Carl Scharnhorst. Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika.

By Armand

The Project Gutenberg EBook of Carl Scharnhorst. Abenteuer eines deutschen
Knaben in Amerika., by Armand and Friedrich Armand Strubberg

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Title: Carl Scharnhorst. Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika.

Author: Armand
        Friedrich Armand Strubberg

Illustrator: August Hengst

Release Date: February 20, 2015 [EBook #48322]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CARL SCHARNHORST. ABENTEUER ***




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  Carl Scharnhorst.

  Abenteuer eines deutschen Knaben in Amerika.

  Von
  Armand.

  [Illustration]

  Mit 6 Bildern in Farbendruck, nach Zeichnungen von August Hengst.

  Der Verfasser behält sich das Recht der Uebersetzung vor.

  Hannover.
  Carl Rümpler.
  1863.

  Druck von August Grimpe in Hannover.




Inhalt.


                                                                      Seite
  #Abschnitt 1.# In Deutschland. -- Das Frühjahr. -- Die Fahrt
  mit dem Hunde. -- Der Sonnenaufgang. -- Carl Scharnhorst an dem
  Felsabhang. -- Die Gesellschaft. -- Die Schreckensbotschaft. --
  Freude im Glück                                                         1

  #Abschnitt 2.# Abzug vom Gute. -- Der Brief von Amerika. -- Der
  Beschluß zur Auswanderung -- Vorbereitungen. -- Weihnachten. --
  Der Neger. -- Die Nordsee. -- Die Seeschweine. -- Die Inseln. --
  Der Sonnenuntergang. -- Der Eisberg. -- Amerika. -- Der Adler.
  -- Todesnachricht. -- Der Verlust                                      34

  #Abschnitt 3.# Der schwarze Freund. -- Reise nach dem Westen. --
  Der Hirsch. -- Die Nacht im Freien. -- Die Ueberschwemmung. --
  Die wilden Pferde. -- Die Prairie. -- An der Frontier. -- Der
  Büffel. -- Die wilden Truthähne                                        79

  #Abschnitt 4.# Das Land zur Niederlassung. -- Die Wölfe. -- Die
  Pferdediebe. -- Die hölzerne Festung. -- Das Kanoe. -- Das Feld.
  -- Fischfang. -- Die Bärenjagd. -- Die Felle. -- Der Jaguar. --
  Der vermoderte Baum                                                   120

  #Abschnitt 5.# Lederbereitung. -- Die Poolkatze. -- Büffeljagd.
  -- Der Lasso. -- Die wilden Bienen. -- Weihnachtsabend. --
  Vorsichtsmaßregeln. -- Der Mais. -- Die Biber. -- Der Alligator.
  -- Der Wacoindianer                                                   159

  #Abschnitt 6.# Biberfang. -- Die Bärin. -- Der graue Bär. -- Der
  Prairiebrand. -- Der wilde Rappenhengst                               198

  #Abschnitt 7.# Ritt durch die Wildniß. -- Wasser. --
  Die Antilopen. -- Die Grenze des Prairiebrandes. -- Die
  Klapperschlangen. -- Der Delawaren-Häuptling. -- Das Lager der
  Indianer. -- Der schwarze Panther. -- Rückkehr in das Fort. --
  Indianerfreundschaft. -- Der Frühling. -- Die Bestürmung. --
  Letztes Mittel. -- Die nahende Rache                                  239

  #Abschnitt 8.# Aufopferung. -- Stummer Abschied. -- Der Falbe.
  -- Das Rennen wider Willen. -- Das Handelshaus. -- Großer
  Büffelfang. -- Der Panther. -- Dankbarkeit. -- Das Wiedersehen        278




Abschnitt 1.

  In Deutschland. -- Das Frühjahr. -- Die Fahrt mit dem Hunde. --
  Der Sonnenaufgang. -- Carl Scharnhorst an dem Felsabhang. -- Die
  Gesellschaft. -- Die Schreckensbotschaft. -- Freunde im Glück.


In dem schönen gesegneten Werrathale lebte eine Familie, Namens Turner,
die aus den beiden Eltern, zwei Söhnen und einer Tochter bestand. Herr Max
Turner war Oeconom und hatte ein kleines Gut, die Kluse genannt, in Pacht,
welches einer alten Adelsfamilie als Eigenthum angehörte. Schon sein
Urgroßvater hatte dieses Gut pachtweise besessen, die Pacht war immer vom
Vater auf den Sohn übertragen worden, und so war auch Herr Max Turner in
dieselbe eingetreten. Ueber hundert Jahre befand sich die Kluse nun schon
in den Händen der Familie Turner, so daß diese das Gut als ihr Eigenthum
betrachtete, von welchem sie jährlich eine gewisse Summe Geldes an jene
adelige Herrschaft abzugeben hatte. Es war niemals von einer anderweitigen
Verpachtung die Rede gewesen, und als vor mehreren Jahren die Güter in
Deutschland bedeutend im Werthe stiegen, hatte sich Herr Turner auch gern
dazu verstanden, seiner Herrschaft eine angemessen höhere Pacht zu zahlen.
Die Kluse lag kaum eine Viertelstunde von der Werra entfernt in einem
engen, reich bewässerten Thale, welches sich nach dem Strome hin öffnete
und zu beiden Seiten von hohen Bergen eingeschlossen war. Großes Vermögen
hatten die Turners nie erworben, dazu bot das kleine Gut die Mittel nicht;
doch hatten sie ihre Pacht immer pünktlich entrichtet, hatten ohne große
Sorgen gelebt, ihren Kindern stets eine gute Erziehung geben lassen und
dabei eine kleine Summe baaren Geldes zurückgelegt, wie man zu sagen pflegt
für böse Tage, die da kommen könnten. Ebenso stand es nun mit Herrn Max
Turner. Auch er besaß kleine Capitalien, die er in dem nahen Städtchen auf
Grundstücke ausgeliehen hatte; er lebte zufrieden und ohne Sorgen und bot
Alles auf, um seine Kinder so viel als möglich lernen zu lassen; denn er
war der Ansicht, daß eine gute Erziehung bei reichen Kenntnissen mehr werth
sei, als alles Vermögen. »Wer etwas Tüchtiges gelernt hat,« sagte er oft,
»der führt ein Capital mit sich, das ihn in jeder Lage seines Lebens und
unter allen Verhältnissen ernährt und welches ihm Niemand nehmen kann.«
Seine vierzehnjährige Tochter Julie war sein ältestes Kind; darauf folgte
ein Sohn, Arnold, im Alter von elf Jahren, und Wilhelm, der zweite Sohn,
hatte sein neuntes Jahr erreicht. Außerdem befand sich noch ein Knabe
in der Familie, welcher gleichfalls zu derselben gezählt wurde und Carl
Scharnhorst hieß. Seine Mutter, die Schwester des Herrn Turner, war an
einen Doctor Scharnhorst verheirathet gewesen; Beide waren vor mehren
Jahren gestorben, und Carl Scharnhorst wurde als Waise von seinem Onkel in
die Familie aufgenommen und als eigenes Kind betrachtet und behandelt. Carl
war vierzehn Jahre alt und ein Knabe von ungewöhnlichen körperlichen
wie geistigen Anlagen. Er war ein schöner, kräftiger, gesunder Junge
mit braunem lockigen Haar, großen, blauen lebendigen Augen und offenem,
ehrlichen, edel geformten Gesicht. Schnell und gewandt in seinen
Bewegungen, war er auch rasch und entschlossen in seinen Handlungen und
verrieth bei Allem, was er that, ein Herz voll Liebe, Freundschaft und
Dankbarkeit. Mit leidenschaftlicher Anhänglichkeit hing er an den
Kindern seines Onkels, die er Schwester und Brüder nannte, und seine
Schulkameraden, denen er seine Freundschaft einmal zugesagt hatte, konnten
sich bei jeder Gelegenheit unbedingt auf ihn verlassen. Die dankbare
Verehrung und kindliche, herzinnige Liebe aber gegen seine Pflegeeltern
kannte gar keine Grenzen, er schien nach ihren Gedanken zu haschen, um
ihren Wünschen zuvorkommen zu können.

Herr Turner war ein ernster, verständiger Mann im Alter von noch nicht
ganz vierzig Jahren, er war groß und stark gebaut, hatte glänzend schwarzes
Haar, dunkele beredte Augen, aus denen Biederkeit und Entschlossenheit
sprachen, und seine hohe offene Stirn zeugte von gründlichem tiefen Denken.
Seine Frau Marie dagegen war eine helle Blondine mit himmelblauen,
so freundlichen, liebreichen Augen, daß Jedermann, der ihren Blicken
begegnete, sie lieb gewinnen mußte. Sie war eine schöne gesunde Frau, der
man es ansah, daß sie die Hände nicht oft in den Schooß legte, und daß sie
nur für ihre Familie und für ihre Wirthschaft lebte. Von früh Morgens bis
Abends spät war sie in ihrem Haushalte beschäftigt, und da ihre Tochter
Julie seit einigen Wochen die Schule verlassen hatte und confirmirt worden
war, so mußte sie ihr bei den häuslichen Arbeiten zur Hand gehen.

Julie versprach ganz das Ebenbild ihrer Mutter zu werden, sie hatte
dieselben blonden Haare und blauen Augen, und dieselbe Anmuth und
Lieblichkeit lag in ihrem ganzen Wesen. Arnold, ihr jüngerer Bruder
dagegen, mit schwarzem Haar und dunkeln Augen, glich mehr seinem Vater,
während Wilhelm, der jüngste, wieder blond war und auf die Mutter artete.
Wahres Glück und wahrer Segen ruhte auf dieser Familie; mit unbegrenzter
Liebe und unermüdlicher rastloser Fürsorge wachten die Eltern über das
Wohl der Kinder, und mit gleicher Liebe und Dankbarkeit hingen diese an
den Eltern. Zutrauen und Einigkeit verbanden sie innig, und kein Opfer war
ihnen zu groß, um einander gefällig zu werden und sich gegenseitig
Freude zu bereiten. In wahrer Frömmigkeit waren sie alle Gott ergeben und
bekannten mit dankbarem demüthigen Herzen in ihm den alleinigen Spender
des vielen Glücks, dessen sie sich erfreuten. Sorgen und Kummer waren ihnen
fremd, sie hatten Alles, was ihre bescheidenen Wünsche orderten, und
eine ungestörte kräftige Gesundheit ließ ihnen jede Freude, die ihnen ihr
einfaches Leben bot, im vollsten Maße genießen.

Nach einem anhaltenden strengen Winter, der noch bis in den Monat März
hinein die Werra mit einer starren Eisdecke überzogen und die hohen,
steilen Berge und die Kluse mit hohem Schnee bedeckt hielt, war das
Frühjahr mild und segnend erschienen, und der Mai hatte Berg und Thal mit
frischem jungen Grün geschmückt. Die Wälder prangten im zarten neuen Laube,
die Saaten schossen üppig empor, die Wiesen zierten ihre saftig grünen
Flächen mit Blumen, und die Obstbäume sahen, mit Blüthen übersäet, wie
weiße und rothe Wolken aus den Gärten hervor. Klar und durchsichtig
rauschten die leichten Wogen der Werra zwischen den frisch grünen Ufern hin
und folgten spielend ihren Schlangenwindungen durch die mächtigen Gebirge,
deren schroffe Basaltkuppen im hellen Sonnenlichte unter dem blauen
wolkenlosen Aether glänzten. Alle Zugvögel waren von ihrer Winterreise aus
fernen Landen zurückgekehrt, die Schwalben schwärmten in lustigen Zügen
schwirrend von Berg zu Berg, die Lerche hob sich singend und trillernd
zum Himmel auf, der Kukuk ließ seinen Ruf durchs Thal ertönen und die
Nachtigall flötete ihre süßen melancholischen Lieder im Düster des Forstes
und im schattigen Dunkel der Gärten.

Es war Pfingstsonnabend Nachmittag, und Carl Scharnhorst hatte die
Feierstunden benutzt, um seinen Brüdern, wie er Arnold und Wilhelm Turner
nannte, eine Freude zu bereiten. Für den großen schwarzen Hofhund, Pluto,
hatte er ein Geschirr angefertigt, denselben in einen kleinen Wagen
gespannt, und nun rief er seine Brüder herbei, das Fuhrwerk nach dem nahen
Städtchen zu lenken, um für die Mutter allerlei Haushaltsbedürfnisse nach
der Kluse zu schaffen; denn für die Feiertage mußten Küche und Keller
gut versorgt werden. Die Freude der beiden Jungen war groß, als sie ihren
lieben Pluto mit dem weißen Ledergeschirr im Wagen eingespannt erblickten,
und Carl mußte das mächtige Thier mit Gewalt am Halsbande halten, damit es
bei den Liebkosungen, die es den Knaben mit Ungestüm erwiedern wollte, das
Fuhrwerk nicht umwarf. Der laute Jubel brachte auch Madame Turner und Julie
vor die Hofthür, auch sie brachen in ein lautes freudiges Lachen aus, als
sie den großen Hund eingespannt sahen, und Madame Turner, die in Carls
Bemühung nur dessen Liebe zu ihren Kindern erkannte, strich ihm liebevoll
die braunen Locken und küßte ihn zärtlich. Dann gab sie ihm die bereits
geschriebene Liste über die verschiedenen Gegenstände, welche sie durch
einen der Knechte hatte auf einem Schiebkarren aus der Stadt holen lassen
wollen. Wilhelm setzte sich in den Wagen hinein, Arnold ging mit dem
Lenkseil in der Hand nebenher, und von Carl gefolgt, trabte Pluto mit dem
Wagen durch das Hofthor die Straße hinunter.

»Nur langsam, langsam, Ihr Jungen!« rief ihnen Madame Turner lachend nach;
kaum hatten sie aber die offene Straße erreicht, als sie Pluto zum Laufen
aufforderten, und nun davon sausten, so schnell sie ihre Füße nur tragen
konnten.

Die Sonne sank zu den fernen blauen Gebirgen hinab, die vielen einzelnen
Basaltkuppen, die sich hier und dort aus dem Werrathale erhoben, dehnten
ihre Schatten weiter aus, der Himmel im Westen wurde immer feuriger, immer
glühender, und eine heilige Ruhe legte sich auf das schöne Thal, die
nur durch den friedlichen Ton der Abendglocken und zuweilen durch einen
verspäteten Grasmäher unterbrochen wurde. Herr Turner kam auf einem
prächtigen Rappen auf der Straße hergetrabt, die von dem Städtchen nach
der Kluse führte, und holte auf halbem Wege seine drei Buben ein, von
denen Arnold und Wilhelm neben dem großen Hunde hinschritten, während Carl
Scharnhorst hinter dem beladenen Wagen ging und denselben vorwärts schob,
damit die Last dem Thiere nicht zu schwer werden sollte.

»Ist es möglich, seid Ihr es?« rief Turner lachend und verwundert aus.
»Habe ich mich doch besonnen, was für ein Fuhrwerk dies sein könnte! Aber
wer hat Euch denn das Geschirr für Pluto und die ganze Einrichtung gemacht?
es ist ja allerliebst!«

»Carl hat Alles heimlich hergestellt, und als er Pluto eingespannt hatte,
rief er uns herbei, damit wir fahren könnten,« antworteten die beiden Söhne
Turners vergnügt und sahen mit dankbaren freudigen Blicken nach Carl hin.

»Ei, Du bist ja ein Prachtbursche, Carl! Dafür sollst Du nun aber auch
wahrlich Deinen Spaß haben,« sagte Turner, indem er vom Pferde sprang und
Carl den Zügel hinreichte. »Komm her, mein Junge, sollst den Rappen nach
Hause reiten, ich weiß, es macht Dir Freude. Wart nur, ich will die Bügel
etwas kürzer schnallen.«

»Nein, bester Onkel, ich danke, ich muß bei dem Wagen bleiben, es wird
Pluto zu sauer!« antwortete Carl und sah mit glänzendem Blicke nach dem
Sattel hinauf, in welchem er so gern Platz genommen hätte.

»Nein, nein, Carl, eine Ehre ist der andern werth; Du hast Deinen Brüdern
eine Freude gemacht, und es ist nun an mir, auch Dir eine solche zu
bereiten. Steig auf, flink, ich bleibe beim Wagen und werde ihn statt
Deiner schieben.«

»Aber, bester Onkel, wenn das Jemand sähe -- ich zu Pferde und Du hinter
dem Wagen -- das geht ja nicht!«

»Eine jede Arbeit ehrt den Mann, Carl; wer mich nicht hinter dem Wagen
sehen mag, der muß einen andern Weg blicken. Schnell auf das Pferd, darfst
es einmal tüchtig laufen lassen, nimm Dich aber in Acht, schiebe die Füße
nicht zu weit in die Steigbügel, damit Du mir nicht darin hängen bleibst,
wenn Du herunterfallen solltest.«

»Hat nichts zu sagen, Onkel, ich habe den Rappen schon zu oft in das Wasser
geritten, ich falle nicht herunter,« erwiederte Carl und sprang behend in
den Sattel.

»So, nun sage der Mutter, daß ich Fuhrmann geworden sei und bald mit der
reichen Ladung nachfolgen würde,« sagte Turner, worauf Carl den Rappen in
Galopp setzte und davon jagte.

Die flüchtigen Tritte des Rosses, als Carl in den Hof sprengte, lockten
Madame Turner in die Hausthür, wo ihr der Knabe lachend zurief, was ihm
sein Onkel zu bestellen aufgetragen hatte. Dann übergab er das Pferd
einem Knecht und lief nun rasch wieder nach der Straße hinunter, dem Wagen
entgegen zu eilen und Herrn Turner dort abzulösen.

Der Mond stieg glühend roth über den dunkeln Bergen auf und blickte in das
Thal herab, in welchem die Kluse lag, als der Wagen vor dem Hause anlangte
und Pluto sich ermüdet niederlegte.

»Hier, Mutter, wir haben Alles glücklich hergebracht, es ist Nichts entzwei
gegangen,« rief Arnold seiner Mutter triumphirend zu, als diese aus dem
Hause hervorsprang, um ihre Lieben zu bewillkommnen.

»Und wie schön war die Fahrt, ich sage Dir, Mutter, ganz prächtig,« fiel
Wilhelm ein.

»Und die Freude habt Ihr Carl zu verdanken,« erwiederte Madame Turner.

»O ich habe aber einen noch weit größern Spaß gehabt, weil Onkel so gut
war und mich den Rappen reiten ließ; wie hat der aber laufen müssen!«
unterbrach Carl schnell seine Tante; doch diese fuhr, zu ihren Söhnen
gewandt, fort:

»Nun, bedankt Euch hübsch bei Carl, der Euch so lieb hat,« worauf die
beiden Buben Carl um den Hals fielen, ihn küßten und ihm für die Freude
dankten, die er ihnen bereitet hatte.

»Hast Du uns Fuhrleuten denn aber nun auch etwas Gutes gekocht, Mutter? wir
haben uns tüchtig für Dich abgearbeitet,« nahm jetzt Herr Turner das Wort,
indem er seinen Arm um die Schulter der geliebten Gattin legte und von ihr
den gewohnten Kuß zum Willkommen empfing.

»Ihr sollt zufrieden sein. Julie hat Puffer gebacken, und wenn ich mich
nicht irre, so sind sie ihr gut gerathen,« entgegnete Madame lächelnd.

»So laß uns das Abendbrod im Garten in der Laube verzehren; ich meine
immer, im Freien könnten wir dem gütigen Gott besser für seine Wohlthat
danken, als in dem Zimmer, dort sehen seine Wolken so freundlich auf uns
hernieder, seine Größe und Allmacht tritt uns lebendiger vor die Seele.
Es ist eine so herrliche Nacht, daß es schade wäre, uns in das Zimmer
einzusperren,« entgegnete Turner.

»Sehr gern, es ist mir leichte Mühe, die Speisen hinauszubringen, und dort
werden sie uns noch viel besser schmecken,« antwortete Madame Turner, und
eilte in das Haus, um die nöthigen Anordnungen zu treffen, während ihr
Gatte mit den Knaben die Ladung von dem Wagen hinein beförderte. Carl hatte
Pluto das Geschirr bereits abgenommen, und der Hund folgte ihm nun auf
Schritt und Tritt nach.

Eine halbe Stunde später saß die ganze Familie im Garten in der
Geisblattlaube um den großen steinernen Tisch, auf dem das einfache
Abendbrod aufgetragen war und auf dessen Mitte eine Lampe mit heller
Glaskuppel brannte.

Herr Turner erhob sich zum Dankgebete und die Seinigen folgten seinem
Beispiele. Mit wenigen klaren, aus tiefem Herzen kommenden und zum Herzen
dringenden Worten dankte er Gott für die unendlich vielen Wohlthaten, die
er ihm und seiner Familie hatte angedeihen lassen, und flehte um seinen
ferneren Segen. Mit demüthiger Andacht folgten Mutter und Kinder dem Gebet,
und nach dessen Beendigung wünschten sich Alle gegenseitig guten Appetit.

»Daran wird es uns Allen gottlob nicht fehlen, denn wir haben ja sämmtlich
unsere Schuldigkeit gethan und unsere Herzen drückt keine Schuld und
kein Kummer,« sagte Turner, indem er die Schüssel mit Speisen nahm, sich
derselben bediente, und sie dann weiter reichte.

»Ich hätte Euch nun wohl einen Vorschlag zu machen, das heißt, wenn Ihr
früh aufstehen könntet,« fuhr er nach einer Weile fort. »Wie wäre es, wenn
wir morgen früh auf der Wichtelkuppe die Sonne aufgehen sähen?«

»Ach ja, lieber Vater!« fielen die Kinder jubelnd ein, und auch die Mutter
stimmte freudig dafür.

Die Mahlzeit war bald gehalten und Madame Turner rückte auf der Bank näher
zu ihrem inniggeliebten Gatten, um sich in treuer Liebe an seine Seite zu
schmiegen. Der Mond blickte silberhell in die Laube, der Maiwurm glühte im
Grase und die Nachtigall flötete ihre süßen Lieder im nahen Gesträuche.
Die laue Nachtluft trug den tausendfältigen Duft der Frühlingsflur hin
und wieder, und der nahe Bach rauschte und murmelte in dem Gestein, über
welches seine krystallklaren Wellen spielten.

»Der allmächtige gütige Gott hat uns doch überreich gesegnet, Marie,« sagte
Turner im Gefühle seines großen Glückes zu seiner Gattin, und sah nach
den Kindern hin, die in den krummen Wegen des Gartens spielten und sich
jauchzend und lärmend auf denselben hin- und herjagten. »Sieh unsere Kinder
an, wie sie geistig und körperlich gedeihen, wie sie gut und ehrlich denken
und fühlen, wie jede Unwahrheit, jedes Unrecht ihnen verhaßt ist, und wie
sie kräftig und übermüthig emporwachsen.«

»Gott der Gütige erhalte uns unser Glück, Max, wir sind vor Tausenden von
ihm bevorzugt. Unsere Kinder sind gut, wir haben keine Sorgen, und unsere
Liebe hat uns den Himmel auf Erden gegeben. Mag unsere Bitte um Erhaltung
unseres Glücks dem Allmächtigen nicht unbescheiden klingen; fast ist es zu
groß für diese Welt,« sagte Madame Turner, zum Himmel aufblickend, und
das Mondlicht spiegelte sich in den Freudenthränen, die unter ihren langen
Wimpern glänzten.

Es war schon spät, als die Familie den Garten verließ und sich zu ihrer
Ruhestätte begab, um noch einige Stunden sich in sorglosem glücklichen
Schlafe zu stärken; aber lange vor dem ersten Grauen des Tages schon weckte
Herr Turner die Schläfer, und Alle schossen schnell in die Kleider, um zum
Aufbruch nach der Wichtelkuppe bereit zu sein.

Noch war der Mond nicht versunken und er warf sein Licht über den rohen
Fahrweg, der sich, steil hinansteigend, zwischen den Bergen nach dem
erwählten Ziele der frühen Wanderung hinaufwand. Herr Turner, mit einem
schweren Stocke bewaffnet, schritt mit seiner Gattin voran, dann folgten
ihre drei Kinder, und Carl Scharnhorst beschloß mit Pluto den Zug. Ein
Jedes von ihnen hatte Etwas zu tragen, denn es waren Milch, zwei Bouteillen
Wein und ein tüchtiger Vorrath von frischem Kuchen, so wie einige Gläser
mitgenommen, und Alles war unter die Gesellschaft zum Tragen vertheilt
worden.

»Warum heißt denn der Berg die Wichtelkuppe, Vater?« fragte Arnold.

