Seltsame Käuze : Geschichten aus dem Tierleben

By Arno Marx

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Title: Seltsame Käuze
        Geschichten aus dem Tierleben


Author: Arno Marx

Release date: September 24, 2023 [eBook #71714]

Language: German

Original publication: Stuttgart: Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde (Franck'sche Verlagshandlung), 1914

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SELTSAME KÄUZE ***

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                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1914 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
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                            Seltsame Käuze




                               Arno Marx


                            Seltsame Käuze

                     Geschichten aus dem Tierleben


                            [Illustration]


                 Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
                Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart




Inhaltsverzeichnis


                                     Seite

  Schnüffel, der Igel                    1

  Raben                                  9

  Unser Eisvogel                        17

  Waldkauz                              25

  Ohreulen                              33

  Rothals und Grauwange                 41

  Vom Hecht                             48

  Die Papierburg                        56

  Hermännchen                           64

  Raubritter                            72

  Fasan                                 83

  Neuntöter                             92

  Zwergreiher                          100

  Käuze im Dorfe                       108

  Vom Pionier im Samtrock              115

  Königin Apis                         123

  Hüttenjagd                           132

  Vom Aal                              149

  Haselmaus                            157

  Frau Duftig und ihre Kinder          165




Schnüffel, der Igel


Am Ende des Dorfes, an seiner schönsten Stelle, liegt die Wassermühle.
Der Bach, der lustig über Stock und Stein sprang, dann durch die Felder
eilte und im Dorfteiche seine Glieder ein Weilchen ausruhte, muß durch
ein enges Bett, über Bretter hinweg und unter einem Schützen hindurch
sich zwängen. Zischend und sprudelnd springt er hinunter auf ein großes
Wasserrad, das sich ächzend dreht unter seinem Aufprall. Langsam
und gleichmäßig dreht das große Rad an der Welle, die knirschende
Mahlsteine und klappernde Schüttbretter bewegt. Das Sprudeln und
Zischen, das Brummen und Stampfen, das Klappern und Klingeln, wenn ein
Gang leer läuft, kurz all der dumpfe, eigenartige Mühlenlärm nimmt
Tag und Nacht kein Ende. Doch die Leute in der Mühle vernehmen nichts
davon, und auch der Spitz, der an der Kette wie rasend tobt, wenn ein
fremder Schritt sich nähert, die Hühner auf dem Hofe und die Tauben,
die sich gurrend auf dem Dache herumtreiben, sie alle sind gerade so
an das Geräusch gewöhnt, wie die Mäuse und Ratten, die in dem alten
Mühlgemäuer hausen und ihren Teil von Getreide, Schrot und Kleie
nehmen, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Nur einer hat fortwährend über den Lärm und die Unruhe zu klagen,
gerade wie er sich beschwert, wenn die Jahreszeiten sich ändern, oder
heute, wenn es regnet, und morgen, wenn die Sonne scheint. Will man
den Nörgler, den Griesgram besuchen, so muß man sich einige Schritte
bachabwärts bemühen. Dort steht ein alter, hohler Kopfweidenbaum, der
immer und immer hofft, einmal noch zum Blühen zu kommen, wenn auch
zwanzigmal und öfter schon der habgierige Mensch ihm seine schlanken
Zweige raubte. Unten dicht über dem Boden führt eine Öffnung in den
hohlen Baum, durch die ein dicker Kater bequem durchschlüpfen könnte.
Hier hat der Unzufriedene seine Wohnung. Aus dürrem Laub und trockenen
Grashalmen ist ein sauberes, warmes Nest gebaut worden.

Wollen doch einmal sehen, ob der Bewohner zu sprechen ist. Tastend
fährt ein Stöckchen in den Laubhaufen, jetzt stößt es auf einen
tierischen Körper, und zorniges Fauchen tönt uns entgegen. „Bangemachen
gilt bei uns nicht, Freundchen!“ Weiter tastet der Stock und deutlich
spüren wir ein kratziges, stachliges Etwas im Innern des Nestes. Der
Insasse ist entschieden sehr ungehalten über unsern Eingriff, das
Fauchen klingt ganz zornig, und jetzt wird gar der Stock weggestoßen.
Wir brauchen nicht weiter zu forschen. Daß ein +Igel+ im Baumstumpf
steckt, haben wir ja längst erraten. Schnorrer, der dicke Kater, und
Spitz, der unbestechliche Wächter, sie kennen ihn längst, den alten
Igel Schnüffel, sie kennen alle seine Eigenheiten und wissen auch, wie
es kam, daß der früher so gutmütige und zufriedene Igeljüngling zu
einem alten, grilligen Einsiedler wurde.

Vor vier oder fünf Wintern mag es gewesen sein, da erblickte Schnüffel
unter einem dichten Reisighaufen das Licht der Welt. Gar komisch muß er
damals ausgesehen haben, wenigstens seine Mutter sprach immer davon,
daß er der netteste und hübscheste kleine Igel gewesen wäre, den sie
jemals gesehen hätte. Seine kleine rosige Schnauze und die weißen
Stacheln, die kleinen schwarzen Augen hätten ihn zu einem entzückenden
kleinen Bengel gestempelt. Na ja, seine Mutter, die Frau Swinegel --
den Namen hatte sie von einem weißen Kater aus Norddeutschland, der
Plattdeutsch sprach, erhalten -- war ja eine kreuzbrave Frau, aber in
bezug auf Kinder ein bißchen eitel. Sicher waren seine Geschwister auch
ganz prächtige Kerlchen gewesen, aber weil sie in der Regennacht naß
wurden und starben, hatte Schnüffels Mutter gar keinen Grund, sie lieb
zu haben; ihre ganze Liebe übertrug sie auf den einzigen Überlebenden,
eben Schnüffel. Wie eine halbe Wallnußschale groß war er erst gewesen,
aber erstaunlich rasch wuchs er heran. Sein Haarkleid fing an zu
sprießen, seine Stacheln färbten sich, und auch seine rosenrote
Nase wurde dunkler. Nach vielen vergeblichen Versuchen lernte er es
auch, sein Stachelkleid ruckweise über die Nase herunter zu ziehen,
ja, bald konnte er sich zu einer richtigen Kugel zusammenrollen wie
ein erwachsener Igel. Nun durfte er auch allein ausgehen und selbst
bestimmen, was er essen wollte.

Ach hätte ihn doch seine Mutter etwas straffer in Ordnung gehalten,
dann wäre er vielleicht nie zu seiner trüben Weltanschauung gekommen.

Es war ein wunderschöner Herbsttag. Die Sonne lachte und trocknete
die Spuren, die der Regen von gestern überall zurückgelassen hatte.
Das schöne Wetter lockte Schnüffel, und ohne sich viel um das helle
Licht zu kümmern, trollte er hinüber nach Müllers Garten, um zu sehen,
ob nicht eine reife Butterbirne gefallen wäre. Wirklich lag eine am
Spalier und Schnüffel begann, sie behaglich schmatzend zu verzehren. Da
raschelt es plötzlich. Mit einem Ruck zog er seine Stachelhaut über den
Kopf und gerade zur rechten Zeit. Schnüffel fühlte, wie etwas heftig
an seine Stacheln stieß und dann knurrend zurückfuhr. „Aha, ein Hund“,
dachte er, „na, dann hole dir nur eine blutige Nase, ich habe Zeit,
bis du es satt hast“. „Wau, wau, waau, wäwäwäwä“, jaulte der Hund und
fuhr rasend vor Wut immer und immer wieder auf den Stachelklumpen los.
Wohl eine halbe Stunde währte der Lärm, und Schnüffels empfindliche
Ohren waren fast taub davon geworden, und ein dumpfes Brummen in seinem
Schädel setzte ein. Endlich hatte der Hund sein Kläffen selber satt.
„Das wurde Zeit, sonst wäre ich wohl noch krank geworden von dem Lärm“,
dachte Schnüffel, rollte sich auf und wollte sich eiligst aus dem
Staube machen. Da ging es „Schnapp“, und wie ein feuriger Funken fuhr
es dem Igel über die Nase. Der Hund hatte stumm dagelegen und dann dem
Igel nach der Nase geschnappt. Bis zur Dunkelheit lag nun Schnüffel
fest zusammengerollt da. Ein Glück, daß der Hund einen Augenblick zu
zeitig zugefahren war, sonst hätte wohl die Wunde dem Stachelhelden den
Tod gebracht, so kam er mit einer runzligen Narbe und dem Schrecken
davon.

Die Wunde auf der Stirn verlieh Schnüffels Gesicht etwas Mürrisches,
und auch sein Charakter verlor allmählich die Gemütlichkeit, wie sie
sonst bei der Sippe Igel die Regel ist. Schnüffel wurde zum Nörgler.
Wenn ihm, was selten genug vorkam, ein dicker Mistkäfer vor der Nase
wegflog, faßte er das als persönliche Tücke des Schicksals auf.
Geradezu unverschämt fand er die Geschwindigkeit der Mäuse, und rächte
sich, wenn er eine überrumpeln konnte. Ging er in den Garten, um wie
allabendlich seine Fallbirnen zu holen und fand die Früchte schon
gepflückt, dann konnte er lange Selbstgespräche halten und über die
Schlechtigkeit der Menschen schimpfen, die ihm seine Birnen gestohlen
hatten. Den Menschen und ihrer Mißgunst schreibt er es zu, wenn es
anfängt, Winter zu werden, ihnen schreibt er auch die Erfindung der
Hunde zu. Überhaupt Hunde! Wenn ihn da einer anbellt, der kann ja auf
eine zerstochene Schnauze gefaßt sein. Es fällt Schnüffel gar nicht
ein, sich völlig zusammenzurollen. Straff zieht er die Stirnhaut zu
einem stachligen Helm zusammen und erwartet unter trommelndem Brummen
seinen Erbfeind. Sobald der Hund ihm zu nahe kommt, stößt er mit einem
raschen Rucke zu und spießt seine Stacheln in die empfindliche Schnauze
des Gegners. Je wütender der Hund wird, desto besonnener verteidigt
sich Schnüffel, bis er schließlich doch das Feld behauptet und der übel
zugerichtete Feind beschämt abzieht.

Schnüffel ist stolz auf seine Kühnheit, Hunden gegenüber; aber auch
sonst gibt es Gelegenheit genug, zu zeigen, daß unter seinem stachligen
Fell ein tapferes Herz wohnt. Gar manche Ratte, vor der auch Schnorrers
tapferes Katerherz ängstlich zu werden begann, ist unter seinem Biß
verblutet. Zufassen und nicht loslassen ist die Hauptsache bei der
Rattenjagd, und dann schnell wie der Blitz das Stachelvisier herunter,
dann kann die erfaßte Ratte rasen und beißen wie sie will. Wenn sie
sich dann jämmerlich zerstochen und mattgetobt hat, dann kann ein
zweiter und nach einer Weile ein dritter und vierter Biß das Opfer
töten, und der Schmaus kann beginnen. Dann ist Schnüffel froh und
zufrieden, bis das Mahl beendet ist.

Die ritterlichsten Kämpfe gibt es aber doch im Frühjahr, wenn die Liebe
an das Igelherz rührt. Dann zieht Schnüffel hinaus in den Wald, um sich
eine oder auch einige Schöne zu suchen; denn betreffs ehelicher Treue
nimmt er es nicht sonderlich genau. Zwar versuchen die rechtmäßigen
Liebhaber den unliebsamen Eindringling mit der Stirnnarbe zu vertreiben
und ihre angestammten Rechte zu behaupten, aber ohne Erfolg. Keiner
kann so wuchtige Schläge mit dem Stachelhelm austeilen wie Schnüffel,
keiner kann wie er jede Blöße des Gegners zu einem raschen Bisse
benutzen. Hat er dann der Minne Sold genossen, dann hat er nichts
dagegen, wenn der frühere Galan wieder an seine Stelle tritt, dann eilt
er weiter, um neue Abenteuer zu bestehen.

Doch nicht nur Liebeskämpfe, auch andere Sträuße besteht Schnüffel
auf seinen Frühjahrsfahrten. Just um die gleiche Zeit, Anfang April,
erwachen auch die Kreuzottern aus ihrer winterlichen Erstarrung und
kriechen heraus, um Sonnenbäder zu nehmen. Wenn eine aber Schnüffel in
die Quere kommt, kann sie ihr Testament machen. Zwar giftfest ist er
nicht, aber er verläßt sich auf sein Kleid, klappt den Helm vor und
beißt das giftige Reptil einfach tot, um es dann zu verzehren.

Im Frühjahr hält Schnüffel überhaupt auf kräftige Kost. Wenn man vom
November bis zum März rein gar nichts genießt, dann bleibt auch beim
sparsamsten Atmen von den Fettpolstern des Herbstes nichts übrig. Dann
schlittert die Haut um den Körper, aus dem fetten Schweinigel des
Herbstes ist ein dürrer Hundeigel geworden. Und dabei ist der Tisch im
Frühjahr durchaus nicht etwa allzu reich gedeckt. Dicke Schnecken gibt
es noch nicht viel, Regenwürmer sind auch nicht häufig zu finden. Gar
viele Mäuse sind in der Nässe des Frühjahrs umgekommen, Eidechsen und
Blindschleichen, Ringelnattern und Kreuzottern muß man am Tage suchen.
Doch Schnüffel leidet trotzdem nicht Not. Jetzt macht er seinem Namen
Ehre und durchschnuppert jeden Winkel nach etwas Genießbarem. Oft
sind es nur Käfer und ihre Larven, die er findet, aber in großer Zahl
machen sie auch satt. Bald fangen auch Rebhühner und Fasanen an, ihre
Eier zu legen, da gibt es oft fette Tage. So ein paar frische Eier
schmecken auch dem Igel gut. Wenn auch beim Ausschlürfen etwas vom
Inhalt verloren geht, na, das schadet nicht viel, dann versucht man
eben seine Zähne an einem andern. Am reichsten aber ist der Tisch in
maikäferreichen Jahren gedeckt, wenn am Morgen die von der Kühle der
Nacht erstarrten Käfer im Grase sitzen. Dann haben die spitzen Zähnchen
Schnüffels fortwährend zu tun, und behaglich schmatzend verzehrt der
Stachelheld einen nach dem andern. Wenn dann das feuchte Näschen noch
eine Maus entdeckt hat, die durch rasches, bolzenartiges Zufahren
erwischt wird oder die aus ihrem flachen Loche ausgescharrt werden
kann, dann ist der Igel so ziemlich mit seinem Schicksal zufrieden.

Bald kommen die warmen Sommernächte, in denen die Kleintierwelt so
zahlreich umherkriecht, das sind Feste für den Igel. Bald muß eine
fette Schnecke, bald ein Regenwurm, dann ein Käfer hinunter in den
Magen, bald wieder wird eine unerfahrene Maus erwischt oder eine
junge Goldammer verspeist, die zu zeitig dem Neste entflogen war. Bei
der reichlichen Kost wird Schnüffel fett, unter seiner Stachelhaut
liegen dicke Fettpolster, und das dicke Bäuchlein scheint am Boden zu
schleifen. Wenn dann der Herbst heranrückt und die Obstsorten reifen
läßt, wendet sich Schnüffel mehr der Pflanzenkost zu. Bald verspeist er
eine saftige Birne, bald eine blaue Pflaume, und dabei wird er immer
fetter.

Wer aber glauben sollte, der alte Igel würde um so gemütlicher und
zufriedener, je dicker er wird, der irrt gewaltig. Der Herbst ist die
Zeit, wo Schnüffel am meisten schimpft. Er klagt, daß die Nächte so
kalt würden und der leckerste Bissen dann keinen Reiz mehr für ihn
hätte. Natürlich sind es die Menschen, denen Schnüffel die Abnahme
der Wärme zuschreibt. Aber er will es sie schon fühlen lassen, nicht
eine Schnecke, nicht eine Maus will er ihnen wegfangen, das mag tun,
wer will, er streikt. Und dann geht er und sammelt abgefallenes Laub.
Ganze Büschel voll schleppt er in den hohlen Weidenstumpf, auch dürres
Gras trägt er dazu und formt ein warmes Nest, in dem er die ungünstige
Jahreszeit verbringt. Wenn einmal Frost und Schnee die Erde in Bann
hält, findet man selten einen Igel außer Versteck, erst die Märzsonne
lockt sie wieder heraus.




Raben


In einem harten Winter hatten sie sich kennen gelernt. Ohne Vorstellung
hatten sie gleich gefühlt, daß sie zusammengehörten, wenn er auch
einen schwarzen Rock trug und sie eine nebelgraue Robe mit schwarzem
Schulterkragen. Schon ihre Mundart hatte so viel Verwandtes, wenn er
auch Rabenkrähensächsisch sprach, wie es in der Elbaue üblich ist,
und sie den Nebelkrähendialekt der Lausitz. Die vielen Saatkrähen, in
deren Gemeinschaft sie sich durch den Winter schlugen, hatten eine ganz
andere Sprache. Zwar ihr Schnabel war länger, spitzer und feiner, aber
ihre Stimme war rauh und grob, wenn sie nicht in Fisteltöne überschlug.
Manchmal gesellten sich auch Dohlen zu ihrer Schar. Bei den Wanderungen
waren die dann an der Spitze und ihr Djah, Djah gab den Weg an.

In einer so gemischten Gesellschaft gab es natürlich oft Zank und
Streit. Da hatte eine alte Saatkrähe mit grindigem Schnabel eine Maus
gehascht, doch die anderen Mitglieder der Gesellschaft suchten sie
ihr abzujagen unter vielem Geschrei und Gekrächz. Bei den dampfenden
Dunghaufen auf den Feldern ging es friedlicher her. Da war für alle
genug zu fressen, ob es nun halbverdaute Haferkörner waren oder ein
Heringskopf oder Wurstschalen. Nur besonders große Bissen erregten
dann den Neid und die Streitlust der andern. Auch die beiden echten
Raben, die Nebelkrähenjungfrau und der Rabenkrähenjüngling, mußten
zunächst manchen Bissen an neidische Gefährten abtreten. Bald aber
merkten sie, daß eigentlich doch ihre Schnäbel die kräftigeren waren,
und nun machten sie selbst oft erfolgreiche Jagd auf fremde Bissen.
Ein besonderes Freudenfest war es für die Raben, wenn ein Stück
Fallwild gefunden wurde oder wenn Reineke Langschwanz, der Fuchs,
einen Hasen gefangen hatte und ihn nun der Dickung zuschleppen wollte.
Hei, das machte Spaß, ihm in jähem Schwunge einen Hieb zu versetzen,
bis er verschüchtert seinen Raub im Stiche ließ und vor den lärmenden
Galgenvögeln die Flucht ergriff. Dann füllten sich die Raben Kropf und
Magen, bis nichts mehr hineinging.

Die Saatkrähen zupften und schlangen wohl auch, aber ihre Kost war das
nicht; denen waren die Körner an der Fasanenfütterung viel lieber,
wenn auch dort manche nach einem wundersam rauchenden Donner in den
Schnee stürzte. Dann kam gewöhnlich ein Mann aus dem Fichtendickicht
mit einem langen Ding in der Hand, nahm die Geschossene und ging seiner
Wege. Dann war laut krächzendes Wehklagen in der Luft, aber lebendig
wurde der Gefährte nicht wieder. Danach war die Fütterung einige Tage
unheimlich und wurde gemieden.

Aber ein anderer reicher Ersatz bot sich dar. Am Waldrande lag ein
Rehkitz, das der Fuchs schon angegangen hatte. Die Bauchhöhle war
geöffnet und den Krähen der Weg zum Mahle leicht gemacht. Unter den
spitzen Schnäbeln schmolz das Wildbret ganz gehörig zusammen, und nur
wenig blieb übrig für den kommenden Tag. Am anderen Morgen war der Rest
noch da, und eilig machten sich die Saatkrähen ans Mahl, während die
vorsichtigen Raben erst von der hohen Fichte aus Umschau hielten nach
dem gefürchteten Grünrock mit der Donnerbüchse.

Auf einmal ertönten laute Schreckensrufe von den am Aase beschäftigten
Verwandten. Eine der jungen Saatkrähen ist soeben beim gierigen Mahle
tot umgesunken. Strichnin hat der Förster auf das bloßgelegte Fleisch
gestreut, jetzt beginnt es zu wirken. Schon liegen zwei weitere
zuckende Opfer auf dem Schnee, entsetzt versuchen alle anderen zu
entfliehen, aber manche stürzt noch in den Schnee. Furchtbar ist
die Wirkung des giftigen Fleisches im leeren Magen, ein Dutzend
der betrogenen Krähen fallen nach wenigen Flügelschlägen zu Boden,
einige vermögen sich noch bis zu den nächsten Bäumen zu flüchten, die
überlebenden aber suchen krächzend das Weite.

Gar harte Tage folgten. Endlich schien die Sonne wärmer, aber die
ersten Tage der Schneeschmelze brachten neue Entbehrungen für den
Krähenschwarm. Der Schnee wurde zähe und naß, in der Nacht fror er
zusammen, und es machte große Mühe, die harte Kruste zu durchbrechen.
In diesen Tagen war die Landstraße mit dem Pferdedung stark besucht,
sogar in die Nähe der Häuser wagten sich die hungrigen Schwarzen und
schlangen die Schweinsborsten und die Hautfetzen gierig hinunter, die
vom letzten Schlachtfest an der Miststelle lagen. Doch die Not wich
einem wahren Festmahle, als Tauwetter kam und allerorts Hochwasser auf
den Wiesen stand. An der Wassergrenze waren Schnecken und Käfer in
Hülle und Fülle angetrieben, und mit wohlgefüllten Kröpfen flogen die
Krähen an diesem Abend nach ihren Schlafplätzen. Am anderen Tage wurde
es noch besser. Das Wasser war zurückgetreten, und in den zahlreichen
Pfützen auf der Wiese waren Hunderte von kleinen Weißfischen
zurückgeblieben, die den Küchenzettel wesentlich bereicherten.

Die schlimmste Zeit war nun überstanden. Nach einigen Wochen kehrten
die Stare aus den Winterquartieren zurück und mischten sich unter
die Krähenscharen. Das war das Zeichen, allmählich in die Brutplätze
einzurücken und zu sehen, was der Winter für Schaden an den Nestern
angerichtet hatte. Die Nebelkrähe und der Rabenjüngling trugen sich mit
Abschiedsgedanken. Sie zog es mit Gewalt ostwärts, wie sie sagte, er
aber wollte in seiner Heimat bleiben, um hier ein Weib zu freien. Am
liebsten wäre ihm ja seine Gefährtin als Gattin gewesen; trug sie auch
ein anderes Kleid, sie war doch eine Artgenossin, und in den gemeinsam
überstandenen Gefahren hatte er hinreichend Gelegenheit gehabt, ihren
Charakter zu beobachten und sich in sie zu verlieben. In gewandtem
Flugspiel, durch Augenverdrehen und Bauchrednereien machte er ihr also
ganz nach Rabenart seine Wünsche klar, -- und er fand Gehör. Ihre
Absicht zu ziehen, war nicht so ernst gewesen. Sie neckte sich mit
ihm im Fluge, sie ging mit ihm zur Nahrungssuche aus, ja sie duldete
es sogar, daß er sich auf dem Schlafbaum an sie schmiegte oder ihr
zärtlich die Kopffedern kraute.

Unter Necken und Spielen trieb sich das Pärchen umher, strich einmal
nach dem Wald, dann wieder suchte es die Feldgehölze ab, bis es
schließlich eine hohle Erle am Bachufer für geeignet zur Anlage
des Horstes hielt. Hierhin schleppten die Krähen zunächst starke,
dann schwächere Zweige und bauten eine feste Unterlage, dann kamen
Gräser und Würzelchen an die Reihe, und innen wurde das Kunstwerk mit
Wildhaaren weich und warm ausgepolstert. Die Raben waren nicht wenig
stolz auf ihren Bau, frohlockend umkreisten sie ihn oder riefen von der
Spitze des Nestbaums ihre Freude in die Welt hinaus.

Das war recht unklug gehandelt, das sollten sie bald merken. Am Abend
saß die Nebelkrähe im Nest, um sich immer ein wenig an das unbequeme
Sitzen zu gewöhnen; bald würden ja die Eier kommen und bebrütet
werden müssen. Da hört sie unter sich leise Schritte; vorsichtig lugt
sie ein wenig über den Nestrand und erschrickt zu Tode, als sie den
grünröckigen Mann mit der Donnerbüchse heranschleichen sieht. Mit einem
kühnen Satze wirft sie sich aus dem Neste, schwenkt zweimal kurz um
Baumkronen herum und rettet glücklich ihr Leben. Der nachgesandte
Schuß wirft nur einige Birkenzweige zu Boden. Aber es tönt noch ein
Doppelschuß, dem Neste hat es gegolten und am Morgen kann sich das
Krähenpaar überzeugen, daß sein Kunstwerk zerfetzt und unbrauchbar in
der Erle hängt. Und dabei ist das erste Ei beinahe ausgebildet zum
Ablegen!

Ratlos streichen die beiden Krähen umher und finden schließlich in
einem kleinen Feldgehölz auf einer hohen Kiefer einen vorjährigen
Horst. Hier sind im Vorjahre glücklich Junge großgebracht worden, noch
liegen ja die Schuppen der Federspulen im Neste. Eilig wird das Innere
ein wenig mit Haaren ausgepolstert und nach zwei Tagen ist glücklich
auch das erste Ei gelegt. Gebührend wird das grüngelbe Kunstwerk mit
den dunkleren Flecken vom Herrn Gemahl bewundert, und gemeinsam gehen
beide Gatten hinaus aufs Feld, um als Frühstück einige Engerlinge
hinter dem Pfluge des Landmannes aufzulesen. Eine Woche vergeht, und
schon ist das Gelege vollständig, und Frau Krähe muß eifrig brüten. Da
wird die Zeit gar lang. Doch, der Gemahl kommt von Zeit zu Zeit mit
Futter und sucht die Gattin zu zerstreuen, die ihn unter Flügelzittern
und Krächzlauten willkommen heißt.

Wohl zwanzig Tage mögen bei dem Brutgeschäft verstrichen sein, da
zeigen eines Morgens die Eier kleine Pusteln. Die Schale ist aufgewölbt
und auf dem kleinen Huckel führt ein Loch in das Ei hinein. Die Jungen
sind am Ausfallen. Endlich hat eins durch kräftiges Picken die Schale
zertrümmert und hält unter Beihilfe der Alten seinen Eintritt in
die Welt. Man kann nicht sagen, daß es das Licht der Welt erblickt,
seine Augen sind noch zugewachsen; bläulich schimmern sie an den
Seiten des Kopfes durch die Haut. Ein schnurriges Ding ist so ein
frischgeschlüpfter Vogel. Der Kopf ist mächtig dick und baumelt an
einem langen, dünnen Halse, der Schnabel ist noch recht kurz und weich,
nur der kleine weiße Fleck an der Schnabelspitze, der Eizahn, ist hart.
Eine unförmige Blase bildet den Leib. Noch ist das Brustbein, an dem
später die starken Flugmuskeln ansetzen, kurz und schwach, noch wird
es ja nicht gebraucht, aber der Darm ist gut entwickelt und schimmert
durch die Bauchwand.

Fünf dieser kleinen Scheusälchen hocken am Abend unter dem wärmenden
Bauchgefieder der Mutter, die von Zeit zu Zeit einen liebenden
Blick auf ihre hoffnungsvollen Sprößlinge wirft. Auch der Herr Papa
ist voller Wonne über die „reizenden“ Kleinen, und es ist ihm eine
angenehme Pflicht, die Gattin auf kurze Zeit abzulösen, damit sie sich
ein bißchen Bewegung machen und am Bache den Durst stillen kann.

Am andern Tage beginnt das Füttern; immer muß abwechselnd eins
der Eltern wärmen, das andere Futter suchen. Sie überbieten sich
gegenseitig in Liebe gegen ihre Brut. Kein Engerling, keine Raupe
scheint ihnen zart genug für die kleinen Magen, doch denen scheint
es mehr um die Menge zu tun zu sein als um die Zartheit. Sie werden
gar nicht müde, immer aufs neue den gelben Rachen aufzureißen und ihn
auf zitterndem Halse den Ernährern entgegenzustrecken. Bei so viel
Gefräßigkeit auf der einen, und Fürsorge auf der anderen Seite macht
die körperliche Entwickelung der Kleinen riesige Fortschritte. Mit
besonderer Freude wird das erste Öffnen der Augen, dann der erste
Schrei, das Sprießen der Federn, das Üben der Schwingen von den Alten
begrüßt. Der Unterricht tut das Seine, und eines Tages sitzt die junge
Gesellschaft aneinandergedrängt auf einem wagrechten Aste der Kiefer
und glotzt mit ihren blauschwarzen Augen die Welt an.

Daß sie einer gemischten Ehe entstammen, sieht man auf den ersten
Blick. Keins ist eine echte Nebelkrähe, keins trägt aber auch ein
Rabenkrähenkleid. Das eine gleicht zwar fast völlig der Mutter, aber
auf dem grauen Kleide sind wie Tintenspritzer schwarze Federn verteilt.
Das andere wieder gleicht dem Vater ziemlich, aber die schwarzen Federn
sind grau gesäumt, und der Bauch sieht völlig grau aus. Hübsche,
starke Kerle sind sie allesamt, und das ist kein Wunder, sie haben gar
nahrhafte Bissen bekommen.

In der Fasanerie gleich beim Dorfe ist alle Tage großer Lärm.
Wacholderdrosseln schackern, Amseln warnen, Zaunkönige zetern.
Kommt man dann näher, dann sieht man in eiligem Fluge eine Krähe
verschwinden, einige leere Eierschalen verraten, was sie hier getrieben
hat. Mag der Förster auch eilen mit seinem Schießprügel, er kommt gewiß
zu spät. Er weiß nicht, wie es kommt, aber immer sieht er gerade den
Störenfried noch wegfliegen, wenn er auch noch so leise und gedeckt
sich herangepürscht hat. Er weiß ja nicht, daß in der hohen Fichte,
die den Plan beherrscht, ganz oben im Gipfel der andere Krähengatte
sitzt und aufpaßt. Dessen Abstreichen ist stets das Zeichen zur eiligen
Flucht für den andern.

Und doch ereilte an einem Tage die ganze Familie der Tod durch das
rächende Blei. Des Försters Sohn kam in die Ferien und hatte, durch
den nötigen Überschuß an freier Zeit unterstützt, binnen zwei Tagen
das ganze Geheimnis erforscht. An die hundert Schritte von der Fichte
entfernt setzte er sich auf die Lauer, während der Förster unter dem
Baum mit den Jungkrähen ein Versteck bezog. Die Geduld der Jäger wurde
auf keine allzu harte Probe gestellt. Das Pärchen kam, er flog auf die
Fichte, sie auf die Suche nach Eiern. Wie ein Peitschenknall tönte
die Fernrohrbüchse des Förstersohnes, und wie ein nasser Sack fiel
der Schwarze zu Boden. Nach wenigen Minuten dröhnte vom Feldgehölz
der Schrotschuß, der die Graue und zwei Junge tötete, einige weitere
Schüsse kündeten das Ende der überlebenden Jungen.




Unser Eisvogel


Naßkalt und unfreundlich ist der Wintertag. Kein Vogel im Dorfe ist
zu sehen, der eine lustige Miene machte. Die Sperlinge sitzen in der
Hecke und schütteln von Zeit zu Zeit einmal die Nebeltropfen aus dem
Gefieder. Ein paar Meisen fliegen vom Hühnerhofe zum Birnbaum und
wieder zurück. Sie stibitzen den Hühnern Haferkörner und zermeißeln sie
auf dem Baume, aber muntere Töne und Lockrufe hört man heute nicht von
ihnen. Und draußen im Freien ist es gerade so. Faul sitzen die Krähen
auf den tropfenden Bäumen oder suchen die unverdauten Körnchen aus dem
Mist auf den Feldern. Die Fichten schütteln von Zeit zu Zeit ihre Äste
und lassen einen nassen Schauer zu Boden fallen und die Birke schwenkt
ihre dünnen Zweige wie ein Mann seine frierenden Arme. Stumm und emsig
nach Kerfen suchend, durchstöbert der kleine Zaunkönig die Baumstümpfe
und sperrigen Wurzeln am Bachufer. Heute trägt er sein Schwänzchen
nicht so kokett steil aufgerichtet, nicht einmal zum Schnarren und
Warnen hat er heute Lust.

Da tönt ein hoher, heller Pfiff, kurz und laut, dann noch einer und
in schnurgeradem Fluge fliegt ein Vogel über dem Bache dahin. Genau
mitten über dem Wasserspiegel hält er sich und setzt sich dann auf
den Weidenzweig, der über den Bach ragt. Korallenrote, kleine Füßchen
umklammern den schwankenden Sitz, tief rostbraun ist die Brust,
smaragden glänzt der Rücken des Eisvogels. Einen schöneren Schmuck
kann sich der Weidenbaum nicht wünschen als den in tropische Farben
gehüllten Vogel. Und der scheint zu wissen, wie hübsch er ist. Als
wollte er den blaugrünen Scheitel mit den moosgrünen Mondflecken
auf jeder Feder recht bewundern lassen, dreht er den Kopf bald nach
rechts, bald nach links. Den rostbraunen Zügel durchs Auge, den weißen
Ohrfleck, kurz seine ganze Pracht läßt er betrachten. Jetzt blickt
er hinunter ins Wasser. Will er im klaren Spiegel seine Schönheit
bewundern? Nun fliegt er ab vom Zweige und hält sich rüttelnd wenige
Spannen über dem Bache. Doch mit einem Schlage ist er verschwunden,
und nur das aufspritzende Wasser zeigt, wo er steckt. Ehe wir noch
im klaren sind, was das zu bedeuten hat, erscheint er schon wieder
flügelschlagend auf der Wasserfläche, schüttelt sich und fliegt wieder
hinauf auf seinen Weidenzweig. In seinem langen, spitzen Dolchschnabel
glitzert silbern ein schwänzelndes Fischchen. Zweimal schlägt der
glückliche Fischer seine Beute gegen den Sitz, daß es schallt und
klatscht und die zuckenden Schwanzschläge aufhören, dann hebt er den
Kopf ruckweise nach oben. Noch einmal und dann zum drittenmal führt er
die Bewegung aus, dann hat er erreicht, was er will. Mit dem Kopf nach
innen hat er das Fischchen im Schnabel und schlingt es mühsam hinunter.
Dann streicht er ab, einem andern Lieblingsplatze zu.

In milden Wintern ist es diesem schönsten unsrer Vögel nicht schwer,
sich durchzuschlagen, anders, wenn eine Eisdecke die Gewässer
verschließt oder wenn fortwährende Regengüsse das Wasser trüb und
undurchsichtig machen.

Da sitzt er wieder, der funkelnde Brillant, auf einem Rohrhalm und
starrt hinunter in die Flut. Eine dichte Schneedecke bedeckt die
Felder, und über alle Bäche und Teiche hat der Frost feste Brücken
geschlagen. Doch dem kleinen Fischer sinkt der Mut nicht. Er weiß die
Stellen, wo das strudelnde Wasser sich nicht in Eis verwandeln läßt
und wo die Forellenbrut hinkommt zum Luftschnappen. Zwei der winzigen
Dinger hat der Eisvogel schon im Kropf, er ist schon ziemlich satt
und sieht nur zum Zeitvertreib oder aus Gewohnheit hinunter in das
Wasser, das glucksend und gurgelnd unter dem Eise dahinströmt. Da ruckt
er zusammen und legt das Gefieder glatt. Den Pfiff eines Artgenossen
hat er gehört. Jetzt pfeift es näher, und nun hat er den frechen
Eindringling, der die Rechte des Eingesessenen verletzen will, erspäht.
Schrill und herausfordernd ertönt sein Pfiff, da kann der rechtmäßige
Bewohner seine Kampflust nicht mehr bezähmen. In surrendem Fluge saust
er dem fremden Fischer entgegen. Doch so leicht läßt der sich nicht
vertreiben, der Hunger macht ihn mutig und läßt ihn den Kampf wagen.
Wie zwei Ritter in blitzenden Gewändern fahren die Kämpen aufeinander
los. Ganz dicht am Kopfe des Gegners fährt der scharfe Dolchschnabel
vorüber, und rasch wenden beide um, und wieder sausen sie sich
entgegen. Ein herrliches Schauspiel! Aber mehr als ein Schauspiel, ein
Zweikampf mit tödlichen Waffen ist es. Zwei- oder dreimal wiederholt
sich der Angriff, bis schließlich einer mit einer schweren Verletzung
am Kopfe zu Boden taumelt und dann eilig das Weite sucht. Der andre
folgt ihm am Bache entlang ein Stück, dann pfeift er seinen Siegespfiff
und setzt sich wieder auf dem schaukelnden Rohrhalme nieder.

Im wunderschönen Monat Mai jagen sich wieder zwei Eisvögel am Bache.
In rasendem Fluge geht es über dem Wasser dahin, und die hellen Pfiffe
wollen den ganzen Tag nicht aufhören. Doch nicht ernsthafter Kampf und
Streit auf Leben und Tod beseelt die Herzen der schillernden Vögel.
Hat der Verfolger den andern erreicht, dann zaust er ihm nicht mit
wütenden Schnabelstößen die Federn, dann neckt er ihn nur durch einen
leichten Flügelstreich und versucht ihn aus seiner Bahn zu drängen.
Liebesspiele und Neckereien sind die lustigen Turniere. Vor einigen
Wochen allerdings mußte ein Rivale durch eine blutige Kopfschramme
und einen Schnabelstoß in die Brust belehrt werden, daß Ehebruch
streng bestraft wird. Ob der Gegner seinen Wunden erlegen ist, ob er
sich ausgeheilt hat und in einem andern Reviere doch noch eine ledige
Eisvogelfrau gefunden hat, wer weiß.

Nun ist es auch höchste Zeit, an den Bau einer Nisthöhle zu denken.
Doch bachauf und bachab ist nirgends ein genügend hohes Ufer zu finden,
in dem der Bau einer Nisthöhle möglich wäre. Auch der nahe Teich hat
sumpfige Ufer und keine Steilränder, da ist das Eisvogelpärchen in
großer Verlegenheit und weiß nicht, was tun. Tagelang durchstreift es
die Gegend, jeder Bach wird in seiner ganzen Länge abgesucht, doch
entweder er ist ungeeignet wie das eigne Gebiet, oder er ist schon
besetzt, und man wird nach erbittertem Kampfe vertrieben. Endlich
streicht einmal das Männchen über das Feld, um vielleicht in weiterer
Entfernung etwas Passendes zu finden. Da findet es, wohl drei Kilometer
vom heimischen Bache, einen verlassenen Steinbruch im Felde. Ein
kleiner Teich hat sich darin gebildet, an dem schon Schilf und Rohr
sich angesiedelt hat, auch Weiden und einige Birken stehen dort. Was
aber das schönste ist, die Ufer fallen steil zum Wasser ab und bestehen
wenigstens in der oberen Hälfte aus sandigem Lehm. Schleunigst wird
das Weibchen herbeigeholt, und auch dieses ist nach eingehender
Betrachtung des Geländes der Meinung, daß hier der Platz geeignet ist
zur Anlage der Kinderstube.

Bald hier, bald da klammern sich die Eisvögel an die Lehmwand, finden
hier den Boden zu hart und steinig, dort wieder scheint er ihnen zu
bröckelig. Endlich einigen sie sich auf eine Stelle, wo ein größerer
Stein sich losgelöst und eine kleine Vertiefung zurückgelassen hat.
Hier machen sie sich an die Arbeit. Mit den langen Schnäbeln hacken und
bohren sie, kratzen mit den Füßen das losgearbeitete Material weg und
bringen schließlich eine spanntiefe Höhle zustande. Damit geben sie
sich für heute zufrieden.

