Die Baumwollpflücker : Als Fortsetzungsroman im »Vorwärts« (1925)

By B. Traven

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Title: Die Baumwollpflücker
        Als Fortsetzungsroman im »Vorwärts« (1925)

Author: B. Traven

Release date: April 5, 2025 [eBook #75795]

Language: German

Original publication: Berlin: Vorwärts-Verlag G. m. b. H, 1925

Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was produced from images generously made available by the library of the Friedrich-Ebert-Stiftung.


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE BAUMWOLLPFLÜCKER ***



Unser neuer Roman. Man kennt das Leben der vormärzlichen schlesischen
Leineweber, man kennt das Leben der modernen Textilarbeiter, wer aber
fragt nach denen, die dem Textilarbeiter das Rohmaterial liefern, nach
den Baumwollpflückern, nach den Arbeitern auf den Baumwollfarmen? Ein
erheblicher Teil der in Mexiko geernteten Baumwolle geht in deutsche
Spinnereien. Vom Leben und den Lebensbedingungen der in jenen tropischen
Gegenden tätigen Arbeiter erzählt uns der nicht umfang-, aber
inhaltsreiche Roman „_Die Baumwollpflücker_“, mit dessen
Veröffentlichung wir heute beginnen. Dieser Roman hat weder einen Helden
noch eine Heldin. Es kommt auch keine süße Liebesepisode in ihm vor. Wo
um das nackte Leben gekämpft wird, hat man für Liebe und
Sentimentalitäten keine Zeit. Die mitgeteilten Tatsachen sind brutale
Wahrheit. Der Verfasser _B. Traven_ spricht aus eigener bitterer
Erfahrung und die von ihm eingestreuten humoristischen Szenen vertiefen
nur den Eindruck der Tragödie. Der Held des Romans – denn es gibt doch
einen – ist die arbeitende Klasse, sind die mexikanischen Landarbeiter,
meist Indianer. Im Vergleich zu diesen führen die Landarbeiter in den
ostelbischen Gefilden das reinste Schlaraffenleben. Der Verfasser kennt
das Proletarierleben in Mexiko, in Nordamerika, in Zentralamerika. Als
Oelmann, als Farmarbeiter, Kakaoarbeiter, Fabrikarbeiter, Tomaten- und
Apfelsinenpflücker, Urwaldroder, Maultiertrieber, Jäger, Handelsmann
unter den wilden Indianerstämmen in der Sierra de Madre, wo die „Wilden“
noch mit Pfeil, Bogen und Keule jagen, ist er tätig gewesen. Noch heute
liegt sein mexikanischer Wohnplatz – wie er uns schreibt – 35 Meilen von
der nächsten Stadt entfernt, wo er „Tinte kaufen kann“. Ein Bild in der
heutigen Nummer von „Volk und Zeit“ gibt unseren Lesern einen Begriff
davon, wie es in diesen tropischen Einsiedeleien aussieht.

                                     „Vorwärts“, Berlin, 21. Juni 1925




                         Die Baumwollpflücker.


                          Roman von B. Traven.


       Copyright 1925 by B. Traven, Columbus, Tamaulipas, Mexico.




           Revolutionsgesang der Baumwollpflücker in Mexiko.


   Es trägt der König meine Gabe,
   Der Millionär, der Präsident;
   Doch ich, der arme Pflücker, habe
   In meiner Tasche keinen Cent.
     Trab, trab, auf’s Feld!
     Gleich geht die Sonne auf.
     Häng um den Sack!
     Hörst Du die Wage rasseln?

   Nur schwarze Bohnen sind mein Essen,
   Statt Fleisch ist roter Pfeffer drin;
   Mein Hemde hat der Busch gefressen,
   Seitdem ich Baumwollpflücker bin.
     Trab, trab, auf’s Feld!
     Gleich geht die Sonne auf.
     Häng um den Sack!
     Hörst Du die Wage kreischen?

   Die Baumwoll’ stehet hoch im Preise,
   Ich hab’ nicht einen ganzen Schuh,
   Die Hos’ ging längst schon auf die Reise,
   Hat wohl verdient die sel’ge Ruh’.
     Trab, trab, auf’s Feld!
     Gleich geht die Sonne auf.
     Häng um den Sack!
     Hörst Du die Wage brüllen?

   Und einen Hut hab’ ich, ’nen alten,
   Kein Hälmchen Stroh ist heil daran;
   Doch diesen Hut muß ich behalten,
   Weil ich ja sonst nicht pflücken kann.
     Trab, trab, auf’s Feld!
     Gleich geht die Sonne auf.
     Häng um den Sack!
     Siehst Du die Wage zittern?

   Ich bin verlaust, ein Vagabund,
   Und das ist gut, das muß so sein;
   Denn wär’ ich nicht so’n armer Hund,
   Käm’ keine Baumwoll’ rein.
     Im Schritt, im Schritt!
     Es geht die Sonne auf.
     Füll in den Sack die Ernte Dein!
     Die Wage schlag in Scherben!




                              Erster Teil.


                                   1.

Ich stand auf der Station und sah mich um, wen von den wenigen
Eingeborenen, die dort herumlungerten oder auf dem nackten Erdboden
saßen, ich hätte nach dem Wege fragen können.

Da kam ein Mann auf mich zu, den ich schon im Zuge gesehen hatte.
Schokoladenbraun im Gesicht und am Körper. Vierzehn Tage nicht rasiert.
Einen alten, breitrandigen Strohhut auf dem Kopfe; einen roten
Baumwollfetzen am Leibe, der offenbar einmal ein richtiges Hemd gewesen
war; eine, an fünfzig Stellen durchlöcherte gelbe Leinenhose an den
Beinen und an den Füßen die landesüblichen Sandalen, die vorn und hinten
offen sind.

Er stellte sich vor mich hin und sah mich an. Sicher wußte er nicht, in
welcher Form und Reihenfolge er die Worte bringen sollte für den Satz,
den er mir sagen wollte.

„Nun, was wünschen Sie?“ fragte ich endlich als es mir zu lange dauerte.

„Guten Tag,“ begann er. Dann gluckste er ein paarmal und kam endlich
heraus: „Ich möchte wissen, wo es nach Ixtilxochitchuatepec geht?“

„Was wollen Sie denn da?“ sagte ich.

Die Unhöflichkeit, ihn nach seinen persönlichen Angelegenheiten zu
fragen in einem Lande, wo es taktlos, beinahe beleidigend ist, jemand
nach Namen, Beruf, woher und wohin auszuforschen, kam mir sofort zum
Bewußtsein. Deshalb fügte ich rasch hinzu:

„Dort will ich nämlich auch hin!“

„Dann sind Sie wohl Mr. Shine?“

„Nein,“ sagte ich, „der bin ich nicht, aber ich will zu Mr. Shine,
Baumwolle pflücken.“

„Ich will auch Baumwolle pflücken bei Mr. Shine,“ erklärte er nun und
heiterte ein wenig auf; zweifellos weil er einen Kameraden gefunden
hatte.

In diesem Augenblick kam ein langer und stark gebauter Neger auf uns zu
und platzte sofort heraus:

„Señors, wissen Sie den Weg, wie ich zu Mr. Shine komme?“

„Baumwolle pflücken?“ fragte ich.

„Jawohl, ich habe seine Adresse bekommen von einem anderen schwarzen
Kollegen in Queretaro.“

Soweit waren wir, als ein kleiner Chinese auf uns zu getrippelt kam.

Er lachte uns breit an und sagte: „Guten Tag, meine Herren, ich will
dort hin, wo ist der Weg?“

Umständlich brachte er ein Notizblättchen heraus, las und sagte dann:
„Mr. Shine in Ixtilxo – –.“

„Stop!“ sagte ich lachend, „wir wissen schon, wohin Sie wollen,
verrenken Sie sich nicht die Zunge. Wir wollen auch dort hin.“

„Auch Baumwolle pflücke?“ fragte der Chink.

„Ja,“ antwortete ich, „auch, sechs Centavos für ein Kilo.“

Durch diese meine Aeußerung war auch mit dem Chink das
kameradschaftliche Band hergestellt. Die proletarische Klasse bildete
sich, wir hätten gleich mit dem Organisieren anfangen können. Wir
fühlten uns alle vier so wohl wie vier Brüder, die nach langer Trennung
sich plötzlich unerwartet an irgendeinem fremden Ort der Erde getroffen
haben.

Ich könnte nun noch erzählen, in welcher Form ein zweiter Neger, nur
halb so lang wie sein Stammesvetter, aber ebenso pechschwarz wie jener,
auf uns zuschlenderte und mit welcher Sorglosigkeit ein zweiter
Mexikaner uns ansteuerte, beide mit dem gleichen Ziel der Reise: Mr.
Shine in Ixtilxochitchuatepec, Baumwolle pflücken.

Keiner von uns wußte, wo Ixtilxo – – lag. –

Die Station war inzwischen so leer geworden, lag so einsam und
verschlafen in der tropischen Hitze, wie eben nur eine Station in
Zentralamerika zehn Minuten nach Abfahrt des Zuges daliegen kann.

Den Postsack, fünfmal mehr Quadratzoll Leinen als Quadratzoll Inhalt,
selbst wenn man alle Briefe und Umschläge auseinanderfaltete, hatte
irgendein Jemand, den kein vernünftiger Mensch für einen Postbeamten
gehalten hätte, mitgenommen.

Das Frachtgut: eine Kiste Büchsenmilch – in einem Erdstrich, wo das
ganze Jahr hindurch das Gras grünt und ein ganzer Erdteil mit Milch
versorgt werden könnte – zwei Kannen Gasolin, fünf Rollen Stacheldraht
und zwei Kisten Bonbons lagen herrenlos auf dem glühenden Bahnsteig.

Die Bretterbude, wo die Fahrkarten verkauft und das Gepäck abgewogen
wurde, war mit einem Vorhängeschloß abgeschlossen. Der Mann, der alle
die Amtshandlungen vorzunehmen hatte, zu denen auf einer europäischen
Bahnstation wenigstens zwölf gutgedrillte Leute notwendig sind, hatte
die Station schon verlassen, als der letzte Wagen des Zuges noch auf dem
Bahnsteig war.

Selbst die alte kleine Indianerin, die zu jedem Zuge erschien mit zwei
Bierflaschen voll kaltem Kaffee und in Zeitungspapier eingewickelten
Maiskuchen, was sie alles in einem Schilfkorbe trug, schlich bereits
durch das mannshohe Gras in ziemlicher Entfernung heimwärts. Sie hielt
stets am längsten auf dem Bahnsteige aus. Obgleich sie nie etwas
verkaufte, kam sie doch jeden Tag zum Zuge. Wahrscheinlich war es vier
Wochen lang immer derselbe Kaffee, den sie zur Bahn brachte. Und das
wußten auch offenbar die Reisenden. Andernfalls hätten sie doch in der
Hitze wenigstens hin und wieder einmal der Alten etwas zu verdienen
gegeben. Aber das Eiswasser, das in den Zügen kostenlos gegeben wurde,
war ein zu starker Konkurrent, gegen den ein so kleines Kaffeegeschäft
nicht aufkommen konnte.

Meine fünf proletarischen Klassengenossen hatten sich gemütlich auf den
Erdboden an die Bretterbude gesetzt. In den Schatten.

Freilich, da jetzt die Sonne senkrecht über uns stand wie mit dem Lot
gerichtet, gehörte schon eine langausprobierte Uebung dazu,
herauszufinden, wo eigentlich der Schatten war.

Zeit war ihnen ein ganz und gar unbekannter Begriff; und weil sie
wußten, daß ich ja auch dort hin wollte, wo sie hin wollten, überließen
sie es mir, den Weg auszukundschaften. Sie würden gehen, wenn ich gehe,
nicht früher; und sie würden mir folgen und wenn ich sie bis nach Peru
führte, immer in der Gewißheit lebend, daß ich ja zum gleichen Ort müsse
wie sie.


                                   2.

Wenn ich nur wüßte, wo Ixtil – – zu finden sei. In der Nähe der Station
war kein Haus zu sehen. Die Stadt, zu der die Station gehörte, mußte
irgendwo im Busch versteckt liegen. Ich machte nun den Vorschlag daß wir
erst einmal in diese Stadt gingen, wo sicher jemand zu finden sein wird,
der den Weg weiß.

Nach einer Stunde kamen wir in die Stadt. Zwei Häuser nur waren aus
Brettern. In dem einen wohnte der Stationsvorsteher. Ich ging hinein und
fragte ihn, wo Ixtil – – liegt. Er wußte es nicht und erklärte mir
höflich, daß er den Namen nie gehört habe.

Fünfhundert Meter von diesem Holzhause war das andere „moderne“
Brettergebäude. Es war der Kaufladen. Er war gleichzeitig Postamt,
Billardsalon, Bierwirtschaft, Schnapsausschank und Agentur für alle
möglichen Dinge und alle möglichen Unternehmungen. Ich fragte den
Inhaber, aber er kannte den Ort auch nicht und sagte mir, innerhalb
fünfzig Kilometer im Umkreis sei er sicher nicht, denn da kenne er jeden
Platz und jeden Farmer.

Da kam einer von den Billardspielern, die ebenso zerlumpt aussahen wie
wir, an den Ladentisch, setzte sich darauf, drehte sich eine Zigarette,
wobei er den Tabak in ein Maisblatt wickelte, und als er sie angezündet
hatte, sagte er:

„Den Ort kenne ich nicht. Aber die einzigen Baumwollfelder, die hier in
dem ganzen Staate überhaupt sind, liegen in jener Richtung.“

Dabei streckte er den Arm ziemlich unbestimmt nach jener Gegend hinaus,
die er meinte.

„Von dort her,“ fügte er hinzu, „ist vor drei Jahren einmal ziemlich
viel Baumwolle hier verladen worden. Die Farmer kamen mit Autos, also
wird wohl noch etwas Weg übrig geblieben sein. Ob einer von den Farmern
Mr. Shine hieß, weiß ich freilich nicht, ich habe nicht nach den Namen
gefragt, ich habe nur beim Verladen mitgearbeitet.“

„Wie weit kann es denn sein?“ fragte ich.

„Wenigstens achtzig Kilometer von hier, vielleicht neunzig. So genau
weiß ich es nicht. Die kamen mittags an und sind sicher früh morgens
abgefahren.“

„Dann müssen wir also in jene Richtung gehen, wenn in einer anderen
Richtung keine Baumwolle gebaut wird.“

„Ich glaube sicher,“ sagte er dann, „daß einer von den Farmern Mr. Shine
heißen kann, alle sind Gringos.“

„Gringo“ ist in Latein-Amerika der Spottname für Amerikaner. Er hat
ungefähr dieselbe mißachtende Bedeutung wie „Boche“ in Frankreich für
Deutsche. Aber die Amerikaner, die viel zu viel unzerstörbaren Humor
besitzen, um sich so leicht beleidigt zu fühlen und sich dadurch das
Leben schwer zu machen, haben diesem Spottnamen die ganze Schärfe
genommen dadurch, daß sie, wenn in Latein-Amerika gefragt, was für
Landsleute sie seien, sie sich selbst „Gringo“ nennen. Und sie sagen das
mit einem so heiteren Lächeln, als ob es der schönste Witz wäre.

Die übrigen Gebäude der Stadt, etwa zehn oder zwölf, waren die üblichen
Indianerhütten. Sechs rohe Stämme senkrecht auf den Erdboden gestellt
und ein Dach aus trockenem Gras darüber. Die besseren hatten Wände aus
dünnen Stämmchen, aber nicht dicht aneinander gefügt. Keine Türen, keine
Fenster, alles, was in der Hütte vor sich ging, konnte man von außen
sehen. Die einfacheren Hütten, wo ärmere oder bequemere Mexikaner
wohnten, hatten nicht einmal diese angedeuteten Wände, sondern oben um
das Dach herum hingen einige große Palmblätter, um die Strahlen der
Sonne, wenn sie in den frühen Vormittagsstunden und am späten Nachmittag
schräger einfielen, abzuschatten.

Das Vieh und das Hühnervolk hatten keine Ställe. Die Schweine mußten
sich draußen im Busch irgendwo und irgendwie das Futter zusammensuchen.
Die Hühner saßen nachts in dem Baum, der der Hütte am nächsten stand.
Eine alte Kiste oder ein durchlöcherter Schilfkorb hing an einem Ast, wo
die Hühner brav ihre Eier hineinlegten.

Rund um die Hütten standen Bananenstauden, die, ohne jemals gepflegt zu
werden, ihre Früchte in reichen Mengen spendeten. Die kleinen Felder, wo
nur gesät und geerntet, sonst nichts getan wurde, lieferten Mais und
Bohnen mehr als die Bewohner aufbrauchen konnten.

In einer dieser Hütten nach dem Wege zu fragen, war zwecklos. Wenn eine
Auskunft überhaupt zu erhalten war, so war sie sicher falsch. Nicht
falsch gegeben mit der Absicht, uns irre zu führen, aber aus purer
Höflichkeit, irgendeine beliebige Auskunft zu geben, um nicht „nein“
sagen zu müssen.


                                   3.

So wanderten wir denn frischweg los in jener Richtung, die uns im
Postamt von dem Billardspieler genannt war und die ich für die einzige
glaubwürdige hielt.

„Achtzig Kilometer“ war uns gesagt worden. Also werden es wohl
hundertzwanzig oder hundertfünfzig Kilometer sein.

Wir waren unserer sechs.

Da war der Mexikaner Antonio, spanischer Herkunft, der mich zuerst
angesprochen hatte.

Dann kam der Mexikaner Gonzalo, indianischer Abstammung. Er war nicht
ganz so zerlumpt wie Antonio und hatte ein Bündelchen, eingewickelt in
eine alte Schilfmatte, und eine schöne, nach mexikanischer Art
farbenfreudig gemusterte Decke, die er über der Schulter trug.

Der Chinese Sam Woe war der eleganteste Bursche unter allen. Der
einzige, der ein heiles und frisch gewaschenes Hemd trug, heile Hosen
hatte, gute Straßenstiefel, seidene Strümpfe und einen runden
städtischen Strohhut. Er hatte zwei Bündel, ziemlich reichlich gepackt.
Sie schienen gar nicht so leicht zu sein.

Er hatte immer die praktischsten Ideen und Ratschläge, lächelte immer,
konnte das „R“ nicht aussprechen und war scheinbar immer guten Mutes. Es
wurde mit der Zeit unser größter Kummer, daß wir ihn mit nichts, was
immer wir auch taten, wütend machen konnten. Er hatte in einem Oelfeld
als Koch gearbeitet und gut verdient. Sein Geld hatte er vorsichtig auf
einer chinesischen Bank in Guanajuato hinterlegt, was er uns gleich
erzählte, nur damit wir nicht etwa denken sollten, er trüge es bei sich
und könnte dafür geopfert werden.

Baumwolle pflücken war ja nicht gerade seine große Leidenschaft – meine
noch viel weniger – aber weil es nicht so sehr außerhalb seines Weges
lag, wollte er die sechs bis sieben Wochen Verdienst noch mitnehmen. Er
hoffte dann zum Herbst ein kleines Restaurant – „^comida corrida^ 50“ –
eröffnen. Er war der einzige unter uns, der wohldurchdachte Pläne für
die Zukunft hatte.

Sobald wir an den Busch gekommen waren, schnitt er sich ein dünnes
Stämmchen, hing über jedes der beiden Enden eines seiner Bündel und
legte sich das Stämmchen über die Schulter. Während er bisher mit uns im
gleichen Schritt gegangen war, begann er nun mit kurzen, raschen
Schrittchen zu trippeln. In diesem Trippelschritt hielt er den ganzen
Marsch durch, ohne je langsamer oder schneller zu gehen und ohne jemals
zu ermüden. Wenn wir uns zur Rast niedersetzten oder niederlegten, tat
er es auch, war aber jedesmal erstaunt, daß wir „schon wieder“ ausruhen
mußten. Wir schimpften ihn dann aus, daß wir richtige Christenmenschen
seien, während er als verdammter Chink von einem gelben, fratzenhaften
Drachenungeheuer erzeugt worden wäre, und daß darin die übermenschliche
Ausdauer seiner stinkigen und uns widerlichen Rasse zu suchen sei. Er
erklärte darauf heiter lächelnd, daß er nichts dafür könne und daß wir
alle von demselben Gott geschaffen seien, aber daß dieser Gott gelb sei
und nicht weiß. Da wir keine Missionare waren und auf dem Gebiete der
Bekehrung auch keine Lorbeeren ernten wollten, ließen wir ihn in seinem
Unglauben.

Der hünenhafte Neger, Charly, paßte mit seinen Lumpen und seinem in
fettigem und zerrissenem Papier verschnürten Bündel, das unzählige Male
auf dem Marsche aufging, viel besser in unsere Gesellschaft als der
elegante Chink. Charly behauptete, aus Florida zu sein. Aber da er weder
englisch geläufig sprechen noch verstehen konnte, auch nicht den
amerikanischen Niggerdialekt sprach, konnte er mich von seiner Herkunft
nicht überzeugen. Vielleicht war er von Honduras oder Guatemala, oder
von St. Domingo. Aber er sprach auch nur sehr unbeholfen ein
notdürftiges Spanisch. Ich habe nie erfahren können, wo er eigentlich
hingehörte. Nach meiner Meinung war er entweder aus Brasilien
heraufgekommen oder er hatte sich von Afrika herübergeschmuggelt. Er
wollte sicher nach den Vereinigten Staaten, und für ihn als Nigger mit
etwas Englisch war es leichter, sich über die Grenze nach den States zu
schmuggeln als für einen Weißen, der gut Englisch sprechen konnte. Er
war der einzige, der offen erklärte, daß er Baumwolle pflücken als die
schönste und einträglichste Arbeit betrachte.

Dann war noch der kleine Nigger da, Abraham aus New-Orleans. Er hatte
ein schwarzes Hemd an. Weil nun seine Hautfarbe ebenso schwarz war wie
das Hemd, konnte man nicht so recht erkennen, wo die letzten Ueberreste
des Hemdes waren und wo die Haut war, die bedeckt werden sollte. Er
als einziger hatte eine Mütze, wie sie von den Heizern und
Maschinenschmierern auf den amerikanischen Schiffen getragen wird. Dann
trug er eine weiß- und rotgestreifte Leinenhose, Lackhalbschuhe und
weiße Baumwollstrümpfe.

Er hatte kein Bündel, sondern trug einen Kaffeekessel und eine
Bratpfanne an einem Bindfaden über der Schulter und in einem kleinen
Säckchen seinen Bedarf an Lebensmitteln.

Abraham war der echte, dummschlaue, gerissene, freche und immer lustige
amerikanische Nigger der Südstaaten. Er hatte eine Mundharmonika, mit
der er uns das blöde „^Yes, we have no bananas^“ so lange vorspielte,
bis wir ihn am zweiten Tage weidlich verprügeln mußten, um damit
vorläufig nur zu erreichen, daß er es wenigstens nur sang oder pfiff und
dazu, während des Marsches, tanzte. Er stahl wie ein Rabe und log – der
Vergleich war von Gonzalo, ich weiß nicht, ob der Vergleich richtig ist
– und log wie ein Dominikanermönch.