»Es ist eine alte Sage, die dem Berge diesen Namen gegeben hat. Man
erzählte sich vor langen Jahren, daß in den Kohlenbergwerken am Meißner,
dort drüben an der andern Seite der Werra, gute Geister in der Gestalt von
ganz kleinen Menschen leben sollten, die man Wichtelmänner nannte. Diese
Geister, sagte man, hielten in mondhellen Nächten ihre Zusammenkünfte und
ihre Tänze auf jenem Berge, und darum nannte man ihn die Wichtelkuppe. In
früheren Jahren gab es noch viele sehr unwissende Menschen, die an solche
Geistergeschichten glaubten; heutzutage aber lacht man darüber, da man
weiß, daß es nur _ein_ Geist, _ein_ großer allmächtiger gütiger Geist ist,
der allenthalben unsichtbar gegenwärtig und der uns und diese Erde, so wie
alle die Welten geschaffen hat, die wir am Himmel über uns sehen. Dieser
einzige Geist ist der gütige Gott, den Niemand zu fürchten hat, wenn er
recht thut. Andere Geister giebt es nicht, und wem einmal ein angeblicher
Geist begegnen sollte, der fasse ihn nur gleich beim Kragen, und er wird
sogleich finden, daß er einen Menschen, oder sonst einen Gegenstand vor
sich hat. Nur dumme Furcht, oder ein böses Gewissen können Gespenster
sehen. Nehmt Euch hier in Acht, Ihr Jungen, daß Ihr nicht fallt, es ist
dunkel in diesem Hohlweg, und es liegen viele Steine darin,« sagte Turner,
sich nach den Knaben umsehend. »Wer trägt denn die zweite Flasche Wein?«.

»Ich habe sie, Onkel, ich werde sie nicht zerbrechen,« rief Carl, der etwas
zurückgeblieben war.

Der dunkle Hohlweg war bald durchschritten und eine steinige Höhe erreicht,
von der man auf die Kluse hinabsehen konnte. Hier wurde für einige Minuten
Halt gemacht, weil der Weg bis hierher sehr steil gewesen war. Bald aber
ging es wieder vorwärts, und immer noch gab der Mond Licht genug, um den
Weg erkennen zu können. Ueber eine Stunde lang waren die Wanderer in der
fröhlichsten Laune scherzend und lachend, beinahe fortwährend bergauf
gestiegen, als sie plötzlich die höchste Spitze der Wichtelkuppe erreicht
hatten, und wie von einem Thurme herab in das tiefe Werrathal hinunter
schauten. Der Mond hatte den Saum der Gebirge erreicht und warf seinen
letzten Blick auf den ruhigen Spiegel des Stromes, der sich wie eine
glänzende silberne Schlange durch das tiefe dunkele Thal hinwand. Bald
aber versank die helle Mondscheibe hinter dem Berge, die Nacht breitete ihr
Dunkel über die Erde, und die Sterne blitzten und funkelten lebendiger. Nur
im Osten zeigte der Himmel über den Gebirgssäumen einen bleichen Streif,
der den nahenden Tag verkündete. Von Minute zu Minute wuchs dieser
Lichtschein und seine bleichgelbe Farbe ging in ein zartes Rosenroth über.
Zugleich zitterte die Morgendämmerung über die Berge, und die einzelnen
Basaltkuppen und Waldstriche wurden im Thale sichtbar. Der Himmel färbte
sich immer feuriger, immer prächtiger, bis seine ganze östliche Hälfte mit
einem glühenden Roth bedeckt war.

Turner, dessen Gattin, und um sie herum die Kinder hatten sich auf
Felsstücke niedergesetzt, und hielten erwartungsvoll und von heiligen
Schauern durchbebt, die Blicke auf den Fleck über dem dunkeln Gebirgsrücken
geheftet, von wo aus die Gluth am Himmel aufzusteigen schien. Plötzlich
wurde dort ein glänzender heller Lichtpunkt sichtbar, die goldene Scheibe
der Sonne stieg empor, und ihr Strahlenlicht ergoß sich über die Erde.

»Erkennt die Größe des allmächtigen Gottes in diesem seinen Werke!« sagte
Turner zu den Kindern, indem er die Hand nach dem aufsteigenden Gestirn
erhob. »Wie Alles in der ganzen Schöpfung Gottes Gnade bekundet, so sendet
auch dieses göttliche Werk Leben, Segen und Gedeihen über unsern Erdball.
Seht nur, wie die Natur erwacht und wie Alles neu belebt wird!«

Kein Wölkchen war am Himmel zu erblicken, blau und durchsichtig spannte
er seinen hohen Bogen über die weite, im goldenen Morgenlicht glänzende
Berglandschaft, frisch und erquickend zog die Luft durch das Thal, und
rollte den leichten Nebel, der die Werra wie mit einem weißen Schleier
bedeckte, in kleinem Gewölk nach den Höhen hinauf, und Alles schien für den
ersten Pfingsttag geschmückt.

In die Herzen der Familie Turner war der Festtag schon mit dem Erwachen der
Natur eingezogen, und so wie die Vögel hoch in der Luft und unten im Thale
sich unter fröhlichem Gesange des Morgens erfreuten, so gaben auch
Turners sich der beglückenden Heiterkeit hin, die ihnen von allen Seiten
entgegenlachte. Noch über eine Stunde verweilten sie im Genusse des
herrlichen Morgens auf der luftigen Höhe, ehe sie an den Heimweg dachten.
Als aber Madame Turner daran erinnerte, daß man aufbrechen müsse, um zur
rechten Zeit in der Kirche erscheinen zu können, schlug ihr Gatte vor, auf
dem kürzeren Fußpfad, der an den Werra-Abhängen hinführte, zurückzugehen.
Alle stimmten freudig ein, weil dieser Weg beinahe fortwährend einen
Blick in das tiefe Thal gestattete, und so traten sie dann abermals ihre
Wanderung an. Der Pfad aber war schmal, so daß nur _eine_ Person darauf
Platz hatte, und von Herrn Turner geführt, folgte Einer dem Andern. Oft
blieben sie stehen, um die steilen Felswände zu beiden Seiten des Flusses
zu bewundern, oder den kleinen Fischernachen nachzublicken, die wie
schwarze Punkte auf der Werra hinglitten. Wohl die Hälfte des Heimweges
hatten sie bereits zurückgelegt, als sie auf dem hohen Bergsaum einen
Platz erreichten, wo der Pfad an einer Felswand hinführte, und wo an dessen
anderer Seite der, mit losem Gestein bedeckte Boden sehr steil abschüssig
wurde, und in einer Entfernung von etwa hundert Fuß in einem senkrechten
schwindelnden Abhang nach dem Ufer des Stromes hinuntersank. Herr Turner
blieb stehen und rief den Kindern zu, voran zu gehen, damit er sie im Auge
behalten könne, und als sie bei ihm vorüber kamen, ermahnte er sie zur
Vorsicht auf diesem gefährlichen Wege. Carl Scharnhorst schritt voran,
indem er dem Hund pfiff, der soeben einen Hasen aufgejagt hatte und, ohne
auf den Pfiff zu hören, denselben verfolgte. Hinter Carl ging Julie, dann
kam Arnold, darauf Wilhelm, und Herr Turner, mit seiner Gattin vor sich,
beschloß den Zug. Die schmalste Stelle des Pfades war erreicht, als
plötzlich Pluto, um zu Carl zu gelangen, in vollem Lauf bei Herrn und
Madame Turner vorübersauste, und im Vorbeirennen an Arnold, diesen so
heftig zur Seite stieß, daß der Knabe von dem Pfade herabstürzte und an
dem steilen Berge hinunterrollte. Mit einem Schrei des Entsetzens sahen die
Eltern, wie der Knabe sich vergebens bemühte, seinem Hinabrollen Einhalt zu
thun; es war umsonst, das lose Gestein rollte mit ihm, und schon hatte er
die Hälfte des Abhanges, der zu dem senkrechten Abgrunde führte, erreicht,
als Carl sich pfeilschnell hinter ihm herstürzte, ihn mit seinen Armen
umklammerte, und alle seine Kräfte aufbot, ihn in dem furchtbaren Lauf
aufzuhalten. Umsonst -- Beide rollten weiter dem unvermeidlichen Tode
entgegen. Carl hielt aber seinen Kameraden fest umschlossen, und lenkte nur
mit den Füßen seinen Weg einem einzelnen Baume zu, der am Ende des Abhanges
stand und über die gähnende Tiefe hinabhing. Wie vom Tode erfaßt und in
Verzweiflung erstarrt, sahen die Eltern händeringend den beiden Knaben
nach, wie dieselben dem äußersten Rande des Abgrundes immer näher kamen und
das lose Gestein um sie her ihnen voran in die bodenlose Tiefe rollte. Noch
lagen nur wenige Schritte zwischen den Knaben und dem äußersten Felsrand,
als Carl, seinen Kameraden im Arm, sich mit den letzten Kräften nochmals
dem Baume zustieß, und an dessen Stamm über dem Abgrunde hängen blieb. Mit
einem Arm hielt er den ohnmächtigen Arnold umschlossen, und mit dem andern
stützte er sich an den Baumstamm, der ihn von dem Sturz in die Tiefe
zurückhielt.

»Halt fest, Carl, halt fest, Gott der Allmächtige wird Dir Kräfte
verleihen!« schrie Turner, indem er seine Gattin aus seinen Armen sinken
ließ und seine bebenden Hände den Knaben entgegenstreckte.

»Halt fest, Carl, um Gotteswillen, halt fest, ich hole Hülfe, ich bin bald
zurück!« schrie Turner noch einmal mit verzweifelter, mit rasender Angst,
und stürzte dann in fliegendem Laufe an den Felsen hin, um von der Kluse
her Hülfe zu holen.

[Illustration]

Madame Turner lag händeringend auf ihren Knieen und flehte laut zum Himmel
auf, daß Gott Barmherzigkeit haben und Rettung senden möge, und Julie und
Wilhelm klammerten sich weinend und jammernd an die bebende Mutter und
hielten zitternd ihre Blicke auf die beiden Knaben geheftet. Carl hielt den
geliebten Halbbruder fest an sein Herz gepreßt, und suchte vorsichtig nach
und nach seinen Sitz zu verbessern, um länger darin aushalten zu
können; denn seitwärts von dem Stamme, an dem er saß, blickte er in die
schwindelnde Tiefe hinunter, wo sein Auge keinen Gegenstand mehr erkennen
konnte. Seine Kräfte, die er bei der übernatürlichen Anstrengung während
des Rollens bis an den Baum aufgewandt hatte, kehrten zurück, und er fühlte
sich stark genug, sich hier zu erhalten, bis sein Onkel ihm Hülfe bringen
würde. Alle seine Besorgniß richtete sich jetzt nur noch auf das Erwachen
Arnolds und auf dessen Bewegungen; denn die mindeste Biegung aus dem
Gleichgewicht mußte sie beide in den Abgrund stürzen. Jetzt regte sich
Arnold, er strich sich mit der Hand über das Gesicht, und wollte sich
erheben.

»Rühre Dich nicht, Arnold, oder wir sind Beide verloren, bewege Dich nicht
und sieh Dich nicht um, verlaß Dich auf mich, ich halte Dich!« rief ihm
Carl in die Ohren, und zog seinen Arm fester um ihn.

»Carl, wo sind wir denn?« fragte Arnold jetzt, indem er die Augen aufschlug
und in den Abgrund blickte. »Ach Gott, wir fallen hinunter!« setzte er
halblaut hinzu, und begann am ganzen Körper zu zittern. »Bewege Dich nur
nicht, Arnold, ich halte Dich, der Vater wird gleich zurückkommen und uns
helfen. Schließe die Augen und bleibe ruhig so liegen, ich kann Dich so
ganz gut halten und wenn es noch so lange dauern sollte!«

Von drehendem Schwindel ergriffen, schloß Arnold bebend und zitternd
die Augen, und klammerte sich krampfhaft an Carl fest, der jetzt selbst
vermied, seitwärts in die Tiefe zu schauen, da er fühlte, wie ihn dabei
eine unüberwindliche Machtlosigkeit durchrieselte. Er hielt seinen Blick
hinauf nach der jammernden Mutter Arnolds gerichtet, und wandte sich mit
seiner Seele vertrauungsvoll zu Gott, der ihm ja beigestanden hatte, den
Baum zu erreichen.

Unbeweglich saß er über der bodenlosen Tiefe, doch konnte er sich des
Gefühls nicht erwehren, daß der Baum seinem Druck nachgeben, und mit ihm
und Arnold hinunterstürzen würde. Mit krampfhafter Spannung horchte er
auf jeden Ton, um die nahenden, Rettung bringenden Fußtritte Turners zu
erkennen; eine Ewigkeit schien an ihm vorüberzuziehen, er fühlte, wie seine
Füße in der gezwungenen Lage erstarrten, und doch durfte er diese nicht
wechseln, wollte er nicht das Gleichgewicht verlieren. Ueber eine halbe
Stunde war schon verstrichen und noch war keine Hülfe erschienen. »Liege
ganz ruhig, Arnold,« sagte Carl jetzt zu diesem mit entschlossener Stimme,
»ich muß meinen Fuß unter Dir hervorziehen, ich kann es unmöglich länger
in dieser Lage aushalten.« Dabei befreite er seinen linken Arm von seinem
Halbbruder, faßte mit beiden Händen den Stamm hinter sich, und hob sich
vorsichtig mit aller Kraft langsam etwas empor, indem er seinen Fuß unter
Arnold herauszog und über den Abhang hinunterhängen ließ.

»So, Gottlob, nun ist es gut, nun kann ich es wieder aushalten!« sagte er,
und legte seinen Arm abermals um Arnold. Da schallte die Stimme Turners von
weit her durch die Berge, als fordere sie Carl zur letzten Kraftanstrengung
auf.

»Der Vater kommt,« sagte dieser zu dem bebenden Gefährten, »nun werden wir
gerettet. Rühre Dich nur nicht, Arnold!«

Wenige Minuten später erschien Turner auch wirklich auf dem Pfade, und
stürmte mit einer Steinhacke auf der Schulter zu dem verhängnißvollen
Platze heran. Er kam aber nicht allein, sämmtliche Knechte waren ihm von
der Kluse hierher gefolgt, und trugen schwere Taue herbei, die zur Rettung
der Knaben gebraucht werden sollten. In aller Eile wurden diese einzelnen
sehr langen Stricke aneinander gebunden, Turner ließ sich das eine Ende um
die Brust befestigen, und stieg nun, mit der Steinhacke in der Hand, an dem
Abhang hinunter, indem die Knechte auf der Höhe zurückblieben und das Seil
hielten. Sie ließen dasselbe nur langsam nachfolgen, während Turner auf
seinem abschüssigen Wege mit der Hacke Stufen in das lose Gestein hieb und
eine Art von Treppe erzeugte, die ihm den Rückweg nach der Höhe erleichtern
sollte. Dabei redete er mit erzwungen ruhiger Stimme, bald zu Carl, bald zu
Arnold, ermahnte sie, nur still und unbeweglich zu sitzen, und nicht in die
Tiefe zu blicken. Schritt für Schritt stieg er weiter hinab, während das
Gestein, welches er vor sich loshieb, über den Abhang hinunter rollte, und
so erreichte er endlich schweißtriefend und erschöpft die beiden Knaben.

»Der Allmächtige sei gelobt und gepriesen!« rief er in höchster Seligkeit
mit bebender Stimme aus, als er Arnold mit beiden Händen krampfhaft
erfaßte, ihn Carl aus den Armen nahm und ihn auf die nächste Stufe über
sich hob.

»Sitze ruhig, Carl, bester Carl, gleich kehre ich zu Dir zurück; rühre Dich
nicht,« sagte er zu diesem, und ließ Arnold nun die steile Höhe vor sich
erklimmen, wobei er ihn von Stufe zu Stufe hob, und die Diener auf der Höhe
das Tau wieder an sich ziehen mußten. In ihren zitternden Armen empfing die
Mutter ihr Kind an ihrem Herzen, und Turner eilte, ohne einen Augenblick zu
verlieren, abermals auf den Stufen hinab, um nun auch Carl dem furchtbaren
Abgrunde zu entreißen.

»Mein Carl, Du Retter meines Lebensglücks, komm an mein Herz, an das Herz
Deines dankbaren zweiten Vaters!« rief der überglückliche Mann, indem er
den Knaben von dem Baume wegzog und ihn vor sich auf die Stufe hob.

Bald hatten sie die Höhe erstiegen und Madame Turner zog den Knaben mit
freudigem Beben von der letzten Stufe zu sich herauf.

»Carl, mein geliebter Carl, Du Retter meines Kindes, wie soll ich es Dir
im Leben danken!« stammelte sie in ihrem Glück, indem sie Carl mit ihren
Liebkosungen überhäufte. Von ihr aber ging er aus einer Umarmung in die
andere, bis Turner auf seine Kniee sank, um dem Allmächtigen für die Gnade,
für die Barmherzigkeit zu danken, die er ihm in so wunderbarer Weise hatte
angedeihen lassen. Alle Gegenwärtigen wandten, tief ergriffen, ihre Herzen
zu Gott und stimmten in das laute Dankgebet Turners mit ein. Dann aber
eilten sie von dem Schreckensplatze hinweg, ohne sich nochmals nach dem
Abgrunde umzusehen.

Als Turners nach der Kluse zurückkamen, war es zu spät geworden, um noch
in die Kirche zu gehen, aber in dem Tischgebete sandten sie nochmals ihren
herzinnigen, heißen Dank für die wunderbare Rettung der beiden Knaben zum
Himmel auf. Die Liebe, welcher sich Carl Scharnhorst bisher in der Familie
Turner zu erfreuen gehabt hatte, war eine noch viel innigere geworden, sie
hatte in der Dankbarkeit noch eine neue Grundlage gefunden, und die Eltern
sowohl, wie die Kinder fühlten sich mit unlöslichen Herzensbanden an den
braven Knaben gefesselt. Aber noch ein anderes Gefühl war in ihnen für Carl
erwacht, welches seine aufopfernde Anhänglichkeit, seine Unerschrockenheit,
seine Entschlossenheit hervorgerufen hatte; es war das Gefühl der Achtung.
Während man bisher nur den liebevollen, treuherzigen, dankbaren Knaben
in ihm gesehen, erkannte man jetzt in ihm ein Glied der Familie, dessen
Persönlichkeit noch eine andere Bedeutung hatte, als die eines geliebten
Kindes.

Von dem Augenblick an, wo der erste Freudenrausch über die Rettung Arnolds
verwogt war, behandelte Turner sowohl, wie seine Gattin, Carl Scharnhorst
unwillkürlich anders, als früher: in Wort und Handlung gebrauchten sie,
ohne es zu wollen, mehr die Rücksichten, die man einem Freunde zollt, als
die, welche man dem Pflegekinde angedeihen läßt; er war mit einem Worte in
ihrem Gefühle plötzlich nicht mehr der Knabe, sondern der befreundete, edle
Jüngling, wenn auch seine ganze Erscheinung noch die des Kindes war. Auch
die Dienerschaft, die Knechte und Mägde aus der Kluse, begegneten ihm mit
einer Ehrerbietung, mit einer Achtung, die man einem Knaben sonst nicht
zollt, und wo er sich sehen ließ, kam man ihm mit ehrender Auszeichnung
entgegen und pries und rühmte seine edle That. Carl sah nichts weiter in
der Aufmerksamkeit, als die Freude über die Rettung Arnolds, an der er ja
selbst von ganzem Herzen Theil nahm; doch kam es ihm gar nicht dabei in
den Sinn, daß er etwas so Ungewöhnliches gethan habe. Er glaubte, nur so
gehandelt zu haben, wie es jeder Mensch zu thun verpflichtet sei und wie er
selbst gar nicht anders gekonnt hätte.

Am folgenden Morgen rüstete man sich auf der Kluse zeitig, um sich nach
dem Städtchen zur Kirche zu begeben. Der leichte, mit drei Sitzen versehene
Korbwagen hielt vor der Hausthür, so wie auch der gesattelte Rappe, den
Herr Turner bei solchen Gelegenheiten stets zu reiten pflegte. Madame
Turner trat mit ihren Kindern und mit Carl aus dem Hause, um den Wagen zu
besteigen, als Herr Turner, der bei dem Rappen stand, Carl zu sich winkte
und sagte:

»Carl, Du sollst heute den Rappen reiten, und ich will statt Deiner fahren;
ich weiß, es macht Dir Freude, und bei der ersten Gelegenheit, die sich nur
bietet, werde ich Dir ein Pferd kaufen, welches ganz Dein Eigenthum sein
soll. Komm, ich habe die Bügel schon für Dich verkürzt.«

Carls Blick strahlte vor Wonne; denn wenn er auch schon oft den Rappen in
der Nähe der Kluse geritten hatte, so war er doch niemals zu Pferde in der
Stadt erschienen, und dies zu thun, machte ihm eine besonders große Freude.

»Aber, bester Onkel, reitest Du nicht lieber, als Du Dich in den Wagen
setzest? Du zogest es sonst doch immer vor,« sagte Carl bescheiden und
zögernd.

»Nein, nein, heute fahre ich lieber; steige nur auf. Wenn Du in die
Stadt kommst, so reite nach dem Gasthofe und lasse das Pferd in den Stall
bringen, der Stallbursch weiß schon, was er für dasselbe zu thun hat. Sage
ihm nur, daß Du nach der Kirche wiederkommen würdest, um nach Hause zu
reiten.«

Bei diesen Worten gab Turner die Zügel an Carl, dieser schwang sich mit
hochschlagendem Herzen in den Sattel, winkte Allen noch einen Gruß zu, und
trabte in höchster Lust davon, während Turner sich zu seiner Gattin und
seinen Kindern in den Wagen setzte. Der Weg war bald zurückgelegt, und als
in der Nähe der Kirche der Wagen anhielt und Turners ausstiegen, kamen von
allen Seiten Freunde und Bekannte herbeigeeilt, um ihnen ihre Glückwünsche
zu der wunderbaren Rettung des Knaben darzubringen; denn die Nachricht
davon hatte sich bereits durch das Städtchen verbreitet. Es war noch nicht
volle Zeit, sich in das Gotteshaus zu begeben, und der mit hohen Linden
umstandene Platz vor demselben füllte sich immer mehr mit Kirchgängern, als
Carl dort erschien und sich nach den Seinigen umschaute. Während er durch
die Menge hinschritt, wurde er von allen Seiten angehalten. Jedermann
wollte dem braven Knaben die Hand reichen und ihn begrüßen, und unter
warmen Liebesbezeugungen und lauter Anerkennung seiner edlen hochherzigen
That gelangte er zu Turners. Hier waren nun viele von deren näheren
Freunden versammelt, und abermals wurde Carl reiches Lob gespendet. Diese
Liebe, diese Beweise von Zuneigung erfüllten sein junges Herz mit Freude,
doch blieb er weit davon entfernt, sich etwas auf seine That einzubilden,
da er nicht anders wußte, als daß Jedermann ebenso handeln müsse, wie er es
gethan hatte.

Nach beendigtem Gottesdienste begleiteten viele Bekannte Turners diese nach
dem Wagen, welcher im Schatten der alten Lindenbäume gehalten hatte, und
eine große Anzahl der Freunde kündigten ihren Besuch auf der Kluse für den
Nachmittag an. Auf halbem Heimwege holte Carl die Seinigen wieder ein, und
blieb nun in der Nähe des Fuhrwerks, indem er bald im Schritt zurückblieb,
und bald wieder im Trabe oder im Galopp bei ihm vorübereilte. Wohlbehalten
und in der glücklich heitern Stimmung, wie sie das Herz des Menschen nach
Beseitigung einer großen Gefahr noch lange Zeit erfüllt, langte die Familie
zu Hause an; es wurde schnell zu Mittag gespeist, und dann begab sich
Madame Turner mit Julie in die Vorrathskammern und in die Küche, um die
nöthigen Vorbereitungen zur Bewirthung der zu erwartenden lieben Gäste zu
treffen.

Gastfreundschaft und Freigebigkeit hatten von jeher auf der Kluse
geherrscht, und auch die gegenwärtigen Bewohner derselben waren weit und
breit dafür bekannt, daß Freunde ihnen jederzeit willkommen waren. Arme
Leute fanden dort immer Arbeit, und oftmals gab Turner ihnen Beschäftigung,
wenn ihr Dienst ihm auch in keiner Weise einen Vortheil bot, und Kranke und
Altersschwache meldeten sich niemals in diesem Hause, ohne Unterstützung,
Pflege und Trost zu erhalten. Der Freunde aber, welche von Turners
Gastfreundschaft Gebrauch machten, waren unzählige; es verging fast kein
Tag, wo nicht einige derselben sich auf der Kluse einfanden, und selten
waren die Mittagstafeln, der Kaffeetisch oder die Abendmahlzeit ohne
Gäste. Madame Turner machte ihretwegen durchaus keine Aenderungen in den
häuslichen Einrichtungen, sie wurden herzlich willkommen geheißen und
mußten mit dem vorlieb nehmen, was die Hausordnung mit sich brachte. Alles
aber, was man ihnen reichte, wurde freudig gegeben und war gut, ja, man
sagte allgemein, besser als irgendwo anders. Der Spaziergang von dem
Städtchen nach der Kluse war ein nicht gar weiter, der Weg trocken und
eben und die Gegend malerisch schön. Das Gut selbst lag reizend, hatte eine
zauberisch liebliche, von fernen blauen Gebirgen begrenzte Aussicht in das
Werrathal, und seine Gärten waren wegen ihrem Blumenflor sowohl, als wegen
ihres herrlichen Obstes berühmt.