Fröhlich tönen ihre Pfiffe, neckend jagen sie sich am Teiche und
streichen dann wieder über die grünenden Saaten ihrem Bache zu. Am
andern Morgen gehen sie wieder an ihre Erdarbeit. -- Ist es nur das
Männchen oder nur die Gattin, die an der Höhlung arbeitet, oder teilen
sie sich in die Mühe, wer weiß es, tragen sie doch beide ein fast ganz
gleich buntes Kleid und sind daher von weitem nicht zu unterscheiden.
Doch, ob er oder sie oder auch beide arbeiten, fleißig nimmt der
kleine Minierer das schwere Werk auf sich. Ja, wenn die Röhre noch
kurz ist, mag es gehen. Aber ist sie einmal einen halben Meter tief,
dann gehen die Strapazen erst richtig los. Jedes kleine Klümpchen muß
mit dem Schnabel hinausgetragen werden vor die Höhle. Kein Wunder,
wenn gar bald die kleinen roten Beinchen ermüden und gebieterisch
nach einer Ruhepause verlangen. Sie sind ja das Marschieren gar nicht
gewöhnt. Immer sitzt ja der Eisvogel und bedient sich zur kleinsten
Platzänderung seiner Flügel. Sogar beim Rudern unter Wasser, beim
Fangen der kleinen Fischchen dienen in erster Linie die Flügel der
Fortbewegung, wenn auch die Beinchen mithelfen.

Kaum eine halbe Stunde vermögen sie daher beim Bau der Nesthöhle Dienst
zu tun, dann sitzt der kleine Erdarbeiter auf einem neuerworbenen
Lieblingsplatze, einem Baumstumpf am Steinbruchteich und ordnet sein
zerzaustes und mit Lehmstaub verunziertes Prachtkleid. Dann eilt er
rasch zum Bache, um etwas für den hungrigen Magen zu sorgen und nach
längerer Erholungspause nimmt er dann seine Arbeit wieder auf. Volle
vierzehn Tage dauert es der vielen Unterbrechungen wegen, bis eine
meterlange Röhre vollendet ist. Noch ein oder zwei Tagewerke sind
erforderlich, um am Ende eine backofenförmige Erweiterung herzustellen,
den Nestraum.

Nach einigen Tagen liegt das erste Ei darin, blendendweiß ist seine
dünne, durchscheinende Schale, es ist auch ziemlich groß für einen
nicht einmal stargroßen Vogel. Nach etwas mehr als einer Woche ist das
Gelege mit sieben Stück vollzählig und nun muß das Weibchen fünfzehn
Tage lang stillsitzen und brüten. Der Gatte mag von der langweiligen
Beschäftigung nichts wissen, aber er sorgt dafür, daß die Frau
wenigstens nicht zu hungern braucht. Emsig trägt er ihr Fischchen zu
und legt sie ihr vor. Dabei wird ihm aber täglich immer mehr klar, daß
sie sich eine reichlich schwere Aufgabe zugemutet haben, dadurch, daß
sie im Steinbruche brüten.

Im Tümpel ist auch nicht ein einziges Fischchen zu erspähen, höchstens
einige Libellenlarven kriechen langsam über den lehmigen Grund dahin.
Da heißt es jeden einzelnen Bissen kilometerweit herbeiholen. Frau
Eisvogel hat sogar Sorge, sie könnte während des langen Stillsitzens
das Fischen verlernen, bis zum Bache wagt sie nicht zu fliegen, damit
die Eier nicht verkühlen, und hier im Steinbruchtümpel sucht sie
vergeblich nach Wild. Nur gut, daß Er für Nahrung sorgt, sonst stände
es schlimm um sie.

Langsam kommt der Tag näher, an dem die Jungen ausfallen sollen. Erst
lagen sie auf dem bloßen Lehmboden, denn vom Eintragen von Nistmaterial
halten Eisvogels nichts, jetzt aber sind sie auf eine ansehnliche Lage
dünner Fischgräten gebettet. Wo kommen die her? Nun sie stammen aus den
Gewöllen (Ballen unverdaulicher Speisereste), die die Eisvogelgattin
beim Brüten ausgespien hat. Kein Wunder, daß ein traniger Fischgeruch
der Höhle entströmt. Im übrigen aber ist Familie Eisvogel reinlich
in ihrer Wohnung, der Kot wird stets draußen abgesetzt und auch die
Kinder werden reinlich erzogen, ihre Stoffwechselprodukte werden von
den Alten aus der Höhle geschafft. Aber wenn sie auch sauber sind,
hübsch sehen junge Eisvögel vor dem Ausfliegen doch nicht aus. Ganz
nackt sind sie zunächst und der große dicke Kopf baumelt auf einem
dünnen, schwächlichen Halse hin und her. Der Leib ist kugelig und dick
aufgetrieben, die Därme schimmern durch, kurz, recht unästhetische
Gebilde sind die kleinen Dinger. Doch die Eltern sind zufrieden mit
ihnen und füttern sie reichlich, mit Libellen zunächst und dann mit
Fischbrut, so daß sie rasch heranwachsen. Aber hübscher werden sie
zunächst nicht. In langen Reihen beginnen sich stachelartige Gebilde
auf ihnen zu entwickeln, die starr nach allen Seiten abstehen vom
Körper. Es sind die Federn, die lange in der Federscheide stecken
bleiben, so daß man nicht sieht, was eigentlich daraus werden soll.

Kriechen die Jungvögel aber einmal heraus aus ihrem engen Gefängnis,
dann sieht man nicht mehr, was für eine Entwicklung sie hinter sich
haben. Dann sind sie echte kleine Eisvögel, nur der Schnabel ist kürzer
als bei den Alten und die Federn sehen dunkler und kräftiger gefärbt
aus als die an der Sonne verschossenen Kleider der Alten. Noch mehrere
Wochen vergehen, bis sie das Handwerk ihrer Ahnen ausüben können. Zum
Herbste aber werden sie selbständig.

Möge ein gütiges Geschick sie vor der Mordspritze habsüchtiger Menschen
bewahren, die ihnen die winzigen Fischchen nicht gönnen und die sich
nicht denken können, daß jemandem der Anblick eines Eisvogels mehr
Freude macht als die paar armseligen Barsche, die sie verzehrt haben.




Waldkauz


Am Franzosengrab, hundert Schritte waldeinwärts, steht eine alte,
knorrige Eiche. Zackig ragen ihre alten, abgestorbenen Wipfeläste gen
Himmel, und knarrend bewegt der Wind ein Stück abgestorbene Baumrinde.
Dort ist es nicht recht geheuer. Allabendlich, wenn alles stumm und
still in der Runde, da beginnt hier ein nächtlicher Spuk.

Mit einem verhaltenen Pfiffe beginnt es; einen entfernten Signalpfiff
einer Lokomotive vermeint der nächtliche Wanderer zu vernehmen. Aber
bald sieht er sich getäuscht. Ein Mensch ist wohl auf die hohle Eiche
gestiegen, ganz deutlich klang sein Räuspern von dort. Doch wieder
klingt der Pfiff, lauter, näher ertönt er, jetzt geht er in einen
jauchzenden Triller über, wieder der Pfiff und nun ein röchelndes
Krächzen. -- Dem Wanderer wird es kalt auf dem Rücken, was war das
nur? Doch gewiß ein Tier, sucht er sich Mut zu machen und geht weiter,
bis aufs neue die rätselhaften Töne erklingen oder ein schwarzer
Schatten geisterhaft an ihm vorbeihuscht. Da ist das letzte bißchen
Mut verschwunden. Überall scheinen dunkle Schemen vorüberzugleiten,
bald nahe, bald ferner ertönt der wilde Juchzer, kein Wunder, wenn der
Wanderer mit doppelt eiligen Schritten seinen Weg fortsetzt.

Er weiß es ja nicht, daß hier der Waldkauz seiner Gattin von seiner
Liebe singt. Er brauchte nur heranzuschleichen an die große Eiche und
zu beobachten, dann würde seine Ängstlichkeit gewiß bald in Freude über
das sonderbare Gebaren der Vögel verwandelt sein. Auf dem dicken Aste
der Eiche zeichnet sich der Umriß des Sängers gegen den Himmel ab. Wie
eine abgedrehte Kegelkugel, so rund ist der Kopf und mächtig groß im
Vergleich zum Körper. Gerade als wolle er prüfen, wie fest wohl der
Kopf auf dem Halse sitzt, wackelt der Kauz damit hin und her, dehnt
und verkürzt den Hals und macht Bücklinge. Dann pfeift er wieder sein
tiefes und sehnsüchtiges Hu, dem der ansteigende und abschwellende
Triller folgt.

Jetzt scheint das Weibchen zu nahen. Mit unhörbaren Flügelschlägen
fliegt ein zweiter Waldkauz herbei und läßt sich auf der Eiche
nieder. Doch kein Weibchen ist es, ein Nebenbuhler versucht den
Familienfrieden zu stören. Auch er beginnt, mit tiefer Stimme seine
Balzarie vorzutragen, der erste fällt ein und sucht den Störenfried zu
überschreien --, ein wunderlicher Sängerkrieg entbrennt. Immer hitziger
werden die verliebten Käuze, die Triller tönen immer lauter, heulender,
dazwischen fauchen und schnarchen sich die nächtlichen Liebhaber an,
kreischen auf und stürzen schließlich aufeinander los. Gerade als
hätten sie die lange Rederei satt, gehen sie zu Tätlichkeiten über.
Zwar möchte jeder dem andern eins auswischen, aber auch selbst nicht
mit den nadelspitzen Krallen des andern in allzu nahe Berührung kommen.
Bald schwingt sich der eine fliehend durch die dichten Äste der Bäume,
hitzig verfolgt vom andern, bald wieder geht er zum Angriff über und
treibt den andern vor sich her. Geräuschlos geht der Streit natürlich
nicht ab. Zwar von den Flügelschlägen vermag auch das feinste Ohr
nichts zu vernehmen dank der weichen Federn, aber wenn der eine dem
andern zu nahe kommt, geht ein Gekrächze und Gekreische los, daß man
glaubt, wenigstens einer müsse sein Leben lassen. Aber nur einige
Federn rupfen sie sich aus.

Das Weibchen hat eine Weile teilnahmslos auf der Eiche gesessen dicht
vor der Baumhöhle, die sie als Nistplatz erwählt hat. Der Streit der
Männchen läßt sie kalt, sie kämpfen um ihren Besitz, doch sie tut gar
nicht dergleichen. „Mögen sie sich nur raufen, mich geht das nichts
an!“ denkt die herzlose Schöne, schwingt sich ab vom Nistbaume und
streicht auf Nahrungssuche aus.

Rund und mollig sieht der sitzende Waldkauz aus mit seinem
seidenweichen Gefieder, und auch im Fluge prägt sich die Weichheit
aus. Rund sind die großen Schwingen, rund der Kopf, sanft und ohne
Ecken werden die engsten Kurven beschrieben, dann wieder ein Stück
geschwebt und dann wieder mit den Flügeln gerudert. Dabei spähen emsig
die schwarzen Augen hinunter in das Gewirr der Grashalme auf die
Wiese, die nur schwach vom fahlen Sternenschimmer erhellt sind. Der
Gesichtsschleier aus dünnen borstenartigen Federn ist aufgerichtet, so
daß er nur lose die mächtigen häutigen Ohren deckt.

Und wie scharf ist das Gehör der jagenden Eule! Auf hundert Schritt
noch hört sie das leise Piepen sich zankender Mäuse, ja sogar die
genaue Richtung und Entfernung hat sie mit fast unfehlbarer Sicherheit
beim ersten Tone gemerkt. Man braucht nur einmal die Probe zu machen,
wenn man beim nächtlichen Anstande in gut verdeckter Stellung sitzt und
einen Waldkauz jagen sieht. Beim ersten „Mäuseln“ schwenkt er herum
und kommt schnurgerade auf das Versteck zu. Vermag er vom Beobachter
nichts zu entdecken, dann fliegt er ihm sicher in Meterhöhe über den
Kopf, schwenkt herum und kreist einige Male über der Stelle, wo das
Piepen der Lieblingsbeute ertönte. Dann setzt er seinen Jagdzug fort,
aber immer wieder kehrt er zurück und sucht das Versteck der Maus zu
erspähen.

Unser Waldkauz hält sich auf der Suche nach „Wild“ auf der Wiese
nicht lange auf. Er kennt sein Revier und weiß, daß hier die Aussicht
nicht besonders groß ist. Deshalb schwebt er am Waldrande entlang dem
Wildgatter zu. Dort wird den Fasanen und Hirschen an verschiedenen
Stellen Futter geschüttet, da stellen sich die kleinen Nager gern zu
Gaste ein. Auf dem Dache der Blockhütte setzt sich die Eule nieder und
dreht und wendet den Kopf bald rechts und bald links. Schon haben auch
die scharfen Ohren ein leises Wispern und Rascheln vernommen, eine
Waldmaus hüpft unter dem Balkenwerk hervor und faßt ein Haferkorn,
um damit in ihr Schlupfloch zurückzurennen. Da ist ein schwarzer
Schatten über ihr, vier nadelscharfe Krallen fahren ihr durch den
Leib und ersticken ihr angstvolles Quieken. Der Waldkauz aber fliegt
wieder hinauf auf den Balken, dreht den Kopf rechts und links, nimmt
schließlich die Maus aus dem Fange und schluckt sie hinab. Wieder sitzt
er und lauert. Lange Zeit regt sich nichts; der leise Todesschrei ist
doch nicht ungehört verhallt und hat die Artgenossen gewarnt. Endlich,
nach einer halben Stunde etwa, geht das leise Rascheln wieder los unter
dem Stroh. Wieder spannt der Waldkauz und schwebt nieder zum Boden.
Doch diesmal mißglückt die Jagd. Nur eine Spanne weit war die Maus
aus dem Loche gefahren und dann mit einem Ruck in das sichere Loch
zurück, so daß die todbringenden Krallen fehlgriffen. Wieder blockt der
Waldkauz auf seiner Warte, aber nun läßt sich keine Maus mehr sehen.
Viel sind überhaupt nicht mehr da, allzuoft ist schon Jagd auf sie
gemacht worden. Darum auf hinüber zur Fasanenfütterung!

Mit gleichmäßigen Flügelschlägen strebt der Kauz dem Walde zu. Obgleich
er gar nicht an Jagd denkt, sind seine Sinne doch auf der Wacht wie
immer. Am Waldrande schwenkt die Eule mit einemmal und setzt sich auf
einen niedrigen Eichast. Auf der Wiese regte sich etwas, was mag das
gewesen sein? Eine Lerche kann es nicht sein, die kommen doch nicht
auf die Waldwiese, eine Maus war es auch nicht, es raschelte nur
einmal, also was war es? Scharf spähen die schwarzen Kugelaugen auf die
Wiese hinüber, und nun haben sie auch gefunden, was sie suchen. Ein
Maulwurfshügel hebt sich ruckweise, und nun ertönt das Geräusch wieder,
ein Erdklümpchen rollt in das raschelnde Gras. So leise das Geräusch
auch gewesen war, der Kauz hatte es doch vernommen, ja er hatte sogar
gehört, daß es anders klang als das leise Lispeln des Windes im Grase,
daß es von einem Tiere herrührte.

Wieder stößt der schwarze Wühler Erde empor und arbeitet emsig, wühlt
mit breiten Vorderpfoten und scharrt mit den Hinterbeinen die Erde nach
außen. Jetzt erscheint das kurze, borstige Schwänzchen über der Erde,
sogar der Samtpelz des Hinterleibes wird sichtbar, und darüber schwebt
der Tod. Vier Dolche durchbohren das glatte Fell, vier Eulenzehen
schließen sich zur todbringenden Umklammerung. Armer Maulwurf! Dein
Todesschrei vermag das Räuberherz nicht zu schrecken, dein Strampeln
und Kratzen nützt dir nichts. Das Erdreich ist locker, so daß alles
Einstemmen der muskulösen Vorderbeine nichts nützt. Mit einem Ruck
hat der Waldkauz seine Beute aus dem Loche gerissen, der zweite Fang
greift in die Brust und der Schnabel zermalmt die empfindliche Nase
des Opfers. Dann beginnt das Mahl. Das ist nicht so leicht als das
Verzehren einer Maus, die einfach verschluckt wird. Mehrmals reißt und
rupft die Eule, ehe sie die Haut am Bauche zerrissen hat, aber dann
geht es rasch, und nicht ein Stückchen Wolle bleibt zurück, alles wird
hinabgeschlungen.

Nun ist Frau Kauz so ziemlich gesättigt. Auch hat sie jetzt
Gewissensbisse, daß sie den Herrn Gemahl so treulos im Stich gelassen
hat. Sie kehrt deshalb durch den Wald zum Nistbaume zurück. Stampfend
eilt unter ihr ein Kaninchen in die Deckung, das den Schatten durch die
Bäume hat streichen sehen. „Nanu, was ist denn das, die Karnickelmutter
ist schon wieder guter Hoffnung“, faucht Frau Kauz, „dann wird es doch
für uns auch Zeit, ans Eierlegen zu denken! Wenn die jungen Karnickel
vor den Bauen spielen, dann gibt es immer was zu greifen zur Atzung für
unsre Kleinen.“

„Nein, so haben wir nicht gewettet, du kriegst mich schon lange nicht“,
das mag das juik bedeuten, das sie dem Männchen zuruft, das die Gattin
endlich gefunden hat und spielend nach ihr stößt. Nun beginnt das ewig
neue Spiel der Liebe, das spröde Fliehen, die verstohlene Annäherung
des Weibchens, das stürmische Werben des Männchens. Hat er das Spiel
satt und blockt ausruhend auf einem Aste, dann neckt sie ihn und stößt
ihn von seinem Sitze, um dann vor dem Nacheilenden zu entfliehen und
die Spröde zu spielen.

Nur wenige Wochen wird es noch dauern, dann sitzt Frau Kauz auf ihrem
ersten, weißen Ei, nach ein paar Tagen sind es drei oder vier, die dann
drei Wochen bebrütet werden müssen. Sind die Jungen ausgeschlüpft, dann
hat aber das beschauliche Stillsitzen ein Ende. Dann heißt es arbeiten,
denn die kleinen Schnäbel sind schwer vollzukriegen. Nur langsam
wachsen die kleinen, weißen Dunenballen heran, langsam fangen Federn an
zu sprießen und Wochen vergehen, ehe der erste zaghafte Versuch gemacht
wird, die Nisthöhle zu verlassen. Das größte und gefräßigste wagt sich
zuerst an den Eingang der Höhle. Aber Tage vergehen, ehe es sich bis
zum nächsten Ast getraut. Dort sitzt es und bettelt mit leisen, hohen
Pfeiftönen die Alten um Futter an.

Und die benutzten die Gelegenheit, auch ihre andern Jungen zum
Ausfliegen zu bringen: sie füttern nur das ausgeflogene Kind vor
den Augen der hungernden andern. Und siehe da, das Mittel wirkt. Am
Nachmittag fliegt eines nach dem andern hinüber zum Aste, und dicht
gedrängt sitzen bald die vier kleinen Wollknäuel auf dem Eichast und
gieren nach Futter. Zwar dauert es nun nicht mehr lange, bis sie
ziemlich gewandt fliegen können, aber selbständig werden sie erst viel
später.

Sie müssen ja erst noch so vielerlei lernen. Sie müssen ihre
Ohren üben, bis sie das Rascheln des Windes vom Knabbern der Maus
unterscheiden können, ihre Schwingen müssen kräftig werden und ihre
Fänge stark, daß sie leise schweben und kräftig zufassen können,
um schließlich einen bissigen Hamster oder eine wehrhafte Ratte zu
überwältigen.

Aber sie stellen sich nicht ungeschickt an, und im Laufe des Sommers
lernen sie achten auf das Wischern der Mäuse, sie vernehmen das leise
Atmen der Ammer im Fichtenhorst, sie trauen sich, Jungkaninchen zu
schlagen, und scheuen sich auch nicht, eine junge Fasane im Walde, eine
kleine Rebhenne im Felde zu greifen, kurz, es sind echte Waldkäuze
geworden.




Ohreulen


Leben wir wirklich noch im Februar? Die Sonne lockt und lacht, daß die
Knospen die Deckschuppen abwerfen, daß Stachelbeerbusch und Flieder
zartgrüne Spitzen zeigen. Buchfink und Goldammer, Kohlmeise und Amsel
jubilieren und begrüßen die erwachende Natur, die Lerche trillert,
der Grünspecht lacht, es will Frühling werden. Jetzt wird auch den
Menschen die Enge der Straßen und Gassen der Großstadt zu drückend, in
Scharen ziehen sie hinaus, um die staub- und rußgequälten Lungen in der
schmeichelnd warmen Luft zu baden.

Eine Schar Knaben wandert durchs Feld. Bunte Mützen decken die Köpfe,
die von Sorge um Prüfungsarbeit und Versetzung heute nichts wissen
wollen. Dem Walde streben die Jungen zu, um irgendeine bluttriefende
Indianergeschichte in die Tat umzusetzen. Unter einer großen Eiche
machen sie Halt zu ernstem Kriegsrat. Dabei fallen dem einen
sonderbare, daumenstarke Ballen zu seinen Füßen auf. Aus grauem Filze
scheinen sie gemacht zu sein und weißlich schimmern kleine Knochen
daraus hervor. Trocken und appetitlich sieht das Zeug aus, da muß man
doch einmal nachsehen, was das eigentlich ist.

Fest und dicht zusammengefilzte Haare bilden die Grundmasse, in die
Knochen eines kleinen Tieres eingebettet sind. Sorgsam zerbröckelt der
kleine Forscher seinen Fund, während die andern mit den sonderbarsten
Vermutungen über das rätselhafte Ding nicht sparen. Jetzt kommt ein
Schädel zum Vorschein, dem nur die Schädelkapsel eingedrückt ist,
sonst ist er wohlerhalten. Der Größe nach ist es ein Mäuseschädel,
die Schneidezähne stimmen auch dazu. Da die Knochen alle weiß
und sauber sind, scheuen sich die andern Knaben auch nicht, die
Ballen zu zerkrümeln. Bald hat jeder mindestens einen Mäuseschädel
herausgefunden, auch ein Vogelschädel findet sich in den Haarpfröpfen,
dazu ein paar große, schwarze Flügeldecken eines Käfers. Viel
Kopfzerbrechen macht den Jungen ein kleiner Schädel, der mit kleinen,
spitzen Zähnchen ausgestattet ist, und der vollkommen unversehrt und
heil sich aus der Filzmasse ausschälen läßt. Soviel wissen die Knaben
aus ihren Unterrichtsstunden, daß das kein Nagetierschädel ist, denn
er hat gar keine Nagezähne, was mag das nur sein? Vielleicht ein
Maulwurfsschädel, aber der sollte doch größer sein? Doch halt, die
Spitzmäuse haben solch ein Raubtiergebiß, das ist ein Spitzmausschädel.

Die Frage ist zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst, noch bleibt aber
die andere offen: wo stammen denn die Ballen her? Daß sie die Überreste
vom Mahle eines Raubtiers sind, ist allen klar. Aber Kotballen sind es
nicht, dazu sind sie zu sauber und geruchlos. Wiederum ist aber das
Fleisch von den Knochen schon völlig abgelöst, also müssen sie schon
einmal verschlungen gewesen sein.

Weiter wandern die Knaben, und es scheint, als sollten sie nie zur
Lösung ihrer Frage kommen. Aber vergessen haben sie das Problem
nicht, und jeder späht auf dem Waldboden nach neuen Filzballen, um
doch vielleicht das Geheimnis lösen zu können. Unter einer Kiefer mit
dichter Krone finden sich schließlich die rätselhaften Pfröpfe wieder,
einige davon sind sogar noch feucht und schleimig, so daß keiner der
Jungen sie anfassen will. Der Boden um den Baum herum zeigt ferner noch
etwas Eigenartiges. Große Klexe einer kalkig-weißen Flüssigkeit sind
umhergespritzt, haben auch den Stamm gefärbt, und auch einige Äste
der Kiefer zeigen den weißen Überzug. Und oben, dicht an den Stamm
gedrückt, hockt der Urheber dieser Unsauberkeit.

Mit knapp angelegtem Gefieder sitzt die +Ohreule+ auf ihrem Schlafbaum
und starrt mit ihren roten Feueraugen hinunter auf die Knaben, die
ihre Ruhe stören. Lang und dünn wie ein Aststumpf sieht der Vogel
aus, langgezogen ist der Gesichtsschleier, die Federohren stehen
nach oben, und dicht nebeneinander verlaufen die Reihen dunkler
Spritzflecke auf der lichten Unterseite. Leise gehen die Knaben um den
Baum herum, um auch den Rücken des Vogels zu betrachten. Doch siehe
da, den gelbbraunen Hinterkopf bekommen sie nicht zu sehen. Als wäre
er so angewachsen, zeigt der Kopf mit den Augen nach hinten, wenn die
Knaben um den Baum herumgewandert sind. So oft auch die Jungen ihren
Standpunkt ändern, immer glotzen sie die Eulenaugen an.

Da kommen sie auf einen pfiffigen Einfall. Sie wollen allesamt um
den Baum herumwandern, immer in gleicher Richtung, dann dreht die
Eule den Kopf immer nach ihnen und muß sich doch schließlich das
Genick verdrehen und ihnen dann zur Beute fallen. Gesagt, getan.
Die Prozession beginnt, und immer dreht die Eule den Kopf mit,
aber ihr macht das keinen Schaden. Wenn die Knaben hinter dem
Stamme verschwunden sind, dann wird mit einem Ruck der Kopf wieder
zurückgedreht und starrt dann auf die Schlaumeier hinunter, wie zuvor.
Bald sehen die Knaben ein, daß sie durch ihre Marschierübungen nichts
erreichen. Um aber wenigstens ihren Ärger zu bezeugen, daß sie so für
Narren gehalten worden sind, nehmen sie Kiefernzapfen und werfen nach
der Eule, um sie zu verscheuchen. Bald haben sie auch ihre Absicht
erreicht. Doch die Jungen sind förmlich erschrocken, daß die Eule
so groß ist. Im Sitzen sah sie so klein aus, und jetzt, mit den
ausgebreiteten Flügeln, auf deren fast weißer Unterseite ein schwarzer
Fleck sich abhebt, kann sie beinahe mit einem Bussard sich messen.

Gewandt schwingt sich die gestörte Freundin der Nacht durch die hell
beschienenen Baumzweige, um ziemlich weit entfernt in einer dichten
Fichte sich einzuschwingen. Dort sitzt sie und träumt, bis die Sonne
schlafen gegangen ist und der Abendstern am Himmel steht. Dann reckt
und dehnt sie sich, knackt mit dem Schnabel, blinzelt mit den Augen
und ruft. Sonderbar taktmäßig ertönt das tiefe Hu, im Atemtempo
eines schlafenden Menschen. Aber lange vergnügt sich die Eule nicht
mit ihren Gesangsübungen. Sie ist hungrig und fliegt hinaus auf die
Felder, um die Raine nach Mäusen abzusuchen. Kommt ihr dabei ein
schlafender Feldsperling im Gestrüpp, eine Goldammer oder Feldlerche zu
Gesicht, dann wird der Vogel gleichfalls verspeist. Auch Mistkäfer und
Heuschrecken werden verzehrt, wenn sie über den Weg krabbeln oder im
Grase musizieren; doch an Insektenkost ist jetzt im Februar noch nicht
zu denken.

Wohl aber würde es nichts schaden, wenn sich das Eulenmännchen einmal
nach seiner Gattin umschaute, die auch in dieser Gegend sich jagend
umhertreibt. Bald kommt der März und spätestens Anfangs April ist
das erste Ei gelegt .... Doch auf Feld und Wiese ist von der Gattin
nichts zu sehen, vielleicht sucht sie in der Fichtenpflanzung nach
Nahrung. Lange braucht der kleine Uhu nicht umherzustreifen, bald
sieht er die Gattin über der Waldblöße schaukeln. Eilig strebt er
auf sie zu, um ihr für ein Viertelstündchen den Hof zu machen. So
zierlich als es ihm möglich ist, umschwebt er das Weibchen, ruhig und
taktmäßig die Flügel rührend, um sie mit lautem Klatschen unter dem
Leibe zusammenzuschlagen. Aber die Angeschwärmte zeigt durch ihre
Teilnahmslosigkeit, daß sie die Werbung für verfrüht hält, und auch
er bekommt sein Spiel bald satt. Er schwebt einmal hinüber nach der
Kiefer, in der der alte Krähenhorst steht, den sie schon jahrelang zur
Aufzucht ihrer Kinder benutzten, seufzt einigemal sein Hu und fliegt
dann wieder auf die Jagd.

       *       *       *       *       *

~Oculi~ -- da kommen sie. Die Vögel mit dem langen Gesicht, die
Schnepfen, die den alten Weidmann mit unwiderstehlicher Macht
hinausziehen ins Revier, sie kommen aus dem Süden zurück in ihre
nordische Heimat. Wenn der rußige Rotschwanz sein gepreßtes Lied vom
Hausgiebel ertönen läßt, wenn die erste Singdrossel ihren Davidsruf
singt, dann ist die rechte Zeit für den Schnepfenstrich. Allabendlich
steht dann der alte Forstmann trotz Rheumatismus auf dem Anstande.
Dort, wo die Fichtenschonung an die Blöße stößt, auf der Farnkraut und
Brombeergestrüpp unter einigen jungen Birken und Eichen üppig wuchern,
stellt er sich an. Treff, der rauhhaarige Jagdhund, ist auch dabei,
er hat sich gesetzt und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Leise
senkt sich die Dämmerung auf die Erde nieder, leise schnickert ein
Rotkehlchen in den Fichten, eine Amsel warnt und schilt, allmählich
verstummt auch dieser Vogellaut. Ganz still wird es, das leise Rauschen
des Windes in den Fichtenzweigen ist kaum vernehmbar. Wiwiwiwi klingeln
in sausendem Fluge ein paar Stockenten vorüber, die vom Teiche nach
dem Bache streichen. Wieder ist alles still. Doch halt, was war das?
Wie von einem Schlage getroffen, zuckt der Jäger zusammen, jetzt tönt
es wieder, näher schon. Ein tiefes, dumpfes Quarren, ein hohes Puizen,
und mit eulenartigem Fluge erscheint die Schnepfe über den Fichten. Ein
Feuerstrahl, Donner und Rauch. Schon ist der Hund im Brombeergestrüpp,
sucht hier und schnüffelt da, aber er findet nichts. Die Entfernung war
wohl zu groß, die Schnepfe ist unverletzt entkommen.

Doch was ist das für ein Vogel über dem Hunde? In weichem, schaukelndem
Fluge schwebt ein Vogel dort, schwenkt rechts und links und stößt mit
kläffenden Rufen auf den verdutzten Hund. Immer kürzer schwenkt der
Vogel herum, immer hitziger greift er an, bellender ertönt sein Käff
-- Käff -- Käff. Langsam schreitet der Förster näher. Sollte das ein
Weih sein, der soviel Kühnheit zeigt? Ein Raubvogel ist es jedenfalls,
also einen Schuß Pulver wert. Rasch wirft der Förster einen Schuß
nach dem Räuber, aber ohne Erfolg; denn er stößt ruhig weiter, als
ginge ihn der Blitz und Donner nichts an. Zum zweitenmal schießt der
Grünrock fehl dank der tiefen Dämmerung und der unstäten Bewegung des
Ziels. Ein dritter Schuß endlich wirft den Vogel tot in das Farnkraut,
und der Hund beeilt sich, ihn herbeizubringen. Doch wie erstaunt
ist der Förster, als er schließlich eine Eule in der Hand hält, eine
hellgefärbte Eule von der Größe einer Waldohreule, deren gelbe Augen
noch im Tode feindlich funkeln. Ganz klein sind die Federn, die die
Ohrbüschel darstellen.

Arme +Sumpfohreule+! In der weiten flachen Heide oder in der Tundra
gar hat deine Wiege gestanden. Zwischen deckenden Gräsern bist du groß
geworden im bodenständigen Neste. Kaum hattest du gelernt, die flinke
Maus, den Lemming vielleicht, zu jagen, da zwang dich der Winter zum
Wandern. Und hier, fern der Heimat, mußtest du den Schroten, die eine
unkundige Hand nach dir schoß, erliegen. Hoffentlich geht es deinen
Brüdern und Schwestern besser, daß sie glücklich wieder in ihre weite,
friedliche Heimat kommen. Zwar vor dem Pfahleisen, dem grausamen
Mordwerkzeug gewissenloser Menschen, sind sie ziemlich sicher, nur
ungern benutzen sie ja Pfähle zum Ruhen. Aber wenn sie einen Uhu sehen,
der noch in der Dämmerung neben der Krähenhütte sitzt, dann kann es
leicht der ganzen Schar das Leben kosten, wenn ein schießwütiger Mensch
dort auf Raubvögel wartet. Mögen ihre Brüder und Schwestern eine nach
der andern unter Blitz und Knall tot zu Boden fallen, die Wut verleitet
die Überlebenden immer und immer wieder, auf den großen Nachtvogel zu
stoßen. Wer vermag zu sagen, was der Grund zu diesem blinden Hasse ist?




Rothals und Grauwange


Alljährlich, wenn die Taufrösche im Teiche murren, wenn das Schilf
mit einem Wald von Spießen den Wasserspiegel umgibt, dann kommen sie
aus dem warmen Süden wieder, Herr Rothals und seine Gattin Grauwange.
Die Nächte durch sind sie geflogen, und eines Morgens kommen sie
angeschnurrt mit vorgestreckten Hälsen, senken sich nieder zur
Wasserfläche und fallen ungeschickt in ihr heimisches Element. Die
Muskeln unter dem weichen lockeren Brustpelz schmerzen, die Flügel sind
lahm, und deshalb fällt es den Rothalstauchern nicht ein, sich diesen
Sommer noch einmal in die Lüfte zu wagen. Sie schaukeln sich auf den
Wellen, stecken die schwarzen Schnäbel mit den gelben Mundwinkeln in
das Rückengefieder und schlafen und träumen von weiten Reisen von Teich
zu Teich, von Fluß zu See, bis sie hier auf ihren angestammten Wässern
ankamen.

Reisen macht müde, wenn man auf eigne Kräfte angewiesen ist, reisen
macht aber auch hungrig. Und der leere Magen weckt das Taucherpaar
und verlangt gebieterisch seinen Teil. Grauwange krümmt den roten
Hals, senkt den schwarzen Dolchschnabel zur Wasserfläche, und mit
einem leichten Satze verschwindet sie in der Tiefe. Kräftig stoßen die
graugrünen Füße mit den Zehen, an denen breite Lappen die Ruderfläche
vergrößern; wie ein Unterseeboot mit der Flügelschraube, so saust
der Taucher unter dem Wasser dahin. Da schwimmt er wieder auf der
Oberfläche. Wie silberne Perlen rollen die Wassertropfen über
seinen Rücken, ohne ihn zu benetzen. Ein glitzerndes Etwas zappelt
im schwarzen Schnabel des Fischräubers. Zweimal ruckt der Kopf des
Tauchers, und der kleine Gründling oder Hecht oder was es sonst war,
ist verschlungen. Aber ein kleiner Bissen war es nur, der sättigt
nicht. Wieder und wieder verschwinden bald Rothals, bald die Gattin
unter dem Wasser, bald sind sie beide nicht zu sehen.

Aber schließlich sind sie doch gesättigt und machen Toilette. Immer
und immer wieder ziehen sie die Federn von Rücken und Seiten durch
den Schnabel, den sie mit dem Fett der Bürzeldrüse eingeölt haben.
Dann kommt Bauch und Brust an die Reihe. Das erfordert allerlei
Körperverrenkungen; ganz auf die Seite müssen sich die Vögel legen, um
das Bauchgefieder einölen zu können, das wie Atlas in der Sonne glänzt.
Ist eine Feder locker geworden und will sie sich nicht mehr einordnen
in den Verband ihrer Schwestern, dann wird sie herausgezuft und --
verschlungen. Kein Wunder, wenn der Magen der Taucher von den Federn
ausgekleidet ist, die sich mit den spitzen Kielen in die Magenwand
einbohren und darin haften bleiben. Soll der Pelz im Magen Schutz
gewähren vor den spitzen Flossen von Barsch und Stichling, soll er die
Gräten abhalten, den Magen zu verletzen? Wahrscheinlich!

Doch was ist das für ein Geschrei, das über dem Wasser zittert? Ist
es ein Waldhorn, dem ein Kindermund Mißtöne entlockt, plärrt ein
Riesenfrosch im Schilfe? Nein, Rothals ist es, der von seiner Liebe
singt! Nur Grauwange hat Verständnis für die Schönheit dieses Liedes,
und eilig schwimmt sie hin zum Gatten, um mit höheren, leiseren Tönen
in den Sang einzustimmen. Aber auch zweistimmig klingt das Lied der
Rothalstaucher nicht sonderlich schön. Im April lassen sie es noch
nicht so oft hören wie im Mai; wenn sie ans Nisten denken, dann
schreien sie den ganzen Tag. Dafür sind sie bei ihrer Ankunft aber auch
beinahe die einzigen Sänger am Teiche, wenn man das zankende Belfern
der Bläßhühner und das Naken der Stockenten nicht für voll rechnet.

Nur ein kleiner Sänger, sogar ein Vetter des Rothals, läßt schon
seine Stimme aus dem Schilfe erschallen, und deshalb machen sich die
großen Taucher auf, und schwimmen dem Rohrwalde zu, wo ein trillerndes
bibibibibi den +Zwergtaucher+ verrät. Der kleine schwarze Kerl mit
dem roten Fleck auf Gurgel und Hals freut sich sehr über die ihm
widerfahrene Ehre. Gern läßt er sich von Frau Grauwange erzählen von
der weiten Reise, denn er kann sich so eine Flucht vor dem Winter nicht
leisten. Bis zum nahen Mühlbach, der wegen seiner starken Strömung
nicht zufriert, ist er gewandert und hat dort auch sein Weibchen
kennen gelernt und sich mit ihr schlecht und recht durch den Winter
geschlagen. Gewiß kann er auch fliegen, aber das strengt ihn mächtig an
und er kommt außer Atem, deshalb bleibt er eben lieber da.

Was die Geschwister machen? Ja, da ist leider nicht viel Gutes
zu berichten. Der eine, kleinste, war auf dem Dorfteiche, als er
abgelassen wurde. Der kleine Dummrian hatte nicht ans Wegfliegen
gedacht, war sitzen geblieben und dann auf dem Schlamme von den
Fischern gegriffen worden. Seit der Zeit ist er verschollen, wer weiß,
wo er ist. Schlimmer noch gings der Schwester. Die fand im Bache einen
Drahtkorb, in dem es wimmelte von Ellritzen und kleinen Forellen.
Dreimal versuchte sie, zu der zappelnden Beute zu gelangen, dreimal
vergeblich. Endlich hatte sie verstanden, eine Klappe zu heben. Hei,
da fuhr sie unter die Fischchen, die nicht entfliehen konnten. Rasch
hat sie eins unter Wasser verschluckt und ein zweites gepackt. Mit dem
will sie nach oben. Aber wehe! Wo ist der Ausgang? Hier dichter Draht,
dort auch, dort ebenso, unten Draht, oben auch, nirgends Luft, nirgends
ein Ausweg. Da war sie still geworden, hatte ruhig dagelegen in der
Reuße, das silberne Fischchen im Schnabel, bis sie der Fischer in den
Brustlatz der Schürze steckte. Silberpelz, die Spitzmaus, hat es dem
Bruder erzählt, sonst wüßte niemand von dem Ende der kleinen lustigen
Taucherin. Und die andern? Hierhin, dorthin verschlagen, geflohen vor
dem Eise, das ihre Heimat in Fesseln schlug.

Soll trübe Stimmung die Taucher befallen, wenn die Sonne lacht und
der Frühling webt? Stumm gehen sie auseinander, die Zwergtaucher ins
Schilf, die Rothälse ins offene Wasser. Aber bald ertönen im Rohrwalde
und auf dem Spiegel die frohen Liebesgesänge aufs neue, fein und
trillernd hier, dort laut und grob.

