dem Versprechen, daß er die Garage und das Haus besorgen würde, und dann gar nicht mehr daran dachte, sobald er sie nicht mehr hörte oder sah. So konnte er seine Chormädchen behandeln. Aber nicht Betty. Hier hatte ihn seine Weisheit, die er als Führer im Wirtschaftsleben der Nation so sicher offenbarte, völlig im Stich gelassen. Er schwor sich jetzt zu, daß er das nie wieder versuchen würde. Ohne daß sie ein Wort weiter sagte, wußte er, daß die Geschichte nun sehr teuer werden würde. Zehnmal teurer, als sie gewesen wäre, wenn er gleich am ersten Tage, an dem sie den Wunsch aussprach, Garage und Haus gemietet hätte. Jetzt verlangte sie mehr. Sie sagte kurz: „Wann kaufst du das Haus?“ Von einem Mieten des Hauses wurde schon gar nicht mehr geredet. „Ja; also, wann kaufst du das Haus?“ wiederholte sie sachlich: „Montag ist die Party. Dann muß möbliert sein. Alles, bis auf den letzten Ring an den Vorhängen. Und Telephon und Licht. Ich will alles baden in Licht, überfluten und überschwemmen mit Licht. Gentlemen“ – sie wandte sich direkt an die Herren – „Gentlemen, Sie alle werden Mr. Collins und mir gewiß die Ehre erweisen, bei der Party anwesend zu sein. Bringen Sie alles mit, was Sie wünschen, alles Weibliche, was Sie an Freunden haben. Es geht durchaus ungezwungen zu. Paris in Frisco. Verstehen Sie, meine Herren. Ungezwungen. Importierter Prediger ist auch da, um Ehen zu schließen und später, wenn die Paare finden, die Charaktere stimmen nicht zueinander, sie wieder zu lösen. Und wenn Sie dann am Morgen gehen, sind Sie frei wie vorher. Die Kosten für Eheschließung und Ehescheidung müssen Sie selbst tragen. Das sind Privatkosten. Er macht es billig. Imitation ist immer billig, und wenn Sie zwei oder mehr Ehen schließen und scheiden während der Nacht, gibt er Ihnen Rabatt. Ist Schwede. Versteht aber, was Sie wollen. War in Schweden wirklich Prediger. In Stockholm. Sie haben ihm das Fahrgeld nach Amerika gegeben, weil er über Kirchengelder, die fehlten, nicht Auskunft geben konnte, wo sie geblieben waren. Collins, mein Liebling, du erinnerst die Herren, bitte, an die Party.“ Sie ging auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihn und war wieder hinaus. 3 Die Herren waren nicht aus dem Lachen gekommen, während sie im Telegrammstil ihre Party empfahl. Sie alle sagten zu, daß sie kommen würden. Sie sagten es im Ernst und mit Inbrunst. Und sie hatten nur einen unangenehmen Gedanken, daß etwas dazwischenkommen könnte, was sie verhindern möchte, bei der Party anwesend zu sein. Daß sie nicht ihre Frauen mitbringen mußten, sondern ihre Freundinnen, die weniger langweilig waren und auf jeden Scherz sprangen, ihn verstanden, geschickt erweiterten und meist sofort praktisch anwandten, versprach den Eingeladenen alle irdischen Genüsse, die die Großen der Nation nötig haben, um ihre Spannkraft nicht zu verlieren und nicht durch Nervosität, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit zur Arbeitsunfähigkeit verurteilt zu werden. Wer arbeitet, soll auch genießen. Und wer tüchtig arbeitet, der soll auch nach dem Maßstabe des Wertes und des Gewinnes seiner Arbeit genießen. Es sei schon jetzt gesagt, daß alle Herren des Aufsichtsrates zur Party kamen; daß alle mit ihren Freundinnen, oder was es sein mochte, kamen, und daß alle am nächsten Morgen, lange nach vier Uhr, heimkehrten mit dem Bewußtsein, daß sie alles genossen hatten, was sie erwartet hatten, zu genießen. Jeder war wenigstens einmal verheiratet und einmal geschieden worden. Und wenn er sich noch kräftig genug in den Lenden fühlte, so war auch ein zweites Mal und ein drittes Mal geheiratet und geschieden worden. Zehn Dollar kostete die Eheschließung und zehn Dollar die Scheidung. Brautgemächer waren auch da. Die Kammermädchen, die für die Bereithaltung der Brautgemächer zu sorgen hatten, bekamen für jede Öffnung eines der Brautgemächer zehn Dollar von dem glücklichen Bräutigam. So ging am Ende ein jeder reich beschenkt nach Hause. Es wurde nur darauf gesehen, daß jeder, der nach Hause ging, auch wieder richtig geschieden war; denn es war wiederholt versichert worden, daß der Prediger echt sei und daß die Heirat infolgedessen vor dem Gesetz ihre Gültigkeit habe. Was die jungen Bräute bei der Scheidung von ihren scheidenden und sich lösenden ehemaligen Ehemännern an Ablösegeld empfingen, hatten die Paare unter sich selbst auszumachen, weil man die Kosten für eine gerichtliche Entscheidung vermeiden wollte. Die Bräute sagten auch alle vor der Eheschließung schon, wieviel sie erwarteten, falls die Ehe noch in derselben Nacht, häufig in derselben Stunde, wieder geschieden würde. Darum ging auch alles viel schöner, viel reibungsloser – aber nein, reibungslos will ich nicht sagen –, viel glatter, viel ordentlicher und mit viel weniger Zank und Gestank zu, als das sonst im Leben geschieht, wo man Sachen ernst nimmt, die der Mensch niemals ernst nehmen sollte. Aber nein, es muß immer gleich alles ewig sein. Nun wohl, wenn ihr an ewigen Genuß, an ewige Liebe, an ewige Treue glaubt, dann müßt ihr für euren törichten Glauben eben auch bezahlen, so wie ihr der Kirche bezahlen müßt, wenn ihr daran glaubt. 4 Als Betty gegangen war, wurde die Konferenz wieder aufgenommen. Aber niemand wußte etwas zu sagen. Jeder hatte andere Gedanken. Gedanken an die Fürstin, Gedanken an die eigene Geliebte, Gedanken an das bevorstehende Fest, Gedanken an den Schimmer der Göttlichkeit, der für einige Minuten im Raume geweilt hatte, wo alles ungöttlich war, wenn auch sehr reich. Und es war keiner da, der nicht Mr. Collins in jenen Augenblicken angesehen hätte, als wäre er nicht von dieser Welt. Wie kann einem Manne wie Mr. Collins, einem Geldmanne, wenn auch einem mächtigen Geldmanne, so etwas in den Schoß fallen! Und diese Herren, die so geübt sind, sich zu jeder Minute auf jede beliebige Sache mit aller ihrer Schärfe konzentrieren zu können, gaben es auf und beschlossen, die Konferenz zu vertagen. Millionen von Dollars blieben infolge dieser Vertagung, die Betty verursacht hatte, für einige Tage länger in den Händen, in denen sie heute waren. Die Tatsache, daß alle Herren zugesagt hatten, zur Party der Miß Betty zu erscheinen, gab Mr. Collins nur noch vermehrte Macht in der Company. Denn es war ja nicht nur Bettys Party, es war ja auch seine. Er bezahlte ja die ganze Party. Und er bekam alle Herren nahe und zu einer Intimität, die allen seinen Plänen nur günstig war. Um bei einem so übertollen Feste zu einem reinen und vollen Genuß zu kommen, müssen alle Gesetze gebrochen werden, die Bigamie, Nackttänze und Alkoholkonsum unter schwere Strafe stellen und die abgestempelte bürgerliche Ehre und Anständigkeit der Großen des Volkes bedrecken, wenn es bekannt wird. Darum werden Verschwörer und Verbündete eines solchen Festes sich auch immer willig zeigen, Verschwörer und Verbündete zu sein in Geschäften, mit deren Hilfe man die Unkosten für jenes Fest zu bestreiten und die Kosten für ein anderes noch tolleres Fest heranzuschaffen gedenkt. Mr. Collins konnte bei diesem Fest seine Spießgesellen besser studieren als in den Konferenzen. Hier lernte er ihre schwachen Seiten kennen, wo er sie anpacken und niederzwingen konnte, wenn sie ihm nicht folgen wollten bei der Ausarbeitung eines neuen großen Raubzuges. So war es wieder Betty gewesen, die ihn zu größerer Macht erhob. Seine Frau hätte das nie vermocht. Ihr fehlte die Gabe, Dinge so zu schieben und zu lenken, daß niemand sah, wie und von wem gelenkt wurde. 5 Es war ein kühner Schachzug von Betty gewesen, daß sie im rechten Augenblick die Herren mit der Einladung überrumpelte. Sie tat es aus zwei Gründen. Und sie tat es keineswegs so spontan wie es schien. Sie hatte in zwei Sekunden die Situation übersehen und sofort zugeschlagen. Sie erfaßte sofort den Kern. Sie wußte, daß, wenn sie die Herren einlud und die Herren zusagten, daß Mr. Collins nun keine Ausrede mehr gebrauchen konnte. Er mußte das schönste und teuerste Haus kaufen, das zu haben war, er mußte das Haus verschwenderisch ausmöblieren, und er mußte das Fest so reich halten, daß einflußreiche Millionäre, die verwöhnt sind, sich nicht langweilten und das Fest etwa als eine „rotten affair full of boredom“, eine ludermäßig langweilige Geschichte bezeichneten. Das war der eine Grund für ihre Einladung. Der andere Grund war rein sachlich und geschäftlich. Sie verhalf Mr. Collins, ohne daß er es ahnte, zu einer intimen Freundschaft mit jenen mächtigen Männern, was seinem Geschäft nützlich war und dadurch ihrem eigenen Einkommen; denn je mehr er verdiente, um so mehr konnte sie aus ihm herauswirtschaften. 6 Nachdem die Herren eingeladen waren und zugesagt hatten, mußte Mr. Collins in der Tat nach dem teuersten Hause suchen und es kaufen. Es war ein Palast. Reich möbliert. Das frühere Eigentum einer Filmkönigin, die mehr als Tempelhüterin der Venus verdient hatte als im Film, obgleich sie auch im Film dreitausend Dollar wöchentlich machte. Aber das war nur eine schlichte Nebeneinnahme, die gerade für die Unterwäsche reichte. Die Filmkönigin hatte sich kürzlich einen neuen Palast bauen lassen, und so war dieser Palast hier frei geworden. Der Palast war in spanischem Kolonialstil erbaut. Der Innenhof war überdacht mit Glas, das mosaikartig und reich in Farben gefaßt war. Es war eine Bequemlichkeit besonderer Art, daß das Marmorbad, das bei dem Fest eine so große Rolle spielen sollte, schon da war, im Innenhof, und daß die Monturen des Bades reich versilbert waren. Es konnte geheizt werden, und der ganze Innenhof konnte rasch auf tropisches Klima gebracht werden. Das Bad selbst war an ähnliche Überraschungen, wie die bevorstehenden, gewöhnt und fand sich freudig bereit, alles zu tun, was man von ihm wünschte. Die Plätze für die drei Orchester waren so gut verdeckt, daß man weder die Musiker sah, noch daß die Musiker – was wichtiger war – unter keinen Umständen sehen konnten, was die taten, denen sie aufspielten. Bei jedem Orchester war außerdem eine Vertrauensperson, ein zuverlässiger Neger, der die Verantwortung für das gute Verhalten der Musiker übernahm, um spätere Erpressungen mit Hilfe von geglückten Blitzlichtaufnahmen zu vermeiden. Die Musiker wußten, was geschah. Aber sie kümmerten sich um nichts. Sie hatten alle Familien, wurden sehr gut bezahlt, und sie wußten, daß bei gutem Verhalten sie auch bei ferneren Festen anderer Gastgeber zur Mitwirkung herangezogen werden würden. Was auch immer man dem Luxus und dem Genuß nachsagen mag an bösen Dingen, sie haben meist das Gute an sich: sie lassen andere verdienen. So wird ein Ausgleich geschaffen, der die Achse der sich drehenden Erde in ihrer Ruhe hält. Betty trank nur drei Glas Champagner. Nur aus Höflichkeit. Sie verheiratete sich nicht ein einziges Mal auf diesem Fest. Nicht einmal mit Mr. Collins. Als er etwas andeutete, holte sie eine der freien Bräute herbei, nahm beide unter den Arm und führte sie dem schwedischen Prediger zu. Mr. Collins ließ sich vermählen, und Betty gratulierte dem jungen Paar und übergab es einem Kammermädchen der Brautgemächer. Betty hatte gelernt, Welt und Männer zu regieren. Die ganze volle Woche nach dem Fest seufzte Mr. Collins in ihrer Gegenwart, wollte sich von seiner Frau scheiden lassen, um Betty zu heiraten, gab ihr in seiner Tollheit schriftliche Gelöbnisse – ein gefährliches Ding in den Staaten – und erwürgte sie beinahe in seinem Hunger nach ihr. Sie zerriß die Gelöbnisse vor seinen Augen und warf ihm die Stücke ins Gesicht. Von diesem Tage an konnte er für sie morden. 7 Er verfiel in eine Raserei des Machthungers. Er gab sich auf. Das will sagen: Er gab sich auf als einer, der für sich selbst Macht erobern möchte. Er wollte Macht zu keinem andern Zwecke mehr, als vor Betty und in ihren Augen als der Mächtigste, der Klügste und der Kühnste dazustehen. In alten Zeiten wäre er jetzt ausgezogen und hätte Kontinente erobert. Aber Kontinente werden heute nicht mehr mit Soldaten aus Fleisch und Blut erobert. Und Generale und Generalfeldmarschälle haben ihren Nymbus verloren. Als General Pershing sogenannt siegreich von den Feldern in Frankreich heimkehrte, jubelte man ihm zu. Am Tage des Einzugs. Am nächsten Tage war er vergessen. Die erste Seite der Zeitungen, die gestern voll war von seinem Ruhm, ihn Alexander, Cäsar, Washington und Grant gleichstellte, war heute überdröhnt von dem Fallen der Stahlaktien und von der nahenden Sintflut des Bolschewismus. Niemand dachte auch nur für einen Augenblick daran, ihn auf die Liste der Präsidentschafts-Kandidaten zu setzen. Er war nur gerade ein angestellter Metzgergeselle der Nation gewesen. Wer hat heute Zeit, sich um arbeitslose Metzger zu bekümmern! Die Armee eines Mr. Collins, die er ausschickt, um Kontinente zu beherrschen – erobern will er sie gar nicht –, ist anderer Art. Seine Armee besteht aus Agenten, die Prämien bekommen. Seine Soldaten sind Schecks. Seine Kriegspläne bauen sich auf aus Renntips, aus den Tips für das Rennen um Öl. Es beherrscht nicht länger mehr der die Welt und die Menschen, der die größte Armee, die besten Kanonen und die meisten Flugzeuge hat, sondern der beherrscht die Welt, der das Öl beherrscht. Was kann der größte Feldherr heute tun, wenn ihm Mr. Collins das Öl verweigert? Dann schwirrt kein Bomben tragendes, kein Giftgas spritzendes Flugzeug durch die Lüfte. Dann kriecht kein Kriegstank über das Schlachtfeld. Dann schleppen keine Lastautos Armeen von einer Front, wo sie im Augenblick nicht gebraucht werden, zu einer anderen Front, wo sie den Krieg entscheiden sollen. Dann fährt kein Unterseeboot in den Meeren. Dann bewegt sich keines der Riesengeschütze. Wenn Mr. Collins sagt: „Ich habe kein Öl!“, so muß man es ihm glauben, und niemand kann ihn des Landesverrats anschuldigen, denn niemand kann Beweise bringen. Er hat die Pläne von den Rohrleitungen, von den Zufahrtsstraßen, von den Brunnen, von den Pumpstationen. Mit wenigen Kommandos kann er die Dinge alle so verwirren, daß keine hunderttausend Hektoliter Öl herangeschafft werden können, ohne hunderttausend Hektoliter Öl an Kraft unnötig zu vergeuden. Man kann es wagen, die Gesetze der Rechte des Privateigentums zu erschüttern dadurch, daß man allen seinen Ölbesitz konfisziert. Aber wenn man nicht seine Kenntnisse, sein so kompliziertes System der Förderung, der Verteilung und des Transportes gleichzeitig mit konfiszieren kann, so ist der, der konfisziert, ebenso hilflos wie der Franzose, der das Transportsystem des Ruhrgebietes in Deutschland konfiszierte. Es bewegt sich. Freilich. Aber es bewegt sich so schwerfällig, daß der Nutzen aufgefressen wird von der Bewegung. 8 1 Es war zwei Tage nach dem Feste Bettys. Mr. Collins kam in seine Office um elf ein halb Uhr morgens. Er fand aufgehäuft auf seinem Tische die Rechnungen für den Palast, den er gekauft hatte, für die Ummöblierung des Hauses, für die Party, für den Champagner. Bei dem Schmuggel von Champagner, Whisky und anderen Sorten Alkohols wird viel abgefangen, Tausende von Dollars an Bestechungsgeldern müssen den Beamten der Prohibitionsüberwachung gezahlt werden, hohe Summen an Strafen müssen aufgebracht werden. Diejenigen, die an Stelle der Größeren die Gefängnisstrafen absitzen, müssen unterstützt werden, damit sie ruhig bleiben und nicht reden und damit man immer wieder andere findet, die neue Gefängnisstrafen übernehmen. Alles das kommt in einer Flasche Champagner im Preise zum Ausdruck. Und so ist es billig, wenn eine Flasche Champagner nur sechzig Dollar kostet. Fünfhundert Flaschen Champagner waren auf dem Feste, die Weine, Liköre und Whiskys nicht gezählt. Bei einem solchen Gelage wird, wie bei allen solchen Gelagen, kaum ein Drittel getrunken, der Rest wird vergeudet und ausgegossen von den Schwelgenden, in Trunkenheit, in Übermut und im Protzen. Ein roher Überschlag der Rechnungen, der Palast eingeschlossen, ergab die lächerlich kleine Summe von achthundertvierzigtausend Dollar. Die Rechnungen für die Kostüme und Juwelen der Betty standen noch aus, weil die Lieferanten dieser Dinge höflich sind gegenüber denen, wo das Geld sicher ist. Die beiden Chordamen Mr. Collins’, die jüngsten Datums waren hinsichtlich ihres Eintritts in das Leben des Magnaten, hatten von dem Fest gehört. Sie waren aufs höchste erbost, daß sie nicht eingeladen worden waren. Sie meldeten sich darum in ihrer wütendsten Stunde und lagen fest auf Mr. Collins, ihren Zorn zu besänftigen. Sie drohten mit Skandal, Briefen an die Zeitungen, Briefen an die Kirche, der Mr. Collins angehörte, Briefen an die Agenten der Prohibition. Sie zählten das nicht einzeln auf in ihrem Telephongeschnatter, aber sie sagten: „Dann mache ich Sauce für dich, sweet Daddy, mein süßes Väterchen.“ Die eine wußte noch immer nicht von der anderen. Mr. Collins wußte, was Sauce bedeutete. Sie würden zwar die Sauce nicht machen; denn Mr. Collins war ein zu guter und fetter Kunde, als daß man es voreilig mit ihm verdorben hätte. Ein endgültiger Schlag wurde nur dann geführt, wenn jede Hoffnung, sich ihn warm zu halten, für dauernd aufgegeben werden mußte. Die Besänftigung ihrer Bosheit mit einigen neuen Kostümen, einem Pelz und einem Brillantenarmband als Zugabe, schätzte Mr. Collins auf rund fünfundzwanzigtausend Dollar. Wenn alles schön beisammen war, was noch fehlte in dem Berg der Rechnungen, die hier lagen und die noch zu erwarten waren, so kamen rund neunhunderttausend Dollar in ruhiger Erhabenheit zusammen. Mr. Collins sagte halblaut: „Purty in the neighborhood of one Million nice little beautiful bucks, hübsch nahe einer Million guter und schöner Dollar.“ 2 Als er das überdachte, schwankte er ein wenig, als ob er fallen wollte. Denn obgleich er an Summen gewöhnt war, so war eine solche Ausgabe, die unmittelbar aus seiner Tasche ging und die genau betrachtet nur einem Zeitvertreib galt, doch so stark in ihrer Wirkung, daß er den Atem unbewußt für einige Sekunden anhielt und dann in einem schweren Seufzer ausstieß. Diese gewaltige Summe warf seine gesamte Privatfinanz über den Haufen. Es wurde ihm wirr im Hirn. Er wußte für den Augenblick nicht, wie er diese Summe herbeischaffen konnte, ohne ein solches Loch in seinen Finanzen zu reißen, daß kaum eine Aussicht blieb, es zu stopfen. Es war, als ob plötzlich in ein gutes Schiff mitten im Ozean eine Platte durchstoßen war und das Wasser in einem so dicken Strahl hereinschoß, daß alle Pumpen dagegen machtlos schienen. Denn neben dieser Summe, die plötzlich aus seinem Budget herausgerissen wurde, liefen gerade in der gleichen Zeit viele andere Ausgaben, die nicht aufgehalten werden konnten. Seine Frau wollte nach Paris gehen und dort einige Monate leben, dann nach Deutschland und Italien. Seine Tochter wollte und sollte nach England gehen und nach Dresden, um zwei Jahre in Europa zu studieren. Flossy mußte auch nach Paris, weil sie einen geschickten Arzt benötigte, der eine unvorsichtige Liebesnacht mit Mr. Collins regulieren sollte. In Amerika war das zu gefährlich. Dann brauchte Flossy, wenn es vorüber war, eine Erholung am Mittelmeer. Alle diese Ausgaben konnten nicht vermieden und nicht aufgeschoben werden. Mit der notwendigen Reiseausstattung für Frau, Tochter und Flossy einbegriffen kam das auf etwa dreihunderttausend Dollar. 3 Die Gedanken, die das Hirn eines Menschen, der sich in großer Erregung befindet, innerhalb von zehn Sekunden durcheilen können – etwa, wenn er soeben von einem vorbeirasenden Automobil am Arme gestreift wurde und ihm bewußt wird, daß er buchstäblich nur um die Dicke eines Zündholzes vom Tode entfernt war –, lassen sich kaum in einem dicken Buche alle aufzählen. Die Fähigkeit des Hirns, im Zustande eines plötzlichen Blutandranges rasch und dennoch logisch zu denken, ist ungeheuerlich. Von den Tausenden von Gedanken, die Mr. Collins in den ersten Sekunden hatte, als ihm die Summe, die er beschaffen mußte, zum Bewußtsein kam, können hier nur einige aufgezählt werden. Zuerst dachte er daran, sich zu erschießen, um dieser Aufgabe, jenen Forderungen gerecht zu werden, zu entgehen. Aber das verwarf er sofort wieder. Er war viel zu stark in seinem Wesen, als daß er in einer solchen Art von Flucht eine Lösung hätte suchen können. Dann dachte er daran, die Kaufverträge rückgängig zu machen oder den Palast Agenten zu einem sofortigen Wiederverkauf anzubieten. Auch das raste davon so schnell wie gekommen. Denn was Mr. Collins einmal entschieden hat, das bleibt entschieden. Er ist viel zu stolz zuzugeben, daß er irgendwelche Dinge übereilt getan haben könnte. Wenn er wirklich den Palast verkaufen will, dann verkauft er ihn, wann er will, und nicht, wann er gedrängt wird, weil er Forderungen nicht decken kann. Seine Aufgabe ist, Geld zu machen, um das zu bezahlen, wofür er sich verpflichtet hat. Dann bekam er eine heftige Wut auf Betty, weil sie ihn derartig überwältigen konnte, sie eine solche Macht über ihn besaß, so daß er Überlegung, Berechnung und Urteil verlor. Aber die Wut verhauchte noch im Entstehen. „Was kann denn sie dafür?“ sagte er in seinen fließenden Gedanken. „Sie kann doch wahrhaftig nichts dafür; denn wenn ich nicht will, brauche ich doch ihren Wünschen nicht nachzugeben. Wenn ich so schlapp bin, daß ich tue, was sie wünscht, so ist sie durchaus im Recht, mich zu nehmen für das, was ich wert bin.“ Gleichzeitig aber redete er sich aus, daß er schlapp sei und ein Weiberknecht. Er war Manns genug, zu wissen, was er wollte, und zu wissen, wem er gab und warum er gab. So schlug die aufkommende Wut in einen Respekt gegen sie um. Er fühlte eine tiefe Hochachtung ihr gegenüber, daß sie so smart sei, ihn so geschickt zu behandeln, daß er tun mußte, was sie wünschte. Er wurde sehr stolz auf sich und fühlte sich allen andern Männern überlegen, daß es ihm geglückt sei, eine so smarte und dabei so elegante und stolze Frau zu gewinnen und zu halten. Aus diesem Stolz heraus wuchs noch in derselben Sekunde ein starkes Selbstbewußtsein. Ein erneutes Kraftgefühl durchströmte sein Blut in dem Gedanken, diese Frau zu haben und für sie Aufregungen durchkosten zu müssen. Seine Gedanken begannen sich jetzt zu ordnen. Er begann, sich zu konzentrieren. Er verfiel in eine rasende Sehnsucht, Betty jetzt im Arm zu halten und zu küssen, um gewiß zu sein, daß er sie besitze. Sie allein war wert, daß er überhaupt lebte. Er begann sie in einer ganz neuen Art zu lieben. Nicht nur mehr als Frau, sondern als den einzigen Lebenszweck. Als einen Genius, der mehr wert war als ein Genius, weil er auch Fleisch war und irdische Genüsse geben konnte. Der Gedanke an sie, die ungemein starke Liebe, die er für sie fühlte, die inniger wurde, weil er ihr abbat, daß er wütend auf sie werden konnte, gab ihm eine unerhörte Schwungkraft. Alles Pessimistische, was er eben gedacht hatte, alles Ängstliche verflog. Er bedauerte plötzlich, daß er nur eine Million dreihunderttausend Dollar zu decken hatte. Er wünschte, daß es zehn Millionen Dollar wären, die er heranzuschaffen hätte. Er fühlte die Welt zu klein und eng werden, um seine Kräfte spielen lassen zu können, um sich so zu entfalten, wie es seinem Kraftgefühl wohl getan hätte. Eine und eine halbe Million Dollar zu machen, das war gar nichts. Es war gar nicht der Rede wert. Das war nur gerade die Arbeit für einen Stümper. Wenn er ansetzte, einmal wirklich und ernsthaft ansetzte, dann wirbelten Milliarden. Dann sollten Milliarden ihren mysteriösen Wertfaktor verlieren und nichts anderes mehr sein als hilflose Objekte, mit denen er spielte. „Eine und eine halbe Million?“ rief er laut aus. „Eine und eine halbe Million? Nichts weiter? Ein Dreck. Fünf Millionen müssen herangeschafft werden. Betty, du sollst deine Jacht haben. Du sollst die eleganteste Jacht haben, die der amerikanische Kontinent zu bauen vermag. Und wenn du die Jacht des Königs von England außerdem noch haben willst, ich mache ihn bankerott und kaufe alle seine Jachten, Pferde und Schlösser auf der Auktion. Eine und eine halbe Million Dollar. Was für lange überflüssige Reden für ein Trinkgeld!“ Er war so laut geworden, daß seine Privatsekretärin an die Tür klopfte, die Tür vorsichtig öffnete und leise fragte: „Haben Sie mich gerufen, Mr. Collins?“ „Ja. Nein. Augenblick. Kommen Sie in einer Minute wieder, Ida, habe dringende Briefe.“ „Yes, Sir.“ Ida machte die Tür geräuschlos zu. Mr. Collins nahm das Telephon: „Lucky, wie geht es dir. Abendessen heute. Siberts? Oder. Gut denn, Siberts. Hör, wie ist der Chauffeur? Gut. Halt ihn fest an der Leine. Die Burschen wollen immer kommandieren. Puffe ihn gleich am ersten Tag an seinen richtigen Platz. Wie kommst du durch mit dem großen Haus? Besser, du nimmst noch einen Mann, der zugreifen kann. Vielleicht auch noch ein Mädchen mehr. Also um neun. Wir nehmen deinen Wagen. Das grüne? Nei–, ach nein. Sehe dich lieber im blaßblauen. Nein, nicht doch. Scheitele das Haar. Gefällt mir mehr. Aber, warum denn? Besser, du nimmst nicht die neuen Schuhe. Wollen doch tanzen. Neue Schuhe machen immer rasch müde. Später? Weißt du doch. Bei dir natürlich. Ich schicke meine Sachen und einen Officeanzug heute nachmittag zu dir. Habe eine Überraschung. Hat was mit Perlen zu tun. Nein, sage ich nicht. Also neun. Kuß. Bye, bye. Bin mitten drin in der dicksten Arbeit. Bye, bye.“ 4 Und es war genau in dieser Minute, daß die Sekretärin wieder an die Tür klopfte und – weil sie eine Vertraute war – sofort in ihrer leisen Art eintrat, ohne das „Come in“ abzuwarten. Es war ihr schon einmal geschehen, daß sie so herein kam, während sich Mr. Collins gerade mit einem – nun sagen wir einem Chormädchen – in einer Weise unterhielt, wie man sich gewöhnlich in seiner Office nicht mit einer Dame zu unterhalten pflegt. Aber Ida hatte Takt. Es wurde nicht einmal bemerkt, daß sie hier gewesen war. Aber Mr. Collins hatte es gefühlt. Und als jene Dame gegangen war, rief Mr. Collins die Sekretärin herein und sagte: „Ida, Sie sind eine der tüchtigsten Sekretärinnen, die ich je hatte. Sie verstehen Ihre Arbeit und Sie haben Takt. Beide Dinge schätze ich. Hier ist die Anweisung zur Kasse, von Montag ab bekommen Sie achtzig die Woche. Ich habe später noch Briefe.“ Ida hatte bis zu jenem Tage nur fünfundfünfzig Dollar die Woche gehabt. Nicht der Lohnerhöhung wegen, sondern wegen der Art, in der Mr. Collins die Angelegenheit erledigte, wegen des Tones in seiner Stimme, wegen der Tatsache, daß er mit keiner Miene, keinem Augenzwinkern etwas andeutete oder Schweigen gebot, verehrte Ida seit jenem Tage Mr. Collins wie einen Halbgott. Er hätte tun dürfen mit ihr oder in ihrer Gegenwart, was immer er wollte, sie hätte jede seiner Handlungen als ein Sakrament betrachtet. Das war eine der Ursachen der Erfolge des Mr. Collins. Er sah einen Menschen, und er wußte, wie er ihn zu gewinnen hatte. Die einen brüllte er nieder, die andern redete er nieder und wieder andere streichelte er nieder. Und wenn nichts half, schlug er sie zu Boden. Aber stets blieb ihm eine lächelnde Höflichkeit eigen, eine Höflichkeit, die nichts verbergen sollte, sondern die echt war und darum ihrer Wirkung stets gewiß. Ida sagte: „Die Herren sind da mit dem Report aus Mexiko. Es ist die Sache mit der Rosa Blanca.