Heute, am zweiten Pfingsttage, wurde nun allerdings der Kaffeetisch, der
in der Laube des Gartens gedeckt war, mit größerer Sorgfalt besetzt, als
gewöhnlich: das gute Porzellan- und Silbergeschirr war aufgetragen, und ein
reichlicher Vorrath von verschiedenen Festkuchen erhob sich auf der Mitte
des Tisches. Madame Turner selbst erschien in einem schwarzen seidenen
Gewande, trug aber zum Schutze für dasselbe eine blendend weiße Schürze
darüber, und Julie, die der Mutter beim Anordnen des Tisches zur Hand ging,
war weiß gekleidet, und glich mit dem blaßrothen seidenen Bande, welches
sie umgab, den zarten Blüthen, womit der Frühling die Bäume des Gartens
geschmückt hatte.

Die Gäste stellten sich bald in großer Zahl ein, sie wurden herzlich und
freudig bewillkommnet, es wurde Alles aufgeboten, ihnen den Aufenthalt
angenehm zu machen, ihre Erwartungen und Wünsche auf das vollkommenste zu
befriedigen, und der allgemeine Frohsinn, die unbegrenzte Heiterkeit, unter
welchen der Nachmittag hingebracht wurde, zeigten deutlich, wie sehr das
Bestreben Turners sein Ziel erreicht hatte.

Der Tag neigte sich, die Sonne versank, und der Abendstern begann zu
funkeln. Es war ein zauberisch schöner milder Abend, die Bewegung der Luft
hatte nicht Macht genug, die fallenden schneeigen Blüthen der Bäume mit
sich fortzutragen, nur den Duft derselben nahm sie mit sich und mischte
ihn mit dem der Wälder, der Wiesen und der Felder. Von allen Seiten des
Berggartens her ertönte der schmelzende melodische Gesang der Nachtigallen,
als wetteiferten sie, der Familie Turner und deren Gästen ihre schönsten
Lieder darzubringen, als forderten sie dieselben auf, näher zu ihren
dunkeln Verstecken heranzutreten. Die ganze Gesellschaft erhob sich, um
sich in der erfrischenden Abendluft zu ergehen und den höher gelegenen
Theil des Gartens zu besuchen, von wo sie die Aussicht auf das Thal noch
freier und ungehinderter genießen konnte. Noch hatten sie die Höhe nicht
erreicht, als der Mond glänzend am Himmel aufstieg und sein mildes helles
Licht über die Erde breitete.

Madame Turner und Julie stahlen sich aber dort von der Gesellschaft hinweg,
um ein einfaches Abendbrod für dieselbe zu bereiten, und als nach einer
halben Stunde Herr Turner mit den Gästen nach der Laube zurückkehrte, war
der Tisch bereits gedeckt. Der Mond stand schon hoch am Himmel, als die
Gäste den Heimweg antraten und ihren freundlichen Wirthen einen neuen
Beitrag zu dem Glauben hinterließen, daß sie mehr aufrichtige wahre Freunde
besäßen, als andere Menschen.

Der folgende Tag war für die Arbeiter noch ein Festtag, Herr Turner war
aber seiner Gewohnheit nach schon am frühen Morgen davongeritten, um die
Felder und Wiesen in Augenschein zu nehmen. Auch Madame Turner hatte sich,
wie an Werktagen, vor Aufgang der Sonne in ihrer Wirthschaft eingefunden,
um mit Julie beim Melken, beim Buttern und beim Bereiten des Frühstücks
zugegen zu sein. Die Knaben waren, weil sie heute die Schule noch nicht
zu besuchen brauchten, frühzeitig nach dem Flusse gegangen und hatten eine
tüchtige Tracht Fische gefangen, wozu Carl die Angeln angefertigt hatte. Im
Triumph trugen sie die reiche Beute in die Küche, damit Madame Turner die
kleineren Fische noch zum Frühstück in der Pfanne backen möge, während die
größeren für das Mittagsessen aufgehoben werden sollten. Dann nahm Carl
seine beiden Halbbrüder mit sich hinaus, um Herrn Turner entgegen zu gehen,
da sie genau den Weg kannten, auf welchem derselbe zurückzukehren pflegte.
Pluto natürlich mußte sie begleiten, und jubelnd sausten sie durch
das bethaute Gras der nahen Wiese, um an deren anderen Seite den Pfad
einzuschlagen, der zwischen den Feldern hinführte. Kaum hatten sie
denselben aber erreicht, als Herr Turner schon herangetrabt kam und die
junge Gesellschaft nach dem Hause zurückführte.

Bald darauf trat Julie in ihres Vaters Zimmer, um ihn zum Frühstückstisch
zu rufen, bei welchem sich die Familie schnell sammelte; denn Alle waren
schon seit mehren Stunden thätig gewesen, und erfreuten sich eines gesunden
Appetits. Als nach dem üblichen Tischgebet der Teller mit rohem Schinken
und das Brod und die Butter herumgereicht wurden, und Julie den Kaffee und
die frische Milch darbot, nahm Herr Turner das Wort, und rühmte den Segen,
der weit und breit auf den Fluren ausgebreitet läge.

»Alles steht ungewöhnlich gut und im Ueberfluß, und wenn der Himmel uns
ferner gnädig ist, so machen wir eine außerordentlich reiche Ernte. Die
Kluse ist und bleibt doch eine Goldgrube, und --«

In diesem Augenblick trat das Hausmädchen mit einem Briefe in der Hand
in das Zimmer, und meldete, daß ein Bote der adeligen Herrschaft, deren
Eigenthum die Kluse war, das Schreiben abgegeben habe.

»Sage ihm, er solle warten, vielleicht bekommt er Antwort mit,« rief Turner
dem Mädchen zu, indem er aufstand und den Brief erbrach.

»Er ist schon fort, und sagte, daß er nicht auf Antwort zu warten brauche,«
entgegnete die Dienerin und verließ das Zimmer, während Turner mit den
Worten: »was mögen die wollen?« nach dem Fenster trat und das Papier
entfaltete.

Madame Turner war unwillkürlich mit dem Blick ihrem Gatten gefolgt;
dieser wurde plötzlich bleich, das Papier bebte in seiner Hand, er las das
Schreiben noch einmal durch, und faltete es dann schnell zusammen, um es
in der Rocktasche zu verbergen. Da begegneten seine Augen dem ängstlich
fragenden Blick seiner Gattin.

Er sagte nichts, und Madame Turner fragte nicht; es war aber ein Schweigen,
wie wenn ein Gespenst in die Stube getreten wäre und hätte ihnen die Worte
auf den Lippen erstarrt. Turner legte seine Serviette neben seinem Teller
nieder und verließ das Zimmer.

Carl war aufgesprungen und wollte seinem Onkel nacheilen, doch Madame
Turner hielt ihn mit den Worten zurück: »geh mit Arnold und Wilhelm in den
Garten, bist auch ein guter Carl. Der Vater hat jetzt Geschäfte.«

Dann sandte sie Julie mit dem Tischgeräth fort und blieb allein in dem
Zimmer zurück.

Mit angsterfüllter Brust stand sie einige Augenblicke, unschlüssig, was sie
thun solle. Es war etwas Ernstes, etwas Schreckliches geschehen, das hatte
ihr der Blick ihres Gatten gesagt -- was aber konnte es sein -- was in
der Welt gab es, dessen Verlust einen solchen erschütternden Eindruck auf
Turner machen konnte? Sie mußte es wissen -- sie mußte das Unglück mit dem
Gatten tragen, wie sie das viele Glück mit ihm getheilt hatte!

Schnell glitt sie aus der Stube durch den langen Corridor nach dem Zimmer
ihres Gemahls und öffnete leise die Thür.

Turner saß in dem Lehnstuhl, seine Arme stützten sich auf seine Kniee, sein
Kopf war auf seine Hand gesunken, und der Schreckensbrief lag vor ihm auf
dem Fußboden. Er hatte es nicht gehört, als seine Gattin in das Zimmer
und zu ihm an den Stuhl trat. Sanft neigte sich diese zu ihm nieder, legte
leise ihren Arm um seine Schultern und weckte ihn aus seiner
Erstarrung. Einen Augenblick sah er der geliebten Lebensgefährtin in die
thränenschweren Augen und sagte dann mit dumpfer Stimme: »ja, ja, Marie,
das Glück ist auch bei uns wandelbar geworden; wir müssen in diesem Herbst
die Kluse verlassen!«

»Großer Gott! und warum denn?« fragte Madame Turner mit bebender Stimme und
drückte ihre gefalteten Hände gegen die Brust.

»Der zweite Sohn unserer Gutsherrschaft soll die Kluse als Erbtheil
erhalten, und will sie selbst bewirthschaften. Er ist verlobt, wird im
Herbst heirathen, und dann hierher ziehen. Unsere Pacht läuft um diese Zeit
ab, und die Bedingungen in dem Pachtbriefe sind der Art, daß wir nichts
gegen diesen harten Beschluß einwenden können.«

»Die Leute werden doch unmöglich so an uns handeln, sie können uns nicht so
ohne Weiteres davonjagen, ehe wir eine andere Pachtung haben,« sagte Madame
Turner, nach Trost haschend.

»Sie können es, Marie, und sie wollen es.«

»Es wäre ja eine unerhörte Rücksichtslosigkeit, eine Grausamkeit sonder
Gleichen. Das Gut ist schon über hundert Jahre in den Händen Deiner Familie
gewesen, Du hast mit Freuden die verlangte höhere Pacht bezahlt und Alles
in so guten Stand gesetzt, wie es niemals früher gewesen ist -- es wäre
unerhört, ja sündlich, so gegen uns zu verfahren!« fuhr Madame Turner
fort, und suchte gefaßt zu erscheinen, während die Thränen über ihre Wangen
rollten.

»Und doch wird es geschehen,« entgegnete Turner; »sie schreiben, daß eine
Aenderung in dem Beschlusse unmöglich sei. Wir kommen in eine verzweifelte
Lage. Großes Vermögen besitzen wir nicht, wenn wir unser Inventar verkaufen
müssen, werden wir bedeutend dabei verlieren, und dann, wo wollen wir so
schnell wieder eine Pachtung finden? Eine zweite Kluse giebt es für uns
nicht; _der_ Goldbaum hat uns seine letzten Früchte getragen; das Glück
will uns verlassen, Marie!«

»Gott hat uns ja noch nie verlassen, Max, und er wird es auch jetzt nicht
thun! Auf einem andern Gute können wir ebenso glücklich sein, wenn wir uns
auch etwas mehr einschränken müssen,« entgegnete Madame Turner, indem sie
unbemerkt sich die Thränen von den Augen wischte.

»Ein anderes Gut, das ist leicht gesagt; wenn uns aber die Mittel nun nicht
ausreichen sollten!« erwiederte Turner vor sich hinblickend.

»Turner -- wir haben viele reiche und gute Freunde,« nahm die Frau wieder
das Wort, indem sie die Hand ihres Gatten ergriff und ihm, wie mit einem
Trost in die Augen sah.

»Du hast Recht, Marie,« sagte Turner nach kurzem Schweigen, »ich habe nicht
an sie gedacht; sie werden, wenn es nöthig sein sollte, uns gern helfen,
da sie wissen, daß sie es mit rechtlichen Leuten zu thun haben. Ich will
übrigens gleich nach Tisch zu meiner Gutsherrschaft reiten, und sie zu
bereden suchen, daß sie mir die Kluse wenigstens noch auf ein Jahr in Pacht
läßt. Dann kann ich mich nach einem anderen Gute umsehen und Vorbereitungen
zu unserem Umzuge treffen. Die Leute werden ja billig sein.«

Mit diesen Worten ergriff Turner, leichter aufathmend, den Brief und legte
ihn auf den Tisch, während seine Gattin ihren Arm in den seinigen schlang
und nun mit ihm im Zimmer auf und nieder schritt.

»Ich habe seit vergangenem Jahre wiederholt auf Erneuerung meines
Pachtcontracts gedrungen, es wurde aber immer hinausgeschoben und ich hielt
es wahrlich kaum noch für nöthig, einen Contract mit den Leuten zu machen,
weil die Kluse ja die langen Jahre in meiner Familie geblieben ist. Wer
hätte so etwas denken können!« sagte Turner im Auf- und Niedergehen.

»Die Kluse können uns die Menschen nehmen, unser Glück aber nicht, Max, wir
nehmen es mit uns, wohin wir auch ziehen, wenn Gott nur uns Allen unsere
Gesundheit erhält. An Arbeit sind wir gewöhnt und thun sie gern. Sprich
einmal mit den Leuten, und versuche es, sie zur Billigkeit zu stimmen.
Uebrigens ist die Kluse ja nicht das einzige Gut in der Welt, wenn wir
auch unser liebes Werrathal lange Zeit vermissen werden,« versetzte Madame
Turner, und die Herzen der zum ersten Male in ihrem Leben vom Unglück
Bedrängten erleichterten sich nach und nach durch die tröstenden Worte, die
sie mit einander wechselten.

Madame Turner verließ ihren Gatten in einer viel gefaßteren Stimmung, als
der, in welcher sie zu ihm gekommen war. Auch die erschreckten Gemüther der
Kinder beruhigten sich, als die Eltern, wenn auch ernster, als sonst, doch
weniger bekümmert beim Mittagsessen erschienen, welches heute sehr zeitig
eingenommen wurde. Gleich nach Tisch reichte Madame Turner ihrem Gatten
den Kaffee, Julie brachte die Wachskerze zum Anzünden der Cigarre, und Carl
Scharnhorst führte den Rappen vor das Haus. Herr Turner ließ nicht lange
auf sich warten, schwang sich in den Sattel und reichte seiner Frau zum
Abschied die Hand mit den Worten: »Gott wird uns helfen!«

»Gewiß wird er es thun,« entgegnete Madame Turner mit vollster Zuversicht,
und winkte ihrem Gatten noch einen Gruß nach.

Der Ritt war vergebens; denn Turner brachte bei seiner Rückkehr die
Nachricht mit, daß alle seine Bitten, seine Vorstellungen umsonst gewesen
seien, und daß die Gutsherrschaft unabänderlich auf seinen Abzug von der
Kluse im kommenden Herbst bestehe.

Die Kunde von diesem Beschluß verbreitete sich bald in dem Städtchen, und
mit ihr wurden vielerlei Vermuthungen über die eigentliche Ursache der
Kündigung Seitens der Gutsherrschaft laut. Namentlich sagte man sich im
Vertrauen, daß es mit den Vermögensverhältnissen Turners sehr schlecht
stehe. Obgleich aber diese Gerüchte von Mund zu Mund gingen, so waren sie
doch nicht bis auf die Kluse gedrungen, und beinahe eine Woche verstrich,
ohne daß Turners etwas Anderes aus dem Städtchen erfuhren, als was die
Knaben, wenn sie Abends aus der Schule kamen, ihnen erzählten.

»Unbegreiflich ist es mir, daß sich noch keiner unserer Freunde hier hat
blicken lassen,« sagte Turner eines Abends, als er mit seiner Familie nach
dem Abendessen in traulichem Kreise im Garten saß. »Ich will morgen doch
einmal in die Stadt reiten und hören, was unsere Bekannten sagen. Sie
werden sicher den innigsten Antheil an unserem Geschick nehmen. Vielleicht
weiß auch der Eine, oder der Andere von einem Gute, welches pachtlos wird;
jedenfalls ist mir der Rath eines Freundes willkommen.«

Am folgenden Tage gleich nach dem Mittagsessen bestieg Turner sein Pferd,
um nach der Stadt zu reiten, und Madame Turner rief ihm beim Abschied nach:
»grüße nur Alle recht herzlich von mir.«

Von dem Gasthause aus, wo Turner sein Pferd abgab, leitete er seine
Schritte zuerst zu der Wohnung des Kreisraths, und erkundigte sich dort in
der Hausflur, ob derselbe zu sprechen sei.

»Ja wohl, Herr Turner, der Herr ist in seinem Arbeitszimmer, er wird sich
freuen, Sie zu sehen,« entgegnete ihm die Magd mit einem freundlichen Gruß
und öffnete eine Thür, indem sie den Herrn Turner anmeldete.

Der Kreisrath, den Turner als einen seiner wärmsten Freunde betrachtete,
empfing ihn mit großer Höflichkeit, doch nannte er ihn nicht, wie früher,
»mein verehrter Freund,« sondern nur Herr Turner. Er führte ihn durch
das Zimmer nach einer Thür, indem er sagte: »meine Damen werden sich sehr
freuen, Sie zu sehen.«

Turner aber hielt ihn mit den Worten zurück: »ich möchte Sie gern einige
Augenblicke allein sprechen, denn es ist eine wichtige Angelegenheit, in
der ich mir Ihren Rath erbitten wollte.«

»Gern, gern, mit Freuden stehe ich zu Ihren Diensten; wahrscheinlich einer
Klage wegen. Haben Sie einen schlechten Schuldner, sind Sie schon, oder
_sollen_ Sie noch betrogen werden? Auf meine Hülfe können Sie rechnen.
Sagen Sie mir gefälligst nur, was ich für Sie thun kann?« erwiederte der
Kreisrath, indem er Turner nach dem Sopha führte und neben ihm Platz nahm.

»Sie haben oft mein Glück hoch gepriesen, Herr Kreisrath, es will mir
untreu werden,« begann Turner nach einer kurzen Pause.

»Wie so? Sie erschrecken mich!« sagte der Kreisrath mit erzwungenem
Ausdruck der Ueberraschung, um Turner nicht zu verrathen, daß ihm dessen
Mißgeschick bereits bekannt sei.

»Denken Sie sich, die Pacht ist mir gekündigt, ich muß im Herbst die Kluse
verlassen,« fuhr Turner mit beklommener Stimme fort.

»Es ist wohl nicht möglich! Was ist denn der Grund?«

»Der zweite Sohn meiner Gutsherrschaft hat die Besitzung als Erbtheil
erhalten, und will sie selbst bewirthschaften.«

»Das ist ja schrecklich -- will man Ihnen denn keine Zeit geben, sich nach
einer anderen Pachtung umzusehen? Das geht doch nicht so Hals über Kopf, da
hat das Gesetz auch noch ein Wort mitzusprechen; haben Sie Ihren Pachtbrief
bei sich?«

»Derselbe hätte schon im vorigen Jahre erneuert werden müssen, und ich
habe wiederholt darauf gedrungen, man verschob es aber von einem Monat zum
andern, und so ist es denn bis auf den heutigen Tag unterblieben. Die Pacht
läuft in diesem Herbste ab, und ich habe nach den Bestimmungen in dem alten
Contract gesetzlich kein Recht zu einer Beschwerde. Nennen Sie es
nicht Nachlässigkeit, wenn ich nicht ernster auf zeitige Erneuerung des
Pachtbriefes drang. Das Gut war seit so langen Jahren in den Händen meiner
Familie, daß ich den schriftlichen Contract nur als eine Form betrachtete,
der zu irgend einer Zeit nachgekommen werden konnte. Wie hätte ich
denken können, daß die Verzögerung Seitens meiner Gutsherrschaft eine
beabsichtigte gewesen wäre?« sagte Turner mit einem schweren Athemzug.

»Ja, ja, verehrter Herr Turner, nehmen Sie es mir nicht übel, aber
allermindestens trifft Sie doch der Vorwurf leichtsinnigen Vertrauens in
die Rechtlichkeit anderer Leute; solchem blinden Vertrauen darf man sich
heutzutage nicht mehr hingeben; wo es sich um Mein und Dein handelt, da
halte ich einen Jeden im Voraus für einen Spitzbuben, dann weiß ich, daß
ich nicht hintergangen werde,« entgegnete der Kreisrath mit entschiedener
Betonung.

»Dazu würde ich mich nie überreden können, Herr Kreisrath, und ich für
meine Person ziehe es vor, gelegentlich betrogen zu werden, ehe ich den
Glauben an Rechtlichkeit unter meinen Nebenmenschen aufgeben und in ihnen
nur Spitzbuben sehen sollte. Ich habe gottlob noch die Ueberzeugung, viele
ehrliche Freunde zu besitzen, die mich auch, selbst wenn es sich um Mein
und Dein handelt, nicht für einen Schurken halten,« sagte Turner mit mehr
als ihm gewohnter Heftigkeit.

»Ganz recht, da bin ich vollkommen Ihrer Ansicht, aber Freundschaft und
Geschäft sind zwei ganz verschiedene Dinge; wo das persönliche Interesse
redet, da muß die Freundschaft aufhören. Nun sagen Sie mir, soll ich
vielleicht einmal mit Ihrem Gutsherrn reden und ihm ins Gewissen greifen?
Ich scheue keine Mühe, wenn ich Etwas für Sie thun kann, und mein Rath
steht Ihnen jederzeit zu Dienste.«

»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Bereitwilligkeit, mir zu helfen, muß aber
darauf verzichten, da ich diesen Versuch bereits selbst vergebens gemacht
habe. Man will von einer Aenderung in dem Beschluß Nichts hören,« versetzte
Turner, kalt berührt von den Grundsätzen des Mannes, den er immer für einen
warmfühlenden Freund gehalten hatte. Die Unterhaltung wurde wortkarger und
gezwungener, und Turner erhob sich bald darauf, um sich zu entfernen. Der
Kreisrath nöthigte ihn auch nicht, länger zu verweilen und sagte, indem er
ihn bis an die Thür begleitete, mit einer höflichen Verbeugung: »mein Rath
steht Ihnen jederzeit zu Gebote, Herr Turner.«

Dieser erwiederte die Zusicherung mit einer stummen Verneigung, und eilte
zusammengepreßten Herzens in die Straße hinaus.

Der Kreisrath war gerade derjenige unter seinen Freunden gewesen, von dem
er die wärmste Theilnahme an seinem Schicksal erwartet hatte, und welche
Gefühle, welche Grundsätze hatte dieser Mann jetzt gegen ihn ausgesprochen!

Unentschlossen, ob er geraden Wegs wieder zu seinem Pferde zurückkehren und
nach Hause reiten, oder ob er noch andere seiner Freunde aufsuchen sollte,
schritt Turner, in düstere Gedanken versunken, langsam in der Straße hin.
Das Gefühl drängte sich ihm unwiderstehlich auf, daß er überall dieselbe
herbe Erfahrung machen würde, wie bei dem Kreisrath, wenn auch sein Herz
sich dagegen sträubte und an dem Glauben an wirklich wahre Freundschaft
festhielt. An der Ecke, wo die Straßen sich theilten, blieb er einen
Augenblick zögernd stehen, dann schritt er aber schnell nach dem Gasthause
hin, entschlossen, es abzuwarten, welche Theilnahme ihm seine anderen
Freunde, ohne von ihm dazu aufgefordert zu sein, zeigen würden; denn die
Kunde von seinem Mißgeschick mußte sich bereits in dem Städtchen verbreitet
haben.

Madame Turner hatte sich gleich nach ihres Gatten Entfernung in ihre
Wirthschaft begeben, um in den häuslichen Arbeiten sich zu zerstreuen
und ihre Gedanken von dem schweren Schlag abzulenken, der ihr bisher
ungetrübtes Glück getroffen hatte. Was sie aber auch unternahm, sie konnte
nirgend Ruhe finden, und mit jeder Stunde wuchs ihr Verlangen nach der
Rückkehr ihres Gatten. Wieder und immer wieder begab sie sich in das
Wohnzimmer, aus dessen Fenstern sie weit auf der Straße, die nach dem
Städtchen führte, hinblicken konnte, um zu sehen, ob sie Turner noch nicht
erspähen könne. Als aber nun die Sonne versank, da setzte sie sich an dem
Fenster nieder und hielt ihre Augen auf den fernsten sichtbaren Punkt der
Straße geheftet. Endlich erkannte sie ihren zurückkehrenden Gatten, er kam
aber nicht, wie sonst, im schnellen Trabe, das Pferd ging nur im Schritt,
und sie meinte, so langsam sei Turner niemals nach Hause geritten. Sie
konnte ihn nicht im Zimmer erwarten, sie warf ihr Tuch um und eilte hinaus
ihm entgegen.

»Du bringst keine frohe Nachricht mit Dir, Turner,« sagte sie, als sie mit
ihm auf der Straße zusammen traf und ihm die Hand zum Willkommen reichte.

»Nein, Marie, wir haben uns in einem unserer Freunde sehr verrechnet, und
zwar in dem Kreisrath. Die Nachricht, daß wir die Kluse verlassen müßten,
schien mehr sein Bedenken, als seine Theilnahme zu erwecken, und statt
warmer herzlicher tröstender Worte erhielt ich Nichts bezweckende kalte
Rathschläge und steife Höflichkeiten. Er war ein Freund im Glück, ist aber
kein Freund in der Noth!« entgegnete Turner, indem er abstieg, das Pferd
leitete, und Arm in Arm mit der Gattin der Wohnung zuschritt.