Tage und Nächte vergehen, die Sonne steigt höher. Auf dem See ist eine
dritte Taucherart angekommen. Die stolzen, vornehmen +Haubentaucher+
schwimmen still und unnahbar mitten auf dem Wasser und rufen laut
ihren Balzruf, daß es schallt. Gröck gröck gäg gäg kruorr. Dabei tragen
sie stolz auf elfenbeinweißem Halse ihren helmverzierten Kopf, prangen
mit der atlasweißen Brust und schwimmen hoch wie ein Kork im Wasser,
wenn sie mitten im See sind, tief tauchen sie ein am unsichern Ufer,
daß der braunschwarze Rücken nur wie ein schmaler Strich über den
Wellen liegt.

Mit den Krontauchern haben die Rothälse wenig Verkehr, ihm sind sie
zu stolz, sie mag nicht ihre eigne Schönheit mit der größeren der
Vettern vergleichen lassen und meidet deshalb ihre Gesellschaft.
Dagegen halten sie sich gern in Gesellschaft der liebenswürdigen
+Schwarzhalstaucher+ auf. Das sind auch sehr hübsche Kerle mit ihren
goldenen Pausbacken, aber vor allem sind sie gar nicht stolz, wenn sie
auch mit ihresgleichen mehr zusammenhalten als mit den Rothälsen, denn
sie brüten in einer Kolonie von fünf oder sechs Paaren auf dem See.

Unter Necken und Spielen, Balzen und Fischen eilen die Tage dahin.
Da kommt der Mai und mit ihm die Brütezeit. Jetzt klingen die
Liebeslieder den ganzen Tag. Die Gatten umspielen einander, necken und
jagen sich, bis sie sich schließlich unter lautem Geschrei mit den
Hälsen umschlingend aneinander aufrichten, daß die weißen Bäuche sich
berühren. Jetzt gilt es auch ein Nest zu bauen. Dem Rohrsänger, der
über ihnen in den Halmen lärmt und dort seine kunstvolle Kinderwiege
aufhängt, haben die Taucher die Nestbaukunst nicht abgesehen und auch
bei der Stockente, die mit weichem Bauchgefieder das Nest unter dem
Brombeerstrauche polstert, sind sie nicht in die Schule gegangen.
Sie bauen nach eignem Gutdünken. Sie drücken einige Rohrhalme nieder,
schichten andre, trockene darauf, so daß ein an den Rohrhalmen
verankertes Floß entsteht. Soweit könnten’s die Taucher auch der
zänkischen Blässe abgesehen haben. Aber nun kommt eigne, unpatentierte
Erfindung. Auf das schöne, trockene Floß kommen nasse Schilfhalme
und Blätter, die Frau Grauwange vom Grunde heraufholt. Und in dieses
faulende, nasse Halmennest legt sie dann ihre weißen, grobschaligen
Eier, fünf an der Zahl, setzt sich darauf und brütet.

Ab und zu kommt auch Rothals, der Gatte und löst seine Gemahlin ab, daß
sie sich Fischchen fangen kann und die steifgewordenen Glieder dehnen.
Wenn eine Störung naht, dann taucht der brütende Vogel eilig auf den
Grund, deckt nasse Halme auf die Eier und stiehlt sich unter Wasser
fort. Dann kann man dem Pflanzenhaufen nicht ansehen, was er verbirgt,
die Eier bleiben unentdeckt. Wenn sie einige Zeit bebrütet sind, ist
allerdings die Bedeckung nicht mehr so unbedingt nötig, es entwickelt
sich nämlich auf den ursprünglich weißen Eiern eine gute Schutzfarbe:
die faulenden Pflanzenteile färben sie braun und fleckig, wie ihre
Umgebung.

Drei Wochen sitzen die Taucher abwechselnd auf den Eiern; die Wärme,
die die faulenden Pflanzenteile entwickeln, hilft tüchtig mit brüten,
und eines Tages tönt ein leises Piepen unter dem Brustgefieder von Frau
Grauwange hervor. Ein Junges arbeitet lebhaft mit dem harten, weißen
Eizahn auf der Spitze seines Schnabels, bis es die Schale durchbrochen
hat und es heraus kann aus dem engen kalkigen Gefängnis. Ein kleiner
schwarzer, weißgestreifter Wollball arbeitet sich ans Licht. Vier andre
junge Dunentaucher tun das nach und am Abend sitzen fünf piepende
allerliebste Kinder im Nest und lassen sich von der Mama trocken wärmen.

Doch am nächsten Tage sind sie schon nicht mehr auf dem faulenden
Schilfhaufen zu finden. Im Gefieder der Mutter versteckt, schwimmen sie
über das Wasser dahin, lassen sich füttern mit zarten Bissen, und leben
sorglos in den Tag hinein. Naht Gefahr, geht der Teichaufseher mit
seinem ewig geladenen Schießprügel am Schilfrande hin, dann klammern
sich die Kinder fest am Gefieder der Alten, sie halten den Atem an und
hopsa, geht es hinunter in die Flut und rasch hinein ins Schilf. Hier
sind die Kleinen schon selbständiger, sie schwimmen ein wenig umher
mit ungeschickten Ruderstößen, haschen hier ein winziges Krebschen aus
dem Wasser und schnappen dort eine Mücke weg, die ihre Eier ins Wasser
legen will.

Bei Haubentauchers sind jetzt auch Kinder angekommen, und doppelt stolz
schwimmen die Eltern am Schilfrande. In ihrer Freude vergessen sie ganz
ihre sonstige Wachsamkeit, sie liegen hoch im Wasser, und der Papa
singt sogar seinen Kindern, die sich auf dem Rücken der Mama schaukeln,
ein dröhnendes Wiegenlied.

Er hört nicht die leisen Schritte hinter dem Deichdamme, hört nicht
das Knacken des Gewehrhahnes. Mit einem Male sieht er eine Bewegung am
dicken Pappelstamme. Er dreht den helmverzierten Kopf und äugt scharf
nach dem Baume. Da blitzt es und wie ein Schauer körniger Hagelstücke
peitscht eine Ladung Schrote das Wasser, zerfetzt den Hauptschmuck des
Tauchers, durchbohrt seinen Hals, zerreißt sein Lebensmark.

Es plumpst und plantscht im Schilfe, der Jagdhund schwimmt prustend
hinüber zum Krontaucher, faßt ihn und bringt ihn zum Ufer. „So recht,
mein Hund, hier bring ihn her. Setz dich brav!“ Dann nimmt der junge
Jägersmann den Taucher und streicht ihm über die atlasweiße Brust.
Der Lockenkopf seines Mädels taucht auf vor seinem Geiste, und ein
Taucherbarett darauf, das muß fein passen zu den dunklen Locken und den
frischen, roten Wangen. -- An das Taucherweib denkt er nicht und ihre
Kinderschar, denen er Gatten und Vater entrissen.




Vom Hecht


„Frühling, Frühling!“ läuten die weißen Blüten des Schneeglöckchens.
„Frühling!“ sagt der Haselstrauch und schüttelte leise seine gelben
Kätzchen im Winde, daß Staubwölkchen ihnen entschweben. Mit zarten,
roten Büschelarmen langen und tasten die weiblichen Blüten nach dem
goldenen Staube, dem Liebespfande der Männchen. Wärmender, feuriger
lockt von Tag zu Tag die Sonne, Leberblümchen und Veilchen ruft
sie. Schmeichelnd badet sie ihre Strahlen im Waldteiche, sie lockt
die Pflanzen und ruft die Tiere. Mit knurrenden Tönen schwört der
Taufrosch seiner kalten Gattin ewige Liebe, und auch die stummen
Fische spüren des Lenzes Macht.

Dort, wo die Ufer breit und sumpfig sind, wo das Wasser wärmer ist,
als an den tiefen Stellen, da zeigen rasch laufende Wellen, daß Leben
hier pulsiert. Grünhals, der Stockerpel, sucht mit hochgerecktem
Kopfe zu ergründen, was hier vorgeht, während seine Gattin lieber die
gefährlich scheinende Stelle ganz meidet. Doch die zwei, die sich
dort tummeln, die denken jetzt nicht an Mord und Raub, so gefährliche
Burschen sie auch sonst sind. Spielend reibt der Hecht seine breite
Schnauze an den Seiten des Weibchens, drängt sich dicht an sie, biegt
seinen geschmeidigen Leib im Kreise um sie und erweist ihr hundert
Artigkeiten. Frisch und glänzend zeichnen sich die graugrünlichen
Wellen- und Fleckenornamente auf seinem Körper ab, erscheinen bald
heller, bald dunkler, bald schwärzlich, bald rötlich, je nachdem die
Sonne ihr Gesicht hinter den Wolken verbirgt oder glänzend hernieder
lacht. Abend wird es und noch immer dauert das Spiel, es wird Morgen,
die Hechte stehen und spielen noch an der gleichen Stelle. Nach einigen
Tagen aber sind sie verschwunden. Wo sie sich tummelten, liegen
schleimige Klümpchen zwischen den Pflanzen.

Weiter lockt und wärmt die Sonne. Sie hat jetzt viel zu tun. Große
Gallertklumpen liegen im Teiche und wollen gewärmt sein, damit die
kleinen Kaulquappen sich gut in ihnen entwickeln. Kleine schwarze
Schüppchen treiben auf dem Wasser, kleben an den Pflanzen oder liegen
im Schlamme. Wintereier der Wasserflöhe sind es, die auch ausgebrütet
sein wollen. Dazu kommt noch das Heer der Pflanzen, die ihre grünen
Blättchen entfalten und hungrig die Lichtstrahlen auffangen, damit
sie Stärke und Zucker bauen können. Der Wasserhahnenfuß mit seinen
dünnen Fiederblättchen, der Fremdling aus Amerika, die Wasserpest,
dazu das Heer von Millionen kleiner Kieselalgen, dünner Fadenalgen und
rollender Volvoxkolonien, sie alle wollen Licht haben, Licht und Wärme.
Und die Sonne strahlt und strahlt, und jeder bekommt sein Teil von
ihrer Lebenskraft. In kurzer Zeit hat sie ein Heer kleiner Lebewesen
hervorgebracht, die durcheinander hüpfen und schwimmen, krabbeln und
klettern, daß es eine Lust ist, zuzusehen.

Was ist unterdessen aus den Schleimklümpchen geworden, die die Hechte
am Teichufer liegen ließen? Kleine schwarze Pünktchen bildeten
sich in ihnen, die wurden größer. Bald ließ sich ein kleines,
zusammengeringeltes Fischchen in ihnen erkennen. Eines Tages sind die
winzigen Dinger ausgekrochen, einige kleben noch an den Eihüllen, die
andern sind zwischen den Pflanzen verschwunden. Nur selten verlassen
die kleinen Hechte den dichten Pflanzenwald, hier finden sie ja alles,
was sie brauchen. Wasserflöhe, Mückenlarven und Würmer bilden ihre
Nahrung, bei der sie erstaunlich rasch heranwachsen. Einige Wochen
mögen sie alt sein, da richten sie ihre begehrlichen Blicke schon auf
junge Fischbrut. Ob junger Weißfisch oder Schleie, ob ein Freund der
eignen Art, das ist gleich. Wenn er nicht zu groß ist, wird er gefangen
und gefressen.

Ein spannendes Schauspiel ist die Jagd des Hechtes. Am Rande des
Teichs, wo die plätschernden Fluten das Erdreich zwischen Erlenwurzeln
herausgespült haben, so daß wunderschöne Verstecke und Schlupfwinkel
entstanden sind, hat ein dreijähriger Hecht seinen Stand. Wochenlang
bekommt man ihn nicht zu sehen. Da eines Tages ziehen drohende
Gewitterwolken am Himmel hoch, die Luft ist schwül und drückend.
Endlich geht unter Blitz und Donner ein erfrischender Platzregen
nieder, die Luft vom Staube reinigend, die Gewässer ausgiebig
durchlüftend. Das ist die Zeit, wann der Hecht jagt. Still steht er
zwischen den Erlenwurzeln, leise spielen seine Kiemendeckel. Da geht
es wie ein Ruck durch seinen glatten Körper. In schnurgerader Richtung
ziehen Wellen auf ihn zu, eine Wasserratte durchquert den Teich. In
gleichmäßigem Takte spielen die Brustflossen des Raubfisches, er
richtet sich etwas auf und krümmt den Rücken. Jetzt ist das Opfer nahe
genug, wie ein Pfeil schießt der Hecht vor, das Wasser spritzt auf und
die Wasserratte ist zwischen den nadelspitzen Zähnen verschwunden, die
kein Loslassen kennen.

Wieder steht der Räuber ruhig und lauert. Die Rohrdrossel lärmt im
Schilfe, ein Wasserhuhn zieht vorüber, den Hecht stört es nicht.
Schwalben fliegen über dem Wasserspiegel und trinken und baden im
Fluge, aber auch die erregen die Aufmerksamkeit des Hechtes nicht.
Im Fluge vermag er sie ja doch nicht zu erwischen. Aber im Herbst,
wenn sie in Scharen im Röhricht einfallen, um zu nächtigen, da lohnt
es eher, ein wenig auf sie acht zu geben. Zweimal schon ist es dem
Räuber gelungen, ein niedrig sitzendes Schwälbchen vom Rohrhalme
wegzuschnappen. Aber viel war an dem kleinen Federviehzeug auch nicht
dran, also guckt der Hecht nach den Schwalben gar nicht mehr. Aber
jetzt verrät er wieder Zeichen von Jagdlust, wieder spielen seine
Flossen, wieder krümmt sich sein Rücken. Eine breite, leise Welle
nähert sich, was ist das? Ein dicker Karpfen ist es sicher nicht,
da ist die Welle zu leise und zu breit. Näher und näher kommt die
Bewegung des Wassers, eine „Schule“ von fingerlangen Barschen zieht
vorüber. Rot glänzen ihre Brustflossen, die stachligen Rückenflossen
werden aufgestellt und umgeklappt, die dunklen Querstreifen auf dem
Schuppenkleide machen sich leicht kenntlich. Wie ein Ungewitter fährt
der Hecht unter die Barsche, daß sie wie Spreu auseinanderstieben
und eiligst entfliehen. Leicht wäre es dem Räuber, mit der breiten
Schnabelschnauze einen der kleinen Raubfische zu erhaschen, aber er
tut es nicht. Barsche schmecken ihm zu stachlig, die nimmt er nur,
wenn er sehr hungrig ist. Er hatte sie nur nicht erkannt mit seinen
kurzsichtigen Fischaugen, sonst hätte er sich die Mühe und den Kleinen
die Aufregung erspart.

Sonderbar, allemal wenn der Hecht Barsche sieht und ihre Stacheln
erkennt, dann muß er immer wieder an den kleinen Fisch denken, der
bei ihm in schmerzlicher Erinnerung steht. Es war im Frühjahr. Er
hatte die Zeit der Liebe hinter sich und mächtigen Appetit nach der
entbehrungsreichen Laichzeit. Da hatte er einen kleinen Fisch vor sich
gesehen, der vor dem großen Räuber keine Angst zeigte. Leise war er
herangeschlichen, genau hatte er gezielt und war dann vorgeschossen
wie ein Pfeil und hatte den Kleinen erfaßt. Doch wehe! Scharfe, spitze
Stacheln hatten sich in seinen weichen Gaumen eingebohrt, er hatte
gespien und geschluckt, aber weder heraus noch herein war der kleine
Stachelheld zu bringen. Nach langen, schmerzlichen Bemühungen war es
ihm endlich geglückt, den Stichling auszuspeien. Nach denen schnappt er
nicht wieder, das weiß er.

Und noch etwas Rätselhaftes war in diesem Jahre passiert. Er bummelte
gemütlich über dem Teichgrunde dahin, schnappte hier nach einer
Libellenlarve, dort nach einer Kaulquappe. Dann sah er einem Karpfen
zu, der langsam und behäbig unter der Wasseroberfläche dahinschwamm und
immerwährend schnappte, um sich mit winzigen Flohkrebsen zu mästen. Auf
einmal war ein Schatten ins Wasser gefallen, es hatte laut geplatscht
und gerauscht, dann war ein großer Vogel ein Stück unter Wasser
getaucht, hatte mit acht scharfen Krallen dem Karpfen durch den Leib
gegriffen und war dann wieder verschwunden und mit ihm der zappelnde
Friedfisch. Aus Angst vor diesem Karpfenheber (Fischadler) hält sich
unser Hecht lieber im tiefen Wasser auf, oder unter dem Schutz von
Schilf und Baumwurzeln.

Doch vom Philosophieren wird man nicht satt, und ein Hecht von
drei Pfund hat Hunger. Sieh da, ein glitzerndes Fischchen ist
vorübergeschwommen, er hat es verpaßt. Doch da ist ja wieder eins,
es dreht und schlängelt sich durchs Wasser. Mit einem Ruck fährt der
Räuber zu und schnappt und schluckt. Doch was ist das? Hart wie Stein
ist der Fisch und stachlig obendrein. Also heraus damit. Aber der
Bissen sitzt fest. Und was ist denn das wieder Neues. Der Bissen zieht
leise und vorsichtig nach dem seichten, sandigen Ufer zu. Mit kräftigen
Schwanzschlage steuert der Hecht rückwärts und ruckt und reißt. Immer
fühlt er dabei Widerstand, einen sonderbaren nachgiebigen Zug. Hält
er ein mit Rucken und Zerren, dann wird er wieder langsam nach dem
Ufer gezogen. Hin und her geht der Kampf. Aber schwächer und schwächer
wird der Widerstand des Hechtes, noch einen Gewaltversuch macht er,
aber um so rascher ermattet er. Schon ist er bis auf wenige Meter dem
Ufer nahe, jetzt liegt er gar schon auf dem Sande. Mit letzter Kraft
ruckt und schnellt der Hecht, aber zu spät. Ein dichtes Netz legt sich
um seinen Leib, hebt ihn auf vom Sande und bringt ihn ins Trockene.
Einen dumpfen Schlag fühlt der Hecht noch auf seinem Schädel, dann
ist es aus. Zwar zucken seine Muskeln, wenn der kalte Stahl das Hirn
durchbohrt, aber fühlen kann er seinen Tod nicht mehr.

Der glückliche Fischer aber löst den doppelten Hechthaken aus dem Maule
des Raubfisches, prüft die dünne, feste Seidenschnur und die Rolle,
die das Garn zwar auslaufen läßt, aber immer dabei bremst, so daß der
gefangene Fisch viel Kraft vergeudet, ohne doch die Schnur zerreißen
zu können. Dann legt er wieder den Kätscher bereit, streicht mit dem
Messerrücken über den Blechlöffel, der den Fisch darstellt, damit er
neuen Glanz bekommt, und wirft dann wieder seine Angel aus.

Ein Hecht hat zartes Fleisch und dabei wenig Gräten, er ist gut zu
essen. Das wissen nicht nur die Angler, das wissen auch die Jungen auf
den Dörfern, in deren Bächen sich Hechte aufhalten. Und gar schlau
wissen sie die glatten Räuber zu fangen. Die Angel wird von den Knaben
wohl nie benutzt, zum langen Warten haben sie wenig Geduld. Im März,
wenn die Hechte „stehen“, da ist ihre Fangzeit. Da gehen sie zum
Schirrmeister des Ritterguts und betteln sich einige lange Haare aus
dem Schweife des Schimmels. Die flechten sie zu einer dünnen, straffen
Schnur zusammen und ziehen hinaus vors Dorf. Am Bach schneiden sie
eine lange dünne Weidenrute ab, binden ihre Roßhaarschlinge daran und
gehen langsam am Bachufer hin. Wo sich die dicken Stämme der Erlen und
Pappeln, der Weiden und Birken im Wasser spiegeln, da gucken sie und
suchen sie. Da kann man bis auf den Grund des Baches sehen, während
sonst die spiegelnde Oberfläche stört. Aber leicht ist ein Fisch
zwischen den verwesenden Blättern, den toten Rohrhalmen und Ästen auf
dem Bachgrunde nicht zu entdecken.

Endlich macht einer der Jungen Halt. Schnell sieht er noch einmal
nach, ob die Schlinge fest an der Rute sitzt. Dann guckt er lange und
genau nach dem Hecht, den er stehen sieht. Ja, was ist denn nur hier
vorn oder hinten? Vom Kopf ist nichts zu entdecken, der steckt unter
einem Blatt, der Schwanz auch. Ganz leise taucht der Knabe seine Rute
ins Wasser. Leise schiebt er das Blatt vom Kopfe des Hechtes weg. Der
bleibt auch wirklich stehen, aber geheuer ist ihm die Sache nicht, er
bewegt die Brustflossen ziemlich rasch, lange wird er nicht mehr ruhig
bleiben. Ein Blick nach der Schlinge zeigt, daß sie noch in Ordnung.
Vorsichtig zieht sie der Knabe dem Hecht über den Kopf, langsam bewegt
er sie nach den Kiemen des Fisches zu. Doch er tut einen Schwanzschlag
und ist hindurchgeschwommen.

Wieder wird er aufgespürt. Diesmal steht er günstiger. Wieder taucht
die Schlinge ins Wasser und rutscht über den Hechtkopf. Jetzt ist sie
hinter den Kiemen; dicht vor den Brustflossen umgibt sie in weitem
losen Bogen den Hechtleib. Mit einem Ruck, so rasch und kräftig er ihn
tun kann, zieht der Knabe seine Rute aus dem Wasser, ein Hecht von zwei
Spannen Länge zappelt in der unbarmherzigen Schlinge. Er kriegt einen
Klaps mit dem Taschenmesser auf den Kopf und wird abgenickt. Dann kommt
er in den Latz der blauen Schürze. Nach einer halben Stunde hat er
einen Leidensgefährten oder zwei, wenn nicht unterdessen der Förster
die Jungen erwischt und vertrieben hat. Denn erlaubt ist das Fischen
natürlich nicht, deshalb schmecken die Hechte doppelt gut.




Die Papierburg


Einsam und zwischen hohen Pappeln versteckt liegt die Walkmühle da.
Das Wasser plätschert und rauscht lustig an den alten Mauern, fröhlich
springt es vorüber, da es das alte Schaufelrad nicht mehr zu drehen
braucht; denn die Walkmühle ist schon lange nicht mehr im Betriebe.
Holzläden schließen die glaslosen Fenster, aber ohne Mühe kann sie
jeder öffnen, wenn er Lust hat, in das baufällige und verschmutzte
Gemäuer einzudringen. Eine Anzahl Fledermäuse stieben erschreckt auf
und umflattern den Eindringling, wenn er etwa die knarrende Holzstiege
hinaufklettert zum Oberboden der Mühle, und das Käuzchen schwingt sich
zur Dachluke hinaus, wenn Menschenschritte es aufscheuchen. Aber selten
genug kommt das vor.

Im Winter schaut die Sonne alle paar Tage einmal durch die Luke,
schickt ein bleiches Bündel Licht in die Ecken des Bodens und schiebt
es langsam von Stunde zu Stunde weiter. Je näher der Frühling kommt,
desto goldener wird der Sonnenstrahl auf dem Boden der Walkmühle, desto
kleiner der Weg, den er geht. Und wie die Sonne so suchend und wärmend
über den Boden der Walkmühle wandert, so weckt sie nacheinander die
Schläfer, die sich dort vor dem Winter verkrochen haben. Da sind zarte
Mücken und grüne Florfliegen mit goldenen Augen, Kohlweißlinge und
Pfauenaugen versammelt, die alle zur rechten Zeit geweckt werden, um
dann ihr Sommerleben zu beginnen, wenn nicht die zarten Fesseln des
Spinnennetzes am Mauerloche ihre schwachen Kräfte lahmlegen, so daß die
Hausspinne die Wehrlosen töten und aussaugen kann.

Im März war es. Die Sonne schien warm, und ihr goldener Strahlenstab
wanderte langsam über den Boden der Walkmühle. Zögernd glitt er
über das Gerümpel, das dort lag, über die zerbrochenen Rohrstühle,
das verstaubte Kinderspielzeug, beleuchtete die weißen Häufchen
Mauersalpeter, die im Laufe der Zeit vom Dache gefallen waren, und
kroch dann über den Haufen alter, morscher Lattenstücke.

Da traf er einen Winterschläfer und störte ihn in seiner Ruh. Zitternd
fuhr sich die +Hornisse+ über ihre geknickten Fühler, putzte sich
die großen Fazettenaugen, wischte sich den Staub aus den Punktaugen
auf ihrer Stirn, bog und dehnte den Hinterleib auf und nieder und
marschierte dann mit dem wandernden Sonnenstrahl weiter. Je länger
die belebende Sonnenwärme auf den gelben, glatten Leib fällt, desto
lebhafter wird sie, probierend hebt sie die braunen, knittrigen Flügel,
brummt ein wenig damit und fliegt dann auf. Schwankend und unsicher
geht der Flug dahin, bis die Hornisse an der Dachluke sitzt, so recht
in der warmen Sonne auf dunklem, warmem Brette. Immer mehr weicht die
Trägheit und Steifheit des langen Winterschlafs aus ihren Gliedern,
die Fühler spielen, die Kiefer öffnen und schließen sich. Nun ist die
Hornisse durchwärmt, sie summt mit den Flügeln und fliegt davon.

Der dürre Ast der alten Eiche, den der Wintersturm abriß und zu Boden
warf, hat im Fallen den schlanken Stamm einer Birke getroffen und
ein Stück der glatten, weißen Rinde abgeschlagen. Nun quillt der
aufsteigende Lebenssaft aus der Wunde und rinnt als süße Träne zu
Boden. Ein leiser Duft geht aus vom Birkensafte und zieht mit dem
sanften Lufthauch davon. Die Hornisse schwärmt und fliegt durch die
Duftwelle, die Fühler tasten in der Luft, und im Nu weiß die Gelbe den
Weg zum süßen Tranke. Geradeswegs fliegt sie hin zur Birke, tanzt
einmal auf und nieder vor der blutenden Wunde, und dann setzt sie sich
hin auf die weiße Rinde zum leckern Mahle. Lange leckt und schlürft sie
vom Birkensafte, bis sie gesättigt ist, dann putzt sie sich die Beine
und Flügel und brummt in schwerem Fluge weiter.

Hinüber zur glatten Esche geht es. Dort setzt sich die Hornisse
nieder und schrotet und schabt mit den scharfen Kiefern an der Rinde.
Ein heller Streifen zeigt bald an, wo sie die dünne graue Schicht
verwitterter Borke losgeschabt hat. Mit einem kleinen grauen Ballen
Holzstoff in den Kiefern brummt dann die Hornisse zurück zur Walkmühle.
Sie fliegt zur Dachluke hinein und läuft an den Balken umher. Zögernd
macht sie hier einmal Halt und tastet mit den Fühlern, dann läuft sie
weiter und wiederholt ihr Spiel. Endlich scheint sie gefunden zu haben,
was sie sucht.

Der Balken, der sich quer über den Boden spannt, scheint ihr sehr
zu behagen. Er ist halb im Dunkeln, trocken ist er auch, und von
der Dachluke zieht ein leiser Lufthauch über ihn hin. Dort sitzt
die Hornisse und kaut an dem Ballen Eschenrinde, den sie immer noch
zwischen den Kiefern trägt. Dann klettert sie an die Unterseite des
Balkens und klebt das gut durchgekaute Klümpchen daran fest, um darauf
wieder durch die Dachluke davonzufliegen. Lange dauert es nicht,
dann ist sie schon wieder da mit einem Ballen Holzstoff zwischen den
Kiefern, kaut ihn und pappt ihn an den Balken. So geht es immer weiter,
bis der Abend kommt und die Kühle der Nacht die Glieder der Hornisse
steif werden läßt.

Doch kaum hat die Sonne am nächsten Tage den Tau von den
Frühlingsblumen getrocknet, da macht sich die Hornisse wieder an die
Arbeit. Bald an der Esche, bald am Fensterladen schabt sie Holzfasern
los und kittet und klebt sie an den Balken. Nach einigen Tagen ist
eine kleine Scheibe fertig, und auch schon einige sechseckige Zellen
sind darauf gebaut. Aber nun will die Hornisse nichts mehr wissen von
Papparbeit. Nun sucht sie auf den gelben Blüten des Löwenzahns etwas
Blütenstaub zusammen, trinkt auch Nektar, wo sie dazukann, schleckt
Birkensaft und gärendes Blut der Eiche. Das alles trägt sie zu ihrem
Wabenbau, bricht es wieder aus und stopft es in die Zellen. Eine nach
der andern wird so angefüllt, und dann legt die Hornisse ein Ei in die
Nahrungsmasse.

Bis jetzt hat sie nur der Zukunft gelebt, nun genießt sie erst
einmal ihr Leben. Um ihren Bau kümmert sie sich tagsüber nur wenig.
Da schwärmt sie umher, und wo es nach Süßigkeit duftet, da ist sie
zu finden. Alle Pflanzensäfte kostet sie, und sie bekommen ihr gut,
beinahe feist wird sie bei ihrem Schlemmerleben. Des Abends kehrt sie
zurück und setzt sich auf ihr Nest, guckt auch mal in die Zellen und
freut sich, wie die Eier darin ausschlüpfen, die Larven fressen und
heranwachsen und schließlich zu weißen Mumien werden. Man sieht durch
ein weißes Kleid die Fühler und Beine an ihnen schon fertig entwickelt,
noch kurze Zeit, und die jungen Hornissen schlüpfen aus.

Weiß und weich sind die jungen Weltenbürger zunächst und viel kleiner
als die Mutter. Aber wenn sie ihr auch in wenig Tagen in der Farbe
beinahe völlig gleichen, größer werden sie nicht und wenn sie noch so
viel zu fressen finden. Das ist ja bei Insekten überhaupt nicht anders.
Wenn sie als Larven tüchtig wachsen und eine große Puppe liefern, dann
ist das fertige Tier groß, aber wenn es in der Entwicklung zurück
war, kann es das Versäumte niemals wieder nachholen. So geht es den
Hornissen hier auch. In ihrer Zelle war nicht allzuviel Nahrung zu
finden, und deshalb mußten sie sich verpuppen, noch ehe sie völlig
erwachsen waren.

Kaum sind die Flügel der jungen Hornissen richtig hart geworden, da
fangen sie auch schon an zu arbeiten. Sie nehmen der Mutter alle Last
ab, fliegen aus und holen Holzstoff zum Bauen und Nahrung zum Füllen
der Zellen, die Mutter, die Königin, braucht nur Eier zu legen und
ab und zu etwas Nahrung zu suchen, wenn sie nicht einfach die Zellen
ausschleckt.

Bei dem emsigen Fleiße der kleinen Arbeiter wächst das Nest rasch
heran. Erst war es nur eine einzige Wabe mit wenig Zellen und eine
dünne Kugelhülle spann sich darüber. Jetzt wird an einigen Stielen
über die erste Wabe eine zweite errichtet mit vielen Zellen, die schon
etwas größer sind als die von der Königin gebauten. Wieder wird darüber
eine weite Hülle aus Holzpapier gepappt und darüber eine noch weitere
mit neuen Waben. Und alle Zellen werden mit Futter für die Larven
vollgestopft, und die Königin legt dann ein Ei hinein.

Der September ist herangekommen. Die Papierburg der Hornissen in der
Walkmühle hat sich mächtig verändert. Ein Bau, der weit größer ist als
ein Männerkopf, hängt dort am Balken und ein gefährliches Brummen tönt
hinter den dünnen grauen Papierwänden hervor. Wehe dem Unglücklichen,
der jetzt in der Nähe des Nests den Zorn einer Hornisse erregt. Sie
dringt unter eigenartigem Flügelsummen auf den Störenfried ein und
versucht, ihn zu stechen. Aber während der Verfolgte noch die eine
abwehrt, hat ihr zorniges Flügelsummen Gehilfen herbeigerufen. Zehn,
zwanzig und noch mehr eilen herbei, und wenn man auch zehn abwehrt, so
setzen sich doch andre zehn auf Arme und Beine, laufen umher und biegen
den geschmeidigen Hinterleib. Und wenn sie an eine unbekleidete Stelle
kommen, an Hals oder Gesicht, dann kneifen sie ihre Kiefer ein, halten
sich mit sechs krallenbewehrten Beinen fest und bohren den langen,
spitzen Giftstachel tief hinein ins Fleisch des Feindes. Was nützt es,
wenn ein wuchtiger Schlag den kleinen, gelbgepanzerten Feind zu Brei
schlägt. Zwanzig, dreißig Rächer stachelt der Blutgeruch zu rasender
Wut an und Stich folgt auf Stich. Wer kann es dem Tapfersten verargen,
wenn er vor den kleinen, gefährlichen Feinden eilig entflieht, oder
sich zu Boden wirft in der berechtigten Hoffnung, daß die Hornissen ihn
so nur schwer entdecken und sich bald beruhigen, so daß er unzerstochen
entfliehen kann? Denn ein Hornissenstich ist ungemein schmerzhaft,
eine riesengroße Beule ist noch wochenlang das Erinnerungszeichen. Es
ist auch möglich, daß ein kleineres Tier, wie ein Hund, ja sogar ein
Mensch, der nicht entfliehen kann, von den Hornissen getötet wird,
obgleich es auch stark übertrieben ist, wenn der Volksmund sagt: Neun
töten ein Pferd.

Doch der schmerzhafte Stich ist jetzt nicht die einzige
Unannehmlichkeit der Hornissen. Sie schwärmen weithin über die Felder
bis hinüber zum Dorfe. Dort schwelgen sie in den zartschaligen
Gartenfrüchten, schroten die süßen Pflaumen und saftigen Birnen und
verwüsten vor allem eine große Menge Weintrauben. Die schlechtesten
Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen, und die Hornissen
sind gerade solche Schleckermäuler, wie ihre kleineren Vettern. Doch
ihre Gier nach Süßigkeiten ist auch ihr Verderb. Überall in den
heimgesuchten Weinspalieren werden weithalsige Flaschen aufgehängt, in
die verdünnter Sirup und Fruchtsaft geschüttet worden ist. Nun gärt das
Gemisch, und der süßalkoholische Duft lockt die Hornissen an. Wenn sie
dann in den Flaschenhals kriechen, werden sie von der Kohlensäure, die
sich bei der Gärung bildet, betäubt, sie fallen hinein in den lockenden
Saft und ertrinken.

Je mehr die kühlere Jahreszeit heranrückt, um so ruhiger wird es in der
Papierburg. Zwar bis weit hinein in den Oktober trotzen die Hornissen
der Kühle der Nächte. Junge, große Weibchen schlüpfen noch aus den
Zellen und dickleibige Männchen. Sie schwärmen aus zum Hochzeitsfluge,
doch je kühler es wird, desto seltener kommen die befruchteten Weibchen
zum Neste zurück. Sie verkriechen sich in hohle Baumstämme, in Ställe
und Scheunen, legen die Fühler an den Kopf und verfallen in den
scheintoten Zustand des Winterschlafs.

Im Mutternest wird die Zahl der Bewohner immer kleiner. Die alte Mutter
des Stocks stirbt, die Männchen fliegen fort und verenden draußen, und
auch von den Arbeitern, den unfruchtbaren Weibchen, bleibt eine nach
der andern weg. Wenn dann die ersten starken Fröste kommen, leben nur
noch wenige, und auch von denen sieht keine den kommenden Frühling.
Öde und verlassen hängt die große Glocke im Winter am Balken in der
Walkmühle. Eine Anzahl tote Arbeiter liegen noch drinnen, in den
Waben sind beinahe schlupfreife Larven erfroren, die Papierburg ist
ausgestorben.

Doch wenn der Frühling kommt, dann lockt er die überwinterten
Königinnen aus ihren Verstecken, und bald entstehen in hohlen Bäumen,
in verlassenen Gebäuden neue Kolonien, neue Burgen der gelben
Wegelagerer.




Hermännchen


Am Waldrande liegt eine alte Ruine, das „wüste Schloß“ heißt sie bei
den Landleuten. Nur einige hohe, dicke Mauern stehen noch, einige
Fensternischen sind noch erhalten, alles andre bildet einen großen
Trümmerhaufen. Und jährlich geht die Zerstörung weiter. Da füllt
tauender Schnee die Ritzen zwischen den Steinen mit Schmelzwasser, der
Frost in der nächsten Nacht läßt das Wasser erstarren, und das Eis
drängt und sprengt die Steine voneinander. Zwischen den Rissen sprießen
die Holundersträucher hervor und Birken. Weit hinein senden sie ihre
zarten Würzelchen in die Risse des Gemäuers. Aber die erstarkenden
Wurzeln stemmen sich mit Titanengewalt gegen die fesselnde Enge der
Gesteinsspalten, und der Mörtel, den Jahrhunderte gehärtet haben, muß
nachgeben und bröckelt in die Tiefe.

Es ist nicht recht geheuer beim wüsten Schloß. Am Tage drohen fallende
Steine den Wanderer zu verletzen, die eine geheimnisvolle Kraft von den
Mauern loswuchtet und nach dem vorwitzigen Menschenkind hinunterwirft.
Am Abend kann man deutlich wilde Schreie hören, Jauchzen und tiefes
Pfeifen; dann wieder dumpfes Seufzen, hu, hu, hu, tönts aus dem alten
Gemäuer. Schon am Tage kommt selten ein Mensch hierher und scheucht
die zahlreichen Ringelnattern, die ein beschaulich ungestörtes Dasein
führen. Am Abend sucht erst recht hier niemand einzudringen in das
gruselige Geheimnis der alten Ruine. Deshalb spuken balzende Waldkäuze
gern hier, und die Ohreule seufzt ihr schauerliches Liebeslied.
Hier treffen sich im Winter die verliebten Füchse und lassen ihr
heiseres Bellen erschallen, hier hört man im März das Fauchen und
Kreischen liebestoller Stinkmarder, die durch einen schmalen Spalt
hinuntersteigen in ihre Schlupfwinkel in den alten, verfallenen
Kellern, sobald der Morgen graut. Von dem kleinen, schlanken Vetter,
der etwas abseits unter einem großen Steinhaufen haust, hört man selten
einen Ton. Das +Hermelin+ ist ein stilles, heimliches Tier.

März ist’s, und das Getreide beginnt zu schießen. Mit leisem Rauschen
fährt der Abendwind durch das Gemäuer der alten Ruine. Da schlüpft
ein schlankes Tier hervor unter dem Geröll, prüft mit den blauschwarz
glimmenden Augen die Umgebung, schnuppert mit dem feuchten Näschen,
setzt sich zierlich auf die Keulen und macht ein Männchen, um weitere
Umschau zu haben, Hermännchen sichert und macht sich zum Jagdzug
fertig. Mit zierlichen Sätzen geht’s durch den Wald auf einem glatten
Wechsel, den es selbst ausgetreten hat, dann auf dem Fahrweg in dem
Gleis, das die schweren Holzwagen ausgefahren haben, hinaus aufs Feld.
Auf dem Grenzstein sitzt Hermännchen wieder ein Weilchen als langer
Pfahl und späht nach etwas Genießbarem. Nichts ist zu sehen. Nun
eilt das Wiesel in der Ackerfurche entlang, immer in weiten, eiligen
Sätzen, denn hier ist keine Deckung und der Waldkauz wird bald auf Raub
ausfliegen, vor dem muß man sich in acht nehmen, der hat gar spitze
Krallen. Dem Bache eilt der kleine, braune Räuber zu. Schon ist er in
den Büschen, die das Ufer säumen, angekommen und schlüpft durch das
Gezweig, um eilig in einem alten Kaninchenbau zu verschwinden. Bewohnt
ist er nicht, das weiß auch das Wiesel, aber es schlüpft stets in die
alte Höhle hinein, wenn es übers Feld gekommen ist. Hier erst fühlt es
sich wieder sicher nach dem unangenehmen Springen über den offenen und
kahlen Acker.

Da guckt es wieder unter einer Wurzel hervor, nun steckt es Kopf und
Hals weit hervor und sichert in alle Winde. Dann schlüpft es heraus,
macht zum Überfluß noch ein Männchen, und dann geht es wieder am
Bache entlang. Das Wasser hat die Ufer unterhöhlt und einen schmalen,
halbverdeckten Pfad unter dem Ufer ausgespült. Den kennt Hermännchen
und hüpft auf ihm dahin. Fast armstarke Höhlen führen von hier aus
in den Bachdamm, in die schnuppert der kleine Räuber immer hinein.
Das Loch ist leer, das dort auch. Weiter geht es. Da ist wieder eine
Höhlung. Hier hält sich das Wiesel nicht lange mit Schnuppern und
Spüren auf. Es ist wie umgewandelt und im Nu verschwunden in dem
glatten, runden Loch. Einige Schritt weiter bachaufwärts ist noch eine
Ausfahrt. Dort saust ein braunes Etwas heraus, plumpst ins Wasser und
ist verschwunden. Gleich danach erscheint das Wiesel an der gleichen
Stelle, stutzt einen Augenblick, und geht dann auch ins Wasser und
schwimmt eifrig schnuppernd gegen die Strömung.