“ 5 Und es war in diesem Augenblick, als Mr. Collins noch unter dem Eindruck der einen und einen halben Million Dollar stand, die gedeckt werden mußten. Es war in diesem Augenblick, als, in dem Gedanken an Betty, seine Kraft gigantische Größe annahm, fünf Millionen heranzuschaffen, um die eleganteste Jacht für Betty zu kaufen und den König von England zur Bankerotterklärung zu zwingen. In diesem selben Augenblick war es, daß die Herren des Grundstückdepartments der Condor Co. sich zur Beratung anmelden ließen, um den Report des Licenciados Perez aus Mexiko vorzulegen und mit Mr. Collins durchzusprechen und zu beschließen, was getan werden sollte: ob man von der Rosa Blanca absehen oder ob man einen neuen Versuch unternehmen sollte, die Rosa Blanca zu gewinnen. Und weil der Report gerade in jenem Augenblick vorgetragen und zur Beratung unterbreitet wurde, darum war es, daß Mr. Collins rief, rief mit dem ganzen Kraftbewußtsein, in das er sich während der letzten vergangenen drei Minuten hineingerast hatte: „Das Land, das ich haben will und nicht kriegen kann, gibt es im ganzen großen Universum nicht. Wäre es selbst auf dem Jupiter, ich hole es herunter. Die Weiße Rose will ich haben. Und kein Gott und kein Präsident von Mexiko und keine Anti-Imperialistische Liga kann mich daran hindern, die Weiße Rose zu brechen. Ich will sie brechen, und ich werde sie brechen. – Danke für heute, Gentlemen. Ich werde nachdenken. Werde Ihnen mitteilen lassen, wann ich die Beschlüsse und Pläne genügend vorbereitet habe, um sie mit Ihnen besprechen zu können. So long. Goodbye.“ 6 Nachdem jene Beratung mit den Herren des Grundstückdepartments vorüber war, wurde erneut in allen Registern in Mexiko herumgesucht, ob sich nicht doch noch eine Lücke fände, wo man die Besitztitel des Hacinto Yanyez angreifen könnte. Es gab keine Lücken. Die Titel waren alt und gut; und sie waren stets rechtskräftig erneuert worden, wann die Gesetze es verlangten. Der Gouverneur in Jalapa wurde erneut bearbeitet, den Verkauf der Rosa Blanca durch ein besonderes Decreto zu verfügen mit der Begründung, daß Staatsgründe über Privatrechten zu stehen hätten und daß aus Staatsgründen der Verkauf der Rosa Blanca angeordnet worden sei. Es wurde dem Gouverneur durch einen Diputado, den die Condor Co. für ihre Interessen gewonnen hatte, auch gleich geschickt zu suggerieren versucht, was die Staatsgründe seien. Dieser Diputado, der wegen zwei Frauen, die er in Mexiko City außer seiner eigenen Frau unterhielt, immer in Geldnöten war, versuchte dem Gouverneur klarzumachen, daß der Staat die Einnahmen aus den Ausfuhrzöllen für das Öl unbedingt gebrauche, daß jene Ausfuhrzölle eine Lebensbedingung des Staates und der ganzen Nation seien. Aus diesem Grunde müßte die Produktion und die Ausfuhr von Öl mit allen Kräften unterstützt werden. Gemeinwohl ginge über Privatrecht. Die Rosa Blanca enthalte vielleicht das reichste Ölfeld in Mexiko, und ein Gouverneur dürfe gar nicht die Einnahmen aus diesem Öl der Nation vorenthalten aus einer falschen Einstellung heraus und aus Rücksicht auf ein paar Indianerfamilien, die irgendwo anders angesiedelt werden könnten. Der Diputado hatte sein Verschen schön auswendig gelernt, besser als seine inhaltlosen Reden, die er in der Camera de Diputados, dem mexikanischen Parlament, zu halten pflegte. Der Gouverneur in Jalapa jedoch ließ sich durch den schmalzigen Diputado nicht in seiner Meinung beirren. Er erklärte dem Licenciado Perez, der die Condor Oil Co. als ihr Syndikus in Mexiko vertrat und der den Diputado vorgeschickt hatte, um das Feld übersichtlich zu machen: „Ich werde den Fall noch einmal genau untersuchen. Es liegt nicht in meiner Absicht, die Condor Company in irgendeiner Weise zu schädigen oder ihre ernste Arbeit zu erschweren. Im Gegenteil, ich betrachte es als meine Aufgabe, solange ich hier Gouverneur bin, jede Produktion, sei es Öl oder sei es Zucker oder Holz oder Baumwolle oder Früchte oder Landwirtschaft, zu fördern. Und ob es sich um eine fremde Company handelt oder um eine mexikanische, das bleibt hier ohne Einfluß auf mich. Die konstitutionellen Rechte eines jeden in Mexiko, sei er Bürger oder Fremder, achte ich. Ich verspreche Ihnen, Licenciado, daß ich mein Bestes tun werde, der Condor Company zu helfen bei dem Ankauf der Rosa Blanca, wenn ich mich überzeugen kann, daß der Besitz der Rosa Blanca für die Condor Company unbedingt notwendig ist, um die Produktion von Öl zu fördern. Ich werde mit Don Hacinto dann auch sprechen, und ich glaube versichern zu können, daß ich ihn bewegen kann, dem Verkauf seiner Hazienda zuzustimmen. Aber ich vergesse doch nicht einen Augenblick lang, daß auch Don Hacinto Rechte und Meinungen in dieser Sache hat, die ebenso gut begründet sind, vielleicht noch besser als die der Condor Company. Aber ohne das Für und Dagegen genau untersucht zu haben, kann ich nicht urteilen und will ich auch nicht urteilen. Ich verstehe, daß nicht nur Don Hacinto allein in Frage kommt, sondern daß hier auch das Schicksal von sechzig oder siebzig mexikanischen Familien in Erwägung gezogen werden muß.“ „Die können alle Arbeit bei der Condor Company bekommen, oder die können auf Kosten der amerikanischen Company irgendwo anders im Staate angesiedelt werden“, warf Licenciado Perez ein. „Gewiß kann das getan werden“, sagte der Gouverneur. „Gewiß, como no, warum nicht? Aber so einfach erscheint mir das denn doch nicht. Es steht hier nicht nur das nackte Materielle in Frage. Es tritt auch noch etwas rein Seelisches hinzu. Sehen Sie denn das nicht, Licenciado?“ „Ich weiß nicht, Senjor Gouverneur“, antwortete Senjor Perez, „was Sie meinen. Worauf Sie zielen.“ Der Gouverneur lächelte ironisch. Er ließ seine blendend weißen Zähne sehen, die in dem braunen Gesicht, das bewies, daß er reichlich viel indianisches Blut aufgenommen hatte, wie hochpoliertes Elfenbein glänzten. Er sagte: „Don Hacinto und die indianischen Familien geben doch nicht nur Land auf, das ersetzt werden kann durch Land in anderer Gegend der Republik, sie geben doch auch Land auf, das ihre Heimat ist, das die Heimat ihrer Vorfahren ist, das in seinem Boden die Gebeine ihrer verehrten Väter birgt. Sie geben Land auf, das gedüngt wurde mit dem Blute, mit dem Schweiß, mit den Hoffnungen, mit der Trauer, mit der Freude ihrer Väter und Mütter und ihrer selbst. Sie geben Land auf, das um dieser Dinge wegen ihnen heilig ist, heilig wie mir meine Mutter, mein Vater, meine Frau und meine Kinder sind.“ Nach einer längeren Pause, in der weder von ihm noch von Senjor Perez etwas gesagt worden war, trat der Gouverneur wieder an seinen Schreibtisch und sagte sehr sachlich: „Nun wohl, Licenciado, wie ich gesagt habe: Ich erweise Ihnen gern eine Gefälligkeit, aus alter Schulfreundschaft heraus, und ich bin auch gern bereit, der amerikanischen Company gefällig zu sein, wenn es sich mit dem, was ich für richtig halte, vereinbaren läßt. Aber ich will Ihnen nun doch sagen – und das soll gelten –, daß, wenn die Company nicht sehr gute Gründe hat, daß ich dann in dieser Sache nichts zu verfügen gedenke, daß ich es dann Don Hacinto allein überlasse, was er tun will. Er hat das Recht, zu verkaufen oder nicht zu verkaufen. Kann ich überzeugt werden, der Verkauf der Rosa Blanca ist notwendig im Staatsinteresse, dann werden wir weiter sehen. Kann ich mich von dieser Notwendigkeit jedoch nicht überzeugen, dann schließe ich den Fall, soweit ich oder der Staat Veracruz in Frage kommen. Was macht die Familie, Perez? Ist Maria schon durch mit dem Examen in der Medizin?“ „Ah, noch nicht. Sie hat noch zwei Jahre zu machen. Meine Senjora ist in Guadalajara bei meiner Schwägerin.“ „Meine Grüße, Perez. Adios. Adios.“ Die Herren schüttelten sich sehr freundschaftlich die Hände, und Licenciado Perez verließ das Regierungsgebäude in dem Bewußtsein, daß er gewonnen habe. Er telegraphierte an das Hauptquartier der Company in San Francisco: Gouverneur in Sachen Rosa Blanca gewonnen, noch etwas gedulden. 7 Nachdem Licenciado Perez gegangen war, machte der Gouverneur einige Notizen auf seinen Erinnerungsblock, dann drückte er auf einen der zahlreichen Knöpfe des Klingelsystems und empfing die übrigen Besucher, die sich zu persönlichen Conferencen angemeldet hatten. Es kamen Direktoren von amerikanischen, mexikanischen, englischen, holländischen Companien, es kamen Arbeiter in Overalls, es kamen Sekretäre und Vertreter von Arbeitersyndikaten, es kamen Indianer aus fernen Winkeln des Staates, es kamen Lehrer, Ingenieure, Architekten, Beamte der Elektrizitätsgesellschaften. So vergaß der Gouverneur bald wieder die Rosa Blanca. Am Samstag reiste er zu einer politischen Conference in Mexiko City, einer Conference, die vom Präsidenten der Republik einberufen worden war. In dieser Conference wurde auch gesprochen, daß man nun bald daran zu denken habe, die Paragraphen der Konstitution, die durch die Revolution des Volkes geschaffen wurde, endlich in Kraft zu setzen, insbesondere jene Paragraphen, die sich mit der Tyrannei der katholischen Kirche befassen, und jene, die den Naturreichtum des Landes, insbesondere das Öl, als Volkseigentum erklären. Da erinnerte sich der Gouverneur wieder an die Rosa Blanca. Er machte eine erneute Notiz in seinem Taschenbuch und unterstrich sie mehrere Male. Als er am Montag zurückkehrte, ließ er sich sofort alle Akten bringen, die sich auf die Condor Oil Company bezogen. Er rief einen Ingenieur des Arbeitsamtes zur Mithilfe herbei. Mit ihm studierte er alle Pläne der Ländereien, die die Company besaß, zählte ihre Brunnen aus, studierte die statistischen Aufstellungen ihrer Produktion, ihrer produzierenden und ihrer toten Brunnen, studierte alle Parzellen, wo die Company augenblicklich auf Öl bohrte, und alle Parzellen, wo die Company nicht bohrte, berechnete alle Reserven an ölhaltigem Land, das die Company hielt, und alle Reserven an zweifelhaftem Land, das die Company unter ihrer Kontrolle hatte. Er notierte sich alles gut auf, und was er nicht genügend verstand, das ließ er sich von dem Ingenieur, dessen besonderes Arbeitsgebiet bei der Regierung die Überwachung der Ölfelder war, ausführlich erklären. Am nächsten Freitag nahm er sich drei Tage Urlaub für Inspektionen und reiste mit seinem Burschen zur Hazienda La Rosa Blanca, um Don Hacinto kennenzulernen, seine Meinung zu hören und die Hazienda zu sehen. Er blieb zwei Nächte und einen halben Tag auf der Hazienda, aß mit Hacinto am gleichen Tisch dasselbe schlichte Essen, das Hacinto aß, schlief in dem Bett, das man ihm anbieten konnte und dessen Matratze nur Bretter waren, über die zwei der üblichen Petates, Schilfmatten, gebreitet waren. Mehr konnte ihm die Rosa Blanca nicht bieten, denn mehr hatte sie nicht, mehr brauchte sie nicht, mehr hatte sie seit mehreren hundert Jahren nicht gehabt, mehr wollte sie nicht haben; denn sie war vollkommen glücklich in dem, was sie hatte. Der Gouverneur besuchte mit Hacinto und Margarito alle Familien, die auf der Hazienda wohnten, ging in alle Hütten, sprach mit allen Leuten, hätschelte die Kinder, nahm das eine und das andere auf den Arm, gab ihnen Zuckerwaren und kleine Geldmünzen. Wenn er eine Hütte verließ, um zur nächsten zu gehen, folgte ihm die ganze Familie nach. So ging es von einem Hause zum andern, bis er, bei der letzten Hütte angelangt, alle Familien der Hazienda, mit allen Kindern, Hunden, Eselsfüllen und Schweinen hinter sich hatte. Niemand auf der ganzen Hazienda, auch Hacinto nicht, auch Margarito nicht, ermüdete ihn damit, nach jedem zweiten Worte Senjor Gouverneur zu sagen, niemand sagte ihm ein schmeichelhaftes Wort, niemand haschte nach einer Gunst, niemand strengte sich an, ihn lächeln zu machen. Aber in jeder Hütte, wo er eintrat, kam ihm der Hausherr entgegen, wenn er nicht schon vor der Tür gestanden hatte, neigte den Kopf und sagte schlicht: „A sus ordenes, Senjor, ich stehe zu Ihren Diensten; das Haus, in dem Sie sich befinden, ist Ihr Haus.“ Die Frau des Hauses, immer ein nacktes Kind auf dem Arm, pflückte sofort Blumen und gab sie einem der größeren Kinder, die nackt und halbnackt herumliefen, damit es die Blumen dem Gouverneur überreiche. Dann ging der Gouverneur, gefolgt von allen in einem Haufen, über die Felder der Rosa Blanca, betrachtete sich den Mais, das Zuckerrohr, die Orangen- und Zitronenpflanzung, die Trapiche, in der das Zuckerrohr ausgepreßt wurde, das Baumwollfeld, die Papayapflanzung, die Bananenpflanzung, die Weide, wo die Kühe waren, die Mules, die Pferde, die Esel. Auch den Papagei, der ein häßliches Schwein zum Freunde hatte und sich mit den andern Schweinen herumzankte, mußte er sehen. Alles, was zu sehen war, sah er sich an. Sah sich alles so an, als ob er in den Ferien wäre und nirgendwo in der Welt ein Amt zurückgelassen habe, das viel Sorgen bereitet, viel Arbeit mit sich trägt, viel Neid hervorruft und wenig Freude bringt. Der Gouverneur war in einer Großstadt geboren und aufgewachsen. Er hatte immer nur in der Großstadt gelebt. Hatte in Mexiko City studiert. War zuweilen von Freunden eingeladen worden auf die Haziendas der reichen Mexikaner, die gleich Lords auf ihrem Besitztum leben, meist jedoch mehr Großstädter als Landbewohner sind und mehr Wochen im Jahr in Mexiko, in Puebla, in Queretaro oder in San Luis Potosi zubringen als auf ihrer Hazienda, deren Leitung sie ihrem Mayordomo überlassen. Zum ersten Male in seinem Leben war er nun auf einer Hazienda, deren Besitzer Indianer war, und wo alle Menschen, die dort lebten, Indianer waren. Es geschah ganz unerwartet, daß in ihm sich plötzlich der Indianer regte, der in seinem Blute war. Denn obgleich er gebildet war wie ein gebildeter Amerikaner, obgleich er gekleidet war wie jeder amerikanische Großstädter, obgleich er lebte, wie jeder zivilisierte Mensch in einer Großstadt lebt, so war seine Hautfarbe, die Farbe und die Schwermut seiner Augen, die Farbe und Strähnigkeit seines Haares doch so durchaus gleich Hacinto, daß sie waren, als hätte beide dieselbe Mutter geboren. Das weiße Blut, das er von einem spanischen Vorfahren in seinen Adern hatte, war nicht stark genug gewesen, auch nur einen Schimmer in ihm zu zeigen. Die Ur-Rasse des Kontinents war so mächtig, daß sie alles fremde europäische Blut, das in ihm war, aufgesogen hatte, wie sie alles fremde Blut nach und nach aufsaugt, das hier geboren wird. Denn das fremde Blut unterliegt ja nicht nur dem Einfluß des indianischen Blutes durch Mischungen bei der Zeugung, sondern es unterliegt auch denselben Einflüssen des Klimas, des Wassers und der Nahrung, die in Jahrtausenden die Eigenheit und Einzigkeit der indianischen Rasse schufen. Und weil der Indianer in ihm sich regte, sich geltend machte unter dieser Umgebung, darum begann er, mit den Indianern jetzt und hier zu fühlen und zu empfinden. Dinge, die er vorher nicht verstanden hatte, begann er jetzt in seinem Gefühl und in seiner Seele zu verstehen. Als er zu Licenciado Perez von der Heimat und den Heimatsrechten der Leute auf der Rosa Blanca geredet hatte, da sprach er rein theoretisch von Heimat. Etwa so wie von Heimat in Gesetzesparagraphen geredet wird, durch die Nationalität und Staatsangehörigkeit von Individuen festgelegt werden soll. Heimat war dann ein allgemeiner Begriff, der sich durch Dokumente ausdrücken ließ, durch Auszüge aus dem Geburtsregister bestätigt und begrenzt wurde. Eine rein zufällige Sache, die durch den Wohnungswechsel der Eltern und auch durch absichtliche und unabsichtliche Fehler in den Registern beeinflußt werden konnte. Hier nun aber sah der Gouverneur den Begriff Heimat von einer Seite aus, die ihm bisher fremd geblieben war. Diese Heimat konnte durch Gesetz, durch Register weder bestimmt noch beeinflußt werden. Diese Heimat war eine Angelegenheit der Seele. Diese Heimat war etwas, das den Menschen schuf. Den Großstädter sowie auch viele Bauern und Farmer kann man in eine andere Großstadt oder auf eine andere Farm versetzen, und sie sind sofort wieder daheim. Aber hier waren die Menschen so eins mit der Erde, daß sie aufhörten Mensch zu sein, wenn sie aus dieser Heimat entwurzelt wurden. So kam der Gouverneur, aus seinem indianischen Blute heraus, zu der Überzeugung, daß kein Öl auf der Erde, kein Automobil, kein Dieselmotor wertvoll genug sei, dagegen Heimat auszutauschen. Öl und Automobile und Flugmaschinen sind schöne Dinge, die dem Menschen viel Nutzen und viel Erleichterung in seiner Arbeit bringen; aber was bedeuten dem Menschen, insbesondere diesen Menschen hier, Öl und Motoren, wenn sie ihn in seinem Wesen und in seiner Seele viel ärmer machen als er ist mit der Heimat als Lebensbasis, mit der Heimat, die ihm Inbegriff alles dessen ist, was Freude, Glück, Zufriedenheit, Ruhe, Lebenssicherheit, Liebe, Poesie, Kunst, Religion, Gottheit, Paradies sind. Wir alle, wir Armen, wir freuen uns an der Maschine, am Flugzeug, am Radioapparat, am Fernkino nur darum, weil wir unsere Heimat verloren haben. Der Verlust unserer Heimat ließ uns stumpf und zerrissen zurück. Um uns zu betäuben, um unseres Verlustes, unseres Schmerzes uns nicht bewußt zu werden, darum brauchen wir Gasolin, das uns Schnelligkeit vorzaubert, damit wir rascher fliehen können vor uns selbst und vor unseren Herzensnöten. Das alles kam hier jetzt dem Gouverneur zum Bewußtsein. Weil er indianisches Blut hatte und in seinem Blute der Heimat noch näher stand als der Weiße, der seine Heimat seit Jahrtausenden verloren hat und seitdem rastlos in der Welt umherflitzt, immer getrieben und gehetzt, niemals Zeit habend, niemals Zeit gewinnend, ob er Eisenbahnen baut und Expreßzüge, oder ob er Flugzeuge baut oder drahtlose Telephone. Er wird immer rastloser, immer gehetzter, hat immer weniger Zeit, je mehr er auch erfindet, um Zeit zu gewinnen. Gejagt von einem Kontinent zum andern, von Asien nach Europa, von Europa nach Amerika, von Amerika wieder nach Asien. Dann Kriegszüge und Weltkriege, um eine neue Heimat zu finden. Und alle seine Wissenschafter suchen und suchen vergebens, zu finden, wo die Heimat des Weißen ist. Und der Gouverneur sprach mit Hacinto und mit Margarito und mit den übrigen Männern. Sprach mit ihnen, als hätte er sie gekannt seit zehntausend Jahren. Er verstand alles, was sie sagten, und begriff alles. Begann sich mit ihnen allen zu duzen. Trank mit ihnen Tequila und Habanero aus derselben Flasche, die von Mund zu Munde ging. Er, der Indianer, hatte heimgefunden, hörte zum ersten Male seine Seele zu ihm sprechen, hatte zum ersten Male in seinem Leben das Bewußtsein, daß er zu Hause sei, war zum ersten Male in seinem Leben wahrhaft glücklich, zufrieden und eines unbekümmert freudigen Mutes, der keine Furcht vor Sorgen kennt. Er zog die eleganten braunen Schuhe von den Füßen und ließ sich von Hacinto ein paar alte Sandalen geben. Zog den Rock aus, knöpfte den Kragen ab, steckte den Kopf durch den Schlitz der Tilma und warf sie sich über. Drehte sich Zigaretten aus Maisblättern. Aß Tortillas und Frijoles. Schälte das Fleisch von den gebackenen Hühnchen mit den Fingern ab und tunkte es mit den Fingern in die rotbraune Mole. Nahm nach Indianerart das Salz prisenweise mit den Fingern auf und schob es so in den Mund. Biß große Stücke von der grünen Chile ab und trank den Kaffee schwarz und gesüßt mit dem braunen rohen Zucker, der auf der Hazienda selbst gemacht wurde. Der Gouverneur mußte alle Pferde reiten, um zu sagen, welches das beste sei. War der Gouverneur in der Stadt mit seinen Freunden zusammen und wurde nicht über Politik geredet, dann wußten meist nach einer Weile weder er noch seine Freunde, was man reden sollte. Und weil man keinen Unsinn reden und keinen Klatsch breittreten und ausstänkern wollte, fanden sich der Gouverneur und seine Freunde immer recht hilflos. Dann mußte man sich mit Dominoklötzchen helfen oder mit Schach oder mit Billard oder mit Karten; weil man nicht wußte, was man mit sich und mit seinen Freunden beginnen sollte und man doch auch nicht ganz und gar verdusseln wollte. Hier, auf der Rosa Blanca, kam dem Gouverneur auch nicht für eine Minute der Wunsch nach Domino oder Karten. Er saß mit Hacinto und Margarito in Schaukelstühlen in dem Portico. Alle Männer der Hazienda waren da. Einige saßen auf der Holztreppe, die vom Hofe in den Portico führte, andere hockten auf dem Erdboden vor der Treppe, wieder andere hockten im Portico, auf dem Fußboden aus dicken Bohlen, andere saßen auf dem Geländer des Porticos, und wieder andere lehnten sich gegen die Säulen. Sie mischten sich nicht in das Gespräch, das die drei Männer, die in den Schaukelstühlen sich wiegten, führten. Sie hörten nur zu, um zu hören und zu erfahren. Zuweilen flüsterte der eine der zuhörenden Männer zu einem andern. Zuweilen rief Hacinto oder Margarito einen der Männer herbei, um ihn etwas zu fragen, was auf das Gespräch sich bezog, eine Auskunft über die Mules, über das Vieh, über eine Familie und was es so gab im Leben auf der Hazienda. Die Dinge, die der Gouverneur mit Hacinto und Margarito besprach, waren so ureinfach, wie Dinge überhaupt nur sein können. Sie sprachen über Mais, über Zucker, über Salz, über den Preis für Kühe und Schweine, über Holz und Wald, über gutes und schlechtes Weideland, über den Ertrag anderer Haziendas, über die Zahl der Kinder, die einzelne Familien hatten, über Krankheiten des einen Mannes oder einer Frau, über Kurmittel für Kühe, Pferde und Mules, über die Beschaffenheit der Wege in der Nähe, über die weite Entfernung der Schule für die Kinder, die nur unregelmäßig die Schule besuchten, über die Tatsache, daß Hacinto noch im selben Jahr eine Schule bauen wolle auf der Hazienda und daß er den Lehrer bezahlen werde, über Wetter, über die Menge des Regens, über Trockenheit, über die Tiger, die im Busch herumfauchten und zuweilen ein Kalb oder eine Ziege fortschleppten, über Moskitos, über Henequen, den zu bauen man angefangen habe und von dessen Fasern man jetzt auf der Hazienda alle Leinen und Lassos selbst anfertige und man sogar schon überschüssige Ware verkaufte, und was es so an den Vorgängen und Geschehnissen auf einer großen Hazienda gab. Mit keinem Worte redeten die Leute von Politik. Ob Don Manuel oder Don Justo Präsident der Republik war, darum kümmerte sich hier kein Mensch; ob die Amerikaner in die Republik einmarschieren wollten oder ob sie in den Häfen von Nicaragua mit Panzerschiffen protzten und dort Kanonen abfeuerten, das war für die Menschen hier ohne jedes Interesse. Ihre Heimat war nicht die mexikanische Republik, ihre Heimat war die Weiße Rose; und Dinge, die sich nicht auf die Rosa Blanca in irgendeiner Weise bezogen, existierten nicht für die Leute. Dennoch, trotzdem es erschien, als hätten die Männer keine weiten Interessen über ihre enge Heimat hinaus, so waren doch ihre Reden zuweilen so voll von Weisheit und Philosophie, daß der Gouverneur mehr als einmal aufhorchte und im Vergleichen so viele Meinungen, die er anderswo gehört oder gelesen hatte, recht nichtig und unbedeutend fand, nicht wert, über sie nachzudenken. Hier mußte er immerwährend denken. Eine völlig neue Welt eröffnete sich vor ihm. Eine Welt, von deren Existenz er nichts gewußt hatte, obgleich er glaubte, alles studiert zu haben, was es auf Erden und in Büchern gab. Alles war hier einfach und natürlich. Alles ließ sich sofort verstehen, weil alles in natürlichen Dingen und Vorgängen wurzelte. Nichts erschien kompliziert. Nichts war umkleidet und verkleidet von Paragraphen, Formeln und Entscheidungen in Parlamenten und in Obergerichtshöfen. Hier waren keine Gesetze, keine Katechismen, keine Statuten, keine Parteiprogramme. Und trotzdem lebten die Menschen hier, und trotzdem ging alles seinen Lauf. Nirgends war ein Zusammenstoßen, nirgends ein Verwirren, nirgends eine Unklarheit. Die Frauen bekamen alle viele Kinder. Für alle war Nahrung vorhanden, und alle wuchsen heran, wenn sie die ersten Jahre überstanden hatten. Hier gab es keine Probleme. Hier gab es keine sozialen Fragen. Hier gab es weder Reiche noch Arme, weder Ausbeuter noch Sklaven. Und wenn es wirklich Streit gab, so wurzelte er in so einfachen Ursachen, daß er mit einem Worte Hacintos geschlichtet und so entschieden wurde, daß alle seine Entscheidung als die einzige und als die richtige anerkannten. Es gab hier keine Ungerechtigkeit, weil die Gerechtigkeit natürlich und selbstverständlich war. Denn niemand dachte über Gerechtigkeit nach, weil Begriffe von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit hier völlig fehlten und sich nicht entwickeln konnten. 8 Am Abend, als die Nacht schwarz war, wurde auf einem altarähnlichen Block von Steinen, der in der Mitte des Hofes war, eine großer Haufen Holz angezündet, der den weiten Platz des Hofes der Hazienda erleuchtete. So wurde es getan seit vielen hundert Jahren. Dann kamen alle Familien zum Tanz. Einige Männer der Hazienda spielten auf Geigen, Gitarren und Flöten die Tanzmusik. Es wurde zu den Tänzen meist gesungen von denen, die musizierten, und von denen, die nicht tanzten. Um Mitternacht oder so begannen alle Männer und Frauen zu singen, ohne dabei zu tanzen. Und dann sangen sie ihre Nationalhymne, das Lied ihrer Heimat, den Gesang des heimatlichen Ranchos, das Lied von der Weißen Rose, die nahe der Barranca so traulich und friedlich blüht seit ewigen Zeiten her: Wenn ich auch einst verwelken muß, Weiße Rose, du sollst blühen, Und mein letzter Lebenshauch Ist für dich mein Abschiedskuß. Die Leute standen eine Weile still, vom flackernden Feuer des Altars beleuchtet. Dann begannen sie aus drängendem Gefühl, den letzten Sang noch einmal zu wiederholen, begleitet von der schlichten Musik der Geigen, Gitarren und Flöten: Cuándo llame la muerte a mi Pensaré en ti mi Rosa Blanca Y mi ultimo suspiro Lleve dulces besos para ti. Hacinto und Margarito hatten das Lied mitgesungen. Den letzten Sang, als er wiederholt wurde, sang auch der Gouverneur mit. Und als er sang, dachte er, daß diese Hymne ebenso schön sei wie die Nationalhymne des mexikanischen Volkes. Und er dachte, daß ihr eigenes Lied den Leuten hier mehr sagte als die strahlend schöne Hymne der Republik, die zwar süß ist und feurig zugleich, aber doch nicht den Frieden dieses schlichten Gesanges hier atmet, denn sie beginnt mit einem schmetternden Kriegsschrei, der alle Söhne und Töchter der Republik aufruft, ihr schönes Land gegen den Feind, der es zertreten will, zu verteidigen. Hätten die Mexikaner als Volk die brüderliche Liebe, die jene Menschen hier auf der Rosa Blanca vereint zu einer einigen Familie, so brauchten sie weder Amerikaner noch Briten zu fürchten; weil sie dann sicherer wären als mit Soldaten und Geschützen. Denn kein fremdes Kriegsheer kann weit in mexikanische Erde kommen, wenn es keine Verbündeten unter den Mexikanern selbst findet. So war es, als Cortes in Mexiko einmarschierte, so war es, als MacMahon in das Land zog, und so war es, als die Amerikaner nach Chapultepec und siebzig Jahre später nach Veracruz kamen. Der Feind des mexikanischen Volkes, sein größter Feind, sitzt im Lande und nicht draußen. Das dachte der Gouverneur, als das Heimatlied endlich verklungen war und die Leute wieder zu tanzen begonnen hatten. Der Tanz dauerte bis zum ersten Aufleuchten des Morgensternes. Der Gouverneur tanzte mit den Frauen und Mädchen. Er vergaß Bälle, Parlamentsreden, Regierungsgeschäfte und Öl-Companien. Alles das hatte aufgehört in der Welt zu existieren. Es waren nur noch in der Welt: Tanz, Musik, süße Lieder. Es waren nur noch auf Erden, beleuchtet von einem rotgelben flackernden Feuer, weißgekleidete Männer und Frauen in bunten Röcken und weißen Jacken, reichgestickt mit roten, grünen, gelben Blättern und verzierten Ranken. Es gab nur noch lachende, tanzende, schwitzende Frauen mit schweren schwarzen Augen, nacktem braunen Hals und nackten braunen kräftigen Armen. Nur noch Frauen und Mädchen mit glänzenden freudigen Augen und mit leuchtenden Blumen und roten Wollbändern in das tiefschwarze dicke Haar geflochten. Es war nur noch Singen in der Welt, nur noch Freude, Sorglosigkeit, Zufriedenheit, Sicherheit, ein loderndes Feuer auf einem Steinaltar. Und Heimat. Und Heimat. Nichts als Heimat. 