Am dritten Abend des Marsches erwischten wir ihn, wie er einen dicken
Streifen getrocknetes Rindfleisch, das Antonio gehörte, stahl. Wir
nahmen ihm den Raub wieder ab, bevor er ihn in der Pfanne hatte, und wir
erklärten ihm ganz ernsthaft, daß, wenn wir ihn noch einmal beim Stehlen
ertappten, wir Buschrecht an ihm ausüben würden. Wir würden eine
Gerichtssitzung abhalten und ihn dann nach gefälltem Urteil mit der
Schnur, die sein Couleurbruder Charly um sein Bündel geschnürt habe, am
nächstbesten Mahagonibaum aufhängen mit einem Zettel auf der Brust,
wofür er gehängt sei.

Da sagte er ganz frech, wir sollten ja nicht versuchen, ihn auch nur
anzutasten, er sei amerikanischer Bürger, „^native born^“, und wenn wir
ihm nur das allergeringste Leid täten, so würde er das an die Regierung
nach Washington berichten, und die würde dann mit einem Kanonenboot und
dem Sternenbanner kommen und ihn blutig rächen; er sei ein freier Bürger
„^of the States^“ und das könne er durch „^c’tificts^“ beweisen, und als
solcher habe er das Recht, vor ein ordentliches Gericht gestellt zu
werden. Als wir ihm nun erklärten, daß wir ihm keine Zeit lassen und
keine Gelegenheit geben würden, nach Washington einen Bericht zu
schicken, und daß wir auch nicht glaubten, daß ein amerikanisches
Kanonenboot mit dem Sternenbanner in den Busch fahren würde, sagte er:
„^Well, gentlemen sirs^, berühren Sie mich nur mit der Fingerspitze,
dann werden Sie sofort erleben, was geschieht.“

Wir erwischten ihn auch richtig einige Tage später, wie er dem Chink
eine Büchse Milch stahl und frech erklärte, es sei seine eigene, er habe
sie in Guadalajara im American Store gekauft. Er wurde daraufhin so
windelweich gedroschen, daß er keinen Finger krumm machen konnte, um
nach Washington zu schreiben. Bei uns hat er denn nicht mehr gestohlen,
und was er bei umliegenden Farmern zusammenstahl, ging uns nichts an.

Dann war ich noch, Gerard Gale, über den ich weniger zu berichten weiß,
da ich mich in der Kleidung von den übrigen nicht unterschied, und zum
Baumwollepflücken, welche zeitraubende und schlecht bezahlte Arbeit ich
kannte, auch nur ging, weil eben keine andere Beschäftigung zu haben war
und ich bitter notwendig ein Hemd, ein paar Schuhe und eine Hose
brauchte. Vom Althändler! Denn vom Neuhändler sie zu kaufen, dazu hätte
selbst die Arbeit von vierzehn Wochen auf einer Baumwollfarm nicht
gelangt. Ich war der einzige, der keine Strümpfe trug, weil ich keine
hatte.

Eine Jacke besaßen nur der Chink und Antonio. Warum Antonio den Fetzen
eigentlich „seine Jacke“ nannte, ist mir nie klar geworden. Sie mag
vielleicht einmal in weit zurückliegenden Zeiten, lange vor der
Entdeckung Amerikas, die Aehnlichkeit mit einer Jacke gehabt haben. Das
will ich nicht bestreiten. Aber heute sie Jacke zu nennen, war nicht
Uebertreibung, sondern sündiger Hochmut, für den Antonio dereinst wird
büßen müssen.


                                   4.

Wir wanderten lustig darauf los.

Ueber uns die glühende Tropensonne, zu beiden Seiten neben uns der
undurchdringliche und undurchsichtbare Busch. Der ewig jungfräuliche
tropische Busch mit seiner unbeschreiblichen Mystik, mit seinen
Geheimnissen an Tieren der phantastischsten Art, mit seinen traumhaften
Formen und Farben der Pflanzen, mit seinen unerforschten Schätzen an
wertvollen Steinen und kostbaren Metallen.

Aber wir waren keine Forscher und wir waren auch keine Gold- oder
Diamantengräber. Wir waren Arbeiter und hatten mehr Wert auf den
sicheren Arbeitslohn zu legen als auf den unsicheren Millionengewinn,
der vielleicht links oder rechts von uns im Busch verborgen lag und auf
den Entdecker wartete. –

Die Sonne stand schon sehr tief, und es mußte ungefähr fünf Uhr sein.

Wir sahen uns deshalb nach einem Lagerplatz um.

Bald fanden wir eine Stelle, wo seitlich in dem Busch hinein hohes Gras
stand. Wir rissen soviel von dem Gras aus, wie wir Platz zum Lagern
brauchten. Dann zündeten wir ein Feuer an und brannten den Rest des
Grases nieder, wodurch wir uns Ruhe vor Insekten und kriechendem Getier
für die Nacht verschafften. Eine frisch gebrannte Grasfläche ist der
beste Schutz, den man haben kann, wenn man nicht mit den
Ausrüstungsstücken eines Tropenreisenden wandert.

Ein Kampfeuer hatten wir, aber es gab nichts zum Kochen, denn wir hatten
kein Wasser.

Da kam der Chink mit einer Literflasche voll kaltem Kaffee hervor. Wir
wußten nichts davon, daß er einen so wertvollen Stoff mit sich führte.
Er machte den Kaffee heiß, und bereitwillig bot er uns allen zu trinken
an. Aber was ist ein Liter Kaffee für sechs Mann, die ohne einen Schluck
Wasser zu haben einen halben Tag in der Tropensonne gewandert sind, vor
morgen früh um sieben oder acht Uhr ganz bestimmt auch nichts Trinkbares
haben werden und vielleicht die nächsten 36 Stunden genau so wenig
Wasser finden werden, wie sie heute nachmittag gefunden haben! Der Busch
ist das ganze Jahr hindurch grün, aber Wasser findet man dort nur in der
Regenzeit an günstigen Stellen, wo sich Tümpel bilden können.

Nur wer selbst im tropischen Busch gewandert ist, weiß, was für ein
Opfer es war, das der Chink uns bot. Aber keiner sagte „Danke!“; jeder
betrachtete es als selbstverständlich, daß der Kaffee in Teile ging.
Wahrscheinlich hätten wir es genau so selbstverständlich gefunden, wenn
der Chink den Kaffee allein getrunken hätte. Nach einem halben Tag
Wanderung in wasserlosem Landstrich raubt man noch nicht für einen
Becher Kaffee; aber am dritten Tage beginnt man ernsthaft Mord zu sinnen
im Busch für eine kleine rostige Konservenbüchse voll stinkender
Flüssigkeit, die man Wasser nennt, obgleich sie keine andere
Aehnlichkeit mit Wasser hat, als daß sie eben Flüssigkeit ist.

Antonio und ich hatten etwas hartes Brot zu knabbern.

Gonzalo hatte vier Mangos und der große Nigger einige Bananen. Der
kleine Nigger aß irgendwas ganz verstohlen. Was es war, weiß ich nicht.

Der Chink hatte ein Stück Zelttuch, daß er über seinen Schlafplatz
spannte. Dann wickelte er sich in ein großes Handtuch ein, auch den
Kopf, und begann zu schlafen.

Gonzalo hatte seine schöne Decke, in die er sich einrollte, so daß er
wie ein Baumstamm aussah.

Ich wickelte mir den Kopf in einen zerlumpten Lappen ein, den ich stolz
„mein Handtuch“ nannte, und schlief los.

Wie sich die übrigen einrichteten, weiß ich nicht, weil die noch lange
um das Feuer herumsaßen und rauchten und schwatzten. –

Vor Sonnenaufgang waren wir schon wieder auf dem Marsche. Abzukochen gab
es nichts, und waschen brauchte man sich auch nicht. Denn womit hätte
man es tun sollen?

Der Weg durch den Busch war weite Strecken hindurch schon wieder
zugewachsen. Der Nachwuchs der jungen Bäume reichte uns oft bis über die
Schultern, und der Grund war mit Kaktusstauden so dicht bewachsen, daß
diese stachligen Pflanzen zuweilen beinahe die ganze Breite des Weges
einnahmen. Meine nackten Unterschenkel waren bald so zerschnitten, als
wenn sie durch eine Hackmaschine gezogen worden wären.

Gegen mittag kamen wir an eine Stelle, wo sich rechts des Weges ein
Stacheldrahtzaun hinzog, der uns die Gewißheit gab, daß hier eine Farm
liegen müsse.

Als wir etwa zwei Stunden lang, immer den Stacheldrahtzaun zur rechten
Hand, gewandert waren, kamen wir an eine weite offene Stelle im Busch,
die mit hohem Gras bewachsen war. Als wir den Platz absuchten, fanden
wir auch eine Zisterne. Aber sie war leer. Einige morsche Pfähle, alte
Konservenbüchsen, verrostetes Blech und ähnliche Ueberbleibsel einer
menschlichen Behausung zeigten uns eine verlassene Farm.

Ueber eine solche Enttäuschung muß man rasch hinwegkommen. Farmen werden
hier gegründet, zehn, auch zwanzig Jahre lang bewirtschaftet und dann
aus irgendeinem Grunde plötzlich aufgegeben. Fünf Jahre später, oft
schon früher, ist kein Zeichen mehr davon vorhanden, daß hier jemals
Menschen gelebt und gearbeitet haben. Es erweckt den Anschein, als seien
es hundert Jahre her, seit jemand hier gelebt hat. Der tropische Busch
begräbt rascher, als Menschen können; er kennt keine Erinnerung, er
kennt nur Gegenwart und Leben.

Aber um vier Uhr kamen wir doch an eine lebende Farm. Hier wohnte eine
amerikanische Familie.

Ich wurde im Hause gut bewirtet und fand auch ein Lager innerhalb des
Hauses. Die übrigen als Nichtweiße, wurden auf der Veranda beköstigt und
durften in einem Schuppen übernachten. Sie bekamen alle reichlich zu
essen, aber ich war der eigentliche Gast. Mir wurde aufgetischt, wie
eben nur in einem so menschenarmen Lande einem Weißen von weißen
Gastgebern aufgetischt werden kann. Drei verschiedene Fleischgänge, fünf
verschiedene Beigerichte, Kaffee, Schokolade und abends heißen Kuchen.

Am nächsten Morgen bekamen wir alle ein reichliches Frühstück; ich am
Tische des Farmers.

Der Farmer hatte genügend leere Flaschen, und so bekamen wir jeder
einzelne eine Literflasche kalten Tee mit auf den Weg.

Er kannte Mr. Shine und sagte uns, daß wir noch etwa sechzig Kilometer
zu marschieren hätten. Kein Wasser am ganzen Weg; die Straße an
verschiedenen Stellen kaum noch erkennbar, weil sie seit drei Jahren
nicht mehr benutzt worden sei.

Um 9 Uhr hatte der kleine Nigger Abraham seinen Tee schon ausgetrunken
und die Flasche fortgeworfen. Es war ihm zu lästig, sie zu tragen. Wir
erklärten ihm, daß er unter diesen Umständen von uns nichts zu erwarten
habe, und wenn er versuchen sollte, auch nur einen Schluck zu stehlen,
würden wir ihn braun und blau schlagen.

An diesem Abend im Lager war es, wo Abraham zwar keinen Tee stahl, aber
jenen Streifen getrocknetes Rindfleisch, das Antonio gehörte. Da sich
unsere Drohung nur auf Tee bezog, ließen wir ihn laufen mit der Warnung,
daß von nun an jeder Raub in unsere Drohung einbegriffen sei.

Den folgenden Tag gegen Mittag kamen wir bei Mr. Shine an.


                                   5.

Mr. Shine empfing uns mit einer gewissen Freude, weil er nicht genügend
Leute zum Baumwolle pflücken hatte.

Mich nahm er persönlich ins Gebet. Er rief mich ins Haus und sagte mir:
„Was! Sie wollen auch Baumwolle pflücken?“

„Ja,“ sagte ich, „ich muß, ich bin vollständig „^broke^“, das sehen Sie
ja, ich habe nur Fetzen am Leibe. Arbeit ist in den Städten keine zu
haben. Alles ist überschwemmt mit Arbeitslosen aus den States, wo die
Verhältnisse augenblicklich auch nicht rosig zu sein scheinen. Und wo
man wirklich Arbeiter braucht, nimmt man lieber Eingeborene, weil man
denen Löhne zahlt, die man einem Weißen nicht anzubieten wagt.“

„Haben Sie denn schon mal gepflückt?“ fragte er.

„Ja,“ antwortete ich, „in den States.“

„Ha!“ lachte er, „das ist ein ander Ding. Da können Sie etwas dabei
werden.“

„Ich habe auch ganz gut dabei verdient.“

„Das glaube ich Ihnen. Die zahlen viel besser. Die können’s auch. Die
kriegen ganz andere Preise als wir. Könnten wir unsere Baumwolle nach
den States verkaufen, dann würden wir noch bessere Löhne zahlen; aber
die States lassen ja keine Baumwolle hinein, um die Preise hochzuhalten.
Wir sind auf unsern eigenen Markt angewiesen, und der ist immer gleich
gepackt voll. Aber nun Sie! Ich kann Sie weder beköstigen, noch in
meinem Hause unterbringen. Aber ich brauche jede Hand, die kommt. Ich
will Ihnen etwas sagen; ich zahle sechs Centavos für das Kilo. Ihnen
will ich acht zahlen, sonst kommen Sie auf keinen Fall auf das, was die
Nigger machen. Selbstverständlich brauchen Sie das den andern nicht
erzählen. Schlafen könnt Ihr da drüben in dem alten Hause. Das habe ich
gebaut und mit meiner Familie zuerst darin gewohnt, bis ich mir das neue
hier leisten konnte. Well, das ist dann abgemacht.“

Das Haus, von dem der Farmer gesprochen hatte, lag etwa fünf Minuten
entfernt. Wir machten uns dort häuslich, so gut wir konnten. Das Haus,
aus Brettern leicht gebaut, hatte nur einen Raum. Jede der vier Wände
hatte je eine Tür, die gleichzeitig als Fenster diente. Der Raum war
vollständig leer. Wir schliefen auf dem bloßen Fußboden. Ein paar alte
Kisten, die vor dem Hause herumlagen, im ganzen vier, benutzten wir als
Stühle.

Dicht bei dem Hause war eine Zisterne, die Regenwasser enthielt, das
ungefähr sieben Monate alt war und von Kaulquappen wimmelte. Ich
berechnete, daß etwa 120 Liter Wasser in der Zisterne seien, mit denen
wir sechs Mann sechs bis acht Wochen auskommen mußten. Der Farmer hatte
uns schon gesagt, daß wir von ihm kein Wasser bekommen könnten, er wäre
selbst sehr kurz mit Wasser dran und habe noch sechs Pferde und vier
Maultiere zu tränken. Waschen konnten wir uns einmal in der Woche, und
hatten dann noch zu je drei Mann dasselbe Waschwasser zu gebrauchen. Es
sei aber immerhin möglich, fügte er hinzu, daß es in dieser Jahreszeit
alle vierzehn Tage wenigstens einmal zwei bis vier Stunden regnen könne,
und wenn wir die Auffangrinnen reparierten, könnten wir tüchtig Wasser
ansammeln. Außerdem sei ein Fluß nur etwa drei Stunden entfernt, wo wir
baden gehen könnten, falls wir Lust dazu hätten.

Vor dem Hause richteten wir ein Lagerfeuer ein, zu dem uns der nahe
Busch das Holz in reicher Menge hergab.

Auf die recht nebelhafte Möglichkeit bin, daß es vielleicht innerhalb
der nächsten drei Wochen regnen könnte, wuschen wir uns zunächst einmal
in einer alten Gasolinbüchse. Seit drei Tagen hatten wir uns nicht
gewaschen.

Ich rasierte mich. Es mag mir noch so dreckig gehen, ein Rasiermesser,
einen Kamm und eine Zahnbürste habe ich immer bei mir.

Auch der Chink rasierte sich.

Da kam Antonio auf mich zu und bat mich um mein Rasiermesser. Er hatte
sich seit beinahe drei Wochen nicht rasiert und sah aus wie ein
fürchterlicher Seeräuber.

„Nein,“ sagte ich, „lieber Antonio, Rasierzeug, Kamm und Zahnbürste
verpumpe ich nicht.“

Und der Chink, mutig gemacht durch meine Weigerung, sagte lächelnd, daß
sein schwaches Messer bei diesem starken Bart sofort stumpf würde und er
hier keine Gelegenheit habe, es schleifen zu lassen.

Antonio gab sich mit diesen beiden Weigerungen zufrieden.

Wir kochten unser Abendessen, ich Reis mit spanischem Pfeffer, der
andere schwarze Bohnen mit Pfeffer, der nächste Bohnen mit getrocknetem
Rindfleisch, ein vierter briet einige Kartoffeln mit etwas Speck. Da wir
am nächsten Morgen schon um vier Uhr zur Arbeit gingen, bereiteten wir
auch noch unser Brot für den nächsten Tag, das wir in Pfannen buken.

Als wir gegessen hatten, hängten wir unsere armseligen Lebensmittel an
Bindfaden an den Querbalken im Hause auf, weil uns die Ameisen über
Nacht sonst alles fortgeholt hätten, wenn wir diese Vorsorge nicht
getroffen hätten.

Etwas nach 6 Uhr ging die Sonne unter. Eine halbe Stunde später war
rabenschwarze Nacht.

Glühwürmchen, mit Lichtern so groß wie Haselnüsse, flogen um uns her.

Wir krochen in unser Haus, um zu schlafen.

Der Chink war der einzige, der ein Moskitonetz hatte. Wir andern wurden
von dem Viehzeug gräßlich geplagt und schimpften und wüteten, als ob
sich die Gesandten einer Hölle etwas daraus machen würden.

Die beiden Nigger, die Seite an Seite schliefen, sich vor dem
Einschlafen entsetzlich zankten und sich Backpfeifen anboten, schienen
von den Biestern nicht gestört zu werden.

Ich entschloß mich, diese Qual für die eine Nacht zu erdulden, aber
morgen für irgendeine Abhilfe zu sorgen.

Noch vor Sonnenaufgang waren wir auf den Beinen. Jeder kochte sich etwas
Kaffee, aß ein kleines Stückchen Brot dazu, und fort ging es im halben
Trab.

Das Baumwollfeld war drei Viertelstunden entfernt.

Der Farmer und seine zwei Söhne waren schon dort. Wir bekamen jeder
einen alten Sack, den wir uns umhängten, und dann ging es an die Arbeit.
Jeder nahm eine Reihe.

Wenn die Baumwolle schön reif ist und man den Griff erst weg hat,
bekommt man jede Frucht mit einem einzigen Griff. Aber da die Knollen,
die ähnlich aussehen wie die Hüllen der Kastanien, nicht alle die
gleiche Reife haben, muß man doch bei der Hälfte einige Male zupfen, ehe
man den Inhalt in den Sack tun kann. Dazu muß man sich auch noch
unaufhörlich bücken, weil die Früchte nicht alle in bequemer Höhe am
Strauch hängen, sondern oft bis dicht über dem Boden wachsen. Je weiter
es gegen Mittag geht, je höher steht die Sonne und je mühseliger wird
die Arbeit. Man trägt nichts weiter am Leibe als Hut, Hemd, Hose und
Schuhe, aber der Schweiß rinnt in Strömen an einem herab; und sehr
kleine lästige Fliegen, die einem unausgesetzt in die Ohren kriechen,
machen einem das Leben recht schwer. Kommt ein leichter Wind auf, geht
es noch; aber bei völliger Windstille wird die Qual mit jeder Stunde
größer. Gegen 11 Uhr, nach beinahe siebenstündiger ununterbrochener
Arbeit, kann man nicht mehr.

Wir suchten den Schatten einiger Bäume auf, die mehr als 20 Minuten
entfernt waren. Wir aßen unser trockenes Pfannenbrot, das, bei mir
wenigstens, ganz verbrannt war, und legten uns dann hin, um zwei Stunden
zu schlafen, bis die Sonne anfängt, wieder abwärts zu wandern.

Wir bekamen furchtbaren Durst, und ich ging zum Farmer, um ihn um Wasser
zu ersuchen.

„Es tut mir leid, ich habe keins. Ich sagte Ihnen doch schon gestern,
daß ich selber sehr kurz mit Wasser bin. Gut, heute will ich Ihnen noch
etwas geben, von morgen ab müßt Ihr Euch Euer Wasser selbst mitbringen.“

Er schickte einen seiner Söhne mit dem Pferde nach Hause, der dann bald
mit einer Kanne Regenwasser zurückkam.

Baumwolle ist teuer. Das lernt jeder bald, wenn er sich einen Anzug, ein
Hemd, ein Handtuch, ein Paar Strümpfe oder nur ein Taschentuch kauft.
Aber der Baumwollpflücker, der wohl die härteste und qualvollste Arbeit
für die Kleidung leistet, die ein König, ein Milliardär oder ein
einfacher Landmann trägt, hat an dem hohen Preis des Anzuges den
allergeringsten Anteil.

Für ein Kilogramm Baumwollepflücken bekamen wir sechs Centavos, ich
ausnahmsweise acht. Und ein Kilogramm Baumwolle ist beinahe ein kleiner
Berg, den zu schaffen man unter ständigem Bücken in der mitleidlosen
Tropensonne 200 bis 500 Knollen auszupfen muß. Dazu eine Nahrung, die
als die allerbescheidenste angesehen werden darf, von der Menschen
irgendwo auf Erden leben. Den einen Tag schwarze Bohnen mit Pfeffer, den
nächsten Tag Reis mit Pfeffer, den übernächsten wieder Bohnen, dann
wieder Reis; dazu Brot, selbst gebacken aus Weizen- oder Maismehl,
entweder kleistrig oder zu Kohle verbrannt, Monate altes, abgestandenes
Regenwasser, Kaffee gekocht aus selbstgebrannten Kaffeebohnen auf einem
Stein zerrieben und den Kaffee gesüßt mit einem billigen,
übelriechenden, schwarzbraunen Rohzucker in kleinen Kegeln. Das Salz,
das man verwendet, ist Seesalz, das man sich selbst vor dem Gebrauch
erst reinigen muß. Ein paar Kilogramm Zwiebeln in der Woche hinzugekauft
ist bereits Delikatesse, und ab und zu ein Streifen getrocknetes Fleisch
ein Luxus, der, wenn man ihn sich zu oft leistet, vom Lohn nicht einmal
das Reisegeld bis zur nächsten Stadt, wo man neue Arbeit finden könnte,
übrig läßt. Bei sehr fleißiger Arbeit verdient man in einer Woche gerade
so viel, daß man sich, wenn man keinen Centavos für Essen ausgibt, das
billigste Paar Schuhe kaufen kann, das man im Laden vorfindet.

Der Baumwollfarmer verursacht auch nicht immer die hohen Preise der
Fertigware. Er ist oft tief verschuldet und kann in den meisten Fällen
die Pflückerlöhne nur auszahlen, wenn er auf die Ernte einen Vorschuß
nimmt.