Zehn Schritt vor ihm taucht ein andrer Schwimmer auf. Eine Wanderratte,
größer und dicker als das Wiesel, rudert dort aus Leibeskräften, denn
sie weiß den Todfeind hinter sich. Kaum hat der kleine Räuber sein
Wild erblickt, da ist er auch schon heraus aus dem Wasser und eilt in
mächtigen Sätzen am Ufer hin. Schon ist er neben der Ratte und springt
nach ihr. Das Wasser spritzt hoch auf, und dann sieht man von dem
Räuber und auch von seinem gehetzten Wild nichts mehr.

Noch einmal ist es der Ratte gelungen, dem Verfolger zu entkommen.
Schwer atmend sitzt sie unter dem Wurzelwerk der Erle und glotzt
angstvoll nach dem Wasserspiegel. Naß kleben ihr die braunen Haare am
Körper und lassen sie häßlich und abstoßend erscheinen. Nun endlich
taucht auch Wieselchen wieder auf und schwimmt einigemal suchend und
schnuppernd hin und her. Jetzt haben die scharfen Augen die zitternde
Ratte erspäht und schnurstracks strebt das Hermelin auf sein Wild zu.
Der Ratte ist der Weg zum Wasser abgeschnitten. Sie setzt sich auf die
Keulen, hebt die zierlichen Vorderpfoten zur Abwehr und bewegt die
Oberlippe zuckend auf und nieder, daß die meißelscharfen Nagezähne
drohend aufblitzen.

Jetzt ist der Todfeind am Ufer, noch ein Satz und noch einer, dann
wälzt sich ein quiekender und strampelnder Knäuel auf dem Schlamme,
rollt hin und her, plumpst ins Wasser, aber löst sich nicht, kommt
wieder aufs Trockne, wird ruhiger und stumm. Dann zerrt das Wiesel sein
Opfer ganz aufs Ufer und kaut und zupft am Rattenhalse, bis es rot
sprudelt und fließt, und dann leckt es und zupft wieder und kaut, bis
kein Tropfen Blut mehr hervorsickert. Wiesel, mordgieriger Teufel, wie
siehst du jetzt aus! Naß kleben die Haare am Körper, das Näschen und
Mäulchen sind rot vom Blut, auch das weiße Vorhemdchen ist besudelt,
und der weiße Bauch ist schwarz vom Schlamm!

Nur wenige Bissen reißt der kleine Räuber los von seiner erkaltenden
Beute und kaut sie hinter, dann läßt er alles liegen, schwimmt durch
den Bach und setzt sich drüben auf den umwachsenen Stumpf der Pappel,
um sich ein wenig zu trocknen. Er schüttelt sich, daß die Haare
starr nach allen Seiten stehen, dann beginnt er nach Katzenart sich
zu säubern. Wieselchen leckt das weiße Vorhemdchen glatt, aber der
rote Fleck will nicht verschwinden, immer und immer wieder taucht er
hervor und wird breiter. Dort hatte wohl die Ratte gefaßt und eine
Schmarre geschlagen. Unter stetem Lecken bringt das Hermelin das Blut
schließlich doch zum Stehen, dann fährt es sich mit der Zunge noch
einigemal über den Balg, juckt und kratzt sich, sträubt das Haar und
schüttelt sich und ist beinahe wieder trocken.

Husch, ist es herunter vom Pappelstumpf und eilt in langen Sätzen dem
Walde zu, aber diesmal oben, im Gestrüpp, nicht mehr am Wasserrande.
Dort steht eine alte, hohle Weide. In Meterhöhe über dem Boden hat sie
ein rundes Loch, das in den hohlen Stamm hineinführt. Das Wiesel reckt
sich am Stamm in die Höhe, schnuppert und lauscht, dann krümmt es den
geschmeidigen Rücken. Wie eine Feder schnellt der schlanke Räuber hoch
am Stamm in die Höhe, klammert sich fest mit spitzen Krallen und steckt
den Kopf in das Baumloch. Darin flattert es wild und zetert ängstlich,
aber der Räuber läßt sich nicht bange machen. Bald hat er zugefaßt und
springt mit dem erhaschten Feldsperling auf den Boden herab. Dann rupft
und kaut das Wiesel, zermalmt den Schädel und frißt das Gehirn, leckt
jedes Tröpfchen Blut auf, verzehrt etwas vom Muskelfleisch der Brust,
dann leckt sich’s das Mäulchen und ist gesättigt. Dann schüttelt es
sich einige Tautröpfchen aus dem Pelz und macht ein Männchen, um sich
umzuschauen.

Der Wind scheint ihm eine interessante Witterung zugetragen zu haben,
Hermännchen hüpft in zögernden Sätzen am Bachufer hin und macht öfter
Halt, um prüfend die Luft einzuziehen. Dann bückt es sich zum Boden,
tupft leise mit dem Näschen auf eine feuchte Stelle und zieht durch
die gefitzte Nase den süßen Duft ein. Dann nimmt es die gefundene
Fährte auf und folgt ihr auf allen Widergängen und Haken am Bache
entlang, durch die Roggensaat, den jungen Klee, am Rain entlang in
einen Steinhaufen, von da zur Steinbrücke am Feldweg, unter der es
verschwindet. Da kommt es schon auf der andern Seite wieder hervor
und rennt den Feldweg entlang. Doch nein, das ist unser Freund ja gar
nicht, ein zweites, etwas kleineres, schlankeres Hermelin ist es, und
unser Bekannter saust auf der Fährte des Weibchens dahin. Das aber
scheint sich noch spröde der Werbung zu widersetzen, lange jedoch wird
es nicht mehr dauern, da findet der stürmische Liebhaber Gehör.

Und richtig. Im Juli spielen fünf halberwachsene Wiesel mit der Mama
in den Trümmern des wüsten Schlosses. Bald hier, bald da gucken die
kleinen Schelmengesichter unter den Steinen hervor, hier und da huscht
eins der geschmeidigen Kerlchen durch die Steinwüste. Und wie man
den besetzten Fuchsbau schon in einiger Entfernung am Raubtiergeruch
erkennt, so ist jetzt das ganze wüste Schloß durchduftet von dem
süßlichen Parfüm der Hermelinfamilie. Sogar der Geruch der Speisereste,
der Mäusefelle, Kaninchen- und Junghasenknochen wird verschleiert von
diesem Duft.

Und die Zahl der Überbleibsel ist nicht gering. Eine so zahlreiche
Familie will viel haben, ehe jeder satt ist. Da heißt es tüchtig
arbeiten, hier ein Jungkaninchen hetzen durch dick und dünn, bis es in
den Bau fährt und dort in einer Sackgasse nicht weiter kann oder bis
es sich drückt, so daß es mit einem Sprung erreicht werden kann, dort
einem Hasen auflauern und ihm an den Rücken springen. Und wenn ein
Wiesel einmal gefaßt hat, wenn es die nadelspitzen Zähne eingehauen hat
in die Nackenmuskeln, dann hilft kein Bäumen und Rennen, dann sitzt es
fest, läßt sich hierhin und dorthin schleudern und macht einen Ritt mit
auf dem Opfer. Und die spitzen Zähnchen arbeiten und reißen, bis eine
Schlagader aufgebissen ist und der rote Lebenssaft rinnt. Dann ist der
Widerstand der Beute gebrochen, seine Lebensgeister schwinden, und das
Wiesel sitzt und trinkt, bis es vom Blut förmlich berauscht ist. Dann
schleppt es die Beute den Kleinen zum Fraße zu.

Später begleiten die Sprößlinge die Mutter auch auf ihren Streifzügen,
bis sie allmählich selbständiger werden und gegen den Herbst hin sich
in die Umgegend verstreuen. Sie beginnen umherzustreifen, messen sich
bald auf den Stoppelfeldern mit jungen Hamstern, bald fangen sie die
braune Wühlmaus im Walde. Sie kehren auch zu Zeiten mal wieder in den
Trümmerhaufen des wüsten Schlosses zurück, aber bestimmt kann man sie
nirgendwo antreffen, unstet betreiben sie bald hier, bald da ihre
Jagd. So kommt es, daß hier eins vom Jagdhund gewürgt wird bei der
Hühnersuche, dort eins im Stall des Bauern erschlagen wird, weil es
sein Interesse für Kaninchenbraten allzu unverblümt gezeigt hat.

Mögen auch einige einen frühen Tod sterben, die Mehrzahl schlägt sich
doch durchs Leben, ihre Vorsicht und Schlauheit bewahrt sie doch
meist vor einem Unglück. Und wenn dann der Winter kommt und mit
weißen Flocken Mutter Erde einhüllt, dann zieht auch das Hermelin
eine weiße Jacke an, und die schwarze Schwanzspitze guckt noch
darunter hervor. Gegen den Frühling, wenn es wieder wärmer wird, dann
legt es auch stückweise den alten Rock wieder an, ist eine Zeitlang
weißbraun gefleckt, bis es wieder den braunen Sommerflaus trägt, der
es verschwinden läßt auf dem braunen Acker, auf dem laubbedeckten
Waldboden.

Ein Räuber ist das Wiesel, ein blutgieriger sogar, aber kein
Naturfreund kann ihm dauernd gram sein, dazu ist es viel zu hübsch, man
verzeiht ihm immer wieder auch die blutigste Übeltat.




Raubritter


Eine milde Märznacht beginnt zu weichen. Noch läßt der Waldkauz seine
jauchzende Balzarie hören, noch tönt das „Guuk“ des Käuzchens aus den
Kopfweiden am Bachufer. Doch bald verstummt das nächtliche Konzert.
Im Dorfe kräht ein Hahn, bald antwortet ein zweiter, der östliche
Himmel schmückt sich mit rosigen Tinten. Vom Kirchendache begrüßt der
Hausrötel den erwachenden Tag mit seinem komischen Liede, am Bachufer
erwacht das Rotkehlchen und schnickst traumverloren. Jetzt erwacht
auch der Frühwind und fährt flüsternd durch das Laub der Steineiche,
dann knarrt er ein wenig mit ihrem losen Aste, bläst in den Kobel
des Eichhorns, verkündet ihm einen neuen Tag und eilt weiter, andre
Schläfer zu wecken. Zum Spechtloch bläst er hinein, aber die Meise
will noch nichts vom Aufstehen wissen, auch der Feldspatz im hohlen
Apfelbaume plustert sich nur noch etwas mehr auf beim Morgengruß des
Windes und schilt leise über die Störung. Und weiter eilt der lose
Geselle. Dort nimmt er der Waldmaus das dürre Eichenblatt weg, unter
dem sie eben eine keimende Nuß zerknabbern wollte, dann wirbelt er ein
wenig im Stangenholze und verdirbt Langschwanz, dem Fuchs, die Jagd.
Stampfend schlüpft das Kaninchen in den Bau, das noch rechtzeitig
die Witterung des Schleichers in das wachsame Näschen bekam. Rastlos
weiter eilt der Wind hinaus auf die Wiese, jagt die Nebelschwaden
durcheinander, kost der jungen Magd des Försters die Wangen und spielt
mit ihren Löckchen, dann geht es zum Feldgehölz. In den Fichten
schlafen die Goldhähnchen und wollen geweckt sein, einer Elster ist
eine wichtige Botschaft auszurichten, und vor allem der Herr Baron muß
begrüßt werden, der dort seine Wohnung hat.

Ärgerlich über den dummen Wind, der ihm so unzart die Nackenfedern
zaust, öffnet der +Sperber+ seine gelben Augen. „Wahrhaftig, es ist
schon ganz hell, die Sonne geht schon auf“, so denkt er. Er schüttelt
sein Gefieder, reckt die runden Fittiche, fächert den gebänderten
Stoß, ordnet die rostbraunen Federn der Brust, juckt in den blaugrauen
Schulterfedern und bringt einige quälende Federläuse zur Ruhe, -- der
Herr Baron macht Toilette. Jetzt wäre eigentlich ein kleines Frühstück
am Platze, aber wo ist das am leichtesten zu holen? Die Lerche, die
sich soeben singend von der Scholle aufschwingt, wäre ja ein ganz
guter Bissen, aber sie ist zu schnell in den Wolken verschwunden, und
man muß sich mächtig anstrengen, um sie zu fangen. Meisen wieder sind
leicht zu fangen, wenn sie über freies Feld fliegen, aber das tun sie
selten; die Sperlinge im Dorfe sitzen noch im Weinspalier an der Pfarre
und machen Frühkonzert, sehr fraglich, ob man da einen kriegt. Aber
halt, an der Feldscheune waren gestern Ammern und Finken, dort ist es
nicht allzu schwer, einen plumpen Finken zu fangen. Zur Not wimmelt
es dort von Feldmäusen, sie schmecken zwar nicht besonders, aber sie
machen auch satt. Also auf zur Feldscheune!

Mit einem raschen Schwunge wirft sich der Sperber von seinem Aste, und
tief am Boden streicht er dahin, quer über die Felder zunächst, dann
am Raine entlang. Gedeckt durch einen Rosenstrauch, kommt er ungesehen
in die Nähe, aber als er sich in jähem Bogen unter die vermeintlichen
Opfer stürzen will, findet er sich in seiner Berechnung betrogen:
keine Ammer, kein Fink, nicht einmal eine lumpige Maus ist zu sehen.
Geduldiges Abwarten verhilft vielleicht eher zu einem Frühstück. Dort
der Balken ist ein schönes Ruheplätzchen, die Sonne scheint so warm
dorthin, und versteckt sitzt man dort auch; dort setzt sich der Sperber
hin und reckt und räkelt sich in der Sonne. Sein Sonnenbad gefällt ihm
so, daß er fast seinen knurrenden Magen vergißt. Eine wispernde und
raschelnde Feldmaus erweckt kaum seine Aufmerksamkeit. Doch plötzlich
ruckt er zusammen. Gääb, gääb, lockt es aus der Luft. „Ei, fette
Böhämmer“, denkt der Sperber und sitzt stockstill. Wirklich, eine Schar
Bergfinken kommt im hüpfenden Bogenflug herbei und schwenkt über der
breitgewehten Spreu. Gierig funkeln die gelben Augen des Strauchritters
auf dem Balken, tief zwischen die Flügelbuge eingezogen ist der Kopf,
jeder Muskel in den langen gelben Fängen (Beinen) strafft sich. Jetzt
nahen sich die arglosen Finken wieder und lassen sich einzeln auf der
Spreu nieder, da fährt in brausendem Fluge der Todfeind unter sie.
Erschreckt stieben die Fremdlinge aus Lappland auseinander; doch zu
spät. Ein prächtiges Männchen mit schwarzem Kopf, rostgelber Brust und
schneeweißem Bürzel bildet ein gutes Ziel. Schon ist der Räuber neben
ihm, jetzt eine kurze Drehung, ein sicherer Griff von der Seite her,
und ein letzter Angstlaut des Opfers erstirbt unter dem furchtbaren
Drucke.

Der glückliche Jäger eilt mit seiner Beute einem verborgenen Fleckchen
zu, um ungestört kröpfen (fressen) zu können. Dort am Raine, wo
Rainfarn und Disteln mit ihren überwinterten dürren Stengeln sich
über die Ackerfurche neigen, kann keine Krähe so leicht dem Schmause
zuschauen; dort läßt sich der Sperber nieder. Hastig rupft er die
langen, schwarzen Schwanzfedern, die Schwungfedern, die gelben
Unterflügelfedern ab, dann verschlingt er Kopf mit Schnabel, auch
die Beine des Bergfinken wandern in den Kropf, dann etwas von den
Eingeweiden, ein wenig Brustfleisch, und der Räuber ist für den
Augenblick gesättigt.

Die warme Luft, der Sonnenschein, das leckere Mal, dies alles stimmt
den Sperber froh; er schwingt sich auf und schraubt sich hoch und
höher, um sich an Flugspielen zu ergötzen und ein wenig nach der Gattin
auszuschauen, die im Nachbarrevier den Winter über der Jagd oblag. Ja,
besonders fest sind außer der Brutzeit die ehelichen Banden der Familie
Sperber nicht, aber jetzt fühlt der Gatte das Herannahen der Minnezeit
in allen Gliedern, es treibt ihn fort, die Gemahlin zu suchen. Doch,
siehe da, auch sie scheint die gleichen Empfindungen zu hegen; dort
naht sie in raschem Fluge. Sogar zum Spielen ist sie heute aufgelegt,
in elegantem Bogen stößt sie auf den Herrn Gemahl, der gewandt
ausweicht, dann selbst zum Angreifer wird. Hin und her geht das Necken,
oft durch längeres Kreisen unterbrochen. Voller Stolz ruht das Auge
des Männchens auf seinem Weibchen. Wahrhaftig, eine stattliche Schöne!
Fast doppelt so groß wie ihr Gemahl erscheint sie; die lichte Brust
ist mit schmalen, dunklen Binden verziert, der Rücken in stumpfes Grau
gekleidet.

Doch lange hält die Lust zum Spielen nicht an; eine trübe Wolke schiebt
sich vor die Sonne, die Luft geht etwas kühler, und eilig entfliehen
alle Liebesgedanken. Vor dem Mai denken ja die Sperber noch nicht
an Nestbau und Kindersegen. Ein neuer Jagdzug beginnt. Frau Sperber
hat bis jetzt noch nicht viel im Magen. Einen Sperling schlug sie im
Pfarrgarten; doch sie hatte nur eben erst mit dem Frühstück begonnen,
da schob sich zu einem offenen Fenster ein schwarzes Rohr heraus, ein
Knall ertönte, und dicht neben ihr spritzte die Erde auf -- da war sie
eilend geflohen und hatte den Sperling liegen lassen. Pastors Hans
aber hatte ärgerlich sein Teschin beiseite gestellt; wieder war seine
schöne Trommeltäubin ungerächt geblieben, die gestern Madame Sperber
eben noch erwischte, als sie sich im Schlage vor dem hitzigen Verfolger
retten wollte. Da hatte kein Pfeifen, kein Schreien des Besitzers etwas
genützt, der geworfene Stein pfiff weit vom Räuber durch die Luft, der
mit seiner schweren Beute mühsam dem Walde zustrebte. Hei, das war ein
Streich, eines starken Sperberweibs würdig, noch heute freute es sich
über die ohnmächtige Wut des Menschenkindes; aber allzuoft darf man die
Tauben nicht heimsuchen, denn wenn die Klagen zu des Försters Ohren
dringen, dann ist die Gefahr groß.

Deshalb soll der nächste Beutezug hinausgehen aufs Feld. Dort beginnt
der Stoppelklee sich von den Schäden des Winters zu erholen. Plumpe
Feldmäuse knabbern an den jungen grünen Blättern, Lerchen suchen dort
nach Räupchen, Stare laufen hastig mit nickendem Kopfe durch die
Pflanzen, um Eulenraupen und Regenwürmer zu suchen oder einen hurtigen
Laufkäfer zu haschen. Dort ist Aussicht auf einen guten Braten.

Wie ein erfahrener Jäger pürscht Frau Sperber den Jagdgründen zu,
geschickt benutzt sie jede Deckung, vorsichtig weicht sie jeder
Begegnung mit Amsel oder Meise aus; denn die warnenden Angstlaute
verraten weithin jedem Kleinvogel das Nahen des Feindes, zu fangen
sind dabei die Warner im dichten Gestrüpp fast nie. So eilt das
Sperberweibchen tief am Boden jetzt durch das Tal dahin, jetzt
überspringt es förmlich die Schneeschutzmauer, um ein Stück dem
Schienenstrange der Eisenbahn zu folgen, jetzt ein kurzer Bogen, und
unbeweglich blockt (sitzt) der Räuber auf einer hochgestellten Egge.
Langsam wandern die gelben Augen über das Feld, keine Bewegung entgeht
der Beobachterin. Da, was ist das, dort an der feuchten Stelle, wo der
Klee schon kräftig zu sprossen beginnt? Dort hüpft es, dann rennt es
wieder, dann zerrt es etwas aus dem Boden, das sieht doch beinahe aus
wie Drosseln. Da gilt kein Zaudern. Mit einem kräftigen Sprunge wirft
sich der Sperber in die Luft, um wie ein Blitz aus heiterem Himmel
unter die Ahnungslosen zu fahren. Doch schon ist er bemerkt. Mit lautem
„Tuiik, schack schack“ fliehen sie dem Walde zu. Als Wacholderdrosseln
oder Krammetsvögel verraten sie sich durch diesen Ruf.

Fast haben sie schon das schützende Holz erreicht, da hören sie die
Flügelschläge des Verfolgers dicht hinter sich. Ein prachtvolles
Männchen mit aschblauem Kopf und Bürzel ist schon längst als Opfer
erkoren. Mit angstbeschleunigten Flügelschlägen saust es dahin, dicht
hinter ihm der Sperber. Jetzt bietet die dichtbelaubte Krone der
Steineiche etwas Aussicht auf Rettung, ein enger Durchschlupf bietet
sich der Drossel, doch auch der Räuber schwingt sich hindurch, er
schleudert sich förmlich mit seinem lange Stoße vorwärts, die kühnsten
Schwünge, die schärfsten Kurven führt er ebenso gewandt aus, wie der
verfolgte Singvogel. Jetzt geht die tolle Jagd durch das Stangenholz;
zwar stehen die Erlen dicht, kaum scheint ein rascher Flug hindurch
möglich, in rasender Eile schießt die Drossel dahin, doch dicht hinter
ihr eilt der Tod. Jetzt lockt der dichte Fichtenhorst. Mit letzter
Kraft wirft sich das gehetzte Opfer hinein in eine dichte Krone, doch
zu spät. Mit weitvorgestreckten Fängen saust auch der Sperber in die
Zweige hinein. Hier, wo sie sich geborgen glaubte, fassen die langen
Krallen die Drossel, in krampfhaftem Drucke schließen sich die langen
Sperberzehen, und ein kleines Herz hört auf zu schlagen. Ein hastiges
Mahl beginnt. Die rostgelben Brustfedern mit dem dunklen Schaftstriche,
die weißen Bauchfedern werden über den Boden verstreut, ein paar
rostbraune Flügelfedern kommen dazu, und dann wandern große Bissen
in den leeren Kropf, bis er strotzt, und nur kärgliche Reste bleiben
zurück für Igel und Spitzmaus.

Doch was ist unterdessen mit den Finkenüberresten geworden, die Herr
Sperber am Raine zurückließ? -- Quer über die Felder fliegt ein Vogel
der Feldscheune zu. Sollte das Sperbermännchen nach erfolgloser Jagd
zurückkehren zu den früher verschmähten Resten seiner Beute? Doch
nein, ein Sperber ist das nicht, der dort fliegt; viel weicher und
weniger kraftvoll sind die Flügelschläge, die Flügel sind schmal
und spitz, keine Lerche oder Ammer verrät Angst und Besorgnis vor
diesem Raubvogel. Doch jetzt unterbricht er seinen Flug, mit raschen
gleichmäßigen Flügelschlägen hält er sich an einem Punkte, sanft
schwebt er nieder und fußt. Ein +Turmfalk+ ist es, der zur Mäusejagd
auszog und jetzt sich bei den verschmähten Überresten vom Sperbermahle
niederläßt, um sich daran gütlich zu tun. Sieh dich vor, harmloser
Vogel, daß dich kein Forstmann bei deinem Tun belauscht. Er weiß
nicht, daß du nur nahmst, was ein ärgrer Räuber übrig ließ, und
fällt dann das Todesurteil über dich und deine Sippe. Zwar würdest
du sicher gern dann und wann auch mal Vogelfleisch essen, wenn --
nur die Trauben nicht so hoch hingen. Aber mit deinen Flugtalenten
braucht dich kein Singvogel zu scheuen, du mußt wohl oder übel mit
Mäusen zufrieden sein, wenn du nicht mal einen Maulwurf ertappst, oder
ein junges Kaninchen sich fürwitzig am Tage aus dem Baue wagt, so
daß du es haschen kannst. Kein einsichtsvoller Weidmann wird dir so
einen Gelegenheitsdiebstahl übel nehmen, belebst du doch mit deinem
anmutigen Flugbild die Landschaft, ob du nun im Freien rüttelnd den
lästigen Nagern und brummigen Mistkäfern nachstellst oder hoch über
dem Hasten der Großstadt deine Flugspiele ausführst um die Spitze
der Peterskirche. Deine Paarungsrufe, so unschön sie auch einem
musikalischen Ohre erscheinen mögen, bringen Abwechslung in das
Knattern der Benzinfahrzeuge und das Klingeln der Straßenbahnen. Und
was für einen prachtvollen Anblick bietest du dar, wenn du dich aus der
Nähe belauschen läßt. Wie anmutig drehst du dein aschgraues Köpfchen
mit den dunklen Augen, wie fein stimmt das Rostbraun der Flügel zu dem
Aschgrau des Schwanzes, den die schwarze Endbinde ziert. Geh! Tummle
dich mit deinem rostbraunen Weibchen, jagt euch und wiegt euch im
blauen Äther, voller Freude wird das Auge des Naturfreundes auf euch
ruhen. Grüßt den Wald von mir und Wiese und Bach und Feld, der ich euch
nur mit dem Auge folgen kann. Grüßt auch euren großen Vetter von mir,
den +Bussard+, dessen Leumund womöglich noch schlechter ist als eurer.

Er ist ja viel zu groß, um als harmloser Mäusevertilger angesehen zu
werden. Auf seinen langsamen, fast plumpen Flug gibt niemand acht,
auch die stumpfen Krallen, die er zum Mäusefangen, aber niemals zur
Hasenjagd verwenden kann, vermögen vielen Jägern seine Harmlosigkeit
nicht zu beweisen. Dort kreist er über dem Felde, schwerfällig rüttelnd
macht er Halt und stößt. Doch die Maus ist rascher, eilig ist sie im
Loche verschwunden. Doch bald guckt sie wieder hervor, rasch fährt
sie ein paarmal aus dem Loche heraus und sofort wieder zurück. Dann
hält sie die Umgebung für sicher, der große braune Fleck auf dem
Maulwurfshaufen stört sie nicht mehr, hastig beginnt sie an der jungen
Saat zu knabbern. Da ist plötzlich ein Schatten über ihr, sie quiekt
noch einmal auf und ist erfaßt und verschlungen.

„Der Posten war günstig“, denkt der Mauser und wackelt in komischen
Schritten auf seinen Maulwurfshaufen zurück. Vorsichtig dreht er den
runden Kopf mit den braunen Augen bald nach rechts, bald nach links;
da huscht wieder eine Maus in einer „Fahrt“ dahin. In großen Sätzen
eilt er ihr nach, immer mit den Flügeln schlagend und balanzierend. Ein
sicherer Griff, die Schädelknochen brechen unter dem Schnabeldrucke
des großen Räubers, und auch diese Maus ist besorgt und aufgehoben.
Während der Bussard noch schluckt und schlingt, beginnt auf einmal
seine bisherige Warte sich zu bewegen: der Maulwurfshaufen hebt sich,
und Erdbrocken rollen von ihm herab. Mit vorsichtigen Schritten nähert
sich der Raubvogel dem wachsenden Hügel. Da schiebt sich plötzlich
das kleine Stummelschwänzchen des emsigen Maulwurfes ein klein wenig
aus der Erde hervor, und schnell springt der Bussard zu. Doch es ist
zu spät, nur ein Erdballen zerkrümelt unter dem Griffe; erschreckt
flüchtet der schwarze Pionier in seine tiefsten Gänge, der erfolglose
Jäger aber breitet ärgerlich seine Schwingen und schwebt dem Walde zu.

Auf dem höchsten Zacken der uralten Eiche blockt er und übersieht sein
Jagdrevier. Er sieht dem Sperber zu auf seinen Beutezügen, er folgt dem
rüttelnden Turmfalken mit den Augen; die Jagd der beiden interessiert
ihn nicht. Der Turmfalk macht nur kleine Beute wie er, und dem Sperber
etwas wegnehmen zu wollen, ist eine etwas gefährliche Sache, da er
auch zu Fuß ein geschickter Fechter ist. Aber wenn ein Wanderfalk in
sausendem Fluge der Taube nachstürmt oder der Wildente, dann heißt es
aufpassen. Ein Leichtes ist es, dem raschen Jäger die Beute abzunehmen;
denn gewandt ist er nur in der Luft, am Boden kann oder will er nicht
einmal mit einem Mauser streiten. Oft läßt er sein Opfer fallen, sobald
Krähen oder ein Bussard ihm nur nacheilen und sucht eine andre Beute zu
schlagen. Doch heute zeigt sich kein Wanderfalk.

Vor dem wartenden Räuber tummeln sich furchtlos die Meisen in der
Birke. Die Schwanzmeise schaukelt kopfunter an dem dünnen Zweige,
die Blaumeise trillert ihr Frühlingslied, und die Sumpfmeise zetert
„zie-tä-tä tä“, weil ihr der Wind einen leckeren Bissen fortgeblasen
hat. Allzeit munter und fidel ist dieses Völkchen. Ob gestern der
Sperber ein unvorsichtiges Mitglied der Bande schlug, ob ein Wiesel im
Sprunge eine badende Freundin erwischte, „heute wieder lustig!“ lautet
die Parole. Und der denkende Mensch, er handelt nicht anders; wenn auch
ein Erdbeben Tausende vernichtet und die Mitwelt bei dem entsetzlichen
Unglück schaudert -- nach wenigen Wochen herrscht doch der Karneval mit
seinem Freudentaumel, als sei nichts vorgefallen.




Fasan


Seit Wochen schon weckt und lockt die Frühlingssonne die schlafenden
Pflanzenkinder, langsam und verschlafen tut eins nach dem andern die
Blütenaugen auf. Dem Krokuschen ist es schon zu warm geworden, das
hat schon seine Blüten welk zu Boden fallen lassen. Aber eine Fülle
andrer Pflanzen hat dafür jetzt das Schmücken der Natur übernommen. Das
Buschwindröschen läßt seine weißen Blüten im Winde schaukeln, goldig
leuchten die Sterne des Scharbockskrauts, Veilchen und Himmelschlüssel
prangen und duften. Mit Farbenpracht und Wohlgeruch locken sie alle die
brummenden, borstigen Insekten zu Gaste. Und während die Leckermäuler
noch süßen Nektar schlemmen, pudern sie die Staubfäden ein mit Pollen,
dem Pfand der Liebe, damit er hinübergelangt auf die Narbe der
Nachbarblüte, die schon gierig die Äste breit gemacht oder klebrigen
Saft ausgeschieden hat zum Auffangen und Festhalten des Blütenstaubs.
Buhlen um die Gunst der Insekten, ihrer Liebesboten, bei den Blüten
der Pflanzen, heißes Liebeswerben in der Vogelwelt, das ist des
Frühlings Werk.

Da schmettert auf einem Baumstumpf der Zaunkönig sein Liebeslied mit
einer Fülle und Kraft, als wolle er die winzige Brust zersprengen.
Ganz steil stellt er sein kleines Schwänzchen, dick plustert er die
Federn auf und zwischen dem dünnen Schnäbelchen läßt er Strophe auf
Strophe seines Liebesliedes hervorperlen. Der Buchfink wieder legt
alle Federn knapp an, er zieht die schwarzen Stirnfedern zurück und
legt den blauen Scheitel an, der Schwanz hängt unter dem grünen Bürzel
fast ganz senkrecht herab. Nur die rotbraunen Federn der Kehle sind
gesträubt, wenn der Fink sein stereotypes Lied singt, wenn er schlägt.
Hoch auf der Spitze des Baumes sitzt der Amselhahn und flötet ernst und
feierlich sein Orgellied. Die Zeit stürmischen Werbens, die eigentliche
Minne, ist für ihn schon vorüber, vorbei die Poesie der Brautzeit,
das Weibchen sitzt ja schon im halbkugeligen Neste auf fünf Eiern:
Prosa der Brütezeit. Das Amselpärchen hat es immer sehr eilig mit dem
Brutgeschäft, zu Pfingsten möchte es am liebsten schon zur zweiten Brut
schreiten, wenn Pirol und Gartensänger just mit der ersten beginnen.

Doch zurück zu unserm Frühjahrskonzert im Walde. Meisen, Rotkehlchen,
Amseln und Drosseln, sie alle singen und flöten jetzt beinahe den
ganzen Tag, aber am lebhaftesten doch bei Sonnenuntergang und
Aufgang. Dann ist ein Zwitschern und Rufen durcheinander, daß alles
zu einem einzigen Tongewirr verschwimmt und man kaum die einzelnen
Sänger erkennt. Nur einige Künstler im Waldkonzert lassen sich nicht
übertönen. Laut schallt das flötende Lachen des Grünspechts, rasselnd
das knarrende Trommeln seines bunten Verwandten, scharf erklingt das
Schirken des Turmfalken über den Baumwipfeln.

Dort, wo das kleine Fichtendickicht an undurchdringliche Wildnis
krallender Brombeerranken stößt, ertönt von Zeit zu Zeit ein Schrei,
der gar wenig hineinpassen will in das melodische Tongewirr der
deutschen Vogelstimmen. Es mahnt eher an Hühnerhof oder Zoologischen
Garten, das laute, krähende Gack gack, das dort erklingt. Was mag das
für ein sonderbarer Sänger sein, der dort den Schrei ausstößt? Ganz
langsam, ganz leise und vorsichtig schleichen wir näher, daß kein
Ästchen unter dem Fuße knackt, kein dürres Laubblatt raschelt. Schon
haben wir die Fichtengruppe erreicht, ganz in der Nähe erscholl der
Ruf. Ganz versteckt unter den hängenden Zweigen der Fichte stellen wir
uns an und warten. Eine Singdrossel schwingt sich auf die Spitze der
Fichte, die uns verbirgt, sitzt ein Weilchen still und beginnt dann
ihr Lied. David David tilit tilit tilit tönts munter bald pfeifend,
bald schwätzend über uns. Ein Goldhähnchen schlüpft nahe vor uns durchs
Nadelgezweig, ganz dünn und fein klingt sein pfeifendes Locken. Bald
dreht es uns den olivgrünlichen Rücken, bald den goldig glänzenden
schwarzen Scheitel zu, denn es kann ja keinen Augenblick still sitzen.
Es pickt hier etwas vom Zweig, rüttelt am Baumstamm und erhascht ein
winziges Insekt und ist dann im Nadelmeer verschwunden.

Da raschelt es leise vor uns im Brombeergesträuch. Ganz langsam und
ruckweise schiebt es sich hervor. Ein Hühnervogel im prächtigsten
Kleide steht da und strahlt in der Sonne. Hoch richtet er den Kopf mit
der lichtgrauen Platte auf dem smaragdgrün blitzenden Halse in die
Höhe, daß der weiße Halsring leuchtet. Aufmerksam sichert der Vogel
rechts und links. Nichts Verdächtiges in der Runde! Jetzt verändert
sich sein Gesicht. Der nackte Korallenfleck um seine Augen dehnt sich
aus und schwillt, eine große rote Rose leuchtet an Stelle der Wangen
grell wie Siegellack auf. Gack gack ruft der +Ringfasan+ und schlägt
dann mit den harten Fittichen einen trommelnden Wirbel. Kupfern
leuchtet die Brust, golden die Bauchseiten, grüngolden der Bürzel des
balzenden Hahnes. Wieder schreit und schwirrt der bunte Vogel mit den
Flügeln, aber keine Henne zeigt sich.

Doch jetzt raschelt es leise. Sollte es eine Henne sein? Dort schiebt
sich der Ankömmling aus dem Gesträuch. Auch sein Hals glänzt grün,
aber kein Halsring ziert ihn. Das Gefieder ist weit düsterer gefärbt,
wie poliertes Kupfer glänzen Brust und Rücken. Jetzt haben sich die
beiden Vögel veräugt. Jäh schwillt auch dem dunklen +Kupferfasan+ die
rote Rose am Kopf, die Augen fangen an zu funkeln und mit trommelnden
Kehllauten schreiten beide einander näher, um schließlich wie Bolzen
zuzufahren. Ein hitziger Kampf entspinnt sich. Hochauf springen und
fliegen die Kämpen, die Flügel schwirren, die Rosen glühen. Mit hartem
Schnabel und spitzem Sporn sucht jeder den andern zu verletzen. Immer
und immer wieder stehen sie einander gegenüber, senken und heben den
Kopf, als wollten sie eine Blöße beim andern erspähen, und immer wieder
springen sie hoch auf und hauen aufeinander los. Immer deutlicher
zeigt sich der Ringfasan überlegen. Stets springt er höher als sein
Rivale, hitziger ist sein Angriff, gewandter sein Ausweichen. Eine
dunkle, kupferrote Feder wirbelt zu Boden, ein roter Tropfen perlt von
der Rose des Kupferfasans, da weicht er zurück, und mit prasselndem
Fluge streicht er gackernd ab. Der Sieger aber glüht und funkelt im
Siegestaumel, laut tönt sein Balzschrei, rasselnd sein Flügelwirbel.

Ganz leise und verschämt tönt aus dem Brombeergewirr ein Lockruf, du
du dudu. Mit langsam schleichenden Schritten tritt eine Henne auf den
Balzplatz. Zwar vermag sie an Farbenpracht mit dem Gatten nicht zu
wetteifern. In die schlichten Farben dürren Laubes ist sie gekleidet
und nur über dem Brustgefieder liegt ein leichter Hauch wie ein Abglanz
japanischer Bronze. Aber für den Fasan ist sie doch in das schönste
Kleid gehüllt. Eilig läuft er hinzu, entfaltet die Rosen zur höchsten
Glut und spreizt die Flügel und prangt mit seiner Farbenpracht, kein
Wunder, daß er bald Gehör findet.

Weiter balzt der Hahn. Eine zweite, dritte Henne kommt zu ihm.
Schließlich ist es zu warm geworden, und Hahn und Hennen verschwinden
vom Balzplatz. Sie gehen hinaus auf die Saatfelder, um keimende Körner,
grüne Halmspitzen oder fette Schnecken zu äsen. Erst gegen Abend kommen
sie zurück zum Balzplatz. Einigemale tönt das Gagack, dann ist die
Schlafenszeit gekommen. Mit prasselnden Flügelschlägen und lautem
Gegacker baumen die bunten Vögel auf, um an windgeschützter Stelle, in
der Fichtenkrone oder auch auf kahlem Laubholz die Nacht zu verbringen.

Ein paar Wochen sind vergangen. Die Saaten sind so aufgeschossen, daß
ein alter Hase sich gut darin verstecken kann, und die Kleefelder
harren der Sense, ja stellenweise ist das saftige Futter schon
geschnitten. Der alte Förster geht mit seinem Hunde durch die Felder.
Die Flinte blieb heute zu Hause, heute trägt der Grünrock einen Korb,
in dem weiche, wollene Lappen liegen. Den Rain zwischen Korn und
Klee geht der Förster entlang, während Treff, der Hund steifbeinig
durch den Klee stelzt. Der weiß genau, worum es sich handelt, dem
herausrutschenden Hasen sieht er kaum nach, hin und her galoppiert
er und sucht. Mit einemmal geht er langsam, vorsichtig rückt er
Schritt vor Schritt auf und steht dann fest vor. Sein Herr watet
durch den hohen Klee, geht der Hundenase nach und sucht im Klee. Mit
lautem „pips“ steht eine Fasanenhenne auf und streicht mit surrendem
Flügelschlag dem Walde zu. Der Förster aber bückt sich und nimmt die
acht Eier aus dem Neste, packt sie sorglich in die wollenen Lappen in
seinem Korbe, und dann geht die Suche weiter. Wieder steht der Hund,
und diesmal sind es dreizehn Eier, die der Förster aufhebt, dann wird
ein Nest mit neun gefunden. Dreißig Eier sind so vor dem Untergang
gerettet durch Kahlmähen des Nestes.