9 Der Gouverneur war zurückgekommen nach Jalapa. Er bestellte Licenciado Perez zur Audienz. Sagte zu ihm: „Ich habe den Fall Condor Oil noch einmal genau vorgenommen. Ingenieur Ramirez vom Industrie- und Arbeitsdepartment ist mir behilflich gewesen. Er kennt alle Akten und Pläne. Wir haben folgendes festgestellt: Die Condor Oil ist die zweitstärkste Company in Mexiko, soweit der Besitz und soweit Leases von Ölland in Frage kommen. Die Company hat bis heute nur ein Vierzigstel ihrer Ländereien unter Produktion und unter Bohrungen. Selbst wenn die Company im gleichen Tempo wie bisher weiter arbeiten sollte, was ich nicht glaube, dann hat die Company noch für fünfzig Jahre genügend Land zur Verfügung und unter ihrer Kontrolle, um so viel Öl zu produzieren, wie sie benötigt. Es liegt also keine Notwendigkeit vor, ihr noch mehr Land – und jetzt zwangsweise – zuzuschieben, um sie arbeitsfähig und produktiv zu erhalten. Sie hat bei weitem noch nicht den zwanzigsten Teil derjenigen ihrer Felder unter Arbeit genommen, die nicht zweifelhafte Felder sind, sondern sichere und tragende Felder. Wir haben festgestellt, daß die Company selbst jene Felder noch nicht angebohrt hat, die anzubohren sie auf Grund der Konzessionen, die ihr gegeben wurden, verpflichtet war. Wir haben das Recht, ihr diese Felder abzunehmen und sie frei zu stellen für andere willige Companien oder für die Nationalproduktion, weil sie die Konzessionsbedingungen nicht erfüllt hat. Wir denken vorläufig nicht daran, sie zur Einhaltung der Konzessionsverpflichtungen zu zwingen, um nicht den Anschein in den Staaten zu erwecken, als ob wir den fremden Companien das Arbeiten erschweren. Die Condor Oil benötigt also die Rosa Blanca nicht. Eine andere Company kommt nicht in Frage, weil die Condor Oil alles Land rund um die Rosa Blanca unter Kontrolle hält mit ihren Leases, soweit es nicht Besitz der Condor Oil ist. Unter diesen Umständen kann ich nicht, selbst wenn ich Ihnen und der Condor Oil gefällig sein wollte, ein Staatsinteresse vorschieben, um den Verkauf der Rosa Blanca durch Decreto zu verfügen. Das wäre ungerecht und unwahr. Ferner: Dasselbe Staatsinteresse, das die Condor Oil anzurufen gedenkt, um ihre Produktion zu heben, dasselbe Staatsinteresse zwingt mich, die Rosa Blanca in dem Besitz zu lassen, in dem sie sich heute und seit Hunderten von Jahren befindet. Der Besitzer hat nicht die Absicht, zu verkaufen. Und das Staatsinteresse gebietet uns eher, die Rosa Blanca zu erhalten und mit allen Kräften des Staates zu schützen, als sie für die Produktion von Öl freizugeben. Die Condor Oil Company ist in Mexiko registriert, aber ihre Aktionäre sind bis auf einen, den ich den gesetzlichen mexikanischen Aktionär nennen möchte, keine mexikanischen Bürger. Dahingegen sind alle Leute, die auf der Rosa Blanca leben und von ihr leben, mexikanische Bürger, denen wir aus demselben Staatsinteresse heraus, das die Condor Oil zu ihren Gunsten anruft, die Heimat nicht nehmen können, die Heimat, auf die sie in ihrem Lande ein konstitutionelles Recht haben. Läge freilich der Fall vor, daß das Öl, das nach Angaben der Geologen die Rosa Blanca in reichem Maße trägt, unbedingt notwendig gebraucht wird und genügend Öl aus den Ländereien, die unter Kontrolle der Oil-Companien stehen, nicht herangeschafft werden kann, dann muß die Rosa Blanca geopfert werden. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Nach menschlichem Ermessen wird ein solcher Fall in den nächsten fünfzig Jahren nicht eintreten. Und tritt er nach fünfzig Jahren wirklich ein, das zu entscheiden, was dann zu geschehen hat, ist nicht meine Aufgabe und ist nicht die Aufgabe der Federal-Regierung. Dann wird Zeit genug sein, den Fall zu entscheiden, und ich überlasse die Entscheidung den Männern, die dann leben und regieren werden. Und damit, lieber Licenciado, ist der Fall La Rosa Blanca für mich und, solange ich im Amte bin, auch für die mexikanische Regierung abgeschlossen. Wenn die Company dennoch den Kauf der Rosa Blanca von Don Hacinto auf privatem Wege erzielt, so ist das eine Sache, die über meine Rechte und Befugnisse hinausgeht. Die Regierung jedenfalls kann hier nichts verfügen und wird hier nichts verfügen.“ „Ja, dann“, sagte Licenciado Perez, „dann muß die Condor Oil wohl eben die Idee aufgeben. Ich habe das meinige getan.“ Der Gouverneur stand auf, ging um den Tisch herum und kam ganz dicht auf Licenciado Perez zu. Er tippte ihn freundschaftlich auf die Brust und sagte: „Das war es, Perez, was ich Ihnen amtlich zu sagen hatte. Und das ist es, was als Schlußdokument in die Akten kommt, den Fall Condor Oil Company und La Rosa Blanca betreffend. Persönlich aber möchte ich Ihnen sagen: Lassen Sie die Finger fort von der Weißen Rose. Es wäre schade um sie, wenn sie gebrochen würde und sich in ein stinkendes, lärmendes Ölfeld verwandelte. Ich war dieser Tage dort. Sie ist ein Juwel. Und es wohnen Menschen dort. Indianer. Prachtmenschen, die Lumpen und Banditen werden, wenn sie die Weiße Rose nicht mehr haben. Wir haben doch genug der Fälle in der Republik. Wer sind denn alle die Banditen und Zugräuber, die wir haben? Alles Leute, denen eine Rosa Blanca verlorenging, und die nun nicht länger wissen, was sie mit sich anfangen sollen, die in den Städten verludern und dann auf den billigsten Ausweg verfallen, sich am Leben zu halten, auf Stehlen und auf Morden. Außerdem noch etwas. Es kann der Tag kommen, daß wir, die Mexikaner, Öl gebrauchen und nicht wissen, wo wir es haben können, weil die Gringos alles in Händen halten. Dann kann uns vielleicht die Weiße Rose zur Rettung werden, kann vielleicht unsere letzte Rettung sein, weil die Männer vor uns, besonders der Coyote Porfirio Diaz, das Land verkauft und verschachert haben. Dann mag die Weiße Rose geopfert werden, dann mag eine kleine Heimat geopfert werden, um eine größere Heimat, die Republik, die Heimat des mexikanischen Volkes, zu erhalten. Ja, das – das wäre dann eigentlich alles, lieber Licenciado. Wenn ich sonst für Sie etwas tun kann, Sie wissen, Sie dürfen immer auf mich zählen.“ 10 Perez ging zur Western Union Cable Office und schrieb das Telegramm aus für San Francisco: Rosa Blanca verloren. Als er das Telegramm dem Beamten überreichen wollte, stand da ein amerikanischer Zeitungsmann, der ein längeres Telegramm für die A. P. – Associated Press, Telegraphendienst der Vereinigten amerikanischen Zeitungen – aufgab und in der Preisverhandlung mit dem Beamten englisch sprach. Licenciado Perez fühlte sich plötzlich als Mexikaner, was er lange Zeit vergessen zu haben schien, weil ihn die Condor Oil sehr gut bezahlte. Er zerriß das Formular und schrieb ein neues Telegramm. Es hieß nun: Rosa Blanca aus. Damit wollte er sagen, daß die Weiße Rose aus dem Rennen endgültig ausgeschieden sei. Obgleich er für ihre Erhaltung nichts getan hatte, so fühlte er jetzt dennoch eine stille Freude, daß die Weiße Rose für Mexiko gewonnen war. 11 Sechs Tage später erhielt er einen Brief vom Hauptquartier der Condor Oil, in dem ihm empfohlen wurde, dem Gouverneur auf geschickte Art hunderttausend Dollar beizubringen, wenn nötig, seien auch einhundertfünfzigtausend zur Verfügung. Zwei Schecks lagen dem Briefe bei. Perez antwortete sofort und riet der Condor Co., keine Bestechungsversuche irgendwelcher Art gegenüber dem Gouverneur zu wagen, sie könne dabei nur verlieren, und er könne ihr die übelsten Geschichten machen, denn er sei nicht von dem Schlage, der in den Staaten in den Filmen und in den billigen Romanen gezeigt wird. Dann schrieb er einen zweiten Brief, in dem er der Company mitteilte, daß er sein Amt als mexikanischer Syndikus der Condor Oil niederlege, weil er mit anderen Geschäften zu überhäuft sei. Nachdem er den Brief geschrieben und in den Umschlag gesteckt hatte, überlegte er eine Weile. Dann sagte er zu sich: „Das wäre eine Dummheit. Wenn ich helfen will und Einfluß haben will, muß ich drinbleiben und darf nicht hinausgehen. Nicht mehr drin, bin ich völlig machtlos. Dann kriegt vielleicht so ein Weiberfeger, der seine Zeit und sein Geld in den Kabaretts verludert, das Amt. Und um mit seinen Weibern und seinen Kognakflaschen fertig zu werden, ist er immer hinter den Dollars her und verkauft seine Seele und die Seele aller anderen und tut alles, was die da drüben kommandieren, ob Ehre oder nicht Ehre.“ Er zerriß den Kündigungsbrief und blieb Syndikus. Schrieb jedoch in den anderen Brief noch hinein, daß er dringend rate, die Rosa Blanca aus dem Spiele zu lassen, weil die Stimmung im Lande gegen die fremden Öl-Companien und gegen ihre Manipulationen zur Zeit nicht gerade sehr gut sei. Als Mr. Collins den Brief las, sagte er zu dem ersten Vizepräsidenten: „Dieser Licenciado Perez ist einer der besten Anwälte, die wir da unten haben können. Er steht glänzend mit der Regierung und mit den drei Gouverneuren, mit denen wir zu tun haben. Er ist ein kluger Bursche. Diplomat. Aber er ist nicht smart. Für bestimmte Sachen ist er nicht zu gebrauchen. Wir werden besser tun, uns nebenbei einen Curbstone Polisher, einen Eckensteher, zu halten, der den Daumennagel auf die Knöchelsehnen zu drücken versteht. Werde darüber nachdenken.“ 9 1 Wer Mr. Chaney Collins nicht näher kannte, der mochte glauben, daß er die Rosa Blanca aufgegeben und vergessen habe. Denn er regte sich nicht auf, als die Telegramme und Briefe von Senjor Perez kamen. Die ganze Erregung, die er der Rosa Blanca je zu widmen gedacht hatte, war zum Ausdruck gekommen an jenem Tage, als der Bescheid von Senjor Perez einlief, daß Don Hacinto nicht verkaufen wolle, selbst nicht für den Phantasiepreis, der ihm angeboten worden war. In jener erregten Stunde, als die eine und eine halbe Million Dollar Verpflichtung auf ihm lasteten, versprach er sich, daß er die Rosa Blanca haben müsse. Mit diesem Versprechen, das er sich selbst gab, war die Angelegenheit für ihn dauernd entschieden. Die Rosa Blanca nun zu bekommen, war nur noch eine Frage der Zeit und der darauf verwendeten Kleinarbeit. Mr. Collins war gleich einem großzügigen Mörder. Die höchste Erregung äußerte sich nur in jener Stunde, in der ein Mord beschlossen wurde. War der Mord, also die Tat, erst einmal beschlossen, dann wurde er kalt und nüchtern, konnte ruhig und klar darüber nachdenken wie über die Lösung einer mathematischen Aufgabe. Nicht eine Spur von Erregung konnte jetzt mehr seine Pläne beeinflussen. Das war eine andere Ursache seiner Größe und seiner Erfolge, daß er die Erregung des Spielers nur in der Stunde der Entscheidung hatte, in der Stunde, in der ein Plan oder richtiger ein Ziel bestimmt wurde, und daß er, nachdem das Ziel gesetzt war, sich in dieser Sache nie wieder erregte, sondern nüchtern blieb. Seine Gedanken arbeiteten rein mechanisch, wenn es galt, die einzelnen Schachzüge zu tun. Hatte er das Ziel gesetzt, so gab es für die Betroffenen kein Entrinnen mehr. Sie waren wie eingeschlossen in einen großen Raum. Sie glaubten sich noch frei, weil sie Türen sahen; aber sie wußten nicht, daß die Türen geschlossen waren. Aber die Wände des Raumes schoben sich immer enger und enger zusammen, schlossen den Gefangenen immer dichter ein, bis endlich der Tag kam, an dem die Wände den Gefangenen erdrückt hatten und er herausgenommen wurde, zerbrochen und tot, um auf den Kehrichthaufen der früheren Opfer geworfen zu werden. 2 Mr. Collins hatte die eine und eine halbe Million Dollar auf Kredit von seiner Bank nehmen müssen. Er war die Verpflichtung eingegangen, diesen Kredit innerhalb einer bestimmten Frist abzulösen. Und da er es unternommen hatte, nicht nur jene eine und eine halbe Million zu decken, sondern noch drei und eine halbe Million hinzuzuschaffen, um Betty die eleganteste Jacht der Erde zu kaufen und noch einiges andere mehr, so war er im Grunde vorläufig genau so gut ein Gefangener wie die Opfer, die er sich ausgesucht hatte. Nur war er ein Gefangener, der Willen, Aktivität und Bewegungsfreiheit hatte, Ziel und Wege kannte, um sich aus der Gefangenschaft zu befreien, während seine Opfer in der Verteidigung waren und statt Aktivität nur Passivität besaßen. Sie konnten nicht angreifen, und sie mußten sich verteidigen nach seinem Willen, mit dem er den Angriff leitete. Sie waren auch schon darum im Nachteil, weil sie nicht sahen, wo der Feind war, wer der Feind war, mit welchen Waffen er kämpfte, welche Verbündete er hatte und wo er angriff. So war für sie die Niederlage schon entschieden im selben Augenblick, in dem er den Angriff eröffnete. Aus den laufenden Geschäften der Company hätte er das Geld, das er herbeischaffen wollte, auch herausholen können; aber es hätte mehr Zeit gekostet, als er darauf verwenden konnte. Statt gleichzeitig zwanzig neue Brunnen anzubohren, konnte er den Befehl erteilen, daß gleichzeitig fünfzig neue Brunnen gebohrt wurden. Er durfte damit rechnen, daß von fünfzig Brunnen etwa zehn bis fünfzehn Brunnen mit Öl einkamen. Aber nach den Erfahrungen in den Feldern, in denen gebohrt wurde, war kaum zu erwarten, daß die einzelnen Brunnen mehr brachten als zwischen zweitausend und achttausend Hektoliter täglich. Ob ein Brunnen tot wird, also kein Öl zutage fördert, oder ob ein Brunnen tausend Hektoliter Öl täglich produziert oder hunderttausend Hektoliter täglich, das ist gleich, so weit die Bohrungskosten in Frage kommen. Jeder Brunnen zu bohren kostet so ziemlich das gleiche, ob er tot wird oder ob er produziert. Wenn also Mr. Collins in einer verhältnismäßig kurz beschränkten Zeit fünf Millionen Dollar mehr verdienen wollte als sein übliches Einkommen war, so mußte die Condor Oil Co., die C. O. C., wie sie im Ölgeschäft kurz genannt wurde, um keine Zeit mit langen Worten zu verlieren, innerhalb kurzer Zeit zweihundert Millionen Dollar durch eine besonders hoch getriebene Produktion mehr verdienen als bisher, damit auf die Aktien, die Prämien und die Tantiemen des Mr. Collins jener Betrag extra kommen konnte. Wird die Produktion durch geglückte Bohrungen und durch geschickte Spekulationen und Manipulationen auf dem Markte derart hoch getrieben, so verdiente nicht nur Mr. Collins in wenigen Wochen mehr als bisher, sondern ebenso auch alle übrigen Aktionäre und Aufsichtsratsmitglieder. Darum hat Mr. Collins alle jene Leute als Verbündete, weil auch sie alle ihre besonderen Mehrausgaben für ihre Betties, Jachten und ähnliche notwendige und unentbehrliche Zerstreuungen haben. Manche von ihnen begrüßen eine erhöhte Dividende aus ihren Aktien mit noch größerer Freude als vielleicht Mr. Collins; denn alle sitzen trotz ihrer Riesenvermögen irgendwo fest, sind irgendwo verwickelt in Spekulationen, müssen Erpresser und Erpresserinnen befriedigen, sind Käufe und Verpflichtungen eingegangen und haben jeder einzelne ein Heer von Faulenzern, die in Luxus leben wollen, an den Rockzipfeln hängen, ein Heer von Verwandten und Nichtverwandten, die sich nicht abschütteln lassen. Da zahlreiche ihrer Geschäfte, wohl die meisten ihrer Geschäfte, immer gerade noch so haardicht an den Maschen des Gesetzes entlanggleiten und zuweilen, in unbedachten Momenten, in die Maschen hineinschlüpfen, so müssen Polizeigewaltige, Richter und politische Athleten bezahlt und immer aufs neue bezahlt werden, Hunderttausende von Dollar müssen an die politische Partei, die am Ruder ist, sagen wir, die Republikanische Partei, bezahlt werden, und ist eine Sache gar zu heiß geworden, dann muß eine Kirche gebaut werden oder ein Hospital oder eine Bibliothek, um sich wieder aus den Maschen zu befreien. Heere von Agenten und Spitzeln sind im ständigen Gehalt. Zeitungen müssen aufgekauft oder gut ausbezahlt werden. Die Verbündeten also, die Mr. Collins hat, sind die besten Verbündeten, die man haben kann. Sie brauchen eine unerwartet hohe Nebeneinnahme so dringend wie er. Und sie sind auch darum gute und die besten Verbündeten, weil alle ihre Beziehungen haben. Der Schwager des einen ist Polizeipräsident, der Bruder des andern Oberstaatsanwalt, der Vetter eines andern Kongreßmitglied und die Schwester wieder eines andern hat zu ihrem zweiten Bettgenossen ein Mitglied des Kabinetts. Mit solchen Verbündeten läßt sich natürlich gut und leicht kämpfen. Der Indianer Hacinto Yanyez hat solche gute Verbündete nicht. Darum ist er auch hier wieder im Nachteil. Was immer Mr. Collins auch tun mag, um seine Ziele zu erreichen und seine Pläne durchzusetzen, solange jene Pläne den Erfolg haben, den man von ihnen erwartet, also höhere Dividenden herauszuholen, wird es sanktioniert von allen, die an der großen Schüssel sitzen. Und alle tun ihre Bestes dazu, daß die Pläne sich verwirklichen. Denn in den langen und verzweigten Kanälen fließen einige zehn Dollar gelegentlich selbst bis zu jenem Polizisten, der von seinem ordentlichen Gehalt auf keinen Fall seine große Familie ernähren und seine Söhne und Töchter auf das College zum Studieren schicken kann, damit sie nicht wie er Polizisten zu werden brauchen oder Stenotypisten, sondern Bankbeamte, und sie dadurch dem Schüsselrande näher kommen als der Vater war. 3 Die sozialistischen und die kommunistischen Zeitungen haben zuweilen sogenannte Brumm-Redakteure, die alle Strafen, die auf die Zeitung fallen, in irgendeiner Form abzubrummen haben, damit die wertvolleren Arbeitskräfte der Zeitung erhalten bleiben. Einen solchen Brummer hatte auch die Condor Oil Co. Dieser Brummer war gegenwärtig ein Mr. Abner. Ursprünglich deutscher Herkunft. Sein Vater hatte noch Ebner geheißen. Mr. Abner hatte College und Universität besucht. Hätte er das nicht getan, so wäre er vielleicht ein ehrenwerter Chauffeur oder Mechaniker geworden und hätte sich recht und wacker durchs Leben geschunden, hätte gute amerikanische Bürger gezeugt, wäre endlich eines Tages mit Anstand gestorben und eine Woche lang von seiner zurückgelassenen Witwe und jenen neuerzeugten amerikanischen Bürgern, nach Einkassierung seiner Lebensversicherung, geziemend beweint und sachgemäß betrauert worden. Aber Mr. Abner wollte im weißen Kragen gehen, auch des Werktags. Und darum kam er nach Beendigung seiner Studien als Junior in ein Anwaltsbüro, wo er alle die kleinen Schundsachen machen mußte, die ein Anwalt mit aufnimmt, um sein Büropersonal beschäftigen zu können, damit es nicht an den Bleistiften saugt und zum Fenster hinaussieht. Mr. Abner war auch schon in jenem Anwaltsbüro ein Brummer gewesen. Jede dreckige und jede windige Sache, die bei dem Anwalt unterlief, hatte Mr. Abner, der Juniorteilhaber der Firma, zu verantworten. Er war der stinkende Anwalt, während der Senior immer reine Hände behielt und alles Geld einkassierte, ob es aus dem Gestank einer schmierigen Ehescheidung kam oder aus dem Mistpfuhl einer Erpressung oder aus den Schadenersatzklagen eines Gauners, der sich mit einem Stein das Schienbein zerschlug, sich dann vor ein elegantes Automobil warf, von dem er nicht überfahren, sondern nur gestreift wurde, und endlich aus der Versicherung des Autobesitzers dreitausend Dollar herausschindete, von welchem Betrag der Seniorteilhaber des Mr. Abner die Hälfte abbekam. Auf allerlei verzwickten und gewundenen Pfaden und mit Hilfe eines Ladenfräuleins, durch die er Bettschwager eines Aufsichtsratsmitgliedes der Condor Oil wurde, gelang es Mr. Abner endlich, in der Condor Oil Company zu landen. Er erhielt fünfundsiebzig Dollar die Woche, einen jährlichen Weihnachtsbonus von dreihundert Dollar und wurde sechster Syndikus der Condor Oil Company. Mr. Collins, der ein gutes Auge für die Talente seines großen Personals hatte, erkannte bald die weiten Fähigkeiten des Mr. Abner als Brummer. Um ihn vorteilhafter gebrauchen zu können, machte ihn Mr. Collins zum dritten Junior-Vizepräsidenten mit hundertfünfundzwanzig Dollar die Woche, gab ihm zwei Aktien und Anrecht auf Prämien für Dinge, die Mr. Abner geknobelt hatte. Mr. Collins hatte ihm bei der Rangerhöhung und Lohnerhöhung gesagt, daß er, Mr. Abner, für alle Dinge, die er schiebe, die volle Verantwortung zu übernehmen habe, daß er jetzt ablehnen könne, wenn er wolle, daß er aber, wenn er akzeptiere, gebunden sei. Mr. Collins war ehrlich. Er hatte gefunden, daß es sich besser arbeiten läßt, wenn man jemand offen sagt, wozu er gut ist und wozu nicht. Und er sagte Mr. Abner auch gleich, daß, falls er annehme und daß, wenn Dinge rauchig werden, er etwa gar das Maul verdrehe, daß man ihn so blasen würde, daß er sich glücklich schätzen würde, wenn er dann noch irgendwo in den Staaten die Stiefel putzen dürfte. Mr. Abner war ja kein Grünhorn und wußte sofort, was Mr. Collins damit meinte. Abends, in einem Winkel, gab es Senge. Und was für welche! Und wenn die Senge abgeheilt war, so konnte Mr. Abner nach Osten oder nach Westen ziehen, nach Süden, Norden oder Zentral, er war keine zwei Wochen in Stellung und das Haus bekam einen Brief mit dem Inhalt, daß sich Mr. Abner eines unerhörten Vertrauensbruches schuldig gemacht habe, daß er unzuverlässig sei, weil er ein wackliges Maul habe. Selbst wenn das Haus Mr. Abner hätte behalten wollen, weil vielleicht hier ein verwackeltes Zungenwerk keinen Schaden stiften konnte, so wollte es doch kein Haus, sei es klein oder groß, mit dem mächtigen Mr. Collins verderben, und Mr. Abner mußte weiterziehen, und wenn er großes Glück hatte, konnte er als Reporter arbeiten auf Provision. Und das ist ein stachliges Bettchen, Gnade Gott dem Schächer. Aber Mr. Abner war nicht verwöhnt. Skrupel kannte er nicht. Schlimmere Dinge als in seinem ersten Anwaltsbüro konnten nicht vorkommen. Außerdem, eine Condor Oil Company läßt niemand, der ihren Dreck gefressen hat, im Gefängnis verrosten. Eine Condor Oil Company kennt den Wert einer Arbeit und bezahlt den vollen Wert. So nahm Mr. Abner den Brummerposten an mit allen Bedingungen, die damit verknüpft waren und noch verknüpft werden konnten, ohne daß sie jetzt erwähnt wurden. 4 Dieser Mr. Abner war es, der nun in die Privatoffice des Mr. Collins gerufen wurde. Nachdem sich Mr. Abner gesetzt hatte, nachdem ihm eine der besten Zigarren angeboten worden war, setzte sich Mr. Collins ihm gegenüber. „Abner, ich habe eine Spezialsache für Sie“, begann Mr. Collins. „Eine Sache, die ich nur Ihnen anvertrauen möchte, weil ich unter allen Herren keinen weiß, der diese Sache geschickter und klüger handeln könnte als Sie.“ So war noch nie in seinem Leben mit Mr. Abner geredet worden. Mr. Collins hätte jetzt von ihm verlangen dürfen, daß er allein nach Tibet reisen, dort die Buddha-Figur aus dem Tempel stehlen und nach Amerika bringen müßte. Mr. Abner hätte es getan oder wenigstens versucht. „Die Sache liegt so, Abner. Wir haben da unten in Mexiko, im Staate Veracruz, große Ölländereien unter Kontrolle. Mitten drin, und sehr unbequem für uns, ist eine Farm, oder wie man da unten wohl sagt, eine Hazienda. Heißt La Rosa Blanca. Blöder Name für eine Farm. Aber die Leute sind einmal so. Können wir nicht ändern, ehe wir da nicht einmal fest zugreifen. Na also, die Hazienda müssen wir haben, weil sie uns in unserer Bewegungsfreiheit hindert. Hat schwer Öl. Wir rechnen mit Brunnen von fünfzigtausend und vielleicht von achtzigtausend Barrels in jenem Gelände. Der Besitzer ist ein verlauster Indianer. Halb verblödet, wie diese Indianer alle sind. Weiß nicht, was er will. Ein Faß Branntwein täte es. Und ein paar tausend blanke Dollar dem Bürgermeister der Gemeinde, zu der die Hazienda gehört, in die Hände geschoben. Aber seit der Revolution haben die Leute da unten ja alle den Größenwahn bekommen. Reden sich die Mäuler aus dem Gelenk und denken, sie müßten alles Öl für sich allein haben oder für die Nation, wie sie sagen. Wir haben dem verrückten Nigger, der die Hazienda besitzt, tausend Dollar für den Hektar angeboten, rund vierhundert Dollar für den Acre. Denken Sie, dieser Feuerfresser will dafür verkaufen? Er will nicht. Und der Hektar da unten ist wert zwei Dollar im Durchschnitt. Wir haben unter dem Regime des alten Ruprecht Porfirco Diatsch, oder wie der alte Fuchs geheißen hat, Tausende von Hektar Land für fünfundzwanzig Cent den Hektar gekauft. Natürlich mit einem Tausender für den Bonzen, der da amtlich was zu sagen hat. Aber wie erwähnt, seit der Revolution sind diese Schmierkadetten bockbeinig geworden wie alte Mules. Die Anwälte, die wir da unten haben, sind keine Haselnuß wert. Kosten uns eine Unmasse Geld und tun nichts. Sitzen den ganzen Tag und die ganze Nacht in ihrem Harem. Wissen Sie doch, daß da unten in Mexiko noch die Vielweiberei herrscht?“ „Weiß ich“, bestätigte Mr. Abner. „Hab’s erst gestern wieder gelesen in einer Novelle in der Zeitschrift Action Stories.“ „Ja, na dann kennen Sie ja das Land und die Leute, die da hausen. Wissen Sie, wieviel Generale die da unten haben? Das wissen Sie nicht. Aber ich habe es von Mr. Halburn, der im letzten Sommer unten war. Die haben so viel Generale, daß jeder einzelne Soldat seinen eigenen General hat. Und wenn ein Soldat stirbt, dann duellieren sich zwei Generale, und der General, der überlebt, bekommt dann wieder einen Soldaten, den er kommandieren darf, damit er General bleiben kann. Die Agenten, die wir da unten haben, taugen auch nichts. Telegraphieren nur immerfort um Diäten und Bestechungsgelder, die sie zu zahlen haben, aber wenn wir was haben wollen von ihnen, dann schreiben sie, es sei gegenwärtig nichts zu machen, ehe wir nicht Waffen schicken, um den Banditen und Rebellen zu helfen, die Regierung zu stürzen. Sie sehen also, Abner, daß man da direkt und auf geradem Wege nichts erreichen kann. Die Leute sehen nicht, wo ihr Glück ist. Ich habe nun die Überzeugung gewonnen, daß weder die Anwälte noch die Agenten ernsthaft etwas getan haben, um den Kauf der Hazienda durchzubringen. Die Leute verstehen nicht die Psychologie des Kaufens. Darum kommen sie auch zu nichts und betteln uns ewig an. Wenn wir direkt mit dem Indianer – er läuft nackt herum, wie mir gesagt wurde – verhandeln könnten, dann könnten wir ihm klarmachen, welche Vorteile es für ihn hat, seine Hazienda für gutes Geld zu verkaufen und sich irgendwo anders in Mexiko oder in Arizona eine größere und schönere Farm dafür zu kaufen, mit allen Maschinen und guten Straßen und einem guten Absatzmarkt für seine Produkte.“ Mr. Abner unterbrach hastig und sagte: „Jetzt verstehe ich, Mr. Collins, was zu tun ist. Wir müssen den Indianer hierherbringen in die Office. Dann können wir ihn unter Feuer nehmen.