                                   6.

Um 4 Uhr nachmittags machten wir Schluß, um noch bei Tageslicht „nach
Hause“ zu kommen und unser Essen zu kochen.

Ich quartierte aus.

In der Nähe des Hauses, nur etwa 200 Meter entfernt, hatte ich eine Art
Unterstand entdeckt. Welchen Zwecken er diente oder gedient haben
mochte, wußte ich nicht. Er hatte ein Dach aus Wellblech, aber keine
Wände, es wäre denn, daß man einige Baumstämme, die an der einen Seite
gegen das Dach gelehnt waren, als Wand bezeichnen will.

In diesem Unterstand war eine Art Tisch. Es waren vier Pfähle in die
Erde gerammt und auf den Pfählen lagen ein paar Platten Wellblech.

Diesen Unterstand wählte ich als Behausung und den Tisch als Bett.

Der große Nigger wollte den Unterstand mit mir teilen. Er kam hin, sah
sich die Sache an und es gefiel ihm.

Plötzlich rief er: „^A snake! A snake!^“

„Wo?“ fragte ich.

„Da, dicht vor Ihren Füßen.“

Richtig, da wand sich eine Schlange auf dem Boden hin, eine feuerrote,
etwa einen Meter lang.

„Macht nichts,“ sagte ich, „die wird mich nicht gleich auffressen, die
Moskitos sind schlimmer.“

Der Nigger zog wieder ab.

Nach einer Weile kam Gonzalo. Die rote Schlange war inzwischen
verschwunden.

Es gefiel ihm sehr, und er fragte mich, ob ich etwas dagegen habe, wenn
er auch hier schliefe.

„Nein,“ sagte ich, „schlafen Sie ruhig hier, mir ist das ganz egal.“

Da starrte er auf den Boden.

Ich folgte seinem Blick.

Es war wieder eine Schlange. Diesmal eine schöne grüne.

„Ich will doch lieber im Hause schlafen,“ sagte nun Gonzalo, „ich mag
Schlangen nicht.“

Ich mache mir nichts aus Schlangen. So leicht würden sie ja wohl kaum
auf den Tisch kommen; und wenn sie sich wirklich hinaufringeln sollten,
was sie zuweilen tun, so werden sie ja nicht gleich beißen, und wenn sie
beißen sollten, so werden sie ja nicht gleich giftig sein. Wären sie
alle giftig, und würden sie alle einen schlafenden Menschen, der ihnen
nichts zu leide tut, beißen, wäre ich längst nicht mehr am Leben.

Da dieser Unterstand höher lag als das Haus, keine Wände hatte, jedem
kleinen Windzug freieren Durchgang ließ, in der Nähe auch kein
Strauchwerk war und er weit genug von der Zisterne und dem
ausgetrockneten Tränkepfuhl entfernt war, hatte ich hier in der Tat
beinahe gar nicht von den Moskitos zu leiden.

Am nächsten Morgen kamen noch etwa zwölf Eingeborene zur Mitarbeit. Die
wohnten ziemlich weit entfernt in irgendeinem Dorfe, das irgendwo im
Busch liegen mochte. Sie kamen auf Maultieren geritten; manche hatten
weder Sattel noch Steigbügel. Andere hatten wohl einen Holzsattel, aber
keinen Zaum; an Stelle des Zaumes war den Tieren ein Strick um das Maul
gebunden.

Diese Leute waren an die Feldarbeit in den Tropen besser gewöhnt als
wir, die wir, mit Ausnahme des großen Niggers, alle Städter waren. Aber
sie schafften viel weniger als wir und mußten eine viel längere
Mittagspause machen. Jedoch das ging uns nichts an, und darüber
nachzudenken, lohnte sich auch nicht recht.

Am Samstag kriegten wir ausbezahlt. Wir ließen uns von den paar Kröten,
die wir in so mühseliger Arbeit verdient hatten, gerade so viel geben,
wie wir brauchten, um Lebensmittel für die nächste Woche einzukaufen.
Den Rest ließen wir beim Farmer stehen, denn auch nur einen Nickel in
der Tasche zu haben ist nichts als Versuchung für den andern.

Selbstverständlich arbeiteten wir Sonntags auch. Der brachte dann knapp
ein Kilo Speck ein oder fünf Kilo Kartoffeln; weil wir an dem Tage schon
um drei Uhr Schluß machten, um uns wenigstens einmal in der Woche
waschen zu können und das verschwitzte Zeug, das man Tag und Nacht auf
dem Leibe hatte, durchs Wasser zu ziehen.

Der Chink und Antonio waren in den nächsten Laden gegangen, der etwa
drei und eine halbe Stunde entfernt lag, um für uns alle das
einzukaufen, was wir ihm jeder auf ein Maisblatt aufgeschrieben hatten.
Die Hieroglyphen, die auf jenen Maisblättern standen, waren nur für die
Einkäufer zu entziffern, denen wir mündlich die Bedeutung der
phantastischen Zeichen ausführlich hatten erklären müssen.

Den nächsten Sonntag hatten dann ich und Abraham einkaufen zu gehen.

Aber an diesem Sonntag war Abraham schon um zwei Uhr von der Plantage
verschwunden. Er war mit seinem Sack Baumwolle zur Wage gegangen und
nicht zurückgekommen.

Als wir zum Hause kamen, waren Sam und Antonio schon mit den Gütern
angelangt.

„Eine elende nichtswürdige Schlepperei“, sagte Antonio.

„Ach, das war nicht so schlimm!“ begütigte Sam.

„Ruhig, du gelber Heidensohn, du natürlich mit deiner
Lastträgervergangenheit, was verstehst du von Schleppen?“ rief Antonio,
während er sich auf die Kiste hinsetzte, die auch noch unter ihm
zusammenbrach und seine Laune durchaus nicht besserte.

„Hören Sie, Antonio, warum haben Sie denn nicht Mr. Shine um ein Mula
oder einen Esel gebeten?“ fragte ich.

„Aber das habe ich ja getan. Er hat es abgelehnt. Er sagte zu mir und
Sam: Wie kann ich euch denn ein Mula geben? Ich kenne euch ja gar nicht,
ihr habt ein paar Tage bei mir gearbeitet, Sachen habt ihr keine,
Papiere habt ihr auch keine und wenn ihr welche hättet, kann ich mir für
eure Papiere, die vielleicht noch nicht einmal euch gehören, kein
anderes Mule kaufen, wenn ihr es im nächsten Ort verschachert und euch
dann hier nicht mehr sehen laßt.“

„Von seinem Standpunkt aus hat er recht,“ erwiderte ich, „aber von
unserm Standpunkt aus gesehen, ist es eine große Niedertracht. Aber was
können wir machen?“

Und gerade jetzt, wo wir schön im Zuge waren, das Lieblingsthema aller
Arbeiter der Erde anzuschlagen und uns den ungerechten Zustand in der
Welt, der die Menschen in Ausbeuter und Ausgebeutete, in Drohnen und
Enterbte teilt, mit mehr Lungenkraft als Weisheit klar zu machen, kam
Abraham an mit sechs Hennen und einem Hahn, die er an den Füßen
zusammengebunden hatte und ihre Köpfe nach unten hängen lassend, an
einem Bindfaden über der Schulter trug.

Er warf das Bündel auf die Erde, wo die Vögel sich vergeblich mühten,
aufzustehen oder von den Fesseln loszukommen.

„So, Fellers“, grinste er, „jetzt könnt ihr Eier von mir haben. Ich
lasse euch das Stück für sieben Centavos, billig, weil ihr ja meine
Arbeitskollegen seid. In der Stadt kosten die Eier siebenundeinhalb,
sogar acht.“

Wir starrten bald das Bündel Hühner, bald den grinsenden Abraham an. An
ein solches Geschäft hatte keiner von uns gedacht und es lag doch so
nahe, war so einfach, verlangte absolut keine besondere Intelligenz;
jeder von uns hätte das ebenso gut machen können. Sam Woe empfand keinen
Neid, keine Eifersucht, nur Bewunderung für den unternehmungslustigen
Geflügelzüchter; jedoch er schämte sich, daß er sich von einem Nigger
beim Ausdenken einer ehrlichen Nebeneinnahme hatte schlagen lassen.

Vor unsern Augen, nicht einmal über Nacht, sondern über drei
Nachmittagsstunden war aus einem Enterbten und Ausgebeuteten ein
Produzent, ein Unternehmer geworden. Er hatte sich von seinem Lohn die
Hühner gekauft, wir Lebensmittel. Er hatte keine Lebensmittel mitbringen
lassen und wir hatten uns schon vorbereitet, wie wir ihm das Stehlen,
auf das er unter diesen Umständen angewiesen war, unmöglich machen
wollten. Aber er hatte uns übertrumpft. Er lieferte Eier und tauschte
dafür an Reis und Bohnen ein, was er brauchte. Träte nun der Fall ein,
daß wir seine Produkte boykottierten, so konnte er ja den Hahn
schlachten, vielleicht noch ein Huhn, bis er wieder Lohn bekam.

Am nächsten Morgen hatte Abraham vier Eier. Das Geschäft konnte
beginnen.

Eier betrachteten wir noch als größeren Luxus denn Speck oder Fleisch.
Aber jetzt, wo die Eier so verlockend nahe zur Hand waren, viel
schneller zubereitet werden konnten als irgendeine andere Speise und uns
dadurch eine Möglichkeit gegeben war, zum Frühstück etwas anderes und
Kräftigeres in den Magen zu bekommen als den dünnen Kaffee und ein
schmales Stückchen verbranntes Brot, wollten und konnten wir auf Eier
nicht mehr verzichten. Wir sahen plötzlich ein, daß wir ohne Eier noch
vor Beendigung der Ernte an Unterernährung zugrunde gehen würden und
wenn wir je wirklich die Ernte überlebten, so würden wir doch so
entkräftet sein, daß uns niemand in Arbeit nehmen würde. Die Sklaven
wurden immer, so erzählte Abraham, der es von seinem Großvater wußte, in
gutem Ernährungszustande gehalten, wie Pferde; um den Ernährungszustand
der freien Arbeiter kümmerte sich kein Mensch. Wenn sie zu schlecht
ernährt waren, weil der Lohn für eine bessere Ernährung nicht reichte,
flogen sie raus.

Solche merkwürdigen Ansichten, die natürlich keine wissenschaftliche
Grundlage hatten und auch ganz und gar unrichtig waren, brachte Abraham
vor, nur um seinen Eiern einen regen und dauernden Absatz zu sichern.
Uns leuchtete eine solche Betrachtung menschlicher Verhältnisse um so
mehr ein, als es ja gerade Abraham gewesen war, der uns gestern mitten
in jener regen Auseinandersetzung unterbrochen hatte, die uns ohne
Zweifel, wenn auch nicht auf dem Wege über Eier, zu genau derselben
Schlußbetrachtung der Welt geführt hätte.

Außerdem stundete uns Abraham gutmütig den Betrag für gelieferte Eier
bis zum nächsten Lohntage. Er tat es nur aus Gutmütigkeit und weil er
nicht wollte, daß wir, seine lieben Arbeitskameraden, im späteren Leben,
also nach der Ernte, wegen Unterernährung Schiffbruch erleiden sollten.

Nach drei Tagen konnten wir nicht mehr verstehen, wie wir es überhaupt
jemals fertig gebracht hatten, ohne Eier auszukommen. Es gab Eier zum
Frühstück, es wurden Eier zum Mittagessen mitgenommen und abends gab es
erst recht Eier, wir backten Eier sogar ins Brot, nur um die nötige
Arbeitskraft für unser ferneres Leben zu erhalten.

Abraham verstand die Geflügelzucht, das muß man ihm lassen.

Er fütterte seine Hühner reichlich mit Mais. Jeden zweiten Abend mit
Dunkelwerden machte er sich auf den Weg mit einem Sack, um bei den
Farmern Mais einzukaufen. Manchmal ging er schon um drei Uhr vom Felde
heim, um seine Hühner gut zu versorgen. Vom Mais einkaufen kam er aber
immer erst zurück, wenn wir schon längst schliefen.

Die sechs Hühner und der eine Hahn, als ob sie unseren Bedarf schon im
voraus kannten, taten das Menschenmögliche, nein, Hühnermögliche, um uns
vor der drohenden Unterernährung zu schützen. Und für den reichlich
gelieferten Mais lieferten sie als gerechte Gegenleistung mehr als sonst
eine Henne zu liefern sich verpflichtet fühlt.

Am ersten Morgen hatten die Hühner, wie schon berichtet, vier Eier
gelegt, am zweiten Morgen sieben und als wir bezweifelten, daß dies
möglich sei, führte uns Abraham am darauffolgenden Morgen zu den drei
alten Schilfkörben, die er für den Zweck aufgehängt hatte und gestattete
uns, selbst nachzuzählen. Wir zählten an diesem dritten Morgen siebzehn
Eier, die von den Hühnern über Nacht gelegt worden waren.

Da wir die Eier persönlich bei Sonnenaufgang gesehen und persönlich
gezählt hatten, zweifelten wir von dem Tage an nicht mehr an der Zahl
der von Abrahams Hühnern gelegten Eier, obgleich er uns eines Morgens,
freudestrahlend, als hätte er in der Lotterie gewonnen, mitteilen
konnte, daß die Hühner achtundzwanzig Eier über Nacht gelegt hatten.

Uns war es ja gleichgültig, wie Abraham seine Hühner behandelte, um
solche Resultate zu erzielen. Als Sam Woe eines Tages erklärte, bei ihm
zu Hause wisse man auch aus einer Krume Erde oder aus einer Henne
herauszuholen, was nur überhaupt ein Gott sonst noch herausquetschen
könne, aber das hätten sie daheim doch noch nicht geschafft, da fuhr ihm
der Nigger gleich übers Maul: „Ihr seid eben Esel, Ihr versteht die
rationelle Geflügelzucht ebenso wenig wie hier herum die ganzen Farmer,
die noch größere Esel sind, als Ihr seid. Aber wir in Louisiana, wir
verstehen, Hühner zu behandeln. Ich habe es von meiner Großmutter
gelernt. Es hat viel Prügel gesetzt, ehe ich es begriffen habe; aber
jetzt kommt auch kein noch so tüchtiger Farmer gegen mich mehr auf, wenn
ich in der Nähe eine Geflügelzucht betreibe und einmal zeige, wie man
Hühner rentabel macht.“


                                   7.

Wir aßen die Eier nur. Aber die Eier rächten sich: sie fraßen. Sie
fraßen an unserm Lohn so gierig, daß niemand sein gestecktes Ziel
erreichen konnte, sei es ein neues Hemd, eine neue Hose oder eine
Fahrkarte nach einer Stadt mit besserer Arbeitsgelegenheit.

Auch Sam Woe, dessen Landsleuten sehr zu Unrecht nachgesagt wird, daß
sie sich lieber den Finger abbeißen als Geld für etwas Ueberflüssiges
auszugeben, hatte ein ganz nettes Sümmchen für Eier bei Abraham stehen.
Ich glaube aber doch, daß er bei jedem Ei, das er aß, immer bedauerte,
daß er nicht der Lieferant sei.

So vergingen zwei weitere Wochen. Verglichen mit der ersten Woche lebten
wir jetzt in Saus und Braus. Das taten die Eier und das tat eine Nacht
mit fünfstündigem Wolkenbruch, der uns so gut mit Wasser versorgte, daß
wir fürstlich schwelgen konnten.

Freilich bedeutete dieser Regen einen halben Tag Verlust an Arbeitslohn.
Das Feld war am Morgen so lehmig und schlammig, daß wir die Füße kaum
herausziehen konnten. Erst gegen Mittag, als die Sonne die übliche
Kruste gebrannt hatte, konnten wir wieder an die Arbeit gehen.

Am dritten Lohntag sehen wir ein, daß wir mit dem Geld, das wir
verdienten, nicht auskommen konnten. Wenn die Ernte vorüber sein wird,
werden wir knapp zwei Wochen Lohn in der Hand haben. Ehe wir bis zur
nächsten Stadt kommen und dort irgendeine Arbeitsgelegenheit finden
würden, hätten wir genau so viel oder richtiger, so wenig übrig, als
wenn wir nicht sechs Wochen, jede Woche zu sieben Tagen, in tropischer
Sonnenglut von Sonnenaufgang bis beinahe Sonnenuntergang bei, trotz der
Eier, allerbescheidenster Nahrung hart gearbeitet hätten. Denn außer für
Essen und etwas Tabak gaben wir nichts aus. Es war auch keine
Gelegenheit dazu. Der nächste Saloon, wo es Bier und Schnaps gab und wo
man spielen konnte, war über drei Stunden entfernt.

„Daran sind die verfluchten Eier schuld, daß wir für nichts geschuftet
haben sollen!“ sagte Antonio am Abendfeuer, als wir unsere Lage
überdachten.

„Aber wir hätten sie doch nicht kaufen brauchen“, warf ich ein, „Abraham
hat sie uns doch nicht aufgedrängt. Er hätte sie doch sammeln und
Sonntags zum Laden bringen können.“

„Da hätte er aber mehr Arbeit davon gehabt“, sagte Gonzalo.

In dem Augenblick kam Abraham gerade von seinem abendlichen Maiseinkauf
zurück. Er warf den Sack auf die Erde und sagte: „Wovon ist denn die
Rede? Vielleicht etwa gar von den Eiern? Ich habe sie doch ehrlich an
euch abgeliefert, und frisch gelegt war jedes einzelne auch, da kann ich
doch auch wohl ehrlich mein Geld verlangen, nicht wahr, Fellers? ^That
so?^“

„Von Nichtbezahlen hat niemand gesprochen, wenn Sie nicht wissen, wovon
und worüber geredet worden ist, dann halten Sie lieber Ihre Gosche“,
sagte ich.

„Nein“, sagte Antonio, „die Rede ist davon, daß, wenn wir nicht den
Luxus mit den Eiern einstellen, wir hier die vielen Wochen umsonst
gearbeitet haben.“

„Luxus nennt ihr das?“ rief Abraham entrüstet aus, „ja wollt ihr denn
als Skelette rumlaufen, wenn die Ernte vorüber ist? Meinetwegen, ich
kann meine Eier auch anderswo verkaufen. Also, jetzt kassiere ich.
Antonio, Sie haben –“

Das interessierte mich nun gar nicht, wieviel jeder hatte und was jeder
zu bezahlen haben mochte. Ich bezahlte meine Rechnung bei Abraham und
ging dann nach meiner Behausung schlafen. Als ich unterwegs war, hörte
ich wie Charly und Abraham in Wortwechsel gerieten. Der große Nigger
behauptete, Abraham habe ihm drei Eier zuviel angerechnet. Abraham
bestritt es und drängte auf richtige Bezahlung. Nach einer Weile Hin-
und Herredens, wobei wieder sehr viel von Backpfeifen gesprochen wurde,
mußte Charly zugeben, daß er sich geirrt habe und daß Abraham im Recht
sei. In diesen Dingen, die das Geschäft unmittelbar betrafen, also
Lieferung und Bezahlung, war Abraham unbedingt ehrlich.

Des Abends vor dem Einschlafen nahm ich mir vor, diese Woche einmal ohne
Eier auszukommen.

Am Morgen, als ich zum Feuer ging, hörte ich Antonio schon rufen: „Wo
sind denn heute morgen die Eier, du rabenschwarzer Yank? Ich will fünf
haben.“

Abraham zählte seine Eier, die er in den Körben gesammelt hatte, mit
einem Ernst und einer Sorgfalt, als ob er sie wirklich zum ersten Male
in der Hand habe und nicht schon gestern abend genau gewußt hätte,
wieviel Eier die Hühner über Nacht legen würden. Er tat, als habe er den
Geschäftsauftrag Antonios nicht gehört.

„Ja, Mensch, Nigger, hast du denn nicht gehört, fünf Eier will ich haben
oder soll ich sie mir vielleicht selber nehmen?“ wütete jetzt Antonio.

„Was denn“, sagte Abraham ganz unschuldig, „ich will euch doch nicht
meine Eier aufdrängen und euch den sauer verdienten Wochenlohn aus der
Tasche rauben. Spart das Geld lieber! Ihr könnt auch ganz gut ohne Eier
auskommen. Ihr seid ja die ersten Tage auch ohne Eier fertig geworden.“

Das war ein ganz neuer Ton, den wir von Abraham bisher nie vernommen
hatten.

Wir empörten uns gegen eine solche Bevormundung unserer Lebensweise wie
ein Mann.

„Was fällt denn dir schwarzem Karnickel ein, mir vorzuschreiben, was ich
essen und was ich nicht essen soll, ob ich mein Geld spare oder ob ich
es da in die Zisterne werfe, he!“ mischte sich Gonzalo jetzt ein.
„Sofort gibst du mir sechs Eier oder ich schlage dir deinen Wollschädel
in Scherben.“

„Gut“, sagte Abraham resigniert, „da ihr es nicht anders haben wollt und
mir sogar mit Schlägen droht, ich will euch die Eier wie bisher
liefern.“

„Ja was hast du dir denn gedacht?“ sagte Sam Woe ganz ruhig und
schulmeisterlich, „erst verführst du uns, Eier zu essen und wenn wir
dalan gewöhnt sind, willst du sie uns verweigern. Gib mir dlei Eier.“

Der Chink hatte ein bestimmtes Gefühl bei mir ausgelöst: Jetzt auf
einmal, wo wir uns an die Eier, an die Bequemlichkeit ihrer Zubereitung,
an die Nachhaltigkeit ihres Nährstoffes und an ihre mühelose Beschaffung
so sehr gewöhnt hatten, sollten wir plötzlich einer Laune des Niggers
wegen darauf verzichten! Das war ja nicht anders, als wenn wir aus dem
Zeitalter der drahtlosen Abendunterhaltung in das der Steinaxt
zurückgeschleudert werden sollten. Gestern abend, den Magen übervoll
gefüllt mit einem dicken, prächtigen, vollwertigen Eierpfannkuchen,
hatte ich allerdings den Entschluß gefaßt, diese Woche einmal keine Eier
zu beziehen. Aber am Morgen, als der Magen leer war wie ein
vertrockneter Autoreifen, hielt ich den Entschluß für kindisch. Warum
sollte ich mich denn kasteien und meinen mir lieben Körper qualvoll
peinigen beim Anblick der schönen frischen Eier, die bereits lustig in
den Pfannen der anderen pruzelten?

„Gib mir sechs!“ kommandierte ich Abraham.

Freilich als ich drei Spiegeleier gegessen und zwei zum Mitnehmen für
das Mittagessen gekocht hatte, fiel mich wieder die reuige Wehmut an:
Die Eier sind doch unnütz und überflüssig.

Also es blieb bei den Eiern. Der Verbrauch wurde in Zukunft höher als er
bisher gewesen war. Bei allen. Auch bei Sam Woe.


                                   8.