»Der Kreisrath?« sagte Madame Turner überrascht mit halblauter Stimme, »er
war doch immer so herzlich und liebevoll gegen uns!«

»Ja, der Kreisrath, er machte mir nur Vorwürfe und rieth mir, wo es sich um
Mein und Dein handele, alle Menschen für Spitzbuben zu halten, so wie er es
thue, um sich vor Betrug zu schützen.«

»Der Himmel bewahre Dich vor solchem Glauben, Turner, lieber mag man uns
betrügen. Nein, es giebt noch gute Menschen, und grade im Unglück werden
wir sie erkennen. Was sagten denn Apothekers?«

»Ich bin nicht bei ihnen gewesen. Es war mir unmöglich, mich einer zweiten
solchen Täuschung auszusetzen. Wir wollen abwarten, welchen Trost uns
unsere Freunde bringen; suchen werde ich denselben nicht bei ihnen. Ich
ging vom Kreisrath wieder in das Gasthaus zurück. Dort fand ich viele
Bürger versammelt, die mir immer herzlich zugethan waren, wenn sie mir
sonst auch nie näher gestanden haben. Die Leute waren außer sich, sprachen
sich heftig gegen die Gutsherrschaft aus, und erklärten schließlich, daß
ich unter keiner Bedingung diese Gegend verlassen dürfe. Es müsse Rath
geschafft werden, auf irgend eine Weise ein Gut für mich in der Nähe
auszumitteln, weil ich immer den Armen und Bedürftigen eine Stütze gewesen
sei. Sieh, Marie, das hat mir wohlgethan, und mich tausendfach für den
Verlust eines reichen vornehmen Freundes entschädigt.«

»Dessen Hülfe wir auch nicht nöthig haben werden, wenn uns der _eine_ treue
barmherzige Freund, der uns bis jetzt so väterlich beigestanden hat, seine
Gnade auch fernerhin angedeihen läßt,« sagte Madame Turner, indem sie zum
Himmel aufblickte.

»Ja, Marie, Gott ist immer unser treuster Freund gewesen, und wir wollen
fest auf seine fernere liebevolle Hülfe bauen. Was uns im Augenblick als
Mißgeschick erscheint, wird sich sicher zu unserm Besten wenden; es sei uns
willkommen, wie es sich auch gestalten mag!« Mit diesen Worten legten die
beiden Gatten ihre Hände ineinander, als wollten sie sich gegenseitig das
Versprechen geben, in diesem Glauben niemals zu wanken.

Am nächsten Morgen setzte Turner mehrere Anzeigen für verschiedene
Zeitungen auf, worin er bekannt machte, daß er ein Gut zu pachten suche,
und schrieb zugleich eine Menge Briefe an auswärtige Freunde, welche er
aufforderte, sich für ihn zu bemühen und ihm mitzutheilen, wenn sie von
einer offenen Pachtung hören sollten. Er brachte die Schreiben selbst nach
der Stadt zur Post, und wurde dabei allenthalben in den Straßen von den
Einwohnern angehalten, da ein Jeder aus seinem Munde hören wollte, ob das
Gerücht von der Pachtkündigung wahr sei. Es herrschte nur _eine_ Stimme
unter den Leuten, die der Entrüstung gegen die Gutsherrschaft und die der
wärmsten liebevollsten Theilnahme für Turner. Von seinen Freunden aber
bekam er Keinen zu sehen. Mochte es nun Zufall sein, daß Keiner derselben
ihn beim Vorübergehn vor deren Wohnung bemerkt hatte; bis jetzt aber war
er kaum jemals durch das Städtchen gegangen, ohne daß der eine, oder andere
Freund ihn aus dem Fenster angerufen, oder ihn in der Straße, oder im
Gasthaus aufgesucht hatte. Vor der Apotheke sogar blieb er eine geraume
Zeit stehen, weil mehrere Bürger ihn dort anredeten, um ihm ihr Bedauern
über das ihn betroffene Mißgeschick auszusprechen; er erkannte hinter dem
Fenster die Frau und die Töchter des Apothekers, sah, wie dieselben sich
schnell von den Fenstern entfernten, und erwartete nun von Augenblick zu
Augenblick, daß sein Freund, der Apotheker, zu ihm heraus in die Straße
kommen würde, -- allein, er hatte sich getäuscht, es ließ sich Niemand aus
dem Hause sehen.

Auf der Kluse wurde es jetzt sehr still, denn die vielen angesehenen,
reichen Freunde, von denen sich Jahr aus, Jahr ein fast täglich eine Anzahl
dort eingefunden hatte, blieben aus; Tage und Wochen eilten dahin, ohne daß
Einer derselben sich hätte sehen lassen, obgleich das Wetter ungewöhnlich
schön und einladend war, und die Gärten im reichsten üppigsten Schmuck ihre
ersten Früchte darboten. So schmerzlich sich Turners nun auch durch diese
Theilnahmlosigkeit und Vernachlässigung berührt fühlten, so würde doch
ihr unbedingter guter Glaube an die Biederkeit ihrer Nebenmenschen nicht
dadurch beeinträchtigt worden sein, wären nicht die nachtheiligen Gerüchte
zu ihren Ohren gekommen, welche man über sie in dem Städtchen verbreitet
hatte. Tief gekränkt und entrüstet darüber, bemühte sich Turner, die Quelle
zu entdecken, aus welcher diese Verläumdungen entsprungen waren; doch
umsonst, alle seine Nachforschungen dieserhalb blieben vergebens.

Zum ersten Male in ihrem Leben fühlten sich Turners von den Menschen
zurückgestoßen, und ihr Glaube an dieselben begann zu wanken. Um so
enger und um so inniger aber schlossen sie sich in ihrem Familienkreise
aneinander, und kamen bald zu der Ueberzeugung, daß ihr wahres Glück
niemals durch die Menschen vermehrt worden war, daß es immer nur in ihnen
selbst, in ihrer Liebe für einander bestanden hatte. Mit doppeltem Eifer,
mit doppelter Thätigkeit widmeten sie sich ihren Geschäften und machten, wo
sie konnten, schon jetzt Vorbereitungen für ihren Abzug von der Kluse.
Sie wurden nun nicht mehr durch viele Besuche von ihren Arbeiten
zurückgehalten, und die Ersparnisse in Folge von deren Ausbleiben stellten
sich als nicht unbedeutend heraus. Bald waren die sogenannten Freunde, die
Schmarotzer, vergessen, und Turners befreundeten sich täglich mehr mit dem
Gedanken, das ihnen unentbehrlich geglaubte schöne Werrathal zu verlassen.




Abschnitt 2.

  Abzug vom Gute. -- Der Brief von Amerika. -- Der Beschluß zur
  Auswanderung. -- Vorbereitungen. -- Weihnachten. -- Der Neger. -- Die
  Nordsee. -- Die Seeschweine. -- Die Inseln. -- Der Sonnenuntergang.
  -- Der Eisberg. -- Amerika. -- Der Adler. -- Todesnachricht. -- Der
  Verlust.


Auf Carl Scharnhorst übten die Veränderungen in Turners Verhältnissen einen
auffallenden Einfluß aus; es schien, als fühle er, daß er die Kinderschuhe
ausziehen, daß er seinen Lieben bald seine Kräfte leihen und ihnen
bald eine thätige Hülfe werden müsse. Er war ernster als sonst, mit
unermüdlichem Fleiße besuchte er die Schule, empfing noch bis spät Abends
Privatunterricht, und das erste Licht des Morgens fand ihn schon bei seinen
Büchern.

So segenreich und vielversprechend das Frühjahr auch erschienen war, so
verminderten sich doch die Hoffnungen auf eine ergiebige Ernte von Tag zu
Tag mehr, da eine anhaltende Dürre sich eingestellt hatte. Die Heuernte war
schon vollständig mißrathen, weil das Gras wegen Mangels an Regen durch die
Sonnengluth verbrannt wurde, und aus gleichem Grunde darbten die Früchte
auf den Feldern; denn der ausgetrocknete Boden konnte ihnen keine Nahrung
zum Wachsen und Gedeihen geben. Die Kornernte kam heran, und begann vier
Wochen früher als gewöhnlich, sie lieferte nur kleine leichte Körner und
kurzes gehaltloses Stroh. Auch das Grünfutter konnte nicht gedeihen, es
vertrocknete auf dem Lande, der Weizen lieferte schlechtes Gewicht, und den
Hafer lohnte es kaum der Mühe zu mähen. Diese Ergebnisse drückten schwer
auf die schon bedrängten Herzen der Turners, denn grade diese Ernte sollte
ihnen ja baares Geld in die Hand liefern, und ihnen helfen, anderswo eine
neue Heimath zu gründen. Dennoch verließ sie die Hoffnung und der Glaube
nicht, daß Alles sich zu ihrem Besten gestalten würde, und unverdrossen
boten sie alle ihre Kräfte, alle ihre Thätigkeit auf, die Ernten um so
sorgfältiger einzubringen. Turner hatte schon viele Güter in Augenschein
genommen, wobei er wiederholt wochenlang von der Kluse abwesend geblieben
war, doch keines von allen hatte ihm zugesagt, theils, weil sie werthlos,
theils, weil sie zu bedeutend waren, als daß er sie mit eigenen Mitteln
hätte übernehmen können. In der Nähe war überhaupt kein Gut zu pachten,
welches nur einigermaßen seinen Anforderungen entsprochen hätte, wodurch
sich die Nothwendigkeit für ihn herausstellte, sein Inventar, das heißt
seine Geräthschaften, Vieh und Pferde und alle seine Vorräthe zu verkaufen,
die er weithin nicht mit sich nehmen konnte. Die Zeit, wo Turner die Kluse
verlassen sollte, rückte immer näher, wieder und wieder begab er sich
auf Reisen, um pachtfreie Güter zu besehen, aber immer kehrte er ohne den
gewünschten, ersehnten Erfolg nach Hause zurück.

Die letzten vier Wochen waren nun angetreten, welche Turners noch auf der
Kluse zubringen konnten, und da sie immer noch kein anderes Gut gepachtet
hatten, so blieb ihnen Nichts übrig, als Alles zu verkaufen, nach der
Stadt zu ziehen, und sich dann von dort aus in Ruhe nach einer Pachtung
umzusehen. Die gegen frühere Jahre nicht bedeutenden Vorräthe waren bereits
nach und nach zu ziemlich guten Preisen verwerthet, und um sich nun auch
des Inventars zu entledigen, wurde eine Auktion angesetzt und die Anzeige
davon in mehreren Zeitungen, so wie in den nicht weit entfernten Städten
und Ortschaften durch Anschlagzettel bekannt gemacht. Die Zahl der
Kauflustigen, die sich dazu einfanden, war keine große, und der Verkauf
stellte sich als ein sehr mittelmäßiger heraus. Namentlich brachte das Vieh
sehr niedrige Preise auf, weil fast Niemand nur für den eigenen Viehbestand
Futter genug geerntet hatte.

Wenige Tage nach der abgehaltenen Auktion standen des Morgens zwei aus der
Stadt gemiethete vierspännige Frachtwagen, mit dem Hausgeräth der Familie
Turner beladen, auf dem Hofe der Kluse; Madame Turner trat, einen frischen
Blumenstrauß in der Hand, mit Thränen in den Augen aus dem Wohngebäude und
nahm den Arm ihres Gatten. Schweigend und durch ihre Thränen blickte sie
die alte freundliche Wohnung an, die ihr bisheriges großes unermeßliches
Glück beherbergt hatte; stumm, aber schluchzend sagte sie ihr das letzte
Lebewohl, mit blutendem Herzen riß sie sich von dieser theuren Heimath los,
um, wer wußte wo, eine andere zu finden. Auch Turner waren die Augen feucht
geworden; das alte Haus war die Wiege seiner Vorfahren, seine eigene
und die seiner Kinder gewesen, es hatte seit hundert Jahren das stille
anspruchslose Glück der Turnerschen Familie gesehen, und nun sollte ihr
Name in seinen Mauern vergessen werden! Er hatte keine Worte für den
herzzerreißenden Abschied, für das letzte Lebewohl, er gab den Fuhrleuten
einen Wink fortzufahren, drückte den Arm seiner Gattin fest an seine Brust,
und schritt mit ihr und mit den Kindern durch das Hofthor nach der Straße
hinunter. Langsam und ohne ein Wort zu sagen, folgten sie den knarrenden,
wankenden Wagen, und erst, als sie den letzten Punkt auf der Straße, von
wo man noch die Kluse sehen konnte, erreicht hatten, blieben sie stehen und
blickten zurück.

»Die alte Heimath haben wir verlassen, wir sind unterwegs, Marie, wer weiß,
wohin dieser Weg uns führen wird!« sagte Turner, indem er seinen Arm um die
Schulter der Gattin legte, und seinen Blick auf die Kluse geheftet hielt.

»Wohin er uns auch führen mag, unsere Heimath nehmen wir mit uns; denn
wo wir vereint sind, da ist unsere Heimath!« antwortete Madame Turner mit
einem innigen liebevollen Blick, und streckte ihre Hand nach den Kindern
aus, die sich an sie schmiegten und gleichfalls betrübten Herzens von der
Kluse Abschied nahmen.

In dem Städtchen wurden sie allenthalben freundlichst begrüßt und von
vielen Bekannten bis zu dem kleinen Hause geleitet, welches Turner
gemiethet hatte. Dasselbe lag an der Außenseite der Stadt auf einer Anhöhe
in einem hübschen Garten, und gewährte einen freien, weiten Blick über das
Werrathal, so daß Turners in ihrer äußern Umgebung wenigstens ein ähnliches
Bild fanden, wie das, welches sie auf der Kluse so viele Jahre hindurch
entzückt hatte. Nach wenigen Tagen waren sie in ihrer neuen Wohnung
eingerichtet; Madame Turner suchte sich in den ihr ungewohnten müssigen
Stunden im Garten zu beschäftigen, obgleich der Herbst ihre Thätigkeit dort
sehr beschränkte; und Herr Turner konnte sich jetzt ungehinderter seinen
Bemühungen um eine neue Pacht hingeben. Der Erlös aus seinen sämmtlichen
Verkäufen belief sich auf ungefähr neuntausend Thaler, welche er in
Werthpapieren angelegt hatte, und seine in der Stadt ausgeliehenen Gelder
betrugen noch tausend Thaler, so daß er über ein baares Capital von
zehntausend Thalern zu verfügen hatte. Er stand nach allen Richtungen hin
in Briefwechsel, und bald nach seiner Uebersiedlung in das Städtchen wurden
ihm mehrere Güter im Preußischen bezeichnet, welche pachtlos geworden
waren. Er schickte sich abermals zur Reise an, um die Güter in Augenschein
zu nehmen, kehrte aber nach mehreren Wochen unverrichteter Sache wieder
zurück, denn keines derselben hatte seinen Bedürfnissen entsprochen.

Die Freude des Wiedersehens überwältigte im Anfange die trübe Stimmung
Turners über den abermaligen ungünstigen Erfolg seiner Reise; als aber die
Lampe auf dem Theetisch angezündet war und die Familie sich um denselben
sammelte, da sprach Turner sich recht ernstlich besorgt darüber aus, daß er
möglicherweise noch ein ganzes Jahr ohne Pachtung bleiben und unthätig Geld
verzehren müsse, ohne Etwas verdienen zu können.

»Gieb mir doch die Zeitungen, vielleicht findet sich Etwas darin,« sagte
er nach einer Weile zu seiner Gattin, und setzte noch, als diese aufstand,
hinzu: »sind auch Briefe angekommen?«

»Ja wohl,« entgegnete diese, »ich wollte sie Dir eben mitbringen. Es ist
auch ein Brief von Amerika dabei; ich glaube, er ist von Deinem Vetter
Victor.«

»Sieh, endlich einmal wieder ein Lebenszeichen von ihm,« sagte Turner,
während seine Gattin das Zimmer verließ.

Bald kehrte dieselbe zurück und legte ein Packet Zeitungen und mehrere
Briefe vor ihren Gatten auf den Tisch.

»Wahrhaftig, ein Brief von Victor! Nun, da bin ich doch neugierig, wie es
dem geht; es sind wohl schon beinahe drei Jahre, daß er Nichts von sich
hören ließ.«

Mit diesen Worten zog Turner die Lampe näher zu sich und öffnete das
Schreiben. Er las den Inhalt mit augenscheinlich sich steigerndem
Interesse, und als er die letzte Seite beendet hatte, legte er den Brief
auf den Tisch, schlug mit der Hand darauf, und sagte mit einem freudigen
Lächeln zu seiner Gattin: »nun, Marie, was meinst Du wohl, was er
schreibt?«

»Hoffentlich, daß es ihm und den Seinigen recht gut geht; was er sonst
schreibt, möchte mir schwer werden zu errathen.«

»Nichts mehr und Nichts weniger, als daß er uns einladet, auch hinüber zu
kommen. Es geht ihm sehr gut; er besitzt eine Farm unterhalb Baltimore
an der Chesapeake-Bay, baut Mais und Taback, und verdient dort dreimal so
viel, als es ihm hier auf dem Gute bei Hannover mit der doppelten Arbeit
möglich war. Dabei ist er so wie seine Familie frisch und wohl, hängt von
Niemandem ab, wird von Niemandem belästigt, und muß in wenigen Jahren ein
reicher Mann sein.«

Madame Turner sah ihren Gatten überrascht und mit großen Augen an, als lese
sie einen Gedanken auf seinen Zügen, von dem sie im Augenblick nicht wisse,
ob sie ihn willkommen heißen solle. Dann aber kam ihre gewohnte Ruhe wieder
über sie, und sie sagte: »im Anfange seines Dortseins ist es ihm aber auch
schlecht genug ergangen. Ich weiß noch recht gut, daß er sich sehr nach dem
alten Deutschland zurücksehnte. Gottlob, daß es ihm nun besser geht!«

Turner schwieg, zog eine Cigarre aus der Tasche hervor und hielt sie
wiederholt, und wie in Gedanken versunken, über die Lampe.

»Wenn man es eigentlich so recht bedenkt,« fuhr er dann nach einer Weile
fort, »so ist es ziemlich einerlei, ob man nach Süddeutschland oder nach
Amerika zieht; die Reise nimmt kaum mehr Zeit in Anspruch, und zu Wasser
ist sie viel bequemer als zu Lande. Daß der Brief gerade in diesem
Augenblick kommen muß -- sonderbar!«

»Aber in einem fremden Lande, unter fremden Menschen, ohne Freunde!«
bemerkte Madame Turner halb erschrocken.

»Ohne Freunde, Marie, -- verlangst Du schon wieder nach Freunden?«
entgegnete Turner bitter.

»Nicht nach solchen schlechten Freunden, Max, wie wir sie auf der Kluse
um uns hatten, aber nach uneigennützigen, ehrlichen, biedern, gemüthlichen
Freunden, solche meine ich, wie Du ja hier unter den Bürgern hunderte
besitzest. Hast Du mir nicht selbst gesagt --«

»Ja, ja, Marie, Du hast Recht, wie immer, Du bist ein prächtiges, gutes,
gescheutes, mein liebes Weib,« fiel ihr Turner in die Rede und zog sie zu
sich heran, um sie zu küssen; »aber beste Frau, man kann doch solche Sachen
überlegen, und braucht nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sieh,
Victor schreibt, daß man dort in seiner Nähe gutes Land für zehn bis
fünfzehn Thaler den Morgen kaufen kann, und daß weiter im Westen das
Regierungsland nur etwa drei hiesige Thaler kostet. Denke einmal darüber
nach, ob es nicht für drei so tüchtige Buben, wie wir deren haben, besser
ist, wenn der Vater ein gutes Stück Land als Eigenthum besitzt, als daß er
den Pächter auf einem fremden Gute spielt, von dem man ihn beim Ablauf der
Pacht verjagen kann. Und, sage selbst, läge das Wasser nicht zwischen
den beiden Erdtheilen, wer würde sich nur einen Augenblick bedenken, nach
Amerika hinüber zu wandern?«

»Das alte Sprichwort sagt,« bemerkte Madame Turner: »Bleibe im Lande --«

»Und mache es so, wie es die Väter machten, und wenn es auch gar nicht
mehr in die Zeit paßt,« unterbrach sie ihr Gatte, »es ist ja nur, daß man
darüber spricht, Marie; noch wollen wir ja nicht auswandern. Da, nimm den
Brief und lies ihn morgen einmal mit Muße.«

Nun öffnete Turner die übrigen Schreiben, die jedoch nichts von Wichtigkeit
brachten, und dann begann er die während seiner Abwesenheit angekommenen
Zeitungen zu durchsuchen, ob nicht darin eine offene Pachtung angekündigt
sei.

Madame Turner war nachdenkend geworden und blickte, von den Anderen
unbeachtet, bald ihren Gatten, bald ihre Kinder an, denn Alle waren mit
Lesen beschäftigt, sie allein nur strickte. Turner verbrachte den ganzen
Abend mit Durchsehen der Zeitungen, wobei er sich nicht gern stören ließ,
weshalb die Stunden ziemlich schweigsam verliefen.

»Sieh, da habe ich die älteste Zeitung bis zuletzt aufgespart,« sagte
er, indem er das Blatt entfaltete. »Es wird aber wohl ebenso wenig
Interessantes für mich darin sein, als in den andern.« Er überblickte den
Inhalt nur flüchtig, und wollte das Papier zu den anderen legen, als eine
Anzeige, die auf der letzten Seite stand, seine Aufmerksamkeit fesselte.

»Ist es möglich,« sagte er, freudig überrascht, »das Gut Schwaneberg in
Sachsen soll verpachtet werden, der Eigenthümer will es nicht mehr selbst
bewirthschaften. Ja, wenn ich das bekommen könnte, da würde ich mich nicht
einen Augenblick besinnen. Ich kenne es ganz genau, denn ich habe einen
Theil meiner Lehrzeit darauf zugebracht; es ist nicht zu groß, und
vortrefflich in jeder Beziehung, hätte ich nur schon vor meiner Abreise
diese Anzeige gesehen, ich würde die Reise gar nicht gemacht haben.
Sogleich will ich aber an den Besitzer schreiben, damit der Brief morgen
frühzeitig abgeht; wenn mir nur kein Anderer schon zuvorgekommen ist.« Er
stand rasch auf, nahm die Zeitungen und die Briefe und eilte nach seinem
Zimmer.

Am folgenden Morgen, während Turner nach der Post ging, setzte sich Madame
Turner an das Fenster und begann den Brief von Amerika zu lesen. Sie that
es halb mit Widerwillen und mit der Ueberzeugung, daß sie, was auch darin
stehen möge, niemals für eine Auswanderung in das fremde Land stimmen
würde. Während des Lesens aber wurde sie aufmerksamer, sie hielt wiederholt
inne und sah nachdenkend über das Papier hinweg, und als sie mit Lesen zu
Ende war, begann sie das Schreiben abermals durchzublättern. Der Vetter
ihres Mannes hatte die großen Vorzüge Amerika's, namentlich die für
Oeconomen, so klar und deutlich geschildert, und den reichen Ertrag der
Länderei so anschaulich hervorgehoben, daß Madame Turner, trotz ihres
Vorurtheils, Nichts dagegen einzuwenden vermochte. Er hatte aber
insbesondere auf die Kinder Turners hingewiesen und ihm auseinandergesetzt,
daß er, wenn er auf der Kluse bleibe, denselben niemals eine sichere
Zukunft bereiten könne, wenn sie auch sämmtlich auf diesem Gute immer genug
zu leben hätten. In Amerika aber würde er mit Leichtigkeit einem jeden der
Knaben ein eigenes Gut in seiner Nähe einrichten können, so daß sie
für Lebzeiten versorgt sein würden. Dann beschrieb er die unabhängigen
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse so schön und angenehm, gab
eine so herrliche Schilderung von dem prächtigen Lande und dem reizenden
Klima, daß Madame Turner das Bild Amerika's mit jedem Augenblicke in einem
schönern Lichte sah.

Wieder und immer wieder nahm sie das Schreiben von ihrem Nähtisch auf, um
einzelne Abschnitte desselben noch einmal zu überlesen, und sie hatte
es abermals offen vor sich auf den Tisch gelegt, als Turner von der Post
zurückkehrte und in das Zimmer trat.

»Nun, hast Du den Brief gelesen und was hältst Du davon?« fragte er die
Gattin.

»Der Brief ist ganz vernünftig geschrieben; es muß Deinem Vetter sehr gut
gehen und ihm sehr gefallen,« entgegnete Madame Turner mit einem Ausdruck
der Zufriedenstellung.

»Und Du siehst nun wohl auch ein, daß es nicht geradezu Thorheit ist,
wenn man gelegentlich die Sache überlegte?« bemerkte Turner abermals halb
fragend.