“ 5 Mr. Collins hatte eigentlich nicht daran gedacht, den Indianer Hacinto nach San Francisco zu bringen. Er hatte mehr daran gedacht, daß man versuchen sollte, eine Zusammenkunft mit Hacinto in seinem Lande zu ermöglichen, vielleicht in Mexiko City oder in San Luis Potosi, daß man dann tüchtige Leute mit ihm verhandeln ließe und daß man ihn in der Stadt zerstreue, betrunken mache, mit ihm in die Lichtspiele ginge, daß man ihn mit Geschenken für ihn und seine Frau übertölpele und seine Abreise verzögere mit allen Mitteln, bis er zugestimmt habe. Mehr in dieser Weise hatte sich das Mr. Collins gedacht, als er sagte, daß man direkt mit ihm verhandeln müßte. Aber der Einwurf des Mr. Abner brachte ihn auf die bessere Idee. Wenn es gelingt, Hacinto nach den Staaten, vielleicht gar nach San Francisco zu locken, dann ist der Ankauf der Rosa Blanca gesichert. Und nachdem Mr. Abner den Vorschlag selbst gemacht hatte, änderte Mr. Collins sofort seinen Plan und sagte: „Das ist das beste, das einzige, was wir tun müssen. Wir müssen den Mann hierherbekommen, hier nach San Francisco, in unsere Office. Hier können wir mit ihm den endgültigen Preis festsetzen und ihm in Ruhe die Vorteile klarmachen, die er durch den Verkauf erzielen kann. Wir können ihm hier schöne Farmen zeigen und sie ihm zum Tausch anbieten. Die werden ihn schon verlocken. Kann er doch dann selbst sehen, was sich mit Geld alles machen läßt. Er wird gar nicht mehr zurück wollen auf seine alte verluderte und verdreckte Hazienda. Die Leute sind da noch so weit zurück. Sie werden es nicht glauben, Abner, aber es ist wahr, die reiben den Mais noch auf einem Stein wie die Höhlenmenschen.“ Mr. Collins war oft in Mexiko gewesen. Manches Jahr zweimal, um die Felder zu inspizieren und sich Informationen an der Quelle zu holen. Aber wie alle seinesgleichen, wußte er von dem Lande und von den Menschen, die es bewohnen, gar nichts. Wo sollte er es auch herwissen? Er wohnte im Hotel Imperial in Tampico, aß nur in amerikanischen Restaurants und raste im Auto von Ölfeld zu Ölfeld. In den Feldern sah er sich die mexikanischen Arbeiter überhaupt nicht an. Kaum daß er mit den amerikanischen Drillern und Timekeepern einige Worte redete über die Art des Geländes, in dem sie bohrten. Und wenn er mit seinem Auto übers Land sauste, dann flog er an den Hütten der indianischen Landleute vorüber, ohne auch nur einen Blick in das Leben jener Menschen zu tun. Er sah nur die Schilfhütten, die Palmdächer, die Lehmhäuser, die nackten Kinder, die barfüßigen Männer und Frauen, die herumlaufenden Schweine und Hühner, die seinem Automobil immer im Wege waren. Aber vom Lande wußte er nur das, was er in den amerikanischen Zeitungen und in den Romanen und Novellen der Zeitschriften las, die Thriller, den Leser aufregende Sensationsgeschichten, brachten. Wenn er von Mexiko hörte, dann hörte er nur immer von Banditen, von Rebellionen, von Revolutionen, von Revolverschießereien im Parlament, von Dreck, von Unwissenheit, von abergläubischem Katholizismus. Das war das Mexiko, das er kannte. Es war jedoch ein Gleichgewicht in der Welt vorhanden: Wenn der Mexikaner von Amerika, von den Estados Unidos, hörte, so waren es immer nur Millionäre und Milliardäre, die dort wohnten, denn Amerikaner, die nicht wenigstens Millionäre waren, gab es nicht. Nicht für den Mexikaner. Jeder Amerikaner ist Millionär, und wenn er nicht Millionär ist, so ist er nicht Amerikaner. Nach der Meinung der Mexikaner leben alle Amerikaner nur in Wolkenkratzern, weil es andere Häuser in Amerika nicht gibt. Und es gibt nur einen einzigen Amerikaner, der etwas anderes tut, als Geld zu machen und die armen Mexikaner auszurauben, und das ist Mr. Limber, un hombre muy simpatico, ein sehr sympathischer Mensch, dessen Name sich aber sehr schwer aussprechen läßt, weshalb der Mexikaner statt Mr. Lindbergh einfach Mr. Limber sagt, und jeder weiß, wer gemeint ist. Diese eingehende Kenntnis eines Volkes gegenüber dem Nachbarvolke ist der Aufklärungsarbeit der Zeitungen zu verdanken. Denn jeder weiß, daß die Zeitung nur eine große Aufgabe zu erfüllen hat, die Menschen aufzuklären und ihnen nichts als die reine Wahrheit zu verkünden. Und was Mr. Collins nicht aus den Zeitungen und Zeitschriften über Mexiko und über die Mexikaner lernte, das erfuhr er aus den Anekdoten, die man sich im Hotel erzählte, um sich die Langeweile zu vertreiben, Anekdoten, die nicht in Mexiko erfunden waren, sondern die dem Life, dem Judge und anderen amerikanischen Witzblättern entnommen waren. 6 So war es durchaus erklärlich, daß Mr. Collins die Mexikaner, und nun insbesondere den widerspenstigen Indianer Hacinto Yanyez, so einschätzte, daß sie sich geräuschlos einfügten in seine Kenntnis von Mexiko und von den Mexikanern. Daß es auf Erden Menschen geben konnte, die den Wert des Geldes nicht begriffen, die nicht wußten, was für eine wundervolle, was für eine heilige Sache tausend schöne blanke Dollar sind, das war etwas, das Mr. Collins nicht verstehen konnte. Er glaubte es auch nicht, daß es so etwas gäbe. Er glaubte nur, daß die Höhe einer Summe einen Menschen bewegen könnte, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun. Daß es aber Menschen geben könnte, denen Geld gleichgültig war und die andere Dinge viel höher schätzten als Geld, das glaubte er nicht. Und wenn jemand behauptete, daß ihm irgendein Ding, ein materielles oder ein seelisches Ding mehr wert sei als money, als selbst die höchste Summe von money, so war das nach seiner Meinung nur ein Trick, um eine höhere Summe herauszuarbeiten. „So ist Ihnen nun Ihre Aufgabe klar, Mr. Abner“, fuhr Mr. Collins in seiner Rede fort. „Sie haben den Mann, diesen Don Hacinto, hierherzubringen. Ich überlasse es ganz Ihrer Klugheit, in welcher Weise Sie das erzielen. Die Beträge, die für diesen Zweck notwendig sind, stehen zu Ihrer Verfügung. Freilich warne ich vor einem: Kein Verbrechen, Abner. Das decke ich nicht. Vor allen Dingen dürfen Sie den Mann nicht kidnappen, nicht hinterrücks stehlen und entführen und hierherbringen. Etwa gar narkotisiert. Das gibt eine Schweinerei, für die Sie selbst zu bezahlen haben. Das sage ich Ihnen hiermit ausdrücklich. Das würde uns auch nicht helfen. Die mexikanische Regierung könnte den Vertrag dann anfechten, und wir sausen böse ab. Der Mann muß freiwillig kommen. Wie Sie das zuwege bringen, ist nun Ihre Sache. Ich halte Sie für klug und für intelligent genug, das geschickt zu tun. Darum haben wir auch Sie, Mr. Abner, für diese schwierige Aufgabe gewählt. Wenn der Mann hier in San Francisco ist, dann erhalten Sie eine Sonderprämie von zehntausend Dollar. Vorausgesetzt natürlich, wie ich bereits sagte, daß Sie keine Gewalt und kein Verbrechen ausgeübt haben, ihn hierherzuschaffen. Ich habe mich doch klar ausgedrückt, Mr. Abner? Nicht wahr? Gut. Wenn der Mann dann hier ist, wäre Ihre Aufgabe in der Hauptsache erschöpft. Das übrige, was dann zu tun ist, wird die Aufgabe anderer Herren sein, deren Spezialität es ist, Käufe abzuschließen. Sie reisen vielleicht noch in dieser Woche hinunter nach Mexiko, um den Fall an seiner Quelle zu studieren und die richtigen Maßnahmen zu treffen. That’s all. Damit wären wir zu Ende. Sie kennen Ihre Aufgabe. In den Einzelheiten verlasse ich mich ganz auf Ihre Geschicklichkeit.“ 7 So notwendig und so dringend wie Mr. Collins seine fünf Millionen Dollar benötigte, so notwendig und dringend benötigte Mr. Abner eine Prämie von zehntausend Dollar und eine besondere Anerkennung der Company für gute Leistung. 10 1 Die wilde Gier des Mr. Collins nach dem Besitz der Rosa Blanca war keineswegs eine reine Profitgier, wenngleich er nicht einen Moment lang seine Absicht aus den Augen verlor, fünf Millionen Dollar außerordentlichen Gewinn heranzuschaffen. Seine Erklärung für sein brutales Vorgehen war nicht ganz so skrupellos kapitalistisch, wie es dem Fernstehenden erscheinen mag. Er war durchaus kein Unmensch. Als Mensch war er weder Mörder noch Spitzbube. Als Mensch war er liebenswert. Andernfalls hätte Betty ihn nicht einen Tag lang als ihren Freund und Geliebten geduldet. Hätte er die Rosa Blanca besucht, hätte er die Fähigkeit gehabt, das Wesen der Weißen Rose, das ihres Besitzers und ihrer Bewohner zu verstehen und zu begreifen, hätte er sie mit Liebe sehen können, statt mit einem bloßen geschäftlichen Interesse, dann wäre er gewiß der Mensch gewesen, der mit aller seiner Macht die Weiße Rose vor dem Brechen und dem Verwelken geschützt haben würde. Aber, fern von ihr, fern von ihrer Seele, sah er in ihr nur ein Objekt. Er sah in ihr nur eine amerikanische Farm. Keine einzige amerikanische Farm, die er kannte, war eine Heimat. Keiner von den Farmern, die er kannte, dachte nur eine Minute lang daran, die Farm, auf der er lebte, zu einer Heimat zu machen. Wer eine Farm kaufte, rackerte sich halb zu Tode, um die Farm hochzubringen. Aber nicht hochzubringen mit der Absicht, sie zu einem dauernden Heim zu gestalten, sondern sie hochzubringen mit der Absicht, sie um fünfzig oder hundertfünfzig Prozent teurer zu verkaufen, als er sie gekauft hatte. Die Farm war ein Geschäftsobjekt, wie ein Kaufladen oder wie ein Holzplatz. Keinen Farmer verknüpfte mit seiner Farm irgendein seelisches Band. Die Farm wurde nur angesehen nach ihrem Werte als geldmachendes totes Objekt. So auch das Vieh, das darauf war, und so auch die Fruchtbäume, die dort standen. Wenn ein Farmer neue Bäumchen anpflanzte, so tat er es nicht in dem heiligen Gedanken, daß auch die nachkommenden Geschlechter Apfel, Birnen, Nüsse, Apfelsinen haben wollten und daß wir ihnen diese Früchte hinterlassen müssen, so wie unsere Vorfahren für uns Bäumchen pflanzten. Der Farmer baute die Bäumchen nur darum an, weil er eine Farm mit vielen angepflanzten Fruchtbäumchen teurer verkaufen konnte als ohne Bäume, denn die Farm versprach dem neuen Besitzer einen höheren Gewinn. Wenn ein Farmer eine billige Farm hochgebracht hatte durch seine Arbeit, so beeilte er sich rasch, einen Käufer zu finden, der ihm einen guten Preis zahlte, damit der jetzige Besitzer wieder irgendwo anders eine billige Farm kaufen konnte, mit der Absicht, sie hochzubringen und dann teurer zu verkaufen. 2 In solcher Umgebung lebend, nur solche Farmer kennend, wie konnte man erwarten, daß Mr. Collins die Weiße Rose verstand. Er wußte ja nicht einmal, daß Rosa Blanca bedeutete The White Rose, die Weiße Rose. Mr. Collins sah in der Rosa Blanca nur eine Farm, nichts weiter, und in ihrem Besitzer sah er nichts anderes, als einen eigensinnigen Mexikaner, der von den Millionengewinnen gehört hat, die aus den Ölfeldern herausgeholt werden und der nun versucht, den denkbar höchsten Preis aus seiner Farm herauszuquetschen. Wer nimmt sich das Recht heraus, einen Mr. Collins anzuklagen, einen Mann, der das Produkt seiner Umgebung ist, wie ich ein Produkt meiner Umgebung und meiner Erfahrung bin. Mr. Collins handelt durchaus folgerichtig, entsprechend der Einflüsse, denen er unterliegt. Er kann nicht anders handeln. Und würde er anders handeln, dann wäre er kein Ölmagnat. Und folgen wir den Dingen bis zu ihrer letzten Konsequenz, so kann es in der Tat dahin kommen, daß die Menschheit kein Öl hat, das Öl, das sie so dringend gebraucht in dem Stande der gegenwärtigen Zivilisation. Das Öl, das so wichtig, so unentbehrlich geworden ist, daß der nächste große Krieg in seinem Grundziel nur um den Besitz des Öls und seines kleinen Hilfsknechtes, den Kautschuk, geschlagen werden wird. Jedes Stück Land, das Öl hat, kann schließlich eine Rosa Blanca sein für die, die darauf leben. Und wenn jedes Stück eine Rosa Blanca wäre und sentimental als Rosa Blanca gewertet werden wollte, so wäre eben kein Öl da. Was dann geschehen müßte, um das notwendige Öl zu erhalten, wäre genau dasselbe, vielleicht mit einigen Abänderungen, was jetzt Mr. Collins tut, um die Weiße Rose zu brechen. 3 Für alle seine Handlungen hatte Mr. Collins eine Rechtfertigung, die es ihm in jedem einzelnen Falle erleichterte, sein Gewissen zu beruhigen, wenn ein Vergehen gar zu brüsk erschien und zuweilen gar Konsequenzen hatte, die er weder gewollt noch vorausgesehen hatte. Eine nackte Profitgier kann auf die Dauer selbst den hartgesottensten Geldmacher nicht vor Selbstanklagen und unruhigen Gedanken schützen. Es ruht in allen Menschen eine mehr oder weniger starke Furcht vor Vergeltung für das, was er tut oder bereits getan hat. Diese Vergeltung hat nicht immer etwas mit der Vergeltung nach dem Tode zu tun, an die manche Menschen glauben. Noch hat diese Vergeltung etwas mit einer Vergeltung zu tun, die auf strafrechtlichem Wege erzielt wird, daß also der Mensch mit dem Gesetz in Konflikt kommt und vor einem Richter Rede und Antwort stehen muß für seine Handlungen. Nein, die Vergeltung, die hier gemeint ist und die alle Menschen in ihrem Instinkt fühlen und fürchten, ist anderer Art. Die Menschen fürchten, daß eine schäbige Tat, die sie begangen haben, sich an ihnen oder an denen rächen könnte, die sie lieben. Manche Leute fürchten, daß alles Gut, was sie auf unrechte und niederträchtige Art gewinnen, wieder verlorengeht. Andere fürchten, daß sie nach einer bösen Tat von Unglück in ihrem ferneren Leben verfolgt werden, daß sie krank werden oder siech, und daß, wenn sie selbst nicht getroffen werden, ihre Kinder oder Frauen oder besten Freunde dafür leiden müssen. Viele gehen so weit in diesem Glauben, daß sie erwarten, daß ganz genau dasselbe, was sie jemand antaten, ihnen selbst eines Tages angetan werden wird. Das ist einer der psychologischen Gründe, die beinahe alle Menschen eine Grenze ziehen läßt, über die sie nicht hinauszugehen wagen. Jeder Mensch weiß, daß er nicht der Allmächtige, nicht der Allstarke ist. Jeder weiß, daß er irgendwie in die Hände eines Stärkeren fallen kann, der ihn genau so behandelt, wie er andere behandelt hat. Dieser Instinkt ist es, der das soziale Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen allein ermöglicht. Dieser Instinkt ist es, der einen bösartigen Menschen daran hindert, nachts Eisenbahngleise zu zerstören. Einmal kann in dem Zuge jemand sitzen, den der Mann auf keinen Fall vernichten möchte. Zum andern kann eines Tages auch ein anderer das nachmachen und die Schienen zerstören, wenn er selbst im Zuge sitzt und umkommen kann. Aus demselben Grunde foltert und quält auch kein normaler Mensch einen anderen Menschen, der in seiner Macht ist, und auch nur selten ein Tier, aus reiner Freude am Foltern. Jeder Mensch sucht nach einer Rechtfertigung, um das Niederträchtige und Unsoziale, das er tut, vor sich zu begründen, um es dadurch weniger niederträchtig und weniger unsozial erscheinen zu lassen. Kein König, kein Präsident, keine Gruppe von Kapitalisten werden einen Krieg anzetteln, ohne den Krieg zu rechtfertigen, daß er dem Gemeinwohl diene, daß er aus diesen oder jenen Gründen nicht vermieden werden könne, daß die Achtung vor anderen Völkern, also die Ehre, den Krieg gebiete. Ohne eine moralische Rechtfertigung wird kein Krieg begonnen. Und eine gute Rechtfertigung zu finden, ist die erste Aufgabe derer, die glauben, einen Krieg zu benötigen. Je besser die Rechtfertigung ist, um so sicherer ist der Erfolg in allen Handlungen, die eine Mitwirkung oder die wohlmeinende Duldung anderer Menschen verlangen. Das verhindert natürlich nicht, daß zahlreiche Handlungen begangen und viele Taten verübt werden, wo nach einer Rechtfertigung gar nicht gesucht wird, weil es zu schwer ist, eine gute Rechtfertigung zu finden und weil die Ausführung der Tat aus irgendwelchen Gründen nicht aufgeschoben werden kann. Dies war der Fall bei dem großen Raubzug des Mr. Collins in der Kohlenverwirrung, die er heraufbeschworen hatte. 4 Die Rechtfertigung, die Mr. Collins für seine gegenwärtigen Handlungen hatte, war keine erkünstelte, keine, die er sich in raffinierter Weise ausgedacht und zurechtgelegt hatte, um vor sich und seinen Mitmenschen unbefangen dastehen zu können. Er sagte sich: Die Menschen brauchen Öl. Sie werden morgen noch viel mehr Öl nötig haben als heute. Und nächsten Monat werden sie noch hundertmal mehr Öl nötig haben. Und im nächsten Jahr werden die Menschen fünftausendmal mehr Öl nötig haben als heute, wenn man erst einmal eine Flugmaschine für fünfhundert Dollar kaufen kann und sie so einfach in ihrer Handhabung ist, daß sie jeder ohne Gefahr für sich oder andere fahren kann. Immer mehr Dieselmotoren verdrängen die Dampfmaschine, immer mehr Eisenbahnen werden mit Öl gefeuert. Immer mehr andere wichtige Produkte werden aus Öl heraus produziert. Also die Menschen brauchen mehr und mehr Öl, wenngleich sie nur dieselben Mengen an Weizen, Baumwolle und Leder gebrauchen. Die Condor Oil Company ist eine der stärksten Companien der Erde. Die Condor Oil Company hält einen gewaltigen Teil ölhaltiger Ländereien in ihren Händen, in California, in Oklahoma, in Mexiko, in Venezuela, in Columbia. Und weil das so ist, darum hat die Condor Oil Co. die Verantwortung übernommen, den Menschen das erforderliche Öl zu verschaffen. Mit der Verantwortung hat sie gleichzeitig die Verpflichtung übernommen, das Öl heranzuschaffen, damit die Menschheit nicht darbt an Öl. Da ich der Präsident der Condor Oil Co. bin, so habe ich mit allen meinen Fähigkeiten darauf zu sehen, daß immer mehr Öl vorhanden ist, als heute und morgen gebraucht wird. Denn übermorgen wird mehr gebraucht, und wenn ich nicht vorsorge, wenn ich nicht erwäge, daß alle Brunnen nach einer mehr oder weniger langen Frist leer laufen und daß zahlreiche Brunnen, die gebohrt werden, nicht produzieren, so kann es geschehen, daß die Menschen eines Tages nicht genügend Öl zur Verfügung haben, ihre Maschinen nicht laufen, ihre Motoren verhungern, die Eisenbahnen nicht fahren, die Schiffe keine notwendigen Rohmaterialien aus fremden Ländern bringen und Zehntausende, ja Hunderttausende von Arbeitern ohne Verdienst sind. Und wenn so etwas geschehen sollte, dann macht man mir den Vorwurf, mir, dem Präsidenten der mächtigen Condor Oil Company, ich bin dann verantwortlich für alles Unheil, das aus dem Mangel an Öl entsteht. Was kann ich tun dagegen? Ich muß das Öl heranschaffen und bereit halten für die Menschheit, damit sie nicht Not leidet. Wenn ich dabei verdiene, sagen wir, sehr gut dabei verdiene, so ist das nur eine Bezahlung, die die Menschheit mir schuldet für meine Mühe, für meine Vorsorge, für meine schlaflosen Nächte, für meine Geschicklichkeit, mit der ich das Öl herbeizuschaffen verstehe. Was kann ich denn dafür, wenn Farmer von ihrem Lande vertrieben werden, das ihnen Heimat geworden ist. Ich bin nicht verantwortlich dafür, wenn sie vielleicht gar Selbstmord begehen, weil sie den Verlust ihrer Heimat nicht verwinden können. Es haben sich ja auch ein paar alte Postillione aufgehängt, weil die Leute nicht mehr ihr lustiges Peitschenknallen und ihre Lieder auf dem Posthorn hören wollten, sondern vorzogen, mit der Eisenbahn zu fahren, weil es billiger war, bequemer und rascher. Daß dieser hundsgemeine Schurke, der Abner, ein Bursche, den ich nicht riechen kann seiner Schäbigkeit wegen, jetzt da runtergeht, um der Rosa Blanca das Genick zu brechen, ist ja fürwahr recht traurig. Verflucht und gottverdammt noch mal. Aber tausendmal trauriger ist es, wenn die Menschen eines Tages kein Öl haben. Ich habe diese Welt nicht geschaffen. Das weiß der liebe Gott im Himmel droben. Darum bin ich auch nicht verantwortlich für diese verrückte Welt. Ich habe auch das Öl nicht erfunden und mich eigentlich nie ernsthaft darum gekümmert, wozu die Menschen es überhaupt haben wollen. Aber die Menschen wollen es nun einmal haben, weil sie es brauchen, und ich bin verpflichtet, es ihnen zu geben, weil ich weiß, wo es ist. Warum hat denn der liebe Gott, der so allweise und so allmächtig ist, nicht das alles anders und besser gemacht? In vielen Dingen hätte ich mehr geleistet. Mr. Collins ist vielleicht kein sehr hervorragender Mensch. Aber in seiner Rechtfertigung findet sich kaum ein Fehler. 11 1 Mr. Abner hatte auf dem College Spanisch gelernt. Aber wie das immer so geht mit einer fremden Sprache, die man in der Schule lernt: Als er nach Mexiko kam, fand er, daß die Mexikaner – nach seiner Meinung – ihre eigene Muttersprache nicht verstanden. Er klaubte sich jedoch durch und war eines Tages in Tuxpam angelangt, jenem kleinen Städtchen, von dem aus er seinen Angriff zu leiten gedachte. Er machte sich nicht sofort auf den Weg zur Rosa Blanca, weil er in Tuxpam erst einmal das Gelände, auf dem er zu fechten hatte, studieren wollte. Seine ersten Tage verbrachte er damit, sich in den Cantinas und in den Pool-rooms, den Billardsälen, herumzudrücken. Er hoffte, daß er vielleicht mancherlei hören könnte, das ihm nützlich sei. Hier machte er die Bekanntschaft eines Mestizen, dessen Vater ein Amerikaner gewesen war, der sich in diesem Lande des leichten Lebens mehr und mehr hatte gehen lassen, völlig heruntergekommen war, sich ganz dem Trunke ergab und mit einer Indianerin, mit der er lebte, ein Kind fertiggebracht hatte, jenen Mestizen, dessen Name Frigillo war. Frigillo war als Junge nach den Staaten gegangen, hatte hier in allen nur denkbaren Erwerbszweigen gearbeitet, war mehrfach wegen Diebstahls im Gefängnis gewesen, schließlich von den amerikanischen Behörden wieder nach seiner Heimat Mexiko deportiert worden. Er sprach genügend Englisch. Das half ihm ein gut Teil, wohlbezahlte Arbeit als Kolonnenführer mexikanischer Peons in den Ölfeldern zu finden. Diese geregelte Arbeit in den Feldern sagte ihm nicht zu. Er stellte sich auf eigene Füße und wurde Anwerbungsagent für die Öl-Companien, er warb für die Companien Peons an, die in den Feldern zu arbeiten hatten. Für jeden angeworbenen Mann bekam er eine bestimmte Provision, die je nach den Verhältnissen von drei Pesos bis zwölf Pesos für den Mann betrug. Er verdiente damit ganz schönes Geld; denn die Leute wechselten häufig. Und wenn sie nicht häufig genug wechselten, so verstand er es, die Leute unter irgendeinem Vorwande fortzuschieben, damit die Company wieder neue Leute bei ihm bestellen mußte. Augenblicklich lag er müßig, weil alle Felder mit Leuten versorgt waren und die Löhne so gut standen, daß die Leute es für besser hielten, nicht so oft zu wechseln. Frigillo hatte natürlich ein persönliches Interesse daran, daß neue Felder zur Produktion aufgelegt wurden, weil das erneuten Bedarf an Arbeitern gab und somit leichten Verdienst für ihn. Nicht gleich am ersten Tage ihrer Bekanntschaft, aber noch in derselben Woche begann Mr. Abner, der sich vom Glück begünstigt sah, diesen Mestizen gefunden zu haben, von der Rosa Blanca zu sprechen. Er sagte kein Wort davon, daß er der Rosa Blanca wegen in Mexiko sei. Er erzählte Frigillo, daß er hier sei, um gutes Ölland zu kaufen. La Rosa Blanca war bekannt dafür, reiches Ölland zu sein. Und noch besser bekannt im ganzen Staate war die Tatsache, daß eine große amerikanische Öl-Company die Rosa Blanca kaufen wollte, daß aber Don Hacinto einem Verkaufe nicht zugestimmt habe. Es wurde von fünf Millionen Dollar geredet, die jene Company Don Hacinto geboten hätte. 2 „Dieser Mann ist ja nicht richtig im Kopf“, sagte Frigillo zu Mr. Abner, als sie den Fall besprachen. „Was könnte der Mann für ein herrliches Leben führen. Und wieviel hundert Arbeiter, die heute nach den Staaten auswandern müssen, könnten dort gute Arbeit finden. Sie sind dran, Mister.“ Mr. Abner und Senjor Frigillo spielten Billard, und Mr. Abner ließ den Mestizen gewinnen, um ihn freundlich und redselig zu stimmen. „Aus. Sie haben’s wieder gemacht“, sagte Mr. Abner, während er dem letzten Stoß des Frigillos zusah und sein Queue frisch ankreidete, um damit anzudeuten, daß er einem neuen Spiel mit Erwartung entgegensähe. Das neue Spiel begann, und beide Männer redeten, wie nebenbei, immer von der Rosa Blanca und von Don Hacinto, zwischendurch einige Worte über das Spiel einschiebend. „Da kann es jenem Manne und den armen Burschen, die da auf der Hazienda für ein paar Centavos sich zu Tode arbeiten müssen, doch nur von Segen sein, wenn das Land gut verkauft werden kann. Diese armen Leute haben doch rein gar nichts vom Leben. Können sich kaum Stiefel kaufen, und in ein Kino sind sie nie gekommen.“ „Aber, Mister“, sagte Frigillo, „das ist es ja gerade, was ich eben sagen wollte. Was könnten die Leute verdienen und wie gut könnte es ihnen gehen. Die können mit Lachen ihre vier und fünf Peso den Tag einschieben, und das in acht Stunden. Was haben sie denn jetzt? Siebzig Centavo den Tag. Wenn sie soviel überhaupt kriegen. Das glaube ich noch nicht einmal, daß sie siebzig Centavo den Tag haben. Und dann geht das vom ersten Hahnenkrähen bis in die tiefe schwarze Nacht hinein. Na, wissen Sie, Mister, den Stoß, den Sie da eben gemacht haben, den macht meine kleine linke Zehe besser. Wo haben Sie denn eigentlich Billardspielen gelernt? Geben Sie jetzt mal fein acht, wie wir in Mexiko einen solchen Ball nehmen. Nehme ich wie Ham and Eggs.“ „Na, so ist das nicht, Senjor, wir können auch Poolen. Warten Sie nur, wenn ich Ihnen mal mit einem Bällchen komme. Da können Sie dann vielleicht von New York bis Los Angeles reisen, und Sie werden einen so eleganten Stoß nicht wieder zu sehen kriegen. Haben Sie das gesehen, Hombre. So spielen wir mit Mexikanern. Und das kann ich gleich noch einmal machen und viel pfeifender. Donner und Spucke, der ist abgeglitscht. Was für eine dreckige Sorte von Kreide habt ihr denn hier. Das ist überhaupt keine Kreide, das ist Lippenpomade. Warum verkauft denn der Don Cazimpo –“ „Hacinto heißt er, H–atsche, a–a, c–ce, i–i, n–enne–t–te–o–o. Hacinto, Hacinto Yanyez. Ja, warum er nicht verkauft? Quien sabe, was weiß ich. Vielleicht nicht genug, was er geboten kriegt. Wird seinen Preis haben.“ Mr. Abner stieß das Queue auf den Boden und kreidete wieder. Dabei sagte er: „Vielleicht verstehen die Licenciados, die mit ihm verhandeln, den Mann nicht zu nehmen. Wissen nicht, wie man einen Mann von seinem Vorteil überzeugt.“ Frigillo legte sich über das Billard, um einen schwierigen Ball zu holen. Als es ihm geglückt war, meinte er: „Das wird es sein. Diese Licenciados haben kein Interesse daran, ob er verkauft oder nicht. Sie kriegen ihr Geld, und um das übrige kümmern sie sich nicht.“ „Ich habe wirklich eine gute Absicht, das Land zu kaufen“, sagte Mr. Abner, während er dem Spielen des Frigillo zusah. „Ich habe dicke Geldleute im Rücken, die jede Summe bezahlen.“ „Na, aber hören Sie“, warf Frigillo ein, „wenn Sie so dickes Geld hinter sich haben, dann – dann – wissen Sie, Mister, warum laden Sie Don Hacinto nicht ein, nach den Staaten zu kommen. Bezahlen ihm schön die Reise, und wenn Sie ihn drüben haben, können doch die Leute, die das Geld dranwagen wollen, in aller Ruhe mit ihm den Preis durchsprechen.“ „Das wäre eine Idee, Senjor. Aber denken Sie denn, daß er so eine Reise macht?“ „Nein, das denke ich nicht“, sagte Frigillo. „Das denke ich sicher nicht, daß Hacinto so eine Reise macht. Nicht so ohne weiteres, so ohne Grund. Aber wenn Sie einen guten Grund finden. Warum nicht? Jeder Mensch macht ja gern einmal eine Reise. Aber Hacinto – nein, das glaube ich nicht, daß er so weit reist. Ohne Grund nicht. Freilich, er weiß ja nicht, was weit ist. Ich glaube nicht, daß er je weiter gekommen ist in seinem ganzen Leben als bis Jalapa.