In der Försterei sitzen Glucken (brütende Haushühner) auf Toneiern,
denen werden die gefundenen Fasaneneier untergelegt. Willig nehmen die
Brütelustigen die zehn untergelegten Stiefkeime an und wärmen sie, als
wären es die eignen Kinder, denen sie Leben einbrüten. 25 Tage lang
müssen die Hühner still sitzen, ehe leises Picken und Piepen unter der
grünlichen Schale verrät, daß die Jungen ausfallen wollen. Endlich
zeigt eins oder das andre der Eier kleine Pusteln und strampelnd und
zappelnd arbeitet sich ein niedlicher kleiner Federball mit dunklen
und hellen braunen Längsstreifen ans Licht. Eins nach dem andern der
kleinen Küken tut den ersten Schritt ins Leben und bald hocken sieben
oder acht kleine, wärmebedürftige Geschöpfe piepend unter dem dichten
Federkleid der Glucke. Aber lange wollen sie nicht ruhig sitzen. Bald
lugt hier oder da eins unter den Flügeln der Stiefmutter hervor und
dann traut sich gar eins ganz weg und bald umtrippeln die Dunenjungen
die scharrende Henne. Hirsekörner und vor allem Ameiseneier werden
ihnen hingestreut und unsicher zuerst und besser von Mal zu Mal lernen
die Kleinen picken und fressen. Und wie sonderbar, die ganz ungewohnte
Stimme der Glucke, das Locken und Warnen, sie verstehen es und folgen.

Ganz unmerklich wachsen sie heran. Das niedliche, wollige Dunenkleid
wird struppig, Federn wachsen und eines Tages können die kleinen
wachtelgroßen Dinger schon ein bißchen fliegen. Nun werden sie
selbständiger von Tag zu Tag. Der August kommt heran und die Fasanen
haben die Größe von Rebhühnern erreicht. Da fangen die Geschlechter an,
sich zu unterscheiden. Die jungen Hähne beginnen, ein gesprenkeltes
Kleid anzulegen, die einzelnen metallfarbenen Federn wachsen verstreut
durch das Jugendgefieder. Der Stiefmutter folgen sie schon längst nicht
mehr, abends baumen sie auf, wie ihre Ahnen, und die jungen Hähne
machen die ersten Versuche, ihre Stimme hören zu lassen. Das klingt
freilich noch sehr nach „Stimmbruch“.

Näher und näher kommt der Herbst. Die Fasanen halten sich nicht mehr
am Forsthause auf. Sie streichen umher, über den Teich, um im Schilfe
Schnecken und Käfer zu suchen, hinaus auf die Felder, um ausgefallene
Weizenkörner zu naschen. Der Oktober naht, die Jagdzeit der Fasanen.
Aber hier im Heimatsrevier wird so früh mit dem Abschuß nicht
begonnen. Schade um die kleinen, scheckigen Dinger, es ist ja noch
gar nichts daran, mögen bis zum November bleiben, sagt der Jagdherr
und läßt täglich Futter streuen, damit die bunten Gesellen nicht nach
Nachbarrevieren auswandern auf der Nahrungssuche.

Endlich ist der große Tag gekommen, der letzte für manchen bunten
Hahn, der Tag der Fasanenjagd. Schon vom frühen Morgen an sind die
Fasanen durch Wachen gehindert worden, in die Felder zu bummeln, sie
halten sich alle in der „Fasanerie“ mit ihren Brennesseldickichten,
den Schilf- und Rohrbeständen auf. Gegen zehn Uhr begeben sich die
wenigen Schützen auf ihre Stände an den Schneisen. Die Treiber sind
schon angestellt und auf das Hornsignal des Jagdherrn setzen sie
sich in Bewegung. Langsam treiben sie auf die Schützen zu, schlagen
auf jeden Busch mit dem Stock, und treten jeden Grasbüschel nieder.
Lärm darf nicht gemacht werden. Sonderbar, wo sich sonst Fasanen in
Hülle und Fülle umhertrieben, da ist heute noch keiner zu sehen. Sie
laufen vor den Treibern, ohne aufzufliegen. Der junge Treiber wird
schon ungeduldig. Da endlich steht mit lautem Pips und Flügelschlag
eine Henne auf und streicht über die Treiber zurück. Und jetzt geht
gackernd der erste Hahn hoch. Rasch und rascher fliegt er vorwärts.
Jetzt ist er im Zuge und streicht ohne Flügelschlag und doch gar rasch
über die Schützen. Bumm, fällt der erste Schuß, aber nur eine Feder im
langen Stoß (Schwanz) des Hahns ist geknickt. Bumm, der war besser.
Wie ein nasser Sack fällt der fette Vogel zu Boden und schlägt auf,
daß die bunten Federn stieben. Ein Hahn nach dem andern fliegt hoch,
passiert die Schützenkette und fällt zu Boden. Schon sind die Treiber
ziemlich nahe an die Schützen heran, da fliegen auf einmal zwanzig, ja
dreißig Fasanen auf. Jetzt fordert es ein scharfes Auge, rasch Hahn
und Henne zu unterscheiden. „Langsam treiben, laden lassen, langsam,
langsam,“ mahnt der Förster die Treiber. Jetzt stiebt es förmlich von
Fasanen. Gackernd fliegen die Hähne hoch. Der wird schon im Auffliegen
von den Schroten ereilt, der wieder gerade über den Schützen, ein
andrer ist schon ziemlich zwischen den Stämmen des nächsten Bestandes
verschwunden, da wirft ihn der nachgesandte Schuß zu Boden. Wahrlich,
man versteht, daß früher Fasanenjagd zur Hohen Jagd gerechnet wurde!
Ein bunteres Bild ist nicht zu denken. Allenthalben rasseln und
prasseln die Vögel auf, wie Salven knallen die Schüsse. Dazwischen
huschen Kaninchen über die Schneise und schlagen Rad oder laufen weiter
auf den Schuß. Der sicherste Schütze steht am Graben und schießt wie
jedes Jahr so auch diesmal den Fuchs, der Fasanenbraten über alles
schätzt. Geängstigt stieben Rehe in rasender Flucht über die Schneise.
Endlich ist der Trieb zu Ende. Von allen Seiten schleppen die Treiber
das Wild herbei. Kupfer- und Ringfasanhähne, wohl an die sechzig,
keiner reinrassig, jeder mit etwas Blut vom andern, einige Hennen, die
ein „Frauenmörder“ versehentlich erlegt, ein paar Kaninchen und Hasen
und ein Fuchs, das ist die Strecke vom ersten Triebe.

Wie Bronze, Gold und Smaragd, so flimmert es über den Vögeln, die
friedlich auf dem grünen Rasen ruhen neben dem Fuchs, ihrem Todfeind
im roten Rocke. Dazu der Wald im herbstlichen Gewande und die Jäger in
ihren oft humorvollen Trachten, die Treiber in ihren ältesten Kleidern
-- denn beim Durchkriechen der Fichtendickichte und Brombeergestrüppe
ist gutes Zeug nichts nütze --, wie Räuber beinahe anzuschauen, ein
herrliches, buntes, unvergeßliches Bild.




Neuntöter


Das Nixloch ist ein kleiner Steinbruch, in dem ein Wassertümpel steht.
Schon jahrzehntelang hat man dort keinen Stein mehr geholt, denn viel
taugen die alten Tonschiefer nicht, höchstens zum Beschottern der
Straßen lassen sie sich verwenden. Nun haben sich Pappeln und Weiden
darin angesiedelt, einige Birken auch, und der Holunder, den die
Amsel hier säte, sprießt und wuchert. Auf den sandigen Lehm, den die
Kaninchen durchwühlt haben mit einem Labyrinth von Gängen, hat sich
Schwarzdorn eingenistet und bildet einen kleinen Urwald für sich.

Kein Weg führt bis ans Nixloch heran, von der Landstraße sieht man nur
die Bäume und Sträucher über das Getreide weggucken, ung und ong tönt
der Unkenruf am Abend herüber; eine verzauberte Welt meint man hinter
dem Halmenwalde versteckt. Und wahrlich, wie ein Zaubergarten mutet
auch der alte Steinbruch an. Wie Silberglocken tönt das Fallen der
Wassertropfen, die vom übermoosten Steine ins Wasser hinuntertränen.
Dazu das Trillern der Wechselkröte, das Plärren des Laubfrosches, der
Märchenlaut der rotbauchigen Unke, das Wispern von Schilf und Rohr,
das Klappern der Espenblätter, eine träumerische Stimmung herrscht
im Nixloch. Kein Wunder ist es, daß hier gern die Fasane unter
Brombeerranken ihr Gelege bergen, daß das kleine, grünbestrumpfte
Teichhuhn mit dem roten Strumpfband hier die Kinderschar groß
zieht, daß der starke Rehbock, der immer über der Grenze steht,
sein Mittagsschläfchen gern hier abhält. Kein Wunder auch, daß der
+Neuntöter+ nun schon seit vielen Jahren hier seinen Erbsitz hat.

Im Mai kommt er an aus dem Süden, wenn die meisten Vögel schon Junge
füttern. Dann setzt er sich auf die Kirschbäume an der Landstraße,
dreht langsam mit dem langen Schwanz, daß man die weißen Federhälften
und ihre schwarzen Enden deutlich sehen kann. Im Bogenfluge geht es
weiter, wenn man ihm nahe kommt; dann zankt er gedämpft mit ga, ga.
Immer sitzt er auf den äußeren Zweigen des Baums, ganz oben auf der
Spitze oder an der Seite, denn freie Umschau will er haben.

Da schwebt er nieder zum Boden, dicht über dem Grase rüttelt er ein
kleines Weilchen, dann fällt er mit hochgehobenen Flügeln nieder,
packt den erspähten Laufkäfer und fliegt mit ihm zum nächsten Baume.
Dort sitzt er in der Sonne. Wie sein aschgrauer Scheitel leuchtet, wie
schmuck der schwarze Bartstreifen aussieht! Kastanienbraun schimmert
der Rücken, weißlich mit rosigem Anflug Brust und Bauch. Jetzt nimmt
der kleine Räuber seine Beute zwischen die Zehen und beißt und reißt
mit dem schwarzen, zahnbewehrten Schnabel und schluckt die genießbaren
Teile seiner Beute hinunter. Den Rest läßt er fallen. Ein Maikäfer
brummt vorüber, dem ist er gleich auf den Socken. Schnapp hat er ihn
und verzehrt ihn dann auf dem gleichen Flecke wie den ersten Fang.
Wieder schwebt er zum Boden. Diesmal hat er eine Grille gefangen,
danach wieder eine Heuschreckenlarve. Aber nun ist er satt. Er putzt
sich zunächst ein wenig, knabbert in den Flügelfedern, ordnet in den
Bürzeldecken und zieht die Schwanzfedern einzeln durch den Schnabel.

Aber dabei hat er seine Augen überall, sein Ohr ist jederzeit bereit,
etwas Auffälliges zu melden. Jetzt fährt der Kopf herum. Lauschend
sitzt der Würger. Dann fliegt er ein Stückchen an der Straße entlang
und stößt dann heftig nach unten. Es scheint etwas Großes zu sein,
was er gefangen hat. Er fliegt auf und läßt sich mitten auf die
Straße nieder. Vor ihm zappelt ein graues Ding, das mit kräftigen
Schnabelhieben bearbeitet wird. Eine Feldmaus hat er gehascht, die
beinahe so groß ist wie er. Sie piept und zappelt und will fort, aber
Hieb auf Hieb saust nieder auf ihren Kopf, daß sie bald ruhig wird,
noch einige Male mit den Hinterbeinen zuckt und dann still liegt.

Nun, Würger, du Strauchdieb, was willst du denn mit so großer Beute
machen? Der Dorndreher zerrt sie hin und her, kneipt hier ins Fell
und da, hebt die Maus prüfend in die Höhe, und dann schlägt er mit
doppelter Kraft seine Flügel und fliegt auf zum Kirschbaum. Frohlockend
schlägt er mit dem Schwanz, er ist sicher zufrieden mit seiner
Leistung. Dann geht’s zum nächsten Baum und nach einer Ruhepause wieder
weiter. Nun fliegt er gar mit seiner Beute ganz hinauf auf die Spitze
des Kirschbaums. Dann kommt eine lange, lange Pause. Der Räuber will
die dreißig Schritt bis zum Nixloch fliegen, er sammelt Kräfte. Und nun
geht’s munter los. Zwanzig Schritt wagrecht sind zurückgelegt, jetzt
geht es schräg abwärts, aber bis zum Busche langts noch. Sieh, da sitzt
Freund Neuntöter auf dem Schlehbusch und hat die Maus noch im Schnabel!

Nun fliegt er zu seinem Lieblingssitz, dem dürren Dornbusch, der alle
andern überragt. Wie ein spitzer Nagel, so spießt aus dem Sitzast des
Würgers ein Dorn heraus. Der Dorndreher schwenkt seine Beute in die
Höhe, läßt sie niederfallen auf die Dornspitze und gibt ihr zuletzt
einen kräftigen Ruck, daß sie festgespießt am Dorne sitzt. Dann zupft
der Würger und rupft am Mausefelle, bis er hinzukann zum saftigen
Fleisch. Einige kleine Stückchen reißt er ab und schluckt sie hinter,
das Gehirn und einige kleine Knöchelchen wandern in den Kropf, dann ist
der schmucke Kerl gesättigt. Nun sitzt er faul und dick in der Sonne,
dreht den Kopf rechts und links und verdaut.

Neuntöter, wo hast du denn deine Frau? Sie ist wohl noch nicht
eingetroffen, bummelt noch ein wenig an der Riviera umher oder sonstwo
in Italien? Du bist mir ein schöner Kerl, läßt deine Frau allein durch
die Welt reisen, wie nun, wenn sie unterwegs andre Bekanntschaften
anknüpft und irgendwo anders einen Ehebund eingeht?

Doch sieh, wir haben dein treues Weib umsonst verdächtigt, nach einigen
Tagen kommt sie an. Zwar ist ein hübscher, schmucker Würgerjunggeselle
bei ihr, aber dem hat sie wohl nur „für unvorhergesehene Fälle“
erlaubt, sie zu begleiten. Nun sie sieht, daß du noch heil und munter
bist, daß kein Schlagnetz deiner Freiheit, kein gelber Sperberfang
deinem Leben ein Ende gemacht hat, ist sie die treue Gattin wieder und
hilft dir den Reisebegleiter aus dem Revier hinausbeißen. Und der arme
Kerl, der sich so in seinen schönsten Träumen betrogen sieht, macht nur
einen schüchternen Versuch, das zarte Verhältnis, das er auf der Reise
knüpfte, fortzuspinnen. Dann hat er die eifersüchtigen Schnabelhiebe
des rechten Ehemanns satt, er mag auch das abwehrende Beißen seiner
Schönen nicht mehr erdulden und sucht deshalb das Weite, um anderswo
vielleicht doch noch Liebesfreuden zu finden.

Nun heißt es aber, eilig ein Nest bauen, durch die Streitereien mit
dem Nebenbuhler ist schon Zeit verloren worden. Nun schleppt Frau
Würger Halme und Würzelchen in den Dornbusch. Eine Unterlage bieten
die quirligen Schlehenäste. Das viele Ab- und Zufliegen strengt an,
deshalb versucht Frau Würger eine schüchterne Bitte beim Eheliebsten,
er solle doch ein bißchen mit zutragen helfen. Aber da kommt sie
schön an. Er sollte sich wohl seinen schönen, bunten Hochzeitsrock
verderben, wenn er am Boden umherkröche. Sie hätte doch nun einmal das
einfarbige braune Arbeitskleid, und wenn auf die gewellte Brust noch
einige Schmutzspritzer kämen, dann täte das doch auch weiter nichts.
Und fort fliegt er zur Landstraße, um in dicken Mistkäfern und grünen
Grashüpfern zu schwelgen und der Frau die Arbeit zu überlassen. Na,
schließlich wird sie doch beendet und eines Morgens liegt das erste
grauweiße Ei mit einem Kranz von Flecken am stumpfen Ende im Nest.

Nun ist Herr Würger wieder der liebenswürdigste Gatte von der Welt.
Voll Stolz betrachtet er das gelegte Ei, dann steigt er in den Dornen
in die Höhe, um seiner Gattin ein Lied vorzusingen. Er erinnert
sich an die Gesänge der Lerche und der Grasmücke, des Rohrsängers
und der Schwalbe, stiehlt aus allen einige Laute und komponiert ein
allerliebstes Potpourri, das er mit leiser, etwas belegter Stimme
singt. Er scheint zu fürchten, daß ihm die Zugluft den Sang ganz
verderben und ihn heiser machen könnte, deshalb macht er den Schnabel
nur wenig auf und singt gedämpft. Seine Gattin hört’s schon und freut
sich darüber.

Mit Freude und Gesang vergehen so die nächsten Tage, und immer liegt
ein Ei mehr im Neste. Bald sind’s sechs, und nun ist’s genug. Den
Dorndreher macht die Freude über das vollendete Gelege weich, und er
läßt sich sogar herbei zu dem Versprechen, auch ein wenig mit brüten zu
helfen.

Da auf einmal ist die freudige Stimmung verflogen, ein grauer Vogel,
der beinahe wie ein Sperber aussieht, nur daß er schwache Füße und
einen Drosselschnabel hat, der kommt herbeigeflogen und guckt in das
Würgernest hinein. Da packt das Dorndreherpaar die Wut. Sie stürzen
sich unter laut zeterndem Gäckgäckgäck auf den Fremdling, zausen ihm
die Federn und zwicken ihn, so sehr sie können. Da fliegt er auf und
davon, noch ein Stück verfolgt von den Würgern.

Heute abend soll das Brüten beginnen, da macht sich Frau Dorndreher
noch einmal auf mit ihrem Mann, und beide unternehmen einen kleinen
Jagdflug, die Landstraße entlang. Mancher Käfer wird erbeutet, manche
Fliege muß sterben, dann eine kleine Eidechse, und auch die dicke Raupe
eines Weidenbohrers, die aus dem Stamme der Pappel herausguckt, wird
gefangen, ein Mäuschen auch. Dann kehrt das Würgerpaar wieder zum Neste
zurück. Die Eidechse und die Maus haben sie mitgebracht und spießen sie
auf die Dornen. Dann sehen sie sich die Kinderwiege an.

Doch was ist denn das? Das Nest sieht so unordentlich aus, einige Halme
spießen heraus, der Rand ist niedergedrückt, weiß der Kuckuck, wer
hier sein Spiel getrieben hat. Und dort liegt gar ein zerschlagenes Ei
am Boden. Aber es scheint auch keins zu fehlen, nur eins sieht etwas
kleiner aus als die andern, ist auch mehr grünlich gefärbt.

Lange betrachten die Vögel die Veränderung, jeder wirft dem andern
vor, er hätte besser aufpassen sollen, beinahe wäre es zum Streit
gekommen. Doch noch zur rechten Zeit gibt die Gattin das Keifen auf und
setzt sich aufs Nest zum Brüten. Zehn Tage sitzt das Weibchen fest. Da
piept und pickt es unter ihrem Brustgefieder, am elften kriecht ein
Junges aus. Ihr kommt die Zeit etwas kurz vor, sie bleibt deshalb noch
sitzen, der Gatte muß das ausgeschlüpfte Junge einstweilen füttern.
Zwei Tage dauert es noch, dann kommen auch die andern Kleinen zur Welt.
Ihr Bruder ist unterdessen schon recht gewachsen, unaufhörlich schreit
er nach Futter. Kommen die Alten herbei, dann springt er ungestüm
empor und reißt den gelben Rachen auf, und dabei fällt dann eins der
Spätgeschlüpften nach dem andern aus dem Neste. Schließlich ist der
kleine Nimmersatt allein übrig und schlingt und wächst. Nach einiger
Zeit ist er schon größer als die Eltern.

Nun wird denen aber die Sache unheimlich, sie fliegen zur
Sperbergrasmücke, die am andern Ende des Dornbuschs ihr Nest hat.
Und siehe da, die klagt über das gleiche Übel: alle Kinder tot bis
auf eins, das gar nicht satt werden will und immer weiter wächst.
Der Kleine im Sperbergrasmückennest sieht ihrem eigenen Kinde zum
Verwechseln ähnlich, aber von Familienähnlichkeit ist keine Spur zu
entdecken. Immer weiter wächst das Junge, es ruft mit seinem Piepen
unausgesetzt nach Nahrung. Schließlich fliegt es hinaus aus dem Neste
und klammert sich auf einem Zweige fest. Verwundert begucken die Würger
ihr Kind. Es sieht so dunkel aus mit grauen Binden auf dem Rücken, der
Bauch ist weißgrau mit dunklen Binden. Und dann die Füße, zwei Zehen
nach vorn, zwei nach hinten gedreht. Das ist nicht von mir, zetert der
Würgervater; ich bin seine Mutter nicht, zankt die Würgerfrau. Aber wir
haben es aufgezogen, da wollen wir es nur auch vollends auffüttern.

Und der Dank? Im nächsten Jahre legt vielleicht der kleine Kuckuck sein
Ei in ihr Nest und verdirbt ihnen ihre Brut, weil sie ihn so selbstlos
ausgebrütet und aufgepäppelt haben.




Zwergreiher


Mai war es. Der Flieder blühte und duftete im Garten, und der Goldregen
prahlte mit seinen herrlichen Giftblüten. Die Kastanien, die den Weg
am Teiche überschatten, hatten sich mit Blütenkerzen geschmückt, die
Wiesen waren bunt von gelben und roten Blüten. Zwischen dem alten,
gelben Schilfe schossen die saftig grünen Hellebarden des jungen Rohrs
empor, und die Schwertlilie wickelte ihre gelben Blüten auseinander.

Im dichten Walde der Rohrhalme herrschte reges Vogelleben. Der große
Rohrsänger lärmte und schrie sein Karre kiet von früh bis spät, und die
kleineren Verwandten sangen dazwischen. Mit leisem Piepen umschwammen
junge Stockenten die Mutter, fingen Mücken vom Wasserspiegel und paßten
auf jedes Würmchen auf, das die Alte durch Wassertreten vom schlammigen
Boden aufwirbelte. Auf dem Wasserspiegel jagten sich die zänkischen
Blässen, der Rothalstaucher brüllte sein Liebeslied, von der seichten
Bucht im Rohre klang das Trillern des Zwergtauchers, das hohe Kurr des
Teichhühnchens.

Am Abend wird das vielstimmige Konzert etwas leiser. Da tönt ein
sonderbarer Laut über das Wasser. Ist es die Stimme eines Kettenhunds,
die vom fernen Dorfe herüberklingt, man könnte es fast meinen. Und doch
ist der Sänger nicht so weit entfernt. Dort, wo das vorjährige Schilf
ganz dicht steht, dort rauschen und zittern die Halme, ein Tier scheint
sich zwischen ihnen zu bewegen. Jetzt ertönt der sonderbare Laut
wieder, aber in der Nähe klingt es doch ganz anders als Hundegebell.
Rur, rur, tönt es, ganz ähnlich, wie es die Haustauben hören lassen,
wenn sie im Schlage gestört werden, nur lauter. Die Halme bewegen sich
wieder. Und nun erscheint der sonderbare Sänger über dem Rohre. Aber
leicht ist er nicht zu sehen. Genau so fahl wie das verwitterte alte
Schilf ist das Kleid der kleinen Rohrdommel, nur der Scheitel ist
schwarz und der größte Teil der Flügel. Aufmerksam spähen die gelben
Augen in die Runde, schnell wird der Kopf mit dem gelben Dolchschnabel
nach allen Seiten gedreht.

Nichts Verdächtiges ist zu entdecken. Drum wandert der Zwergreiher
weiter. Die langen, grünen Zehen an den runden, grünen Beinen umfassen
drei oder vier Rohrhalme zu gleicher Zeit, am liebsten da, wo sie sich
schon zusammenneigen, so daß sie fast gar nicht rauschen und zittern,
wenn die Rohrdommel an ihnen klettert. Dazu kommt noch, daß der kleine
Reiher sehr leicht ist. Er erscheint zwar ziemlich groß, aber das macht
das lockere Gefieder, in Wirklichkeit ist er nicht schwerer als das
zierliche Turteltäubchen. Kein Wunder, daß sich das Schilf nur leise
bewegt, wenn der Zwergreiher seinen schmalen Körper hindurchschiebt.

Vom nahen Fichtenhorst löst sich ein Schatten, schaukelt hierhin und
dorthin und naht sich dann dem Teiche. Eine Waldohreule ist es, die
an den Teichdämmen nach Fahrmäusen suchen will. Tief schwebt sie über
den nassen Wiesen und schwingt sich dann übers Schilf, um den Teich zu
überfliegen. Was wird die Rohrdommel zu ihr sagen? Vergebens suchen wir
jetzt nach ihr. Leise bewegen die Schilfhalme ihre dunkeln Wedel hin
und her im Abendwinde. Dort, wo die drei Halme geknickt sind, saß sie,
ehe unsre Aufmerksamkeit durch die Eule abgelenkt wurde. Und was ist
das für ein dunkler Fleck, der sich dort findet und langsamer im Winde
schaukelt als die Rohrwedel? Ein gutes Glas zeichnet die verschwommenen
Umrisse schärfer. Es ist wirklich der Zwergreiher. Er hockt auf den
Fersen und hat den Kopf mit dem Schnabel steil auf dem eingezogenen
Halse nach oben gereckt. Wahrlich, eine bessere Schutzstellung gibt
es für den rohrfarbigen Vogel nicht, er verschwindet völlig in seiner
Umgebung, und da er still sitzt wie aus Stein gemeißelt, ist er beinahe
unsichtbar.

Eine Viertelstunde mag verflossen sein, die Eule ist längst außer Sicht
und alles still und ruhig rings. Da endlich wagt der kleine Angsthase
auf seiner Rohrwarte, sich zu bewegen. Langsam rückt er den Kopf höher,
reckt den Hals gerade und schaut sich lange nach allen Seiten um. Alles
erscheint sicher. Da streckt die Rohrdommel die Beine, greift sich noch
vorsichtiger als vorher an den Halmen weiter und zieht sich ins dichte
Röhricht zurück. Dort, wo sie sich sicher fühlt, läßt sie auch wieder
ihre Stimme erschallen: rur, rur, rur.

Nacht ist es, und unsere Freundin ist hungrig geworden. Sie steigt
im Rohre in die Höhe und fliegt auf. Gewandt weiß sie die Flügel zu
gebrauchen, wie eine Dohle sieht sie beinahe aus, da sie den Hals ganz
eingezogen trägt im Fluge und die Kehle auf der Gurgel ruhen läßt. Sie
fliegt über das Rohr dahin, schwenkt um die alten Weiden und strebt der
seichten Bucht zu, wo die Fischer bisweilen den Kahn an einem dicken
Pfahle anbinden, wenn sie Reusen gelegt haben. Dort, in dem seichten
Wasser tummeln sich Scharen kleiner Fischchen, die Bucht ist schön
versteckt zwischen den hohen Schilfbeständen, dort jagt die Rohrdommel
am liebsten. Sie fällt zunächst in das Rohr ein und sichert lange
nach allen Seiten. Dann fliegt sie zur Schlammbank. Hochauf schürzt
sie ihr Federkleid und watet langsam und bedächtig ins Wasser. Jetzt
sieht der kleine Reiher beinahe wie ein Teichhühnchen aus, er trägt den
Körper wagrecht, ja, er wippt sogar mit dem kleinen Schwänzchen nach
Teichhuhnart.

Ein kleiner Gründling schwimmt langsam durchs Wasser und schnappt
nach den dicken, roten Wasserflöhen, die taktmäßig auf und nieder
hüpfen. Ganz vertieft ist er in seine Beschäftigung und ahnt nicht,
wie nahe sein Todfeind steht. Arglos macht er eine Wendung und kommt
der Rohrdommel noch näher. Da zuckt wie ein Blitz der gelbe Schnabel
vor, das Fischchen ist erfaßt und rutscht durch den weiten Schlund des
Zwergreihers. Frohlockend wippt und zuckt der glückliche Jäger mit dem
Schwänzchen, schüttelt die Wasserperlen aus dem weichen Halsgefieder
und watet weiter.

Die dicke Larve des Taufroschs, die mit ihrem Hornschnabel den
Algenüberzug vom Rohrstengel abgenagt hat, schwänzelt sich zur
Wasseroberfläche, um Luft zu schnappen. Doch wie sie auftaucht,
ist sie auch schon vom spitzen Schnabel erfaßt und ohne Umstände
verschlungen. Einer Libellenlarve, die das Atemrohr aus dem Wasser
hebt, geht es gerade so. Dann kommt eine kleine Schleie daran und dann
noch eine. Nun der Zwergreiher Schleien gefressen hat, mag er für
heute nichts anderes. Die schmecken ihm besonders gut und dann lassen
sie sich auch so leicht verschlingen, sie haben gar nichts Kratziges
an sich wie der Barsch mit seiner stachligen Rückenflosse und den
sperrigen Kiemendeckeln oder gar der kleine, dürre Stichling mit seinen
feststehenden Rückenspießen. Eine Weile watet der kleine Reiher noch
im Wasser umher, guckt eine Kaulquappe verächtlich an und läßt sie
schwimmen und macht es mit einem Gelbrand geradeso. Schleien will er
haben. Aber es kommen keine mehr. Deshalb rührt die Rohrdommel die
Flügel und sucht einen andern Fischplatz.

Quer über den Teich fliegt sie, dem Rittergute zu. Dort, wo die
Hausenten sich am Tage umhertreiben, wimmelt es von Wasserflöhen, und
deshalb ziehen die Jungfische gern hierher. Dort fischt und jagt der
Zwergreiher bis gegen Morgen, bis der Himmel sich rötet und im Dorfe
die Hähne krähen. Dann eilt er wieder seinem Versteck im Rohr zu. Der
Förster aber wundert sich über die sonderbaren Spuren, die er im
seichten Wasser neben Abdrücken von Entenbeinen findet. Er weiß ja gar
nichts von dem heimlichen Gast im Rohr, da er dessen Stimme nicht kennt
und ihn am Tage nicht zu sehen kriegt.

Der August ist gekommen. Die Felder stehen kahl, die Ernte ist beinahe
beendet. „Die schönste Zeit des Jahres ist vorüber, die Hirsche
fegen!“ sagt der Förster, als er auf seinem Reviergange einige
übel zugerichtete Fichtenbäumchen findet. Der Teich scheint völlig
ausgestorben zu sein. Selten nur treibt sich eine Blässe oder ein
junger Taucher am Schilfrande herum. Aber das scheint nur so. Die Enten
sind noch in der Mauser, die meisten können überhaupt nicht fliegen,
da ihnen die Schwungfedern alle auf einmal ausgefallen sind. Doch
schon streichen am Abend die jungen ausgefiederten umher. Die Zeit der
Entenjagd ist gekommen, man darf nicht mehr zögern, wenn nicht alle
fortstreichen sollen. Die Vorbereitungen sind schon in den letzten
Wochen getroffen. Allenthalben unterbrechen breite Schneisen den
Rohrwald.

Und eines Morgens nahen sich die Grünröcke, ein Dutzend Jäger, jeder
mit einem oder zwei Hunden, wandern rauchend und plaudernd dem Teiche
zu. Still verfügt sich dann jeder auf den Platz an der Schneise, der
ihm angewiesen wird, der Förster aber steigt mit seinem Hunde und einem
bevorzugten Schützen in den Kahn, um an den Schilfrändern hinzufahren
und die Enten aufzustöbern. Ein Hornsignal ertönt, langsam schiebt
der Förster den Kahn am Saume des Rohrbestandes hin, während der
Hund plätschernd und prustend im Schilfe stöbert. Die Enten suchen
der Störung auszuweichen, sie fliegen auf oder, wenn sie das nicht
können, schwimmen sie vom Kahne fort oder suchen sich durch Tauchen
und Verstecken zu retten. An der Schneise fällt ein Schuß, einige
Enten stieben auf und werden vom Hagel getroffen oder -- öfter noch
gefehlt; die Jagd ist im Gange. Der Schütze im Kahn macht die reichste
Beute. Manche Ente steht nahe genug auf, daß sie, von den Schroten
ereilt, ins Schilf stürzt, und der Hund sie apportieren kann. Aber nur
die steintot heruntergeplumpsten findet er, die geflügelten tauchen
sofort, schwimmen unter Wasser weg und stecken dann nur den Schnabel
zum Atemholen über den Spiegel. „Die beißen sich am Grunde fest,“ sagen
die meisten Jäger, während es den Vögeln gar nicht einfällt, auf diese
Weise Selbstmord zu verüben. Im Gegenteil retten sie sich durch ihr
Versteckenspiel, denn der angeschossene Flügel heilt wieder und wird
auch oft wieder zum Fliegen tauglich.

Ruhig und gleichmäßig schiebt der Förster den Kahn vorwärts, und der
Hund plantscht im Wasser, da fliegt ein Vogel hoch. Erst glaubt der
Schütze im Kahn, es wäre eine junge Ente, aber der Flug ist ganz
anders. Ehe er sich soweit besonnen hat, daß er eigentlich hätte
schießen sollen, ist der Vogel weit weg. Nun erkennt der Jäger auch,
daß es ein gelbbrauner Vogel mit schwarzen Flügeln und einem großen,
hellen Fleck auf den Schwingen war. Aber weder er noch der Förster
können sagen, was es war. Allzu weit flog der Vogel nicht, etwa hundert
Schritte entfernt ist er wieder eingefallen. Nun, dann wird er einfach
wieder hochgejagt. Der Hund sucht, der Förster schiebt den Kahn ins
Schilf, so schwer auch das zähe Rohr das Eindringen macht. Ein altes,
halbverfaultes Nest eines Bläßhuhns finden sie, aber den gesuchten
Vogel können sie nicht aufstöbern. „Er muß raus“, sagt der Ehrengast im
Kahn. „Aber er will nicht“, denkt die Rohrdommel, die kaum zwei Meter
neben ihm in Schreckstellung an den Schilfstengeln sitzt.

Immer weiter schiebt der Förster seinen Kahn ins dichte Schilf.
Da findet er auf umgeknickten Schilfstengeln einen Haufen von
Schilfblättern und andern dürren Pflanzenteilen aufgetürmt mit einer
Mulde oben drauf. Ein altes Nest ist es, das sehen die beiden im Kahn,
aber daß es von der gesuchten Rohrdommel erbaut wurde und daß die
Verschwundene hier ihre vier Kinder groß zog, das wissen sie nicht.
Ärgerlich müssen die beiden schließlich abstehen von ihrem Suchen nach
dem Vogel, sie trösten sich, daß er doch vielleicht wieder abgeflogen
sein könnte. Weiter geht die Jagd, und gar manche Patrone verschießt
der Schütze im Kahn. Aber er schießt jetzt merklich schlechter, er
zögert stets, wenn Enten hochgehen, und sieht sich erst um, ob nicht
der Unbekannte mit aufgehen könnte. Aber die Jagd geht vorbei, ohne
daß der gesuchte Vogel wieder erschienen wäre. Schließlich macht
man Strecke. Eine Anzahl Stockenten, einige Tafelenten, auch eine
Löffelente sind erlegt. Der letzte Schütze kommt heran, aber keine
Ente hat er. Mit einem gewissen Stolz bringt er dann hinter dem Rücken
einen schilfbraunen Vogel hervor mit dunkleren Flecken, mit grüngelben,
langen Beinen, einem langen Hals und einem gelbgrünen Reiherschnabel.
Eine junge Rohrdommel ist über eine Schneise geflogen und hat sich auf
der andern Seite gleich am Rande niedergelassen, so daß sie der Schütze
bequem herunterholen konnte.

Die drei Geschwister und die beiden Eltern sind diesmal mit heiler Haut
davongekommen. Im nächsten Jahre werden sie wieder hier brüten oder
in den Schilfbeständen der Ziegeleilachen oder im Rohr eines kleinen
Tümpels hinter dem Dorfe. Wenn nur viel Deckung da ist, dann sind
ja die Zwergreiher nicht wählerisch in der Wahl ihres Brutplatzes.
Wer ihre Stimme kennt, wird sie in unserm Vaterlande wohl nirgends
vergeblich suchen, er wird sie an warmen Juniabenden sicher hören, wer
sie sehen will, muß -- Glück haben und Geduld.




Käuze im Dorfe


Pfingsten ist es und Mitte Mai, dazu warm und mild wie im Juni. Die
springenden Knospen duften durch das offene Fenster, Frühlingshauch
zieht hinein zu dem Manne, der vor der Lampe über ein Buch gebeugt
sitzt und liest. Aber nicht eine Spur von Frühlingsfreude spiegelt sich
auf dem Gesicht des Studierenden, Groll und Erbitterung scheint es
vielmehr auszudrücken; gewiß ist er zornig über das Buch vor ihm, das
mit seinen Vorurteilen und Unwahrheiten ihm die Laune vergällt.

Doch mit einem Schlage sind die Falten von seiner Stirn verschwunden,
und freundlich, ja beinahe zärtlich blickt er hinaus zu dem Vogel,
der soeben auf dem Birnbaumast vor dem Fenster sich niedergelassen
hat. Zwei helle, gelbe Augen blicken zutraulich aus dem runden
Köpfchen, komisch nickt und knixt der kleine Nachtvogel, winkt mit den
Augenlidern und knappt mit dem Schnabel, richtet den Gesichtsschleier
auf, daß sein Kopf kugelrund ist, legt dann wieder alle Federn knapp an
und sieht dünn und schlank aus, kurz, er macht hundert Grimassen. Dann
ruft der +Kauz+ gedämpft und melodisch Ghuk und macht aufs neue ein
Komikergesicht. Da macht der Beobachter eine unvorsichtige Bewegung,
im Nu ist das Käuzchen lang und dünn; wie ein dürrer Aststumpf sieht
es aus; dann macht es zwei tiefe Bücklinge und ist verschwunden. Nach
dem Obstgarten ist es hinübergestrichen und läßt von dort sein Ghuk
erschallen. Jetzt läßt sich sein Weibchen zu einem Duett verleiten, es
antwortet auf den sanften Ruf des Gatten mit höherem Kuwiff, Kuwiff,
wohl zehnmal hintereinander den gleichen Ton ausstoßend.

Doch dieser Laut übt auf den Mann im Studierzimmer die entgegengesetzte
Wirkung aus als das Ghuk des Männchens. Er erinnert ihn immer aufs neue
an den unüberwindlichen Aberglauben der Bauern, die das arme, gutmütige
Käuzchen als Leichenvogel verschreien und seinen Ruf mit: „Komm mit,
komm mit nach dem Kirchhof“ übersetzen. Erst im vorigen Jahre, als
die Frau vom Ortsschulzen so krank war, haben die Bauern drei der
unschuldigen Mäusejäger getötet, um den gefürchteten Ruf nicht hören zu
müssen. Natürlich hatte dann das einzige überlebende Weibchen auf der
Suche nach dem gemordeten Gatten Nacht für Nacht vor den erleuchteten
Fenstern geschrien, so daß sinnlose Todesfurcht den Zustand der Kranken
bedenklich verschlimmerte und schließlich ihren Tod verursachte. Da
hatte man wieder deutlich gesehen, was der Ruf des „Kommitchen“ zu
bedeuten hat, und daß alles nichts hilft, wenn einmal sein Todesruf vor
den Fenstern erschallt ist.

Es ist nur ein Glück, daß das Käuzchen nicht auf die hohen Apfelbäume
im Dorfe angewiesen ist, wenn es Anstalten zur Brut treffen will, sonst
würde es wohl noch weit häufiger der Nachstellungswut abergläubischer
Leute zum Opfer fallen. Wird aber die kleine, zutrauliche Eule
im Dorfe gestört, dann versucht sie in einer Weide am Bache ihre
Brut aufzuziehen; geht das nicht, nun, dann ist vielleicht eine
Kaninchenhöhle in der steilen Sandwand geeignet dazu. Am liebsten ist
ihr aber doch der alte morsche Obstbaum im Schulgarten. Dicht an den
Stamm gedrückt verbringt hier das Männchen den Tag, während die Gattin
brütend auf den vier reinweißen Eiern sitzt.