»Max, Dein Urtheil ist freier und richtiger, als das meinige, Deine Ansicht
ist mein Glaube, Dein Wunsch ist mein Wille, und Deine Wohnstätte ist mein
Himmel. Was Du im Leben auch beschließen, wohin Du auch gehen magst, ich
folge Dir, und ginge es an das Ende der Welt. Nur laß uns Nichts übereilt
thun und nicht Gutes weggeben, ehe wir sicher sind, Besseres dafür zu
bekommen. Für unsere Kinder leben wir, und was wir für ihr Wohl thun
können, darf uns kein Opfer sein,« antwortete die Frau mit einem Tone
liebevollster Hingebung und reichte ihrem Gatten die Hand.

»Du bist ein Engelsweib, Marie, und ich verspreche es Dir, Nichts ohne
Deinen Willen, ohne Deines Herzens Zustimmung zu beschließen. Kann ich das
Gut Schwaneberg bekommen, so bleiben wir hier im Vaterlande, wo nicht, so
wollen wir über Amerika sprechen.«

Von diesem Augenblick an war unverkennbar ein frischer Lebensfunke in die
Gemüther der beiden Gatten gefallen; die Ungewißheit über ihre
Zukunft hatte sie plötzlich verlassen, sie hatten außer der einen noch
zweifelhaften Aussicht noch eine zweite in Amerika, und diese erfüllte sie
von Stunde zu Stunde mit schöneren Hoffnungen. Der Brief von dem Vetter
wurde immer wieder hervorgeholt, er wurde Abends beim Thee laut vorgelesen
und besprochen, und die Kinder, namentlich aber Carl, redeten von Nichts
mehr als von Amerika. Ja, der Wunsch Turners, eine günstige Antwort über
das Gut Schwaneberg zu erhalten, wurde täglich weniger dringend, und als
nach mehreren Tagen der erwartete Brief von dem Eigenthümer des Gutes
ankam, öffnete ihn Turner sogar mit einem leisen Hoffnungsgefühl, daß er
eine abschlägige Antwort enthalten möge. So war es denn auch: der Besitzer
des Gutes meldete mit Bedauern, daß er vor nur wenigen Tagen einem Andern
die Pacht zugesagt habe.

»Da ist die Antwort über Schwaneberg, Marie,« sagte Turner zu seiner
Gattin, indem er in ihr Zimmer trat und ihr den Brief hinreichte. »Die
Vorsehung zeigt uns augenscheinlich den Weg, den wir wählen sollen; hier in
Deutschland schlägt uns Alles fehl. Das Gut ist bereits verpachtet.«

Madame Turner nahm ihrem Gatten den Brief halberschrocken ab; denn so
angenehm sie auch der Gedanke an das schöne Amerika umgaukelt hatte, so war
doch die Vorliebe für das traute, alte Deutschland zu fest in ihrem Herzen
eingewurzelt, als daß eine plötzliche Entscheidung, ob in dem Vaterlande
zu bleiben, oder ihm auf ewig Lebewohl zu sagen, sie nicht hätte mit
Zaghaftigkeit ergreifen müssen.

»Also wirklich, es ist schon verpachtet? Das ist mir sehr leid -- Du
hattest Dich so darauf gefreut -- und wir würden dort ein sicheres gutes
Brod gefunden haben,« sagte sie etwas kleinlaut, indem sie den Brief
öffnete und durchblickte.

»Du siehst, Marie, wie sich Alles so wunderbar gefügt hat, um uns hier frei
zu machen und unsere Blicke nach der neuen herrlichen Welt zu richten. Laß
uns ruhig und ohne alle Vorurtheile überlegen, dann aber auch entschlossen
und muthig handeln. Es gilt das Glück unserer Kinder.«

»In Gottes Namen erkläre ich mich zu Allem bereit, was dieses und Dein
eigenes Wohl fördern kann, Max. Laß uns Alles reiflich überlegen und dann
entscheide; der Himmel wird uns dort, so wie hier gnädig sein,« entgegnete
die Frau entschlossen, indem sie ihres Gatten Hand ergriff und dieser sie
an seine Brust drückte. Noch am selbigen Abend ward der Beschluß gefaßt,
nach Amerika auszuwandern.

Frisches Leben und rege Thätigkeit war jetzt in die Familie Turner
gekommen, und alles Denken, alles Streben richtete sich auf das neue Ziel,
auf die neu zu gründende Heimath. Schon am folgenden Tage antwortete
Turner seinem Vetter Victor in Amerika, und zeigte ihm an, daß er sich
entschlossen habe, mit seiner Familie nach dort zu ziehen. Er bat
ihn zugleich, nun so schnell als möglich ihm, nach seinen gemachten
Erfahrungen, mit Rath an die Hand zu gehen und ihm zu sagen, in welcher
Weise er sich zu der Uebersiedelung einrichten solle. Es war ein sehr
langes Schreiben, denn Turner hatte darin seinem Vetter über Alles, was
ihm zu wissen nöthig schien, Fragen gestellt. Einen wichtigeren,
entscheidenderen Brief hatte er nie zur Post getragen; die Zukunft seiner
Familie war darin verschlossen. Mit großem Eifer wurde in Turners Hause
Alles gelesen, was Auskunft über Amerika gab, und anerkannt gute Schriften
über dieses Land, dessen Zustände und Verhältnisse, wurden angeschafft. Das
praktische, selbstständige Leben war in allen vorherrschend geschildert,
und namentlich wurde es dem Farmer darin zur Aufgabe gemacht, sich
möglichst unabhängig von Anderen zu stellen. Er mußte sich in allen Lagen
seines Lebens selbst zu rathen und zu helfen wissen, und zu diesem Ende
mit den verschiedenen Handwerken für den Nothfall vertraut sein. Turner
beschloß daher, sich selbst einige Kenntniß davon zuzueignen, und ebenso
Carl Scharnhorst darin unterweisen zu lassen. Er für seine Person entschied
sich dafür, eine Zeitlang bei einem Schmied und dann auch bei einem
Büchsenmacher in die Lehre zu gehen, und Carl sollte bei einem Stellmacher
und einem Schreiner Unterricht nehmen.

Turner führte nun auch den Beschluß mit der ihm eigenen Willenskraft sofort
aus. Des Morgens, nach zeitigem Frühstück, begab er sich zu dem
besten Schmied in der Stadt, arbeitete dort mit Lust und Liebe bis zur
Mittagszeit, und wieder nach Tisch bis zur einbrechenden Dämmerung, während
Carl in gleicher Weise bis zum Abend bei einem Wagener beschäftigt war, um
dann noch einige Privatstunden im Englischen und im Maschinenbau zu nehmen.
Nach dem Abendbrod saß dann die Familie heiter um den großen Tisch gereiht,
Turner entfaltete vor sich eine Landkarte von Amerika, die Reise nach der
neuen Welt wurde beredet, und tausend Pläne entworfen, wie man sich dort
einrichten wollte.

Die Herbststürme brausten durch das buntgefärbte Laub der Wälder und
trieben die gelben und rothen Blätter wie einen Goldregen vor sich hin
durch das Werrathal, Nachtfröste überzogen Wiesen und Gärten mit Rauhreif,
der in den ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne wie ein Schleier von
Diamanten blitzte und funkelte, die Höhen der Gebirge färbten sich weiß,
und Anfangs December legte der Winter eine dichte Schneedecke über die
Erde.

Um so traulicher saßen Turners Abends in dem gemüthlich warmen Zimmer
beisammen und besprachen ihre hoffnungsreiche Zukunft in einem sonnigeren
Lande. Das Weihnachtsfest nahete sich mit großer Kälte, es sollte das
letzte sein, welches die Familie Turner in der alten Heimath feierte.
Madame Turner hatte in dem größten Zimmer einen prächtigen Tannenbaum
aufgestellt und ihn mit Zuckerwerk und Lichtern reich geschmückt, und als
am Christabend die Dunkelheit hereinbrach, vertheilte sie die Geschenke
für die Kinder auf die verschiedenen, um den Baum stehenden Tische, fügte
Aepfel, Nüsse und Kuchen hinzu, und zündete die Lichter an. Dann ließ sie
die Schelle ertönen, die Thüre des anstoßenden Zimmers öffnete sich,
und jubelnd und mit strahlenden Blicken stürmte die junge Schaar herein.
Turner, den Kindern folgend, breitete seine Hände nach der Gattin aus, und
empfing sie unter Freudethränen an seinem Herzen. Es war ein feierlicher
Augenblick, ein Augenblick zwischen der hochbeglückenden Gegenwart und der
dicht verschleierten Zukunft, -- wo und wie sollten sie wohl das nächste
Weihnachtsfest feiern? Beide sahen auf die fröhlichen, jauchzenden Kinder,
und Beide beantworteten sich gegenseitig schweigend ihre stummen Fragen
durch einen Blick nach Oben, mit welchem sie dem Allmächtigen ihre Zukunft,
ihr Schicksal zu lenken, vertrauungsvoll anheim stellten. Die Fröhlichkeit
der Kinder verscheuchte aber bald den Ernst von den Zügen der Eltern, und
Madame Turner führte mit einem freudigen heitern Antlitz ihren Gatten
nach einem der Tische, auf welchem sie mehrere kleine Geschenke für ihn
niedergelegt hatte. Unter anderen befand sich dort ein schöner schwarzer
Filzhut mit sehr breitem Rande, den Turner als ein nothwendiges
Kleidungsstück in einem heißen Klima genannt hatte. Er ergriff ihn, um ihn
aufzusetzen, und fand darunter einen Brief -- einen Brief von dem Vetter
Viktor in Amerika. Derselbe war schon am Tage vorher eingetroffen, Madame
Turner aber hatte ihn verheimlicht, um ihren Gatten am heutigen Festabend
damit zu überraschen. Die Freude war aber auch eine sehr große und
allgemeine, denn selbst bei den Kindern war für den Augenblick alles
Interesse für die Geschenke verschwunden, und sie drängten sich zu den
Eltern, um die Nachrichten von Amerika zu vernehmen. Turner mußte sich bei
dem Tannenbaume niedersetzen und bei dessen Lichtschein den Brief vorlesen.
Dies geschah nun, wenn auch nur stückweise, doch hinreichend, um etwas
Näheres über die bevorstehende Abreise bestimmen zu können. Das Frühjahr
ward dazu festgesetzt.

Es war der heiterste und doch der ernsteste Weihnachtsabend, der in dieser
Familie jemals gefeiert war. Madame Turner hatte einen vortrefflichen
heißen Punsch angefertigt, und auf eine glückliche Zukunft in der noch
fernen neuen Heimath erklangen und wurden die Gläser bis auf den letzten
Tropfen geleert. Alle am heutigen Abend zwischen Eltern und Kindern
vertheilten Geschenke waren für das Leben in Amerika berechnet, und Keiner
war so reich bedacht worden, als Carl Scharnhorst. Eine prächtige,
sehr werthvolle Doppelbüchse mit allem Zubehör, ein herrliches schweres
Jagdmesser, eine Jagdtasche, ein Compaß, waren die Gaben, die ihn besonders
beglückten, und unter Freudenthränen und mit Küssen dankte er seinen
Pflegeeltern für ihre Güte und ihre Liebe.

Alle gaben sich der seelenvollsten Heiterkeit hin, sie lachten, scherzten
und stießen mit den Gläsern an, während der Sturm draußen die weißen
Schneeflocken gegen die Fensterscheiben trieb, und die Mitternachtsstunde
war schon lange dahingeeilt, als die Glücklichen ihr letztes Weihnachtsfest
in Europa beschlossen und sich mit den glänzendsten Hoffnungen für ihre
Zukunft zur Ruhe begaben.

Der folgende Tag wurde nun ganz dem Briefe des Vetters geweiht. Dieser gab
darin die ausführlichsten Anweisungen zu den Vorbereitungen für die Reise.
Er rieth, dieselbe im Frühjahr zu unternehmen, und sich namentlich mit so
wenig Gepäck zu befassen, als es irgend möglich sei, indem man das Nöthige
in Amerika neu billiger kaufen könne, als die mitgebrachten Sachen dort zu
stehen kämen. Er gab über Alles die genaueste Auskunft, gab hunderte von
Rathschlägen und Anweisungen, und schloß endlich den langen Brief mit
dem Wunsche, sie sämmtlich gesund und froh dort in dem Sonnenlande
bewillkommnen zu können. Wenige Tage später ging eine lange ausführliche
Antwort an den Vetter ab.

Der Winter verstrich unter Vorbereitungen zur Auswanderung; Turner war von
dem Schmied zu einem Büchsenmacher in die Lehre gegangen, und Carl hatte
den Wagenmacher gegen einen Schreinermeister vertauscht.

Unter den Bürgern des Städtchens erregten diese ernsten Anstalten für
einen Abschied auf immer, großes Aufsehen und die wärmste Theilnahme. Mit
allgemeinem Bedauern sah man eine so biedere, so hochgeehrte und beliebte
Familie sich nach einem fernen Lande wenden, und von allen Seiten suchte
man Turners die Verehrung, die sie hier weit und breit genossen, durch
Hülfsleistungen und Liebesdienste aller Art an den Tag zu legen. Die
vornehmen, reichen früheren Freunde aber schämten sich in tiefster Seele
ihrer niedrigen selbstsüchtigen Handlungsweise, und vielfach wurden ihnen
Kundgebungen der Verachtung zu Theil; die öffentliche Meinung hatte sie
gerichtet.

Abermals zog das Frühjahr lächelnd und neu belebend in das freundliche
schöne Werrathal ein, Wald und Flur schmückten sich wieder mit jungem
Grün, die Gärten prangten wieder in reichster Blüthenpracht, die Schwalben
begrüßten schwirrend die heimathlichen Berge und suchten über den Thüren
und in den friedlichen Hausfluren ihre Nester auf, und die Nachtigallen
sangen ihre süßen klagenden Lieder, wie zum Abschied an die reisefertige
Familie Turner.

Der Wonnemonat ging zu Ende, als ein geräumiges Schiff unweit des
Städtchens vom Ufer stieß, und Alt und Jung der Einwohnerschaft den
Passagieren im Boote ein herzinniges Lebewohl zurief. Es war die Familie
Turner, die mit feuchten Augen von dem Schiffe her nach dem Ufer zurück
schaute, und von den vielen wahren Freunden und von der Heimath Abschied
nahm. Lange noch hingen ihre thränenvollen Augen an den geliebten
Mitbürgern, an dem Städtchen, an der Kluse, an den trauten Bergen, bis sie
die klare Fluth der Werra um eine schroffe nahe Basaltkuppe trug, und
sie nun ihre Blicke vorwärts richteten. Sie nahten sich dem Fuße der
Wichtelkuppe, da schlossen Turner, so wie seine Gattin, Carl beim Anblick
des Baumes, der über der Felswand hing, von der furchtbaren Erinnerung
tief ergriffen, an ihre Herzen, und dankten ihm nochmals mit seelenvollster
Innigkeit für die Rettung ihres Kindes.

Carl hatte von Allen das unternehmendste Aussehen: er trug einen grauen
Filz, dessen breiter Rand über seine Schultern hinausragte, einen kurzen
grauen Rock, unter welchem das umgeschnallte Jagdmesser hervorsah, und
über seiner offenen Brust lag der durch Juliens Hand schön gestickte Riemen
seiner Waidtasche. Seine Büchse, mit deren Gebrauch er es bereits zu
einer außerordentlichen Fertigkeit gebracht hatte, hielt er im Arm, um
im Vorüberfahren hier oder dort einen Meisterschuß nach einem Vogel
anzubringen.

Von dem für das Wohl ihrer Kinder gefaßten großen Entschluß beseelt, und
von dem festesten Willen, denselben mit allen Kräften zu einem glücklichen
Ende auszuführen, durchdrungen, saßen Turner und dessen Frau auf
dem vorderen Theile des Schiffes und nahmen schweigend von jedem
zurückgelassenen Dörfchen, von jedem Berge, ja von dem ganzen lieben
Werrathale Abschied -- Abschied auf Nimmerwiedersehen. Niemals war ihnen
das Thal so lieblich, so reizend erschienen, als jetzt, wo sie ihre Blicke
zum letzten Male daran weideten; niemals war ihnen die Werra so klar
smaragdgrün vorgekommen, als jetzt, wo ihre dahineilenden spielenden Wellen
sie den Wogen des Weltmeeres zutrugen. Es war Abend, als das Thal sich
öffnete, und das malerisch schön gelegene Städtchen Münden im Duft der
blauen Ferne sichtbar wurde. Dort war das Ziel dieses ersten Tages
der angetretenen langen Reise. Bald glitt das Boot an dem altergrauen
Herzogsschloß vorüber der Weser zu, und legte sich, wo die Fluthen der
beiden Ströme sich vereinigen, an die Seite eines größern Schiffes, welches
die Reisenden am folgenden Tage aufnahm und sie glücklich nach Bremen
trug. Hier gönnte man ihnen einige Ruhe, weil das Schiff, welches sie nach
Amerika führen sollte und welches unweit der Wesermündung vor Anker lag,
seine Ladung noch nicht vollständig eingenommen hatte. Diese Rasttage
benutzten sie, um sich noch mit vielerlei kleinen Bedürfnissen zur Reise zu
versehen.

Turner zahlte sein Geld an ein großes Banquierhaus, von welchem er dagegen
Wechsel auf Baltimore, dem Ziel der Reise, erhielt, und wohl versorgt mit
allem Nöthigen, begab er sich nebst den Seinigen nach mehreren Tagen an
Bord eines Segelfahrzeugs, welches sie auf das Seeschiff bringen sollte.
Ihr Fuß hatte jetzt zum letztenmale die heimathliche Erde berührt, und mit
tiefer Wehmuth sahen sie Bremen bald hinter sich in der Ferne verschwinden.
Der Wind war stark und günstig, eilig glitt das Fahrzeug auf dem sich rasch
erweiternden Strome dahin, und als die Sonne sich neigte, schaukelte es
sich auf hohen halbsalzigen Wogen bis an die Seite des Schiffes Goliath,
welches in großer Entfernung vom Lande vor Anker lag. Der Kapitain dieses
mächtigen Schiffes, ein kräftiger wettergebräunter Seemann, Namens Bosse,
bewillkommnete die Familie Turner von der hohen Brüstung herab, ließ eine
hölzerne Treppe aushängen, und unterstützte mit seinem Steuermann die
Passagiere, das Fahrzeug zu besteigen. Carl Scharnhorst war der Letzte, der
noch im Boote zurückblieb, weil er erst seinen Liebling, Pluto, sicher an
Bord des Goliath wissen wollte. Er hob ihn in seinen Armen an der Treppe
in die Höhe, wo der Steuermann den Hund an dem Halsband erfaßte und ihn zu
sich hinauf zog, und dann erst folgte Carl nach.

Als Turners glücklich auf dem Verdeck angelangt waren, reichte der Kapitain
ihnen sämmtlich die Hand und versicherte ihnen, daß er Alles aufbieten
werde, um ihnen die Reise so angenehm als möglich zu machen. Er führte sie
dann in die prächtig ausgestattete Kajüte, wo sie zum Willkommen ein Glas
Wein mit ihm trinken sollten. Sie hatten kaum Platz genommen, als die
Kinder und auch Madame Turner plötzlich erschrocken auffuhren, denn ein
Mann, so schwarz wie Ebenholz, trug den Wein und die Gläser herein. Es war
der erste Neger, den sie in ihrem Leben erblickten, und sein plötzliches
Erscheinen hatte sie sehr überrascht. Gleich darauf stimmten sie aber in
das Lachen mit ein, in welches der Neger selbst ausbrach, weil er bemerkte,
daß seine schwarze Farbe den Fremden einen solchen Schreck eingejagt hatte.
Es war ein sehr freundlicher gutmüthiger Mensch, hieß Daniel, oder kurzweg
Dan, und hatte die Aufwartung in der Kajüte zu besorgen. Der Kapitain
füllte die Gläser, stieß mit seinen Gästen an und trank mit ihnen auf eine
recht glückliche schnelle Ueberfahrt nach der neuen Welt. Dann wies er
ihnen drei kleine Zimmer an, deren Thüren in die Kajüte führten, und deren
jedes zwei Betten übereinander enthielt. Madame Turner mit Julie nahmen von
dem einen Besitz, Turner und Wilhelm von dem zweiten, und Carl mit Arnold
bezogen das dritte Gemach. Bald aber fanden sie sich sämmtlich wieder auf
dem Verdeck ein, um bei dem scheidenden Tageslicht ihre neue schwimmende
Wohnung zu überblicken, welche sie durch den Ocean tragen sollte, und
welche ihnen für viele Wochen als Aufenthaltsort bestimmt war. Die Weser
erschien hier schon so breit, daß man das jenseitige Ufer kaum erkennen
konnte, und nach Westen hin ruhte das Auge auf einer endlosen Wasserfläche.
Die Sonne hatte dort den Horizont erreicht und ließ, in die Fluth
hinabtauchend, ihre Abschiedsstrahlen auf den dahin eilenden Wogen tanzen
und blitzen, bis ihr letztes Licht versunken war und nur der Feuerschein
des Himmels sich noch glühend auf der bewegten Fluth spiegelte. Die Schauer
der einbrechenden Nacht zogen über die unabsehbare Fläche, brausend rollten
die Wogen der Nordsee zu, warfen sich ungestüm gegen das an den Ankerketten
auf- und niedersteigende Schiff, und in ihrem dumpfen Rauschen verhallte
der eintönige Gesang der Matrosen, womit dieselben das Aufwinden der Güter
aus dem Segelkahn begleiteten. Auf dem hohen Verdeck über der Kajüte saß
Turner neben seiner Gattin und hielt ihre Hand in der seinigen. Der Ernst
und die Feierlichkeit der sie umgebenden Natur stand mit der Stimmung
ihrer Seelen im Einklang, sie blickten schweigend den unaufhaltsam dahin
fliehenden Wogen nach; welchen Stürmen, welchen Klippen jagten dieselben
wohl zu! Sie dachten an ihre eigene Zukunft, an ihr und ihrer Kinder
Schicksal; welchen Beschwerden, welchen Widerwärtigkeiten zogen sie wohl
entgegen!

»So wie diese Wellen verlassen auch wir unsere friedliche stille Heimath,
Marie, um auf dem großen Lebensmeere heftigern Stürmen, vielleicht auch
höherem Glück zu begegnen,« sagte Turner nach langem Schweigen.

»Die Wellen treibt keine Sorge für Anderer Glück von der Heimath fort, wir
wandern für unsere Lieblinge aus, um ihnen eine segensreichere Zukunft zu
schaffen, als wir selbst beanspruchen. Mit unserer Liebe für sie wollen wir
tragen, was uns das Schicksal auch auferlegen mag, wir haben es in Gottes
Hand gegeben, und er wird es zu unser Aller Besten lenken,« entgegnete die
Frau, mit vertrauungsvollem Herzen zu dem besternten Himmel aufblickend,
während Turner ihre Hand an seine Lippen preßte.

Die Kinder, die auf dem untern Verdeck den Matrosen bei deren Arbeit
zugesehen hatten, kamen jetzt, von Carl geführt, zu den Eltern herauf, und
schmiegten sich an dieselben an; denn Alles war ihnen so neu und fremd, und
die rasch zunehmende Dunkelheit steigerte das unheimliche Gefühl, welches
die ernste öde Umgebung ihnen aufdrängte.

»Morgen früh, mit Gottes Hülfe, werden wir in See gehen,« sagte Turner zu
den Kindern, »die Reise durch den Ocean ist mit vielen Gefahren verbunden,
und man muß alle Vorsicht gebrauchen, sich denselben nicht unnöthig
auszusetzen. Haltet Euch immer in unserer Nähe auf, und wenn wir nicht auf
dem Verdeck sein sollten, so folgt dem, was Carl Euch räth.«

In diesem Augenblicke trat der Kapitain herzu, und bat, ihn zum Abendessen
in die Kajüte zu begleiten.

»Ich denke, diese erste Mahlzeit am Bord des Goliath soll Ihnen sämmtlich
nach Ihrer heutigen Fahrt recht gut munden; morgen, wenn das Schiff im
Segeln ist, möchte sich leicht Appetitlosigkeit einstellen.«

Mit diesen Worten ließ der Kapitain seine Passagiere nach der Kajüte
voranschreiten, und als er mit Carl den Zug beschloß und sah, wie Pluto
demselben auf dem Fuße folgte, bemerkte er noch, zu dem Knaben gewandt:
»Deinem Hunde, mein Sohn, müssen wir morgen auch einen Platz bestimmen, wo
wir ihn an die Kette legen können, damit ihn bei den Arbeiten der Matrosen
kein Unfall trifft. Es ist wirklich ein schöner Hund.«

»Ja und ein so braver treuer Hund, wie es wenige giebt,« entgegnete Carl
stolz, und klopfte den lockigen Nacken des Thieres.