Auf dem Nachhauseweg rief mich Mr. Shine an: „Hören Sie, Mr. Gale,
kommen Sie auf eine Viertelstunde herein. Meine Frau hat einen guten
Kuchen gebacken, Sie können eine Tasse Kaffee mit uns trinken.“

Dann als wir bei Tische saßen, erzählte mir Mr. Shine wie er mit 260
Dollar, die er sich sauer erspart hatte, hier angefangen habe, wie er
mit eigener Hand die Farm aus dem rohen Busch herausgearbeitet habe, wie
die Straße, die mehr als drei Stunden zur nächsten Ortschaft führt, bei
seiner Ankunft nur ein schmaler verwachsener Weg war, gerade breit
genug, um mit dem Maultier durchzukommen, wie er auch diese Straße
verbreitert habe, so daß er sie jetzt mit eigenem Ford befahren könne.

„Vierundzwanzig Jahre harter, sehr harter Arbeit waren notwendig, um
etwas zu werden. Und wir Gringos hier, die wir dem Lande erst Wert
geben, sind trotzdem immer wie auf dem Sprunge, plötzlich fliehen und
alles verlassen zu müssen. Wir werden gehaßt wie der Tod, weil man um
die Freiheit und Unabhängigkeit, die den Leuten hier über alles gilt,
bangt.“

Er war nicht der erste Amerikaner, der mir diese Nöte schilderte.

„Manches Jahr ist sehr gut. Ich habe schon mal vier Ernten im Jahr an
Mais gehabt. Das erreichen wir drüben in den States nicht. Aber dieses
Jahr ist schlecht. Die Baumwolle hat, was seit fünfzehn Jahren nicht
vorgekommen ist, Frost abbekommen; deshalb ist sie nur halb wie sie sein
soll. Und ich weiß auch gar nicht was mit dem Hühnervolk los ist. Wir
haben nie so wenig Eier gehabt, wie in den letzten Wochen. Auch Mr.
Fringell und Mr. Shape klagen über ihre Hühner.“

Am Abend erzählte ich Abraham, was mir Mr. Shine über die Hühner gesagt
hatte.

„Na, da seht ihr es ja, Fellers,“ sagte Abraham darauf, „das sind die
richtigen amerikanischen Farmer wie drüben. Vor Geiz möchten sie am
liebsten ihre Fingernägel aufessen. Da gönnen sie den armen Hühnern kaum
eine Handvoll Mais. Wie können denn die Hühner richtig legen, wenn sie
nicht gut gefüttert werden? Da seht meine Hühner an! Ich spare nicht mit
dem Mais. Aber dafür geben die Tierchen auch etwas her. Man muß sie nur
gut und reichlich füttern und sachgemäß behandeln, dann tun sie auch
ihre Pflicht. Das hat mich meine Großmutter Susanna gelehrt und die war
eine sehr kluge Frau, das könnt ihr mir glauben, Fellers. ^Thats a
fact!^“


                                   9.

Um selben Abend nach dem Essen setzte wieder die Unterhaltung über die
Frage ein, wieviel uns an Geld übrig bliebe, wenn die Ernte vorüber sei.
Diesmal aber wurden weder die Eier noch Abraham, der dabei saß, in dem
Gespräch erwähnt.

An diesem Abend kamen wir alle einmütig zu dem Ergebnis, daß wir
ordentlich essen müßten, um uns arbeitsfähig zu erhalten, daß wir eine
bestimmte Summe am Ende der Ernte übrig haben müßten, um nicht umsonst
gearbeitet zu haben oder wie Sklaven nur für das Essen und daß also,
kurz und bündig, der Lohn zu niedrig sei. Wenn wir statt sechs, acht
Centavos für das Kilogramm bekämen, könnten wir gerade zurecht kommen.

Mit diesem Gedanken gingen wir schlafen.

Am nächsten Morgen, sobald die anderen Arbeiter auf das Feld gekommen
waren, gingen Antonio und Gonzalo gleich zu ihnen und erklärten ihnen,
daß wir die Absicht hätten, acht Centavos zu verlangen und zwei Centavos
Nachbezahlung für die bisher schon gepflückten Kilos. Diese Leute, alle
unabhängiger als wir, weil sie alle ihr Stückchen Land hatten, waren
ohne weiteres damit einverstanden.

Nun gingen Antonio und Gonzalo, sowie zwei von den anderen Leuten zur
Wage und sagten Mr. Shine was los sei.

„Nein,“ antwortete Mr. Shine, „das bezahle ich nicht, ich bin doch nicht
verrückt. Das habe ich noch nie bezahlt. Das kommt ja gar nicht rein.“

„Gut,“ sagte Antonio, „dann machen wir Schluß. Wir wandern dann noch
heute ab.“

Da mischte sich einer von den ansässigen Arbeitern ein: „Hören, Sie,
Sennor, wir warten zwei Stunden. Ueberlegen Sie es sich. Wenn Sie dann
noch Nein! sagen, satteln wir unsere Mulas. Wir wollen schon dafür
sorgen, daß Sie keine Leute kriegen.“

Damit war die ganze Konferenz erledigt. Die vier Abgesandten gingen ins
Feld zurück, berichteten die abschlägige Antwort und alle Leute
verließen ihre Reihen, gingen zu den Bäumen und legten sich schlafen.

Als ich auch auf dem Wege zu den Bäumen war, rief Mr. Shine herüber:
„He! Mr. Gale, kommen Sie auf einen Augenblick her.“

Ich ging rüber. „Na,“ sagte ich gleich beim Näherkommen, „wenn Sie etwa
glauben, daß ich hier die Mittelsperson mache, dann sind Sie im Irrtum,
Mr. Shine. Wäre ich Farmer, stünde ich auf Ihrer Seite und ich ginge mit
Ihnen durch dick und dünn. Da ich aber kein Farmer, sondern Farm-Hand
bin, stehe ich zu meinen Arbeitskollegen. Das verstehen Sie doch?“

„Gar kein Zweifel, Mr. Gale,“ erwiderte Mr. Shine, „es ist auch gar
nicht meine Absicht, Sie herüber zu ziehen; denn Sie allein könnten die
Baumwolle ja doch nicht hereinholen. Aber wir wollen das einmal in Ruhe
überrechnen.“

Mr. Shine zündete sich eine Pfeife an und gab mir Tabak. Sein ältester
Sohn, der etwa sechsundzwanzig Jahre alt war, steckte sich eine Zigarre
an und der zweite Sohn, der jüngste in der Familie, ungefähr
zweiundzwanzig Jahre alt, pellte ein Stück Kaugummi aus einem Stück
verschweißtem Papier heraus und schob es in den Mund.

„Sie sind der einzige Weiße hier unter den Pflückern und da ich Ihnen ja
schon acht bezahle, sind Sie eigentlich parteilos und können hier
mitsprechen. Sie haben doch nicht etwa den andern Burschen gesagt, daß
Sie acht bekommen?“ fügte Mr. Shine, die Pfeife aus dem Mund nehmend,
hinzu.

„Nein,“ sagte ich, „dazu hatte ich nicht die geringste Ursache.“

Dick, der älteste Junge, kletterte in das Lastauto, lehnte sich gegen
einen Ballen Baumwolle und ließ die Beine über die Reeling baumeln.

Pet, der jüngere, setzte sich zum Steuerrad und druselte, unausgesetzt
seinen Gummi knatschend, vor sich hin.

Der Alte lehnte sich gegen den Wagen und fummelte unaufhörlich fluchend,
an seiner Pfeife herum, die bald ausging, bald verstopft war, bald neuen
Tabak brauchte, obgleich der Rest noch gar nicht ganz aufgebrannt war.

Die ganze Erregung, die den Farmer durchtobte, äußerte er nur an der
Behandlung seiner Pfeife.

Nachdem etwa fünf Minuten lang niemand etwas gesagt hatte, platzte
plötzlich Pet heraus: „Weißt du was, Daddy, ich an deiner Stelle würde
bezahlen, ohne viele Worte zu machen.“

„Ja, du,“ rief Mr. Shine wütend, „du würdest bezahlen. Es geht ja nicht
aus deiner Tasche, da ist das „Bezahlen würden“ leicht. Aber dann ziehe
ich dir’s von deinem Taschengelde ab.“

„Das wirst du nicht tun, Daddy, oder du mußt mir das Geld für die
verkaufte Baumwolle auch geben, sonst wäre es ungerecht.“

„Ha! Daß ich nicht platze vor Lachen. Das Geld für die verkaufte
Baumwolle!? Habe ich denn überhaupt schon für einen Dime verkauft? Ich
sage Ihnen, Mr. Gale, noch nicht einen blanken Tinker hat man mir
geboten. Und was für eine Baumwolle in diesem Jahr! Die weißeste
Schneeflocke von Alaska muß sich dagegen schämen. Und sehen Sie einmal
hier, Mr. Gale,“ dabei rupfte er eine Knolle, die dicht neben ihm stand,
ab und quetschte sie, mir dicht vor die Nase haltend, in seinen Fingern,
„die weichesten Daunen sind dagegen der purste Stacheldraht. – Ja,
Gosch, sagen Sie doch auch einmal ein Wort. Stehen Sie doch nicht so da,
als ob Sie die Sprache verloren hätten.“

„Aber ich bin doch unparteiisch,“ sagte ich darauf.

„Ja, richtig, Sie sind unparteiisch. Aber Sie können doch wenigstens den
Mund mal aufmachen.“

Es kam ihm nur darauf an, jemand zu finden, dem er widersprechen konnte.

Da räkelte sich Dick ein wenig bequemer in seine Stellung ein und sagte
ganz langsam und bedächtig mit breit gezogenen Worten:

„Da will ich dir mal was sagen, Dad –.“

„Du? Ja du bist mir gerade der Rechte.“

„Dann eben nicht. Ich habe Zeit. Es ist ja nicht meine Baumwolle, es ist
ja deine.“

Und als Dick nun wieder in seine bulkige Schweigsamkeit zurückfiel,
sagte der Alte plötzlich ganz erbost: „Ja, verflucht noch mal, dann rede
doch schon oder soll ich hier vielleicht stehen, bis die ganze Baumwolle
verfault und verwurmt ist?“

„Siehst du, Dad, das meine ich gerade: verfault. Wenn die Leute gehen,
andere kriegen wir nicht. Und wenn wir die Leute herschicken lassen von
den Städten, müssen wir mehr Reisegeld bezahlen als die Sache wert ist.“

„Rede doch schon einen Strich schneller.“

„Aber, ich muß es mir doch erst ausdenken, was ich sagen will. Sieh mal,
Dad, einmal hat es schon geregnet. Und es sieht ganz so aus, als ob wir
eine sehr frühe Regenzeit kriegen oder eine volle Woche Strippregen.
Dann ist die ganze Baumwolle hinüber, dann ist sie in den Dreck gehauen
und du kannst lange suchen, bis du einen findest, der dir anstatt der
Baumwolle den Sand abkauft. Je eher wir die Baumwolle gewinnen und auf
den Markt gebracht haben, je besser ist der Preis. Wenn der Markt erst
mal voll ist, müssen wir froh sein, wenn wir sie mit zwanzig oder
fünfundzwanzig Centavos Verlust losschlagen, wenn wir sie dann überhaupt
unterbringen und sie uns nicht auf dem Halse liegen bleibt. Bis jetzt
sind wir sehr früh dran und sind mit die ersten auf dem Markt.“

„Verflucht noch mal, Junge, du hast verteufelt recht. Vor vier Jahren
habe ich sie mit dreißig Centavos unter den Anfangspreis verkaufen
müssen und habe noch dagestanden wie ein armseliger Bettler, der um ein
Stück Brot boomen muß. Aber ich bin doch nicht ganz und gar wahnsinnig
geworden, daß ich acht Centavos bezahle. Früher habe ich sogar bloß
vier, wenn sie schlecht stand, fünf bezahlt. Nein, das ist abgemacht, da
lasse ich sie, by Gosh, zehnmal lieber verfaulen und verschimmeln, just
wie sie da steht, ehe ich nachgebe.“

Dabei schlug er mit der Hand nach einer Staude, als ob er mit dieser
Handbewegung das ganze Feld abrasieren wollte.

Dann kam ihm in seinem Zorn ein anderer Gedanke:

„Aber an der ganzen Geschichte sind bloß die Fremden schuld, die
Auswärtigen. Die hetzen uns hier die Leute auf. Die können nie den
Rachen vollkriegen. Unsere Leute hier herum sind immer zufrieden. Ja,
Sie auch, Mr. Gale, Sie sind auch einer von den Aufwieglern und von den
Bolsches, die alles auf den Kopf stellen und uns das Land wegnehmen und
das Bett unter dem Hintern fortziehen wollen. Bei mir kommt Ihr aber an
die falsche Nummer. Das habe ich selber mitgemacht. Das kenne ich, weiß,
wie es gemacht wird. Aber wir haben keine ^I. W. W.^[1] und alles
solchen Stoff gehabt.“

[Fußnote 1: ^I. W. W.^ = ^Industrial Workers of the World^, eine sehr
radikale Arbeiterorganisation.]

„Wenn Sie mich meinen, Mr. Shine, tun Sie sich keinen Zwang an. Nebenbei
bemerkt, habe ich Ihnen gar keinen Grund gegeben, anzunehmen, ob ich ein
^Wobbly^[2] bin oder nicht.“

[Fußnote 2: ^Wobbly^ = Mitglied der ^I. W. W.^]

„Mischen Sie sich doch nicht rein, von Ihnen ist ja gar nicht die Rede.
Ich habe Sie ja gar nicht gemeint. Aber bezahlen tu ich nicht, basta!“

„Na, hör mal, Daddy,“ sagte jetzt Pet, ohne sich seinem Vater
zuzuwenden, „in bezug auf die Fremden hast du unrecht, durchaus. Die
sechs Fremden schaffen mehr herein als die zwölf oder vierzehn Indianer.
Die tun doch überhaupt bloß etwas, weil sie sehen, wie die Fremden
arbeiten und was verdient werden kann. Wenn unsere Hiesigen einen Peso
machen, dann sind sie zufrieden und halten lieber fünf Stunden
Mittagsschlaf, weil ihnen das wichtiger ist. Ohne die Fremden bekämen
wir die Baumwolle vor Weihnachten nicht herein, da wette ich mein Leben
darauf.“

„Aber ich bezahle keine acht und damit Schluß!“

„Dann kann ich ja ankurbeln und wir können heimfahren,“ sagte Dick
trocken und kletterte gemächlich von dem Wagen herunter.

Es waren noch lange keine zwei Stunden vergangen, aber die „Hiesigen“
wurden jetzt beweglich. Sie fingen ihre Maultiere ein und begannen
aufzusatteln.

Als einige der Peons schon soweit waren, aufzusitzen, sprangen Antonio
und Gonzalo plötzlich auf, warfen ihre großen Hüte hoch in die Luft und
begannen mit schrillen Stimmen zu singen:

   Es trägt der König meine Gabe,
   Der Millionär, der Präsident –

Die Leute hörten sofort auf, an ihren Tieren zu arbeiten und standen
stille wie Soldaten nach einem Kommando. Sie wußten nicht, was ^I. W.
W.^ war, was eine Organisation bedeutet, was eine Klasse sei. Aber der
Gesang hämmerte auf sie ein, schmiedete sie zusammen zu einem ehernen
Block, und als der erste Refrain wiederholt wurde, sang bereits das
ganze Feld. Was vielleicht geschehen könnte, wenn der letzte Refrain
beginnt, wußte ich. Ich habe es erlebt.

Der Gesang, so eintönig und schlicht in seiner Melodie, aber so federnd
wie feinster Stahl in seinem klingenden Rhythmus, steckte mich an. Ich
konnte nicht anders, ich begann, das Lied mitzusummen.

„Natürlich! Sie auch!“ sagte Mr. Shine, halb ironisch, halb
selbstverständlich zu mir. „Ich hab’s ja gewußt!“

Als der zweite Refrain erklang, wendeten sich die Leute, die bisher
zwanglos in einer losen Gruppe bei ihren Maultieren gestanden hatten,
alle wie ein Mann zu uns herüber, wodurch der Gesang herausfordernd und
persönlich anzüglich wurde.

Mr. Shine faßte nervös nach hinten und knöpfte die lederne
Revolvertasche auf, machte sie aber gleich wieder zu mit einer Geste der
Verlegenheit, die aber ebensogut auch eine der Scham oder gar der
Wurschtigkeit sein konnte.

„Teufel noch mal,“ rief er dann, „^that means business^, die scheinen
Ernst zu machen.“

„Das machen sie,“ sagte Pet knatschend, „und wenn sie einmal fort sind,
haben wir unsere liebe Mühe und Not, sie wieder hereinzuholen.“

„Gut,“ sagte Mr. Shine, „ich bezahle acht, aber erst von heute an. Was
bezahlt ist, bleibt bezahlt, da wird nichts nachgegeben. Mr. Gale, seien
Sie doch so gut, bitte, und rufen Sie die Leute heran!“

Ich lief rüber und brachte die ganze Horde zusammen.

„Na, was ist?“ fragten die Leute, als sie nahe genug der Wage waren.

„Also es ist abgemacht,“ sagte Mr. Shine halb erbost, halb von oben
herab, „ich zahle acht für das Kilo, aber –“

Antonio ließ ihn nicht ausreden:

„Und für die schon gepflückten Kilos?“

„– zahle ich die zwei Centavos nach. Aber nun auch tüchtig ran an die
Arbeit, daß wir den ganzen Bettel noch trocken hereinkriegen.“

„Hurra für Mr. Shine!“ schrie Abraham.

„Halts Maul, darned Nigger, du bist nicht gefragt!“ schrie der Farmer
wütend.

„Aber was mache ich denn nun mit Ihnen, Mr. Gale,“ sagte Mr. Sinne, „Sie
bekommen doch schon acht.“

„Ja,“ sagte ich, „da gehe ich halt leer aus, Mr. Shine.“

„Das sollen Sie nicht. Bei einem Mann kommt es mir auch nicht darauf an.
Und weil Sie Weißer sind, der einzige Weiße. Sie sollen zehn haben.“

„Mit Nachzahlung?“

„Mit Nachzahlung! Ich bin ein ^fair businessman^. Was stehen Sie noch
rum! Machen Sie, daß Sie an die Arbeit kommen. Wir haben, weiß Gott,
beinahe eine Stunde verquatscht. Gerade um diese Stunde kann uns der
Regen zu früh kommen. Das ziehe ich Euch beiden Rangen ab, da könnt Ihr
Gift drauf nehmen,“ wandte er sich seinen Söhnen zu, die gerade dabei
waren, die Wage wieder aufzuhängen.




                             Zweiter Teil.


                                  10.

So lief der Trott nun weiter die nächsten zwei, drei Wochen. Ohne
besondere Ereignisse. Ein Tag wie der andere. Rennen im Trab, Rennen,
Essen kochen, Schlafen, Rennen im Trab, Arbeit.

Eines Nachmittags, als ich vom Feld heimkam, ging ich zu Mrs. Shine und
fragte sie, ob sie mir ein Kilo Speck verkaufen oder bis Sonntag leihen
wollte, da ich vergessen hätte, letzten Sonntag welchen mitbringen zu
lassen.

„Können Sie haben, Mr. Gale, gegen Bezahlung oder Rückgabe, ganz wie Sie
wollen.“

„Gut,“ sagte ich, „dann gegen Bezahlung. Mr. Shine kann es mir ja am
Samstag anrechnen.“

Während sie eben dabei war, den Speck abzuwiegen, kam Mr. Shine von der
Stadt zurück, wo er seine Post abgeholt und einige Bedarfsmittel
eingekauft hatte.

„Da sind Sie ja gerade wie gerufen, Mr. Gale,“ sagte er zu mir, als er
ins Zimmer trat. „Ich habe einige Neuigkeit für Sie.“

„Für mich? Woher soll die wohl kommen?“

„Direkt aus der Stadt. Im Store traf ich den Manager von Camp 97. Ich
saß da und trank gerade eine Flasche Bier nach der andern. Er war in
großen Nöten. Da haben sie im Camp ein kleines Maleurchen gehabt. Beim
Auswechseln von Achterrohren gegen Zehner hat ein Rohr ausgeschlagen und
dem einen Driller den rechten Arm böse gequetscht, weil einer von den
Indianern wieder mal nicht aufgepaßt und rechtzeitig zugepackt hat. Der
Driller ist ein tüchtiger, erfahrener und verläßlicher Bursche, den sie
nicht gehen lassen wollen. Nun suchen sie einen guten Ersatzmann für
drei bis vier Wochen. So lange wird es wohl dauern, bis der Mann wieder
arbeiten kann. Aber sie sind jetzt gerade an einem heiklen Punkt. Sie
sind auf siebenhundert Fuß und sind auf Lehm, und wenn sie jetzt keinen
guten Driller bekommen, dann können sie vielleicht eine Knickung in der
Bohrung erleben. Na, und was das bedeutet, was das für Scherereien,
Zeitverlust und Kosten verursacht, das wissen Sie ja selbst, Sie haben
ja in den Fields gearbeitet. Das gibt allemal den Sack für die Driller
und Tooldresser, manchmal für das ganze Camp.“

„Weiß ich,“ erwiderte ich, „kann dem besten Mann passieren, wenn man
noch so sehr aufpaßt. Ein Stein, den der Satan gerade dort hingefeuert
hat, wo man ihn am allerwenigsten vermutet, kann zwanzigtausend Dollar
kosten.“

„Mag sein, davon verstehe ich nichts,“ wandte Mr. Shine ein. „Nun ist
der Manager in Sorge, was er machen soll. Er hat schon eine Schicht
selber gearbeitet, aber auf die Dauer geht es nicht. Telegraphiert er
nun zur Kompagnie, dauert es immerhin drei bis vier Tage, bis er den
Mann hier hat. Und ob er einen Mann kriegt, wie er ihn braucht, weiß er
auch nicht. Denn ein tüchtiger Mann nimmt für drei Wochen nichts an,
weil er dadurch vielleicht eine andere Stellung, wo er sechs Monate in
Sicherheit hat, verpassen kann. Ich habe nun zu dem Manager gesagt:
„Well,“ habe ich gesagt, „Sie sind just der Mann, auf den ich gewartet
habe, Mr. Berkley.“

„Aber, ich weiß noch immer nicht, was ich eigentlich damit zu tun habe.“

„Ja warten Sie doch ab, Gale, was kommt. In drei, höchstens vier Tagen
haben wir die Baumwolle drin. Was wollen Sie denn dann machen?“

„Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich lasse den Tag erst einmal
herankommen. Ich kann ebensogut nach Norden wie nach Süden, ebenso
leicht nach Ost und West gehen. Eigentlich habe ich vor, nach Guatemala,
Costa Rica und Panama runterzutippeln. Vielleicht nach Columbien. Da
soll allerhand Oel ausgemacht worden sein.“

„Top!“ jagte Mr. Shine, „das habe ich auch gedacht, daß es Ihnen egal
ist; und nach Guatemala und allen den übrigen Landschaften kommen Sie
immer noch rechtzeitig genug. Da habe ich nun zu dem Manager gesagt:
Well, habe ich gesagt, auf Sie habe ich gerade gewartet. Ich habe da
einen Fellow, einen Picker, einen weißen Mann, weiß im Gesicht und weiß
unter dem Brustlatz ebensogut, einen Burschen, der Ihnen die
verteufeltste Bohrung aus dem elendsten Dreck herausholt. Man muß doch
ein wenig trumpfen, Gale, wenn man was erreichen will. Also, habe ich
gesagt, Mr. Berkley, ich schicke Ihnen den Mann runter. Na, was sagen
Sie nun, Gale, Junge, hä? Das habe ich doch fein gemacht. Da gehen Sie
noch morgen früh runter zum Store. Der Storekeeper kennt den Weg zum
Camp und kann Ihnen Bescheid sagen. Um 5 Uhr nachmittags sind Sie schon
im Camp und können sich gleich zum Essen hinsetzen.“

Das mit dem Essen war allerdings verführerisch.