Aber oft ist Herr Steinkauz genötigt, seinen Platz zu wechseln.
Da schlüpft eine Kohlmeise durch die Obstbäume auf der Suche nach
Nahrung. Bald hängt sie kopfunter an dünnen Zweigen, bald klammert sie
sich an die Rinde, um Räupchen und Käfer aus den Ritzen zu ziehen.
Ganz vertieft ist sie in ihre Beschäftigung. Jetzt hüpft sie auf dem
Apfelbaum von Ast zu Ast und klammert sich am Stamme fest, um plötzlich
wenige Spannen von sich die gehaßte Eule sitzen zu sehen. Erschreckt
fliegt sie zum nächsten Zweige. Zidä, Zidädädä, zetert sie und schnarrt
tärrrärrrr so laut und wütend, daß gleich eine Blaumeise dazukommt und
unter Zerr zerr zerr mitschimpfend hilft. Nun wird auch die Bachstelze
aufmerksam und stößt unter lautem Zilli-Zilli auf das Käuzchen. Schon
ist auch der Hausrotschwanz dabei und geht schnabelklappernd dem
Nachtvogel zu Leibe, einige Feldsperlinge glauben, auch mittun zu
müssen, so daß das Gewirr der zankenden Kleinvogelstimmen schließlich
dem Käuzchen zu toll wird. Quer durch die zeternde Vogelschar fliegt es
und eilt schleunigst dem nahen Friedhofe zu mit seinen Lebensbäumen, um
dort ein Versteck zu suchen.

Ganz eigenartig und gar nicht wie andere Eulen fliegt der Steinkauz.
Im hüpfenden Bogenflug erinnert er sehr stark an einen Specht oder
eine Haubenlerche; niemals würde ein Unkundiger vermuten, eine Eule
vor sich zu haben. Die zankenden Kleinvögel sind dem Käuzchen ein
Stück nachgeflogen, aber bald bleiben sie zurück, so daß es ihm
leicht wird, ungestört ein verschwiegenes Plätzchen auf einer dicken
Linde zu finden. Wird es dort wieder aufgestört von den Staren, die
in den Höhlungen nisten, dann fliegt es wieder hinunter auf seinen
Lieblingsfleck auf dem Apfelbaum, um dort bis zum Abend zu träumen. Die
Dämmerung begrüßt es dann mit seinem Ghuk, während das Weibchen in der
Nisthöhle mit Kuwiff antwortet.

Doch eines Abends ertönen ganz andre, zankende Stimmen im Obstgarten.
Ein dicker, schwarzer Kater hat ein leises Rascheln im Apfelbaum
vernommen und eiligst klimmt er am Stamme in die Höhe, um zu sehen,
was es gibt. Tastend steckt er seine Pfote in die Höhle, um vielleicht
einen Jungvogel herauszuhäkeln. Doch mit einem Male fährt er
aufkreischend zurück. Vier Krallen, schärfer und spitzer noch als
seine, haben ihm ins Fleisch gegriffen. Im Nu ist auch das Kauzmännchen
da und stößt mit lautem käfkäfkäf auf den Störenfried, der sich eiligst
aus dem Staube macht. Lange dauert es, ehe sich die Käuzchen wieder
beruhigt haben und wieder ihr gemütliches Ghuk ertönen lassen.

Auch die andere Eule des Dorfes, die Schleiereule, die im Balkenwerke
des Kirchturmes ihr Quartier aufgeschlagen hat, darf sich nicht in der
Nähe von Käuzchens Nistplatz sehen lassen, sie wird sofort unter laut
zankendem Kläffen angegriffen und vertrieben. Dabei tut sie gewiß den
Kleinen nichts zuleide, aber sie hat nun einmal im Obstgarten nichts
zu suchen und wird also vertrieben. Gewöhnlich wartet sie aber gar
nicht erst den Angriff des kleinen, mutigen Artgenossen ab, sondern
macht sich schleunigst aus dem Staube, sobald die Käuzchen ihr zu nahe
kommen. Dann läßt sie ihre halb fauchende, halb kreischende Stimme
hören und fliegt zum nächsten Scheunengiebel. Von dorther tönt von Zeit
zu Zeit ihr Chchvaaihch, wie gedämpfter Katzenschrei anzuhören. Bald
lauter, bald leiser, bald länger, bald kürzer wird der Ruf ausgestoßen,
aber immer nur der gleiche unmelodische Schrei.

„Je schöner der Vogel, desto häßlicher die Stimme“, sagt das Volk und
denkt dabei an Pfau und Nachtigall. Wenn man aus dem Eulengeschlecht
Beispiele für den Volksausspruch sucht und als besten Sänger den
Waldkauz oder auch den Steinkauz ansieht und mit dem musikalischen
Stümper, dem Schleierkauz vergleicht, dann findet man das Wort wieder
bestätigt. Unscheinbar erscheint der kleine graue Steinkauz mit
seinen weißen Tropfflecken, nicht viel schöner der graue Waldkauz,
schöner schon die rotbraune Varietät des großen Kauzes, sie alle können
sich aber mit einer Schleiereule nicht messen. Der seidig glänzende
Gesichtsschleier mit seiner sonderbaren Herzform und dem dunklen
Saum, und mitten drin die beiden schwarzen funkelnden Augen, schon
das würde genügen, den Schleierkauz zur schönsten Eule zu machen. Es
bedürfte gar nicht der aschigen Oberseite mit den weißen Sprenkeln,
der isabellfarbigen Unterseite mit den dunkeln Makeln. Zart und fein
ist die Seide, mit der ein Mensch seine Geliebte schmückt, um ihre
Schönheit zu heben, aber grob und derb ist das feinste Gespinst von
Menschenhand gegen das Federkleid, das die Natur ihrem Stiefkind, der
Schleiereule, verlieh. Wollte sie es damit wieder gut machen, daß sie
dem armen Vogel das gräßlichste Geschick nicht ersparte, nämlich dem
Aberglauben des Volkes verfallen zu sein?

Gehe nur hinaus aufs Dorf und mustere die Bauernhöfe und sieh, wie
Dummheit und Aberglauben ihre Blüten treiben! Die treueste Verbündete
im Kampfe gegen die gehaßten Mäuse und Ratten, die Schleiereule, die
fängt oder schießt der Bauer und nagelt sie als Wahrzeichen seines
Bildungsgrades an die Scheunentür, „weil sie das Feuer vertreibt“.
Man hat wohl bei Bränden gesehen, wie Mutterliebe den Vogel immer und
immer wieder antrieb, durch Qualm und Rauch einen Zugang zu suchen zu
den kleinen Dunenjungen, die auf dem Balkenwerke der Scheune kläglich
kreischten in ihrer Todesangst. So entstand zunächst die Sage, der
nächtliche Vogel sei feuerfest, bis man ihn schließlich als Vertreiber
des Feuers ansah und durch Kreuzigen der Eule an der Scheunentür das
Feuer verbannen zu können glaubte. Zwar wird heute kaum jemand noch
ernstlich dieses Ammenmärchen für wahr halten, aber der „alte, gute
Brauch“ der Väter erbt sich fort, und schließlich hört man einen zur
Rede gestellten Alten sagen: „Äh, hilft’s nicht, na, dann schad’s auch
nicht.“ -- Die „Aufgeklärten“ aber werfen dem Schleierkauz vor, er habe
ihre Tauben gefressen, Taubeneier ausgetrunken und ähnliches. Dabei
beachten aber die Tauben die Eule gar nicht und umgekehrt. Oft findet
man beide friedlich nebeneinander brüten und die Jungen großziehen,
ohne daß auch nur den unbeholfenen Dunenjungen der Tauben das geringste
Leid geschähe; setzt man einer gefangenen Eule Eier vor, dann stirbt
sie eher am Hungertode, als daß sie ein Ei, ganz oder angeknickt,
anrührte.

Und wenn wirklich eine Schleiereule ihren Hunger mit Tauben zu stillen
sich angewöhnt hat, dann kann doch abends der Taubenschlag geschlossen
werden! Aber wegen einer gemutmaßten Übertretung einer einzelnen wird
die ganze Sippe mit dem Tode bestraft. Die Folge ist schon jetzt recht
fühlbar geworden. Die Schleiereulen werden seltener und seltener,
man muß in manchen Gegenden unseres Vaterlandes, z. B. bei Leipzig,
lange vergeblich suchen, ehe man ein Dorf findet, in dem der schönsten
deutschen Eule noch eine Freistatt gewährt wird. Sollen wirklich die
Tage gezählt sein, da sie noch in unsrer Heimat zu finden ist? Ein gut
Stück Poesie ginge mit ihr zu Grabe.




Vom Pionier im Samtrock


Kein Garten hat mir je wieder so gut gefallen wie der Schulgarten in
Z. Erscheint er mir nur so schön, weil ich so manche Stunde meiner
Kindheit dort verträumt habe? Das mag sein. Aber so viel steht fest,
nicht leicht kann ein zweiter Garten von so winzigem Umfang eine
solche Fülle von Vogelarten beherbergen wie eben unser alter Garten.
In der Hecke und in den dichten Beerensträuchern nisten Müllerchen und
Plattmönch, Hänfling und Gelbspötter. Vom Dach herab grüßt das ruhige
Hausrotschwänzchen mit seinem gepreßten Liedchen, wenn es nicht mit
Vetter Baumrötel einen kleinen Streit ausficht um den Nistplatz im
Taubenschlag, den die weiße Bachstelze aber auch gern haben möchte.

Eine mächtige Linde beschattet einen Teil des Gartens. Sie stand wohl
schon, als der eckige Kirchturm noch als Kapelle diente und weite
Teiche sich um das alte Wendendörfchen streckten. Nun ist sie etwas
altersschwach geworden. Manchen Ast hat der Sturm abgerissen, der Stamm
ist durchhöhlt, unsre Linde ist schon ein etwas baufälliges Haus. Aber
Jahr um Jahr treibt sie neue Blätter, duftet mit Tausenden von Blüten
und streut tausend Samennüßchen in alle Winde. Jahr um Jahr bietet
sie mit ihren zahlreichen Spalten und Löchern der Vogelwelt aufs neue
sichere Brutstätten. Hier und da zwängen sich Spatzen und Stare durch
eine Ritze zu der hungrigen Brut, Blaumeischen hat ein enges Astloch
gefunden, das ihr kein grober Spatz streitig machen kann, und der
Kleiber hat ein Loch so eng geklebt, daß er eben noch hinein kann
in die Bruthöhle. Oben in der Krone baut der Wildtauber mit seiner
Gattin die Kinderwiege, und unten in den Ranken des Efeus, der mit
zäher Umarmung den alten Lindenstamm umschlingt, flicht und pappt die
Amsel ihr halbkugliges Nest. In das dichte Gewirr der Efeuranken am
Boden schleppt der Igel Laub und Halme; dort führt er ein stilles und
beschauliches Dasein, wenn ihn die Flöhe nicht gerade zu sehr jucken
und die Holzböcke zwicken.

Viel weiter noch, als die Krone in blauer Luft sich breitet, ist der
Erdboden durchzogen von den Wurzeln der alten Linde. Hier haust der
sonderbarste Geselle, der sich des Schutzes des Baums erfreut. Mag der
Igel auch prachtvoll geschützt sein durch sein Stachelkleid, mögen
seine Gesichtszüge noch so spaßig erscheinen, wenn er sich aufrollt,
mit dem Wühler im schwarzen Samtpelz, dem +Maulwurf+, kann er sich
nicht messen in bezug auf glückliche Anpassung an die Lebensbedingungen.

Im Mai war’s, da machte ich seine Bekanntschaft. Ich sah einem
Starenvater zu, der mit einem Schnabel voll Käfer an die Nisthöhle
flog, dann hurtig der schreienden Brut das Futter in den Schnabel
stopfte. Eben war der Vogel wieder abgeflogen mit einem weißen
Kotballen im Schnabel, da ertönte am Fuße der Linde ein eigenartiges
Rascheln. Es klang wie Wispern einer Maus, die an dürrem Laube
knappert, und doch ein wenig anders. Da ist es wieder. Langsam und
vorsichtig schnuppernd erscheint ein spitzer, rosiger Rüssel aus der
Tiefe, ein samtiger Kopf kommt nach und dann ein Paar fleischfarbiger
Hände; breite, muskulöse Arbeitshände mit scharfen Krallen sind es.
Prüfend arbeitet die Nase und erforscht die Umgebung. Alles erscheint
sicher. Da arbeitet sich der dicke Walzenleib des Maulwurfs ganz ans
Licht empor. Wie der Samtpelz glänzt in der Sonne! Am Kopfe schimmert
rechts und links ein Punkt gläsern durch die Samthaare, wie schwarze
Stecknadelkuppen sehen sie aus: die Augen des Maulwurfs. Von Ohren
kann man gar nichts sehen, die stecken unter dem Pelz. Emsig rutscht
der schwarze Kerl über den Boden dahin. Jetzt packt er ein dürres
Lindenblatt, das noch vom Herbst daliegt, rutscht zurück zu seiner
Röhre und verschwindet eilig unter dem Boden. Aber bald ist er wieder
da und holt ein andres Blatt oder einen dürren Grashalm und schleppt
ihn in die Tiefe. Immer und immer wieder erscheint der Pionier an
der Erdoberfläche, trabt mit seinen Hinterbeinen und krakelt mit den
Grabschaufeln seiner Hände über den Boden dahin und trägt dürres Laub
hinunter in die Röhre.

Ein Maikäfer sitzt auf dem Rosenbäumchen vor mir und „plumpt“; eben
will er fortfliegen, da greife ich ihn. Dann werfe ich ihn unter den
Lindenstamm an das Loch des Maulwurfs. Gut getroffen! Gerade vor dem
Loche liegt er auf dem Rücken, krabbelt und arbeitet, bis er endlich
seine Fußkrallen einhakt in einen dürren Zweig und sich herumdreht.
Dann regt er eilig seine sechs Beine und wandert fort. Zwei Spannen
weit ist er schon weggekommen, da taucht der Maulwurfsrüssel wieder
in der Röhre auf. „Maikäfer, mach dein Testament, jetzt bist du
geliefert!“ Ein Weilchen schnuppert der Schwarzrock umher, dann kriegt
er den Käfer in die Nase. Noch höher als sonst stellt er vor Eifer sein
kleines Schwänzchen auf und drückt es gegen den Rücken. Dabei läuft
er gar rasch auf den Käfer zu, packt ihn mit den spitzen Zähnchen,
beißt und kaut, daß das Skelett des Käfers kracht und mummelt ihn dann
hinter. Im Handumdrehen ist er verschwunden, nicht eine Spur mehr zu
sehen. Hierhin, dorthin schnuppert der Maulwurf, packt schließlich
wieder einen dürren Grasbüschel und verschwindet in seinem Loche.

Ist er mit dürrem Gras zufrieden, wenn kein Käfer zur Stillung des
Hungers aufzutreiben ist? Wer einmal einem Kaninchen zugesehen hat, wie
es einen dicken Büschel von dürrem Gras ins Maul genommen hat, immer
und immer noch einen Halm dazupackend, bis es mit einem borstigen Bart
in seiner Höhle verschwand, der wird unwillkürlich die Ähnlichkeit
in dem Gebaren von Maulwurf und Nager herausfühlen. In beiden Fällen
handelt es sich um das Eintragen von weichem Material zum Bauen des
Nests, zum Auspolstern der Kinderwiege. Unser Maulwurf unter der Linde
ist ein Weibchen, sein dicker Leib läßt sogar auf interessante Umstände
schließen. Jetzt scheint Mama Maulwurf zufrieden zu sein mit der
Menge des eingetragenen Laubs, sie erscheint nicht wieder. Vielleicht
verarbeitet sie erst einmal ihre Beute und baut und polstert am Nest,
vielleicht geht sie auch jagen, wer weiß.

Am Wiesenrand entlang schlendert ein Schulknabe. Er hat einen großen
Drahtring um den Hals gehängt, an dem sonderbare Stahlgeräte baumeln.
Maulwurfsfallen sind es. Von der Kunst zunftmäßiger Maulwurfsjäger,
aus einer elastischen Weidengerte und einigen Stellhölzchen einen
Schnellgalgen zu stellen für den armen, schwarzen Wühler, davon
versteht der Junge nichts. Der hat seine zangenartigen Fallen, die
durch einen Drahtring aufgehalten und fängisch gestellt werden. Wühlt
ein schwarzer Pionier in seinem Laufgang und arbeitet, um den Gang
passierbar zu machen, dann drückt er den Stellring weg, die Zange
schnappt zu und quetscht ihm den Brustkasten zusammen. Armer Maulwurf,
der du dich in den Schutz unsrer Linde geflüchtet hast. Der Knabe
hat den Erdhügel gesehen, den du aus deinem Laufgang herausgeschafft
hast. Nun sucht und drückt er mit dem Spaten, bis er glücklich die
„Fahrt“ entdeckt hat. Dann sticht er ein viereckiges Stück Rasen los
und schiebt die gräßlichen Zangen in die Röhren. Dann deckt er das
Rasenstück wieder darauf, ebnet den Boden und geht weiter.

Soll ich es zulassen, daß du ahnungslos in dein Verderben rennst,
Freund Maulwurf? Nein, du stehst unter dem Schutz unsrer Linde, unter
meinem Schutz! Soll ich die Zangen zuschnappen lassen? Dann stellt
sie der Junge morgen wieder fängisch, dann ist nichts gewonnen,
einmal erwischt er dich doch, denn er hat Engelsgeduld. Doch halt,
Petroleum! Ganz weit hinein in jede Röhre wird ein Lappen, mit dem
stinkenden Öl getränkt, geschoben, da geht der Maulwurf sicher nicht
darüber hinweg. Und siehe da, am nächsten Morgen sind die Fallen noch
unberührt, am Abend auch, am nächsten Tage sind sie verschwunden. Der
Maulwurfsjäger hat wahrscheinlich doch die Röhre trotz des frischen
Hügels für unbewohnt gehalten, da nicht ein einziges Mal die geringste
Spur der Anwesenheit eines Maulwurfs zu finden war. Mein Schützling ist
gerettet.

Nach einigen Tagen sehe ich ihn wieder unter der Linde. Er ist recht
schlank geworden, wahrscheinlich liegen die Jungen im Nest unter den
Lindenwurzeln. Was hat der nur hier oben herumzuschnüffeln? Er krabbelt
auf die Efeuranken zu, hinter denen der Igel sein Nest gebaut hat.
Aha, eine junge Goldammer hat der Stachelheld erwischt und sie bis
vor seine Haustür getragen. Dort hat er sie liegen lassen, weil er
satt gewesen ist. Nun ist aber der Braten dem Maulwurf in die Nase
gekommen, und er holt ihn schleunigst weg, ohne daß der rechtmäßige
Besitzer etwas davon merkt. Wie komisch das aussieht, wenn der schwarze
Walzenleib des unterirdischen Wühlers sich krümmt und anstrengt, um die
steif gewordene Goldammer durch die Efeuranken hindurchzuzerren. Immer
wieder bleibt sie hängen und will sich nicht bewegen lassen, dann ruckt
und zerrt der Maulwurf wie ein junger Hund, der in die Leine beißt.
Schließlich ist der leckere Bissen doch ins Freie geschleppt, und nun
geht es hurtig dem Loch zu und hinunter in die Tiefe.

Am nächsten Abend verunglückte eine Feldmaus im Maulwurfsloch. Der Igel
hat sie abgeschnitten von ihrem Schlupfloch und saust hinter ihr her.
In ihrer Angst fährt sie hinein in die schützende Höhle des Maulwurfs.
Aber o weh! Gerettet ist sie nicht deswegen. Ganz fein klingt ihr
erschrecktes Piepen aus der Tiefe, sie ist dem rechtmäßigen Bewohner
geradeswegs vor die Nase gelaufen. Da hilft keine Flucht. Eine Maus ist
flink, aber in seinen Röhren ist der Maulwurf noch rascher, wie ein
Bolzen saust er durch seine wohlgeglätteten Gänge, und gar bald ist
auch die behendeste Maus eingeholt und von den nadelspitzen Zähnen
verwundet und getötet. Unsre Petersilie ist gerächt.

Eine Salatpflanzung in unserm Garten macht von Tag zu Tag einen
erbärmlicheren Eindruck. Einige Pflänzchen fallen um, andre kränkeln
und werden welk. Was ist da nur los? Zieht man eine Pflanze heraus,
dann fehlen die Wurzeln, gewöhnlich kann man auch noch einen
bleistiftstarken Gang erkennen, der in die Erde führt. Durch den muß
der Wurzelfeind gekommen und gegangen sein. Am nächsten Tage sieht es
wüst aus auf unserm Salatbeet. Alles ist zerwühlt, die Pflanzen sind
halb aus dem Boden geworfen, Erdhügel sind aufgetürmt. Freund Maulwurf,
du ungestümer Gast, das ist dein Werk. Eilig wird alles wieder geebnet,
die Pflanzen festgedrückt, die Hügel mit dem Rechen breitgezogen,
damit Mutter nichts sieht und nicht den Maulwurf wegfangen läßt. Aber
sonderbar, die Pflanzen gedeihen jetzt ganz anders, keine wird welk,
keine fällt um. Das hat der Wühler im Samtpelz getan. Die Engerlinge,
die die Wurzeln vom Salat fraßen, die haben ihn hergelockt, überall
hat er sie aufgespürt, und nicht einer ist mehr zu finden. Nun ist
natürlich der Maulwurf glänzend gerechtfertigt.

Einige Wochen sind vergangen. Der Garten ist erfüllt von dem würzigen
Duft reifender Monatserdbeeren. Die Sonne ist eben untergegangen, im
Dorfe ist es schon still geworden. Da raschelt es unter dem Buchsbaum,
und unser Maulwurf wird sichtbar. Schnüffelnd trippelt er zwischen
den Erdbeerpflanzen umher, wendet sich rechts und links und hat
immer etwas zu schmatzen und zu kauen. Haben’s ihm die Erdbeeren
angetan? Scheinbar nicht, denn eben ist er an einer glühend roten
Frucht vorbeigewandert; aber die andre dort scheint er verzehren zu
wollen. Er hebt sie mit dem rosigen Rüssel und frißt und kaut an einer
Schnecke. Der Erdboden scheint ihm jetzt zu hart zu sein zum Wühlen
und Suchen. Tagelang hat es nicht geregnet, die Regenwürmer haben sich
zusammengerollt und eingekapselt, deshalb sucht Freund Maulwurf über
der Erde.

Nun wart einmal, darf ich dich vielleicht zu einem kleinen Abendessen
einladen? Dort auf dem Gange steht die große Kiste mit weicher Erde, in
der die Gurkenpflanzen gezogen sind, dort will ich dir was auftafeln.
Zwei leise Schritte, ein schneller Satz, ein kräftiger Griff, da habe
ich dich. Aber nicht so strampeln, Kleiner, ich kann dich ja kaum
halten! Unmöglich ist es, deine Vorderbeine zusammenzudrücken, man muß
nachlassen. Dann nehme ich dich lieber beim Fell. Das willst du auch
wieder nicht leiden? Gar beißen willst du, so unangenehm ist dir mein
Griff? Na, dann rein mit dir in die Kiste. Im Nu ist er verschwunden,
förmlich untergetaucht in der lockeren Erde. Eine junge Amsel ist
ertrunken in unsrer Regentonne, die hole ich herbei, schneide kleine
Stückchen Fleisch ab und lege sie oben auf die Erde in der Kiste. Nun
heißt es mäuschenstill sein, damit der Maulwurf sich sicher fühlt.
Nur wenige Minuten dauert es, dann hebt sich die lockere Erde in der
Kiste, gerade neben einem Stückchen Fleisch. Da erscheint auch der
emsig windende Rüssel, aber gleich ist er wieder weg und das Fleisch
auch. Ein Bissen nach dem andern wird so in die Tiefe gezogen, bald ist
nichts mehr von dem Vogel übrig.

Was wird der Gefangene nun tun, wird er hervorkommen aus der Erde und
über den niedrigen Rand der Kiste klettern! Es knackt verdächtig. Da
hat Herkules schon einen Ausweg gefunden. Zwei Bretter schließen nicht
ganz dicht, der Maulwurf kann die Grabschaufel einstemmen und drückt
und preßt, bis das morsche Holz nachgibt. Dann ist er seinem Gefängnis
entronnen, er bohrt und wühlt sofort auf dem Beet mit dem Rüssel,
kratzt mit den Vorderpfoten und gräbt und arbeitet, bis er unter dem
Erdboden verschwunden ist. Leb wohl und freu dich deines Lebens,
schwarzer Kobold; möge der Schutzengel der Maulwürfe dich bewahren
vor Galgen und Zange, vor den Krallen des Bussards und des Iltis
Raubtierzähnen!




Königin Apis


Juli war es, und ein besonders heißer Tag dazu. Die Sonne sengte und
strahlte, sie kochte den Honig aus den letzten Blüten der Linde im
Garten, so daß der süße Duft mit dem leisen Lufthauch davonzog. Ein
paar Fliegen saßen plattgedrückt im Weinlaube und ließen sich die Hitze
gut sein, unter der Fetthenne am Boden dehnte eine grüne Zauneidechse
den Leib im Sonnenschein, träge flog ein Kohlweißling durch den
Garten und setzte sein Eihäufchen an ein Kohlrabiblatt. Sonst war von
Lebewesen fast nichts zu entdecken. Nur ab und zu klang die plärrende
Stimme junger Stare aus den Höhlungen der Linde, verträumt drang der
Laut durch die heiße Stille.

Ein leises, fernes Summen klingt in der zitternden Luft, ganz fein
vertönt’s, wie wenn die Kirchenglocke summt, die ein fallendes Sandkorn
anschlug. Was ist es? Täuscht nur der hämmernde Pulsschlag das ferne
Summen ins Ohr? Doch nein, es wird stärker und lauter. Ist es der
Wind, den die weiße Wetterwolke am Westhimmel ausschickt, der so
drohende Töne erzeugt? Doch es regt sich kein Blatt am Baume, kein
Windhauch stört die winzigen Mücken, die als flimmernde Punkte einen
verschlungenen Reigen tanzen. Näher und drohender braust es, wie wenn
fern hinter dem Berge prasselnde Schloßenschauer herniederstürzten, und
doch ist der Himmel blau und die weiße Wetterwolke fern.

Und nun zieht unter Summen und Brummen eine Wolke über den Garten,
jetzt langsam, jetzt rasch, jetzt hoch und dann niedrig, eben war sie
rund, nun ist sie lang und schmal. Apis, die +Bienenkönigin+, und ihr
Volk brummt über den Garten. Sie fliegt in weitem Bogen um die Linde
herum, ihre Getreuen tun’s ihr nach, sie stürzt sich zehn Meter hinab,
und ohne Kommando folgen ihre Vasallen, sie schwärmt im Zickzackfluge,
und hinter ihr wogt der Schwarm, wie von Geisterhand geleitet. Am
Hausgiebel zieht die Königin langsam hinauf bis zum First und dann
wieder hinab bis zum Dachrand, und mit ihr steigen die Bienen und
senken sich.

Apis sucht einen Ruheplatz, doch das Haus dünkt ihr unpassend, drum
geht es hinüber zur Linde. Ein glatter Ast kommt aus dem dicken
Lindenstamme dort, wo er sich zum ersten Male teilt. Fast wagrecht
ragt der Ast in die Luft, nur seine Zweige hängen etwas nach unten.
Hier gefällt es Frau Apis, die Sonne brennt nicht zu heiß hierher,
aber der Schatten ist auch nicht zu dicht. Die Königin setzt sich auf
den erwählten Platz, sofort haben sich neben ihr eine Schar Getreue
niedergelassen, neue kommen dazu und krallen sich mit ihren sechs
Beinchen an die glatte Rinde, die nächsten setzen sich auf die Rücken
ihrer Schwestern, um wieder andern als Ruhesitz zu dienen. Größer
und größer wird die Traube aus Bienenleibern, immer weniger Insekten
schwärmen noch umher, bis schließlich fast alle Platz gefunden haben.

Doch dauernd ist natürlich die Ruhe beim Bienenvölkchen nicht. Da löst
sich ein faustgroßer Ballen vom Schwarme, entwirrt sich im Fallen,
und die emsigen Honigsucher fliegen hinauf zur Bienentraube, die sich
schon wieder abgerundet hat, und setzen sich darauf nieder. Der Abend
kommt, und über den Wiesen braut der Nebel, die Bienen summen, fallen
nieder und steigen auf; die kühle Nacht senkt sich auf die Erde, und
das Käuzchen schreit in den Weiden an der Mühle, der Bienenschwarm
summt immer noch. Der Morgenhimmel rötet sich, und die Sonne guckt mit
rotverschlafenem Auge aus dem Wolkenbette, die Bienen brummen noch
immer rastlos am Lindenast.

Höher und höher steigt das Tageslicht, seine warmen Strahlen trinken
durstig die glitzernden Tauperlen von Blatt und Gras. Nun werden die
Bienen noch lebhafter. Eine nach der andern löst sich von der Traube
los und summt tanzend auf und nieder, schwärmt hin und her und fliegt
dann weiter herum im Garten und Dorfe. Bald hier am Hausgiebel,
bald dort am hohlen Apfelbaume sieht man sie suchend umherirren,
hineinfliegen in Baumlöcher und dann wieder weiter eilen. Die größte
Zahl ist aber an der Linde geblieben und untersucht die zahlreichen
Höhlungen ihres Stammes.

Zu zweien, dreien fliegen sie ein und aus, bis schließlich die große
Höhle am Stamme, die halb unter Efeuranken versteckt liegt, von vielen
umflogen wird. Hin und her geht es zwischen dem Schwarm und dem Loch im
Stamme, bis schließlich alles nur ein Hin- und Herfluten ist. Und dann
zieht Bienlein auf Bienlein unter lautem Summen hinein in den hohlen
Stamm; wie wenn rieselnde Erbsen aus dem Sack ins Maß rollen, so ist’s
anzusehen. Apis und ihr Volk haben eine Wohnung gefunden, sie bleiben
in der Linde.

Schimpfend sehen die Sperlinge, wie die schöne, große Höhle von den
kleinen Summern bezogen wird, aber eine dunkle Ahnung sagt ihnen, daß
hier Zanken und Beißen nichts hilft, und Star und Rotschwanz, die vom
Schelten der erbosten Gassenvögel angelockt werden, wissen auch nur den
einen Rat, sich mit den Kleinen nicht zu verfeinden. So wird es denn
weiter getragen von Schnabel zu Schnabel, was für Gäste jetzt in der
Linde wohnen, und auch die Menschen sehen es und sprechen einige Tage
darüber; dann ist die Sache nichts Neues mehr.

Doch beim halbvergessenen Bienenvolke wird gearbeitet mit
Bienenemsigkeit, und gar mannigfach ist die Arbeit, die zu tun ist.
Da sitzt eine Schar aus dem Volke der Apis dicht geknäult. Sie sind
gut genährt, und man könnte glauben, sie täten nichts, als ein
Mittagschläfchen halten. Doch haben sie eine wichtige Beschäftigung,
sie -- schwitzen. Eine wärmt sich an der andern, so daß zwischen den
Ringen ihres verschnürten Körpers Wachs hervorquillt. Spurwenig ist
es natürlich, was eine Biene täglich an Wachs hervorbringen kann, und
doch sieht man an den Waben, die aus dem Wachse gebaut werden, daß die
Gesamtmasse gar nicht so gering ist.

Und wenn die einen schwitzen, dann kommen andre, putzen ihnen das Wachs
ab, kauen es mit kräftigen Kiefern und kleben den winzigen Ballen an
das Bauwerk, das andre begonnen haben, noch andre fertig machen werden.
Keine fragt, was nun zu tun ist, jede weiß es von selbst. Mit den
geknickten Fühlern messen und tasten sie, kneten und kleben mit den
Kiefern, und bald reiht sich eine sechseckige Zelle an die andre. Und
in der ganzen Wabe ist ein Kämmerchen so groß wie das andre, alle sind
gleich hoch und breit, alle haben die gleiche Tiefe.

Zwischen den bauenden Bienen läuft die Königin umher, als wollte sie
sich überzeugen, daß ordentlich gearbeitet wird. Doch das scheint nur
so, sie versteht ja von der Arbeit herzlich wenig und läßt ihr Volk
tun und treiben, was es will. Doch wenn eine Anzahl neuer Kammern
fertig ist, dann legt sie ein Ei in jede Zelle. Das ist ihre einzige
Arbeit, aber man darf nicht denken, es wäre eine leichte Aufgabe, mehr
als dreitausend kann sie an einem einzigen Tage legen. Dafür wird
sie aber auch von ihrem Volke gepflegt und beschützt, gefüttert und
gewärmt, jede Biene ist bemüht, ihr den leisesten Wunsch an den Fühlern
abzulesen. Und während die einen kleben und bauen, andre die Königin
geleiten und bedienen, summt die größte Zahl der Bienen im Freien
umher. Geschäftig eilen sie von Blüte zu Blüte, stecken den Rüssel
ganz tief hinein zwischen Staubfäden und Griffel und schlecken und
trinken das winzige Tröpfchen Nektar, das dort geboten wird. Und dabei
stäuben und pudern die Staubfäden die emsigen Insekten über und über
mit gelbem Pollen ein, der zwischen dem Pelz hängen bleibt. Ein kleiner
Teil wird davon in den nächsten Blüten wieder abgestreift, bleibt an
den Blütenblättern hängen, um zugrunde zu gehen, oder an der Narbe des
Griffels, um seinen Zweck zu erfüllen und die Eizellen zu befruchten.
Doch in jeder neuen Blüte kommt neuer Staub in den Pelz der Biene und
macht ihr das Fliegen schwer. Darum setzt sie sich auf ein Blatt und
kämmt und bürstet den gelben Puder von Rücken und Bauch und packt ihn
in das Haarkörbchen am Hinterbein, bis sie dicke falsche Waden hat wie
ein Hochtourist.

Ist dann das Kröpfchen voll von süßem Nektar, sind die gelben Höschen
so dick, daß nichts mehr hineingeht in das Körbchen, dann summt das
Bienlein in schwerem Fluge zum Stock zurück. Es wandert über die Waben
dahin, und wo eine junge Bienenlarve steckt, dort stopft die Arbeiterin
etwas von ihren Vorräten in die Zelle, Blütenstaub und etwas Nektar
wird der Brut als Nahrung angeboten.

Wenn dann die weißen Madenlarven erwachsen sind und sich verpuppen
wollen, dann decken die Bienen einen Wachsdeckel auf ihre Zelle; sie
machen das kleine Kämmerlein zu, damit die weiße Mumie ungestört ihrer
Auferstehung als fertige Biene entgegenschlummern kann. Wenn dann
zwanzig Tage seit der Ablage des Eies verflossen sind, dann regt sichs
unter dem Deckel und die junge Arbeiterin schlüpft aus. Noch ist sie
in ein weißes, weiches Morgenkleid gehüllt, aber das wird bald hart
und färbt sich dunkel, und dann fängt die junge Biene an, sich an
den Arbeiten am Stock zu beteiligen, als hätte sie schon monatelang
gelernt. Gleich weiß sie überall Bescheid, weiß wie Zellen gebaut, wie
Honig gesammelt, der Stock rein gehalten wird. Woher weiß sie das? Sie
hat ihre Kenntnisse geerbt von ihrer Mutter, der Königin, obgleich die
wieder ganz andre Instinkte besitzt als die Arbeiter, von Arbeiten
nichts versteht, nur Eier legt und sich von ihren Töchtern füttern und
pflegen läßt. Ein Wunder ist es, wer vermag es zu +erklären+, nicht nur
zu +beschreiben+?

Der Herbst kommt heran, der Bienenschwarm wird stiller von Tag zu Tag.
Nur wenige Brutwaben hängen im Stocke, die meisten sind angefüllt mit
goldklarem, süßem Honig, dem Wintervorrat. Kälter werden die Tage. Die
Bienen kleben das Flugloch unter der Efeuranke enger, sie kriechen
dicht zusammen und wärmen sich, verschlafen gehen sie, um etwas Honig
zu naschen, nur leises Knistern, kein Brummen und Summen tönt aus dem
Lindenstamme. So träumen und dämmern die Bienen den ganzen Winter
hindurch.

Doch wenn im März die Sonne warm ans Flugloch scheint, dann kommt
Bienlein auf Bienlein herausgekrochen ans warme Licht. Sie putzen sich
und streichen sich über die Fühler, wischen über die großen Netzaugen,
reiben die drei Punktaugen auf der Stirn und fliegen ein Stückchen
umher, um die Glieder zu üben und um einem monatelang unterdrückten
Geschäft obzuliegen. Und nach dem ersten, dem Reinigungsausflug,
beginnt die Arbeit dort, wo sie im Vorjahre liegen gelassen wurde. Die
Königin legt Eier, die Arbeiter reinigen den Stock, tragen die Leichen
der im Winter Verstorbenen aus dem Stocke und fliegen umher, zu sehen,
ob Blauveilchen schon das Wirtshaus offen hat und die Weide den Honig
in Strömen fließen läßt.

Dann geht es ans Ausbessern der alten und an das Bauen neuer Waben,
doch dann, wenn es wärmer wird, dann scheint es, als ob die Bienen
mitunter das rechte Maß für die Wabenzellen vergessen hätten. Mitten
zwischen den gleichmäßigen Sechsecken der normalen Kämmerchen bauen
sie große Zimmer ein und am Rande der Brutwabe lassen sie noch größere
Zellen entstehen. Und die Königin kommt und legt in die gewöhnlichen
Kämmerchen Eier und in die größeren dann auch.

Doch die bevorzugten Larven in den großen Kinderstuben müssen etwas
besonderes vorstellen, sie werden viel reichlicher und besser gefüttert
als ihre Schwestern in den engen Kammern. Und wirklich, ganz dicke,
rundköpfige Bienen mit breiten Hinterleibern schlüpfen aus den Kammern.
Sie arbeiten nicht, stehen immer im Wege, betteln fortwährend um
Honig, kurz, recht unnütze Geschöpfe sind es. Wenn die Sonne recht
warm scheint, dann spielen sie unter lautem Gebrumm vor dem Flugloch,
aber die erste trübe Wolke jagt sie wieder in den Stock. Bienenmänner,
Drohnen sind es.

Wieder vergehen einige Tage, da regt sich’s und bewegt sich’s in einer
der großen Zellen am Rande der Brutwabe. Ein heißer, sonniger Tag
ist’s, und die Bienen sind aufgeregt und stechlustig wie nie. Wie eine
Wolke tanzen sie vor dem Flugloche auf und nieder, immer mehr kommen
dazu, keine denkt an Arbeit, keine an Honigsammeln. Da kommt Apis aus
dem Stocke, tastet mit den Fühlern, brummt mit den Flügeln und fliegt
dann auf und davon. Und hinter ihr brummt und summt ihr Bienenvolk.
Die Bienen schwärmen; sie ziehen aus, denn im Stocke will eine junge
Königin herrschen.

Aus der dicken Zelle am Wabenrande, der Weiselwiege, schlüpft am
nächsten Tage eine schöne große, schlanke Biene. Kaum sind ihre Flügel
fest und die Ringe ihres Leibes verhärtet, da fliegt sie hinaus zum
Flugloch, schwingt sich hoch in weicher, warmer Luft, und hinter ihr
brummt und summt ein wildes Heer stürmischer Freier. Hoch oben im
Äther wird Hochzeit gehalten. Nach kurzem Liebestaumel stirbt der
Prinzgemahl, die junge Königin kehrt zurück zum Stock.

Zwar soll sie künftigen Generationen das Leben geben, doch ihr erstes
Werk ist Mord. Sie läuft von Weiselwiege zu Weiselwiege und tötet ihre
königlichen Geschwister, sich so die Herrschaft über alle Arbeiterinnen
sichernd. Und die Bienen setzen das Blutbad fort, das die Königin
begonnen. Sie stürzen sich auf die dicken Fresser, die unnützen
Schmarotzer, die Drohnen, stechen und beißen sie im Stocke oder vor dem
Flugloche, so daß sie todkrank zu Boden taumeln, eine leichte Beute für
Rotschwanz und Fliegenschnäpper.