Die Passagiere ruhten am folgenden Morgen noch im tiefsten Schlafe, als sie
plötzlich durch das Rasseln der schweren Ankerkette geweckt wurden und sich
auf ihrem Lager hin- und hergeschaukelt fühlten. Rasch waren sie in den
Kleidern und eilten auf das Verdeck, um von dem Festlande Abschied zu
nehmen; denn das Schiff war bereits in vollem Segeln und stürmte bei
heftigem Südwind der Nordsee zu. Höher und mächtiger hoben sich die Wogen,
sie wurden durchsichtiger und grüner, ihre Häupter bedeckten sich mit
weißem Schaum, und, sich übereinander hinstürzend, warfen sie ihren Gischt
weit um sich her. Das Land war nur noch wie ein Nebelstreif zu erkennen;
doch die Blicke der Auswanderer hingen fest an diesem letzten Zeichen der
theuren Erde, und lange schon bildete nur das Wasser noch den fernsten
Gesichtskreis, als die Scheidenden immer noch Land zu sehen glaubten, und
ihm ihr Lebewohl zuwinkten. Der Goliath hatte die Nordsee erreicht, als
der Wind sich drehte, und immer mehr und heftiger von Westen herblies.
Der Kapitain, in der Hoffnung, daß derselbe ganz nördlich werden würde,
steuerte dem Canal zu, und die Bewegung des Schiffes, welches nun gegen
Wind und Wogen ankämpfen mußte, wurde mit jedem Augenblick unangenehmer.
Die Folge hiervon war, daß sich bei den Passagieren die Seekrankheit
einstellte, daß sie auf alles Frühstück verzichteten und sich in ihre
Betten zurückzogen. Auch die Anzeige Daniels, daß das Mittagsessen
aufgetragen sei, vermochte sie nicht, ihr Lager zu verlassen; denn schon
der Gedanke an Speisen war ihnen zuwider. Nachmittags aber fühlten sie sich
plötzlich weniger unwohl, sie meinten, das Schiff mache nicht mehr solche
gewaltige stoßende Bewegungen, und nach und nach kamen sie aus ihren
Zellen hervor. Der Wind stand so fest und gerade von dem Ocean in den Canal
herein, daß der Goliath nur mit großer Schwierigkeit und vielem Zeitverlust
hätte gegen denselben ansegeln können, weshalb Kapitain Bosse sich
entschlossen hatte, in der Nordsee hinauf und nördlich um England seinen
Weg nach dem Weltmeer zu nehmen. Dadurch, daß der Wind nun mehr seitwärts
in die Segel des Goliath blies, wurden dessen Bewegungen regelmäßiger und
weniger heftig, und in gleichem Maße nahm das Unwohlsein der Passagiere ab.
Herr und Madame Turner erholten sich weniger schnell und waren genöthigt,
sich auf dem Verdeck auf wollenen Decken niederzulegen, die Daniel dort für
sie ausbreitete; aber die Kinder hatten bald die Seekrankheit vergessen und
ergötzten sich an dem neuen prächtig großen Schauspiel, welches sie umgab.
Mit aufgeblähten Segeln bis in die Spitzen seiner Masten überwölkt, stieg
das Schiff an den durchsichtigen smaragdgrünen Wasserbergen hinan, theilte
deren schäumende Höhen und schoß dann wieder in die Tiefe hinab, um sich
abermals auf die nächste Woge zu heben. Die Sonne strahlte aus dem eilenden
Gewölk hervor und warf hier und dort helle Lichtstreifen auf das wogende
Meer, und der Sprühregen, der sich vor dem scharfen Kiel des Goliath
aufthürmte und seitwärts an ihm vorüberstäubte, blitzte in ihrem Schein in
allen Farben des Regenbogens. In der Mitte des obern Verdecks war das große
Boot, mit dem Kiel nach oben gekehrt, auf mehreren Stützen befestigt, so
daß man unter demselben Schutz gegen Regen und Sonnenschein finden konnte.
Diesen Platz hatte Carl für sich und seine Gefährten zum Sammelplatz
erkoren, sobald Matrosen sich auf dem Verdeck zeigten, um Arbeiten zu
verrichten. Jetzt aber, wo das Schiff ruhig und ohne weitere Hülfe beim
Winde segelte, waren Carl und Arnold, so wie Wilhelm oben auf das Boot
gestiegen, weil sie von hieraus über die Brüstung des Schiffes hinaus das
Meer frei überblicken konnten. Der Neger Daniel fand großes Gefallen an den
wackeren Knaben und gesellte sich, sobald er einige Augenblicke Zeit hatte,
zu denselben, um sich mit ihnen zu unterhalten; denn er hatte schon beinahe
zwei Jahre auf diesem Schiffe gedient und recht gut Deutsch reden gelernt.
Die Knaben faßten bald Zutrauen zu dem ehrlichen Schwarzen, und er mußte
ihnen über Alles, was sie nicht kannten, Auskunft geben. Die weißen und
bunten, großen und kleinen Möven, die auf ihren langen sichelförmigen
Schwingen segelnd über das Meer hinschwebten und von Zeit zu Zeit in
den Schaum einer Wellenspitze hineinstießen, nahmen insbesondere die
Aufmerksamkeit der Kinder in Anspruch, und Dan, ihr schwarzer Freund,
erzählte ihnen dabei von den felsigen Inseln, nördlich von Schottland, auf
welchen diese Vögel in unzähligen Schaaren brüteten.

»Fische, Fische, große Fische!« riefen plötzlich die Knaben einstimmig, und
zeigten über die See hinaus.

»Das sind Pourpoises, Braunfische, oder Seeschweine, sie kommen gerade
hierher, und werden bald den Goliath umschwärmen, besonders gern spielen
sie in dem Schaume vor dem Schiffe,« antwortete der Neger, gleichfalls nach
den großen Fischen schauend, deren mehrere hundert von weit her angebraust
kamen, indem sie aus der See emporschossen, einen Bogen durch die Luft
beschrieben, und, mit dem Kopfe voran, wieder in die Fluth hinabtauchten.
In diesem spielenden Laufe jagten sie, den Schaum um sich aufspritzend,
pfeilschnell über die Wogen heran, und sie hatten das Schiff bis auf einige
hundert Schritte erreicht, als Carl nach der Kajüte springen wollte, um
seine Büchse zu holen. Daniel aber hielt ihn zurück und bedeutete ihn, daß
die Büchse nicht die rechte Waffe sei, um diese Fische zu jagen.

»Mit der Harpune kann man einen fangen,« sagte er aufspringend, »soll ich
sie herbeiholen?«

»Ach ja, Dan, geschwind, da sind die Fische schon dicht beim Schiff -- hu
-- wie sie brausen!« riefen die Jungen, und Daniel rannte eiligst hinab
in die Kajüte, um deren Wunsch zu erfüllen. Wenige Augenblicke nachher
erschien er wieder auf dem untern Verdeck mit dem zwei Fuß langen Eisen,
dessen scharfe Spitze mit Widerhaken versehen war, stieß einen langen
schweren Stock in das hohle andere Ende desselben, befestigte eine starke
Leine daran, und winkte nun den Knaben, zu ihm herabzukommen. Diese folgten
jauchzend dem Neger bis an die vordere Spitze des Schiffes, wo derselbe das
Seil der Harpune an der Brüstung befestigte, über welche die Kinder in die
See hinabschauten und den hin- und herschießenden Fischen mit den Blicken
folgten. Daniel hatte sich auf die Brüstung an das starke Tauwerk gestellt,
welches von da nach den Masten hinaufführt, und hielt, in das Meer
hinabspähend, die Harpune zum Wurf bereit in die Höhe. Die Fische schienen
es besonders zu lieben, seitwärts an dem Schiffe vorüberzujagen und
sich dann in den Schaumberg hinein zu stürzen, der sich vor demselben
aufthürmte. Wiederholt zuckte Daniel mit der Lanze, als wolle er sie
hinabschleudern, hielt sie aber immer noch zurück, um seines Wurfes gewiß
zu sein; plötzlich aber fuhr sie sausend hinunter, und ihre Spitze begrub
sich tief in dem Rücken eines der Fische.

»Getroffen, getroffen!« rief Carl jubelnd, doch der Fisch war in die Tiefe
hinunter geschossen und zog das lange Seil schwirrend nach sich. In wenigen
Augenblicken hatte dasselbe jedoch das Ende erreicht, und man konnte sehen,
daß das gespießte Thier mit gewaltiger Kraft an demselben riß und zuckte.
Daniel rief nun einige Matrosen zu Hülfe, um die Beute auf das Verdeck zu
ziehen. Mit großer Anstrengung wurde das Seil eingezogen, bald erschien
der Fisch, dagegen kämpfend und um sich schlagend, über den Wogen, und nun
hoben ihn die Matrosen über die Brüstung und ließen ihn auf das Verdeck
fallen. Es war ein ungeheures, nicht mit Schuppen, sondern mit einer
braunen glatten Haut bedecktes Thier, im Gewicht von mehr als zweihundert
Pfund. Bald hatte es sich verblutet und wurde von den Matrosen seiner Leber
beraubt, dem einzigen genießbaren Theile seines Körpers. Es ward in Stücken
gehauen und seines Thranes wegen ausgebraten.

Durch diese Jagd hatte Daniel seinen jungen Freunden eine große Freude
bereitet und sich in ihrer Gunst nur noch fester gesetzt.

Herr und Madame Turner fühlten sich wieder so viel wohler, daß sie an dem
Abendbrod Theil nahmen, wenn sie sich dabei auch mit einem Stück Zwieback
und einer Tasse Thee begnügten. Dann eilten sie aber auf das Verdeck
zurück, weil ihnen die frische Seeluft besonders wohl that, und der
aufmerksame Daniel richtete ihnen dort abermals aus wollenen Decken
ein Lager her. Julie hatte ihre Mutter während des ganzen Tages nicht
verlassen, bereitete Limonade für sie, reichte ihr zuweilen ein Stück einer
Orange, deren sie von Bremen einen Vorrath mitgenommen hatte, und war jeden
Augenblick ihres Winkes gewärtig, um ihr einen Wunsch zu erfüllen.

Der Kapitain kam wiederholt zu den Passagieren herangetreten, um sich nach
ihrem Befinden zu befragen, und als der Tag sich neigte, setzte er sich in
traulicher Unterhaltung bei ihnen auf dem Verdeck nieder.

»Die Knaben scheinen mit Daniel Freundschaft geschlossen zu haben,« sagte
Turner zu dem Kapitain, »durch den Fang des Fisches hat er sich ihre Herzen
gewonnen. Jetzt sitzen sie alle drei wieder um ihn, und lassen sich von ihm
erzählen.«

»Der Neger ist ein ungewöhnlich guter Bursche, ein ausgezeichneter Diener
und ein Mensch, der sehr viel im Leben durchgemacht hat,« antwortete der
Kapitain. »Seine Eltern waren Sklaven unter einem Indianerstamm im
fernen Westen Amerika's, dort wurde er geboren und dort verlebte er seine
Jugendzeit. Nachdem ihm aber Vater und Mutter durch den Tod entrissen
waren, entfloh er den Wilden, gelangte nach langer Verfolgung durch
dieselben glücklich in die Grenzansiedelungen der Weißen und kam endlich
als freier Schwarzer nach New-York, wo er sich mehrere Jahre durch Arbeiten
ein rechtliches Brod erwarb. Ich lernte ihn kennen, als ich vor einigen
Jahren mein Schiff in jener Stadt ausbesserte, wobei er sich mir als
Arbeiter vermiethete. Ich gewann ihn lieb und machte ihm den Antrag, mit
mir auf See zu gehen, um die Aufwartung in meiner Kajüte zu übernehmen. Er
willigte ein, und so ist er bei mir geblieben, und bis auf den heutigen
Tag haben wir noch nie ein böses Wort mit einander gewechselt. Er ist ein
zuverlässiger, ehrlicher und treuer Mensch.«

»_Den_ Eindruck hat er mir vom ersten Augenblick an gemacht, und es ist
mir lieb, daß er sich der Jungen annimmt, da er über sie wachen wird,«
entgegnete Turner, nach dem Neger hinschauend, der zwischen den drei Knaben
oben auf dem Boote saß, und sie eifrig unterhielt.

Er erzählte ihnen aus seinem Leben unter den Wilden, von den Jagden nach
Büffeln, Bären und wilden Pferden, von den blutigen Kämpfen unter den
verschiedenen Indianerstämmen und von den herrlichen, noch von weißen
Menschen unbewohnten unermeßlichen Ländern, in denen die Wilden ihr
unstätes heimathloses Leben führen. Die Knaben horchten mit großer Spannung
den Mittheilungen des Schwarzen und unterbrachen ihn nur selten durch
einzelne Fragen. Besonders aber war Carl ganz Ohr und sah sich schon im
Geiste auf einem flüchtigen Hengste dem fliehenden Büffel folgen, oder im
wilden Kampfe einen grimmigen Bären erlegen. Die Dunkelheit hatte sich
über das Meer gebreitet und die Nachtluft wurde empfindlich kühl, als Herr
Turner die Knaben in ihrer Andacht störte, mit der sie den Erzählungen des
Negers lauschten, indem er sie daran mahnte, daß es Zeit sei, sich zur Ruhe
zu begeben.

»Onkel, hättest Du doch gehört, was uns Daniel erzählt hat!« sagte Carl,
als sie in der Kajüte angelangt waren. »Er hat uns die Jagden beschrieben;
die Büffel werden zu Pferde gejagt, man sprengt an ihre Seite und schießt
sie vom Pferde herab mit Pistolen. Das muß ein Spaß sein!«

»Aber ein sehr gefährlicher Spaß, mein lieber Carl, bei dem man ganz leicht
Hals und Beine brechen, oder unter den Füßen des Büffels zertreten werden
kann,« antwortete Turner lächelnd. »Wo wir uns niederlassen werden, da
giebt es keine Büffel mehr.«

»Das ist schade, ich hätte doch einmal gern eine solche Jagd mitgemacht,«
bemerkte Carl mit einem Ausdruck vereitelter Hoffnung.

»Nun, wer weiß, ob Du nicht einmal eine Reise nach dem Westen machen wirst,
das ist ja so weit nicht!« sagte Turner tröstend, und setzte noch hinzu:
»wenn wir erst unsere Farm in Ordnung und ein paar gute Ernten gemacht
haben, dann kann man einmal einige Wintermonate daran wenden, um die Länder
im Westen zu sehen; es soll dort herrlicher Boden sein.«

»Der beste Boden in ganz Amerika, sagt Daniel,« antwortete Carl rasch und
begeistert.

»Und Büffel und Bären und wilde Pferde zu Tausenden, nicht wahr?« fiel
Turner lachend ein. »Nun, legt Euch in Gottes Namen zur Ruhe, und träumt
meinetwegen, daß Ihr auf einem Büffel spazieren reitet.«

Die Nacht verstrich ohne alle Störung, die Schläfer ließen sich durch die
wiegende Bewegung des Schiffes in liebliche Träume schaukeln, und am frühen
Morgen fanden sie sich wieder heiter und guter Dinge auf dem Verdeck ein.
Die Sonne tauchte prächtig und klar aus dem Meere empor, der Himmel wölbte
sich wolkenlos und durchsichtig über der wogenden Fluth, und der frische
Wind füllte die Segel des Goliath mit aller Macht und trieb ihn eilig auf
seiner einsamen Bahn dahin.

Madame Turner hatte für sich und für Julie Näharbeiten mit auf das Verdeck
genommen, um die Zeit nicht müssig zu verbringen, und Turner setzte sich
mit einem Buche, welches über Amerika handelte, zu ihnen. Carl aber
mit Arnold und Wilhelm hatte das Boot wieder bestiegen, um die See zu
überspähen und zu wachen, ob sich nicht wieder die Gelegenheit zu einer
Jagd darbieten würde. Daniel fand sich, so oft es seine Zeit erlaubte, bei
den Knaben ein und wurde von ihnen dann mit tausend Fragen bestürmt; mit
weiteren Erzählungen über sein Leben in der Wildniß aber vertröstete er sie
auf den Abend, wo ihn seine Geschäfte nicht dabei unterbrechen würden.

Eine auffallende Ruhe und Stille herrschte auf dem Schiffe. Die Matrosen
saßen auf dem untern Verdeck mit der Ausbesserung von Segeln beschäftigt,
oder hingen hier und dort hoch in der Luft in dem Tauwerk der Masten, um
kleine Schäden auszubessern, und der Kapitain ging ab und zu, indem er
seine Anweisungen bei den Arbeiten gab. Nur von Zeit zu Zeit rief er die
Matrosen herbei, um das eine oder andere Segel etwas straffer anzuziehen;
denn außerdem gebrauchte das Schiff keine besondere Hülfe: es segelte
unverändert während des ganzen Tages in derselben Richtung und dasselbe
Bild, dieselben Erscheinungen umgaben fortwährend das Fahrzeug. Turners
schauten zwar oftmals über die See hinaus und folgten mit den Blicken dem
Laufe der rollenden Wogen; diese boten aber in ihrer regelmäßigen Bewegung
dem Auge durchaus keine Veränderung, und Turner bemerkte dem Kapitain, als
derselbe einmal zu ihnen getreten war, daß auf die Dauer eine Seereise doch
sehr einförmig, ja langweilig werden müsse.

»Wir wollen hoffen, daß die unserige in dieser Beziehung recht langweilig
bleiben möge; denn die Abwechselungen, die sie uns bieten könnte, sind
nicht zu unserm Vortheil. Bei Windstille und glatter ruhiger See würden wir
nicht aus der Stelle kommen, und ein Sturm, so schön und interessant die
Landbewohner ihn sich auch denken mögen, ist und bleibt ein gefährliches
Vergnügen. Wind und Wetter, wie wir es heute haben, ist des Seemanns
höchste Lust; dieser Wind würde uns in einigen zwanzig Tagen nach Baltimore
bringen.«

»Ich verzichte auch gern auf jede Abwechselung,« bemerkte Madame Turner,
»der Himmel mag uns vor Stürmen bewahren!«

»Wir sind jetzt in der günstigen Jahrszeit, wo man sie am wenigsten
zu befürchten hat; hoffentlich werden Sie ihre Bekanntschaft gar nicht
machen,« erwiederte der Kapitain. Der Tag verlief ruhig und heiter und
der Abend wurde von Carl und seinen Gefährten freudig bewillkommnet, denn
gleich nach dem Abendessen setzte sich Daniel wieder zu ihnen und erzählte
von seinem Leben in der Wildniß.

Am folgenden Morgen fühlten die Passagiere schon in ihren Betten an
den heftigen Bewegungen des Schiffes, daß mit der See eine Veränderung
vorgegangen sein müsse. Der erste Blick auf das Verdeck machte ihre
Vermuthung auch wahr: ein sehr heftiger Wind jagte schwere graue Wolken
fliegend über die Wogen, welche sich immer höher und gewaltiger erhoben
und sich ungestüm gegen die Seiten des Goliath warfen. Die Matrosen waren
eifrig beschäftigt, die oberen Segel ganz einzuziehen und die unteren zu
verkleinern, alle Arbeiten auf dem Verdeck waren eingestellt, alle
Taue, die nach den Segeln hinaufführten, lagen für schnellen Gebrauch
zusammengeringelt an der Brüstung hin, und allenthalben auf dem Schiffe
war die größte Ordnung hergestellt. Auf die Frage der Madame Turner an den
Kapitain, ob er Besorgniß über das Wetter hege, erwiederte er, daß dasselbe
weniger günstig zu werden scheine, und daß er alle Vorkehrungen treffen
müsse, ihm zu begegnen. Der Wind nahm von Stunde zu Stunde an Heftigkeit
zu, bis er gegen Abend aus Südwesten in einem Sturm heranzog. Das Düster
der einbrechenden Nacht vermehrte das Schauerliche des Bildes, welches die
Umgebung des Goliath jetzt darbot. In rollenden Wasserbergen thürmte sich
die See um ihn auf, donnernd brachen sich die Wogen unter seinem Kiel und
warfen, hoch vor ihm aufsteigend, ihren weißen Gischt über das Verdeck hin.
Dabei pfiff und stöhnte der Wind in dem rasselnden Tauwerk und drohte
die wenigen kleinen Segel, die das Schiff noch trug, zu zerreißen. Der
Sprühregen der Wogen, der ununterbrochen über das Verdeck peitschte, hatte
die Passagiere von dort verjagt und sie in die Kajüte getrieben. Hier saßen
sie bei dem matten Scheine der Ampel, die sich unter der Decke hin und her
schwang, mit bangen Herzen beisammen, und lauschten dem Brausen und Toben
des Sturmes und der Wogen, so wie dem Aechzen und Stöhnen des Schiffes und
seiner Masten. Es ging schon auf Mitternacht, als der Kapitain durchnäßt
hereintrat, um seinen Rock zu wechseln, und seine Passagiere noch auf fand.
Er versicherte ihnen nun, daß noch durchaus keine Gefahr vorhanden sei, bot
Alles auf, sie zu beruhigen, und bat sie dringend, sich zu Bett zu begeben;
er würde statt ihrer wachen. Turners gaben seinen Vorstellungen nach,
verbrachten jedoch eine sehr unruhige Nacht und hießen mit ganzem Herzen
das neue Tageslicht willkommen.

Kurz vor der Frühstückszeit rief sie der Kapitain auf das Verdeck, um ihnen
die Orkney-Inseln zu zeigen, in deren Nähe sich der Goliath jetzt befinde.
Turner mußte seine Gattin beim Gehen halten und unterstützen, um das obere
Verdeck zu ersteigen; denn das Schiff lag sehr auf der Seite und schwankte
gewaltig auf und nieder. Die Wolken hingen in ihrem schnellen Zuge so
tief auf das Meer herab, daß man nur von Zeit zu Zeit, wenn sie der Sturm
auseinander fegte, einen weiteren Blick von dem Schiffe aus hatte, und eine
geraume Zeit waren die Passagiere mit den Augen der Richtung gefolgt,
in welcher der Kapitain die Inseln andeutete, ehe sie dieselben erkennen
konnten.

In schwarzen steilen Felsmassen, um welche sich das graue Gewölk rollte,
stiegen sie aus der wild tobenden Fluth auf, und die Außenlinien ihrer
schroffen zackigen Wände wurden dem Auge bei Annäherung des Fahrzeuges
immer deutlicher und schärfer. Bald hatte der Goliath die östlichste
Inselgruppe bis auf geringe Entfernung erreicht und stürmte, von Wind und
Wogen gejagt, an ihr vorüber. Die See bäumte sich an den nackten schwarzen
Felsen und warf ihren weißen Schaum hoch an ihnen empor, während Milliarden
von Möven, Enten, Gänsen und Tauchern ihre Höhen wie weiße Wolken krächzend
umschwärmten und sich in großer Zahl auf ihren Spitzen niedergelassen
hatten. Weithin erkannte man von Zeit zu Zeit noch mehrere andere dieser
kahlen felsigen Inseln, die Jahr aus Jahr ein von der See gepeitscht, dem
Zorn der Elemente Trotz bieten und auf denen, abgeschieden von der übrigen
Welt, glückliche Menschen wohnen, die diese ihre Heimath lieben und sie
gegen keine andere vertauschen möchten. Eilig zog der Goliath an den Inseln
vorbei und bald verschwanden dieselben in der schweren grauen Luft, die
der Sturm über das Meer hintrieb. Der Wind war ganz westlich geworden und
nöthigte das Fahrzeug, seine nördliche Richtung beizubehalten. Nur wenige
kleine Segel waren noch entfaltet, genug, um das Schiff steuern zu können,
und doch schoß es mit fliegender Eile Woge auf, Woge ab dahin, während
seine nackten Masten sich weit über die See hinaus neigten. Noch am
selbigen Abend zog es an den Shetland-Inseln vorüber, die ein ähnliches
Bild boten, wie die Orkneys, und am folgenden Tage kamen die Faroer-Inseln
in Sicht. Der Sturm hatte immer noch nicht an Heftigkeit abgenommen, und
immer noch mußte der Kapitain sein Schiff nach Norden steuern lassen,
um dasselbe möglichst vor Schaden durch den Wind und durch die furchtbar
rollende See zu behüten.