„Wenn Sie dann nicht mit der Arbeit zurecht kommen, ist der Verlust auch
nicht allzu groß. Einen Tag kriegen Sie auf alle Fälle ausbezahlt und
außerdem haben Sie einen Tag wieder mal menschenwürdig gegessen,“ setzte
Mr. Shine hinzu.

Zu überlegen gab es da eigentlich nichts. Hier war noch für drei oder
vier Tage Arbeit, harte und schlecht bezahlte Arbeit. Im Oelfeld mußte
man zwar auch zwölf Stunden arbeiten, weil nur zwei Schichten waren,
aber man arbeitete wenigsten unter dem Rig, wo die Sonne nicht ganz so
unmittelbar auf einen losbrennen konnte. Dazu hatte man sterilisiertes
Eiswasser, soviel man nur trinken wollte. Vor allen Dingen aber hatte
man, wie schon Mr. Shine richtig gesagt hatte, ein menschenwürdiges
Essen, mit Teller, Messer, Gabel, Eßlöffel, Teelöffel, Tasse und Glas an
einem Tisch, der zwar von einem Zimmermann ziemlich roh gemacht war,
aber es war doch ein Tisch und eine richtige Bank. Man brauchte nicht
aus der Pfanne von der Erde essen und sich beim Essen von einer
wackligen Kiste, auf der man saß, herunterbücken. Man brauchte nicht mit
demselben Löffel, den man aus den fettigen Bratkartoffeln zog, den
Kaffee umrühren. Das Brot, das man aß, war weder zu Kohle verbrannt,
noch war es klebrig wie Kleister. Die schwarzen Bohnen, immer hart wie
Kieselsteine, hörten auf, ein wichtiger Bestandteil der Mahlzeiten zu
sein. Man wurde bei Tische bedient von Chinks, die man angrunzen durfte,
wenn einem das Essen nicht schmeckte und die Ananaspie nicht genügend
geeist war. Angrunzen, hm! ja! das tut man sofort, sobald man einen
anderen armen Teufel auch nur einen Zentimeter auf der sozialen
Rangleiter unter sich weiß. Man schlief nicht ohne jede Unterlage auf
einer Tafel Wellblech, sondern man schlief in gut ventilierten Baracken,
in sauberen Feldbetten, auf weicher Matratze und gut geborgen unter
einem schleierdünnen Moskitonetz. Man hatte jeden Tag ein Brausebad und
hatte ein W. C. Daß es solche Dinge auf Erden gibt, hatte ich ganz
vergessen. Romantik ist schön, sehr schön! – von ferne gesehen.
Wenigstens in der Entfernung, gerechnet von einem bequemen Sitz im Kino
bis zur Silberwand. Auf dieser Silberwand sind die Helden des
Busches und des Urwaldes der Traum der Mädchen und sie erregen
Ehescheidungsgedanken bei Frauen; in Wahrheit bohren sie sich beim Essen
in der Nase herum und schmieren dies und das an ihren Sitz oder an die
nächste erreichbare Tischplatte. Und das kann man gerade noch erzählen.
Würde man einiges mehr erzählen, noch nicht einmal alles und noch nicht
einmal das Schlimmste, so würde sich der bunte Schmetterling in die
allerwiderwärtigste Raupe zurückverwandeln. Aber trotz alledem, Romantik
ist auch im Oelfeld, das auf den ersten Blick so trostlos prosaisch und
so nüchtern aussieht wie eine Kohlenzeche in Herne. Man muß die Romantik
nur zu sehen und nur zu finden wissen. –

Bei meinem Abschied von den bisherigen Arbeitskollegen war mir nichts so
wichtig, als meine Eierrechnung bei Abraham auf den Cent genau zu
begleichen. Er wäre mir sonst in meinen Träumen erschienen und
nachgelaufen bis nach Paraguay, wenn ich ihm nur zehn Centavos schuldig
geblieben wäre.

Als ich zum Oelcamp kam und mit dem Manager sprach, machte er nicht im
geringsten ein erstauntes Gesicht, seinen neuen Driller so in Lumpen und
Fetzen zu sehen, wie kein Mensch in Europa, selbst nicht in Odessa
herumlaufen könnte. Daran ist man hier gewöhnt.

Die weißen Arbeiter, alle Gringos, waren froh, daß Dick, der Driller,
einen Ersatzmann hatte und das Camp also nicht verlassen brauchte; denn
er war ein beliebter und lustiger Bursche, der im Camp war, seit der
erste Pfeiler für das Rig gestellt wurde. Sie fixten mich auf, der eine
brachte mir ein Hemd, der andere eine Hose, jener Strümpfe, ein anderer
Arbeitshandschuhe. Ja Handschuhe, denn ein amerikanischer Arbeiter macht
sich beim Arbeiten die Hände nicht mehr schmutzig als unbedingt
notwendig ist. Keiner von ihnen hatte irgendein Handwerk gelernt, wie
das in Europa üblich ist, aber jeder konnte ein Auto fahren, Pannen
beseitigen, Dampfmaschinen reparieren oder Werkzeuge schmieden.
Vielleicht nicht ganz so sauber und geschickt wie ein englischer,
deutscher oder französischer Arbeiter, aber was er machte, war
brauchbar, und darauf kam es ihm und denen, die ihn dafür bezahlten, ja
nur an.

Als ich meine Schicht beendigt hatte, sagte Mr. Berkley zu mir: „Sie
können bleiben, Junge, vollen Drillerlohn.“

Dick war schneller hergestellt als wir alle gedacht hatten, und so mußte
ich wieder gehen. Beim Abschied gab mir Dick zwanzig Dollar extra aus
seiner Tasche, für Reisegeld und daß ich mir einen guten Tag machen
sollte, wie er sagte.

Als ich dann beim Manager meinen Lohn ausbezahlt bekam, sagte er: „Hören
Sie mal, Gale, können Sie nicht hier irgendwo eine Woche oder so
herumhängen?“

„Ja,“ erwiderte ich, „das kann ich leicht. Ich gehe rauf zu Mr. Shine,
da kann ich gut für eine Weile hausen. Warum?“

„Auf einem unserer Nachbarfelder da ist ein Bursche, der möchte auf
vierzehn Tage in Urlaub gehen, rauf in die States. Da können Sie für die
zwei Wochen als Ersatzmann eintreten. Anfang nächsten Monats.“

„Mache ich,“ sagte ich. „Sie können ja im Store eine Mitteilung für mich
an Mr. Shine hinterlegen, wenn es soweit ist.“

„Gut, abgemacht!“ sagte Mr. Berkley.


                                  11.

Ich wanderte also am nächsten Morgen wieder rauf zu Mr. Shine und fragte
ihn, ob ich in dem Unterstande, in dem ich seinerzeit gehaust hätte, ein
paar Tage wohnen dürfe.

„Natürlich, Mr. Gale,“ sagte der Farmer, „solange Sie wollen.“

Ich erklärte ihm warum und fragte ihn dann nach den Leuten, mit denen
ich da gewohnt hatte.

„Ach,“ antwortete er, „der lange Nigger ist gleich den Tag nach Ihnen
gegangen, ich glaube rauf nach Florida. Das geht mich nichts an. Der
kleine Nigger, Abraham heißt er, scheint ein ganz geriebener Schlingel
zu sein.“

„Wieso?“ fragte ich.

„Er hat mir da Hühner verkauft, gute Leghühner, wie er mir versicherte.
Er hatte sie bei Indianern für einen Peso das Stück gekauft, wie ich
inzwischen erfahren habe. Mir hat er anderthalb Pesos dafür abverlangt.
Ich habe sie ihm auch bezahlt dafür, denn die Hühner waren gut genährt.
Aber mit den guten Leghühnern hat er mich reingelegt, der schwarze
Teufel. Mit dem Legen ist nicht viel los bei ihnen. Aber na, das Fleisch
ist es ja wert.“

„Und was ist mit dem Chink und den beiden Mexikanern?“

„Die sind am Montag sehr früh hier vorbeigekommen. Ich habe sie vom
Fenster aus gehen sehen. Soviel ich weiß, sind sie nach Pozos gegangen.
Diese Station ist nicht ganz so weit als die, von der Ihr gekommen seid.
Der Weg ist auch besser, weil wir jetzt diese Station selbst benutzen,
während wir in früheren Jahren immer zu der anderen gingen. Aber Pozos
liegt bequemer für uns; früher hatten wir nur keinen Weg. Seitdem aber
die Oelleute gekommen sind, haben die einen Weg geschaffen. Ich empfehle
Ihnen, wenn Sie wieder zurückgehen, auch diesen Weg, da können Sie ab
und zu schon einmal ein Auto antreffen, wo Sie jumpen können. Nebenbei
bemerkt, warum wollen Sie denn in dem Unterstand hausen, Sie können doch
in dem Hause wohnen.“

Ich lachte. „Nein, Mr. Shine, das Haus kenne ich zur Genüge. Ich betrete
es nicht mit einer Zehenspitze. Das ist die reine Moskitohölle.“

„Na, wie Sie wollen. Ich habe mit meiner Familie fünfzehn Jahre drin
gewohnt. Wir sind von den Moskitos nicht merklich geplagt worden. Aber
Sie können schon recht haben. Wenn so ein Haus lange nicht bewohnt wird,
nicht genügend Luft reinkommt, sammelt sich schon allerhand von diesem
Zeug an. Ich bin übrigens seit einem Vierteljahr nicht oben gewesen,
weiß gar nicht, wie es da herum augenblicklich aussieht. Und
wahrscheinlich komme ich im ganzen nächsten Vierteljahr auch nicht rauf.
Ich habe ja da oben nichts verloren. Ab und zu lasse ich mal die Pferde
und die Mules rauftreiben, weil sie da herum genügend Gras finden und
ein Tränkepfuhl oben ist. Aber, wie gesagt, es ist mir gleichgültig, wo
Sie Ihre Wohnung aufmachen. Mich stören Sie nicht, und Sonntags können
Sie schon mal runter kommen und eine Tasse Kaffee mit uns trinken und
ein Stück Kuchen essen.“

Ich richtete mich oben in meinem Unterstande wieder ein. Mein Feuer
machte ich mir jetzt gleich vor dem Unterstand, weil dort in der Nähe
des Hauses, wo sonst unser gemeinschaftliches Feuer gewesen war, ja doch
keine Unterhaltung gepflogen werden konnte, denn es war ja niemand da.

Ich lebte jetzt in schönster Einsamkeit. Als einzige Gefährten hatte ich
nur Eidechsen, von denen zwei sich in drei Tagen so an mich gewöhnt
hatten, daß sie all ihre angeborene Scheuheit vergaßen und mir an und
auf meinen Füßen die Fliegen wegfingen, die dort nach Krümelchen von
meinen Mahlzeiten suchten.

Tags über kroch ich in dem nahen Busch herum oder beobachtete die Tiere
bei ihren Handlungen oder las in den Zeitschriften, die ich vom Camp
mitgebracht hatte.

In Wasser konnte ich schwelgen, so reichlich hatte ich es, weil es
inzwischen einige Male gut geregnet hatte und der Tank beim Hause zu
einem Drittel gefüllt war. Wir hatten ja derzeit die Auffänge in Ordnung
gebracht.

Ich konnte mich sogar waschen und mir den Luxus leisten, mich sogar
zweimal des Tages zu waschen. Kaffee kochte ich in Riesenmengen, teils
um die Zeit zu vertreiben, teils um so viel Vorrat in mich
hineinzutrinken, daß ich gut wieder einmal einen Tramp von einigen Tagen
durch wasserlosen Busch aushalten konnte. Da ich im Store hatte tüchtig
einkaufen können, Geld hatte ich jetzt reichlich, so lebte ich wirklich
einen guten Tag. Sorgenfrei, weder durstig noch hungrig, ein freier Mann
im freien tropischen Busch, Siesta haltend nach Belieben, herumstreifen
wo und wann und solange ich wollte. Es ging mir gut. Und dieses Gefühl
lebte ich auch voll bewußt.

Der Tank, aus dem ich mein Wasser holte, war dicht an dem alten Hause.
Und zu diesem Hause hatte ich jedesmal etwa 250 Schritte von meinem
Unterstand aus zu gehen.

Das Wasser holte und schöpfte ich mit einer von diesen Konservenbüchsen,
die 40 Liter Inhalt haben. Mit Konserven in kleinen Büchsen gibt man
sich hier nicht viel ab, höchstens wenn es sich um schnell verderbliche
Ware handelt.

Das Haus, das man überall, nur nicht in Zentralamerika, eine ganz elende
Bretterbude nennen würde, kaum gut genug, um auf einem Bauplatz als
Lagerschuppen zu dienen, stand auf Pfählen. Die meisten Häuser hier,
besonders außerhalb der größeren Städte, werden auf Pfählen errichtet.
Stünden sie auf flacher Erde, wären sie vielleicht gar noch
unterkellert, so würden sie in der Regenzeit jeden Tag zweimal
überflutet. Das ist aber nicht der einzige Grund. Bei einem auf Pfählen
ruhenden Haus kann der Wind von allen Seiten unter dem Fußboden hin- und
herfegen und so das Innere des Hauses kühl halten. Außerdem bekommt ein
Haus, das in dieser Art gebaut ist, nicht so viel unerwünschte Gäste,
wie Schlangen, Eidechsen, Skorpione, Spinnen, Milliarden von Ameisen,
Grashoppern, Grillen und tausenden anderen unangenehmen Ueberläufern aus
dem nahen Busch. Alle diese mehr oder weniger erfreulichen Bewohner des
tropischen Busches klettern natürlich auch an den Pfählen hoch, können
aber doch nicht in solchen Mengen und so leicht ins Haus gelangen, als
wenn das Haus auf ebener Erde errichtet wäre.

Alle die Gründe, die den Menschen hier veranlassen, sein Haus in dieser
Form zu erbauen, sind die gleichen geblieben, die unsere Urvorväter
zwangen, sich eine Behausung in den Wipfeln der Bäume zu bauen.

Ein Holzhaus, so errichtet, erbebt, erzittert und schwankt oft beim
Sturm so, daß man glauben könnte, es sei in der Tat auf einem Baume
errichtet.

Die Indianer freilich haben ihre Hütten zu ebener Erde. So zu ebener
Erde war ja auch mein Unterstand, wo das Buschgetier aus- und einging,
als wäre es sein gutes Recht.

An jeder Seite des Hauses war eine Tür, um Licht und Wind
hineinzulassen. Beim Verlassen des Hauses hatten meine damaligen
Arbeitskollegen die Türen geschlossen, wie üblich mit einem drehbaren
Stückchen Holz. Damals war immer Leben im Hause und vor dem Hause,
Streit um das Feuer, Zank wegen einer Prise Salz, die jemand genommen
hatte, ohne den Besitzer zu fragen, lange und fruchtlose Diskussionen
darüber, wer das Holz heute zu holen habe. An diese lebhaften Bilder
zurückdenkend, erschien jetzt das Haus geisterhaft einsam und still.
Jedesmal, wenn ich Wasser holte, quälte es mich, doch mal einen Blick
hineinzuwerfen, ob jemand etwas zurückgelassen habe. Aber dann wieder
gefiel mir diese gespensterhafte Stille, die über dem Hause lagerte. Sie
fügte sich zu der Einsamkeit der Umgebung nicht weniger als zu der
Einsamkeit und Abgeschiedenheit, in der ich augenblicklich lebte. So
unterdrückte ich jedesmal, wenn ich an das Haus kam, den Wunsch, eine
Tür aufzumachen und hineinzulugen. Ich wußte genau, die Hütte war leer,
vollkommen leer; niemand hatte etwas, sei es auch nur der Fetzen eines
alten Hemdes, zurückgelassen, denn bei uns hatte alles seinen Wert. Die
Ungewißheit, die mysteriöse Stimmung, die um das Haus lagerte, wollte
ich mir nicht zerstören. So, wie es wirkte, mochte ich träumen, daß
vielleicht der Geist eines der alten aztekischen Priester, der wegen der
Tausenden von Menschen, die er auf dem Altar seines Gottes geschlachtet
und ihnen das Herz aus dem lebendigen Leibe gerissen hatte, um es seinem
unersättlichen Gotte vor die goldenen Fuße zu werfen, nun keine Ruhe
finden konnte und deshalb aus dem Busch in das gefeite Haus eines
Christen geflüchtet sei, um wenigstens ein paar Wochen von seinem
rastlosen Herumirren auszuruhen.


                                  12.

Eines Tages, als ich wieder Wasser holte, sah ich eine schwarzblaue
Spinne mit glänzend grünem Kopf, die an der Wand des Hauses nach Beute
jagte. Sie lief blitzschnell ein paar Zoll weit, saß dann still, lauerte
eine Weile und lief dann wieder ein ganz kurzes Streckchen, um wieder zu
lauern. So überholte sie einen Meter eines Brettes im Zickzackkurs, kein
Fleckchen auslassend, dabei oft, nicht immer, einen ganz feinen Faden
zurücklassend, um Insekten, die an dem Brette hinaufklettern würden,
nicht gerade festzuhalten und zu verstricken, sondern deren Lauf nur zu
verlangsamen, daß, wenn die Spinne inzwischen das Nachbarbrett abgesucht
hatte und hier wieder zurückkam, ihre Beute mit einem mächtigen Satz
anspringen konnte. Diese Spinne nimmt ihre Beute nur im Sprunge, wobei
sie das Insekt von hinten anspringt und sofort im Nacken packt, so daß
dieses Insekt von seinen Waffen, sei es nun ein Stachel oder Zangen oder
Scheren, gar keinen Gebrauch machen kann. Das einzige Tier, das sich
gegen diese Springspinne erfolgreich wehren könnte und dann den Spieß
umkehren würde, ist der Skorpion. Aber diese beiden großen Jäger in den
Tropen begegnen sich nie, weil jeder von ihnen eine andere Jagdzeit hat.
Diese Spinne am Tage, in der glühenden Sonne, der Skorpion in der
Dunkelheit.

Diese Spinne nun, die zu beobachten ich Tage und Wochen in den häufigen
Perioden von Arbeitslosigkeit verwandt hatte, war es, die sofort wieder
meine Aufmerksamkeit fesselte. Ich wollte ihr Gesichtsfeld prüfen und
lernen, wie sie sich verhält, wenn sie selbst angegriffen und verfolgt
wird. Ich stellte meine Konservenbüchse mit Wasser auf den Boden und
vergaß, daß ich mir doch meinen Reis kochen wollte.

Ich bewegte meine Hand in ziemlicher Entfernung über der Spinne hin und
her und sofort reagierte sie darauf. Sie wurde unruhig; ihre
Zickzackläufe wurden unregelmäßig und sie suchte diesem großen Etwas,
das ein Vogel sein mochte, zu entwischen. Aber die glatte Wand bot
keinen Schlupfwinkel. Sie wartete eine Weile, duckte sich ganz langsam
und behutsam und machte plötzlich, ganz unerwartet, einen Sprung in
halber Armeslänge auf eines der benachbarten Bretter, aber natürlich an
senkrechter Wand. Und so sicher war der Sprung, als wäre er auf ebener
Erde vollführt. Dieses Brett nun hatte eine Leiste, die gespalten war
und sich auch ein wenig verzogen hatte, so daß sie einen Unterschlupf
bieten konnte.

Jedoch ich ließ der Spinne keine Zeit, sich den besten Platz
auszusuchen. Ich nahm einen dünnen Zweig auf, der gerade zu meinen Füßen
lag und berührte damit die Spinne leicht, sie so zwingend, einen anderen
Weg zu wählen. Sie lief nun in rasender Schnelligkeit davon, aber wohin
sie auch fliehen mochte, immer fand sie den angreifenden Zweig, entweder
ihren Kopf berührend oder ihren Rücken. So lief sie kreuz und quer,
immer verfolgt von dem Zweig, ihr keine Gelegenheit lassend, zu einem
Sprunge anzusetzen. Plötzlich aber, als ich sie gerade im Rücken
berührte, machte sie blitzschnell kehrt und in rasender Wut und mit
unvergleichlicher Tapferkeit griff sie den sie belästigenden Zweig an,
der gegenüber ihren bescheidenen Ausmaßen für sie gigantische Formen und
übernatürliche Kräfte haben mußte. Und immer, wenn ich den Zweig
zurückzog, so daß sie glauben mußte, sie habe den Feind abgeschlagen
oder wenigstens eingeschüchtert, lief sie auf die schützende Leiste zu.
Schließlich besiegte sie mich doch und fand dort Unterschlupf, aber
nicht genügend, um sich ganz zu verbergen, denn sie konnte sich nur zur
Hälfte darin verkriechen.

Nun schlug ich mit der flachen Hand an die Wand. Die Spinne kam sofort
wieder hervor, lief eilends weiter nach oben, wo sie eine günstigere
Höhle fand, in der sie sofort verschwand, ohne daß man noch viel von ihr
sehen konnte.

Um sie nun auch dort wieder hinauszujagen und zu sehen, was sie zu guter
Letzt tun würde, schlug ich mit voller Gewalt mit der flachen Hand so
fest gegen die Wand, daß das ganze Haus, das ja auf Pfählen ruhte,
erzitterte.

Die Spinne kam nicht hervor. Ich wartete einige Sekunden. Und als ich
gerade zum zweiten Male kräftig gegen die Wand schlagen will, fällt
innerhalb des Hauses etwas um.

Was konnte das sein? Ich kannte das Innere des Hauses. Es war nichts,
absolut gar nichts darin, was mit so einem merkwürdigen Geräusch
umfallen konnte. Eine Stange, ein Stück Holz, das einzige, was es
vielleicht hätte sein können, war es nicht, nach dem Geräusch zu
urteilen. Es war schon eher wie ein mit Mais gefüllter Sack. Aber wenn
ich mir das Geräusch genauer vergegenwärtigte, so war etwas sonderbar
Hartes dabei. Es konnte also kein Sack mit Mais sein.

Es wäre nun doch so einfach gewesen, sofort die paar Sprossen der Leiter
hinaufzuklettern, die Tür aufzustoßen und hineinzusehen. Aber irgendein
unerklärbares Empfinden hielt mich davon ab. Es war wie Furcht, als
könnte ich drinnen etwas unsagbar Grauenhaftes sehen.