Unnütz sind die Bienenmänner, sobald die Königin ihren Hochzeitsausflug
gemacht hat; nur einmal im Leben begattet sie sich, um dann Tausende
von Eiern zu legen, befruchtete in die Arbeiterzellen und Weiselwiegen,
unbefruchtete in die Drohnenkammern. Man hat beobachtet, daß sich die
unbefruchteten Eier trotz reichlicher Nahrung sehr langsam entwickeln,
es fehlt ihnen ja der männliche Teil Zeugungsmaterial, vierundzwanzig
Tage vergehen während der Entwicklung. Die Weiseleier brauchen dagegen
nur sechszehn Tage, während die Kümmerweibchen, die Arbeiterinnen, bei
ihrer geringen Nahrung zwanzig Tage nach Ablage des Eies ausschlüpfen.

Forscher haben genau nachgeprüft, welche Umstände die Königin
veranlassen, immer die richtige Art Eier in die Zellen zu legen,
welche Sinneseindrücke die Bienen zum Suchen von Honig, zum Pflegen
der Brut veranlassen; man hat die Nervenapparate der Bienen ins
feinste untersucht und ist beim Lösen alter Fragen auf immer noch neue
gestoßen. Der Mensch kann ja nicht über die Grenzen seiner Erkenntnis
hinaus, er ist schon stolz, wenn er sie um ein Kleines weiter geschoben
hat.




Hüttenjagd


Mit einem Sack voll Mais und Weizenspreu auf dem Rücken geht der alte
Förster hinaus in die Fasanerie, um die bunten Vögel aus Kleinasien
zu füttern, damit sie nicht in Nachbarreviere auswandern auf der
Suche nach Nahrung. Treff, der Hühnerhund, durfte nicht mit, um die
Fasanen nicht zu stören, sogar die Doppelflinte blieb zu Haus, weil
das Körnerfutter gerade schwer genug zu tragen war. Vornübergebeugt
unter der Last schreitet der alte Graubart durch den Mischwald, wo
die Bäume weitläufig stehen, um dem Unterholze Licht genug zu üppigem
Wachstum zukommen zu lassen. Nun nähert er sich der langgezogenen
Fichtendickung, dem Futterplatze. Da ertönt ein tiefer, rauher
Warnlaut, und eine Schar Krähen schwingt sich eiligst aus der dichten
Deckung, um unter lautem Gekrächz das Weite zu suchen. Sie haben sich
gütlich getan an dem Getreide, das die Fasanen übrig gelassen haben.
„Na warte“, knurrt der Förster, „euch will ich’s zeigen, daß der Mais
nicht für euch bestimmt ist. Hundert Fasanen durch den Winter füttern
und auch noch Hunderte fremder, ungeladener Gäste, das wird zu teuer.
Gleich morgen will ich mit dem Uhu einmal mein Glück versuchen und euch
schwarzem Gesindel das Handwerk legen.“

Noch vor Tagesanbruch zieht er denn auch wirklich hinaus mit Jockel,
dem Uhu. Langsam schreitet er vorwärts, um nicht warm zu werden in der
dicken Kleidung, wie sie für den langen Ansitz nötig ist. „Trüb und
neblig, dabei Südwestwind; sollte mich wundern, wenn ich heute keine
Geschäfte machen würde“, murmelt er. Die braungetigerte Dine umkreist
in weiten Sätzen ihren Herrn und freut sich, daß sie auch einmal mit
ins Revier genommen wird. Wenn sie wüßte, daß sie heute Stillsitzen
lernen soll, wenn’s knallt, und dann die unangenehm riechenden Krähen
artig herbeibringen muß, würde doch vielleicht ihr jugendlicher Übermut
bedeutend gedämpft werden. Jetzt macht der Herr schon Halt und
schließt die Türe zur Erdhütte auf. Dann nimmt er den Jockel aus seinem
Korbe und bindet die Leine, die an den dicken Fängen (Beinen) des Uhu
befestigt ist, an eine Sitzstange, die etwa zwanzig Schritt von der
Hütte für die große Eule errichtet ist. So, nun ist alles fertig, der
Förster geht in die Hütte und ruft auch den Hund herein, der auf einer
Schütte Stroh kuschen muß. Dann öffnet er das Schußloch, durch das man
stehend das Sitzholz des Uhus gerade noch sehen kann, und das hoch
genug ist, um einen Schuß steil nach oben zu gestatten. Auch die kleine
Klappe, die seitlich angebracht ist und auf eine Birke hinausgeht, wird
geöffnet, falls sie etwa klemmen oder nur unter lautem Kreischen sich
bewegen lassen sollte. Dann lädt der Förster sein Gewehr und stopft
sich eine Pfeife.

Bis jetzt hat der Uhu verdutzt am Boden gesessen, jetzt blickt er
eine Weile sein Sitzholz starr an und fliegt schließlich hinauf. Dann
schüttelt er sein Gefieder, plustert sich stark auf, schüttelt sich
noch einmal, knappt mit dem Schnabel, reißt die feurigen Augen auf und
gibt sich schließlich mit seiner Umgebung zufrieden. Nach einer Weile
sperrt er seinen Schnabel weit auf, drückt die Augen krampfhaft zu,
dreht und wendet den Kopf, als wenn ihm was im Halse stecken geblieben
wäre, würgt und würgt, bis schließlich sein Gewöll (ein Ballen
unverdaulicher Nahrungsüberreste, Haare von Kaninchen und Federn einer
Krähe) ausgeworfen wird. Dann ist er sichtlich erleichtert und blinzelt
in die eben aufgehende Sonne.

Auch der Förster steht am kleinen Guckloch in der Hüttentür und
betrachtet das Erscheinen des Tagesgestirns. Ein schmaler, rotgoldener
Streifen begrenzt die Wolkenwand, die den Horizont verhüllt. Langsam
wird er breiter, färbt sich purpurn und bedeckt den östlichen Himmel.
Der Wolkensaum beginnt kräftiger zu glühen und zu strahlen, und
pechschwarz mit goldigen Rändern erscheinen die Umrisse der Eichen
und Erlen gegen den Morgenhimmel. Jetzt blitzt es hell am Wolkenrande
auf, langsam erscheint die feurige Scheibe. Im Nu sind alle Farben
verändert, ein goldiger Schimmer liegt über dem Purpur der Wolken, und
in reinem Blau erstrahlt der Himmel. Höher und höher rückt der rote
Feuerball, blässer werden die Farben am Himmel, lebhafter die der Bäume
und Saaten. Jetzt steht die Sonne frei und leuchtend über dem Horizont,
und geblendet schließt der Förster seine Augen und wendet sich ab. Er
sieht nach dem Uhu hinaus, aber seine Augen sind überreizt, ein blauer
Sonnenball tanzt über dem Auf (Uhu). Eine Weile muß der Förster mit
geschlossenen Augen sitzen, um die lästige Sehstörung zu überwinden.

Da tönt ein tiefes, rauhes „Ga, ga“ in der Luft über der Hütte, zögernd
und ängstlich klingt es. Saatkrähen haben ihren Erbfeind erblickt und
kreisen hoch in der Luft, als wollten sie Mut fassen zum Angriff auf
die Eule. Immer mehr kommen dazu, dreißig mögen es schon sein, noch
immer aber trauen sie sich nicht in die Nähe. Da mit einem Schlage
fangen sie alle an zu schreien, krah, krah, zornig und angriffslustig,
und nun saust eine in wildem Schwunge dicht am Kopfe des Uhu vorüber.
Eine zweite und dritte macht es nach, und bald macht die ganze Schar
gleichzeitig einen Angriff. Vorsichtig hat der alte Grünrock nach
der Birke geguckt, aber Saatkrähen setzen sich selten, das weiß er.
Noch einmal winkt er dem Hunde gebieterisch Ruhe zu, dann fliegt seine
Doppelflinte an die Backe. Gerade im Schwenken ist der Krähenschwarm,
da kracht der Schuß, und bumms, hat auch das zweite Rohr gesprochen.
Zwei Krähen hat der erste Schuß zu Boden geworfen, und der andre hat
noch einer dritten das Leben gekostet. Geschwind ist wieder geladen,
und dann darf der Hund hinaus. Faß apporte, Dine! Gleich packt er die
eine, die noch mit den Flügeln schlägt, und bringt sie herein und schon
ist er wieder draußen, um eine zweite zu holen.

Stumm und hoch haben die Krähen gekreist, nachdem ihre Genossen
gefallen; der Doppelschuß hat sie erschreckt, aber woher er gekommen
ist, wissen sie nicht. Nun sehen sie den Hund ihre Freunde fassen,
und wütend über den nicht gefürchteten Gehilfen des Menschen stoßen
sie unter wildem Geschrei auf die verdutzte Dine. Darauf hatte der
Förster gerechnet. Wiederum knallen zwei Schüsse, doch nur eine Krähe
ist tödlich getroffen, die andre läßt beide Ständer (Beine) hängen und
fliegt und fliegt mit langsamen, matten Flügelschlägen der Fasanerie
zu. Dann schwebt sie im Bogen zur Erde nieder, schlägt auf und ist
tot. Die Schrote hatten sie weidwund getroffen. Der Förster zieht
ein grimmiges Gesicht. Daß die Krähe noch auf freiem Felde gefallen
ist, paßt ihm gar nicht, sogar ein Fehlschuß wäre ihm lieber gewesen.
Natürlich sammelt sich bald der Krähenschwarm um die gefallene
Genossin, und krächzend stoßen die Krähen nach der toten Freundin.
Wetternd muß sich schließlich der Förster bequemen, die „Schwarze“
herbeizuholen, sonst würde wahrscheinlich überhaupt keine wieder über
den Uhu kommen.

Und richtig, auch das hatte er vorausgesehen. Kaum hat er die Krähe
aufgenommen und blickt nach der Hütte zurück, da sitzt ein Vogel auf
der Birke. Er hat den Kopf nach vorn gebeugt und glotzt nach dem Uhu.
Die kräftigen Flügel lassen den Vogel oben ziemlich breit erscheinen;
wie ein Keil sitzt er auf dem dürren Wipfel. Daß ein Wanderfalke auf
der Birke sitzt, das wird dem vogelkundigen Graubart bald klar. Es
bleibt ihm nichts übrig, als das zu tun, was jeder Jäger in solchen
Lagen tut, nämlich, einen kernigen Ausdruck zwischen den Zähnen zu
murmeln und sich mit den unabänderlichen Tatsachen abzufinden.

Jahr für Jahr kommt nun der Falke in sein Revier, Jahr für Jahr
liegt unter der großen Eiche auf der Wiese ein geschlagener Vogel,
bald Rebhuhn, bald Fasan, Jahr für Jahr paßt der Förster auf den
prächtigen Räuber, immer ohne Erfolg. Und heute verscherzt sich er
alter Esel selber den kinderleichten Schuß, einiger lumpiger Krähen
willen, da soll doch gleich ... Lange hat der Förster Zeit zu seinen
Selbstgesprächen, wie angewachsen sitzt der Wanderfalke auf der Birke.
Jetzt rückt er zusammen, und jetzt schwingt er sich abwärts nach dem
Uhu, der zur dicken Kugel aufgeblasen seinen Angreifer erwartet. Dicht
über den Kopf der zusammenfahrenden Eule hinweg streicht der Falke,
dann eilt er mit hastig zuckenden Flügelschlägen davon, wird kleiner
und kleiner, um schließlich als Punkt am Horizont zu verschwinden.

Na, der ist fort, denkt der Jäger und geht mißmutig zur Hütte. Immer
starrt er nach jenem Punkte, wo der Wanderfalke verschwunden ist, immer
regt sich noch die Hoffnung, er könnte vielleicht wiederkommen. Da geht
es „krah, krah“, hell und zornig tönt der Schrei einer hassenden Krähe.
„Krähen mag ich nun nicht mehr, es muß schon etwas Besseres kommen“,
denkt der Förster, und ungehindert stoßen die Krähen auf den Uhu.
Schließlich wird es dem Jäger aber doch zu bunt. Es sind Rabenkrähen,
der Stimme nach, da ist es schade um jede verpaßte Gelegenheit, einer
die Räuberseele auszutreiben. Jetzt setzt sich gar eine auf einen
Maulwurfshaufen, so recht günstig in schönster Schußentfernung.
„Bumm“ raus ist der Schuß und -- fort die Krähe. Der Schuß war so
kinderleicht, Zielen erschien überflüssig, und deshalb ging der Schuß
in den Acker. Ein Glück, daß der Förster allein in der Hütte ist.
So wütend war er gewiß nie. Er ist sprachlos vor Zorn, und sinnend
überlegt er genau, ob ihm nicht eine alte Frau über den Weg gelaufen
sein könnte oder ob ihm jemand „viel Glück!“ nachgerufen hat. Denn
mit rechten Dingen geht doch so ein Mordspech nicht zu. Am liebsten
würde er heimgehen, einen tüchtigen Grog trinken und auf dem Sofa von
glücklicherer Jagd träumen. Aber der Wanderfalke läßt ihm keine Ruh,
der könnte doch vielleicht wiederkommen, und gerade zur rechten Zeit,
daß er ihm beim Hereinholen des Uhu zugucken würde. Nein, das soll
nicht vorkommen, lieber will er noch eine Stunde vergeblich sitzen.

Und gar so langweilig ist das nicht, wie es immer erscheinen mag, zumal
für einen Forstschutzbeamten. Was kann man nicht alles beobachten,
wenn man in einem guten Versteck sitzt, von dem niemand weiß, daß
es besetzt ist. Da schreitet der Windmüller auf der Landstraße, und
sein Dackel ist dabei. Sonst tun die beiden immer so harmlos, als
wenn sie nicht wüßten, was ein Hase oder ein Reh ist, heute springt
der Dackel von Steinbrücke zu Steinbrücke und prüft mit der Nase, ob
es sich lohnt, hindurchzukriechen. Jetzt springt sein Herr in den
Graben und steht ein Weilchen ruhig da, dann bückt er sich und hebt
etwas auf. Aha, denkt der Förster, ein Kaninchen. -- Der Dackel ist
mit Passion eingefahren in den Durchschlupf, sein Herr hat auf der
andern Seite eiligst den Ausweg mit seinen Beinen versperrt, und dann
hat der Hund das Wild erfaßt und zu des Müllers Füßen totgebissen. --
Jetzt durchsucht der Müller seine Taschen. „Der sucht ein Sackband“,
denkt der Förster, und hat recht. Der Müller bindet das Band an die
Hinterläufe des Kaninchens und schnürt sich dann den Nager um den Leib.
„Na warte, Krause, ich treffe dich schon einmal, wenn du einen dicken
Magen hast, vielleicht ist es dann ein Hase“, knurrt der Förster und
stopft sich eine neue Pfeife.

Lange Zeit ist nichts zu sehen, und das Schmauchen der Pfeife und
das Pappen der Lippen das einzige Geräusch. Da tönt es wieder „Arr,
arr, kräh, kräh“, und ein paar Krähen stoßen wie rasend auf den Uhu.
Der Stimme nach könnten es Rabenkrähen sein, die Saatkrähen haben
tiefere Laute, aber die graue Weste, die die Vögel tragen, verrät die
Nebelkrähen. Die bäumen oft auf, das weiß der Förster, und deshalb
spart er zunächst seine Patrone. Nicht lange dauert es, dann läßt die
Wut nach, und mit den Flügeln balancierend sitzt eine auf der Birke.
Eine zweite, dann dritte macht es nach, und bald schaukeln alle fünf
auf den schwanken Zweigen. Sorgsam zielt der Förster, diesmal muß er
die böse Schlappe wieder auswetzen, zwei müssen mindestens fallen
auf den ersten Schuß, und vielleicht bringt auch der zweite noch
einen Treffer. Bumms, kracht der Schuß, wirres Flattern und Stürzen
folgt, und ehe es möglich war, noch einmal Dampf zu machen, sind
die Überlebenden aus dem Schußfeld entschwunden. Zwei Nebelkrähen
liegen tot am Boden, und da läuft wahrhaftig noch eine dritte mit
zerschossenem Flügel; die darf Dine holen.

Aber nun ist wieder Ruhe. Nirgends eine Krähe oder ein Raubvogel zu
sehen. Gedankenlos raucht der Förster seine Pfeife und blickt dem
Rauche nach. Dann tritt er wieder einmal von einem Beine auf das
andre und macht einige trippelnde Schritte am Orte, um warme Füße zu
bekommen. Dann guckt und starrt er wieder in die Ferne. Plötzlich fährt
er vom Schußloch zurück und greift nach seinem Gewehr. Aber er kann
sich bücken und drehen und durch alle Luken spähen, einen Raubvogel
sieht er nirgends. Wieder tritt er ans Schußloch, und wieder hat er die
Empfindung, als wäre oben grade noch sichtbar ein Vogel vorübergezogen.
Und nun merkt er auch, daß es eine Mücke ist, die ihren Winterschlaf
in der Hütte des ungewohnten Lichtes wegen unterbrochen hat und am
Schußloche auf und niedertanzt und hin und her. Wie oft hat sich der
Förster schon täuschen lassen, auch früher schon, als seine Augen auch
für die Nähe gut waren. Aber klug geworden ist er nicht, immer wieder
fällt er auf den gleichen Scherz hinein, mag nun eine Fliege an seinen
Augen vorüberfliegen, oder eine Spinne sich an einem Faden schaukeln.

Jetzt merkt der Förster auch, daß er Hunger hat, mit Pfeifenrauch
läßt sich sein Magen nicht besänftigen. Da packt er denn seine Sachen
zusammen. Er steckt die Krähen bis auf eine in den Rucksack, um sie an
der Fasanenfütterung als abschreckendes Beispiel aufzuhängen, holt den
Uhu herein und pflockt ihn in der Hütte an, nimmt sein Gewehr und geht.

Am Nachmittage will er noch einmal sein Heil versuchen, Krähen hat er
zwar genug, und die stoßen auch nachmittags schlecht, aber Raubvögel
will er schießen, vielleicht kommt der Wanderfalke wieder.

       *       *       *       *       *

„Ach was, lumpige Krähen, einen Wanderfalken will ich schießen, Frau!
Ich bin ja warm angezogen, und Jockel friert auch nicht. Rasch noch
eine Tasse Kaffee!“

Wieder wandert der Förster an der Fasanerie entlang über die Wiese
nach der Hütte. Der Himmel hat sich umzogen, und der Südwest weht kalt
und feucht, lange wird es nicht mehr dauern, dann setzt es Schnee. Der
Hüttenjäger ist noch nicht ganz bis zur Krähenhütte gekommen, da tanzen
schon einige weiße Flocken zur Erde nieder, wirbeln wieder hoch und
senken sich, bis sie schließlich als nasse Tropfen am Grase hängen. So
ein Schneegestöber stört nicht sehr bei der Hüttenjagd. Auch der alte
Grünrock läßt sich durch die fallenden Schneesterne nicht beirren, er
holt den Uhu aus der Hütte und setzt ihn auf die Jule (Sitzholz für den
Uhu vor der Krähenhütte). Dann macht er sich zum warmen Empfang der
gefiederten Räuber fertig.

Zwei Uhr schlägt es vom Dorfe her. Es ist nichts zu sehen als fallende
Flocken, nichts zu hören als das leise Tropfen von Tauwasser, das
vom Hüttendache ins Stroh hinabfällt. Dann wieder tönt das Knallen
einer Peitsche von der Landstraße herüber, der Pfiff des Dampfwagens
unterbricht einmal die Stille, das ist alles.

Aber eintönig ist das Warten für den Förster nicht, Langweile kennt er
überhaupt nicht. Jetzt kann er ja ganz ungestört die wundervollsten
Jagden in seiner Phantasie mitmachen, Jagden, auf denen er keinen
Fehlschuß tut, wo seine Hunde den Neid aller Mitjäger erwecken und wo
der dicke Bäckermeister Schulze durch ganze Serien von Fehlschüssen die
Spottlust der Jäger herausfordert. -- Oder er geht pürschen im Geiste.
Am Bachufer schreitet er hin und schaut bald da, bald dort hinaus aus
den Büschen auf die Wiese und den Klee nach dem roten Rehbock. Da sieht
er ihn stehen mit den hohen dicken Stangen, er sieht ihre weißen Enden
blitzen und den Dampf vor dem feuchten Geäse des Bockes. Dann malt er
sich die Wirkung seines abgezirkelten Blattschusses aus, wie der Bock
aufspringt in einer jähen Flucht und dann verendend zusammenbricht.

Drei Uhr schlägt es vom Dorfe herüber. Das Schneewetter hat
nachgelassen, die Bäume der Landstraße werden durch die spärlicher
fallenden Flocken hindurch sichtbar. Wie ein riesiges, weißgeflecktes
Fell liegt die Erde da, der Himmel spannt sich grau und grießelig
darüber aus. Jockel schüttelt sich die Flocken aus den Federn und tritt
ein wenig auf dem Sitzholze hin und her, um dann wieder das eine Auge
halb zu schließen und zu duseln und träumen, wie sein Herr.

Die Stimmen von Kleinvögeln ertönen aus der Luft, und der Förster
sieht nach der Birke hinaus. Ein Flug Feldsperlinge läßt sich eben
nieder. Hell und silbern klingt ihr Schilpen, und terrerrerr zetern sie
dazwischen. Prachtvoll rotbraun glänzt ihr Scheitel, und schmuck sehen
die weißen, schwarz gesäumten Backenflecken aus, weiß strahlt auch der
Halsring. Eilig sucht der Förster eine Patrone mit feinen Schroten.
Die Frettchen haben ihre Semmelmilch und Tag für Tag nichts als
Semmelmilch satt, denen kann einmal etwas zartes Vogelfleisch nichts
schaden. Wie ein Spreuhaufen stieben die kleinen Kerle auseinander
beim Knall des Schusses, wie fallende Blätter stürzen viele aus der
dichtgedrängten Schar zu Boden. Scharf guckt der Förster nach dem Fuß
der Birke, immer und immer wieder nimmt er jeden der gefallenen Spatzen
in Augenschein. Endlich hat er sich überzeugt, daß keiner mehr lebt,
daß kein angeschossener sich aus dem Staube machen kann, um elend und
qualvoll umzukommen. Dann lacht der Förster auf. Einen Wanderfalken
wollte er schießen, und nun ist er befriedigt, wenn er sechs oder
sieben armselige Spatzen mit einem Schusse erlegt.

Wieder guckt er zum Schußloch hinaus. Halb vier muß es schon sein, und
nicht ein einziger Raubvogel hat sich sehen lassen. Zwar kann jeder Tag
ein Jagdtag sein, ein Fangtag ist er deshalb noch lange nicht, sagt
eine alte Jägerweisheit. „Ich glaube, das meiste habe ich,“ knurrt der
Alte. Da huscht ihm ein Schatten über die Augen. Mücke oder Raubvogel?
Er weiß es nicht und guckt zunächst nach der Mücke. Doch nein, diesmal
war’s wirklich ein Räuber, mit elegantem Schwunge stößt er auf den
gehaßten Uhu. Doch der Jäger läßt sein Gewehr in Ruhe. Schon an der
Art des Angriffs und am gellenden Kampfrufe „ki ki ki“ hat er den
Turmfalken erkannt. Er hat seine Freude an dem munteren Falken. Ein
Männchen ist es, denn Blaugrau ziert Kopf und Schwanz und Bürzel. Mit
angelegten Flügeln saust es in jähem Schwunge über die Eule hinweg,
wendet kurz und im Nu stößt es wieder. Dann schwenkt es ab, rüttelt,
als wenn es ganz genau zielen wollte und neckt den Feind aufs neue.
Vielemale erneuert es seinen Angriff, aber schließlich verliert es doch
seinen Reiz für den Falken, der Uhu kennt den Spaß von früher und tut
nicht, als wenn ihm das Necken lästig wäre. Fälkchen schwenkt deshalb
ab und setzt sich auf die Birke, um von oben aus die Welt zu besehen.
Zunächst gilt seine Aufmerksamkeit noch dem Uhu, dann aber beginnt es,
in den Federn zu nesteln und sich zu putzen. Auf einmal hört es mit
seiner Tätigkeit auf, dreht das runde Köpfchen nach unten und guckt
mit den dunkelbraunen Augen nach den Sperlingen. Dann schwenkt es um
die Baumzweige herum und greift mit seinen weit ausgestreckten gelben
Fängen einen der kleinen Spatzen, dann braucht es wieder die braunen
Flügel und eilt davon mit seiner Beute, um sie in Ruhe zu verzehren.

Freudig und neidlos hat der Förster dem kleinen Diebe zugesehen, das
seltene Schauspiel, einen Räuber so nahe und so ungestört beobachten
zu können, hat ihn gar nicht daran denken lassen, daß seine Frettchen
nun mit einem Sperling weniger sich begnügen müssen. Für ihn hätte es
des gesetzlichen Schutzes nicht bedurft, die Turmfalken waren seine
Lieblinge von je, und drei Pärchen durften unter seiner Aufsicht in
diesem Sommer ihre zahlreichen Jungen auffüttern.

Mit dem Stoßen des Turmfalken scheint überhaupt das Erscheinen von
Raubvögeln begonnen zu haben. Über der Fasanerie kreist ein Räuber.
Fast ohne Flügelschlag zieht er seine Kreise, schwebt hin und her an
dem Wäldchen und blockt schließlich auf der Spitze einer Eiche. „Na ja,
sitze nur, bis es finster ist, Lump, feiger!“ schimpft der Förster,
aber er tut dem Vogel unrecht. „Hiäh, hiäh“ pfeift er und dann kommt
er. Bald kräftig mit den Flügeln schlagend, bald schwimmend in der
Luft nähert sich der Räuber, dann -- schwenkt er ab und kehrt nach dem
Walde zurück. Aber auf dem Wege dahin überlegt er sich’s wieder anders
und kommt wieder näher. So geht es hin und her, hinauf und herunter,
gerade als sollte der Jäger zum Narren gehalten werden. Dann fängt der
Mäusebussard an zu kreisen, schraubt sich hoch und höher und fliegt
schließlich aufs freie Feld, um Mäuse zu fangen.

Zwar ist der Bussard vom Gesetz als nützlicher Vogel geschont, aber
der Förster hat einen Groll auf seine Sippe, weil einer ihm mal einen
eben geschossenen Fasan vor der Nase weggenommen hatte. Das war in dem
mäusearmen Jahre 18.. gewesen, und der arme Mausfänger hatte gewiß nur
in der höchsten Not nach dem bunten Vogel gegriffen, denn Hunger tut
weh. Er brachte damals sein Leben in Sicherheit. Ehe der Förster sich
von seiner Verblüffung erholt hatte, war er längst außer Schußweite
gewesen. Nun aber muß jeder Bussard sterben, der dem Grünrock nahe
genug kommt; denn es könnte doch vielleicht der Fasanendieb sein. Auch
der, der sich jetzt nicht an den Uhu herantraut, hat gewiß schon einmal
Feuer bekommen, sonst würde er wohl die gehaßte Eule nicht ungeneckt
lassen.

Aufmerksam guckt der Förster bald hier, bald da hinaus, um ja keinen
nahenden Raubvogel zu verpassen. Wenn auch gewöhnlich Jockel, der
Uhu, durch sonderbare Bücklinge und Grimassen das Nahen eines Räubers
angezeigt, manchmal sitzt er auch stockstill, wenn einer seiner
Quälgeister vorüberfliegt. Jetzt blickt er scharf nach einem Punkte des
Horizonts, wackelt eigenartig mit dem Kopfe und zieht die Flügelbuge
hoch. Kein Zweifel, seine scharfen Augen haben einen Feind entdeckt.
Nun sieht ihn der Jäger auch. Er hat erst an einer falschen Stelle
gesucht, sonst hätten seine weitsichtigen Augen den schwarzen Punkt am
Himmel nicht übersehen. Langsam wird der Vogel größer, und bald ist er
nahe genug, so daß der Förster mit dem Glase den Vogel ansprechen kann.
Die Flügel sind spitz, also ist es ein Falke. Der Stoß (Schwanz) ist
kurz. Der Vogel fliegt sehr rasch und fast in gerader Linie, er scheint
auch bedeutend größer zu sein als ein Turmfalke. Des Jägers Herz klopft
rascher und das Gefühl, das er als Knabe hatte, als er heimlich seinen
ersten Sperling schoß, beschleicht ihn, denn nun ist kein Zweifel mehr,
der Wanderfalke, das Hochwild des Hüttenjägers, zieht heran.

Wird er auf den Uhu stoßen, wird er gut genug kommen, daß der Schuß
aus dem engen Loch auf den vorbeisausenden Räuber auch nicht fehlgeht?
Die Spannung, die Erwartung und Ungewißheit, dazu der Anblick des
nahenden Vogels und des schnabelknappenden Uhus, das alles wirkt
mächtig auf die Nerven. Der höchste Genuß des Weidmanns ist dieser
Reiz, das Jagdfieber vor dem Schusse. Mag mancher auch noch so oft
diese Aufregung verwünscht haben, wenn die Büchse wankte in seiner Hand
und das Ziel zu verschwimmen begann, er muß doch zugeben, daß ein Schuß
ohne Spannung und Erwartung viel reizloser ist, wie der Schuß auf eine
Scheibe beinahe.

Hundert Schritt etwa mag der Wanderfalke noch entfernt sein, noch
immer kümmert er sich nicht um den Uhu, geradeswegs auf die Fasanerie
steuert er zu. Doch jetzt biegt er ab und saust schnurgerade auf den
schnabelknappenden Jockel zu. Dicht über den Kopf der Eule stößt er
hinweg und biegt steil nach oben ab. Dann wendet er, um seinen Angriff
zu erneuern. Wieder schwingt er sich nach oben und verschwindet schon
beinahe am Rande des Schußlochs, da dröhnt der Schuß. -- Da liegt er
nun, der stolze Räuber der Lüfte, der die Taube einholte im rasenden
Fluge und der die streichende Ente fing, noch ehe sie sich ins
schützende Schilf werfen konnte. Krampfhaft schließt er die mächtigen
Fänge mit den nadelspitzen Krallen, einmal noch schlägt er mit den
blaugrauen Schwingen, dann sinkt sein Kopf zurück, der Beherrscher der
Lüfte ist verendet.

Stolz und mit freudestrahlenden Augen tritt der glückliche Schütze an
seine Beute heran. Tastend fährt seine Hand über den dunkeln Scheitel
des prachtvoll ausgefärbten Wanderfalken. Freudig betrachtet er den
schwarzen Bartstreifen unter dem dunkelbraunen Auge, das Weiß auf
Wangen, Kehle und Hals, die Brust, die auf rostfarbenem Grunde schwarze
Querbänder zeigt, die zartgrauen, dunkelgewellten „Hosen“. Prüfend
versucht er die Schärfe der Krallen an den gelben Fängen, dann breitet
er die Schwingen aus, einen Meter etwa klaftern sie.

Bei einem berühmten Meister will der Förster seine Trophäe präparieren
lassen, in möglichst lebendiger und naturgetreuer Stellung. Auf dem
vorteilhaftesten Platze in der guten Stube soll sie prangen, für
gewöhnlich verhüllt von einem Schutzmantel aus Glaspapier. Nur wenn
Ehrengäste kommen, soll der Wanderfalke frei in seiner ganzen Schönheit
an der Wand prangen. Dann können fünfzig und mehr Jahre vergehen, ehe
Staub und Licht das Präparat unscheinbar gemacht haben.

Kühn stößt unterdessen ein Turmfälkchen auf den Uhu. Zornig ertönt sein
Schrei, und heftig sind seine Angriffe. Voll Wohlgefallen betrachtet
der Förster das Flugbild, die Gewandtheit und Lebendigkeit des kleinen
Räubers. Dabei muß er an den Wanderfalken denken, der noch mutiger,
noch gewandter und kühner war. -- Und dabei kommt ein ungeahntes
Gefühl in seine Brust. Fast ist es ihm leid, daß er das Ziel seiner
jahrelangen Sehnsucht erreicht hat. Gewiß wird er mit Freude auf seinen
Wanderfalken blicken jederzeit, aber immer wird er den leisen Vorwurf
in sich spüren, daß er doch die ganze Schönheit dieses Vogels beinahe
völlig zerstört hat. Denn was bedeutet die armselige Trophäe an der
Wand gegen das Schauspiel, das ein Wanderfalke im Leben bietet. Wie
kann der Verlust von einigen Rebhühnern oder Tauben überhaupt in Frage
kommen, wenn man das herrliche Schauspiel eines jagenden Falken damit
erkauft.

Die Freude an der Hüttenjagd ist dem Graubart mit einem Male verleidet.
Lange wird es zwar nicht dauern, dann sitzt er doch wieder draußen mit
dem Uhu, um Raubvögel zu erlegen, aber er nimmt sich fest vor, seltene
Vögel zu schonen. Dann packt er den Uhu in seinen Korb, nimmt sein
Gewehr und seine Beute und wandert heimwärts.




Vom Aal


Oktober ist es. Warm scheint noch die Sonne am Tage, den letzten Äpfeln
rote Bäckchen zu malen. Kalt sind die Morgen, daß das Laub zittert und
locker wird am Gezweig und rote und gelbe Sterbegewänder anlegt. Das
vergilbende Schilf am Teiche rauscht und lispelt. Aber aus dem Teiche
plätschern ihm die Wellen nicht Antwort. Trüb und schlammig steht noch
ein wenig Wasser an der tiefsten Stelle, gurgelnd drängt sich ein
schlammig trübes Bächlein unter dem Schützen hindurch. Der Teich ist
abgelassen zum Fischen.

Mit dicken runden Rücken furchen die Karpfen die Lache, Hechte
plätschern, und Barsche arbeiten heftig mit den Kiemen, um etwas von
dem spärlichen Sauerstoff der Schlammflut für sich zu haben. Am Abend
flackern mächtige Holzfeuer auf und beleuchten die zappelnden Fische,
einige Männer stehen dabei und wachen. Sie schließen bald den Schützen,
um das Wasser wieder anzustauen, damit die Fische nicht ganz trocken
liegen, bald lassen sie wieder etwas ab, damit am Morgen das Wasser
nicht mehr zu tief ist. Vor allem aber geben sie Obacht, daß nicht
Diebe hier leichte Ernte halten.

Endlich brennen die Feuer bleicher, der Himmel rötet sich, der Fangtag
bricht an. Große Fässer mit frischem Wasser werden bereit gestellt,
und auf schlittenartigen Fahrzeugen ziehen Pferde Wasserbütten über
den knirschenden Sand zum Teiche. Dann kommen Männer mit hohen
Wasserstiefeln und Lederschürzen. Sonderbare Netze mit zwei Handgriffen
und Weidenkörbe tragen sie. Dann waten sie hinein in den gurgelnden
und schmatzenden Schlamm, fangen die Fische und legen sie in die
Körbe. Wohl zucken und schnellen die schuppigen Karpfen, wohl springen
die glatten Hechte hin und wieder aus dem Korbe. Aber immer wieder
werden sie eingefangen und schließlich in die Butten geschüttet und
fortgefahren. Am Forsthause werden sie wieder ausgeladen, gezählt und
in die Heller geworfen, in deren klaren, schlammfreien Fluten sie
einige Zeit bleiben, bis sie den Schlammgeruch verloren haben und
wirklich schmackhaft geworden sind.

Weniger und weniger wird das Zappeln und Springen im Teiche. Die
Karpfen sind schließlich eingefangen, noch einige Hechte werden aus
dem Schlamm gezogen, dann ist das eigentliche Fischen beendet. Die
Nachfischerei beginnt. Alles, was nun gefangen wird, ist Eigentum der
Arbeiter, die beim Fischen geholfen haben. Meist sind es Barsche, die
noch im Wasser zappeln, aber auch kleine Schleien und Hechte werden
gefunden, denn jetzt wird noch gründlicher gesucht als vorher. Ein
wahres Wunder muß man es fast nennen, wenn ein Krebs oder ein noch
genießbares Fischchen übersehen wird.

Aber einer hat es doch verstanden, sich zu verbergen. Wohl eine
Spanne tief hat er sich in den Schlamm eingewühlt mit seinem langen,
schlangenähnlichen Körper, kein Wunder, daß der +Aal+ nicht aufgefunden
wird. Ganz ruhig liegt er da und regt sich nicht. Erst am Abend,
wenn alles ruhig ist, dann schlängelt er sich hervor und wühlt sich
durch den Schlamm, der tiefsten Stelle zu. Unruhig durchfurcht er
das Wasser, das von den Leichen der abgestorbenen und zertretenen
Kleinfische verdorben ist und sucht nach einem Ausweg. Schließlich
findet er den Abfluß und untersucht gewissenhaft die Weite des Gitters
an allen Stellen. Schon ist seine spitze Schnauze beinahe wund, da
endlich findet er eine Stelle, wo die spülenden Wasser einen kleinen
Stein losgearbeitet haben. Weit ist die Öffnung nicht, ein starker
Männerdaumen würde gerade hindurchgehen, aber ein Aal hat eine schlanke
Figur, und so zwingt und drängt er seinen schwärzlichen Körper durch
die Öffnung und ist frei.

Das frische Wasser des Abzugsgrabens umspült seine Kiemen und
frischt seine Lebenslust auf, und munter schlängelnd wandert der Aal
bachabwärts, bis aufs neue ein Eisengitter ihm den Weg versperrt. Doch
er kennt nun schon die Weise, wie man um eiserne Rechen herumkommt, er
benutzt die Fahrt der Wasserratte und badet bald seinen schlanken Leib
in den weiten Fluten eines andern Teichs. Weicher, schwarzer Schlamm
bildet den Boden, Erlen und Pappeln stehen am Ufer und bilden mit ihrem
Wurzelwerke dunkle Verstecke, Schnecken und Würmer sind auch zur Genüge
da, deshalb gefällt es dem Aale hier und er bleibt da.

Allabendlich beginnt er seinen Jagdzug und wandert an den Ufern
entlang, um Genießbares zu finden, Bekanntschaften mit andern Fischen
zu schließen und ein bißchen Unterhaltung zu suchen. Einige Barsche
findet er wieder, die gleich ihm einen Ausweg aus dem abgelassenen
Teiche gefunden haben, einige Hechte, die etwas kleiner sind als er
und ihm deshalb nichts tun können. Aber die meisten Teichbewohner
sind doch Karpfen, fette, träge Tiere, die keinen Verkehr mit ihm
mögen, weil sie zu stolz oder zu dumm sind. Die neue Umgebung, die
neuen Bekanntschaften lassen den Aal ganz vergessen, wie rasch die
Tage vergehen, und nur am Nachlassen des Hungers und großer Müdigkeit
und Schläfrigkeit merkt er, daß es kalt, daß es Winter geworden ist.
Tag für Tag liegt er nun im Schlamme. Zu fressen gibt es nichts, und
er mag auch nichts haben, er spürt keinen Hunger, er schläft und
schläft. Endlich wird er wach und spürt, daß er jetzt einen Wurm nicht
verschmähen würde oder eine Mückenlarve.

Gleich macht er am Abend einen kleinen Rundgang. Aber auf dem
Schlammgrund findet er nichts und wendet sich deshalb dem schilfigen
Ufer zu. Da kommt mit wilder Hast ein Fisch auf ihn losgeschwommen,
stößt ihn mit der Schnauze und beißt gar nach seiner Schwanzflosse, so
daß er sich eiligst davonschlängelt. Als seinen Freund, den Hecht, muß
der Aal den ungeschliffenen Patron erkennen. Betrübt gleitet er durchs
Wasser, den nächsten Barsch hält er an und fragt, was in den Hecht
gefahren wäre. Der Gefragte zieht ein höhnisches Maul. „Das wißt Ihr
nicht, die Hechte laichen doch jetzt, und das Männchen verjagt jeden,
der in seine Nähe kommt!“ Aber Fortpflanzungsgeschäft, Eifersucht und
was der Barsch noch alles nennt, das sind neue Ausdrücke für den Aal,
er weiß nicht einmal, ob er Männchen oder Weibchen ist. Nicht die
mindeste Lust hat er, Eier zu legen oder Männchen zu spielen, und er
macht sich über das sonderbare Tun und Treiben lustig. Aber innerlich
fühlt er sich doch unglücklich, daß er nicht einmal weiß, ob er zum
Eierlegen oder Eierbefruchten geboren ist. Er fängt an zu grübeln und
zu denken, ja, er wird ganz tiefsinnig dabei. Aber für seinen Leib zu
sorgen vergißt er auch nicht, den ganzen Sommer über faßt er zu und
schluckt, wenn er etwas Genießbares sieht. Aber je länger und feister
er wird, desto unruhiger wird er. Was es ist, weiß er nicht, aber eine
unwiderstehliche Macht juckt in seinem Körper und zuckt in jeder Faser.
Unruhig schlängelt er sich in seinem Teiche umher, aber er findet
keine Ruhe. Und eines Tages faßt er den Entschluß, auszuwandern.