Auch die Faroer-Inseln blieben zurück, und der Goliath segelte nun in
gerader Richtung auf Island zu. Jetzt aber schien der Sturm nachzulassen,
er brauste nur noch stoßweise auf, die blauer gefärbten Wogen des Weltmeers
dehnten sich länger, nahmen an Höhe ab, und nach und nach gewann die
See wieder ein freundlicheres Ansehen. Die Temperatur aber hatte eine
bedeutende Veränderung erlitten, es war empfindlich kalt geworden, so daß
die Passagiere Tücher und Mäntel umhängen mußten, und eines Morgens, als
sie auf das Verdeck kamen, war alles Tau- und Segelwerk bis in die Masten
hinauf mit einer Eiskruste überzogen. Am Himmel war kein Wölkchen mehr
zu sehen, und als die Sonne ihre Strahlen über das Meer ausbreitete,
verschwand das Eis und die Kälte, und ein lauer Wind von Süden erinnerte
die Reisenden wieder daran, daß sie sich im Monat Juni befanden. Das Meer
hatte sich geglättet, es wogte nur noch wie in langen Athemzügen auf und
nieder, und nur hier und dort lief eine weiße Schaumwelle spielend über die
glatte glänzende Fluth. Dabei füllte der leichte Wind die Segel des Goliath
bis in die höchsten Spitzen seiner Masten, und trieb ihn fast
regungslos auf der endlosen Wasserfläche hin. Es war Sonntag und für
die Schiffsmannschaft sowohl, wie für die Passagiere, nach einer so
unfreundlichen gefahrvollen Zeit ein wahrer Festtag. Nach einem heißen
Dankgebet, welches Turners dem Allmächtigen für seinen Schutz gebracht
hatten, eilten sie sämmtlich auf das Verdeck, um sich des wunderbar schönen
neu belebenden Morgens zu erfreuen. Der Himmel und die See lächelten ihnen
entgegen, die weit umherkreisenden schreienden Möven schienen ihnen Grüße
zuzurufen, und die lustigen Pourpoises spielten und jagten sich über die
spiegelnde Fläche. Mit Bedauern sahen die Bewohner des Goliath den Tag
seinem Ende nahen, und Turners hatten sich auf dem obern Verdeck zusammen
niedergelassen, um der Sonne bei ihrem Scheiden noch ein dankbares Lebewohl
zuzuwinken.

Je mehr dieselbe sich ihrem Fluthbette näherte, desto lebendiger
färbte sich der Himmel im Westen mit Gold und Purpur, und als sie, eine
durchsichtig glühende Scheibe, über den Rand des Meeres stand und ihr
blitzender funkelnder Schein, wie ein Weg von Brillanten, bis zum Schiffe
über die leicht gekräuselte Fluth tanzte, hatte sich der Himmel über ihr in
ein Feuermeer verwandelt.

An der andern Seite des Oceans aber, im Osten, stieg in diesem Augenblick
der Mond silberhell über der dunkeln Meeresfläche auf, hauchte sein
bleiches Perlenlicht über sich am Himmel empor, und sandte seinen hell
glänzenden Schein, wie ein zitterndes Atlasband, über die Wellen bis zu
dem Goliath hin. Zugleich wurden die erstaunten bewundernden Blicke der
Passagiere nach Norden hingezogen; denn dort erschien ein drittes Licht am
Firmament, welches sich in zarten rosenrothen Strahlen aus dem Meere erhob,
bis zu der Mitte des Himmelsgewölbes hinaufschoß, und sich zugleich bis zu
dem Schiffe her auf der Fluth spiegelte. Es war das Nordlicht, die =Aurora
borealis=, welches, wie in raschen Pulsschlägen, von Secunde zu Secunde an
Kraft und Farbenpracht zunahm, bis es in ein leuchtendes Carmin überging,
und sich zu seinen Seiten mit dem Feuermeer über der sinkenden Sonne und
mit dem Perlenlichte des Mondes vereinigte. Die Sonne schied zuerst
aus diesem zauberischen dreifachen Lichtbunde, sie sank, wie das sich
schließende Auge des Tages in das Meer, auf dessen zitternder Fläche nur
noch der Wiederschein des Himmels spielte; das Nordlicht verblich nach
und nach, wie mit ermattendem Hauche stiegen seine Strahlen schwächer und
schwächer empor, und der Mond zog triumphirend am Himmel auf und breitete,
als Herrscher der Nacht, seinen Atlasschein über die endlose Fluth.

Lange noch saßen die Passagiere, in tiefer stummer Bewunderung versunken,
auf dem Verdeck und hielten das entschwundene Zauberbild vor ihrem
geistigen Auge gefesselt.

»Ach, wie schön ist das Meer, wie prächtig, wie furchtbar groß in seinem
Zorne, wie lieblich, wie bezaubernd in seiner Ruhe!« rief Madame Turner
tiefbewegt aus, als der Kapitain zu ihr trat, der mit einem gewissen Stolze
die Verehrung bemerkte, welche die Familie seiner Heimath, der See, zollte.

»Es muß wohl schön sein; denn was sonst zieht den Seefahrer mit so
unwiderstehlicher Gewalt immer wieder auf seine blauen Wogen hinaus, um
zuletzt unter ihnen sein großes Grab zu finden -- wo bleiben die Matrosen
alle -- wie selten stirbt ein alter Seemann auf dem Lande, und wie noch
viel seltener begegnet man dort einem solchen, der sich Reichthümer
erworben hat? Das Meer ist eine schönere Heimath, als das Land!« sagte der
Kapitain, und schaute mit Wohlgefallen über die, im Mondlicht glänzende
endlose Meeresfläche.

Am folgenden Morgen fanden die Passagiere das Schiff auf seiner andern
Seite liegend durch die See gleiten, denn der Wind war in der Nacht
herumgegangen und blies jetzt frisch von Nord-Ost her in die Segel. Das
herrlichste Wetter begleitete den Goliath nun während einiger Wochen, und
kaum wurde es einmal nöthig, die Segel anders zu stellen.

Zufrieden und beglückt durch den Gedanken, für das Wohl ihrer Kinder ein
ruhiges gefahrloses Leben in dem Vaterlande geopfert zu haben und sich den
Gefahren der See, so wie denen in einem fremden Lande und unter fremden
Menschen preiszugeben, schwanden Turner und seiner Gattin die Tage angenehm
und rasch, und die frohe Hoffnung, nun bald das Ziel ihrer Reise zu
erreichen und ihren Fuß auf die Erde ihrer neu erwählten Heimath zu setzen,
wurde täglich lebendiger in ihrer Brust. Die Kinder aber, denen der Ernst
der verhüllten Zukunft noch keine Sorgen machte, zählten keine Stunden,
keine Tage; sie sehnten nur an jedem neuen Morgen den Abend herbei, wo ihr
Freund Daniel sich zu ihnen setzen und ihnen aus seiner Jugendzeit erzählen
würde. Ehe dann die Knaben sich zur Ruhe begaben, theilten sie den Eltern
gewöhnlich Bruchstücke aus den Erzählungen des Negers mit, so daß Turner
zuletzt selbst neugierig wurde und einige Fragen an den Schwarzen zu
stellen beschloß. An einem stillen Abend, als Daniel wieder seine jungen
Zuhörer um sich versammelt hatte, trat Turner wie zufällig heran und ließ
sich mit den Worten bei ihnen nieder:

»Nun Daniel, ich muß doch auch einmal etwas über Dein früheres Leben hören;
Du bist ja unter den Indianern aufgewachsen.«

»Ja wohl, Herr, meine Eltern waren Sklaven unter einem der Indianerstämme,
welche die fernen westlichen Länder Amerika's Jahr aus Jahr ein
durchwandern und, dem Büffel folgend, im Frühling nach Norden und im Herbst
wieder nach Süden ziehen. Sie leben ausschließlich von der Jagd und führen
große Heerden von Pferden und Maulthieren mit sich, für welche sie stets
die besten Weiden aufsuchen,« entgegnete der Neger.

»Dann hast Du Gelegenheit gehabt, die verschiedenen Länder Amerika's zu
sehen und mit einander zu vergleichen; wo sind denn Deiner Ansicht nach die
besten für einen Farmer zu finden?«

»Jedenfalls im Südwesten, denn dort sind die reichsten immergrünen Weiden,
wo das Vieh Winter und Sommer im Freien gehen kann, stets reichliche
Nahrung findet und seinem Eigenthümer weder Geld noch Mühe kostet. Wer dort
eine Neigung zur Viehzucht besitzt, muß durch sie zum reichen Manne werden.
Im Norden, wo im Winter Monate lang Schnee liegt und der Frost das Gras
tödtet, kann der Farmer nur so viel Vieh halten, wie er im Winter in dem
Stalle zu ernähren vermag. Dort ist er mehr auf den Ackerbau angewiesen,
und auch damit steht der Norden gegen den Süden sehr zurück, wo man während
des ganzen Jahres säen und ernten kann.«

»Das ist einleuchtend; aber im Süden ist es sehr ungesund, und ein weißer
Mann kann die Arbeit nicht lange aushalten.«

»Darum nannte ich den Südwesten,« entgegnete Daniel; »dort ist es gesund,
in den offenen waldlosen Prairien kann die Luft sich frei bewegen, und
es giebt keine stehenden verdorbenen Gewässer, keine Sümpfe, wie in den
südöstlichen Staaten.«

»Jene westlichen Länder aber sind noch im Besitze der Wilden und ein
Ansiedler ist dort großen Gefahren ausgesetzt,« nahm Turner wieder das
Wort. »Bist Du denn einmal in Baltimore gewesen und kennst Du das Land an
den Ufern der Chesapeake-Bay?«

»Ich habe über ein Jahr dort auf einer Farm gearbeitet. Es ist ein
herrlicher, reicher Landstrich, wenngleich auch dort der oft sehr strenge
Winter die Viehzucht beschränkt. Auch herrschen im Herbste an den Ufern der
Bay die Fieber, wenn sie auch nicht so bösartig sind, wie weiter im Süden.«

»Du hast also auch auf einer Farm gearbeitet, -- was hast Du denn dort
gethan?«

»Nun, Alles, was dem Farmer zu thun obliegt. Ich hatte mich bei einer
Wittwe vermiethet und besorgte mit noch einem Neger, dem Sklaven der
Frau, die ganze kleine Wirthschaft; ich pflügte, säete, pflanzte, machte
Einzäunungen, und brachte die Ernte ein. Wir bauten Mais und Taback, und
verdienten der Wittwe vieles Geld,« sagte der Schwarze.

»Was kostet denn dort das Land?« fragte Turner.

»Das ist sehr verschieden, schlechtes Land kauft man für zehn Dollar und
ganz gutes für hundert Dollar.«

»Also doch so hoch wird es dort bezahlt. Man schrieb mir, daß man das beste
Land für zehn Dollar kaufen könne,« fiel Turner überrascht ein.

»Ja, ja, in Amerika redet ein Jeder in seinem eigenen Interesse. Wer Ihnen
das geschrieben hat, wird auch wohl seinen Vortheil dabei im Auge gehabt
haben.«

»Doch nicht, es war mein eigener Vetter, der es mir schrieb,« antwortete
Turner, halb in Gedanken versunken, und setzte dann schnell hinzu, »aber im
Westen, dort ist das Land noch billig.«

»Regierungsland kostet zwei und einen halben Dollar, gut oder schlecht, wie
man sich es wählen will. Doch in der Nähe der Ansiedelungen ist alles gute
Land schon von Speculanten angekauft, man muß also weiter hinaus in
das Territorium der Indianer gehen. Man kauft aber auch zwischen den
Ansiedelungen bestes Land zu vier bis zehn Dollar den Acker,« versetzte der
Neger.

»Der Unterschied wäre also doch sehr bedeutend,« bemerkte Turner und sagte,
indem er aufstand: »Ich habe Dich aber in Deiner Unterhaltung mit den
Knaben unterbrochen, nun erzähle ihnen noch von den Jagden, denen Du in
jenen schönen Ländern gefolgt bist. Wäre nicht mein künftiger Wohnort schon
bestimmt, wahrhaftig, ich hätte selbst Lust, dort einen Versuch zu machen.«

»Der Sie auf die Dauer wahrscheinlich mehr befriedigen würde, als in den
alten östlichen Staaten,« bemerkte der Schwarze noch, als Turner zu seiner
Gattin und Tochter zurückging.

Einige Tage später änderte sich die Temperatur auffallend schnell, es
wurde kühl und immer kälter, so daß die Passagiere abermals ihre Mäntel
hervorsuchten. Obgleich sich der Kapitain nicht darüber äußerte, so zeigten
doch die verschiedenen Anstalten, die auf dem Schiffe gemacht wurden, daß
er irgend etwas befürchtete. Die Segel wurden trotz dem nicht heftigen
Wind bis auf sehr wenige eingezogen, so daß das Schiff ungewöhnlich langsam
durch das Wasser strich, es wurden zwei Matrosen auf die spitzen Masten
des Goliath gesandt, um fortwährend die See zu überspähen, und mehrere
male stieg der Kapitain selbst in den Mastkorb hinauf. Gegen Mittag zog ein
immer dichter werdender Nebel von Norden her über das Meer und hüllte bald
das Schiff so sehr ein, daß man kaum mehr vom einen Ende desselben bis zum
andern sehen konnte. Dabei nahm die Kälte immer noch zu und, wie es schien,
in gleichem Maße die Besorgniß des Kapitains. Turner fragte ihn um die
Ursache dieses Nebels, worauf Bosse ihm ausweichend erwiederte, daß das
Schiff sich auf der Bank von Neufoundland befinde, wo solche Nebel sehr
häufig einträten. Der Mittag verstrich ohne die mindeste Aenderung in der
Luft, nur auf dem Schiffe wurde die Vorsicht verdoppelt, und sehr oft sahen
die Passagiere, daß der Kapitain ein Thermometer in die See hinab ließ und
dasselbe beim Herausheben aufmerksam betrachtete. Die Dämmerung nahm rasch
zu, als Daniel zum Abendessen rief. Die Passagiere ließen sich stets durch
den Kapitain zu den Mahlzeiten geleiten, diesmal aber bat derselbe nur
vorauszugehen, er würde nachfolgen. Erst nachdem Turners ihr Abendessen
bereits beendigt hatten, erschien Bosse und zwar in großer Eile, um sich
bald wieder auf das Verdeck zu begeben. Turner wandte sich abermals an ihn,
um die Ursache seiner augenscheinlichen Besorgniß zu erfahren, doch wich er
wieder wie früher einer erklärenden Antwort aus. Daniel hatte dem Kapitain
Thee eingeschenkt, und derselbe hob die Tasse an seinen Mund, als ein
furchtbarer Stoß und ein Krach das Schiff erschütterte, wie wenn es in
Trümmer zerschlagen sei.

»Eis, Eis, Gott sei uns gnädig!« schrie der Kapitain und stürzte mit den
Passagieren, den Stühlen und Allem, was auf dem Tische stand, bis an
die hintere Wand der Kajüte; denn deren Eingang hatte sich so sehr empor
gehoben, daß es kaum möglich war, ihn zu erklimmen. Das Zetergeschrei,
womit sich Madame Turner und die Kinder umklammerten, wurde von den
Angstrufen, die auf dem Verdeck erschallten, übertönt, und donnernd und
krachend hörte man Fässer, Kisten und Ballen über das Schiff poltern.

Kapitain Bosse war der Erste, dem es gelang, die Kajüte zu verlassen,
und mit größter Anstrengung und durch die Hülfe des herbeieilenden Daniel
erreichten denn auch Turners das Verdeck.

Ein schrecklicher, entsetzlicher Anblick bot sich hier ihren Augen dar.
Das Schiff stand, wie ein sich bäumendes Roß, mit der Spitze hoch gegen den
Himmel erhoben, und etwas seitwärts vor ihm blickte man gegen die glänzende
Riesengestalt eines vierzig Fuß hohen ungeheuren Eisberges. Unbeweglich,
wie festgemauert stand der Goliath, sein Vordertheil aus dem Wasser
erhoben, auf dem Eise, während sein Ende bis an die Kajütenfenster von der
See bespült wurde. So trieb er langsam mit der kolossalen Eismasse auf den
Wogen hin.

Die Verwirrung, die Bestürzung, die Verzweiflung unter der Mannschaft und
den Passagieren war grenzenlos, Alle rannten, so weit es das abschüssige
Verdeck zuließ, wild durcheinander hin, man schrie, weinte, betete, und
glaubte jeden Augenblick, der Goliath würde in Stücken auseinander brechen;
er aber rührte sich nicht und hatte das Aussehen, als sei er es, der den
Eisberg besiegt habe.

Turners lagen vor der vordern Wand der Kajüte zusammengekauert und hielten
sich umklammert, als wollten sie sich selbst im Tode nicht trennen. Die
erste Viertelstunde war die entsetzlichste, dann gab die Verzweiflung schon
einem Hoffnungsgedanken Raum, und bald fing man an, die Lage zu prüfen und
zu bereden. Der Kapitain war der Gefaßteste und Ruhigste auf dem Schiffe;
er ließ die Luken öffnen und stieg selbst in die unteren Räume, um zu
untersuchen, ob die Wände des Goliath Schaden gelitten hätten. Nirgend aber
zeigte sich eine Spur von einer Beschädigung. Mit hoffender Zuversicht
trat er tröstend zu Turners und versicherte ihnen, er hege die feste
Ueberzeugung, daß das Fahrzeug ohne Gefahr von dem Eise loskommen werde.

»Wir haben wenigstens auf drei Monate Lebensmittel an Bord,« sagte er »und
in wenigen Tagen treiben wir in den Golfstrom hinein, in dessen warmem
Wasser das Eis sehr schnell unter dem Schiffe schmelzen wird. Nur ein Sturm
könnte uns jetzt gefährlich werden; in dieser Jahreszeit aber und in diesem
Breitengrade haben wir solchen nicht zu befürchten.«

Unter Bangen und Zagen verstrich die Nacht, das leiseste Knarren in den
Fugen des Fahrzeuges schreckte die Bewohner desselben auf und klang wie
Todesruf in ihre Ohren. Dabei nahm die Kälte so zu, daß alle Mäntel und
Decken nicht hinreichten, sich zu wärmen, und mit ängstlichem Sehnen wurde
der Morgen erwartet. Bei Anbruch des Tages verstärkte sich der Wind, und
da der Eisberg sich so gedreht hatte, daß das Schiff mit der Spitze dem
Luftstrom entgegen stand, so ließ der Kapitain Segel aufziehen, in der
Hoffnung, daß dieselben den Goliath von dem Eise zurückdrängen würden. Wohl
füllten sie sich kräftig und beugten die Masten und Segelstangen zurück,
aber das Fahrzeug rührte sich nicht. Da kam dem Kapitain der Gedanke, ob er
nicht mit Hülfe der Anker das Schiff in Bewegung setzen könnte; der größte
wurde in ein Boot hinabgelassen, die Kette desselben von der Spitze des
Schiffes unter dessen Bauch hingezogen, und einige zwanzig Schritte hinter
dem Ende des Fahrzeuges ward der schwere Anker in die See hinabgeworfen. Er
sank tief im Wasser über den äußersten Rand des Eisberges, und nun ließ
der Kapitain die mächtige Winde in Bewegung setzen, um die Ankerkette
anzuziehen. Es fragte sich, ob der Anker beim Aufwinden den Eisrand unter
dem Wasser erfaßte, dann war Hoffnung vorhanden, daß er das Schiff zu sich
zurückziehen könne. Die Winde drehte sich geraume Zeit, plötzlich aber
stand sie still, denn der Anker saß fest. Mit vereinten Kräften legten
sich jetzt alle Matrosen gegen die Winde, es waren noch mehrere Segel
aufgezogen, die Masten beugten sich und ächzten, die Ankerketten knarrten,
das Schiff wankte, es neigte sich zur Seite, noch einen Ruck -- und
rauschend glitt es in die See zurück. Ein jauchzendes, jubelndes »Gott
sei gelobt!« schallte von allen Seiten über das Verdeck, denn der Goliath
schaukelte sich wieder leicht auf den Wogen, und der Eisberg zog an ihm
vorüber. Der Anker wurde nun aufgezogen, das Schiff vor den Wind gebracht,
und bald steuerte es abermals ruhig seinem Ziele zu. Von jetzt an
sollten die Reisenden am Bord des Goliath das Meer nur noch in seiner
freundlichsten Laune sehen; die Wogen trugen sie spielend dahin, die Sonne,
von ihrem Auftauchen aus dem Ocean bis zu ihrem Hinabsinken verbarg sich
nicht mehr vor ihren Blicken, und nach Verlauf von einigen Wochen färbte
sich die See plötzlich grün, das sichere Zeichen, daß das Land nicht mehr
fern sei. Mit lauten Freudenrufen wurde bald darauf die Küste Amerika's
begrüßt, und mit frisch gefüllten Segeln zog der Goliath stolz in die
Chesapeake-Bay ein.

Wie strahlten die Blicke der Familie Turner nach den Ufern dieses wunderbar
schönen Gewässers hinüber, wie hingen sie freudig an jedem Farmhause, an
jeder Hütte, die friedlich und anmuthig unter hohen Baummassen hervorsah;
-- sollte doch auf diesem Ufer auch ihre neue Heimath gegründet werden! --
Noch eine Nacht mußten sie auf dem Goliath zubringen, morgen aber hofften
sie die amerikanische Erde zu betreten. Nur wenige Stunden während
dieser Nacht gaben sich die Passagiere der Ruhe hin, denn das Mondlicht
beleuchtete die Küsten der sich immer mehr verengenden Bay mit Tageshelle,
so daß die Blicke der Einwanderer immer noch von dort angezogen wurden,
und die Hunderte von großen und kleinen Schiffen, welche mit ihren weißen
aufgeblähten Segeln an ihnen vorüber schaukelten und nickten, fesselten sie
bis spät in die Nacht hinein auf dem Verdeck. Kaum aber graute der Tag,
als sie sämmtlich aus der Kajüte hervoreilten, um ihre Augen wieder an den
schönen Ufern zu weiden und jeder Farm im Vorübersegeln Grüße zuzusenden;
denn der Vetter Victor wohnte ja unmittelbar an der Bay und war ja schon
lange im Besitze der Nachricht, daß sie mit dem Goliath reisen würden.
Der Name des Schiffes war mit großen schwarzen Buchstaben an dessen Spitze
geschrieben, so daß der Vetter mit Hülfe eines Fernglases denselben lesen
konnte -- vielleicht eilte er dann sofort nach Baltimore, um seine lieben
erwarteten Verwandten bei ihrer Ankunft daselbst zu empfangen. Die Sonne
neigte sich schon, als die Thürme und Kuppeln dieser Stadt aus der blauen
Ferne hervortraten, und die Abenddämmerung strich über die Erde, als der
Goliath die Landspitze erreichte, von welcher aus Baltimore sich bis auf
die ferneren Höhen ausdehnt. Hier, an der Point, wie man diesen äußersten
Theil der Stadt nannte, legten alle aus See kommenden großen Schiffe an,
und bald war der Goliath an einem Werfte befestigt und aller seiner Segel
beraubt.

Mit einem stummen, aus tiefstem Herzen kommenden Dankgebet zum Himmel
traten Turner und seine Gattin mit den Kindern an das Land, um nun sogleich
einen Brief an den Vetter Victor der Post zu übergeben, damit dieser, von
ihrer glücklichen Ankunft benachrichtigt, sobald als möglich in ihre Arme
eilen möchte. Daniel, der in der Stadt bekannt war, mußte sie begleiten,
und Kapitain Bosse versprach mit dem Abendessen auf ihre Rückkehr zu
warten, denn es war zu spät geworden, um noch nach einem Gasthause
übersiedeln zu können. Daniel rieth Turner, einen Wagen zu nehmen, da man
eine halbe Stunde gebrauche, um nach der eigentlichen Stadt zu gehen, und
weil ihm und den Seinigen nach so lange entbehrter Bewegung der Weg sauer
werden würde. Turner folgte dem Rathe des Negers weniger aus Besorgniß vor
dem weiten Spaziergang, als weil er den Kapitain nicht zu lange mit dem
Abendessen auf sich warten lassen wollte. An der nächsten Straßenecke, wo
viele Miethwagen hielten, wurde ein solcher bestiegen, Daniel setzte sich
zu dem schwarzen Kutscher auf den Bock, und im Galopp jagten die Pferde mit
dem leichten Fuhrwerk dahin. Die hohen prächtigen Gebäude, die Kirchen mit
ihren Kuppeln und Thürmen, die Monumente und die wogenden Menschenmassen
auf den Trottoirs, Alles von dem hellen Licht des Mondes beschienen,
machten einen überraschenden, einnehmenden Eindruck auf die Ankömmlinge,
und der Gedanke, in der Nähe einer so schönen belebten Stadt zu wohnen,
that ihnen wohl. Die Post wurde bald erreicht, der Brief abgegeben, und
ohne Aufenthalt lenkte der Kutscher die Pferde nach der Point zurück.
Frühzeitig am folgenden Morgen verließen die Passagiere nun das Schiff und
dessen freundlichen Führer, und bezogen ein Gasthaus zweiten Ranges ganz in
der Nähe des Werftes, wo der Goliath lag. Kapitain Bosse, der mit dem Wirth
des Hauses schon seit Jahren bekannt war, führte Turners bei ihm ein, und
schnell hatten sie sich dort wöhnlich eingerichtet.

Turner stattete nun dem Kaufmann, auf welchen seine Wechsel ausgestellt
waren, einen Besuch ab, um das Geld dafür in Empfang zu nehmen. Man gab
ihm für den Betrag Anweisungen auf zwei verschiedene Banken, welche er
in denselben vorzeigte und wogegen ihm die Summen zur Verfügung gestellt
wurden. Turner empfing von der einen Bank den ganzen Betrag der Anweisung
mit viertausend Dollar in Gold, in der anderen Bank aber ließ er das Geld,
welches nicht ganz drei tausend Dollar betrug, stehen, um nicht sein ganzes
Vermögen einem etwaigen Diebstahl auszusetzen.