“ „Könnten Sie denn nicht einen Grund herausfinden, Senjor, der gut ist, daß er in eine Reise einwilligt. Die Reise hin und auch wieder zurück zahle ich ganz gern. Zahle auch dann, wenn er endlich nicht verkauft. Aber wir haben doch dann wenigstens alles versucht.“ Frigillo sah über den Tisch, und während er einen Ball überlegte, wie er ihn am besten fassen könnte, sagte er gedankenlos: „Grund. Einen Grund. Ja, ich weiß nicht – na, ich nehme den Ball einmal von links und setze ihn drüben auf die Kante, nahe der Ecke. Vorbei. Ich glaube wahrhaftig, die Kreide taugt wirklich nichts. Aber, Mister, nein, wenn Sie sich nun nicht besser hineinquetschen, dann kommen Sie heute nicht auf ein einziges Spiel.“ „Der Tisch scheint nicht gut ausgekegelt zu sein. Der ist ganz bestimmt nicht in der Waage. Der hängt schief. Verwette fünf Dollar, daß der Tisch da in der linken Ecke überhängt.“ Mr. Abner ging um den Billardtisch herum und blickte von allen Seiten waagerecht über ihn hinweg mit einer Wichtigkeit, als ob die Geschicke der Welt davon abhängig wären, daß der Tisch genau in der Waage steht. Nachdem er an den Platz gekommen war, von wo aus er seinen Ball ansetzen wollte, kreidete er wieder das Queue und sagte: „Sie kennen doch den Mann Hacinto gut, Senjor?“ „Freilich kenne ich ihn“, antwortete Frigillo. „Kenne ihn so gut, als ob er mein eigener Bruder wäre.“ „Dann sollte es Ihnen doch nicht schwerfallen, Senjor.“ „Was schwerfallen?“ fragte Frigillo. „Einen Grund herauszufinden, daß Don Hacinto nach den Staaten reist. Hören Sie, Senjor, mein Wort, ein Wort: Wenn es Ihnen glückt, einen guten Grund zu finden, daß Don Hacinto mit mir reist, sollen Sie auch daran verdienen.“ „Wieviel?“ fragte Frigillo, während er seinen Ball faßte. „Sagen wir hundert Peso Gold“, sagte Mr. Abner. „Hundert Dollar Americano.“ Dabei schob Frigillo seinen Ball, als ob sich die hundert Dollar auf den Ball bezögen. „Einverstanden, Senjor Frigillo, hundert Dollar Americano, wenn Don Hacinto mit mir im Zuge sitzt.“ „Natürlich nicht schon morgen. So rasch geht das nicht“, sagte Frigillo. „Ich rechne aber ganz klar auch damit, Mister, wenn Sie das Land kaufen und auflegen für Produktion, dann bekomme ich die Kommission für die Arbeiter, die hier gebraucht werden.“ „Da ist doch keine lange Rede darüber. Freilich bekommen Sie die Kommission“, sagte Mr. Abner. Frigillo sah Mr. Abner an, legte den Kopf einmal auf die rechte Schulter, dann auf die linke, und meinte endlich: „Wir müßten das ja vielleicht etwas schriftlich machen. Aber ich bin ja kein Säugling und weiß, daß Schriftliches auch seinen Haken hat. Aber zu meiner Sicherheit will ich Ihnen doch hier gleich sagen, daß, wenn Sie die Abmachungen, die wir hier getroffen haben, nicht einhalten, ich Ihnen eine solche Dreckerei machen kann, daß Sie und alle Ihre dicken Leute nicht mehr Hiss sagen können. Verstehen Sie? Gut, dann sind wir uns ja über alles klar.“ „Es besteht nicht die kleinste Absicht“, sagte Mr. Abner, „die Bedingungen zu umgehen. Wer hilft, dem wird wieder geholfen. Und einen Agenten für die Anwerbung von Arbeitern brauchen wir. Also warum streiten? Ob Sie die Kommission bekommen oder ein Senjor Z und X, das ist für uns gleich. Aber Sie kennen wir, und darum werden Sie vorgezogen. Ist doch klar und logisch.“ „Das ist Ihr Ball, Mister“, sagte darauf Frigillo. „Nehmen Sie ihn vielleicht ganz scharf von rechts unten und halten Sie hier auf den Punkt der Bande hier. Hier wo ich zeige. So würde ich ihn holen. Na, ich dachte es ja vorher, den haben Sie schön verkracht. Der Teufel mag wissen, wo Sie das gelernt haben, was Sie Billardspielen nennen. Ich nenne das, was Sie da spielen, Eierwürfeln. Aber Leute haben ja manchmal recht merkwürdige Auffassungen über Billardspielen. Es gibt auch hier Gerechte und Sünder wie überall.“ 3 Frigillo nahm sich Zeit in der Sache. Er mußte das alles gut ausdenken, wie er zu Mr. Abner sagte. Er hatte auch nicht viel Interesse daran, daß es schnell ging. Denn solange der Gringo hier war, konnte er ihm täglich fünfzehn bis zwanzig Peso im Billard abnehmen. Man verdient das Geld nicht immer so leicht, und wenn man eine einträgliche Beschäftigung gefunden hat, muß man eine Weile bei ihr aushalten. Aber dann eines Tages, etwa eine Woche später, schien Senjor Frigillo mit seinem Plan fertig zu sein. Mr. Abner hatte inzwischen auch gelernt, worauf die Verzögerung zurückzuführen sei. Er gab sich mehr Mühe, und Frigillo verdiente nicht mehr so viel beim Billard. So verlor der Mestizo das Interesse daran, den Gringo länger hierzubehalten. Der Plan, den sich Senjor Frigillo ausgedacht hatte, wurde beraten, und Mr. Abner fand ihn brauchbar. Sie mieteten sich Pferde und ritten eines Morgens los, um Don Hacinto und die Rosa Blanca zu sehen. 4 Sie kamen zur Hazienda. Der Mestize stellte Mr. Abner vor und sagte zu Hacinto: „Don Hacinto, hier ist ein Americano, der gute und kräftige Reitpferde kaufen möchte, die hier in dieser Gegend geboren und groß geworden sind, weil er sie in den Ölfeldern gebrauchen möchte, für Inspektionsritte.“ Der Indianer sah sich Mr. Abner an, und weil Mr. Abner ihn offen ins Gesicht sah und anlachte, gefiel ihm der Fremde. Er sagte endlich: „Ich habe Pferde, gute kräftige Pferde, die hier auf der Hazienda geboren wurden. Es sind kleine, struppig aussehende Caballitos, aber sie sind kräftig und zäh wie Mules. Gut in der Fütterung. Nicht lastimado, keine einzige wunde Stelle auf dem Rücken. Eingeritten. Kann Ihnen vier, fünf, vielleicht auch sechs verkaufen. Wollen Sie die Caballos sehen? Dann werde ich Margarito rufen, und er kann die Pferde auf der Pastura einfangen und herbringen.“ Mr. Abner hatte sich gegen einen Pfosten des Portico gelehnt und sagte müde: „Es ist nun heute schon recht spät, Don Hacinto. Wir sind auch herzlich müde von dem langen Ritt. Vielleicht bleibe ich ein oder zwei Tage hier, und wir können das Geschäft in Ruhe durchsprechen. Ich möchte auch die Pferde, die ich kaufe, hier ein wenig umherreiten, um zu sehen, wie sie unter dem Sattel sind.“ Er verstand gar nichts von Pferden. Der Indianer sagte: „Es su casa, Senjor, das Haus gehört Ihnen. Ich stehe zu Ihren geschätzten Diensten, Senjor, a sus apreciables ordenes.“ Dann rief er über den weiten Hof: „Miguelito, nimm die Pferde der Caballeros, reite sie zum Fluß hinunter zum Trinken und bringe sie dann auf die eingezäunte Weide. Gib acht, daß der Hengst sie nicht beißt. Schmiere ihnen da auf die aufgeriebenen Satteldrücke Bickmorin zum Abheilen und hier vorn am Hals des Prieto pinsele Kreolin ein, daß die Maden herauskommen.“ Er klopfte die Pferde auf die Schinken und faßte sie mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenlöcher. Die Pferde schnüffelten und wieherten, als sie Kameraden auf der Weide rochen. „Muy bien, Patron, werde ich alles tun“, sagte Miguel, und er begann sich mit den Pferden zu befassen. 5 Die Männer traten ins Haus. Ein Indianerjunge brachte eine Schüssel mit Wasser, Seife und einem Handtuch und bot das den Männern an. Sie wuschen sich die Hände. Dann brachte der Junge auf einem Tablett zwei große Gläser Wasser, und die beiden Angekommenen spülten sich den Mund aus und gurgelten die Kehle sauber von dem Staub des Weges. Don Hacinto hatte inzwischen die Habaneroflasche herbeigeholt, drei Gläser eingeschenkt, und mit einem „Salud!“ tranken sie sich Willkommen. „Guter Habanero“, sagte Frigillo und besah sich die Flasche und das Etikett. „Ist gut“, erwiderte Don Hacinto. „Ist von San Juan Bautista, Tabasco. Ist aus Weintrauben.“ Mr. Abner, um auch etwas zu sagen, warf ein: „Ja, ihr Mexikaner seid gut dran. Ihr seid ein freies Volk. Wir haben es nicht so gut wie ihr. Wenn wir einen trinken, wissen wir nie, ob wir hinterher blind sein werden. Die können auf die Flaschen Etikette kleben, die ganz grau sind vom Alter, mit Scotch Whisky draufgedruckt in altfranzösischen Lettern. Das ist gar kein Beweis, daß dann auch in der Flasche wirklich Whisky drin ist. Es kann auch eine Zyankalilösung sein, und man muß froh sein, daß man es merkt, ehe man einen zu großen Schluck genommen hat. Dieser Habanero ist wirklich gut. Das wußte ich auch gar nicht, daß ihr in Mexiko einen so guten Brandy machen könnt.“ „Wollen Sie noch einen zum Nachspülen, Senjor?“ fragte Hacinto lachend und gutgelaunt. „Gut, well then, noch einen. Aber halt, nur halb voll, Senjor. Wir – ich fürchte – wir, ja wir haben die Gewohnheit verloren und fallen lang um nach einem Fingerhut voll.“ Sie alle tranken noch einen dreiviertel voll zum Nachspülen, und damit der erste sich im Magen nicht allein langweilen sollte, wurde endlich noch ein ganzer nachgeschüttet. Darauf fühlten sich alle wohl und zufrieden. Es wurden drei grobgearbeitete Schaukelstühle in den Portico gebracht, und die Männer begannen zu reden über alles mögliche. Der Mestize brachte zuerst das Gespräch auf die Staaten. Wie reich die Leute dort seien, wie hoch die Häuser wären, was man in den Theatern alles sehen könnte, daß in New York die Eisenbahn unter der Erde liefe und an anderen Stellen hoch über den Häusern hinweg, daß die Eisenbahn sogar unter dem Fluß entlang liefe, daß man, in seiner Wohnstube sitzend, mit dem Radio die Musik hören könnte, die zwanzigtausend Meilen weit entfernt in Rußland oder in China gespielt würde, daß die Doktoren einen Menschen ganz der Länge nach aufschneiden, alles aus dem Körper herausnehmen und auswaschen und dann wieder hineinstecken und den ganzen Körper wieder zunähen, und am nächsten Tage kann der Mann schon wieder spazierengehen. Don Hacinto wußte ja, daß so etwas alles nicht wahr sei, daß man es hier nur erzählte, um sich zu unterhalten. Freilich wußte er doch, daß manches wohl wahr sei; denn er hatte ja ein Flugzeug eines Tages gesehen, das über die Hazienda dahinschwirrte. Aber Mr. Abner zeigte Bilder vor aus den Staaten, und da konnte Don Hacinto sehen, daß wirklich die Häuser so groß seien und daß man wirklich tief unter die Erde kriechen mußte, um in den Zug einsteigen zu können, der unter der Erde dahinraste. So war vielleicht alles wahr, was hier erzählt wurde, auch das, daß die Doktoren einem Menschen den Kopf abschneiden, reparieren und wieder annähen konnten. Wenn die Leute wie Vögel durch die Luft fliegen und mit Apparaten hören konnten, was in China geredet wurde, dann war überhaupt alles möglich. Dem Mr. Abner würde er ja nicht alles so leicht geglaubt haben, denn der war ein Fremder, von dem man nicht wußte, ob er die Wahrheit sprach, weil er ja auch nicht richtig sprechen konnte und man immer zur Hälfte raten mußte, was er eigentlich sagen wollte. Mit Frigillo, das war schon etwas anderes. Frigillo blieb ja auch nicht immer ganz bei der Wahrheit. Das war schon richtig, das wußte Hacinto auch. Kein Wunder, denn der Vater Frigillos war ja ein Fremder gewesen. Aber immerhin, Frigillo war zur Hälfte Indianer. Hacinto kannte ihn, seit er ein Junge gewesen war, und darum konnte man Frigillo schon eher etwas glauben als dem Fremden. Frigillo war ja auch lange in den Staaten gewesen und sprach ebenso gut die fremde Sprache wie der Gringo. Wenn nun der Gringo etwas sagte, das Hacinto nicht ganz glaubhaft schien, so sah er Frigillo an. Und wenn Frigillo das durch Kopfnicken oder wörtliche Zustimmung bestätigte, dann natürlich wußte Hacinto, daß es wahr sei, was da gesagt wurde. Endlich setzten sie sich zum Abendessen nieder. Mr. Abner wurde mit dem Essen nicht ganz einig. Er war einmal in Los Angeles in einem mexikanischen Restaurant gewesen, aus Neugierde. Damals glaubte er, daß die Speisen, die ihm in jenem Restaurant vorgesetzt wurden, Phantasiegerichte seien, die man den Besuchern gab, um ihre Neugier zu befriedigen. Nun aber sah er hier auf der Hazienda, daß die Leute in Mexiko wirklich das aßen, was ihm in jenem Restaurant angeboten wurde. Die Tortillas behagten ihm nicht, und die Unmassen grünen und roten Pfeffers in den Speisen verursachten, daß er ganze Tonkrüge voll Wasser während des Essens trinken mußte. In Tuxpam aß er in einem Restaurant amerikanische Gerichte. Hier auf der Hazienda dagegen mußte er sich endlich einmal nach den Sitten des Landes richten. Er sehnte sich nach Weißbrot, Butter, Schinken, Beefsteak, viel kalter Milch und Cookies mit Sodageschmack. 6 Nach dem Essen saßen die Männer wieder in ihren Schaukelstühlen in dem Portico, rauchten viel und redeten noch mehr. Auf dem Altarstein inmitten des weit ausgedehnten Hofes vor dem Haupthause der Hazienda brannte der mächtige Holzstoß, um Licht zu geben. Grillen sangen im nahen Busch und in den Feldern. Zuweilen blökte eine Kuh. Dann schnaubte ein Pferd. Ein Mule trompetete, und ein Esel bähte mit klagender Stimme. Weit fort, in einer der Hütten, durch deren staketenartige Wände das Licht von den Herdfeuern glimmerte, bellte ein Hund. Einige andere antworteten. An den Zäunen des großen Hofes drückten sich junge Burschen wie schleichende Schatten entlang. In den Ecken kicherten Mädchen. Aus der Küche hörte man das Schnattern der Köchinnen und dazwischendurch die tiefe, ruhige, volle Stimme der Frau des Hauses, die in einem Schaukelstuhl auf dem lehmgestampften Boden der Küche sich wiegte und eine Zigarette nach der anderen rauchte, dabei den Mädchen zusehend, ihnen Anordnungen gebend und mit ihnen lachend, schäkernd und scherzend zur gleichen Zeit. Das Kind einer der Köchinnen winselte, und man hörte die Frau rufen: „Dame el pobrecito, gib mir mal das Kleine her, du behandelst es fahrlässig. Er muß ja schreien, der arme kleine Bettler.“ Das Kind beruhigte sich auf dem Schoße der Frau sofort. Sie blies ihm schmeichelnd leicht Tabakrauch ins Gesicht, um herumvagierende Moskitos fern zu halten. Schweine grunzten, stießen sich und quiekten. Der Himmel war ein tiefschwarzblauer Dom, mit goldenen Knöpfchen festgeheftet an der gewölbten Hand des Universums. Und Mr. Abner dachte und überlegte und rechnete, wie er die zehntausend Dollar verteilen wollte, die ihm sicher waren. 7 Am nächsten Morgen besahen sich die Männer die Pferde. Mr. Abner, dem Rate Frigillos folgend, lobte die Pferde über jedes anständige Maß hinaus, obgleich sie nur gewöhnliche mexikanische Ranchopferde waren, ohne Rasse und ohne einen Willen zur Zucht verratend. Es freute Hacinto, seine Pferde so von einem Fremden zu loben hören. Denn er war sehr stolz auf seine Pferde und auf seine Mules. Der Indianer war so freudig gestimmt über das Lob, daß er Mr. Abner alle sechs Pferde zum Geschenk machte und sich entschieden weigerte, auch nur einen Peso anzunehmen. Er sagte zu Mr. Abner: „Wenn Sie die Pferde so loben, Senjor, dann kann ich sie wahrlich nicht verkaufen. Das schmerzt meinem Herzen. Sie haben dann auch gar keinen Preis. Ich kann sie Ihnen jetzt nur noch schenken als eine Erinnerungsgabe von der Rosa Blanca.“ Frigillo stieß Mr. Abner heftig in die Seite, in dem Augenblick, als Hacinto das eine der Pferde streichelte und gutmütig und abschiednehmend auf den Mund tätschelte. „Senjor“, sagte nun Mr. Abner mit einer Stimme, als müßte er gewaltsam seine Rührung verbergen, „die Ehre, die Sie mir mit dem Geschenk der Pferde, dieser köstlichen Pferde, erweisen, kann ich – ich weiß wirklich nicht. Nein, ich kann das nicht annehmen. Die Pferde sind zu kostbar, um sie als Geschenk anzunehmen.“ Sagte der Indianer schlicht: „Bitte, Senjor, wollen Sie mir in der Tat ein solches Herzeleid antun und ein ehrliches Geschenk, das Ihnen die Rosa Blanca anbietet, ablehnen? Das glaube ich nicht, daß Sie so unhöflich sein können. Das wäre eine Schmach, die Sie mir antun. Ich könnte die Pferde jetzt gar nicht mehr verkaufen, seit ich weiß, daß Sie die Pferde so sehr schätzen und so sehr lieben. Ich kann die Pferde nicht mehr zurücknehmen. Die Pferde sind Ihr Eigentum, son suyos, Senjor.“ Nun war das ja nicht so, daß der Indianer in Wahrheit die Pferde ganz und gar verschenkte. Nach der Sitte der Mexikaner und der indianischen Mexikaner erwartete er natürlich ein Gegengeschenk. Das verlangte die Höflichkeit. Eine Höflichkeit, die zu üben der Fremde in Mexiko gewöhnlich vergißt. Absichtlich oder unabsichtlich, das kann nicht immer leicht entschieden werden. Der Mexikaner, wenn er jemand liebgewonnen hat, verschenkt das Hemd vom Leibe und seine Frau dazu, dem Manne, den er ehren will. Er denkt dabei nie an ein Gegengeschenk. Nie. Aber er hat einen peinlichen Geschmack im Munde, wenn das Gegengeschenk ausbleibt. Nicht des materiellen Wertes wegen, der mit dem Gegengeschenk verknüpft ist, sondern des Gefühls wegen, daß ein Vorgang sich nur zur Hälfte entwickelte. Er empfindet dann, daß er nicht verstanden wurde, weil die Höflichkeit und die Ehre, die er zu erweisen gedachte, nicht mit gleicher Höflichkeit und Ehre erwidert wurde. Die Harmonie ist zerrissen. Die Welt steht nicht mehr im Gleichgewicht. Er hat das Empfinden, daß er selbst nicht in dem gleichen Maße geachtet und geehrt wird, wie er den andern ehrte und achtete. Und ein solches Empfinden ist immer weh, selbst bei Menschen, die ihre Achtung nicht mit Geschenken beteuern, sondern nur mit leeren Worten. Geld als Gegengeschenk anzubieten, wäre eine Beleidigung, die zu tödlicher Feindschaft führen kann, wüßte der Mexikaner nicht, daß der Fremde unter dem Einfluß anderer Sitten steht als er. Mr. Abner erhielt einen zweiten Stoß in die Seite. Darauf besann er sich seiner Rolle und sagte, beinahe mit Tränen in den Augen: „Senjor Yanyez, die Ehre, die Sie mir erweisen, ist so herzlich, so aufrichtig von Ihnen gemeint, daß ich mich gezwungen sehe, das Geschenk der Pferde von Ihnen anzunehmen. Ich kann Ihnen sagen, daß die Pferde mir mehr wert sein sollen als nur Tiere. Sie sollen mich an die Rosa Blanca erinnern und an Sie, der Sie mir, einem Fremden, eine so große Freundlichkeit zeigten, wie ich nie erwartet hätte, in Mexiko zu finden. Sie als einen Freund hier gefunden zu haben, macht mir Ihr schönes Land Mexiko wert und teuer wie ein Heimatland. Ich danke Ihnen viele viele tausend Male für das so kostbare Geschenk, von dem ich nicht glaube, daß ich es je in irgendeiner Form vergelten kann.“ Hacinto umarmte Mr. Abner und hielt ihn lange so umschlossen, dabei ihm wiederholt auf den Rücken klopfend. Dann schüttelten sie sich die Hände. Und damit war von der Seite des Indianers aus ein Freundschaftspakt geschlossen, der für den Indianer so groß gemeint war, daß er auch noch für die Kinder des Mr. Abner galt. 8 Mr. Abner ging einen Schritt auf und einen ab. Dann blieb er wieder vor Don Hacinto stehen und sagte: „Es fällt mir schwer, irgend etwas zu finden, mit dem ich Ihre generöse Freigebigkeit und Gastfreundschaft vergelten könnte, Senjor. Als die größte Ehre und Freude, die Sie mir bereiten könnten, würde ich es betrachten, wenn Sie auf eine Woche oder besser auf zwei Wochen mein Gast sein würden in meinem Heimatlande. Ich würde Ihnen alles das zeigen, wovon wir hier gesprochen haben, die himmelhohen Häuser, die Eisenbahnen, die unter dem Flusse entlang sausen, wir würden in ihnen fahren, die Kinobilder, die sprechen können, die Radioapparate, mit denen wir die Musik hören, die von den Chinesen in China gemacht wird, und wir würden auch in einem Flugzeug eine kleine Reise machen, so daß Sie sich die Erde einmal von oben aus ansehen könnten. Mit dieser Reise, die ich natürlich hin und zurück bezahle, das müssen Sie mir gestatten, Senjor, möchte ich Ihre so liebe Gastfreundschaft vergelten, die mir in Ihrem Hause geboten wurde. Ich habe auch einen Rancho in California –“ Nun begann Mr. Abner zu lügen. „– und ich habe auch eine Maultierzucht. Ich züchte aber nicht so kleine Mules, wie Sie hier haben. Nein, ich züchte die großen Mules, diese großen Tiere, die Sie ja auch bei der mexikanischen Artillerie und bei den mexikanischen Maschinengewehr-Regimentern sehen können.“ Diese Mules hatte Hacinto in einer illustrierten Sonntagsbeilage des Universal, der großen Zeitung in Mexiko City, gesehen, die er von einem Krämer in Tuxpam bekommen hatte. Die Bilder mit den Riesenmules des mexikanischen Militärs hatte er ausgeschnitten und an die Wand im Wohnraume angeklebt. Dort hatte Mr. Abner die Bilder gesehen, und er wußte jetzt sehr geschickt die dort abgebildeten großen Mules für seine Zwecke zu gebrauchen. „Daß es so große und starke Mules gibt“, sagte Don Hacinto, „hätte ich vorher nicht geglaubt, bis ich die Bilder sah. Da hätte ich wohl viele Freude daran, solche Mules hier zu züchten.“ „Das ist gewiß, Don Hacinto“, nickte Mr. Abner, „solche Mules zu züchten, ist eine Freude, schon der reinen Sache wegen, auch wenn man gar nicht an die Preise denkt, die man dafür haben kann. Ich glaube nicht, daß ich das kostbare Geschenk, das Sie mir mit den Pferden hier gemacht haben, besser vergelten kann, als wenn Sie mir die Ehre erweisen würden, von mir drei Stuten und einen Eselhengst als Gegengeschenk anzunehmen, um damit eine neue Muleszucht zu beginnen, die neben der Freude, die Sie daran haben werden, gleichzeitig eine schöne dauernde Erinnerung sein wird an die köstlichen Tage freundschaftlichen Austausches von Gedanken und Erfahrungen, die wir hier auf Ihrem schönen Rancho gemeinsam verlebt haben.“ Mr. Abner konnte reden. Das wird man ihm nach diesem Beispiel wohl zuerkennen müssen. Er konnte besser reden als ein jüdischer Altkleiderhändler der Eastside in New York. Mr. Abner hätte dem Teufel die Hölle abgeschwatzt, wenn er Interesse daran gehabt hätte. Aber an der Hölle hatte Mr. Abner zur Zeit wenig Interesse. Nach den Regeln der christlichen Kirche, an die er als ein guter und treuer amerikanischer Bürger mit dem hundertundein Prozent Bürgerschaftspatent glaubte, war ihm die Hölle ja eines Tages so gewiß, daß er sich jetzt wirklich nicht darum bekümmern konnte. Denn nur wenn die Regeln der Methodisten nicht ganz auf Wahrheit beruhten, hatte er die stille Hoffnung, im Himmel zu landen. 9 Durch den innigen Freundschaftspakt, durch den sich der Indianer mit Mr. Abner verbunden fühlte, verlor der Indianer alle Vorsicht und alles Mißtrauen jenem Fremden gegenüber. Wir, die wir weder Indianer noch Mexikaner sind, können uns aus einer solchen Einladung, die uns verdächtig erscheint oder die uns unbequem ist, herausziehen dadurch, daß wir sagen: „Danke für die große Ehre, aber ich habe gerade jetzt keine Zeit für eine Reise. Vielleicht später einmal.“ Ein Mexikaner jedoch, und noch viel weniger ein Indianer, kann sich aber nicht so leicht aus der Schlinge, in der man ihn fangen möchte, befreien. Sein Charakter läßt es nicht zu, sich mit leeren Worten herauszureden. Der Mestize Frigillo kannte seine Leute vortrefflich. Darum war der Tip, den er Mr. Abner gegeben hatte, um die hundert Dollar Fanggeld zu verdienen, so wirksam. Denn genau so wie Mr. Abner Don Hacinto schwer beleidigt haben würde, hätte er das Geschenk der Pferde abgelehnt, ebenso sehr würde jetzt Don Hacinto den Mr. Abner beleidigt haben, würde er die angebotene Reise, die Gastfreundschaft und die Zuchttiere nicht angenommen haben. Der Indianer würde dem Fremden eine viel größere Beleidigung zugefügt haben, weil ja der Fremde das Geschenk angenommen hatte. Auch der Freundschaftspakt ließe keine Ablehnung zu. Und endlich war auch Don Hacinto nicht so wohl versorgt mit guten Kniffen und wirksamen Ausreden, um eine Ablehnung begründen zu können, ohne den Freund zu beleidigen und zu verletzen. Was war eine Freundschaft wert, wenn sie schon beim ersten Freundschaftsbeweis in die Brüche zu gehen drohte? Hätte freilich Don Hacinto gewußt, daß die Reise nach San Francisco und zurück ungefähr zweihundertfünfzig Dollar kostete, hätte er gewußt, wie teuer gute Zuchttiere in den Staaten sind, dann wäre er vielleicht vorsichtiger gewesen und hätte sich das alles erst einmal gut überlegt. Aber er war bereits so gut gefangen mit Hilfe des Mestizen, daß, selbst wenn er alle Preise gekannt hätte, er dann geglaubt hätte, daß Mr. Abner eben die Pferde so hoch einschätzte, daß sie ein so hohes Gegengeschenk wert waren. Und diese hohe Einschätzung seiner Pferde hätte Don Hacinto nur noch entscheidender besiegt, weil er auf seine Pferde sehr stolz war und weil die Anerkennung des Wertes, den er in seinen Pferden sah, eine Ehre für ihn bedeutete, der diese Pferde gezüchtet hatte. So war der Indianer in seinen eigenen Sitten, in seinem eigenen Charakter gefangen. Und kein Mensch auf Erden sitzt fester als der, der in diesen Dingen gefangen ist. Fange einen Menschen in dem, was er seine Ehre nennt, und er gibt dir seinen Gott, seine Weltanschauung und seine elfjährige Tochter als Dreingabe. Ein so gottverdammt blödes Ding wie ein Duell, in dem der erschossen wird, dessen Ehre geschändet wurde von dem, der ihn erschoß, beweist mehr als Psychologen in dicken Büchern vergeblich zu beweisen suchen. Frigillo kannte die Stelle, an der ein Mexikaner und erst recht ein Don Hacinto verwundbar ist. Nicht nur der Speer eines Hagen, sondern eine Giftfliege, im Misthaufen gezeugt und geboren, kann einen Siegfried töten, wenn sie seine verwundbare Stelle kennt. 10 Nach drei Tagen war Don Hacinto reisefertig. Mr. Abner war jetzt des Indianers so sicher, daß er Frigillo schon in Tuxpam das Fanggeld auszahlte; und weil alles so gut gegangen war, ihm nicht hundert, sondern zweihundert Dollar auszahlte. Von Tuxpam fuhren Mr. Abner und Don Hacinto durch die Laguna auf einem Motorlastboot nach Tampico. Mr. Abner konnte nun mit seinem Opfer über San Luis Potosi nach El Paso reisen. Aber er überlegte und wählte dann den Weg Monterrey–Laredo. Durch diesen Weg hatte er Don Hacinto bereits in einem und einem halben Tage aus Mexiko heraus, während es auf dem andern Wege zwei Tage länger gedauert haben würde. 11 In San Francisco angekommen, mietete Mr. Abner sofort ein möbliertes Haus, dessen Lage und Charakter ihm für seine Zwecke günstig erschienen. Er reportierte in der Privatoffice des Mr. Collins die Ankunft des Indianers. Es wurde sofort beraten, was man zu tun gedenke. Don Hacinto wurde endlich von Mr. Abner in das Gebäude der Condor Oil Company gebracht, und es wurde nun mit allen Kräften und Schlichen an dem Manne gearbeitet, einem Verkauf der Rosa Blanca zuzustimmen. Aber in dieser Angelegenheit wußte Don Hacinto ganz genau, was er wollte. So blieben alle Verhandlungen ergebnislos. Eine Million Dollar, die ihm als letztes Gebot bewilligt wurden, machten keinen besonderen Eindruck auf ihn. Es hätten auch zehn Millionen Dollar sein dürfen. Für ihn war die Rosa Blanca ein Gut, das nicht verkauft werden konnte, so wenig verkauft werden konnte, wie jemand die Notwendigkeit, essen und trinken zu müssen, verkaufen kann. Als nun alles versucht worden war, als sich endlich ergab, daß auch alle weiteren Versuche und Angebote, Don Hacinto zum Verkauf zu bewegen, fruchtlos sein würden, ersuchte Mr. Collins den Mr. Abner um eine Privatbesprechung. Die Privatbesprechung fand ohne Zeugen statt. 