Wo das Wasser aus dem Teiche fließt, versucht er, sich durch den
Eisenrechen zu zwängen. Aber er ist viel zu dick dazu. Auch ist
nirgends eine Lücke, nirgends ein Ausweg. Zwei Tage sucht der Aal
vergeblich. Aber am dritten wird er kühn, wagt sich hinaus aus den
heimischen Fluten und schlängelt sich durchs nasse Gras in den
Abzugsgraben. Eilig geht es weiter bachabwärts. Da teilt sich das
Wasser, ein schmales Bächlein springt über ein Wehr und eilt dann
weiter talwärts, die größere Wassermasse aber stürzt sich tosend über
ein großes, stampfendes Wasserrad zu Tale. Der Aal vertraut sich dem
schmalen Wässerchen an, kommt unverletzt über das Wehr und eilt weiter.
Da kommt ein zweiter Wasserlauf und vereinigt sich mit dem Bache, und
siehe da, auch ein Artgenosse des Aals findet sich, der ebenfalls von
innerer Unruhe erfaßt mit dem Wasser reist. Ein Fluß nimmt den Bach
auf und führt Wasser und Aale dem Meere zu. Immer neue Artgenossen
finden sich, alle wandern mit dem Wasserstrome. Neue, unbekannte
Fische schwimmen an ihnen vorüber, Scharen von Weißfischen am Tage,
einige Neunaugen des Nachts. Aber die Aale haben keine Zeit, mit ihnen
Bekanntschaft zu schließen, es treibt sie unwiderstehlich flußabwärts.

Ein kleines, stinkendes Bächlein wälzt bunte, farbige Fabrikabwässer
dem Flusse zu. Unaufhaltsam schwimmen die Aale hindurch. Aber wehe,
der eine, der sich aus dem abgelassenen Teiche gerettet hatte, findet
sich nicht rasch genug heraus aus den giftigen Fluten. Schon ist er
am Ersticken, da umspülen ihn frische Wasser, die ein Wiesenbach dem
Flusse zugeführt hat. Erschöpft macht er Halt. Da sieht er einen großen
Raubfisch, der gleich ihm in dem reinen Wasser sich erholt. Ein Lachs
ist es. Es treibt ihn auch zum Wandern, aber er muß stromaufwärts. Zum
zweitenmal macht er schon den Weg. Im kalten Winter des vorigen Jahres
hat er schon gelaicht im seichten sandigen Flußoberlauf, und jetzt ist
er wieder auf der Wanderung dahin. Er weiß auch zu sagen, daß alle
wandernden Aale Weibchen sind. Am Meeresufer warten die Aalmännchen auf
ihre Schönen, der Lachs hat sie gesehen und soll ihre Grüße bringen.

Und er hat recht gesprochen. Noch einige Tage dauert die angestrengte
Wanderung. Schon vermag unser Aal nicht mehr zu sagen, wie breit der
Strom ist, in dem er wandert. Da fängt das Wasser an, fremdartig zu
schmecken. Langsam gewöhnt sich der weitgereiste Fisch an das neue
Wasser, dann aber wandert er kühn hinein in die salzige Flut. Und siehe
da, er kann sie ohne Schaden ertragen.

Zwei kleine Aale haben sich zu ihm gesellt. Sie umspielen ihn und
schmiegen sich an ihn; Männchen sind es, die um die Gunst des Weibchens
werben. Und das hat gegen die Annäherung nichts einzuwenden. Tagelang
wandern die drei vereint über den Boden der Nordsee dahin. Immer
dicker und rundlicher wird der Leib des Weibchens. Der Laich beginnt
zu reifen. Aber noch immer finden die Fische nicht die geeignete
Stelle zum Ablegen der Eier, noch immer ist ihnen das Wasser zu flach.
Endlich haben sie gefunden, was sie suchen. Eine Wassermasse von mehr
als tausend Meter Höhe lastet auf ihnen, weit entfernt sind sie vom
heimischen Gestade. Da legt das Aalweibchen seine Eier ab, und die
Männchen schwimmen darüber hin und befruchten sie.

Langsam beginnt sich Leben zu zeigen in den Eiern, die dort am
Meeresgrunde liegen. Schließlich schlüpfen die Jungen aus. Aber was
für sonderbare Tiere sind das, sind es wirklich junge Aale, die aus
den Eiern kommen? Glashell sind sie und schmal wie ein Band. Sie leben
auch nicht wie ihre Eltern. Sie treiben sich schwimmend hoch über dem
Boden umher und vermeiden es, im Schlamme zu wühlen, sie führen ein
pelagisches Leben. Bei der guten Ernährung im Ozean wachsen sie rasch
heran, bald haben sie die Länge eines Fingers erreicht. Da geht auf
einmal eine sonderbare Veränderung mit ihnen vor. Sie werden wieder
kleiner, sie werden kürzer und bekommen eine runde Gestalt. Noch
sind sie glashell, aber allmählich beginnt ihre Haut sich dunkler zu
färben. Sie wandern den Küsten zu, und die Weibchen fangen an, in den
Flußläufen aufwärts zu steigen. Es sind jetzt richtige kleine Aale
geworden. Ihr Leib ist dünn und rund wie eine Stricknadel, ihre Haut
schwärzlich. Aus den Flüssen wandern sie in die Bäche, aus den Bächen
in die Teiche. Schließlich leben sie, wie ihre Mütter lebten, bis sie
ziemlich geschlechtsreif sind, um dann wieder dem Meere zuzuwandern.




Haselmaus


Dick aufgeplustert sitzt Goldschnabel, der kohlschwarze Amselhahn mit
den goldigen Ringen um die braunen Augen auf dem Ebereschenbaum und
verdaut. Er hat die Beine ins Bauchgefieder gesteckt, denn der November
läßt sich schon recht kalt an. Na, aber solange noch korallenrote
Beeren auf den Bäumen hängen und es leicht ist, eine dicke Fettschicht
um den Körper zu erhalten, da hat’s keine Not. Und obendrein ist ja
der Boden noch offen, und die Würmer sind noch nicht so tief unter der
Erde, da gibt’s auch noch Fleischkost.

So weit ist eben Goldschnabel mit seinen Gedanken gekommen, da hat er
auch schon Appetit auf Wurm. Faul schlägt er die Flügel und fliegt
durch’s Unterholz. Dort, wo der Wind das dürre Laub von Eiche und
Linde, von Birke und Ahorn unter den Haselbüschen zusammengefegt
hat, dort weiß der Amselhahn den Tisch gedeckt. Er setzt sich aufs
raschelnde Laub, hüpft rechts und links, wirft mit wilder Hast die
dürren Blätter auseinander, trippelt einige Schrittchen vor, hält
den Kopf schief und lauscht, fährt dann zu und ruckt und zerrt den
erschreckten Wurm aus der Erde, schüttelt und stößt ihn auf den Boden
und schluckt ihn dann hinter. Und weiter sucht er schon nach einem
andern Bissen. Er räumt das Laub vom Wurzelstock des Haselstrauchs und
schluckt, was er findet.

Und wie er so die Blätter umherwirft, da kommt er auf eine Kugel,
die eingefügt ist zwischen die Haselwurzeln und fest und glatt aus
Eichenblättern gefertigt. Goldschnabel guckt mit dem rechten Auge,
dann mit dem linken, springt einen Satz zurück und dann wieder vor.
Dann rupft er an den Blättern, denn vielleicht ist etwas zu essen da
versteckt. Und wie er so reißt, da tönt ein feines, hohes Pfeifen aus
der Blattkugel; als wenn ein Goldhähnchen da mitten drin säße, so
klingt’s. Erschrocken ist die Amsel zurückgeprallt, aber die Neugier
treibt sie wieder vor. Lange lauscht sie, dann rupft sie wieder, und
wieder pfeift’s Sssiii. „Dack dack dack, das ist unheimlich,“ denkt
Goldschnabel, „giggiggigg, komme doch mal jemand her, hier ist was,“
ruft er.

Und nicht lange dauerts, da kommt auch wer. Markwart, der Holzschreier,
hat das Zetern der Amsel gehört, und gleich fliegt er herbei, zu sehen,
was los ist. Laut kreischend meldet er sein Kommen, sieht sich von der
Steineiche aus erst mal um, ob alles sicher ist, und gleich darauf
sitzt er neben dem Amselhahne. „Ga--he freut mich, daß ihr mich gerufen
habt, ga--he, freut mich,“ schwätzt Markwart, und er sträubt die schöne
Holle auf dem Kopfe und wippt mit dem Schwanze, daß der weiße Bürzel
aufblitzt. Und dann reißt er Blatt für Blatt von der Laubkugel ab, dann
kommt er auf Grashalme, die alle sauber nach einer Seite gedreht sind
wie die Haare auf einem Zylinderhutdeckel. Aber auf die ordentliche
Verpackung achtet der Eichelhäher nicht, ihm ist es um die Sache selber
zu tun. Er faßt hinein in das saubere Nest und langt eine ockerfarbene
Wollkugel heraus. Rechts und links wendet er sie mit dem Schnabel,
ehe er unterscheiden kann, was das für ein Wollknäuel ist. Und dann
plötzlich sieht er mit Verständnis die Lösung des Vexierbildes.
Da ist der Kopf mit den fest zugekniffenen Augen, da das zierliche
Schnuppernäschen mit den langen, zuckenden Schnurrhaaren. Die winzigen
Ballen sind die krampfhaft geschlossenen Vorderpfoten, die dicht an die
Backen gedrückt sind. Und der lange, wollige Schwanz ist über das ganze
Tier gedeckt. Leise hebt sich die Brust des kleinen Schläfers, ein
Atemzug füllt die Lungen mit Luft, dann liegt er wieder da wie tot. Nur
wenn Markwart mit dem Schnabel zwickt, dann hebt sich die Brust wieder
und leise ertönt das ärgerliche Pfeifen.

Doch was kehrt sich der Holzschreier daran, ob seine Beute ärgerlich
ist oder nicht. Er zwickt und kneipt mit dem Schnabel so oft, daß die
Atemzüge immer rascher sich wiederholen, das braune Tierchen munter
wird. Es dehnt sich und streckt sich und macht dann blinzelnd die Augen
auf. Groß und erschrocken gucken sie in die Welt; als wären schwarze
Siegellacktropfen auf den Pelz gefallen, so sehen sie aus. Und dann
stellt sich die Haselmaus mit leisem Pfeifen auf die zitternden Beine
und macht einige träge, verschlafene Schritte.

Staunend hat die Amsel der Entwicklung der Dinge zugesehen, jetzt
hüpft sie näher heran, das reizende Tierchen zu betrachten. Doch
entsetzt fährt sie wieder zurück. Die Pupillen in den weißen Augen
des Eichelhähers wechseln rasch ihre Größe, werden enger und weiter,
dazu legt der Holzschreier seine Holle glatt und öffnet den Schnabel
ein wenig; er ist böse, das sieht Goldschnabel sofort. Nun holt er
aus und haut mit kräftigen Schnabelhieben auf die arme, verschlafene
Haselmaus ein, daß sie nur einmal noch laut und klagend pfeifen kann
und dann alle viere von sich streckt. Laut zetert die Amsel und schilt
den Häher einen Mordgesellen, einen Räuber, einen Wegelagerer. Aber
der läßt sich nicht stören, sondern verzehrt die Haselmaus mit Haut
und Haar. Dann wischt er sich zierlich den Schnabel am Boden ab, putzt
und wetzt ihn am Haselzweige und fliegt mit höhnischem Hiäh, das er
dem Bussard abgelauscht, dem Fichtenwalde zu. Die Amsel aber fliegt
zum Ebereschenbaume und erzählt der staunenden Wacholderdrossel, was
Markwart getan, und sie kann sich kaum genug tun in Schimpfnamen wie
Mörder und Schinder, während noch der letztverschluckte Wurm sich in
ihrem Magen windet.

Wochen sind vergangen und der Amselhahn hat sein Erlebnis längst
vergessen. Es hat hoher Schnee gelegen einige Tage, der ist dann wieder
weggetaut, der Sperber hat die Wacholderdrossel gefressen und eine
Meise, die Ebereschenbeeren werden schon recht knapp. Und wer alle
Tage etwas Neues erlebt, denkt nicht mehr ans Vergangene. Doch eines
Tages findet Goldschnabel wieder eine Laubkugel unter Birkenwurzeln
versteckt. Wieder zupft er an den dürren Blättern, doch dann erinnert
er sich plötzlich, was darin steckt, als das feine Pfeifen ertönt. Da
nimmt er sich vor, niemand etwas zu sagen von seinem Funde. Nur von
Zeit zu Zeit einmal sieht er danach und zupft an den Blättern, bis das
ärgerliche Sssiii ertönt, dann weiß er, daß sein Schützling noch lebt
im Winterneste.

Mit Eis und Schnee kommt der gestrenge Herr Winter, macht den Erdboden
erstarren bis tief hinein und schließt so der Amsel Speisekammer ab,
daß sie sich im Dorfe mit Küchenabfällen behelfen muß. Schlecht und
recht schlägt sie sich durch die magere Zeit, bis sie sich auf ihre
Stimme besinnt und von der nebelnassen Birke ihr Kirchenlied flötet.
Noch klingt es schwach und zaghaft, doch von Tag zu Tag wird es voller
und lauter.

Heute hat’s die Sonne wirklich gut gemeint und hat mancher schlafenden
Blumenknospe Lebenslust eingestrahlt. Nun steigt sie mit müdem,
rotem Gesicht ins Wolkenbette, während Goldschnabel sein schönstes
Lied als Nachtgesang anstimmt. Dann fliegt er herunter in’s Gebüsch,
einen Wurm als Abendbrot zu verspeisen. Und wie er wühlt und sucht
im dürren Laube, da raschelt es leise und verloren am Birkenstamme.
Langsam hebt sich ein Blatt und ein gelbes, schnupperndes Näschen, von
zuckenden Schnurrhaaren wie von einem Glorienschein umgeben, schiebt
sich vor. Dann kommen zwei große schwarze Augen, dann niedliche
Ohren, dann huscht auf winzigen Beinen die Haselmaus ganz hervor. Auf
zitternden Füßchen trippelt sie einher, tastet mit den Schnurrhaaren,
schnuppert mit dem Näschen und guckt mit strahlenden Augenperlen in
die Runde. Und dann putzt und leckt sie den Wollpelz glatt. Wer ein
halbes Jahr lang mit dem Pelz im Bette träumt, der verdrückt ihn.
Aber die emsig kratzenden und reibenden Händchen bringen bald Ordnung
in die Haartoilette, und wie aus Watte gezupft trippelt das winzige
Eichhörnchen über den Boden.

Arg hungrig ist es nach der langen Ruhe; wer sechs Monate nichts ißt,
der behält nicht viel Fett auf den Rippen. Auch wenn er nur ganz
langsam und sparsam atmet, ganz unterbrochen ist der Stoffwechsel
nicht, wenn er auch auf das denkbar kleinste Maß zusammengedrückt ist.
Was mag Haselmäuschen nur suchen auf dem kahlen Boden, dort scheint
doch wahrlich nichts Genießbares zu liegen. Doch da hält es schon
irgendeinen Bissen zwischen den Pfötchen, setzt sich artig auf die
Keulen und stützt sich auf den wolligen Schwanz. Rapp, rapp, rapp,
knappern die Nagezähne am Birkennüßchen, das Zeisig oder Blaumeise
zu Boden warf. Da sitzt ein Falter und bewegt langsam seine lahm
gewordenen Flügel. Den hat sie gleich beim Wickel und knappert und
mummelt ihn hinter. Dann schleckt sie einen Nebeltropfen, dann nagt sie
wieder einen Birkensamen hinter. Und dann kommt der Festschmaus. Eine
Haselnuß liegt vergessen am Boden. Die Feuchtigkeit des Frühjahrs hat
ihren Keim schwellen lassen, daß er die Schale sprengte und mit rotem
Arm nach dem Boden greift, um Wurzel zu schlagen. Den packt die kleine
Fresserin und nimmt ihn zwischen die Zähne, und hopp, hopp, hopp, sitzt
sie vor ihrem Nest, raspelt und nagt die Hülle vom Nußkern und nascht
vom zarten, süßen Fleische. Ganz vertieft ist sie in ihre Beschäftigung
und denkt nicht an ihre Umgebung, sieht Goldschnabel nicht, der ganz
glücklich seinem Schützling zusieht, nur den leckeren Nußkern sieht sie
und schwelgt nach der langen Fastenzeit.

Da schreit scharf und gellend der Warnruf der Amsel, und in wilder
Flucht eilt sie durch’s Unterholz, daß die Ohreule bald absieht von
ihrer Verfolgung und abschwenkt. Aber sie mag die Birke umkreisen,
immer und immer wieder, wo sie so deutlich das Knappern von
Mäusezähnen hörte, sie hört nichts vom Lieblingswilde und sieht nichts.

Heute kommt die Haselmaus sicher nicht wieder aus ihrem Verstecke und
wenn morgen die Sonne nicht warm scheint, verschläft sie wieder einige
Tage. Doch so fest wie zur kalten Winterszeit, wo sie niemand munter
kriegte, schläft sie jetzt nicht mehr. Sonst wäre sie auch verloren
gewesen, als eines Abends der Igel ihr Nest fand und zerkratzte, weil
er warmes Fleisch darin roch. Da war sie eilend herausgefahren, am
verblüfften Stachelhelden vorüber und am nächsten Haselzweige in die
Höhe, von da zum Rüsterstamm und von dem zur hohlen Eiche. Dort bleibt
sie einige Wochen wohnen, bis der Haselstrauch Blätter kriegt und die
Brombeersträucher auch, dann zieht sie wieder aus. Sie schwärmt einige
Tage umher, bleibt tags bald im hohlen Weidenstamme, bald im leeren
Mäuseloche, bis sie eines Tages mit einer andern Haselmaus wieder
zurückkehrt an ihren Heimatsort.

Nach einigen Tagen, wenn die Fremde die Gegend richtig durchstreift
hat, dann kann man nicht sagen, welches die Einheimische, welches
die Zugezogene ist. Genau so wenig wie man sagen kann, welches das
Männchen, welches das Weibchen ist, wenn man auch am verliebten Treiben
beider erkennt, daß es ein Pärchen ist. Im Stammausschlag der Rüster,
der so dicht und struppig aussieht wie ein ungepflegter Vollbart, dort
bauen die Haselmäuse aus dünnen, geschmeidigen Grashalmen und Blättern
ein großes, lockeres Nest, dort, wo es vom zarten Grün der jungen
Rüsterblätter völlig versteckt ist. Ein günstiges Plätzchen haben sie
sich ausgesucht, die Haselgerten neigen sich zum Rüsterstamme, so daß
man nicht zum Boden braucht, wenn man weiter will, zur Buche ist’s auch
nicht weit und auch die Eiche kann man kletternd erreichen. Da braucht
es den beiden wirklich nicht angst zu werden, wenn eines Tages so drei
oder vier kleine, nackte Kinder im Neste liegen und mit leisem, hohem
Piepen nach der Mutterbrust verlangen. Wer so im Vollen sitzt und so
nahe hat von einem schönen Vorratsplatz zum andern, braucht keine
Nahrungssorgen zu haben.

Goldschnabel hat den ganzen Sommer nicht Zeit, sich um seine
Schützlinge zu kümmern. Er würde sie wohl auch nicht zu sehen bekommen,
wenn er sie besuchen wollte. Denn wenn die Haselmäuse aufstehen, ist
die Sonne längst untergegangen und auch die Amsel schläft schon.
Aber im Winter, als der Amselhahn so nach und nach fünf Winternester
seiner Freunde bloßscharrt, da sieht er, daß es seinen Schützlingen
gut gegangen ist. Von Zeit zu Zeit rupft er mal an den Blättern, um am
Pfeifen zu sehen, ob alle noch leben und freut sich, wenn’s der Fall
ist.

Nur einmal muß er trauern, die eine Kugel, die so frei im scharfen
Ostwind gelegen hat, die pfeift nicht, wenn man sie rupft. Da warnt
Goldschnabel wieder, bis Markwart kommt und den Fund auspackt. Eine
kleine, zusammengetrocknete Mumie kommt zum Vorschein, die sogar dem
Häher zu zähe ist, wenn sie auch kein bißchen riecht.

Und so kommt die kleine, erfrorene Haselmaus sogar zu einem
ordentlichen Begräbnis. Denn Goldschnabel läßt es sich nicht nehmen,
Laub und Erde auf sie zu häufen, und wenn er im Frühjahr wieder bei
Stimme ist, singt er sein schönstes Lied über ihrer letzten Ruhestätte.




Frau Duftig und ihre Kinder


Mitten zwischen den großen Feldschlägen des Ritterguts Z. liegt in
einer kleinen Talsenkung ein Hölzchen. Fichten sind dort angepflanzt
und Dorngestrüpp, und wenn das Wetter rauh und windig ist, suchen
Rebhühner, Hasen und Rehe dort einen Unterschlupf. Der Boden ist sandig
und nicht zu feucht, und deshalb sind auch gar viele Kaninchenbaue
in der Remise. Ein Mensch kommt selten hierher, desto öfter aber der
Fuchs; denn der hat hier oft schon erfolgreiche Jagd gemacht. Und ist
nichts zu fangen, dann liegt doch das veraaste Reh im Graben, auf dem
er sich mit wohligem Knurren wälzt, um sich mit einem mehr eigenartigen
als lieblichen Dufte zu versehen.

Vor ein paar Jahren ließ der Förster die Dornbüsche wegschlagen, da sie
zu hoch und sperrig gewachsen waren und nicht dicht genug, um Deckung
zu geben. Zwar bot er dann den Dornhaufen jedermann zum Geschenk an,
aber niemand wollte ihn haben, und da blieb er liegen. „Schließlich
brütet einmal ein Fasan oder eine Rebhenne darunter“, dachte der
Grünrock, sonst hätte er den sperrigen und stachligen Haufen an Ort und
Stelle verfeuert. Wenn er gewußt hätte, wem er dadurch Unterschlupf
bieten würde, dann hätte er die Dornen sicher nicht liegen lassen.

Im April mag es gewesen sein, da humpelte und hüpfte ein Tier von
Kaninchengröße in dem Graben hin, der zur Remise führt. Von Zeit zu
Zeit erklimmt es die Grabenböschung, um einmal die Gegend nach allen
Richtungen hin zu durchspähen, dann setzt es seinen Weg fort. Aber
rasch kommt es nicht vom Fleck, wahrscheinlich erwartet es in den
nächsten Tagen Junge, der Leib ist stark angeschwollen. Bald setzt es
sich wieder hin, läßt die dunkeln, blaugrünlich schimmernden Augen die
Runde machen, streicht sich mit der dunkeln Pfote über die feuchte, von
weißem Fell umgebene Nase, spitzt die Ohren und humpelt weiter. Was
für ein sonderbares Tier mag es nur sein, das dort im Graben hinhüpft?
Sein dichter Pelz hat oben gelblichbraune Unterwolle und die dichten
Grannenhaare ragen wie schwarze Striche darüber hinaus, unten sieht das
Kerlchen dunkelbraun aus, beinahe schwarz. Dunkel ist auch der buschige
Schwanz, und ebenso die Kehle. Ein Marder kann es also nicht sein, die
haben weiße oder gelbe Vorhemdchen, aber die Bewegung ist wieder ganz
marderartig, nur unbeholfener.

Ein trächtiges +Iltis+weibchen ist es, das ein Wochenbett sucht.
Bald kommt es in der Remise an. Natürlich untersucht es erst einmal
oberflächlich das Hölzchen, um zu wissen, was eigentlich ihre Nachbarn
für Leute sind. „Aha, ein Kaninchenbau, und auch befahren, na, da
geht es ja an, bei denen müssen nächstens auch Kinder kommen, wenn
noch keine da sind.“ Weiter schnuppert Frau Iltis. Frisches „Geläufe“
von Rebhuhn und Fasan findet sie und Fährten von Reh und Hase. Nach
Kleinvögeln riecht es hier auch und Mäuselöcher, die warm nach
Fleisch duften, sind vorhanden. „In ein ganz armes Land bist du sicher
nicht gekommen, hier dürfte es nicht zu schwer sein, eine zahlreiche
Kinderschar groß zu ziehen, Konkurrenz ist noch nicht vorhanden, und
wenn welche kommt, dann bin ich auch noch da“, denkt Frau Iltis. Dann
sucht sie sich ein Versteck.

Zwar sind Kaninchenhöhlen zur Genüge vorhanden, aber mit denen hat Frau
Iltis einmal schlechte Erfahrungen gemacht. In einem weitverzweigten
Bau hatte sie sich niedergelassen, da tönte eines Tages ein sonderbarer
Laut durch die Röhren ihrer Wohnung. Und ehe sie noch recht wußte was
los war, kam ein weißes Tier, dessen Augen rot leuchteten und das
beinahe roch wie ein Genosse der eigenen Sippe. Am Hals des sonderbaren
Wesens hing ein gelbes Ding, das ganz hell immerwährend bimmelte. Da
war Frau Iltis geflohen und wollte mit einem Satz zur nächsten Röhre
hinaus; da sah sie noch zur rechten Zeit, daß das nicht ging. Ein Netz
war darüber gedeckt, das roch nach Mensch und nach Kaninchen. Also
rasch zurück, im wilden Anprall am weißen Tier vorbei und durch eine
lange Röhre, die in einen Brombeerbusch mündete! Da hörte Frau Iltis
gerade, wie ein Jäger zu seinem Gehilfen sprach: „Der Bau scheint
unbefahren zu sein, dort ist das Frettchen. Nehmen Sie es auf, daß
er nicht in eine andre Röhre fährt und vielleicht ausreißt!“ Und
wieder hatte das Glöckchen geklingelt. Da hatte sich die Mama Iltis
schleunigst aus dem Staube gemacht und war glücklich entkommen. Seit
der Zeit mochte sie am Tage nicht mehr in Kaninchenhöhlen bleiben,
geschweige denn darin ihr Lager aufschlagen, der Schreck lag ihr immer
noch in den Gliedern, sobald sie daran dachte.

Hier in der Remise braucht sie nach einem andern Versteck nicht lange
zu suchen, der Reisighaufen kommt ihr ganz wundervoll passend vor für
ein Wochenbett. Einmal umkreist sie ihn und prüft mit der Nase, ob
etwas Verdächtiges darin stecken könnte. Da riecht sie, daß schon ein
andrer hier heimisch ist, der auch am liebsten ungestört lebt, ein
Igel. Der kann ihr und auch ihren Kleinen nichts tun, sie kann ihn aber
auch nicht vertreiben, also steht einer nachbarlichen Duldung nichts
im Wege. Daher schlüpft sie auf dem Pfade, den der Igel getreten hat,
hinein in den Dornhaufen. Der rechtmäßige Eigentümer dieser Wohnung
ist zwar nicht sonderlich erbaut über die fremde Dame, die in seine
Behausung eindringt, aber als Mann von Bildung stellt er sich gleich
vor. „Mein Name ist Borstig, mit wem habe ich die Ehre.“ „Ich bin Frau
Iltis und möchte hier in so ehrenwerter Nachbarschaft meine Kinder
groß ziehen.“ Schnüffelnd hat der Igel die Luft durch die Nase gezogen
und die Stirne in krause Falten gelegt; dann aber erklärt er, nichts
dagegen zu haben, denn er würde nächstens auswandern, etwa im Mai,
wenn die Nächte warm würden, um den Sommer in den Getreidefeldern
zuzubringen. „Bis dahin getreue Nachbarschaft! Doch verzeihen Sie,
Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen, haben Sie etwas dagegen,
wenn ich Sie Frau „Duftig“ nenne, denn ein bißchen einen eigenartigen
Geruch strömen Sie schon aus, Rose und Veilchen duften anders.“
„Ja, in einem sonderbaren Geruch steht unsre ganze Sippe“, wird ihm
zur Antwort, „deshalb bin ich mit Ihrer Namensgebung einverstanden.
Sie halten vielleicht unsern Duft für eine schwache Seite unsrer
Persönlichkeit, aber er ist im Gegenteil unsre Stärke. Sie werden sich
vielleicht noch davon überzeugen können, wenn ich es auch nicht hoffe!“
Damit war die Freundschaft geschlossen. Dann machte sich Frau Duftig
daran, ihre neue Wohnung genau zu besichtigen. Eine alte Fichte mochte
an der Stelle gestanden haben, wo der Dornhaufen liegt, die hat dann
der Wind umgebrochen. Eine ganze Tafel von Erde hat das Wurzelwerk
losgebrochen, und jetzt ist unter der Riesenscholle eine geräumige
Höhle, in deren einer Ecke Borstig sich eingerichtet hat. Frau Iltis
bezieht den hinteren Teil und nimmt einige zweckmäßige Änderungen vor.
Sie räumt die losgebrochene Erde weg und hat bald eine schöne runde
Wölbung freigemacht, die das Nest aufnehmen soll. In den nächsten Tagen
wird dann die Kinderstube fein ausgepolstert. Weit braucht die Frau
Duftig nach Baumaterial nicht zu suchen, der Igel hat zum Bau seines
Winternests im vorigen Herbst viel zu reichlich Laub und dürres Gras
eingetragen und gibt gern seiner Nachbarin etwas davon ab. Aber auf den
Bau eines warmen Nestes beschränkt sich die Vorsorge der Frau Iltis
nicht. Die ersten Tage nach dem Werfen läßt sie die Jungen am liebsten
keinen Augenblick allein, deshalb muß für genügend Proviant gesorgt
werden.

Mit ihren schwerfällig aussehenden humpelnden Sätzen stöbert sie
vom Einbruche der Dunkelheit bis gegen Morgen umher. Zur Erlangung
größerer Beute ist sie jetzt etwas zu schwerfällig. Deshalb gilt
allabendlich ihr erster Ausgang der Feldscheune. Dort wimmelt es
förmlich von Mäusen. Die langgeschwänzte braunrote Brandmaus, die so
nett aussieht mit ihrem dunklen Streifen auf der Rückenmitte, die
Feldmaus mit dem kurzen Schwänzchen, sogar die großäugige Waldmaus ist
dort anzutreffen. Da gibt es eine fröhliche Jagd. Sorgsam beobachtet
Frau Iltis das Rascheln im Stroh. Ganz langsam und vorsichtig schleicht
sie näher. Da schiebt sich ein schnupperndes Näschen aus dem Stroh,
die ganze Maus kriecht hervor und knappert und raschelt. Nur einen
schwarzen Schatten sieht sie noch in der Luft, noch einen leisen
Pieps kann sie ausstoßen, und da ist sie schon zwischen den scharfen
Iltiszähnen zerdrückt. Zweien oder dreien geht es ebenso, aber nur
eine wird gefressen, die andern werden als Vorrat in die Wochenstube
getragen.

Dann geht es im Graben entlang hinunter auf die feuchten Wiesen am
Teiche. Mit trippelnden Sätzen hüpft hier Frau Iltis dahin. Sie nimmt
sich nicht die Mühe, vorsichtig zu schleichen, denn die Beute, der
es gilt, ist zu stumpfsinnig, rechtzeitig zu fliehen. Jetzt hat Mama
Duftig erspäht, was sie sucht, sie hüpft zu und zwischen ihren Zähnen
quäkt ein Frosch gar erbärmlich. Und er wird zwar raffiniert, aber gar
grausam behandelt. Der Stinkmarder zerbeißt ihm das Rückgrad oder die
Hinterbeine, so daß er nicht entfliehen kann. Einen ganzen Vorrat von
solch armen halb- oder ganz toten Beutetieren trägt Frau Iltis ein.

Doch eines Abends fühlt sie, heute kann sie nicht mehr fort. Und in
der Tat. Am andern Morgen trifft Borstig beim Heimkommen von seinem
Nachtbummel auf eine zahlreiche Familie. „Na, glücklich vorüber, Frau
Nachbarin, meinen Glückwunsch“, sagt er, „wieviel sind’s denn?“ „Sieben
Stück“, wird mit schwacher Stimme geantwortet. „Etwas reichlich ist
der Segen, das letztemal hatte ich bloß drei“! „Dafür sind auch in
diesem Jahre die Mäuse nicht schlecht geraten, und Sie haben doch
erzählt, Sie könnten sogar Kaninchen und Fasanen fangen, da werden Sie
die kleinen Dinger schon groß kriegen,“ tröstet der Igel. Dann guckt
er sich die junge Gesellschaft genauer an. Zwar hat er nur lobende
Worte für die „prächtigen Kerle,“ im Innern aber schilt er sie häßlich
und prophezeit ihnen kein hohes Alter. Um seine eignen Kinder hat er
sich auch nie sonderlich gekümmert; erst wenn sie ein paar Monate alt
waren, traf er sie gewöhnlich zufällig mit ihrer Mutter, und dann waren
sie schon hübsch groß und echte kleine Igel. Kein Wunder, daß ihm die
lichtgefärbten, blinden Dinger nicht gefallen. Volle vierzehn Tage soll
es dauern, bis sie sehen lernen, na da, und dabei murren und schmatzen
sie fortwährend beim Saugen, da will er sich nur gleich aus dem Staube
machen und in die Feldscheune übersiedeln.

Volle drei Wochen läßt er verstreichen, ehe er wieder einen Besuch
bei Duftigs macht, und da ist er allerdings überrascht. Das sollen
dieselben Wechselbälge sein, die ihn jetzt mit ihren schwarz-blauen
Augen verwundert angucken und die schon fauchen, wenn er näher kommt.
Auch seine Freundin hat sich recht verändert, allerdings nicht zum
guten. Der Balg ist schäbig geworden und die eingefallenen Flanken
zeigen, daß es keine leichte Arbeit ist, für sich und noch sieben andre
hungrige Mäuler zu sorgen.

Lange Zeit hat Borstig keine Gelegenheit, die Familie Duftig zu
besuchen, erst im September trifft er Frau Iltis wieder. Natürlich
ist die Freude auf beiden Seiten groß. Sie sieht wieder wohler aus,
konstatiert er, der ist aber fett geworden, denkt sie. Dann sprechen
sie von den Kindern. Vier davon sind fortgezogen und haben sich
selbständig gemacht, drei haben sich bis jetzt zur Mutter gehalten. Den
ganzen Winter über wollen sie im Dornstrauch verbringen, wenigstens
wenn sie nicht gerade auf Jagdzügen in abgelegenen Gegenden unterwegs
sind.

       *       *       *       *       *

„Vater, wir haben heute abgefährtet. An der Remise haben wir viel
Iltisfährten gefunden. Kantors Paul war auch dabei. Ach Vater, da mußt
Du sie schießen, heute nachmittag, ach bitte, Vater!“ „Nein, Kinder“,
sagt der Förster, „heute zum Weihnachtsfeiertag schieße ich nicht.
Aber nehmt doch die Hunde mit, Treff und Seppel, den Dackel. Kantors
Paul mag den Fox mitbringen. Aber seht euch vor, daß die Hunde sich
nicht beißen. Die Stänker werden wohl in Kaninchenbauen stecken!“ „Nein
Vater, die stecken unter dem Reisig, ach bitte, komm doch selber mit,
da folgen die Hunde besser, bitte Vater!“ „Na meinetwegen denn!“

Am Nachmittag setzt sich der Jagdzug, der Förster und Karl, sein
Junge und Kantors Paul und die drei Hunde in Bewegung. Der Schnee ist
weggetaut und von Fährten nichts mehr zu sehen. Eine leise Anspielung
des Försters, die Jungen hätten vielleicht Kaninchenfährten für
Iltisfährten angesehen, wird mit wahrer Entrüstung zurückgewiesen.
So dumm wären sie doch nicht, und Kaninchenspur und die vom Marder
wären doch ganz verschieden. Schließlich nähert man sich der Remise.
Seppel ist natürlich der erste, der riecht schon lange in jedes
Kaninchenloch und zieht die süße Witterung ein. Aber er muß zurück und
ebenso der Rowdy, der Fox, Treff weiß das von allein. Bald ist man am
Reisighaufen. Einen Augenblick stehen Dackel und Terrier, als müßten
sie sich erst besinnen, was der Geruch zu bedeuten hat, dann fahren
sie beide mit gesträubten Rückenborsten in den Haufen hinein. Seppel
kennt den Raubzeuggeruch, aber Rowdy, der nur Ratten und Hamster würgen
durfte, braucht einige Zeit, bis er begreift, daß er lustig losraufen
kann, ohne Schläge zu bekommen. Jetzt geben die kleinen Hunde Laut,
Seppel tief und grollend, der Fox giftig und hell, aber zum Angriff
gehen sie nicht vor, wenn auch der Laut immer wütender wird. „Aha“,
sagt der Förster, „die Stänker haben den Hunden etwas vorgestunken.
Hui faß, Seppel, kiß, kiß, Rowdy!“ Wütendes Kläffen antwortet, und nun
ertönt das gurgelnde Knurren des Terriers, er hat gefaßt. Auch Seppel
will nicht mehr zurückstehen, er packt einen zweiten und zaust sich
mit ihm herum. Das Kreischen und Fauchen der gepackten Räuber, das
Knurren der Hunde, ein Mordsspektakel. Den möchte sich ein dritter
Iltis zunutze machen. Leise drückt er sich unter dem Haufen hinweg
und versucht, nach dem freien Felde zu entkommen. Beinahe wäre es
ihm geglückt, aber ehe er noch in den Schollen des Sturzackers
verschwunden ist, hat ihn Karl erblickt. Der reißt den verdutzten Treff
am Halsbande herum und stürmt dem flüchtenden Stinkmarder nach. Da hat
auch Treff die Situation erfaßt. Einige Sekunden nur dauert es, da
ist der Flüchtling eingeholt. Ein Griff über die Schulterblätter, und
Mama Duftig fliegt dem Hunde um die Behänge, daß ihre Knochen knacken
und die Räuberseele entweicht. Mittlerweile ist auch der geräuschvolle
Kampf im Dorngestrüpp beendet, die Sieger zerren ihre Beute hervor und
lecken sich ihre geringfügigen Beiß- und Kratzwunden.

Dann zieht ein Siegeszug nach dem Dorfe zurück. Die Knaben sind stolz
auf ihre Spurkenntnis; denn ohne die wäre die Jagd nicht unternommen
worden, der Förster aber freut sich, daß seine Unterweisungen von den
Jungen gemerkt und in der Praxis angewendet worden sind. Die Helden des
Tages sind aber natürlich die Hunde, die gestreichelt und geliebkost
werden wie lange nicht.




Verlag Haupt & Hammon · Leipzig


Die Glücksbude

Eine Erzählung von

Ernst Preczang

Geheftet Mk. 2.-- Gebunden Mk. 2.60

Eine +tapfere, freudige Lebensauffassung+ spricht aus Preczangs Buch,
dieser Erzählung von der prächtigen, resoluten Frau, die ihren aus
der Bahn geworfenen Mann stützt und ihm, sich und ihrem Jungen eine
Existenz außerhalb der bürgerlichen Welt im Reiche der fahrenden
Leute gründet. Das Werk schildert ein hartes Geschick, aber durch
warmen +Humor+ gemildert und von moderner Romantik, hier der +Romantik
modernen Landfahrerlebens+, umwoben. +Eine echte Jugendschrift+, an der
sich auch die Erwachsenen erfreuen und erfrischen werden!



        
            *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SELTSAME KÄUZE ***
        

    

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