Ich nahm das Wasser auf und ging zu meinem Unterstand. Ich redete mir
ein, daß es nicht Furcht vor dem Anblick von etwas ganz Gräßlichem sei,
was mich veranlaßte, das Haus nicht zu betreten, sondern ich sagte mir:
du hast ja in dem Hause durchaus nichts zu suchen, du hast überhaupt gar
kein Recht, es zu betreten, und vor allen Dingen, es geht dich gar
nichts an, was da drin ist. So entschuldigte ich mein Gebaren.

Als ich dann aber beim Feuer saß und darüber immer wieder nachdachte,
was für ein Gegenstand das Geräusch verursacht haben könnte, kam mir
plötzlich ein seltsamer Gedanke: In dem Hause hat sich jemand erhängt,
und zwar schon vor einiger Zeit; die Schnur ist morsch geworden oder der
Hals durchgefault, und nun beim Schlagen an die Wand ist der Körper
erschüttert worden, die Schnur gerissen und der Leichnam umgefallen. So
ähnlich war auch das Geräusch, als ob ein menschlicher Körper umfiele,
und der Kopf auf den Boden schlüge.

Aber diese Idee war ja lächerlich. Sie zeigte mir, wohin die Phantasie
einen führt wenn man sich nicht von der Tatsache überzeugt. So
verwandelt sich ein Baumstamm in der Dunkelheit in einen Räuber, der auf
der Lauer steht. In den Tropen erhängt sich niemand, ich wenigstens habe
nie davon gehört. Hier sind die Tage nicht trübe genug dazu. Und wenn es
wirklich einer täte, so würde er in den Busch gehen, wo man drei Tage
später bestenfalls nur noch an der Schnalle seines Gürtels erkennen
würde, daß es sich um einen Mann handelt.

So oft ich auch noch Wasser holte, ich ging nicht in das Haus und
vermied es sogar, irgendeine Spalte zu suchen und durchzulugen. Das
Unbestimmte, das Geheimnisvolle sagte mir mehr zu als eine vielleicht
sehr prosaische Gewißheit.

Jedoch abends, wenn ich am Feuer saß oder wenn ich nachts wach lag,
beschäftigten sich meine Gedanken mit nichts anderem als mit der Frage,
was in dem Hause wohl sein könne.

Am Freitag ging ich zu Mr. Shine und fragte ihn, ob er irgendwelchen
Bescheid vom Manager habe. Aber Mr. Shine war die ganze Woche nicht im
Store unten gewesen und würde auch die nächste Woche nicht
hinunterkommen. Weil nun Montag der letzte Termin war, der für den
Urlaubsantritt jenes Drillers, für den ich Ersatzmann sein sollte, in
Betracht kam, so beschloß ich, Samstag früh reisefertig mit meinem
Bündel selbst zum Store zu gehen und nachzufragen. War Bescheid da, dann
konnte ich Sonntag mittag, also rechtzeitig genug, im Camp sein. War
kein Bescheid da, so wußte ich, daß der Driller entweder nicht in Urlaub
ging, oder daß er die Sache anders zu regeln gedachte. Ist diesem Falle
würde ich gleich zur Station gehen und meinen Plan, nach Guatemala zu
wandern, ohne weiteres durchführen.

Samstag früh holte ich mir Wasser für den Kaffee. Als ich mit dem Wasser
an dem Hause schon ein Stück vorüber war, dachte ich, nun will ich aber
doch einmal zu guter Letzt nachsehen, was da drin los ist, denn wenn ich
das nicht tue, so kann es sein, daß mich der Gedanke an das Haus die
nächsten fünf bis sechs Monate nicht losläßt. Es konnte ja die bekannte
Gelegenheit sein, die einmal verpaßt, nie im Leben wiederkehrt.

Ich kletterte die paar Sprossen der Leiter hinauf, stieß die Tür, die
hier nur eingeklemmt war, auf und ging in den Raum, den einzigen Raum,
den das Haus hatte.

An der Wand zur Rechten sah ich etwas liegen, ein großes Bündel. Ich
konnte aber nicht sofort erkennen, was es sein mochte, denn die Sonne
war noch vor dem Aufgehen.

Ich trat näher hinzu; es war ein Mann.

Tot!

Es war Gonzalo.

Getötet!

Ermordet!

Sein zerfetztes Hemd war schwarz von Blut. Ein Ball Baumwolle, den er
zerknüllt in der rechten Hand hielt, war gleichfalls vollgesogen von
Blut.

Er hatte einen Stich in der Lunge und noch einige Stiche auf der Brust,
an der rechten Schulter und am linken Oberarm.

Der Körper war nicht verwest, sondern vertrocknet.

Er hatte auf dem Boden gesessen, gegen die Wand gelehnt und als ich
gegen die Wand geschlagen hatte, war der Körper auf die Seite gefallen
und der Kopf war auf den Erdboden geschlagen.

Ich suchte seine Taschen durch. Er hatte fünf Pesos und 85 Centavos
darin. Er hätte haben müssen: wenigstens 25 bis 30 Pesos.

Also des Geldes wegen.

Dann hatte er noch ein kleines Leinensäckchen mit Tabak neben sich
liegen und einige geschnittene Maisblätter lagen verstreut herum.

Während er sich eine Zigarette drehen wollte, war er überfallen worden,
an derselben Stelle, wo er sich jetzt befand.

Der Chink und Antonio waren die letzten, die das Haus verlassen hatten.
Der Chink war nicht der Mörder. Wegen 20 Pesos jemand auch nur zu
berühren, dazu war er viel zu klug. Diese 20 Pesos waren zu teuer für
ihn.

Also Antonio.

Das hatte ich von ihm nie gedacht.

Ich steckte Gonzalo das Geld wieder in die Tasche, ließ ihn jedoch
liegen wie er lag.

Dann klemmte ich die Tür wieder ein, wie ich sie gefunden hatte und
verließ das Haus.

Kaffee kochte ich nun nicht mehr, sondern ich machte mich sofort auf den
Weg.

Ich ging zu Mr. Shine und sagte ihm, daß ich nun selber zum Camp gehen
wolle, und falls nichts los sei, gleich weitermarschieren werde.

„Haben Sie sich da oben in Ihrem luftigen Wohnhause nicht einsam
gefühlt, Mr. Gale?“ fragte er.

„Nein,“ sagte ich, „ich habe immer so viel zu sehen und so viel zu
beobachten, daß der Tag herum ist, ehe ich es merke.“

„Ich dachte, Sie würden vielleicht doch in das Haus übersiedeln, weil es
eben ein Haus ist.“

„Daran war gar nicht zu denken. Ich sagte Ihnen ja schon, als ich
zurückkam, daß es darin vor Moskitos nicht auszuhalten sei.“

„Um die Jahreswende wollen meine beiden Neffen auf Besuch kommen und
hier ein wenig herumstreifen und jagen. Die stecke ich dann da hinein,
da können sie hausen nach Belieben. Die werden die Moskitos schon
ausräuchern. Na, denn also „Viel Glück!“ Gale, für Ihre Zukunft.“

Wir schüttelten uns die Hände und ich ging.

Warum hätte ich denn etwas sagen sollen. Daß ich der Mörder sein konnte,
diesen Gedanken würde niemand haben; denn ich war ja vor allen den
übrigen Leuten fortgegangen und hatte die ganze Zeit im Camp gearbeitet.

Und hätte ich etwas von meinem Fund gesagt, so hätte das eine Unmenge
Fragen verursacht, Hin- und Herlaufen und wer weiß was noch. Dabei wäre
ich gar nicht mehr zur rechten Zeit zum Camp gekommen.


                                  13.

Nachdem der Driller von seinem Urlaub zurückgekehrt war, wurde ich
ausbezahlt und fuhr mit einem Lastwagen, der Oel zu holen hatte, zur
Station, von der ich nach Dolores Hidalgo reiste. Von dort aus fuhr ich
ohne viel Aufenthalt glatt durch die Oaxaca, so daß ich schon in wenigen
Tagen in Guatemala sein konnte, vorausgesetzt, daß ich meinen Plan nicht
wieder einmal änderte.

In Oaxaca wollte ich erst einmal herumhören, was im Süden los sei,
was hinter den Gerüchte von den neuen Oelfeldern und den
Arbeitsmöglichkeiten überhaupt zu suchen sei, und ob ich nicht besser
vielleicht einen windigen Segelkasten ergattern und auf Argentinien los
gehen sollte. Aber von dort kamen mir auch wieder zu viele herauf, die
wahre Schauergeschichten von der furchtbaren Epidemie Arbeitslosigkeit
berichteten. Achtzigtausend lagen in Buenos auf der Straße und suchten
eine Gelegenheit, fortzukommen. Aber schlimmer als in Mexiko konnte es
ja dort auf keinen Fall sein.

Ich setzte mich auf eine Bank im Park. Ich ließ mir die Stiefel putzen,
trank ein Glas Eiswasser, und als ich mich von diesen Beschäftigungen
gerade so recht ungestört, zufrieden mit mir und der Welt ausruhen will,
sehe ich, daß auf der Bank der meinen gegenüber ein Bekannter sitzt.

Es ist Antonio.

Ich gehe rüber zu ihm und sage: „Hallo, Antonio, guten Tag, was machen
Sie denn hier?“

Wir gaben uns die Hand. Er war sehr erfreut, mich zu sehen. Ich setzte
mich neben ihn und sagte ihm, daß ich auf der Suche nach Arbeit sei.

„Das ist gut,“ sagte er. „Ich arbeite seit zwei Wochen in einer
Bäckerei, Brot- und Kuchenbäckerei. Da können Sie gleich heute anfangen,
als Bäcker. Wir suchen gerade einen Gehilfen. Sie haben doch schon als
Bäcker gearbeitet, nicht wahr?“

„Nein,“ erwiderte ich, „ich habe zwar schon in hundert verschiedenen
Berufen gearbeitet, sogar schon als Kameltreiber – und das ist eine
gottverfluchte Beschäftigung –, aber bis zu einem Bäcker habe ich es
noch nicht gebracht.“

„Das ist ausgezeichnet, dann können Sie anfangen,“ sagte Antonio darauf.
„Wenn Sie nämlich Bäcker wirklich wären oder etwas vom Backen
verstünden, dann wäre nichts zu machen. Der Inhaber ist ein Franzose, er
hat keine Ahnung vom Backen; wenn Sie ihm erzählen, in ein Brot gehöre
Pfeffer hinein, das glaubt er Ihnen. Der wird Sie natürlich fragen, ob
Sie Bäcker seien. Da müssen Sie ganz dreist sagen, das sei ihr Beruf
seitdem sie nicht mehr in die Schule gingen. Der Meister ist ein Däne,
ein entlaufener Schiffskoch. Er versteht auch nichts vom Backen. Seine
größte Sorge ist nun, daß ein richtiger Bäcker dort anfangen könnte;
einer, der das Backen wirklich versteht. Dann wäre es natürlich mit der
Meisterherrlichkeit des Dänen gleich aus, denn ein richtiger Bäcker
würde nach zehn Minuten sehen, was los ist. Wenn Sie nun der Meister
fragt, müssen Sie gerade das Gegenteil sagen von dem, was Sie zu dem
Inhaber sagen. Zum Meister müssen Sie sagen, es sei das erstemal in
ihrem Leben, daß Sie in einer Backstube stehen. Dann nimmt er Sie sofort
an und Sie sind sein Freund.“

„Das kann ich ja gut machen. Als Bäcker wollte ich schon immer mal
arbeiten,“ sagte ich, „man kann dann, wenn man mal in der Verlegenheit
ist, die Bäcker alle so schön mitnehmen. Dann hört die Sorge um das
tägliche Brot auf und man hält es ein paar Tage länger aus. Also, wird
gemacht. Was ist denn der Lohn?“

„Ein Peso und fünfzig Centavos.“

„Nackt?“

„Ach wo, mit Essen und Schlafen. Seife haben wir auch frei. Sie kommen
weiter damit als beim Baumwollpflücken, das kann ich Ihnen sagen.“

„Wie ist denn das Essen? Gut?“

„Ach, es ist nicht gerade schlecht, es ist –“

„Weiß schon bescheid.“

„Aber man wird immer satt.“

„Kenne die Magenkneter zur Genüge.“

Antonio lachte und nickte. Er drehte sich eine Zigarette, bot mir Tabak
und Maisblatt an und sagte nach einer Weile: „Unter uns gesagt, das mit
dem Essen ist auszuhalten. Hier wird in den Bäckereien und Konditoreien
mit Eiern und Zucker gewirtschaftet, daß es eine wahre Freude ist. Na
und sehen Sie, da kommt es auf so ein Dutzend Eier auf den Mann nicht
an. Da sind rasch drei Eier in die Tasse geschlagen, mit Zucker verrührt
und da hilft man der Kost nach. Das macht man in der Nacht und am
Vormittag vier- oder fünfmal, dann können Sie schon gut zurecht kommen.“

„Wie lange arbeitet Ihr denn?“

„Das ist verschieden; manchmal fangen wir schon um zehn abends an und
arbeiten dann durch bis ein, zwei oder drei Uhr nachmittags. Manchmal
wird es auch fünf.“

„Das wären dann also 15 bis 19 Stunden täglich?“

„So ungefähr. Aber nicht immer, manchmal, besonders Dienstag und
Donnerstag fangen wir auch erst um zwölf an.“

„Verlockend ist es ja nun gerade nicht,“ sagte ich.

„Aber man kann ja so lange dort arbeiten, bis man etwas Besseres
findet.“

„Natürlich! Wenn der Tag 36 Stunden hätte, würde man ja auch Zeit
finden, sich nach anderer Arbeit umsehen zu können. Aber so? Immerhin,
ich werde anfangen.“

Der Gedanke, daß ich von nun an mit einem Raubmörder Tag und Nacht
zusammenarbeiten, mit ihm aus derselben Schüssel essen, mit ihm
vielleicht gar im selben Bett schlafen sollte, der Gedanke kam mir gar
nicht. Entweder war ich moralisch schon so tief gesunken, daß ich für
solche Feinheiten der Zivilisation das Empfinden verloren hatte, oder
aber ich war so weit über meine Zeit hinaus gewachsen und über die
herrschende Sitte erhaben, daß ich jede menschliche Handlung verstand,
daß ich mir weder das Recht anmaßte, jemand zu verurteilen, noch mir die
billige Sentimentalität einflößte, jemand zu bemitleiden. Denn Mitleid
ist auch eine Verurteilung, wenn auch eine uneingestandene, wenn auch
eine unbewußte. Und vielleicht ein Gefühl des Schauderns vor Antonio,
eine Abscheu, seine Hand zu schütteln? Es laufen so viele Raubmörder
herum, wirkliche und moralische, mit Brillanten an den Fingern und einer
dicken Perle in der Halsbinde oder goldenen Sternen auf den Achseln,
denen jeder Ehrenmann die Hand drückt und sich dabei noch geehrt fühlt.
Jede Klasse hat ihre Raubmörder. Die der meinen werden gehenkt;
diejenigen, die nicht meiner Klasse angehören, werden bei Mr. Präsident
zum Ball eingeladen und dürfen auf die Sittenlosigkeit und Roheit, die
in meiner Klasse herrscht, schimpfen.

Zu solchen Gedanken verwildert man und sinkt man hinab in den Morast und
zwischen den Abschaum der Menschheit, wenn man um Brotrinden kämpfen
muß.

Aber aus diesem Strudel törichter und verrückter Gedanken, die mir das
Blut zu Kopfe jagten, riß mich plötzlich Antonio mit der Frage:

„Wissen Sie, Gale, wer noch in Oaxaca ist?“

„Nein! Wie kann ich das auch wissen, ich bin ja gestern abend erst
angekommen.“

„Sam Woe, der Chinese.“

„Was tut denn der hier? hat der hier auch Arbeit gefunden?“

„Aber nein! Er hat uns doch damals schon immer erzählt von seiner
Speisewirtschaft, die er aufmachen wollte.“

„Und hat er eine aufgemacht?“

„Natürlich! Das können Sie sich doch denken. Was sich so ein Chino
einmal vornimmt, das tut er auch. Er hat das Geschäft mit einem
Landsmanne in Kompanie.“

„Ja, lieber Antonio, wir haben halt nicht die geschäftliche Ader, die zu
solchen Dingen notwendig ist. Ich glaube sicher, wenn ich ein solches
Geschäft gründete, würden sofort alle Leute ohne Magen geboren, nur
damit ich ja nicht etwa auf einen grünen Zweig komme.“

„Das kann schon möglich sein,“ lachte Antonio. „Geht mir gerade ebenso.
Ich habe schon einen Zigarettenstand gehabt, schon einen
Zuckerwarentisch, habe schon Eiswasser herumgeschleppt und wer weiß, was
nicht sonst noch alles versucht. Mir hat selten jemand etwas abgekauft.
Ich habe immer elendiglich Pleite gemacht.“

„Ich glaube, die Ursache ist eben,“ erwiderte ich, „wir können die Leute
nicht genügend anschwindeln. Und schwindeln muß man können, wenn man
Geschäfte machen will. Aber gründlich.“

„Wir könnten eigentlich mal hingehen zu Sam. Der wird sich auch freuen,
Sie zu sehen. Ich esse ab und zu ganz gern mal draußen irgendwo. Zur
Abwechselung, sehen Sie. Jeden Tag denselben langweiligen Fraß, das wird
einem auch über.“


                                  14.

Wir machten uns also auf den Weg in das Gelbe Viertel, wo die Chinesen
alle wohnten, wo sie ihre Geschäfte und ihre Restaurants haben. Nur
wenige hatten ihre Läden in anderen Stadtvierteln. Sie hockten am
liebsten immer zusammen.

Sam war wirklich hoch erfreut, mich zu sehen. Er drückte mir immer
wieder die Hand, lachte und schwatzte drauf los, lud uns zum
Niedersetzen ein und wir bestellten unser Essen.

Die chinesischen Speisewirtschaften sind alle über einen Kamm geschoren.
Einfache viereckige Holztische, manchmal nur drei, an jedem Tisch drei
oder vier Stühle. Wegen der Menge der Speisen, die man erhält, können
bestenfalls drei sehr verträgliche Gäste gleichzeitig an einem Tisch
sitzen. Auf die Sauberkeit des Geschirres und auf die Sauberkeit in der
Zubereitung der Speisen kann man sich besser verlassen als in vielen
teuren und eleganten Restaurants in Europa oder in den Staaten. Was in
der Küche vor sich geht, kann man in den meisten Fällen von seinem
Tische aus mit ansehen.

Die Art und die Menge der Speisen ist in allen chinesischen
Speisewirtschaften der Stadt die ganz genau gleiche. So schließen die
Chinesen unter sich jede unreelle Konkurrenz aus.

Sam hatte fünf Tische. Auf jedem Tische stand eine braunrote, tönerne,
weitbauchige Wasserflasche, von der Art und Form, wie sie schon bei den
Azteken im Gebrauch war. Dann eine Flasche mit Oel und eine mit Essig.
Ferner eine Büchse mit Salz, eine mit Pfeffer, eine große Schale mit
Zucker und ein Glas mit Chille. Chille ist eine dicke aufgekochte Suppe
von roten und grünen Pfefferschoten. Ein halber Teelöffel in die Suppe
getan, genügt, um einen normalen Europäer zu veranlassen, die Suppe als
total verpfeffert und durchaus ungenießbar zu erklären, weil sie ihm
Zunge und Gaumen verbrennen würde.

Sam bediente die Gäste, während sein Geschäftsteilhaber mit Hilfe eines
indianischen Mädchens die Küche besorgte.

Zuerst bekamen wir einen Klumpen Eis in einem Glase, das wir mit Wasser
füllten. Kein Wirt hier berechnet den Wert seines Geschäftes nach dem
Bierverbrauch, man erhält Bier nur auf ausdrückliches Verlangen, und
kein Wirt verdirbt einem den Genuß beim Essen durch sein ewiges
Lamentieren, daß er am Essen nichts verdienen könne.

Dann bekamen wir ein großes Brötchen, es folgte die Suppe. Es ist immer
Nudelsuppe. Antonio schüttete sich einen Eßlöffel voll Chille in die
Suppe, ich zwei, zwei gehäufte. Ich habe ja bereits erwähnt, daß ein
halber Teelöffel die Suppe für einen normalen Europäer ungenießbar
macht. Aber man wird auch bereits bemerkt haben, daß ich weder normal
bin, noch daß ich mich zu den Europäern zähle. Die Europäer haben mir
das abgewöhnt, nicht die Indianer in der Sierra de Madre.

Während wir noch in der Suppe herumfischten, kamen ein Beefsteak,
geröstete Kartoffeln, ein Teller Reis, ein Teller mit butterweichen
Bohnen und eine Schüssel mit Gulasch. Das gibt es hier nicht, daß man
sich nach jedem Gang erst die Galle anärgern muß, weil der Kellner sich
eine halbe Stunde lang erst überlegt, ob er einem nun den folgenden Gang
eigentlich bringen soll oder nicht. Hier werden alle Gänge sofort
gleichzeitig auf den Tisch gestellt.

Nun ging das Tauschen vor sich. Antonio tauschte seine Bohnen ein gegen
Tomatensalat, den man sich selbst am Tische zubereitet und ich tauschte
meinen Gulasch ein gegen eine Omelette.

Antonio schüttete seinen Reis gleich in die Suppe; hätte er seine Bohnen
behalten, würde er sie auch noch geschüttet haben. Aber Bohnen schien es
genug in der Bäckerei zu geben, dagegen wohl seltener Tomatensalat.

Ich schüttete mir eine Lage schwarzen Pfeffer auf das Beefsteak und eine
Lage auf die gerösteten Kartoffeln. Dann würzte ich den Reis mit zwei
Eßlöffel Chille und die Bohnen mit vier Eßlöffel Zucker.

Darauf kam für jeden ein Stück Torte. Antonio bestellte Eistee mit
Zitrone, ich ^Café con leche^, wofür man auch ebenso gut sagen kann:
Kaffee mit Milch. Kaffee trinkt man mit einem Drittel des Tasseninhaltes
Zucker darin. Diese Sitte halte ich für sehr gut und für sehr
vernünftig. Es mag dies als fernerer Beweis angesehen werden, daß ich
für Europa verloren bin, und zwar für immer; denn wo ich auch zu Tisch
sitzen werde, die Hausfrau, vielleicht sogar auch der Hausherr, der ja
materiell dafür aufzukommen hat, müßten angebunden werden, weil sie
sonst Tobsuchtsanfälle bekommen würden angesichts meines
Zuckerverbrauchs.