12 Don Hacinto hatte in San Francisco einen Bekannten getroffen. Dieser Mann war in der Nähe von Tuxpam groß geworden, hatte dort geheiratet und war kurz nach seiner Heirat mit seiner Frau nach San Francisco gezogen, wo er einen kleinen Laden aufgemacht hatte. Der Name jenes Mannes war Espinosa. Aus irgendeinem Grunde hatte Don Hacinto seinem Freunde Mr. Abner nichts davon gesagt, daß er jenen Bekannten getroffen hatte. Dieser Mexikaner Espinosa konnte später einiges an Aufklärung beibringen, als er beim mexikanischen Konsul war, und das erzählte, was er wußte. Es war vielleicht ein Glück für ihn, daß Don Hacinto diese Bekanntschaft nie erwähnt hatte. Denn Senjor Espinosa wurde im Verlauf der Geschichte der Condor Oil Company sehr unbequem. Aber als die Condor Oil von dem Manne hörte, war es zu spät, ihm so oder so den Mund zu stopfen. Wäre der Plan nicht gar zu gut vorbereitet und ausgeführt worden, so hätte er an Senjor Espinosa scheitern können. Senjor Espinosa wußte nicht viel, aber das Wenige, was er wußte, bestätigte alles das, was der mexikanische Konsul in San Francisco und die mexikanischen Beamten in ihrem Heimatlande ahnten. 13 Eines Tages wurde Don Hacinto von Mr. Abner eingeladen, mit ihm im Automobil nach seinem Ranch, nach dem Ranch des Mr. Abner zu fahren. Mr. Abner hatte natürlich keinen Ranch. Und als sie spät am Abend auf der offenen Landstraße waren, wurde das Automobil angehalten von Leuten, die dort irgendwo gewartet hatten. Don Hacinto erhielt mit einem Knüttel einen heftigen Hieb über den Schädel. In dem Summen, das sein Hirn durchsauste, dachte er an die Weiße Rose, an das alte Karrenrad im Hofe, an große Mules, an Pferde, an Margarito, an den Papagei und an Domingo, seinen erwachsenen Sohn. Vielleicht dachte er an andere Dinge. Aber die erwähnten mögen wohl wirklich die gewesen sein, an die er dachte. Er war nicht völlig betäubt. Er richtete sich halb auf, als wollte er etwas zu dem neben ihm sitzenden Mr. Abner sagen. In diesem Augenblick erhielt er einen zweiten kräftigen Hieb, der ihn zusammensinken ließ. Er wurde aus dem Wagen gezerrt, und Mr. Abner fuhr weiter. Hacinto wurde ausgekleidet bis auf die Haut. Ihm wurden zerlumpte Hemden und Kleider auf den Körper gezogen. Dann fuhr ein zweites Auto vor, in dem die angekommen waren, die das Auto des Mr. Abner aufgehalten hatten. Der jetzt ganz zerlumpt aussehende Indianer wurde nun mitten auf die Straße gelegt, das Auto entfernte sich ein Stück und raste dann in voller Geschwindigkeit über den Körper, sorgsam achtgebend, daß die Räder der einen Seite über den Hals Hacintos liefen. Das Auto kehrte um und überfuhr Hacinto ein zweites Mal. Die Männer stiegen aus und beleuchteten Hacinto mit elektrischen Taschenlampen. Sie untersuchten ihn sorgfältig, und als sie sahen, daß er tot war, wirklich tot, stiegen sie wieder ein und rasten zurück zur Stadt. Mr. Abner nahm einen andern Weg, um zur Stadt zurückzugelangen. 14 Der Leichnam des Don Hacinto wurde am nächsten Morgen gefunden. Der Coroner, der amtliche Leichenbeschauer, gab seinen Bericht; und Don Hacinto wurde auf Staatskosten eingegraben. Der Bericht besagte, daß ein armer, zerlumpter Mann, offenbar ein Mexikaner, den Händen nach zu urteilen ein Landarbeiter, der sich über die Grenze geschmuggelt hatte, um in den Staaten Arbeit zu finden, in der Nacht von mehreren Automobilen überfahren worden sei. Weder der Name des Mannes, noch die Nummern der Automobile konnten festgestellt werden. Um eine spätere Identifikation zu ermöglichen, wurde der Leichnam gemessen, Haar- und Augenfarbe festgestellt, besondere Merkmale des Körpers gesucht und gefunden, und endlich wurden Gesicht und Profil photographiert. Der Identifikationsbericht wurde dem Department für Identifikation der Polizei in Los Angeles übergeben, in deren Bereich der Leichnam gefunden wurde. Dort lagert der Bericht, und dort wird er lagern, bis eines Tages ein Erdbeben die Stadt und alle amtlichen Dokumente zerstören wird. Denn niemand auf Erden hat ein Interesse an dem Leichnam eines zerlumpten mexikanischen Landarbeiters, der sich nach den Staaten eingeschmuggelt hat. 12 1 Zwei Wochen später wurden bei der Regierung in Jalapa von der Condor Oil Company die Verkaufsakten der Rosa Blanca zur Bestätigung eingereicht. Der Besitzwechsel wurde in die Register eingetragen. Die Aktien bestanden aus einem Verkaufskontrakt in Höhe von vierhunderttausend Dollar, für welchen Betrag die Company die Stempelmarken, die Steuern und die Registrierung bezahlte. Der Kontrakt war unterzeichnet von Hacinto Yanyez, dem ersten Vizepräsidenten der Condor Oil Company, zwei Zeugen und einem Syndikus. Dem Kontrakt lag ein Affidavit, eine eidesstattliche Urkunde, eines amtlich vereideten amerikanischen Notars bei, der den Verkauf und die Zeichnung der Unterschriften bestätigte. Alle Dokumente waren ordnungsmäßig von dem mexikanischen Konsul in San Francisco beglaubigt, gleichfalls waren die Übersetzungen in das Spanische von ihm beglaubigt worden. Er hatte ja nichts weiter zu beglaubigen als die Unterschriften und die amtliche Befugnis jenes Notars. Streng nach dem Gesetz hätte freilich der Verkauf in der Office des mexikanischen Konsuls und im Beisein von mexikanischen Konsularbeamten stattfinden müssen, um unantastbare Gültigkeit zu haben. Aber das Affidavit des Notars kann wohl unoffiziell bezweifelt werden, kann jedoch amtlich und offiziell nie bestritten oder gar angegriffen werden, ohne zu diplomatischen Auseinandersetzungen zu führen, die man bei einem solchen Objekt gern vermeidet, um so mehr als der Vizepräsident der Company, seine zwei Zeugen, der Syndikus und der Notar in jeder Hinsicht ehrenhafte und achtbare Bürger sind, die in vorzüglichem Rufe stehen und – eine wichtige Sache – politischen Einfluß haben. Ein ganz leiser Zweifel nur an ihrer Rechtschaffenheit kann zu sehr unangenehmen und peinlichen Folgerungen führen. Also sind die Dokumente gut und werden ohne Bedenken als vollwertige Dokumente registriert. 2 Nach der Registrierung verging ein Monat. Dann trafen auf der Rosa Blanca die Ingenieure der Company ein, um zu vermessen. Es kam sofort zu Streitigkeiten auf der Hazienda. Der älteste Sohn des Hacinto und Senjora Yanyez, die Frau des Hacinto, widersetzten sich dem Herumwühlen der Ingenieure. Die Männer, die auf der Hazienda wohnten, kamen alle herbei, und wären die Ingenieure nicht schnell wieder abgezogen, so wäre es zu bösen Gefechten gekommen. Die Ingenieure behaupteten, die Company habe die Hazienda gekauft. Das bestritten der Sohn, die Frau, Margarito und alle Männer. Denn jeder wußte, daß Hacinto die Hazienda niemals zu verkaufen gedachte. Die Ingenieure hatten keine Abschriften der Dokumente bei sich, und so konnten sie freilich nichts anderes tun, als wieder abreisen. 3 Die Company telegraphierte an die Regierung nach Jalapa und ersuchte um militärischen Schutz bei der Übernahme der Hazienda. Jetzt erfuhr der Gouverneur von der Angelegenheit zum ersten Male; denn mit der Registrierung der Dokumente hatte er ja nichts zu tun. „Da ist etwas nicht in Ordnung“, sagte er als erstes Wort zu seinem Sekretär. Er ließ sich sofort die Akten bringen, sah sie aufmerksam durch und sagte dann: „Die Dokumente sind richtig, haben Siegel und Zeichnung unseres Konsuls. Aber ich verstehe nicht den Yanyez. Er dachte gar nicht daran, zu verkaufen. Freilich ist der Betrag nun in vierhunderttausend Dollar bezahlt, während früher Don Hacinto nur vierhunderttausend Peso geboten waren. Das ist immerhin ein so gewaltiger Unterschied im Preise, daß dieser Unterschied wohl für Don Hacinto entscheidend gewesen sein mag. Was kann man wissen, was die Burschen ihm sonst noch versprochen haben.“ Er sandte die Akten wieder zurück in das Registeramt. Einige andere Dinge kamen dazwischen. Als er damit durch war, stand er auf, zündete sich eine Zigarette an, ging zum Tische des Sekretärs im Nebenraum und redete zu ihm in einer Weise, als wollte er durch das Reden seine Gedanken ordnen und in eine bestimmte Richtung leiten. „Dennoch verstehe ich nicht“, der Sekretär wußte noch nicht, daß der Gouverneur unausgesetzt an den Fall der Rosa Blanca gedacht hatte, während er andere Dinge erledigte, „dennoch verstehe ich nicht“, wiederholte der Gouverneur, „warum da militärischer Schutz nötig ist. Wenn er die Hazienda verkauft hat und für eine so hohe Summe, warum übergeben die Leute denn die Hazienda nicht? Ist er selbst denn nicht da, noch nicht zurückgekehrt?“ Ihm fegte ein Gedanke so heftig das Hirn, daß er erschrak. In nervöser Hast kommandierte er dem Sekretär: „Sofort amtliches Telegramm zur Telegraphen- oder Telephonstation nächst zur Rosa Blanca, daß ich ältesten Sohn und wennmöglich Senjora Yanyez ebenfalls sofort mit raschester Gelegenheit hier zu sehen wünsche mit Briefen oder Telegramm versehen, die sie etwa von Don Hacinto empfangen haben sollten, während er in San Francisco war. Don Hacinto soll mitkommen, falls er inzwischen eingetroffen ist. Ich bin überzeugt“, sagte der Gouverneur in einem andern Ton, um anzudeuten, daß dies nicht für das Telegramm bestimmt sei, „Don Hacinto ist nicht auf der Hazienda, sonst könnten da keine Auseinandersetzungen sein. Aber wo ist er denn dann?“ „Vielleicht macht er sich gute Tage in San Francisco mit dem vielen Geld“, sagte der Sekretär lachend. „Das ist möglich. Aber ich glaube es nicht. Ein paar Tage ja, vielleicht. Man kennt ja einen Menschen nicht wieder, wenn er plötzlich viel Geld in die Hand bekommt.“ Darauf sagte der Sekretär: „Kann sein, daß er sich einen guten Ranch ansieht, um sich dort anzukaufen, in California.“ „Kann auch sein“, gab der Gouverneur zur Antwort. „Aber es scheint, seine Leute hier haben von ihm gar keine Nachricht, nicht einmal eine Nachricht von dem Verkauf. Merkwürdig ist es auf alle Fälle.“ Abermals kamen andere Dinge zur Office, die der Gouverneur zu bearbeiten hatte. Es schien, daß er den Fall nicht los wurde aus seinen Gedanken. Denn als er um vier Uhr des Nachmittags zurückkam zur Office, sagte er zu seinem Sekretär: „Da ist doch das Affidavit in den Akten. Wozu in aller Welt ist denn da ein Affidavit nötig? Ist doch gar nicht nötig.“ „Das scheint mir aber doch nötig zu sein“, warf der Sekretär ein. „Da der Verkaufskontrakt nicht auf dem mexikanischen Konsulat abgeschlossen wurde, wie es hätte eigentlich geschehen müssen, so haben die Kontrahenten als Ersatz hierfür das Affidavit eines amtlichen Notars eingesetzt. Vielleicht war der Konsul nicht anwesend.“ „Dann ist doch eine Vertretung auf dem Konsulat“, sagte der Gouverneur. „Schon“, meinte der Sekretär, „aber vielleicht hatte die Vertretung nicht so weitgehende Vollmachten.“ Der Gouverneur schüttelte den Kopf: „Bei Abschließung eines so wichtigen Kontraktes, der sich auf Besitzwechsel in einem fremden Lande bezieht, insbesondere wo ein Besitzwechsel aus den Händen eines Staatsbürgers in die Hände eines Fremden in Frage kommt, kann man auch einige Tage warten, bis der Konsul zurückkommt, oder sie konnten nach Los Angeles reisen, um dort auf dem Konsulat den Verkauf abzuschließen.“ „Aber die Company ist in San Francisco ansässig“, wandte der Sekretär ein. „Für die Company ist das mexikanische Konsulat in San Francisco zuständig.“ „Die Company wollte ganz sicher gehen, darum das Affidavit des Notars“, sagte der Gouverneur. „Aber wenn sie so sicher gehen wollte, war das Sicherste, zu unserm Konsul zu gehen und dort den Kontrakt in seinem Beisein abzuschließen. Warum die Vertragsschließenden das vermieden haben, unsern Konsul aufzusuchen, ist ja eben gerade das, was mir so merkwürdig erscheint.“ „Aber, Senjor Gouverneur“, sagte der Sekretär, „erlauben Sie, bitte, unser Konsul hat die Dokumente bestätigt.“ „Was hat er denn bestätigt? Was denn? Er hat die Richtigkeit der Unterschriften der Personen bestätigt, die ihm persönlich bekannt zu sein scheinen, nach dem, was in seiner Bestätigung gesagt ist. Er hat ferner bestätigt, daß der Notar, der das Affidavit ausgestellt hat, ein Public Notary, ein amtlich vereideter öffentlicher Notar ist, dessen Amt und Befugnis zu Recht bestehen. Weiter nichts. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Also dann, weiteres Telegramm an die Condor Oil, daß militärischer Schutz vorbereitet werde und, wenn notwendig, in wenigen Tagen zur Verfügung stehe. Solange der Kontrakt nicht bezweifelt werden kann, hat die Company alle Rechte auf ihrer Seite.“ 4 Einige Tage später kamen der Sohn und die Frau des Hacinto nach Jalapa. Sie wurden sofort vom Gouverneur gerufen. Er kannte beide Leute persönlich von seinem Besuch auf der Rosa Blanca her. Sie sahen beide sehr verhärmt aus. Trugen ihre Sorgen und ihre schlaflosen Nächte offen auf dem Gesicht. Der Gouverneur war herzlich zu ihnen. Er ließ sie fühlen, daß sie Vertrauen zu ihm haben durften. Bot dem Sohne Zigaretten an und der Frau Schokolade aus einem Karton, den er aus einem Schubfache seines Schreibtisches zog. Als er ihr den Karton reichte, damit sie sich einige Stücke herausnehmen sollte, begann er zu lächeln und sagte: „Entschuldigen Sie, Donja Concepcion, Sie rauchen lieber auch Zigaretten. Hier, bitte, versuchen Sie diese.“ Er reichte ihr sein ledernes Zigarettentäschchen, und die Frau nahm eine Zigarette heraus, lächelnd unter Tränen, die ihr dick in den Augen standen. „Wo ist Don Hacinto?“ fragte der Gouverneur. „Das wissen wir nicht“, sagte die Frau. „Wir machen uns so viel Sorge, was mit ihm geschehen sein kann. Seit er mit dem Amerikaner fortgereist ist, haben wir nichts mehr von ihm gehört.“ „Er hat die Rosa Blanca an die Company verkauft.“ „Das ist eine Lüge“, schrien beide, die Frau und der junge Mann. „Das hat er nicht getan. Er verkauft die Rosa Blanca nicht für hunderttausend Millionen Peso“, setzte die Frau allein hinzu. Der Gouverneur nahm die Dokumente zur Hand, die er sich hatte bringen lassen, und reichte sie der Frau: „Hier sind die Verkaufsakten, Donja Concepcion.“ Die Frau überflog den Inhalt, ohne eigentlich zu lesen. Sie kam zu den Unterschriften und schrie: „Das hat Hacinto nicht geschrieben, diesen Namen.“ Der Gouverneur fragte rasch: „Warum glauben Sie, Don Hacinto hätte das nicht geschrieben?“ „Einfach, einfach“, schrie die Frau erregt, „er kann ja gar nicht schreiben. Nicht einen einzigen Buchstaben kann er schreiben.“ Der Gouverneur sprang auf, und der Sekretär schrie: „Gouverneur.“ Für einen Augenblick sagte niemand etwas. Der Gouverneur sah Senjora Yanyez an in einer Weise, als sähe er sie nicht. Dann sprach die Frau erregt: „Er kann ja gar nicht schreiben, der Hacinto. Hat es nie gelernt. Kann auch nicht lesen. Alles, was zu schreiben ist auf der Hazienda, das schreibe ich. Ich habe es in der Schule gelernt. Bin sieben Jahre in die Escuela Mixta, in die gemischte Schule in Tuxpam gegangen. Jetzt schreibt alles der Domingo hier, den wir auch in die Schule geschickt haben. Aber Hacinto kann nicht schreiben.“ „Also Hacinto kann nicht schreiben“, sagte der Gouverneur und setzte sich wieder. Die Frau, die noch immer die Dokumente in der Hand hielt, blickte wie verloren noch einmal über die Unterschriften, sah auch die Unterschrift der Quittung, verglich beide Unterschriften und sagte dann: „Außerdem, Senjor Gouverneur, ist der Name falsch geschrieben. Wir schreiben unseren Familiennamen nicht mit einem Y in der Mitte, sondern mit einem N und mit einer Tilde darüber. Nur am Anfang schreiben wir den Namen mit einem Y, in der Mitte nicht.“ Der Gouverneur nahm die Dokumente der Frau aus den Händen, sah gleichfalls auf die Unterschriften und sagte: „Das ist richtig. Ist mir zuerst gar nicht aufgefallen. Die Amerikaner schreiben Yanyez in der Mitte mit einem Y, weil sie kein N mit Tilde haben. Aber Mexikaner schreiben den Namen nie in der Weise. Wunder, daß dies dem Konsul nicht aufgefallen ist.“ „Kein Wunder“, mischte sich der Sekretär ein, „daß es dem Konsul nicht aufgefallen ist. Es kann jedermann seinen Namen schreiben, wie es von seinem Vater übernommen wurde. Auf die Schreibung von Namen finden die Regeln der Orthographie keine Anwendung. Und ob der Name so oder so geschrieben wird, er bleibt in der Aussprache ja immer der gleiche.“ „Hören Sie nun gut zu, Donja Concepcion“, sagte der Gouverneur freundlich zu Senjora Yanyez. „Wir werden sofort eine Untersuchung darüber einleiten, was hier an der Sache richtig und was unrichtig ist. Ich darf Ihnen hier amtlich nicht sagen, was ich denke; denn die Dokumente sind gesetzlich einwandfrei, ganz gleich, was dahinter an Unrichtigkeit verborgen sein mag. Ich bin verpflichtet als Gouverneur, die Dokumente als zu recht bestehend anzuerkennen, und ich bin verpflichtet, dem, der auf Grund dieser Dokumente das Recht hat, sich Besitzer zu nennen, zu seinen Rechten zu verhelfen. Wenn nicht anders, dann mit militärischer Gewalt.“ „Das heißt also“, sagte Senjora Yanyez erschreckt, „daß wir die Hazienda nicht mehr besitzen, daß wir und alle Leute herunter müssen von unserm Land.“ „Das ist richtig, Donja Concepcion. Die Company ist augenblicklich im Vorteil. Da können wir nichts tun. Die Company kann auf Grund der Dokumente hier die amerikanische Regierung anrufen, und die amerikanische Regierung wird dann auf diplomatischem Wege unsere Regierung zwingen, die Hazienda an den neuen Besitzer zu übergeben und ihn in jeder Weise in seinen Rechten zu unterstützen, selbst gegen ihre eigenen Bürger. Wenn Sie, Donja Concepcion, ähnliche Dokumente vorweisen können auf eine Hazienda, die in den Staaten ist, dann müßte Ihnen die amerikanische Regierung dort oben genau so gut helfen wie unsere Regierung den amerikanischen Bürgern hier in Mexiko helfen muß, wenn einwandfreie Dokumente die Besitzrechte klarstellen. Das sind internationale Rechte, die hier walten. Und nur dann, wenn wir in der Lage sind, zu beweisen, daß die Dokumente auf ungesetzliche oder gar verbrecherische Weise erlangt wurden, daß also die Dokumente den wirklichen Tatbestand unrichtig wiedergeben, können wir eingreifen und die Besitzübernahme vertagen, bis eindeutig und unzweifelhaft der wirkliche Besitzer festgestellt ist. In einem solchen Falle würde derjenige im Besitz und in der Nutznießung der Hazienda bleiben, der sie augenblicklich im Besitz hat. Das wären also Sie und Ihr Sohn. Aber wir können Sie nicht in dem Besitz lassen, weil bis jetzt die Dokumente als echt angesehen werden müssen. Klar gesagt, die Dokumente an sich sind echt. Wir, aber nur wir hier, bezweifeln die Echtheit der Unterschrift des Don Hacinto. Daß diese Unterschrift unecht ist, müssen wir erst beweisen.“ „Aber Hacinto kann doch nicht schreiben“, wiederholte die Frau eigensinnig. „Das weiß ich, Senjora. Aber wir müssen es beweisen. Und das ist schwer.“ „Schwer?“ rief die Frau erstaunt aus. „Schwer, wenn ich alles schreiben mußte, weil er nicht schreiben konnte?“ „Es kann ihm ja jemand die Hand geführt haben, Donja Concepcion. Wir wissen das jetzt noch nicht.“ Daran hatte Senjora Yanyez nicht gedacht. Sie sah alle Hoffnungen, die aufgekeimt waren, schwinden. „Sie müssen bedenken, Senjora“, sagte der Gouverneur, „daß die Unterschrift und der Verkaufsabschluß von mehreren Zeugen bestätigt worden sind. Alles Leute, die in angesehenen Stellungen sind.“ „Diese Leute sind Betrüger“, schrie Senjora Yanyez. „Sie dürfen das sagen, ich nicht. Der Kontrakt und die Unterschriften sind außerdem amtlich bestätigt von einem vereideten Notar.“ „Alle Notare und Licenciados sind Betrüger“, sagte die Frau. „Mag sein“, lachte der Gouverneur. „Aber wenn ich oder unser Konsul in San Francisco sagen, der amerikanische Notar ist ein Schwindler, so kann das sehr wohl zu einem Kriege zwischen unserm Lande und den Staaten führen. So schlicht läßt sich die Angelegenheit nicht zu Ihren Gunsten lösen. Leider nicht. Ich glaube nicht, daß Hacinto die Rosa Blanca verkauft hat. Das ist sicher. Aber was ich glaube, das gilt amtlich nicht. Ich komme also zu dem, was ich Ihnen nun sagen muß, Donja Concepcion. Es tut mir wehe, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist meine Pflicht als Gouverneur. Die Company ist im nominellen Besitz der Hazienda. Sie müssen ihr weichen, und alle Leute müssen hinaus. Da ist nichts dagegen zu tun. Wenn ein Betrug vorliegt und wenn wir den Betrug beweisen können, dann erhalten Sie die Rosa Blanca zurück mit allem Schaden ersetzt, den Sie materiell erlitten haben. Aber augenblicklich sind Sie im Nachteil. Ich werde mich sofort mit der Company in Verbindung setzen, und ich werde versuchen, die Company zu bewegen, daß Sie und so viele Familien wie möglich auf der Hazienda bleiben dürfen, bis sie alle die Ernte herein haben. Die Company beginnt wohl nicht gleich an allen Stellen zur selben Zeit zu bohren, so daß genügend Raum offen bleibt für Sie und für zahlreiche andere Familien. „Aus allen den Gründen, die ich Ihnen sagte, möchte ich Sie bitten, den Ingenieuren keine Schwierigkeiten dort zu bereiten. Die Ingenieure sind ganz und gar schuldlos. Die sind Arbeiter, die von der Company bezahlt werden und darum tun müssen, was die Company ihnen befiehlt. Wollen Sie mir versprechen, Donja Concepcion, und auch Sie“ – er wandte sich an den Sohn –, „meiner Bitte zu folgen und den Besitzwechsel vorläufig anzuerkennen?“ „Den Besitzwechsel erkennen wir nicht an, nie, niemals“, rief die Frau erregt. „Wir haben auch nicht einmal das Geld. Nur wenn mir Hacinto selbst sagt, daß er die Hazienda verkauft hat, dann will ich es gern glauben, auch wenn man ihm alles Geld gestohlen hat. Aber so lange mir das Hacinto nicht selbst gesagt hat, erkenne ich nichts an und glaube ich nichts und behaupte, das ist ein infamer Betrug der Gringos, die unsere Hazienda haben wollen.“ Sie schwieg. Der Gouverneur sah sie ruhig an, ohne ein Wort zu sagen. Und unter dem Blick des Mannes, der so freundlich und so klar zu ihr gesprochen hatte, der ihr Gast gewesen war und dort in ihrem Hause so fröhlich gewesen war, begann sie sich zu beruhigen, als säße sie ihrem Vater gegenüber, der ihr nur Gutes wollte. Sie schluckte einige Male, als ob sie aufkommende Tränen unterdrücken müßte oder Worte, die sie nicht sagen wollte. Dann, noch immer unter dem ruhigen Blick des Gouverneurs stille haltend, sagte sie endlich ganz leise: „Gut, Senjor Gobernador, die Ingenieros mögen kommen und arbeiten, so viel sie wollen. Ich werde allen Leuten sagen, daß man sie in Ruhe läßt.“ Der Gouverneur stand auf, ging um seinen Tisch herum, kam zu der Frau, ergriff langsam ihre Hände wie einem Kinde, schüttelte die Hände, und endlich küßte er sie. Dann sagte er ebenso leise, wie die Frau gesprochen hatte: „Ich danke Ihnen, Conchita“ – Conchita ist der Kosename für Concepcion –, „ich danke Ihnen, daß Sie mir mein Amt erleichtern. Vergessen Sie nicht, daß Sie einen Freund in mir haben. Nicht nur als Gouverneur, sondern mehr als Ihr Freund und als der Freund Hacintos, verspreche ich Ihnen, daß ich mit allen Kräften arbeiten werde, die Wahrheit herauszufinden. Und ich verspreche Ihnen, daß, wenn ich die Wahrheit gefunden habe, daß dann die Weiße Rose nicht umsonst gebrochen wurde. Wenn sie auch vielleicht nicht mehr blühen kann in ihrer Schönheit, so soll sie doch nicht verwelken, nimmer verwelken. Sie soll eine Frucht tragen, die reifen wird. Und der Beginn der Reife soll der Anfang sein der Befreiung des Landes und seiner Bürger, damit wir ein Land besitzen, in dem eine jede Rose, ob weiß, oder rot, die Freiheit haben soll, zu blühen so schön sie will und so lange sie mag.“ Die Frau verstand seine Worte nicht. Aber sie fühlte ihren Sinn, und sie trug ihn in ihrem Herzen gleich dem ewigen Glauben der Menschen an eine endliche Erlösung aus aller Pein. 13 1 Der Gouverneur reiste Ende der Woche nach Mexiko City. Er suchte Licenciado Perez auf, fand ihn aber nicht in seiner Office. Am späten Nachmittag ging der Gouverneur in ein Restaurant, wohin er sich mit einigen Senatoren verabredet hatte, um dort mehrere Sachen politischer Natur mit ihnen zu beraten. Als er den großen Saal des Restaurants betrat, sah er in einer Nische den Licenciado mit seiner Frau sitzen und Tee trinken. Er ging sofort zu ihm und bat ihn um eine kurze Unterredung. Die beiden Herren setzten sich an einen der kleinen Tische. „Don Hacinto hat die Rosa Blanca verkauft“, sagte der Gouverneur ohne jede Einleitung. „Ja, das ist richtig“, antwortete Senjor Perez, „ich habe als gesetzlicher Vertreter die Akten zur Registrierung an die Regierung geschickt.“ „Ist Ihnen an den Dokumenten etwas aufgefallen?“ fragte der Gouverneur. Licenciado Perez blickte scharf auf: „Warum, Senjor Gobernador? Ja. Mir ist daran aufgefallen, daß die Dokumente nicht in der Office unseres Konsuls unterzeichnet wurden. Aber das kann gute Gründe haben. Die Urkunden sind rechtsgültig bestätigt vor einem öffentlichen amerikanischen Notar. Alle Unterschriften und die Übersetzung sind jedoch von unserm Konsul bestätigt, der alle Unterzeichner persönlich kennt.“ „Kannte unser Konsul auch Don Hacinto persönlich, als er die Unterschriften bestätigte?“ fragte der Gouverneur. „Das kann ich nicht wissen“, antwortete Senjor Perez. „Haben Sie von uns schon die amtliche Bestätigung erhalten, daß die Dokumente registriert sind?“ fragte der Gouverneur. „Die amtliche Bestätigung habe ich noch nicht in Händen, aber Senjor Jazmines vom Registeramt hat mir auf meine Anfrage mitgeteilt, daß die Registrierung erfolgt sei“, sagte Senjor Perez. „Das ist richtig. Die Registrierung ist erfolgt“, bestätigte der Gouverneur. „Ehe Sie der Company mitteilen, daß die Registrierung erfolgt ist, möchte ich Sie noch sprechen. Wenn irgend möglich morgen schon, weil ich übermorgen früh zurückreisen muß.“ „Gut“, antwortete der Licenciado. „Morgen ist zwar Sonntag, aber ich werde um elf Uhr in meiner Office sein, und wir können dort allein und ungestört sprechen.“ „Bueno, also morgen um elf“, sagte der Gouverneur. „Entschuldigen Sie mich jetzt, Licenciado, dort sind die Herren, mit denen ich zu verhandeln habe.“ 2 Als der Gouverneur und der Licenciado am nächsten Morgen beisammensaßen, schoß der Gouverneur sofort auf sein Ziel los: „Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß Don Hacinto so rasch verkaufte, sobald er dort in San Francisco war?“ „Nein, das ist mir nicht aufgefallen. Um so weniger, als man ihm nun in Dollars zahlte, was ich ihm nur in Pesos geboten hatte. Einer so hohen Summe konnte er wohl nicht widerstehen.“ „Don Hacinto hat den Kontrakt unterschrieben, im Original und in allen Kopien“, sagte der Gouverneur. „Ja, das hat er“, bestätigte der Licenciado. „Wissen Sie, Licenciado“, fragte nun der Gouverneur scheinbar sehr ruhig, „daß Don Hacinto nicht schreiben kann?“ „Was?“ schrie Senjor Perez. „Er kann nicht schreiben?“ „Nein, keinen einzigen Buchstaben.“ Nach einer Weile ruhigen Überlegens sagte Senjor Perez: „Man kann ihm die Hand geführt haben. Das ist gesetzlich zulässig.“ „Richtig. Aber dann muß das in einem so wichtigen Dokument ausdrücklich bestätigt werden von einem Notar, ebenso wenn an Stelle des Namens des Unterzeichners, der des Schreibens unkundig ist, eine Figur oder drei Kreuze gemalt werden.“ „Ja, Sie haben recht, Gouverneur“, sagte der Anwalt, „das hätte bestätigt werden müssen, um Rechtskraft zu bekommen.“ Der Gouverneur dachte eine Weile nach. Endlich sagte er: „Nun einige andere Fragen, Licenciado. Einige Rechtsfragen.