Beim Bezahlen an der Kasse bekommt man dann noch einige Zahnstocher.
Deshalb sieht man auch nie, daß ein Mexikaner mit der Gabel in den
Zähnen herumfuhrwerkt, wie ich das in Lyons Cornerhouse am Trafalgar
Square und an anderen Plätzen, leider auch in Mitteleuropa, häufig zu
beobachten Gelegenheit hatte. Daß man mit dem Messer recht gut essen
kann, ohne sich gleich die Lippen oder die Mundwinkel aufzuschlitzen,
wie so oft von ungeschickten und furchtsamen Leuten behauptet wird, weiß
ich aus eigener Erfahrung. Etwas unbequem sind die starken
Seemannsmesser, wie ich eines habe; weil die am Ende spitz sind und
nicht breit, deshalb kriegt man die Tunke nicht so gut aus der Pfanne
und man muß mit dem Finger nachhelfen. Ob man hier den Fisch mit dem
Messer ißt oder mit dem Eßlöffelstiel weiß ich nicht. So oft ich
Mexikaner habe Fisch essen sehen, an den offenen Garküchen auf den
Märkten und an anderen Orten, aßen sie ihn immer mit dem Zeigefinger und
dem Daumen. Das heißt, sie aßen ihn natürlich, wie jeder erwachsene und
vernünftige Mensch es tut, mit dem Munde, aber ich meine, sie packten
ihre Beute mit den Fingern. Die Verkäufer haben auch meist gar kein
Messer, das sie dem Gast geben könnten, sondern eben auch nur die
natürlichen Werkzeuge, die sie nicht erst kaufen brauchen.

In diesen Gedankengängen bewegte sich unser Tischgespräch, weil wir der
besseren Verdauung wegen während des Essens nichts Gedankenschweres in
unserem Hirn herumwälzen wollten und weil man beim Essen nur vom Essen
sprechen soll.

Ich führe dieses Gespräch hier auch nur an, um zu zeigen, daß wir keine
ungebildeten Leute oder was viel schlimmer ist, etwa gar revolutionäre
Arbeiter waren. Denn das kann man so sehr leicht werden, wenn man sich
gehen läßt und nachgibt, besonders wenn man augenblicklich keine andere
Zukunftsmöglichkeit vor Augen sieht als eine fünfzehn- bis
siebzehnstündige Arbeitszeit für anderthalb Pesos.

Für diese Mahlzeit zahlten wir jeder fünfzig Centavos, alles
einbegriffen. Es war der übliche Preis in einer chinesischen
Speisewirtschaft.

Jeder Weiße und jeder Mexikaner, der es versucht – und es wird immer
wieder versucht – für dasselbe Geld die gleiche Mahlzeit mit allem
genannten Zubehör zu geben, geht zugrunde. Das Allerwenigste, was ein
Nicht-Chinese fordern muß, sind achtzig Centavos. Wie der Chinese das
fertig bekommt und dabei noch verdient und zu Wohlstand gelangt, ist
eins der vielen Geheimnisse, die um den Chinesen gehäuft sind.

Antonio goß sich noch ein Glas Wasser ein, spülte sich gründlich Mund
und Zähne und spuckte das Wasser auf den Fußboden. Sauberen Mund und
saubere Zähne zu haben ist dem Mexikaner wichtiger als ein trockener
Fußboden. Die nimmermüde tropische Sonne trocknete ja den Fußboden, ehe
sich der nächste Gast an unseren Tisch setzt.


                                  15.

Nun segelten wir zuerst einmal zu der Bäckerei. Ich ging in den Laden
und fragte den Verkäufer nach dem Prinzipal.

„Sind Sie Bäcker?“ fragte der Inhaber.

„Jawohl, Brot- und Kuchenbäcker,“ sagte ich.

„Wo haben Sie denn zuletzt gearbeitet?“

„In Monterrey.“

„Gut, dann können Sie heute abend anfangen. Freie Kost, Wohnung und
Wäsche und ein und einen halben Peso für den Tag.“

„Halt!“ sagte er plötzlich, „sind Sie sicher auf Torten, auf Torten mit
Gußornamenten?“

„Ich habe in meiner letzten Stellung in Monterrey nur Torten mit
Gußornamenten gebacken.“

„Das ist fein! Da will ich aber doch mal mit meinem Meister sprechen,
was der dazu sagt. Ein sehr tüchtiger Meister, von dem können Sie viel
lernen.“

Er ging mit mir in die Kammer, wo der Meister sich gerade die Stiefel
anzog, um auszugehen.

„Hier ist ein Bäcker von Monterrey, der Arbeit sucht. Hören Sie mal, ob
Sie ihn brauchen können.“

Der Inhaber ging wieder in sein Zimmer und ließ uns beide allein.

Der Meister, ein kleiner dicker Bursche mit Sommersprossen, zog sich
ruhig erst die Stiefel an, dann setzte er sich auf den Bettrand und
zündete sich eine Zigarre an.

Nachdem er ein paar Züge getan hatte, betrachtete er mich mißtrauisch
von oben bis unten und sagte endlich:

„Sie sind Bäcker?“

„Nein, ich habe keine blasse Ahnung vom Backen.“

„So!?“ sagte er darauf, immer noch mißtrauisch.

„Verstehen Sie was von Torten?“

„Gegessen habe ich schon welche,“ sagte ich, „aber wie sie gemacht
werden, davon habe ich keinen Begriff. Ich wollte das gerade lernen.“

„Hier haben Sie eine Zigarre. Sie können anfangen, heute abend um zehn
Uhr. Aber pünktlich! Wollen Sie was essen?“

„Nein, danke! Nicht jetzt.“

„Gut, ich werde mit dem Alten sprechen. Ich will Ihnen nun Ihr Bett
zeigen.“

Sein Mißtrauen war geschwunden und er war sehr freundlich.

„Ich werde einen tüchtigen Bäcker und Konditor aus Ihnen machen, wenn
Sie gut aufpassen und willig sind.“

„Dafür würde ich Ihnen sehr dankbar sein, Sennor. Bäcker und Konditor
wollte ich schon immer werden.“

„Wenn Sie nun wollen, können Sie schlafen gehen oder sich die Stadt
ansehen. Ganz, wie Sie wollen.“

„Gut!“ sagte ich, „dann will ich in die Stadt gehen.“

„Also um zehn Uhr, nicht wahr?“ –

Ich traf, wie verabredet, Antonio im Park auf der Bank.

„Na?“ begrüßte er mich.

„Ich fange heute abend an.“

„Das ist gut,“ sagte er, „vielleicht gehe ich später mit Ihnen runter
nach Columbien.“

Ich setzte mich zu ihm.

Weil ich nicht recht wußte, was ich mit ihm reden sollte und um ein
Gesprächsthema zu haben, dachte ich, jetzt ist der gegebene Zeitpunkt,
nach Gonzalo zu fragen. Es war mir eigentlich nicht so sehr darum zu
tun, nur zu schwätzen, als vielmehr zu beobachten, wie er sich benehmen
würde, wie sich ein Mensch beträgt, der einen Raubmord auf dem Gewissen
hat und den man damit überrascht, daß man ihm sagt, man wisse es.

Eine Gefahr war freilich damit verknüpft. War Antonio in Wahrheit ein
echter Mörder, dann würde er bei erster Gelegenheit mich auf die Seite
schaffen als Mitwisser. Aber darauf wollte ich es ankommen lassen. Diese
Gefahr kitzelte mich erst recht, auf den Busch zu klopfen. Ich war ja
vorbereitet und konnte mich meiner Haut wehren. Mit ihm allein durch den
Busch, vielleicht gar nach Columbien zu trampen, würde ich dann schon
wohlweislich vermeiden.

„Wissen Sie, Antonio,“ sagte ich plötzlich aus heiler Haut heraus, „daß
Sie von der Polizei gesucht werden?“

„Ich?“ erwiderte er ganz erstaunt.

„Ja, Sie!“

„Weswegen denn? Ich weiß nicht, daß ich etwas verbrochen habe.“

Es klang sehr aufrichtig; zu aufrichtig, um echt zu sein.

„Wegen Mord! Wegen Raubmord!“ setzte ich hinzu.

„Sie sind wohl verrückt, Gale. Ich wegen Raubmord? Da sind sie aber böse
im Irrtum. Vielleicht eine Namensähnlichkeit.“

„Wissen Sie, daß Gonzalo tot ist?“

„Was?“ Er schrie es beinahe.

„Ja,“ sagt ich ruhig, ihn im Auge behaltend.

„Gonzalo ist tot. Ermordet und beraubt.“

„Der arme Kerl! Er war ein guter Bursche,“ sagte Antonio bedauernd.

„Ja,“ bestätigte ich, „er war ein braver Kerl! Und es ist schade um ihn.
Wo haben Sie ihn denn zuletzt gesehen, Antonio?“

„In dem Hause, wo wir alle wohnten.“

„Mr. Shine erzählte mir, daß ihr drei, Sie, Gonzalo und Sam zusammen am
Montag morgen fortgegangen seid.“

„Wenn Mr. Shine das sagt, dann irrt er. Gonzalo ist zurückgeblieben. Wir
zwei nur, Sam und ich sind zur Station gegangen.“

„Das verstehe ich nicht,“ sagte ich nun. „Mr. Shine hat am Fenster oder
in der Tür gestanden, ich weiß nicht wo und hat euch drei bestimmt
gesehen.“

Da lachte Antonio leicht auf und sagte: „Mr. Shine hat recht und ich
habe auch recht. Aber der Dritte, der bei uns war, war nicht Gonzalo,
sondern einer dort aus der Gegend, einer von den Eingeborenen, der die
Hühner von Abraham kaufen wollte, weil er dachte, er könne sie billig
haben. Abraham war aber schon zwei Tage fort und hatte die Hühner
bereits verkauft, ich glaube an Mr. Shine.“

„In dem Hause, wo Sie Gonzalo zuletzt gesehen haben,“ sagte ich nun
langsam, „habe ich ihn auch gefunden, ermordet und beraubt. Das heißt,
es ist ihm nicht alles geraubt worden, fünf Pesos und etwas darüber hat
ihm der Mörder gelassen.“

„Ich möchte ernst bleiben bei der tragischen Geschichte,“ sagte Antonio
leicht vor sich hin grinsend, „aber da muß ich doch lachen. Das übrige
Geld von Gonzalo habe ich.“

„Na also!“ rief ich, „davon rede ich ja die ganze Zeit.“

„Davon reden Sie allerdings, Gale,“ erwiderte Antonio. „Aber das Geld
habe ich ihm doch abgewonnen. Sam weiß das gut, der war ja auch dabei.
Sam hat ja selbst fünf Pesos dabei verloren. Er hat sich ja mit in die
Wette hineingedrängt.“

Das wurde jetzt eine merkwürdige Geschichte.

„Sam, ich und der Indianer, wir sind zusammen vom Hause fortgegangen.
Gonzalo wollte zurückbleiben und sich gut ausschlafen. Ich bin mit Sam
bis Celaya gefahren. Sam ist dann weiter gefahren bis hierher nach
Oaxaca und ich bin hierher teils gelaufen, teils habe ich ein paar
Strecken mit den Zügen blind gemacht.“

Was Antonio sagte, klang wahr. Außerdem hatte er Sam als Zeugen. Und daß
Antonio diese weite Strecke von Celaya zurückgeeilt sein sollte, um
Gonzalo zu ermorden, war ganz und gar unwahrscheinlich. Sein Geld hatte
er ihm ja abgewonnen, ehrlich, Sam war Zeuge. Irgendeinen Wertgegenstand
besaß Gonzalo nicht. Wir kannten jeder den ganzen Tascheninhalt des
anderen; und auf dem Leibe konnte auch niemand etwas verbergen, wir
liefen ja immer dreiviertel nackt herum. Da war nichts Verdächtiges
übrig, Antonio war unschuldig.

„Na, lieber Antonio,“ sagte ich, „da bitte ich Sie herzlich um
Verzeihung, weil ich geglaubt habe, Sie könnten am Morde oder Tode des
Gonzalo schuldig sein.“

„Macht nichts, Gale,“ antwortete er gemütlich, „nehme ich Ihnen nicht
übel; aber ich hätte doch gedacht, Sie würden nicht gleich das Böseste
von mir denken. Ich habe doch nie jemand irgendeine Ursache hierfür
gegeben.“

„Das ist wahr. Das haben Sie nicht,“ sagte ich darauf. „Aber sehen Sie,
die Umstände waren so merkwürdig auf Sie gerichtet. Sie und Sam waren
die legen mit Gonzalo im Hause. Gonzalo hat, wenn er, wie Sie sagen,
nicht mit Ihnen gegangen ist, das Haus nicht mehr verlassen. Er ist
darin ermordet worden. Mr. Shine sagte mir, daß, seit Sie fortgegangen
seien, niemand sonst dort herum war. Es gibt ja nichts zu stehlen da und
ein Weg, der jemand zufällig dahin bringen könnte, führt auch nicht
vorbei. Ich bin noch mal oben gewesen, weil ich dort auf Bescheid von
einem Oelcamp warten mußte. Rein aus Neugierde geriet ich in das Haus
und fand Gonzalo tot. Er hatte mehrere Wunden von Messerstichen, die
gefährlichste war ein Lungenstich in der linken Brust, an dem Stich ist
er offenbar verblutet.“

Als ich das von den Wunden so langsam erzählte, ging in Antonio eine
erschütternde Veränderung vor sich. Er wurde leichenblaß, starrte mich
mit entsetzten Augen an, bewegte die Lippen und schluckte und schluckte,
konnte aber kein Wort hervorbringen. Mit der linken Hand arbeitete er an
seinem Gesicht und an seinem Halse, als ob er sich das Fleisch
herunterreißen wollte, während er mit der rechten Hand wie im Traum nach
meiner Schulter und nach meiner Brust tastete als ob er sich
vergewissern müsse, daß da jemand sitze oder ob das nur eine
Wahnvorstellung sei.

Ich wußte nicht, was ich aus all dem machen sollte. Ich konnte mir jetzt
überhaupt nichts mehr erklären. In Antonio zeigte sich plötzlich das
ganze Schuldbewußtsein eines Menschen, dem seine Tat mit allen ihren
Folgen klar zu werden beginnt. Und eben noch hatte er gelacht, als ich
ihn des Mordes an Gonzalo verdächtigte. Wie sollte ich mir ein solches
Verhalten zurecht legen, um darüber nicht selbst meine Gedanken zu
verschlingern und mir vielleicht gar noch einzuträumen, daß ich selbst
Gonzalo erschlagen habe!


                                  16.

Die Lampen im Park flammten auf. Es war halb sieben und wir hatten Ende
August.

Die Nacht war blitzschnell über uns hereingebrochen in der kurzen
Zeitspanne, wo der Kampf in Antonio begann. Denn es war im hellen
Tageslicht gewesen, daß ich sein Gesicht offen und unbefangen zuletzt
gesehen hatte. Und nun deckte die Nacht das in seinem Gesicht zu, was
für mich der nackte, der natürliche, der wahre, der unverschleierte
Mensch Antonio war. Das, was für mich ein unvergeßliches Ereignis hatte
werden sollen, die Züge und Gesten eines Menschen zu studieren, den die
finstersten Mächte überfallen haben, ihn schütteln und rütteln und jedes
Härchen und jede Pore an seinem Körper in Aufruhr versetzen, wurde mir
nun durch die grellen Lampen zerstört, die in das Gesicht Antonios
Schatten und Linien hineinlogen, die in Wahrheit nicht darinnen waren.

Wahrheit allein war sein heißes Atmen und Wahrheit waren seine tastenden
und krallenden Finger. Alles andere wurde Rampenlicht.

Auf der Nebenbank saß ein indianischer Arbeiter; zerlumpt wie
Zehntausende unserer Klasse, weil der Lohn kaum für das Essen reicht,
häufig nichts übrig bleibt für eine Dreißig-Centavos-Pritsche in einem
der vielen Schlafhäuser, wo sich morgens fünfzig oder achtzig oder
hundert Schlafgenossen aller Rassen der Erde, behaftet mit vielleicht
ebensoviel oder mehr Krankheiten, die von den Aerzten gekannt und auch
nicht gekannt oder nicht einmal erahnt sind, alle in demselben einen
Wascheimer waschen, alle an demselben Handtuch abtrocknen, Männer,
Frauen und Kinder, im Alter von zwei Wochen bis zu hundertundfünf
Jahren. Ehemalige Herzöge, Lords, Generale, Professoren, Philosophen,
Erfinder, Entdecker, Geistliche, Ingenieure, Bankdirektoren, Bankräuber,
Bankmörder, Dirnen und was sonst noch die Welt an Berufen hervorbringt
und wieder vernichtet.

Der Arbeiter, ein Indianer, war auf der Bank eingeschlafen. Seine
Glieder entspannten und der ermüdete und abgearbeitete Körper sank zu
einem Häuflein Lumpen mehr und mehr zusammen.

Da schlich sich ein indianischer Polizist heran. Er umkreiste die Bank
wie ein Raubvogel seine Beute, die er aus seiner Höhe auf dem Erdboden
kriechen sieht. Dann, als der Polizist wieder an der Rückseite der Bank
war, zog er seine Lederpeitsche durch die Hand und hieb mit
bestialischer Brutalität und mit einem tückischen Grinsen auf dem
Gesicht dem Arbeiter die Peitsche über den Rücken. Ein furchtbarer Hieb.
Mit einem unterdrückten ächzenden Schrei fiel der Oberkörper des
Indianer kurz nach vorn über als habe man ihm den Rücken mit einem
Schwert durchschnitten. Dann aber schnellte der Körper rasch nach hinten
und sich mit einem Gestöhn windend, griff der Arme langsam mit der Hand
nach dem gemarterten Rücken. Der Polizist trat jetzt nach vorn und
grinste den Arbeiter mit einer teuflischen Grimasse an. Dem Gepeinigten
liefen vor Schmerzen dicke Tränen über das Gesicht. Aber er sagte
nichts. Er stand nicht auf. Er blieb ruhig auf der Bank sitzen. Denn das
war sein Recht. Sitzen durfte er auf der Bank, er mochte noch so
zerlumpt sein, es mochten noch so viele elegante Caballeros und Sennoras
herumirren, um die Kühle des Abends auf einer der bequemen Bänke zu
genießen und dem Konzert zuzuhören, das bald beginnen würde. Der
Indianer wußte, er war der Bewohner und der Bürger eines freien Landes,
wo der Millionär nicht mehr Recht hat, auf dieser Bank zu sitzen und
wäre es vierundzwanzig Stunden lang, als der arme Indianer. Aber
schlafen durfte er nicht auf der Bank. Soweit ging die Freiheit nicht,
obgleich die Bank auf dem „Platze der Freiheit“ stand. Es war die
Freiheit, wo derjenige, der die Autorität besitzt, den peitschen darf,
der die Autorität nicht hat. Der uralte Gegensatz zweier Welten. Uralt
wie die Geschichte von der Herauspeitschung aus dem Paradiese. Der
uralte Gegensatz zwischen der Polizei und den Mühseligen und Beladenen
und Hungernden und Schlafbedürftigen. Der Indianer war im Unrecht, das
wußte er wohl, deshalb sagte er nichts, sondern stöhnte nur. Satan oder
Gabriel – dieser hier hielt sich für das zweite – war im Recht.

Nein! Er war nicht im Recht! Nein! Nein! Nein!

Mir stieg das Blut zu Kopfe.

In allen Ländern der hohen Zivilisation, in England, in Deutschland, in
Amerika und erst recht in den übrigen Ländern ist es die Polizei, die
peitscht und ist es der Arbeiter, der gepeitscht wird. Und da wundert
sich dann der, der zufrieden an der Futterkrippe sitzt, wenn plötzlich
an der Krippe gerüttelt wird, wenn die Krippe plötzlich umgeschleudert
wird und alles in Scherben geht. Aber ich wundere mich nicht. Eine
Schußwunde vernarbt. Ein Peitschenhieb vernarbt nie. Er frißt sich immer
tiefer in das Fleisch, trifft das Herz und endlich das Hirn und löst den
Schrei aus, der die Erde erbeben läßt. Der Schrei: „Rache!“ Warum ist
Rußland in den Händen der Bolsches? Weil dort vor dieser Zeit am meisten
gepeitscht wurde. Die Peitsche der Polizisten ebnet den Weg für die
Heranstürmenden, deren Schritte Welten erdröhnen und Systeme explodieren
macht.

Wehe den Zufriedenen, wenn die Gepeitschten „Rache“ schreien!

Wehe den Satten, wenn die Peitschenstriemen das Herz der Hungernden
zerfressen und das Hirn der Geduldigen auseinanderreißen!

Man zwang mich, Rebell zu sein und Revolutionär.

Revolutionär aus Liebe zur Gerechtigkeit, aus Hilfsbereitschaft für die
Beladenen und Zerlumpten. Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit sehen zu
müssen, macht ebensoviele Revolutionäre wie Unzufriedenheit oder Hunger.

Ich sprang auf und ging zu der Bank, wo immer noch der Polizist stand,
die Peitsche durch die Hand ziehend, sie ab und zu durch die Luft
pfeifen lassend und mit funkelnden Augen auf sein sich windendes Opfer
grinsend.

Er nahm keine Notiz von mir, weil er glaubte, ich wolle mich auf die
Bank setzen.

Ich ging aber dicht auf ihn zu und sagte: „Führen Sie mich sofort zur
Wache. Ich werde Sie zur Meldung bringen. Sie wissen, daß Ihre
Instruktion Ihnen nur das Recht gibt, sich der Peitsche zu bedienen,
falls Sie angegriffen werden oder bei Straßenaufläufen nach wiederholtem
Aufruf. Das wissen Sie doch?“

„Aber der Hund hat hier auf der Bank geschlafen,“ verteidigte sich der
kleine braune Teufel, der kaum höher war als fünf Fuß.

„Dann durften Sie ihn wecken und ihm sagen, daß er hier zu dieser Zeit
nicht schlafen dürfe und wenn er wieder einschlafen sollte, durften Sie
ihn von der Bank verweisen, aber auf keinen Fall durften Sie ihn
schlagen. Also, kommen Sie mit zur Wache. Von morgen ab werden Sie keine
Möglichkeit mehr haben, jemand zu peitschen.“

Der Bursche sah mich eine Weile an, sah, daß ich ein Weißer war und sah,
daß ich es im Ernst sagte. Er hing die Peitsche an den Haken in seinem
Gürtel und mit einem schnellen Satz war er verschwunden, als habe ihn
die Erde verschluckt.

Der Indianer stand auf und ging langsam seiner Wege.

Ich schlenderte zurück zu Antonio.

Mörder hin, Mörder her! dachte ich. Es ist ja alles egal. Alles ist
Busch. Ueberall ist Busch. Friß! oder du wirst gefressen! Die Fliege von
der Spinne, die Spinne vom Vogel, der Vogel von der Schlange, die
Schlange vom Coyotl, der Coyotl von der Tarantel, die Tarantel vom
Vogel, der Vogel vom – – – Immer im Kreise herum. Bis eine
Erdkatastrophe kommt oder eine Revolution und der Kreis von Neuem
beginnt, nur anders herum.

Antonio, du hast ganz recht gehabt! Du bist im Recht! Der Lebende hat
immer recht! Du bist im recht! Der Tote ist schuld. Hättest du nicht
Gonzalo ermordet, hätte er dich ermordet. Vielleicht. Nein sicher. Es
ist der Kreis im Busch. Man lernt es so schnell im Busch. Das Beispiel
ist zu häufig und die ganze Zivilisation der Menschen ist ja nichts
anderes als die natürliche Folge seiner bewundernswerten
Nachahmungsfähigkeit.