“ „Bitte, fragen Sie.“ „Halten Sie es für möglich, daß die Zeugen, die unterzeichnet haben, der Syndikus, der Notar, der Vizepräsident, Schurken sind?“ fragte der Gouverneur. Senjor Perez lachte laut heraus: „Aber, Senjor Gobernador, das ist eine Frage! Wie kann ich wissen, ob alle diese Leute Schurken sind. Sie alle sind angesehene Herren, achtbare Männer vor dem Gesetz und vor der großen Öffentlichkeit. Was sie in ihrem wahren Charakter sein mögen, der einer Öffentlichkeit nicht bekannt ist, kann natürlich niemand wissen. Und was weder Gesetz noch Öffentlichkeit wissen, darf uns nicht kümmern, was immer wir auch von jemand denken mögen in unserer privaten Meinung.“ „So ungewöhnlich ist jedoch meine Frage nicht“, rechtfertigte sich der Gouverneur. „Ich will mich klarer aussprechen. Gesetzt den Fall, es liegt hier ein Verbrechen oder, sagen wir milder, eine Ungesetzlichkeit vor, glauben Sie, daß so viele achtbare Männer bei einer so folgenschweren Ungesetzlichkeit Hilfe leisten würden?“ „Nein, das glaube ich nicht“, sagte der Licenciado. „Jeder einzelne dieser Herren mag vielleicht eine schwere Ungesetzlichkeit begehen. Warum nicht? Aber keiner von denen wird je irgend etwas Ungesetzliches tun in Gemeinschaft anderer. Das ist gefährlich. Ein solcher Mann ist immer in Händen dessen, der Zeuge war. Dazu sind solche Männer zu intelligent und zu vorsichtig.“ „Das ist es, das ist es ganz genau, was ich dachte“, erwiderte der Gouverneur. „Wenn also hier eine Ungesetzlichkeit vorgekommen ist, so ist es durchaus möglich, daß keiner der Zeugen weiß, was vorgekommen ist?“ „Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen, Gobernador.“ „Gut. Also ich meine: Waren alle Zeugen gleichzeitig zugegen, als Don Hacinto den Kontrakt und die Kopien unterschrieb?“ „Das kann ich nicht wissen“, sagte der Licenciado der Wahrheit gemäß. „Freilich nicht, Senjor Perez, freilich können Sie das nicht wissen; denn Sie waren ja selbst nicht zugegen. Wie geht denn das gewöhnlich zu bei einer solchen Vertragsabschließung?“ „Ah, Gobernador, jetzt endlich habe ich begriffen, worauf Sie hinzielen“, sagte Senjor Perez. „Ein Vertrag, besonders ein so wichtiger Vertrag wie dieser hier, wo es sich um ein großes Objekt handelt, soll eigentlich, um allen Bedingungen gerecht zu werden, im Beisein aller Unterzeichner abgeschlossen werden. Soll eigentlich, aber geschieht meist nicht, und die Gesetze sagen wenig Genaues hierüber. In vielen Fällen, ich kann aus meiner eigenen Praxis sagen, in den meisten Fällen, geht das so vor sich: Ein Verantwortlicher der Company, hier also war es der erste Vizepräsident, unterzeichnet den Vertrag, der ihm von dem Syndikus oder einer andern Person vorgelegt wird. Er unterzeichnet ihn in seiner Office gleichzeitig mit hundert andern Kontrakten und Briefen. Sieht meist gar nicht hin, was er unterzeichnet, weil er sich auf sein Personal verläßt. Dann wird der Vertrag dem andern Kontrahenten vorgelegt, hier also dem Senjor Hacinto Yanyez. Auch der unterzeichnet ihn an dem Orte, wo ihm der Vertrag vorgelegt wird, vielleicht in seinem Hotelzimmer. Dann geht der Vertrag zu dem einen Zeugen und dann zu dem andern, zu jedem allein. Alle diese Unterzeichner kennen sich meist persönlich und kennen ihre gegenseitigen Signaturen, die auch meist registriert sind. Der Vertrag geht dann, wenn es erforderlich ist, zu dem Notar, der die Unterschriften bestätigt, weil er ebenfalls alle Unterzeichner persönlich und deren Unterschriften kennt. Irgendwelche Bedenken hat er nicht, weil ihm der Vertrag eingereicht wird von einer angesehenen und bekannten Company, über deren Rechtschaffenheit kein Zweifel besteht. Das wird so gemacht und muß meist so gemacht werden, weil es sehr oft ganz unmöglich ist, alle Unterzeichner an demselben Ort und zu derselben Zeit zusammen zu haben. Der eine wohnt vielleicht in Chicago, der andere in Albany, wieder ein anderer in Phoenix. Kommt nun ein Vertrag mit den Unterschriften so achtbarer und bekannter Herren und mit der Beglaubigung eines Notars versehen zu unserm Konsul oder zu einem andern Konsul, so wird der gar keine Bedenken haben, die amtliche Bestätigung zu geben. Er hat meist gar keine Zeit, den Vertrag genau durchzusehen und lange darüber nachzudenken, daß an den Unterschriften etwas nicht stimmen könnte. Man muß heute sehr viel Vertrauen sich gegenseitig entgegenbringen. Würde man das nicht tun, gäbe es solche Zeitverluste, daß alles Wirtschaftsleben ins Stocken geriete.“ „Es ist also dann möglich“, sagte jetzt der Gouverneur, „daß eine andere Person und nicht Don Hacinto unterzeichnet haben kann.“ „Das ist natürlich möglich. Und bei der ganzen Vertragsabschließung braucht nur eine einzige Person wirklich die Wahrheit zu wissen, während alle übrigen Unterzeichner in der Tat unschuldig sind und man ihnen nach den obwaltenden Umständen nicht einmal vorwerfen kann, daß sie fahrlässig gehandelt hätten, weil der ganze Geschäftsverlauf in der üblichen und gewohnten Weise vor sich gegangen ist.“ „Ganz genau so, wie ich mir gedacht habe, daß es geschehen sein könnte“, sagte der Gouverneur. „Betrachten wir den Fall weiter. Wenn nun einer der wichtigsten Unterzeichner, sagen wir Don Hacinto, aus der Welt verschwindet, dann kann nie der Beweis beigebracht werden, daß er den Vertrag nicht unterzeichnet hat.“ „Doch, Senjor Gobernador“, erwiderte der Anwalt. „Man kann seine Unterschrift, die auf dem Kontrakt und in den Kopien, von Sachverständigen vergleichen lassen mit andern Unterschriften, die Don Hacinto irgendwo und irgendwann gegeben hat und von denen man ganz zweifelsfrei weiß, daß es sich um legitime Unterschriften seiner Person handelt.“ „Ein solcher Beweis ist aber nicht zu erbringen“, wandte der Gouverneur ein, „wenn frühere Unterschriften des Don Hacinto nicht existieren.“ „In einem derartigen Falle dann freilich nicht“, sagte Licenciado Perez. Der Gouverneur dachte eine Weile nach. Dann: „Wahrscheinlich war der Mann, der an Stelle des Don Hacinto unterzeichnete, ein Mexikaner, der sich vielleicht gar als ein Mann mit dem Namen Yanyez ausweisen konnte. Der Name Yanyez ist ja nicht gerade häufig, aber doch genügend oft vorhanden, um jemand mit diesem Namen vorzuschieben. Sehr möglich, daß der vorgeschobene Mann gar nichts wußte, unterschrieb da etwas, von dessen Inhalt er wenig verstand. Man gab ihm einige Dollar in die Hand, und der arme Teufel tat, was man von ihm verlangte, froh darüber, daß er so leicht zwanzig oder fünfzig Dollar verdienen konnte. Möglich, daß jener Mann nach der Unterzeichnung verschwand. Was gilt dort drüben ein armer mexikanischer Arbeiter. Sie werden zu Dutzenden erschlagen, und niemand erfährt es. Wenn hier in Mexiko ein Amerikaner von Banditen erschlagen wird, dann erfährt es sofort die ganze Welt, und die ganze Welt entrüstet sich über die Unsicherheit in Mexiko.“ Plötzlich, gleich einem Donnerschlag, schlug die Stimme des Gouverneurs auf den Licenciado ein: „Wissen Sie auch, Perez, daß Don Hacinto noch nicht zurückgekehrt ist aus den Staaten?“ Senjor Perez fuhr erschreckt auf: „Was sagen Sie da? Nicht zurück?“ „Nein, er ist nicht zurück“, wiederholte der Gouverneur. „Niemand daheim hat irgendeine Nachricht von ihm erhalten. Niemand weiß, wo er ist, niemand weiß, wo das Geld ist, das er empfangen hat.“ „Das ist doch nicht möglich, Gobernador“, sagte der Licenciado, immer erregter werdend. „Das kann doch gar nicht sein!“ „Es ist aber so“, nickte der Gouverneur. „Und nun will ich Ihnen sagen, was ich denke. Don Hacinto hat den Kontrakt nicht unterschrieben; denn erstens wollte er die Rosa Blanca nicht verkaufen, und zweitens konnte er nicht schreiben. Don Hacinto hat die Hazienda nicht verkauft. Die Unterschrift hat irgendein mexikanischer Arbeiter für ein paar Dollar gezeichnet. Das war schlau, denn wir schreiben ja die Buchstaben ein wenig anders als die Amerikaner. Hätte ein Amerikaner unterschrieben, so würde man sofort gesehen haben, daß der Unterzeichner nicht Mexikaner war. Man hat einen Arbeiter oder einen Schuljungen hergenommen, um die Unterschrift so ungelenk erscheinen zu lassen, wie gewöhnlich die Unterschrift eines wenig schreibgewandten Landmannes aussieht. Nach meiner festen Überzeugung ist Don Hacinto dort oben ermordet worden, als er nicht zu bewegen war, die Hazienda zu verkaufen.“ „Aber das ist ja unerhört, was Sie da sagen, Senjor!“ rief der Licenciado. „Keineswegs unerhört“, sagte der Gouverneur ernst. „Sie haben mir ja soeben bestätigt, wie solche Verträge unterzeichnet werden, daß also die Unterzeichner nicht alle am gleichen Ort und zu gleicher Zeit bei der Unterzeichnung zugegen zu sein brauchen, weil sich eine Person auf die Rechtschaffenheit der andern verläßt. Ich gebe zu, daß dies eine rechtsgültige Handlung ist, weil – Sie gaben mir ja die Gründe an – es sonst oft nicht möglich sein würde, einen Vertrag abzuschließen, denn man kann die Personen nicht alle immer beisammen haben. Ich unterzeichne auch die meisten Verträge und Briefe, die mir von meinen Leuten hier vorgelegt werden, im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit meiner Sekretäre. In dem Falle des Don Hacinto freilich gab das eine Möglichkeit, einen Vertrag zu erschleichen. Ich bin überzeugt, daß Don Hacinto das Geld nicht bekommen hat, und wenn er es bekam, so wurde es ihm wieder abgenommen, sobald er ermordet war.“ „Ich kann das nicht glauben“, sagte Senjor Perez. „Ich kenne den Präsidenten der Company, den Mr. Collins, persönlich. Er macht auf mich nicht den Eindruck, daß er zu einer so grauenhaften Tat seine Zustimmung geben würde.“ „Sie als Anwalt, lieber Perez, sollten doch recht vorsichtig sein, die Menschen lediglich nach ihrem Eindruck, den sie auf andere Menschen machen, zu beurteilen. Es handelt sich ja nicht um einen gemeinen Mord im üblichen Sinne. Einen gemeinen Mord begeht ein solcher Mann natürlich nicht. Aber hier ist der Mord nach der Auffassung des Mannes nötig im Interesse seiner Company. Er, jener Präsident, betrachtet einen solchen Mord mehr als einen politischen Mord. Und bei politischen Morden nimmt das Gewissen gewöhnlich eine andere Stellung ein als bei einem Morde, der rein persönlichen Interessen dient. Vielleicht lag der Mord nicht in den Plänen des Präsidenten. In seinen Plänen lag nur der Besitz der Hazienda. Er gab dann einem Subjekte den Auftrag, den Verkauf der Hazienda durchzusetzen um jeden Preis. Jenes Subjekt, nicht die Intelligenz und Ruhe des Präsidenten besitzend, wählte dann den kürzesten und rohesten Weg, um den Auftrag, der ihm gegeben war, zu erfüllen. Jenes Subjekt mag der Mann gewesen sein, der auf der Hazienda war und der Don Hacinto nach den Staaten gelockt hat. Aber das ist nur eine Vermutung.“ „Sollte nicht vielleicht alles nur Vermutung sein, was Sie mir hier gesagt haben, Gobernador?“ fragte Senjor Perez. „Gestern war alles nur Vermutung. Heute, nach der Unterredung mit Ihnen, die mir Aufklärung gab über die Art und Weise, wie solche Verträge unterzeichnet und bestätigt werden, bin ich gewiß, daß meine Vermutung richtig ist oder wenigstens, daß sie der Wahrheit sehr nahe kommt. Wir haben jetzt nur noch eine Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden. Bei allen Verbrechen wird immer ein Fehler gemacht. Es wird auch hier ein Fehler gemacht worden sein. Und ich vermute – ich betone diesmal, ich vermute nur –, daß der Vertrag unterzeichnet wurde, nachdem Don Hacinto bereits ermordet war oder nachdem man ihn geschickt – wie das dort oft gemacht wird – in irgendeiner Weise verunglücken ließ, auf der Jagd oder auf der Bahn oder im Auto oder beim Baden oder beim Segeln. Wir müssen versuchen, seinen Leichnam zu finden und festzustellen, wann er starb. Können wir dann vergleichen, daß der Vertrag unterzeichnet wurde, nachdem Don Hacinto tot war, dann haben wir den Betrug erwiesen.“ „So etwas dürfte schwerfallen“, meinte der Licenciado. „Das weiß ich, Senjor Perez. Es ist nur eine Idee von mir. Aber ich werde dieser Idee folgen. Ich möchte Sie bitten, mir hierbei zu helfen. Sie sind ja nicht nur der Vertreter jener Company, Sie sind ja auch Mexikaner, nicht wahr, Senjor Perez?“ „Mit ganzem Herzen, Senjor Gobernador, das brauche ich nicht zu versichern“, sagte der Licenciado offen. „Und in einem solchen Falle, angesichts einer so schäbigen Tat, wo es sich um nackten Raub unseres Landes handelt, bin ich Mexikaner erst recht und allen zum Trotz. Trotz seiner Eigensinnigkeit und seiner Schwerfälligkeit habe ich Don Hacinto achten und schätzen gelernt während meiner mehreren Besuche auf seiner Hazienda. Und ich darf Ihnen offen eingestehen, daß, als er, trotz der aufgehäuften Goldstücke auf seinem Tische, endgültig von jedem Verkauf abstand, ich einen tiefen Respekt vor dem Manne bekam. Und obgleich mir eine hohe Provision verlorenging, war ich im Herzen doch froh, daß er dieses schöne Stück Heimat nicht an die Amerikaner verkaufte, daß ein so schönes Stück Erde, das solche Menschen erzeugte, wie er war und wie alle übrigen dort sind, die ich kennenlernte, nicht in ein stinkendes und lärmendes Ölkamp verwandelt wurde. Und das ist meine ehrliche Meinung, Gobernador.“ „Nun gut“, sagte der Gouverneur, „kommen wir zum Handeln. Schreiben Sie der Company, daß Sie die Bestätigung der Registrierung noch nicht erhalten hätten, was ja der Wahrheit entspricht. Sie dürfen ruhig hinzufügen, daß nach privaten Mitteilungen, die Sie erhalten hätten, die Registrierung erfolgt sei. Dann schreiben Sie ferner, daß hier bei der Regierung inzwischen Bedenken aufgetaucht seien. Sagen Sie offen, es habe sich herausgestellt, daß Don Hacinto nicht schreiben konnte. Und sagen Sie endlich, daß die Regierung ein Interesse habe, zu erfahren, wo sich Don Hacinto befinde, um ihn über einige Einzelheiten in dem Vertrage zu vernehmen.“ „Halt!“ unterbrach der Licenciado. „Das werde ich nicht schreiben. Denn gesetzt den Fall, Don Hacinto ist noch am Leben, dann wird man nun versuchen, ihn noch nachträglich zu beseitigen, um einen so unbequemen Zeugen loszuwerden.“ „Das ist wahr. Daran hatte ich nicht gedacht“, sagte der Gouverneur. „Sagen Sie einfach, Don Hacinto sei hier noch nicht wieder zurückgekehrt, und seine Familie habe ein Interesse daran, zu wissen, wo er sei, ob man dort nichts über ihn erfahren könnte.“ 14 1 Auf der Hazienda Rosa Blanca arbeiteten die Ingenieure nun mit voller Kraft. Die Maisfelder, Zuckerstauden, Orangen- und Zitronenbäume wurden niedergemacht, um Platz zu schaffen für die Bohrtürme. Eine Straße wurde geschlagen und geebnet, um auf den schweren Lastautozügen das Material, die Dampfkessel und Maschinen heranzufördern. Jede Familie, die so kurzerhand von ihrem Feld herunter und aus ihrer Hütte heraus mußte, erhielt von den Ingenieuren je zweihundertfünfzig Peso ausbezahlt, um ihren Abzug zu beschleunigen. Das Abstandsgeld, das gleichzeitig als das Abstandsgeld für den Verlust der reifenden Ernten galt, wurde in silbernen Ein-Peso-Stücken ausbezahlt, damit es recht viel aussehen sollte und damit mit diesem Silberhaufen der Schmerz um die sterbende Heimat gelindert und kuriert werden sollte. Es dauerte nur wenige Tage, dann mußte auch die Familie des Don Hacinto die Hazienda verlassen. Die Ingenieure waren gutmütig. Sie sahen das Weh der Menschen, die von ihren Urwurzeln gerissen wurden. Und um ihnen gefällig zu sein und ihnen zu zeigen, daß sie keine Schuld an diesem Zerbrechen einer Heimat trugen, fuhren sie mit den leer zurückgehenden Autos die Habe der Familien dort hin, wohin die Leute zu wandern gedachten. Die Compadres brachten ihre Familien in kleine Orte, die nahe ihrer verlorenen Heimat lagen, weil die Männer alle in dem neu aufgelegten Kamp gutbezahlte Arbeit erhielten. Sie bekamen vier Peso und vier Peso fünfzig den Tag. Der Mestize Frigillo hatte die Kommission für die Anwerbung dieser Leute bekommen. Nie vorher hatte er eine so leichte und angenehme Kommission in seinem Leben gehabt. Er brauchte nicht zu reisen, um Leute zu suchen, brauchte deren Reisegeld nicht zu bezahlen, und er hatte überhaupt keine Mühe. Denn alle Leute waren gleich zur Hand, weil sie ja nicht wußten wohin und weil sie noch froh waren, so schnell ein anderes Einkommen zu finden, nachdem ihnen die Ernten, gegenwärtige und zukünftige, genommen waren. Die Familie des Don Hacinto siedelte sich in Tuxpam an. Sie hatte für Haus und Ernte eine Abstandssumme von zweitausend Peso bekommen. Die Frau wollte das Geld nicht annehmen. Aus Stolz. Sie wollte kein Geld von Räubern und Mördern in Händen haben, wie sie sagte. Aber der Sohn war vernünftiger. Er wußte, daß die Mutter, die ja nicht mehr jung war, und auch die jüngeren Geschwister das Geld gut gebrauchen konnten. Und so nahm er das Geld in Empfang und gab es seiner Mutter, als sie in Tuxpam eine kleine Tienda, einen kleinen Kramladen, kauften, damit die Mutter eine Beschäftigung und ein kleines sicheres Einkommen haben möge. Er selbst, der Sohn, arbeitete eine Zeitlang als Kolonnenführer in dem neuen Kamp. Die Ingenieure, immer darauf bedacht, zu lindern und zu heilen, wo sie nur konnten, lernten ihn nach einigen Wochen als Chauffeur an, und Domingo fuhr die Material-Autos von Tuxpam zum Kamp. Er bekam nun zehn Peso den Tag. Da er sehr anstellig und willig war, lernten ihn die Ingenieure zum Tooldresser an, wobei er fünfzehn Peso den Tag verdiente. Er ist später noch höher hinaufgerückt und wurde endlich ein geschickter Driller, als der er fünfhundert Dollar Americano den Monat verdiente und gute Prämien erhielt für jeden einkommenden Brunnen, den er gebohrt hatte. 2 Der Erzähler dieser Geschichte hat nicht die Absicht, falsche Sentimentalitäten zu erzeugen und stimmungsvolle Wirkungen zu erzielen, damit der Zuhörer von einer schönen und rührenden Geschichte sprechen kann, die von dem Knicken eines zarten Rösleins handelt. Darum sei der Wahrheit gemäß mitgeteilt, daß nicht nur die Ingenieure, sondern auch das Direktorium der Condor Oil Company gut halfen, die ehemaligen Bewohner der Hazienda wenigstens in materieller Weise den Verlust ihrer Heimat weniger hart fühlen zu lassen. Und es sei ferner, der Wahrheit folgend, hier gesagt, daß viele der Männer, wenn nicht vielleicht alle, sich nach wenigen Wochen so gut in die neuen Verhältnisse hineinfanden, daß sie wohl bald kaum noch bereit gewesen wären, ihr neues Leben gegen das frühere zu vertauschen. Sie alle trugen jetzt gute Kleider, alle trugen jetzt Schuhe und Stiefel, auch die Frauen, alle Kinder besuchten die Schule, und die Frauen arbeiteten weniger hart als vorher. Und alle Leute ohne Ausnahme, insbesondere die Kinder, lebten jeden Tag mehr und mehr modernen hygienischen Grundsätzen gehorchend. Materiell betrachtet waren alle Betroffenen jetzt besser für das Leben im allgemeinen gerüstet als vorher. Sie waren nicht mehr nur die Bewohner eines kleinen Fleckchens Erde, wo sie nichts weiter von der Welt und anderen Menschen wußten, als soweit ihr Auge den Horizont sah. Sie wurden mehr und mehr Menschen, die bewußt in einer großen Welt lebten, in einer größeren Heimat, in der mexikanischen Republik. Sie fühlten die Größe der Welt und den Umfang menschlichen Zusammenarbeitens über die ganze Erde hinweg. Ihre Feinde waren früher die Nachbarn auf der zweitnächsten Hazienda gewesen. Aber diese Feindschaft verschwand mit dem Wachsen in eine größere Welt hinein. Sie fühlten ganz leise das erste Keimen jenes Gedankens, daß alle Menschen auf der Erde eine Einheit sind, alle eine große Bruderschaft bilden. Sie sahen in den Filmen, die eifrige geschäftstüchtige Unternehmer in den Kamp-Orten vorführten, was andere Menschen, weit entfernt von hier, taten, wie sie handelten, wie sie dachten, wie sie arbeiteten, wie sie liebten, wie sie ihre Kinder behandelten, wie sie betrogen und schwindelten. So sahen sie, daß andere Menschen nicht so sehr verschieden von ihnen selbst waren. Und das verstärkte das brüderliche Band zu anderen Menschen und anderen Völkern. Sie hörten dem Radio zu, das von den amerikanischen Ingenieuren und Ölleuten in die Kamps gebracht wurde. Sie hörten Musik und Worte aus anderen Ländern, hörten die Reden des Präsidenten der Republik, hörten die Reden von Ärzten, Lehrern, Instruktoren, Künstlern, Gesundheitsinspektoren, die im Auftrage der mexikanischen Regierung die Mission zu erfüllen hatten, Kenntnisse und Wissen und guten Rat in die fernsten Gegenden der Republik zu tragen. Sie trafen mit anderen Arbeitern zusammen, die aus anderen Staaten der Republik kamen, die viel gesehen und viel erlebt hatten. So eröffnete sich vor den körperlichen und vor den geistigen Augen dieser Leute eine ganz neue Welt, von deren Existenz sie nie etwas vorher gewußt hatten. Eine Welt, die ihnen einst fern geschienen hatte wie ein Planet im Weltall. Und jetzt sahen sie jene ferne Welt, lebten in ihr, lebten mit ihr, verstanden sie mehr und mehr und fühlten sich bald als Glieder jener neuen größeren Welt, nicht als geduldete, sondern als berechtigte und notwendige Mitbewohner jener neuen Welt. Denn sobald sie sich erst einmal hier in dieser großen Welt ein wenig mehr zurechtgefunden hatten, lernten sie, daß man sie in jener großen Welt gebrauchte, daß sie notwendig waren, auch wenn sie nur eiserne Rohre heranschleppten und dabei halfen, diese Rohre einzuheben in die Bohrlöcher. Diese Arbeit war wichtig, denn wenn niemand die Rohre ablud und heranschleppte, so konnten die Automobile kein Gasolin bekommen und sie konnten nicht fahren. So fühlten sie auch bald heraus, aus gutem echtem Naturinstinkt, daß sie ebenso wichtig in dieser großen Welt waren wie die Ingenieure und Bohrer. Sie hatten eine schöne Heimat verloren, eine liebe Heimat, von der sie einst glaubten, daß sie ihren Verlust nicht überleben könnten. Aber als sie zu sehen lernten und als sie begannen aufzuwachen aus ihrer Benommenheit, aus ihren kleinen uralten Gewohnheiten, erkannten sie, daß sie an Stelle der kleinen, engen Heimat eine größere gewonnen hatten, die auch ihre Schönheiten hatte. Und während die alte kleine Heimat immer zu bleiben schien, was sie war, so war die neue größere Heimat von anderer Art. Die neue Heimat stand nicht still am Horizont. Sie wuchs und wuchs, wuchs mit jedem Tage neuer Erkenntnis zu einer immer größeren Heimat, die keine Grenze zu haben schien, die alle Menschen, alle Länder, alle Gedanken, die gedacht wurden, umfaßte. An Seele freilich war viel mit dem Untergang der ehemaligen kleinen Heimat verlorengegangen. Vieles sah nun häßlich aus. Vieles fehlte ihnen, was sie einst reich machte in ihren Empfindungen, in ihrer stillen natürlichen Freude. Früher, in ihrer kleinen Heimat, hatten sie reiche seelische Empfindungen gehabt, aber es fehlte ihnen die Gabe, jene Empfindungen richtig und klar auszudrücken und im Austausch mit anderen Leuten die eigenen schönen Empfindungen zu vertiefen und zu erweitern. Jetzt waren die seelischen Empfindungen oft weniger reich, aber sie lernten mehr und mehr, diese Empfindungen in Worten anderen Menschen klarzumachen und aus den Worten ihrer Mitmenschen, die wieder über deren eigene Empfindungen und Erfahrungen sprechen konnten, neue Schätze gewinnen, wodurch der Verlust früherer schöner Empfindungen durchaus wettgemacht wurde. Es kam natürlich auch hier, im Verkehr mit anderen Menschen, rohen, empfindungslosen, gedankenfaulen Menschen, oft manches Häßliche und Böse in ihr Leben. Aber wer es abzuschütteln verstand, wer genügend Robustheit aufbrachte, die harten Ellbogenstöße mancher rohen Mitmenschen nicht zu beachten, den traf das Häßliche weniger, und er nahm nur teil an dem, was gut und schön war. Als Ganzes gesehen und vorurteilslos betrachtet, jede törichte Sentimentalität ausschaltend, darf mit Gewißheit gesagt werden: Die Menschen hatten viel verloren und bei dem Verlust viel gewonnen. Und es kam ein Tag, Monate später oder Jahre später, aber der Tag kam, an dem alle mit Recht sagen konnten: Wir sind reicher geworden als wir waren; wir sind größer geworden als unsere Väter waren, denn wir sind heute Bürger der Erde, und was mehr ist, wir sind heute bewußt Bürger der Erde; wir sind bewußte Bürger der Erde, weil wir die Erde und die übrigen Menschen begreifen und mehr und mehr verstehen. Und weil wir mehr Menschen verstehen, darum ist unsere Liebe größer geworden. Was Größeres kann der Mensch auf Erden gewinnen, als daß seine Liebe größer wird! 15 1 Licenciado Perez hatte sein Schreiben direkt an Mr. Collins gerichtet, um zu vermeiden, daß der Inhalt an untergeordnete Personen bekannt wurde. Mr. Collins ließ sofort Mr. Abner rufen. „Was habe ich Ihnen gesagt, Abner?“ Er fuhr ihn verteufelt scharf an. „Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß mir keine Sauerei gemacht wird? Ich habe Ihnen auch gesagt, daß ich für Dummheiten keine Verantwortung übernehme und daß ich Sie glatt und mitleidlos den Behörden ausliefere, wenn Sie Dinge begehen, die ich nicht decken kann. Für Dummheiten kennen wir keine Gnade. Ich lasse Sie fallen bis in die Hände des Henkers, wie Sie es verdient haben, wenn Sie eine Aufgabe nicht klar durchführen können.“ Mr. Abner war bleich geworden. „Ist etwas herausgekommen?“ sagte er halblaut und furchtsam. „Ja. Alles.“ Mr. Collins sagte es kalt und erbarmungslos. „Dann kann ich mir nur noch einen Revolver kaufen“, sagte Mr. Abner hilflos. „Wenn Sie dazu noch Zeit haben, Abner. Sie werden kaum vierundzwanzig Stunden haben, Mann. Und kaufen Sie einen guten, der nicht fehlt im rechten Augenblick. Der mexikanische Konsul hat die Sache in den Händen.“ Mr. Collins arbeitete, wie nur ein wahrhaft großes Genie zu arbeiten weiß. Er hatte seine Agenten und seine Detektive auf dem Plane gehabt die ganze Zeit hindurch. Und es waren tüchtige Leute. 2 Auch der mexikanische Konsul hatte gute Detektive. Mexikaner, die in den Staaten geboren waren und die von dem Konsul in der Hauptsache gebraucht wurden, um diejenigen seiner Landsleute zu beobachten, die in den Grenzstaaten der Vereinigten Staaten Revolutionen gegen ihr Heimatland Mexiko anzettelten und Waffen über die Grenze nach Mexiko schmuggelten. Sie nannten sich alle Patrioten. Einzelne waren ehrliche Leute, die ernsthaft glaubten, daß sie ihrem Heimatlande nützten, wenn sie durch Revolutionen und Rebellionen der gegenwärtigen mexikanischen Regierung Unbequemlichkeiten bereiteten. Diese Leute waren die Porfiristen, die Anhänger des gestürzten Regimes des Diktators Porfirio Diaz. Jene Männer glaubten, ehrliche Leute zu sein. Sie waren der Meinung, daß ihrem Lande nur dadurch gedient werden kann, wenn das alte konservative System des Porfirio Diaz wieder zur Macht gelangt. Sie waren der Meinung, daß Mexiko nur dann gedeihen kann, wenn die Amerikaner, die Engländer, die Deutschen, überhaupt alle Fremden ihr Kapital hereinbrachten, um die Naturschätze Mexikos herauszuholen. Dieses System hatte mehr als dreißig Jahre in Mexiko gewirtschaftet mit dem Erfolg, daß in der Blütezeit jenes Systems, im Jahre 1910, fünfundneunzig Prozent der Mexikaner keine Schuhe an den Füßen und nur Lumpen am Körper trugen, daß das ganze Volk, von einer dünnen Oberschicht abgesehen, versklavt war wie selten ein Volk versklavt gewesen ist, ein System, das so wenig an Bildungsarbeit getan hatte, daß bei Ausbruch der Revolution achtzig Prozent des Volkes weder lesen noch schreiben konnten. Dann waren da jene ehrlichen mexikanischen Patrioten, die darum Revolutionen anzetteln wollten, weil ihnen einige Personen in den öffentlichen Ämtern der Republik nicht gefielen, sei es, weil sie jene Posten gern selbst gehabt hätten, sei es, weil jene Personen, die in den Ämtern saßen, ihnen nichts zu verdienen gegeben hatten. Dann waren da jene halbehrlichen mexikanischen Patrioten, die von den amerikanischen und englischen Kapitalisten als Werkzeuge gebraucht wurden, ohne daß sie es wußten. Und endlich waren da noch jene herrlichen Patrioten, die ganz offen sich von amerikanischen Companien und Magnaten bezahlen ließen, um Rebellionen in Mexiko anzustiften, die den amerikanischen Companien und Bankiers so willkommen sind, um finanzielle Spekulationen erfolgreich durchführen zu können. Alle diese Patrioten mußte die mexikanische Regierung in den Staaten durch besondere Agenten überwachen lassen, um ihre Bürger und ihr Land vor Schaden zu bewahren, soweit das in den Kräften der mexikanischen Regierung stand. Ein Fall wie der skandalöse verbrecherische Raub der Weißen Rose konnte sehr wohl zu einer Rebellion in Mexiko oder zu einem bewaffneten Einmarsch amerikanischer Truppen in das mexikanische Land führen, wenn die mexikanische Regierung nicht sehr vorsichtig handelte. Diplomatische Anfragen und Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit oder die Unrechtmäßigkeit der Verkaufskontrakte konnten zu peinlichen Verwicklungen führen, wenn man auf der einen Seite die Ruhe verlor, denn die Beziehungen zwischen beiden Mächten waren seit der Revolution gespannt genug, so daß es nur eines Funkens bedurfte, um das Feuer ausbrechen zu lassen. 3 Eines Tages kam ein Mexikaner zum mexikanischen Konsul in San Francisco, um die Geburt eines Sohnes dort registrieren zu lassen, damit der Sohn mexikanischer Bürger bleibe. Der Konsul betrat den Geschäftsraum gerade in dem Augenblicke, als ein Beamter die Personalien jenes Mannes niederschrieb. Er fragte nach dem Geburtsort des Mannes. Und der Mann antwortete laut: „Tuxpam, Estado Veracruz.“ Darauf blieb der Konsul stehen und redete den Mann an: „Sie sind aus Tuxpam, Senjor?“ „Si, Senjor, a sus ordenes.“ „Kennen Sie dort in der Nähe die Hazienda Rosa Blanca?“ „Kenne ich, Senjor.“ „Kennen Sie Senjor Hacinto Yanyez?“ „Kenne ich, er ist der Besitzer, der Duenjo, der Rosa Blanca.“ „Ja, den meine ich“, sagte der Konsul. „Don Hacinto ist jetzt hier, in San Francisco, Senjor. Oder er war wenigstens hier vor einiger Zeit.“ „Haben Sie mit ihm gesprochen?“ „Ja, wir waren verschiedene Male beisammen und haben in dem Restaurant des Senjor Palido zweimal zusammen gesessen“, sagte der Mann. „Hat Don Hacinto zu Ihnen etwas gesagt, daß er die Rosa Blanca verkaufen will?“ fragte der Konsul. „Er hat mir gesagt, daß er mit einem Amerikaner mit Namen Mr. Abner hierhergekommen sei. Dieser Amerikaner hat ihn eingeladen, mit ihm nach hier zu kommen, um ihm einige Zuchtesel und Zuchtstuten zu schenken als Gegengeschenk für sechs Pferde, die ihm Don Hacinto geschenkt hatte. Mr. Abner hat Don Hacinto überreden wollen, ihm die Rosa Blanca zu verkaufen. Er hat ihm endlich eine halbe Million Dollar für die Hazienda geboten. Ist sie gar nicht wert, die Rosa Blanca, Senjor.“ „Schon gut“, unterbrach ihn der Konsul. „Erzählen Sie weiter, was Sie wissen.“ Der Konsul war von dem Gouverneur in Jalapa über alle Einzelheiten inzwischen unterrichtet worden, so daß er wohl wußte, was und wie zu fragen bei einer Gelegenheit, die sich ihm jetzt so günstig bot. „Don Hacinto sagte mir“, fuhr der Mann fort, „daß er die Rosa Blanca niemals verkaufen würde, auch nicht, wenn man ihm zwei Millionen Dollar böte. Ich habe ihm gesagt, er müßte wissen, was er täte, und ich würde die Hazienda verkaufen, wenn ich an seiner Stelle wäre. Aber er wollte nichts davon hören und sagte, daß er nie daran dächte, die Rosa Blanca zu verkaufen, er könnte es nicht der vielen Familien wegen, die darauf lebten, und er wollte auch nicht, daß über die Gräber seines Vaters und seiner Mutter die Automobile fahren.“ „Haben Sie den Don Hacinto hier einmal betrunken gesehen?“ „Etwas. Das kam mir dumm vor, weil Don Hacinto wenig trinkt. Er sagte mir, daß Mr. Abner ihm immerfort zu trinken gegeben habe, und daß er nicht ablehnen wollte, zu trinken, um nicht unhöflich zu sein.“ „Hat er etwas zu Ihnen gesagt, daß er auf dem Rancho des Mr. Abner gewesen sei, um sich die Zuchttiere anzusehen?“ „Er sagte mir, daß Mr. Abner immer keine Zeit habe, um zum Rancho zu fahren, und er sagte mir dann auch noch, daß er anfange zu glauben, daß Mr. Abner gar keinen Rancho und gar keine Zuchttiere habe.“ Der Konsul fragte darauf: „Wohnte Don Hacinto bei Ihnen oder in einem Hotel?“ „Er sagte mir, daß er mit Mr. Abner in dessen Hause wohnte. Das muß da irgendwo in der Brenton Street sein.“ „Hat Don Hacinto Ihnen gesagt, daß er viel Geld bekommen habe?“ „Das Gegenteil, Senjor Konsul. Don Hacinto sagte mir am letzten Tage, als ich ihn sah –“ „Halt, wann sahen Sie ihn das letztemal?“ „Mittwoch vor, vor – vier, fünf, sieben, Mittwoch vor elf Wochen.“ „Sie wissen den Tag genau?“ „Ja, Senjor. Denn an dem Tage hatte ich bei der Bank einen Scheck gekauft, den ich nach Mexiko schicken mußte für Sarapes, die ich importieren wollte. Vorher habe ich nie Sarapes hier gehandelt. Aber ich habe gedacht, das könnte vielleicht ein gutes Nebengeschäft sein.“ „Und an dem Tage –“ Der Konsul zögerte. „Ja, es war genau an dem Tage. Denn ich traf Don Hacinto vor der Bank, und wir sind zusammen hineingegangen, und er hat zugesehen, wie man das macht, wenn man einen Scheck kauft. Viel Geld hatte er nicht, denn er sagte mir, es könne sein, daß er sich von mir Geld borgen müßte für die Rückreise, weil Mr. Abner gar nicht von der Rückreise spreche, die er ihm doch zugesagt hatte.“ „Später haben Sie Don Hacinto nicht mehr gesehen?“ „Nein. Und ich glaubte, er sei nun abgereist. Aber ich war doch sehr verwundert, daß er nicht kam, Adios zu sagen. Wir waren doch gute Freunde auch von früher her. Er kennt meine Frau und kennt alle meine Verwandten, die noch in der Nähe von Tuxpam leben.“ „Das ist gut. Lassen Sie Ihre Adresse hier. Ich brauche Sie vielleicht noch. Ich will Ihnen auch gleich sagen, weshalb. Don Hacinto ist nicht zurückgekehrt nach Mexiko. Er hat die Grenze nirgends rückpassiert. Und wenn es ganz gewiß ist, daß Sie ihn an jenem Mittwoch vor elf Wochen zum letzten Male gesehen haben, dann hat er fünf Tage später den Verkaufskontrakt für die Rosa Blanca unterschrieben.“ „Das glaube ich nicht. Er wollte nicht verkaufen. Ich glaube es auch sonst nicht. Hacinto konnte nicht schreiben, nicht einmal seinen eigenen Namen.“ „Das ist richtig. Hat er Ihnen gesagt, daß er vielleicht seinen Namen auf der Reise mit Mr. Abner oder in dessen Hause schreiben gelernt hat. Vielleicht hat es ihn Mr. Abner gelehrt.“ „Glaube ich nicht, Senjor Konsul. So etwas wäre so wichtig in seinem Leben gewesen, daß er davon gesprochen hätte zu mir.“ „Das denke ich auch“, sagte der Konsul. „Hacinto ist auch nicht der Mann, der so schnell schreiben lernen könnte, in so kurzer Zeit. Einen Buchstaben vielleicht oder zwei oder drei. Aber nicht den vollen Namen. Hacinto nicht, Senjor.“ „Gut. Ich lasse Sie benachrichtigen, wenn ich Sie noch einmal benötige. Einen Jungen haben Sie? Guter mexikanischer Bürger, eh?“ „Aber kräftig, Senjor.“ „Wie soll er denn heißen, der Muchacho?“ „Emilio, Senjor Konsul, a sus ordenes.“ – „Adios denn.“ Der Konsul ging in seine Office und telephonierte sofort an einen seiner Agenten. Am Nachmittag diktierte er den Report nach Jalapa. 4 Mr. Collins sah Mr. Abner, der sich von seinem Schreck nicht zu erholen schien, an und sagte: „Wissen Sie, daß dieser Mann Yanyez nicht schreiben konnte? Nicht einmal seinen Namen?“ Mr. Abner setzte sich rasch, um nicht zu fallen. „Verflucht! Daran habe ich nie gedacht“, sagte er schwitzend. „Das ist es ja, was ich meinte“, sagte Mr. Collins. „Nicht daran gedacht. Wer hat Ihnen denn den Auftrag gegeben, den Namen zu fälschen?“ Mr. Abner bekam einen Ruck von innen. Sein Gesicht, das wegzuschwimmen angefangen hatte, bekam Festigkeit, und er sagte: „Ich habe doch den Mann schreiben gelehrt auf der Reise und in meinem Hause.“ „Sehr klug, Abner. Aber es hilft Ihnen nichts. Sie haben nicht aufgepaßt. Er hat einen Landsmann hier getroffen. Hat viel mit ihm gesprochen. Der Landsmann hat geschwätzt. Beim Konsul. Ist alles schon in den Akten. Licenciado Perez hat es hier schon im Brief. Dieser Mann Yanyez hat hier seinem Landsmann erzählt, daß er nicht schreiben kann.“ Das war nicht richtig, was Mr. Collins hier sagte. Der Landsmann hatte, nach dem Bericht des Senjor Perez, nur gesagt, daß ihm Senjor Yanyez nichts davon erzählt hatte, daß er inzwischen schreiben gelernt hatte. „Das mit dem Namen allein ist ja nun so wichtig nicht“, sagte Mr. Collins. Er bereitete Größeres vor. Denn daß Senjor Yanyez nicht ausdrücklich erzählt hatte, daß er inzwischen nicht schreiben gelernt habe, war sehr gut. Das bedeutete die Rettung der Unterschrift und damit die Rettung des Vertrages. „Das mit dem Namen ist so wichtig nicht. Wir werden sofort notariell in Ihrem Beisein und mit Ihrer Eidesversicherung festlegen lassen, daß Sie Senjor Yanyez auf der Reise schreiben gelehrt haben, damit er die Grenze passieren konnte.“ „Ja, das werde ich bestätigen“, sagte Mr. Abner, der glaubte, daß die Schlinge sich zu öffnen beginne. „Das mit dem Namen allein ist es nicht“, wiederholte Mr. Collins. „Schlimmer ist, daß der Janitor, der Portier des Hauses, das Sie gemietet hatten, Sie mit dem Yanyez hat im Automobil fortfahren sehen. Daß Sie, jedoch nicht Yanyez, von der Fahrt am folgenden Tage zurückgekommen sind, daß Agenten des mexikanischen Konsuls, die, uns selbst unbekannt, in Ihrem Hause und in der Garage gewirtschaftet haben, Blut und ein paar blutverschmierte schwarze indianische Haare in Ihrem Auto gefunden haben. Ist photographiert. Die Haare sind im mexikanischen Konsulat, wie ich von unseren Agenten weiß. So, und nun hören Sie mehr, Abner, Sie blöder Draufschläger, der Sie sind.“ Mr. Abner saß zusammengekauert in seinem Stuhl und schien nicht mehr zuzuhören. Mr. Collins fuhr in dem, was er sagen wollte, mit einer eiskalten Stimme ruhig fort: „Wir haben die Quittungen, daß Yanyez vierhunderttausend Dollar in acht Schecks von uns empfangen hat. Diese Schecks sind bei der Bank eingelöst worden. Auch das weiß das mexikanische Konsulat. Der Mann Yanyez ist mit Ihnen zuletzt gesehen worden. Er hat in Ihrem Hause gewohnt. Das Geld hat er nicht heimgeschickt. Wer denken Sie wohl, Abner, wer das Geld haben muß? Meinen Sie nicht, daß der das Geld hat, nach Meinung des Staatsanwaltes haben muß, der mit Yanyez in einem Auto fortgefahren ist und allein wiederkam, in dessen Automobil Blut und blutverklebte indianische Haare gefunden wurden, in dessen Hause Yanyez lebte, in einem Hause, das kurz vor der Ankunft des Yanyez rasch gemietet wurde? Meinen Sie nicht, Abner, daß man zuerst an den Mann denken wird, der Yanyez von Mexiko lockte, um ihn hier in seinem Hause zu haben, an den Mann, der am besten wußte, wieviel Geld Yanyez hatte und wo er es aufbewahrte?“ Mr. Abner sagte nichts und rührte sich nicht. Er war grau und zerfallen. Sein Haar wirr und naß. Mr. Collins drückte auf einen Knopf. Dann kamen der Notar, der erste Vizepräsident, ein Sekretär und der erste Syndikus der Company. Der Notar setzte das Affidavit auf, in dem Mr. Abner auf seinen Eid bekundete, daß er Senjor Hacinto Yanyez auf der Reise seinen Namen schreiben gelehrt habe, damit Yanyez die Grenze passieren könnte, und daß er zugegen gewesen sei, als Yanyez den Verkaufskontrakt, die Kopien und die Quittungen für die Schecks unterzeichnet habe. 5 Nachdem sich die Herren wieder entfernt hatten, Mr. Collins und Mr. Abner allein waren, sagte Mr. Collins ruhig: „Sie sind aus unserer Company entlassen. Hier ist das Zeugnis. Es ist darin gesagt, daß Sie freiwillig gehen, um einen Posten in China zu übernehmen.“ „Danke“, sagte Mr. Abner kurz, als er das Zeugnis, das in einem Umschlag war, in Empfang nahm. „Brauchen Sie noch mehr Geld, Abner? Oder haben Sie genug an dem, das Sie in der Sache bereits gemacht haben?“ fragte Mr. Collins. Absichtlich oder unabsichtlich legte er einen ironischen Ton in seine Frage. „Ich könnte noch fünfzigtausend gebrauchen“, sagte Mr. Abner, der durch die Amtshandlung des Notars seine knöcherne Ruhe wiedergefunden zu haben schien. „Sie sind unverschämt wie – ich weiß nicht, wie ich Sie vergleichen soll“, sagte Mr. Collins. Und frech erwiderte Mr. Abner: „Sagen Sie ruhig: Gierig wie der Präsident einer Oil-Company.“ „Das konnten Sie sich sparen, Abner“, sagte Mr. Collins. „Das konnten Sie sich wahrhaftig sparen, denn es ist zu billig. Aber es beweist mir nur erneut, daß Ihnen Geist fehlt. Denn hätten Sie auch nur eine Spur von Geist, dann hätten Sie nicht eine Reihe solcher Dummheiten machen können. Man kann wohl eine Dummheit begehen, aber gleich drei Dutzend, gleich ein halbes Hundert von Dummheiten zu machen, dazu gehört ein Übermaß von Idiotie. Aber es ist ja nicht meine Aufgabe, Sie zu erziehen. Einen Rat aber will ich Ihnen denn doch noch geben. Ich weiß nicht, was Sie zu tun gedenken, den Revolver oder rasche Abreise, aber was ich Ihnen rate, ist das: Was Sie auch immer zu tun gedenken, tun Sie es innerhalb vierundzwanzig Stunden; denn wenn Huerta in Mexiko nicht bald losschlägt, dann kommen Sie nicht mehr davon. Dann haben Sie nicht einmal mehr Zeit, den Revolver zu laden.“ 6 Mr. Abner hatte Glück. Huerta schlug los, wie die Oil-Companien erwartet hatten. Ob sie es auch befohlen hatten, zu dieser Zeit loszuschlagen, wird man so bald nicht erfahren. Die mexikanische Regierung hatte keine Zeit mehr, sich um eine so kleine Sache wie eine Weiße Rose zu bekümmern; denn die große Heimat derjenigen, die das Land durch eine lange und schwere Revolution gerettet hatten für das mexikanische Volk, kam in Gefahr, wieder verlorenzugehen an diejenigen, die den Untergang alter verrotteter Zustände beweinten und alles haßten, was nicht den Talmiglanz des Porfirismo aufgeklebt hatte. Huerta gelang es, mit Hilfe von Generalen, die in der neuen Zeit nicht jene großen mühelosen Einkünfte erzielen konnten, die sie im alten Regime gehabt hatten, Veracruz zu nehmen und zu halten. Der Gouverneur in Jalapa mußte aus seinem Amte gehen. Als Colonel übernahm er ein Bataillon, um mit der Regierung gegen Huerta zu kämpfen. Landsleute gegen Landsleute. Väter gegen Söhne. Brüder gegen Brüder. Die Huerta-Leute ergriffen auch Yucatan. Erschossen den Arbeitergouverneur des Staates. Und um ganz sicher zu gehen, auch seinen Sohn. Überall, wo Huerta hinkam, begann ein Erschießen und Erhängen der Arbeiterführer und der Syndikalisten. Öltankschiffe der amerikanischen Companien brachten in den Tiefen ihrer leeren Tanks die Waffen herein, um das Land immer mehr und tiefer aufzuwühlen. Aber Tampico, das Huerta ebenso leicht hätte nehmen können, blieb unbesetzt; denn von hier wurde der Reichtum des Landes, um den der Bruderkrieg ging, das Öl, verladen. Dieser Hafen mußte offen bleiben, um zu zeigen, wo die Auftraggeber wohnten und wer sie waren. 16 1 Die Rosa Blanca war nun geworden Lote Nr. 119 bis Lote Nr. 176. Hier wurde gearbeitet. Hier wurde produziert. Hier wurden Milliarden gemacht, während das mexikanische Volk zu vertrotteln schien und sich die Köpfe zerschlug und die Leiber zerfleischte, damit hier in aller Ruhe und ohne die unbequeme Aufsicht der Regierung das reiche, schwarze bebende Blut der mexikanischen Erde, das Öl, in unerhörten Massen fortgeschafft werden mochte. Was kümmerte sich der Mexikaner darum, daß die großen Companien in dieser Zeit des Bruderkampfes tun durften und taten, was sie nur immer wollten! Keine Konzessionen wurden geachtet, keine Verträge eingehalten, Recht und Unrecht verwischten sich. Was man nicht freiwillig bekam, wurde erzwungen durch Mord, durch Raub, durch Verschleppung. Der Mexikaner war den Companien wieder einmal gefällig, tat, was sie wollten. Er schlug sich mit seinen Brüdern herum, während die fremden Magnaten ihm ruhig und lachend und höhnend den letzten Fetzen Hemd vom Leibe zogen. Sein Land und die Wohlfahrt seines Volkes war dem Mexikaner nicht wichtig. Viel wichtiger war ihm, daß nicht Senjor X. Gouverneur war, und nicht Senjor Y. Präsident und nicht Senjor Z. Oberbürgermeister. Wer Gouverneur oder Präsident oder Oberbürgermeister werden sollte, das war ihnen auch gleichgültig. Wenn es nur der nicht war, der es augenblicklich gerade war. Sie waren noch nicht so reif geworden, um zu erkennen, daß sie mit ihrem Zerfleischen des eigenen Volkes nur die Werkzeuge der Magnaten waren. Sie glaubten große Patrioten zu sein, glaubten ihr Land zu befreien, und sie waren doch nur die Sklaven der fremden Kapitalisten. Denn wenn es zum Ende kam, bezahlten nicht die fremden Kapitalisten die Zeche, sondern wieder das mexikanische Volk. 2 So konnte es geschehen, daß die Rosa Blanca vergessen wurde und daß Lote Nr. 119 bis Lote Nr. 176 der Condor Oil Company Weltruf bekam. Rosa Blanca war jetzt verschmiert, verölt, verräuchert, verqualmt, verdreckt. Sie war erfüllt von dem Stöhnen, Ächzen, Dröhnen, Rattern und Fauchen der Maschinen, der Pumpen, der schweren Lastautomobile. In ihrem eintönigen ermüdenden Rhythmus rasselten die Bohrer auf und nieder, Tag und Nacht und Nacht und Tag. Die Driller wurden von ausschwenkenden Rohren erschlagen, die Tooldresser von fallenden Hebern zermalmt, die Hilfsleute wurden eingeholt von dem schweren Stahlkabel und stückweise aufgerädert auf das Seilrad. Aber die Bohrer rasselten auf und nieder, auf und nieder, Tag und Nacht und Nacht und Tag. Wer zerfleischt wurde, zählte nicht mehr mit und war sofort vergessen. Sofort war ein anderer da, der den Bohrer Gott bediente. Denn man zahlte dreißig Dollar den Tag dem Manne, der den Bohrer leitete, dem Driller. Und für dreißig Dollar den Tag muß man etwas wagen. Es wurde mit einer Raserei gearbeitet, die bis dahin unerhört gewesen war. Die gute Zeit, daß sich die Mexikaner gegenseitig zersäbelten und zerschossen, mußte ausgenutzt werden. Niemand sah während dieser Zeit auf die Rechtsgültigkeit der Konzessionen und Kontrakte. Darum heraus mit allem Öl, das nur herausgeholt werden kann! Denn wenn sich die Mexikaner wieder vertragen, dann ist die schöne Zeit der Gesetzlosigkeit vorüber; dann können sogar die Kontrakte der Rosa Blanca nachgeprüft werden. Darum heraus mit dem Öl! Und die Compadres alle schleppten Rohre, und sie sahen aus wie in Ketten laufende Sklaven. Alles, alles sah so aus, wie Hacinto es einst in seiner Vision gesehen hatte. 3 Dann endlich kam der erste Brunnen auf der Rosa Blanca ein. Hundertzwanzigtausend Hektoliter tägliche Produktion. Es wurde in die ganze Welt hinaustelegraphiert. Alle Welt hörte davon. Nur nicht die Mexikaner. Die kämpften darum, wer nicht Präsident sein sollte. Die hatten keine Zeit, Telegramme zu lesen und nachzusehen, was man mit ihrer Erde tat. Vier Tage darauf kam der zweite Brunnen ein mit neunzigtausend Hektoliter täglicher Produktion. Und jeder Hektoliter, jedes Barrel, ein schöner grüner amerikanischer Dollar in die Taschen der Aktionäre der Condor Oil Company. In derselben Woche der dritte Brunnen mit hundertzehntausend Hektoliter Tagesproduktion. Und so ging das nun jeden Tag. Hunderttausend Barrels, sechzigtausend, hundertzwanzigtausend, vierzigtausend. 4 Mr. Collins saß in seiner Office und las die Telegramme der einkommenden Brunnen. Die Brunnen schienen unter sich einen Wettlauf veranstaltet zu haben, wer von ihnen die höchste Zahl an Barrels produzieren könnte. „Die Jacht des Königs von England für Betty?“ sagte Mr. Collins. „Nicht für mich. Nicht für Betty. Gegen die Jacht, die Betty jetzt bekommt, soll die Jacht des Königs von England aussehen wie ein ausgedientes Fischerboot.“ Er nahm das Telephon und sprach mit Betty. Redete sie an mit „My empress“. Fürstin genügte ihm nicht mehr. Darum erhob er sie zur Kaiserin. Ihm fehlte nur noch der Dom, in dem er sich zu krönen gedachte, sie zur Seite. Aber da fiel ihm ein, daß er den Baptisten eine Kirche versprochen hatte. Und es war schade, daß man sich in den Staaten nicht zum Kaiser krönen lassen kann. Nicht um seiner selbst willen, wohl aber Bettys wegen würde man ihm den Kaiser geglaubt haben. Als er das Telephon absetzte, brachte seine erste Sekretärin, die Ida, eine Zeitung herein. Sie hielt die Zeitung aufgeregt in der Hand und sagte: „News, Mr. Collins, große Neuigkeiten.“ Er fing sofort die fettgedruckten Lettern der Headlines American Killed in Singapore Gambling House Accused of Having Cheated While Gambling Mr. Collins sah Ida an. Was kümmerte ihn ein Amerikaner, der in Singapore wegen Falschspielens in einer Spielhölle von seinen Mitspielern erschossen worden war! Kam auch in Chicago vor und in New York und in San Francisco. Wenn er sich um solche Dinge kümmern sollte, dann könnte er zwanzig Stunden den Tag Zeitungen lesen. Er verstand Ida nicht. Seit wann interessierte sie sich denn für Sensationen der Reporter? Als aber Ida sagte: „Lesen Sie nur den Text, Mr. Collins“, da nahm er die Zeitung wieder auf und flog über den Inhalt. Ah, well: Nach einer Schiffsgepäckkarte, die man in den Taschen des Erschossenen fand, ist der Amerikaner ein Mr. Abner aus San Francisco. „Schade um diesen Mann!“ sagte Mr. Collins zu Ida in bedauerndem Tone. „Eigentlich schade um ihn. Für Öl war er ja nicht zu gebrauchen. Machte Dummheiten. Aber er hätte einen ganz vorzüglichen Präsidenten einer Stahl-Korporation machen können. Er hatte die Nerven dazu. Es fehlte ihm nur die Ruhe und etwas mehr Geschlossenheit des Charakters. Beweist sein Falschspielen.“ Dann hatte er ihn auch schon vergessen. Und für dauernd. Denn er fragte sofort: „Neue Cables da von Mexiko, Lote Nr. 119 und folgende?“ „Acht“, sagte Ida kurz und gab ihm die geöffneten Telegramme. „Wieviel Tote?“ fragte er, während er die Telegramme rasch durchblätterte. „Keiner“, sagte die Sekretärin. 5 Mit dieser kurzen Antwort offenbarte die Sekretärin, daß sie nicht mehr nur gerade eine übliche Sekretärin war. Sie war inzwischen mehr geworden. Sie war Öl geworden, dachte nur in Öl und verstand die Sprache des Öls in ihrer vollen Klarheit. In dem Kamp Lote Nr. 119 bis Nr. 176 war die hetzende Arbeit immer rasender geworden. Die Prämien für den leitenden Driller, der einen laufenden Brunnen einbrachte, waren noch höher gesetzt worden, um die Leute zur wildesten Raserei anzuspornen. Der Driller gab von seiner Prämie allen übrigen Leuten, die an seinem Brunnen arbeiteten, Teile der Prämie ab. Er ließ leben. Aber nur die, die mit ihm rasten. Zeige dem Proletarier eine Zwanzigdollarnote, und er wird sofort Kapitalist. Du glaubst es nicht? Versuche es. Prämien wirken heute besser, als früher Peitschen halfen. Wenn vier oder fünf Brunnen am gleichen Tage zu bohren begonnen wurden, dann erhielt derjenige Driller, der unter diesen gleichzeitig begonnenen Brunnen seinen Brunnen zuerst einbrachte, außer seiner üblichen Prämie noch eine Extraprämie von dreitausend Dollar. Auch die Company ließ leben. Leben und leben lassen. Aber bei dieser wahnwitzigen Raserei verging nun kein Tag mehr, ohne daß ein Peon oder zwei oder drei und vielleicht gar ein Tooldresser oder ein Driller obendrein auf dem Schlachtfelde des Öls blieben, die zahlreichen Verwundeten und Verkrüppelten nicht gerechnet. Und wenn wieder ein Mann zermalmt war oder ein anderer in eine sich twistende Schleife des Stahltaues geriet und ihm der ganze Körper zerbrochen wurde, als wäre er von einer Riesenschlange umzingelt worden, dann hagelte es nur so von teuflischen Flüchen, des Aufenthalts wegen, der die Prämie vermanschen konnte. Denn der Leichnam mußte ausgeschält werden, damit man weiter arbeiten konnte. Und darum: Als Mr. Collins fragte: „Wieviel Tote?“, da dachte Ida, seine intelligente Sekretärin, auch nicht eine Sekunde lang daran, daß Mr. Collins gefragt haben könnte nach der Zahl der toten Männer, die jene acht Brunnen wieder gekostet hatten. Sie verstand sofort, daß er nur wissen wollte, wieviel tote, also wieviel nicht produzierende Brunnen, sogenannte Dry Holes – trockene Löcher – unter jenen acht neu eingebrachten Brunnen seien. Sie kannte die Sprache des Öls. Die toten Männer kamen nicht in die Cables. Denn die Cables kosteten jedes Wort achtunddreißig Centavos. Die toten Männer kamen in den Monatsbericht. Beim Monatsbericht konnte man mehrere Listen in einen Brief stecken, der nur zehn Centavos kostete. Konnten ja besser aufpassen die Leute. Ein Ölkamp ist doch kein Kindergarten. Für Tote und für Leute, die nicht besser aufpassen, ist in dieser Welt kein Platz. Was kümmert uns der Mensch? Wichtig ist nur das Öl. Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen, zum Teil basiert auf späteren Ausgaben, sind hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 9]: ... Zeugungsfähigkeit einer der Vorfahren des Hacinto. Hacinto war der ... ... Zeugungsfähigkeit eines der Vorfahren des Hacinto. Hacinto war der ... [S. 41]: ... Büro sei, wenn sie ihm im Nacken krault und auf die Nasenspitze küßt ... ... Büro sei, wenn sie ihn im Nacken krault und auf die Nasenspitze küßt ... [S. 41]: ... lächerlich machen. Man würde ihm jeden Tag, wenn er sich sehen ließe, ... ... lächerlich machen. Man würde ihn jeden Tag, wenn er sich sehen ließe, ... [S. 94]: ... eines Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die unwiderbringliche ... ... eines Erdteils, sitzt keine gigantische Naturkatastrophe, die unwiederbringliche ... [S. 107]: ... stinkigsten kapitalistischen Skandale verwickelte, die das amerikanische ... ... stinkigsten kapitalistischen Skandale verwickelten, die das amerikanische ... [S. 108]: ... Tode bestraft werden muß. Es ist zwar kein Feind da, an dem das ... ... Tode bestraft werden muß. Es ist zwar kein Feind da, an den das ... [S. 124]: ... Der Diputado hatte sein Verschen schön auswendig gelernt, besser als ... ... Dieser Diputado, der wegen zwei Frauen, die er in Mexiko City außer ... [S. 135]: ... Konzessionen, die ihr gegeben wurden, anzubohren verpflichtet war. ... ... Konzessionen, die ihr gegeben wurden, verpflichtet war. ... [S. 148]: ... zu Ihrer Verfügung. Freilich warne ich vor eins: Kein Verbrechen, ... ... zu Ihrer Verfügung. Freilich warne ich vor einem: Kein Verbrechen, ... [S. 169]: ... daß die Räder der eine Seite über den Hals Hacintos liefen. ... ... daß die Räder der einen Seite über den Hals Hacintos liefen. ... [S. 178]: ... Der Gouverneur sah sie ruhig an, ohne eine Wort zu sagen. ... ... Der Gouverneur sah sie ruhig an, ohne ein Wort zu sagen. ... [S. 197]: ... „Das ich richtig. Hat er Ihnen gesagt, daß er vielleicht seinen Namen ... ... „Das ist richtig. Hat er Ihnen gesagt, daß er vielleicht seinen Namen ... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WEISSE ROSE *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. 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