                                  17.

„Nein!“ sagte Antonio, ruhiger geworden, „es war ganz bestimmt nicht
meine Absicht, Gonzalo zu töten. Er hätte mich genau so gut treffen
können. Glauben Sie mir doch, oh, ^amigo mio^! Ich bin nicht schuld an
seinem Tode.“

„Ich weiß, Antonio. Es konnte Sie treffen. Es kann Sie heute abend noch
treffen. Es ist der Busch, der uns alle am Kragen hat und mit uns macht,
was er will.“

„Ja!“ sagte er, „Sie haben recht, Gale, es ist der Busch. Hier in der
Stadt wären wir auf so eine verrückte Idee gar nicht verfallen. Aber da
singt der Busch die ganze Nacht, da schreit ein Fasan seinen
Todesschrei, wenn er gepackt wird, da heult der Cougar auf seinem
Mordwege. Alles ist Blut, alles ist Kampf. Im Busch sind die Zähne, bei
uns sind es die Messer. Aber es war nur Scherz, nur der reine Spaß.
Wirklich nur Spaß. Nichts weiter.

Ob es nun die Würfel sind, oder die Karten, oder das Rädchen, oder die
Messer! Wir hatten keiner so viel Geld übrig nach siebenwöchiger Arbeit
wie wir brauchten, um aus dieser verlassenen Gegend fortzukommen und was
anderes aufzusuchen.

Wir hatten ziemlich gleich viel Geld. Gonzalo hatte etwas über zwanzig
Pesos, ich hatte fünfundzwanzig.

Es war am Sonntag abend. Montag früh wollten wir gehen.

Abraham war schon ein paar Tage fort, auch Charly war gegangen. Sie
waren auch nicht mehr da. Wir waren nur noch drei, Gonzalo, Sam und ich.

Wir zählten unser Geld auf dem Erdboden. Wir hatten jeder Goldstücke,
das Kleine in Silber.

Und als das Geld nun da vor uns auf dem Erdboden lag, kaum zu sehen bei
dem Schein unseres Feuers, da fing Gonzalo an zu fluchen.

Er sagte: „Was tu ich mit den paar lausigen Kröten? Da hat man nun
sieben Wochen geschuftet wie ein verrückter Negersklave, in der Glut,
von früh um vier bis Sonnenuntergang, dann heim. Und dann abgerackert,
daß man kaum noch einen Knochen rühren kann, noch den elenden Fraß zu
kochen und runterzuwürgen. Keinen Sonntag gehabt, kein Vergnügen, keine
Musik, kein Tanz, kein Mädchen, keinen Schnaps und den schlechtesten
Tabak. Was soll ich mit dem Lausedreck da anfangen?“

Dabei schob er mit dem Fuß das Geld fort.

„Mein Hemd ist in Fetzen,“ schimpfte er weiter, „meine Hose ein Lumpen,
meine Stiefel, guck’ sie dir an, Antonio, keine Sohle, kein Oberleder,
kein Nischt, sogar die Riemen sind zwanzigmal geknotet. Und nischt
bleibt übrig und geschuftet wie ein Pferd. Ja, wären es wenigstens
vierzig Pesos!“

Als er das sagte, heiterte sich sein Gesicht auf.

„Mit vierzig Pesos,“ sagte er, „käme ich zurecht. Könnte nach Mexico
Capitale fahren, mir neue Lumpen kaufen, damit man auch anständig
aussieht, wenn man zu einem Mädchen „Buenos tardes!“ sagen will. Und man
hat noch ein paar Pesos übrig, um es ein paar Tage auszuhalten.“

„Du hast recht, Gonzalo,“ sagte ich nun, „die vierzig Pesos sind es auch
gerade, die ich haben müßte, um wenigstens das Notdürftigste zu kaufen.“

„Weißt du was?“ sagte darauf Gonzalo, „laß uns um das Geld spielen.
Keiner von uns kann mit den paar Dreckgroschen etwas Rechtes anfangen.
Wenn du mein Geld noch dazu bekommst oder ich das deine, dann kann doch
einer von uns wenigstens etwas werden, denn so, wie es jetzt ist, ist
jeder ein Bettler. Diese paar Groschen versäuft man doch gleich auf den
ersten Sitz aus lauter Wut, daß man umsonst geschuftet hat.“

„Die Idee von Gonzalo war nicht schlecht,“ erzählte Antonio weiter. „Ich
hätte mein Geld auch gleich versoffen. Wenn man mit dem gottverfluchten
Tequila erst einmal anfängt, hört man nicht eher auf, bis der
letzte Centavos verwichst ist. Das geht dann durch, besoffen,
nüchtern-besoffen, nüchtern-besoffen immerfort bis alles hin ist. Und
was man nicht selber durch die Gurgel rasselt, da helfen dann die
Mitsäufer, und der Wirt beschwindelt einen ums Dreifache, und der
schäbige Rest wird einem aus der Tasche gestohlen. Das kennen Sie doch,
Gale?“

Und ob ich das kannte! Ob ich den Tequila kannte, der einem die Kehle
zerreißt, daß man sich nach jedem Glas schütteln muß und schnell ein
paar eingemachte Bohnen, die einem der kluge Wirt mit einem spitzen
Hölzchen zum Aufspießen hinstellt, hinterher schlucken muß, um den
Petroleumgeschmack los zu werden. Aber man trinkt in einem fort wie
besessen, als ob man behext wäre oder als ob dieser Rachenzerreißer ein
Zaubertrank wäre, den man aus irgendeinem mysteriösen Grunde durch die
Kehle jagen muß, ohne ihn mit der Zunge zu betasten. Und wenn man dann
endlich glaubt, genug zu haben, hat man weder Hirn, noch Körper, noch
Blut. Man hört auf zu existieren. Das Daseinsbewußtsein verlöscht
vollständig. Alles ist fortgewischt. Sorgen, Leid, Aerger, Zorn. Uebrig
bleibt nur das absolute Nichts. Welt und Ich sind verweht. Nicht einmal
Nebel bleibt.“

Antonio brütete eine Weile vor sich hin wie in der Erinnerung suchend.
Dann fuhr er in seiner Erzählung fort: „Wir hatten keine Karten und
keine Würfel. Wir zogen Hölzchen. Aber der gesetzte Peso ging immer hin
und zurück. Es wurden nie mehr als fünf Pesos, die aus der einen Tasche
zur anderen gingen. Sam spielte auch mit, und auch sein Geld wechselte
nicht von Haus zu Haus.

Es war nun schon ziemlich spät in der Nacht geworden. Vielleicht zehn
oder elf Uhr.

Da wurde Gonzalo wütend und fluchte wie ein Wilder, jetzt habe er genug
von diesem Kinderspiel, jetzt wolle er endlich wissen, woran er morgen
früh sei.

„Ja, weißt du denn einen anderen Vorschlag?“ sagte ich zu ihm.

„Nein!“ erwiderte er, „das ist es ja gerade, was mich so wütend macht.
Wir albern hier herum wie die kleinen Kinder, ohne zu einem Ende zu
kommen. Immer hin und her. Es ist zum verrückt werden!“

Dann als er eine Weile beim Feuer gehockt hatte, in die Glut starrend,
sich eine Zigarette nach der anderen drehend und jede kaum angeraucht
ins Feuer warf, sagte er plötzlich aufspringend: „Jetzt weiß ich, was
wir tun. Wir machen ein Azteken-Duell um die ganze Summe.“

„Ein Azteken-Duell?“ fragte ich. „Was ist denn das?“

Gonzalo war aztekischer Abstammung. Er war aus Huehuetoca, und seine
Vorfahren waren einst Caciques gewesen. Das ist so etwas wie Heerführer
und Statthalter. Die Erinnerung an solche Adelsfamilien wird auf dem
Lande durch Tradition festgehalten, so gut festgehalten, daß sehr selten
ein Irrtum unterläuft.

„Ja, weißt du denn das nicht, was das ist, ein Azteken-Duell?“ sagte
Gonzalo erstaunt.

„Nein,“ gab ich zur Antwort, „wie sollte ich denn? Wir sind doch
spanischer Abkunft, wenn wir auch schon mehr als zweihundert Jahre hier
sind, Vaters und Mutters Seite. Aber von einem Azteken-Duell habe ich
nie gehört.“

„Aber das ist ganz einfach,“ sagte Gonzalo. „Wir nehmen zwei junge,
gerade gewachsene Bäumchen, binden oben unsere Messer fest daran und
werfen sie dann gegenseitig auf einander los, bis der eine aus Ermattung
nachgeben muß. Einer von beiden muß ja zuerst ermüden. Und wer stehen
bleibt, hat gewonnen, der kriegt dann das ganze Geld. Dann kommen wir
doch wenigstens zu einem Ende.“

Ich überlegte mir das eine Weile, denn es schien mir eine ganz verrückte
Idee zu sein.

„Du hast doch nicht Angst, Spanier!“ lachte Gonzalo.

Und weil in seinen Worten so ein merkwürdiger Ton von Verhöhnung lag,
brauste ich auf:

„Angst vor dir? Vor einem Indianer? Ein Spanier hat nie Angst! Das will
ich dir gleich beweisen. Los zum Azteken-Duell!“


                                  18.

Wir nahmen ein flammendes Holzscheit vom Feuer und krochen im Busch
herum, bis wir zwei passende Stämmchen gefunden hatten.

Sam wurde beauftragt, genügend Holz heranzuschleppen, damit wir ein
tüchtig Feuer bekämen, um im Kampfe auch Ziellicht zu haben.

Wir befreiten die Stämmchen von den Aesten und banden oben unsere
aufgeklappten spitzen Taschenmesser fest an.

„Selbstverständlich lassen wir nicht die ganze Messerklinge überstehen,“
sagte Gonzalo. „Denn wir wollen uns ja nicht ermorden. Es ist ja nur um
das Spiel. Das Messer braucht nicht weiter überstehen, als der halbe
kleine Finger. So, das ist gut!“ fügte er hinzu, meinen Speer
betrachtend. „Jetzt binden wir unten noch ein Stück Holz an, um dem
Speer ein richtiges Schaftgewicht zu geben, damit er nicht flattert.“

Dann umwickelten wir unseren linken Arm mit Gras und einem Sack, um ein
Abwehrschild zu haben. „Denn,“ erklärte Gonzalo, „der Schild ist
wichtig. Das ist ja eben gerade das Vergnügen, aufzufangen und
abzuwehren.“

Als wir mit allem fertig waren, sagte Sam: „Ja und ich? Soll ich
vielleicht nur zugucken? Ich will auch mitspielen.“

Der Chino hatte recht. Für seine Mühewaltung als Verwahrer der
Spielsumme und als Zeuge mußte er seinen Lohn haben. Sie wissen ja,
Gale, was für Spielratten die Chinos sind. Die würden die Frachtkosten
für ihren Leichnam verspielen, wenn ihnen das nicht gegen alle Moral
ginge.

„Ho!“ sagte Gonzalo zu Sam, „Du kannst ja auf einen von uns wetten.“

„Fein,“ erwiderte Sam, „dann wette ich auf dich, Gonzalo. Fünf Pesos.
Wenn du gewinnst, bekomme ich von dir fünf Pesos und wenn du verlierst,
kliegst du von mir fünf Pesos. Du hast ja kein Intelesse zu verlielen,
weil du dann deine zwanzig Pesos los würdest.“

Wir deponierten jeder unsere zwanzig Pesos, die Sam vor sich auf einen
Stein legte und dann legte er selbst seine fünf Pesos Wetteinsatz hinzu.

Sam schritt fünfundzwanzig Schritte ab und wir legten jeder ein langes
Stück Holz an die Marken, die keiner der Kämpfer überschreiten durfte,
wenn er nicht sofort fünf Pesos an den anderen verlieren wollte.

Dann warfen wir die Speere aufeinander los. Zum Rückwerfen benutzte
jeder den Speer des anderen.

Bei dem flackernden, ab und zu qualmenden Feuer konnte ich Gonzalo nur
in Umrissen sehen und den Speer, wenn er auf einen zugeflogen kam,
konnte man beinahe gar nicht sehen, denn rund herum war ja stockdunkle
Nacht.

Gleich beim zweiten Gang bekam ich einen Stich in die rechte Schulter.
Sie können hier die Wunde noch sehen, Gale.

Dabei zog er sein Hemd von der Schulter und ich sah den Stich noch
unvernarbt.

Nach und nach kamen wir in Bewegung oder eigentlich in Aufregung. Ich
bekam nach einigen weiteren Gängen noch einen Stich, der mir durch die
Hose ins Bein ging. Aber ich konnte ganz gut aushalten.

Wie lange wir warfen, weiß ich nicht. Aber weil keiner nachgeben wollte,
wurde das Tempo immer rascher. Es kam so mittlerweile ein gutes Stück
Wildheit in die Sache und jemand, der uns jetzt beobachtet hätte, würde
niemals geglaubt haben, daß es nur ein Spiel sei.

Vielleicht warfen wir eine Viertelstunde, vielleicht eine halbe. Ich
weiß es nicht. Ich wußte auch nicht, ob ich Gonzalo überhaupt schon
einmal ernsthaft getroffen hatte oder nicht. Aber ich fing dann doch an,
müde zu werden. Der Speer wurde mir bald so schwer als ob er zwanzig
Kilo wiege und das Werfen wurde langsamer bei mir. Ich konnte mich bald
kaum noch bücken, um den Speer aufzuheben und einmal wäre ich beim
Niederbücken beinahe zusammengesunken. Aber ich hatte doch das Gefühl,
ich darf nicht niedersinken, sonst kann ich bestimmt nicht mehr
aufstehen.

Gonzalo konnte ich nicht mehr sehen. Ich konnte überhaupt nichts mehr
sehen. Ich warf den Speer immer nur in der Richtung, in der ich ihn
bisher geworfen hatte und wo Gonzalo stehen mußte. Es wurde mir ganz
gleichgültig, ob ich ihn traf oder nicht. Ich wollte nur nicht zuerst
aufhören. Und weil von drüben immer wieder der Speer kam, warf ich ihn
eben immer wieder zurück.

Plötzlich, als das Feuer einmal hell aufflammte, sah ich, daß Gonzalo
sich umdrehte, um den Speer zu suchen, der offenbar weit an ihm vorbei
geflogen war. Er ging ein paar Schritte zurück, fand den Speer, hob ihn
auf und als er sich mir zuwandte, um ihn zu werfen, sank er auf einmal
so heftig in die Knie, als habe ihn jemand mit großer Wucht
niedergeschlagen.

Ich warf meinen Speer, den ich in der Hand hatte, nicht, weil ich froh
war, ihn zu stellen und mich darauf zu stützen, sonst wäre ich
umgefallen. Wenn Gonzalo jetzt aufgestanden wäre und geworfen hätte, ich
hätte meinen Arm nicht mehr heben können, um zu erwidern.

Aber Gonzalo blieb in die Knie gesunken.

Sam lief hin zu ihm und rief dann: „Jetzt habe ich meine fünf Pesos
verlolen. Antonio, Sie haben gewonnen. Gonzalo gibt auf.“

Ich schleppte mich zu einer Kiste am Feuer, hatte aber nicht mehr die
Kraft, mich drauf zu setzen. Ich sank neben der Kiste auf den Boden.

Sam führte Gonzalo schleifend zum Feuer und gab ihm Wasser, das er
gierig hinuntergoß. Ich sah jetzt, daß seine nackte Brust blutig war.
Aber ich hatte für nichts mehr Interesse. Mir fiel der Kopf schläfrig
auf die Brust und als ich gleichgültig die Augen aufschlug, bemerkte
ich, daß mein Hemd und meine Brust ebenso voll Blut waren, wie die
Gonzalos. Aber ich legte keinen Wert darauf. Es war mir alles egal.

Sam brachte mir die vierzig Pesos und schob sie mir in die Hosentasche.
Ich hatte das Empfinden, als ob das alles irgendwo in ganz weiter Ferne
geschähe. Wie durch einen Schleier sah ich, daß Sam dem Gonzalo die fünf
Pesos ebenfalls in die Tasche steckte.

So hockten wir wohl eine halbe oder eine ganze Stunde. Das Feuer wurde
kleiner und kleiner.

Da sagte Sam: „Jetzt lege ich mich schlafen.“

Und ich wiederholte diese Worte, als wären sie meine eigenen gewesen:
„Ja, jetzt lege ich mich schlafen.“

Ich sah, wie sich auch Gonzalo erhob und ebenso schwankend und sich
festkrallend wie ich die Leiter zum Hause raufkletterte.

Und als ich mich dort hingeworfen hatte und eben eindämmerte, hörte ich,
wie Gonzalo sagte: „Wenn ihr morgen zeitig geht und ich bin noch nicht
auf, braucht ihr mich nicht wecken. Ich will lange durchschlafen, ich
bin furchtbar müde. Ich fahre ja doch nicht mit euch, ich habe ja kein
Fahrgeld.“

Lange vor Sonnenaufgang stieß mich Sam an. Es war Zeit. Um acht Uhr
abends mußten wir auf der Station sein, sonst verloren wir zwei Tage.

Es war noch stockfinster. Ich konnte nichts in der Hütte sehen. Sah auch
Gonzalo nicht, der noch fest in seiner Ecke schlief.

Wir weckten ihn nicht, sondern ließen ihn ruhig weiterschlafen.

Wir packten rasch unsere Bündel zusammen und als gerade der Tag zu
grauen anfing, gingen wir. Ein paar Schritte weiter trafen wir den
Indianer, der die Hühner kaufen wollte. –

Ja, sehen Sie, Gale, das ist die Geschichte, die wahre Geschichte.“

„Ihr hättet Gonzalo an diesem Morgen auch gar nicht wach gekriegt,“
sagte ich.

„Warum denn nicht?“ fragte Antonio, die Wahrheit schon halb ahnend.

„Weil er bereits tot war!“ –

„Aber das ist die Wahrheit, Gale. Wir können noch gleich jetzt zu Sam
gehen, der weiß es auch.“

„Ist nicht nötig Antonio. Lassen Sie nur sein. Ich glaube es. Es ist die
Wahrheit!“


                                  19.

Die Musik im Park hatte angefangen zu spielen.

Die Ouverture zu Cavalleria rusticana.

Da kam das wehmütige Motiv des Intermezzos.

Klagend und weinend schwebten die Töne über den Plaza. Sie schlangen
sich trauernd um die königlichen Palmen.

Ich schloß die Augen, um die starren elektrischen Lampen nicht sehen zu
müssen.

Aber ich sah Gonzalo auf dem Boden liegen. Vertrocknet. Ausgelöscht aus
den Lebenden und Hoffenden. Seine Hand mit einem Knäuel roher schwarz
verfärbter Baumwolle auf die Brust gepreßt.

Die Baumwolle! –

Antonio hatte mich offenbar eine Zeitlang schon angesehen, ohne daß ich
es bemerkte.

„Warum weinen Sie denn, Gale?“ sagte er da.

„Halten Sie’s Maul!“ rief ich wütend. „Ich glaube Sie sehen Gespenster.
Bilden Sie sich doch keine Dummheiten ein.“

Er schwieg.

„Ach, diese verfluchte Begräbnismusik!“ sagte ich ärgerlich. „Sollen
lieber spielen „Der Graf von Luxemburg“. Es ist ja alles so lustig! Das
ganze Leben ist so lustig!

Begräbnismusik für die Toten! Für die Lebenden schmetternde Fanfaren!
Kommen Sie. Antonio! Es ist Zeit. Wir müssen uns eilen zur Bäckerei.

Seien Sie pünktlich! hat der Meister gesagt.“


                     Anmerkungen zur Transkription

Diese Erstveröffentlichung der „Baumwollpflücker“ wurde vom 21. Juni bis
zum 16. Juli 1925 im „Vorwärts“, Berlin, in 22 Folgen gedruckt:

                          1.   21.  Juni,  S. 5
                          2.   23.  Juni,  S. 5
                          3.   24.  Juni,  S. 5
                          4.   25.  Juni,  S. 5
                          5.   26.  Juni,  S. 5
                          6.   27.  Juni,  S. 5
                          7.   28.  Juni,  S. 5
                          8.   30.  Juni,  S. 5
                          9.    1.  Juli,  S. 5
                         10.    2.  Juli,  S. 5
                         11.    3.  Juli,  S. 5
                         12.    4.  Juli,  S. 5
                         13.    5.  Juli,  S. 5
                         14.    7.  Juli,  S. 5
                         15.    8.  Juli,  S. 5
                         16.    9.  Juli,  S. 5
                         17.   10.  Juli,  S. 5
                         18.   11.  Juli,  S. 5
                         19.   12.  Juli,  S. 5
                         20.   14.  Juli,  S. 5
                         21.   15.  Juli,  S. 6
                         22.   16.  Juli,  S. 5

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen, teilweise unter Zuhilfename der Buchausgabe von 1926, sind
hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [Folge 1]:
   ... anfangen können. Wir fühlten uns alle drei so wohl wie drei ...
   ... anfangen können. Wir fühlten uns alle vier so wohl wie vier ...

   [Folge 3]:
   ... gehörte, stahl. Wir nehmen ihm den Raub wieder ab, bevor ...
   ... gehörte, stahl. Wir nahmen ihm den Raub wieder ab, bevor ...

   [Folge 3]:
   ... daß wir auch nicht glauben, daß ein amerikanisches
       Kanonenboot ...
   ... daß wir auch nicht glaubten, daß ein amerikanisches
       Kanonenboot ...

   [Folge 4]:
   ... Schlafpelz spannte. Dann wickelte er sich in ein großes
       Handtuch ...
   ... Schlafplatz spannte. Dann wickelte er sich in ein großes
       Handtuch ...

   [Folge 5]:
   ... immer gleich gepackt voll. Aber nun Sie! Ist kann Sie weder ...
   ... immer gleich gepackt voll. Aber nun Sie! Ich kann Sie weder ...

   [Folge 6]:
   ... leistet, den ein König, ein Milliardär oder ein einfacher
       Landmann ...
   ... leistet, die ein König, ein Milliardär oder ein einfacher
       Landmann ...

   [Folge 7]:
   ... wir es überhaupt jemals fertig gebracht haben, ohne Eier ...
   ... wir es überhaupt jemals fertig gebracht hatten, ohne Eier ...

   [Folge 11]:
   ... „Mag sein, davon verstehe ich nichts,“ wandte Mr. Gale ...
   ... „Mag sein, davon verstehe ich nichts,“ wandte Mr. Shine ...

   [Folge 12]:
   ... Darin ist man hier gewöhnt. ...
   ... Daran ist man hier gewöhnt. ...

   [Folge 12]:
   ... nicht verlassen brauchte; den er war ein beliebter und
       lustiger ...
   ... nicht verlassen brauchte; denn er war ein beliebter und
       lustiger ...

   [Folge 18]:
   ...  Mund und spuckte das Wasser auf den Fußboden. ...
   ...  Mund und Zähne und spuckte das Wasser auf den Fußboden. ...






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE BAUMWOLLPFLÜCKER ***


    

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Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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