»Es ist besser« sagte er zu seiner Gattin, »wenn wir nur einen Theil
unseres Geldes bei uns im Hause haben; in der Bank kann es uns nicht
gestohlen werden.«

Der dritte und vierte Tag verstrich, ohne daß der Vetter Victor selbst,
oder nur eine Antwort von ihm erschienen wäre; denn Turner ging Morgens und
Abends nach der Post und erkundigte sich nach Briefen. Dies Schweigen
war ihm und den Seinigen recht unangenehm, wenn es auch in keiner Weise
Besorgniß erregte, denn die unregelmäßige schlechte Postverbindung im Lande
seitwärts von den großen Straßen machte es erklärlich. Als aber auch der
fünfte Tag verfloß, ohne daß ein Lebenszeichen von dem Vetter eingetroffen
war, entschloß sich Turner, selbst zu ihm hinzureisen und ihn zu
überraschen.

Der Wirth des Gasthauses, dem Turner den Wohnort seines Vetters
bezeichnete, rieth ihm, einen Wagen zu miethen und sich hinfahren zu
lassen, wenn die Reise auch zu Schiff in kürzerer Zeit gemacht werden
könne. In einem Segelboot sei er mehr von Wind und Wetter abhängig und
habe weniger Bequemlichkeit, während die Kosten ziemlich gleich wären. Am
nächsten Morgen mit Tagesanbruch trat Turner die Reise an und nahm Carl
Scharnhorst mit sich, um nicht ganz allein zu fahren und weil er selbst
weniger gut englisch sprach, als der Knabe, der sich viel bei Daniel darin
geübt hatte. Es war ein herrlicher heiterer Morgen, die Sonne verscheuchte
bald den Nebel, der sich von der Bay aus weit über das Land gelegt hatte,
und freudigen, muthigen, thatkräftigen Herzens begrüßte Turner die waldige
Höhe, über welche die rohe Straße führte. Bunte, in goldigem Sonnenschein
glänzende Vögel schwirrten durch den frischen grünen Wald, oder sangen
ihr Morgenlied auf den himmelhohen Bäumen, graue und schwarze Eichkätzchen
huschten über den Weg und jagten sich spielend an den Baumstämmen hinauf,
und zu Carls großer Freude schwang sich ein mächtiger weißköpfiger Adler in
nicht großer Entfernung von dem vorüberfahrenden Wagen auf eine Eiche. Carl
rief dem Kutscher zu, anzuhalten, sprang mit seiner Büchse in der Hand aus
dem Wagen, und eilte der Höhe zu, auf welcher die Eiche stand. In diesem
Augenblicke erhob über der nahen Bay, auf welche Carl von hier aus einen
Blick hatte, ein Fischadler ein lautes Geschrei, schoß, die Flügel an sich
drückend, pfeilschnell nach dem Wasserspiegel hinunter, verschwand einen
Augenblick unter demselben, und stieg dann mit einem großen Fisch in den
Krallen wieder aus der Fluth empor. Kaum aber hatte er sich mit seinem Fang
erhoben, als der Adler von der Eiche herabschoß und mit Blitzesschnelle
auf ihn Jagd machte. Der Fischadler stieg schreiend gerade gegen den Himmel
auf, der weißköpfige aber folgte ihm mit gewaltigem Flügelschlage, bis
plötzlich sein fliegender Gegner den Fisch fallen ließ und er denselben
noch einholte und ergriff, ehe er das Wasser erreichte. Nun zog der
mächtige Vogel mit seiner Beute nach der Eiche zurück, um sie dort zu
verzehren. Carl hatte, hinter Baumstämmen verborgen, der Jagd zugesehen und
sich nun vorsichtig bis auf Schußweite dem Räuber genähert, der schon emsig
beschäftigt war, den Fisch zu verspeisen. Die Büchse knallte und der Adler,
von der Kugel in die Brust getroffen, stürzte todt mit dem Fisch auf die
Erde herab. Im Triumph trug Carl beide zum Wagen hin, und erzählte nun
seinem Onkel in größter Freude den Hergang der Jagd.

»Das ist der Lauf der Welt, Carl; der Mächtigere unterdrückt und beraubt
den Schwächern,« sagte Turner lächelnd zu dem Knaben.

»Aber Onkel, ich habe ja nur den Räuber bestraft,« entgegnete Carl halb
verlegen.

»Das heißt, weil es Dir überhaupt Spaß machte, den Vogel zu erlegen,«
antwortete Turner scherzend. »Du hast ihn übrigens gut getroffen, und Du
schießest schon sehr sicher mit der Büchse.«

»Sie ist ja auch ein Geschenk von Dir, lieber guter Onkel, da muß ich ihr
doch Ehre machen,« entgegnete Carl, indem er Turners Hand ergriff und sie
zärtlich drückte.

Der Weg bot während des ganzen Tages die reizendste Abwechselung: bald
führte er durch weite üppige Grasflächen, auf denen prächtiges Vieh
in großen Heerden weidete, bald zog er sich durch reiche Mais- und
Tabacksfelder und an lieblichen Pflanzerwohnungen vorüber, bald wurde er
von hohem Urwald überschattet, der sich wie ein Laubgewölbe über ihm schloß
und nur hier und dort einzelnen Sonnenstrahlen gestattete, den mit riesigen
Kräutern bedeckten Boden zu erreichen, und bald wieder streckte er sich
über kahle Höhen, von wo man auf die grüne Fluth der Bay hinabschaute, auf
welcher sich unzählige große und kleine Schiffe unter ihren weißen Segeln
wiegten. Je näher Turner dem Ziele seiner Reise kam, um so stärker wurde
das Verlangen nach dem Augenblick, wo er dem Vetter in die Arme eilen
würde, und wieder und wieder fragte er den Kutscher, wie lange er noch zu
fahren habe. Endlich, als die Sonne sich schon neigte, deutete der Fuhrmann
nach einem seitwärts von der Straße an dem Ufer der Bay gelegenen Gehöft,
und bezeichnete dasselbe als die ersehnte Farm. Kaum eine Viertelstunde war
nöthig, dieselbe zu erreichen, und mit hochschlagendem Herzen sprang Turner
aus dem Wagen und eilte durch den kleinen verwahrlosten Garten dem Hause
zu. Seine Blicke schweiften nach allen Richtungen vor sich, um den Vetter
zu erspähen, als ein Mann in Hemdsärmeln aus der Hausthür unter die Veranda
trat und die Ankommenden verwundert betrachtete. Turner näherte sich ihm,
begrüßte ihn freundlich, und fragte ihn in gebrochenem Englisch, ob Herr
Victor Turner hier wohne, und ob er zu Hause sei.

»Herr Victor Turner ist todt, er ist vor zwei Monaten am Fieber gestorben;
ich habe seiner Wittwe diese Farm abgekauft, und sie ist, so viel ich weiß,
über New-York nach Deutschland zurückgekehrt,« antwortete der Fremde mit
gleichgültigem Tone, und setzte dann noch hinzu: »Wollen Sie nicht näher
treten, Herr?«

Turner stand, wie vom Blitz getroffen, und starrte den Fremden an, als
forsche er, ob er wohl recht gehört habe.

»Mein Vetter todt?« rief er dann plötzlich, die Hände zusammenschlagend,
aus, »es ist wohl nicht möglich!«

»Aber wahr, er ist todt und begraben, dort unter jenem Ahorn liegt er,
wohin er vor seinem Ende noch bestimmte, beerdigt zu werden,« erwiederte
der Fremde, nahm die Schöpfkelle aus dem Eimer mit Trinkwasser neben der
Thür, und reichte sie Turner mit den Worten hin: »Wollen Sie nicht einen
frischen Trunk zu sich nehmen, Herr?«

Turner, ohne Antwort zu geben, sank von Schreck und Schmerz überwältigt,
auf eine Bank nieder, bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, während sich
Carl weinend an ihn schmiegte und den Arm um seinen Nacken schlang. Nach
einigen Minuten jedoch sammelte sich Turner wieder, und fragte den
jetzigen Herrn der Farm, ob ein Wirthshaus in der Nähe sei, wo er die Nacht
zubringen könne.

»Trinkhäuser giebt es viele an der Straße, aber keine Wirthshäuser; das
nächste ist zehn Meilen von hier entfernt. Wollen Sie jedoch bei mir
bleiben, so sind Sie willkommen. Sie müssen vorlieb nehmen, ich habe noch
keine Frau,« sagte der Farmer, und rief dann dem Kutscher zu, er solle die
Pferde ausspannen und nach dem Stalle bringen.

Turner nahm nothgedrungen das Anerbieten an, verbrachte aber eine
schreckliche Nacht unter dem Dache, unter welchem er Rath, Hülfe und Liebe
für sich und die Seinigen zu finden gehofft hatte. Jetzt stand er allein,
verlassen und ohne alle Freunde auf dieser fremden Erde; wo und wie sollte
er nun eine Heimath suchen und finden? Trostlos trat er am folgenden Morgen
seine Rückreise nach Baltimore an, und näherte sich bei Sonnenuntergang
der Stadt mit einer tiefen Wehmuth im Herzen, denn er sollte nun auch
den Seinigen die glückliche sorgenlose Ruhe nehmen und ihnen die
Schreckenskunde überbringen.

»Großer Gott, Max, allein?« sagte Madame Turner zu ihm, als er aus dem
Wagen stieg und sie den Ernst auf seinen Zügen las.

Turner schlang liebevoll seinen Arm um die Gattin und führte sie schweigend
nach ihrem Zimmer. Dort theilte er ihr nun die schwere Trauerbotschaft mit,
unter der auch sie im ersten Augenblick erlag. Sie wurde bleich, sie bebte
und warf sich weinend an ihres Gatten Brust, doch bald ermannte sie sich
wieder in dem Gedanken an den Allmächtigen, der ihnen immer so gnädig
in der Noth beigestanden und sie noch kürzlich auf der See vom nahen
Untergange gerettet hatte. Beide sprachen einander Trost ein, Beide sahen
unbedingt und unerschütterlich nur ihr Bestes in Allem, was Gott über
sie verfüge, und sie beschlossen, vorsichtig, aber ohne Zagen den Weg zu
verfolgen, den sie für das Wohl der Kinder eingeschlagen hatten. Turner
wollte sich nicht im Ankauf einer Farm übereilen, er wollte sich mit Ruhe
nach einer solchen umsehen, und namentlich bei der Wahl derselben darauf
bedacht sein, daß sie in einer gesunden Gegend läge. Sein Hauswirth sprach
ihm auch Muth ein, derselbe war fast mit allen Farmern, die unweit der Bay
wohnten, bekannt, da dieselben gewöhnlich zu Schiff ihre Producte nach der
Stadt führten und dann bei ihm abstiegen. Turner besaß noch ungefähr
sieben tausend Dollar baares Geld, und der Wirth hatte ihm schon von vielen
hübschen, sehr einträglichen Farmen erzählt, die mit allem Zubehör für
weniger angekauft waren. Bis zum Herbst hatte er ja Zeit, sich umzusehen,
und da er sehr billig wohnte, so machte ihm der verzögerte Aufenthalt
im Gasthause auch keine Sorgen. Schon nach wenigen Tagen stiegen mehrere
Farmer aus dem Lande in dem Gasthause ab; der Wirth machte Turner mit ihnen
bekannt, und sie luden ihn freundlich ein, mit ihnen nach Hause zu segeln,
da sie ihm in ihrer Gegend verschiedene Pflanzungen zeigen könnten, die
käuflich wären. Turner nahm den Vorschlag an, blieb über eine Woche von der
Stadt entfernt, und kehrte sehr befriedigt zurück, wenn er sich auch noch
nicht zum Kauf entschlossen, sondern vorher noch andere Ländereien in
Augenschein nehmen wollte. Er machte dann mehrere kleine Reisen zu
gleichem Zweck landeinwärts, weil ihm gesagt wurde, daß dort weniger Fieber
herrschten, als an den Ufern der Bay, und seine Zufriedenheit mit dem Lande
wuchs von Tag zu Tag. Kapitain Bosse, der mit Einnehmen einer neuen Ladung
nach Europa beschäftigt war, suchte Turners häufig in den Abendstunden auf,
und freute sich stets, wenn er hörte, daß es ihnen in ihrer neuen Heimath
gefalle.

Eines Morgens saß Turner mit dem Wirthe auf der Bank vor der Thür des
Gasthauses und unterhielt sich mit ihm über die Vorzüge und Nachtheile
einer Farm, die ihm ganz in der Nähe der Stadt angeboten war. Wohl über
eine Stunde hatten sie hier geplaudert und kaum bemerkt, daß die Straße
mehr, als gewöhnlich, von Fußgängern belebt war, die dem obern Theile der
Stadt zueilten. Jetzt aber kam ein Trupp junger Männer bei ihnen vorüber,
von denen einer dem Wirth zurief, daß eine Bank ihre Zahlungen eingestellt
habe und mit Ungestüm von dem Volke bedrängt werde. Turner, der es nicht
deutlich verstanden hatte, ließ sich die Aussage durch den Wirth erklären,
und hörte nun zu seinem furchtbaren Entsetzen, daß es gerade die Bank sei,
in welcher er sein Geld stehen habe. Mit bebenden Lippen theilte er dies
nun dem Wirthe mit, und beschwor ihn, sich seiner anzunehmen und ihm
behülflich zu sein, um sein Eigenthum zu retten. Der Wirth war sogleich
bereit ihn zu begleiten; sie bestiegen ohne Aufenthalt einen Wagen und
eilten der Stadt zu. Je weiter sie fuhren, um so belebter fanden sie die
Straßen, und bald wurde das Gedränge so groß, daß der Wagen nicht mehr
weiter fahren konnte. Turner und der Wirth stiegen aus, und erreichten bald
darauf das geschlossene Bankgebäude, vor welchem sich Tausende von Menschen
versammelt hatten.

»An wen kann ich mich denn wohl wenden, um wenigstens einen Theil meines
baar eingelegten Geldes wieder zu bekommen?« fragte Turner in seinem
Schrecken den Wirth.

»Ja, bester Herr, es thut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber ich
würde Ihnen keinen Dollar für Ihre ganze Forderung geben. Wie ich höre,
so hat die Bank ungeheure Summen in Papiergeld ausgegeben, der Präsident
derselben und der Cassirer sind mit der Baarschaft durchgegangen, und es
wird Niemand einen Cent herausbekommen. Fügen Sie sich in Ihr Schicksal,
es ist Nichts daran zu ändern. Hätten Sie mich um meinen Rath gefragt, ich
würde Sie davor gewarnt haben, das Geld in dieser Bank stehen zu lassen.«

Mit diesen Trostworten ergriff der Wirth den Arm Turners und zog ihn mit
sich fort aus dem Gedränge, um ihn von dem Orte zu entfernen, der ihm
beinahe die Hälfte seines Vermögens kostete.




Abschnitt 3.

  Der schwarze Freund. -- Reise nach dem Westen. -- Der Hirsch. -- Die
  Nacht im Freien. -- Die Ueberschwemmung. -- Die wilden Pferde. -- Die
  Prairie. -- An der Frontier. -- Der Büffel. -- Die wilden Truthähne.


Dieser neue Schlag war zu schwer für Turners, als daß sie sich sobald
hätten darüber erheben können. Aller Trost, den ihnen der freundliche Wirth
sowohl, als auch Kapitain Bosse einzusprechen suchten, fand kein Gehör
bei ihnen, sie gaben sich ihrem Schmerz, ihrem Unglück hin, und sahen mit
Verzweiflung auf die Kinder. Mehrere Tage verstrichen, ohne daß sie hätten
den mindesten Beschluß fassen, oder auch überhaupt ihre Lage überblicken
können. Sie verließen kaum ihre Zimmer, saßen dort mit den Kindern in
Kummer und Jammer versunken, und dachten an das schöne Werrathal zurück.
Eines Abends, als die Sonne sich neigte und der Abendwind kühlend durch die
Thür und die Fenster des Zimmers strich, saß Turner mit seiner Gattin in
der düstern Ecke des Gemachs und gab seinem Gram Worte: »Es bleiben uns
nicht mehr volle viertausend Dollar übrig, damit kann man hier im Lande
keine Farm kaufen, die uns zu ernähren vermöchte. Arbeitskräfte besitzen
wir nur in meinen und Carls Händen, und wenn wir auch gern das Unsrige thun
wollen, so ist uns die Arbeit, wie sie hier vorkommt, doch noch zu neu und
fremd, als daß wir viel zu schaffen im Stande sein werden. Hätten wir das
Geld nicht verloren, so könnten wir uns einen Neger miethen, oder auch
kaufen; wir würden ihn ja gut und nicht als Sklave behandelt haben. So
aber besitzen wir nicht einmal genug Vermögen mehr, um Land, Vieh und
Geräthschaften zu kaufen. Ich weiß nicht, was aus uns hier werden soll!«

Bei diesen letzten Worten ließ Turner muthlos die gefalteten Hände zwischen
seinen Knieen hinabsinken, und blickte niedergebeugt auf den Fußboden vor
sich. Madame Turner weinte und sah gleichfalls schweigend vor sich nieder;
vergebens suchte sie nach einem Auswege, nach einem Trostwort.

Carl Scharnhorst, welcher schweren Herzens während dieser Tage dem Schmerz
und Gram der geliebten Pflegeeltern gefolgt war, saß ihnen auch jetzt
schweigend gegenüber, und sah ihre Trostlosigkeit, ihre Verzweiflung.
Plötzlich aber erhob er seinen Kopf, seine Augen glänzten und verriethen,
daß ein Hoffnungsgedanke ihn belebe. Er stand schweigend auf, nahm seinen
Hut und Stock, und verließ das Zimmer. Mit raschen Schritten eilte er in
der düster werdenden Straße hinab nach dem Werfte, wo der Goliath lag,
und erstieg wenige Minuten später das Verdeck des Schiffes. Die Matrosen
bewillkommneten ihn aufs Freundlichste, denn alle hatten den Knaben
liebgewonnen, sie theilten ihm aber mit, daß der Kapitain nach der Stadt
gegangen sei. Carl entgegnete ihnen, er komme, um Daniel zu sprechen, von
welchem er wünsche, über Verschiedenes Auskunft zu erhalten. Auf den Ruf
seines Namens kam der Neger herbeigeeilt, und freute sich herzlich, seinen
jungen Freund zu sehen. Carl nahm ihn mit sich auf das obere Verdeck nach
dem Boote, wo sie so manchen Abend in traulicher Unterhaltung beisammen
gesessen hatten, und bat ihn, an seiner Seite Platz zu nehmen.

»Daniel, ich habe Dich Etwas zu fragen, worauf Du mir offen und ehrlich
antworten mußt,« begann Carl, indem er die Hand des Negers ergriff, und ihn
mit seinen großen treuen Augen ansah.

»Gern, junger Herr, will ich dies thun, so wie ich Alles gern thun werde,
um Ihnen dienen zu können. Sie und die Ihrigen sind so freundlich gegen
mich gewesen, wie es ein Amerikaner gegen einen Schwarzen gar nicht sein
kann und wie ich es Ihnen niemals in meinem Leben vergessen werde. Was soll
ich Ihnen denn beantworten?« entgegnete der Neger mit freundlicher Miene.

»Sage mir, warum fährst Du zur See und verdienst Dein Brod nicht lieber
auf dem Lande, wo Du doch nicht immer so großen Gefahren ausgesetzt bist?«
fragte Carl.

»Das will ich Ihnen sagen, weil ich im Dienste des Kapitains Bosse eine
bessere Behandlung genieße und weniger der Verachtung der Weißen ausgesetzt
bin, als in den Vereinigten Staaten. Aber warum wünschen Sie dies zu
wissen, junger Herr?« entgegnete Daniel.

»Du hast wohl gehört, Daniel, daß mein Onkel so viel Geld an der Bank
verloren hat.«

»Ja wohl, und es hat mir sehr leid gethan.«

»Sieh, Daniel, nun kann mein Onkel sich nicht hier ankaufen, wie er es
beabsichtigte, und kann auch nicht, wie er wollte, Arbeiter miethen. Und
doch muß er Jemanden zur Hülfe bei sich haben, der mit dem Landbau hier
bekannt ist. Wir sind in einer schlimmen Lage, und der Onkel weiß gar
nicht, was er anfangen soll,« sagte Carl etwas verlegen und schwieg dann,
als wolle er Daniel das Wort überlassen.

Es trat eine Pause ein, der Neger saß während einiger Minuten sinnend vor
sich niederblickend und nickte wiederholt mit dem Kopfe. Dann, wie zu einem
Entschlusse kommend, sagte er: »Das ist freilich eine schlimme Lage, Sie
sind fremd hier und unbekannt mit dem hiesigen Leben und Treiben, und
leicht können Sie noch um den Rest des Vermögens betrogen werden. Sie haben
mich als Mensch, als Ihres Gleichen behandelt, und würden mir gewiß auch
beigestanden haben, wenn ich Ihrer Hülfe bedurft hätte. Glauben Sie, junger
Herr, daß Ihr Onkel meine Dienste nicht zurückweisen würde? Schon lange
hätte ich gern das Seeleben aufgegeben, hätte mich nicht das Vorurtheil
der Weißen gegen meine Hautfarbe von dem Lande zurückgehalten. Mit Ihnen,
junger Herr, möchte ich all mein Lebelang beisammen sein.«

»Du lieber, guter Dan, der Onkel würde ganz glücklich sein, wenn Du bei uns
leben wolltest, und wir alle würden Dich gewiß immer recht lieb haben; und
ich besonders, Dan, das weißt Du ja,« versetzte Carl, indem er dem Neger
die Hand drückte. »Aber,« fuhr er dann fort, »würde es Kapitain Bosse nicht
leid thun, wenn Du ihn verließest? er ist so gut gegen uns gewesen und wir
dürfen ihm doch nichts Unangenehmes zufügen.«

»Der Kapitain verliert mich allerdings nicht gern, ich habe ihm aber schon
oft gesagt, daß ich das Seefahren müde sei, und lieber auf dem Lande leben
würde, wenn ich dort einen liebevollen guten Herrn wüßte. Er hat auch
nichts dagegen, und hat mir erklärt, daß er meinem Wunsche nicht im Wege
stehe. Wenn Ihr Onkel mich in seinen Dienst nehmen will, so würde ich
sicher Alles thun, um mich ihm nützlich zu machen und mir seine freundliche
Gesinnung zu erhalten.«

»Gut, so gehst Du mit uns, wohin wir auch ziehen werden, bester Daniel,
und Nichts in der Welt soll uns wieder trennen,« sagte Carl, außer sich vor
Freude. »Nun will ich schnell nach Hause eilen und es Onkel sagen, daß Du
mit uns leben willst. Ich habe noch Nichts davon erwähnt, weil ich mit Dir
erst darüber sprechen wollte. Morgen früh komme ich wieder zu Dir.« Hiemit
sprang Carl auf, drückte dem Neger nochmals liebevoll die Hand, und eilte
mit hochschlagendem Herzen nach dem Gasthaus zurück. Als er in das Zimmer
trat, herrschte dort noch immer dieselbe ernste, gedrückte Stimmung.
Turner schritt in Gedanken versunken auf und nieder, und die Andern saßen
schweigend und wie in ihr Schicksal ergeben, umher.

»Nun, Carl, hast Du einen Spaziergang gemacht?« sagte Turner zu ihm, nur
um Etwas zu sagen und strich ihm im Vorüberschreiten mit der Hand über die
reichen Locken.

»Nein, Onkel, ich bin auf dem Goliath gewesen und bringe Dir eine recht
erfreuliche Nachricht.«

»Erfreulich, Carl?« wiederholte Turner mit einem Ausdruck der Wehmuth und
sah den Knaben fragend an.

»Ja, recht erfreulich, Onkel: Daniel will bei uns leben und mit uns
arbeiten. Ich habe ihm gesagt, in welcher Lage wir uns befinden, und weil
wir ihn freundlich behandelt haben, hat er sich entschlossen, uns zu helfen
und beizustehen. Er ist doch recht gut.«

»Ist es möglich, Carl? Das wäre für uns ja mehr werth, als das ganze Geld,
welches wir verloren haben. Und das hätten wir Dir wieder zu verdanken, Du
braver, treuer Junge; wir sind so schon so tief in Deiner Schuld!« sagte
Turner überrascht und bewegt und heftete seinen freudigen Blick auf den
Knaben, indem er ihm beide Hände auf die Schultern legte.

»Du bist unser guter Engel, Carl, bist das Werkzeug Gottes, durch welches
er uns in der Noth seine Barmherzigkeit, seine Hülfe zukommen läßt,« fiel
Madame Turner ein, die bei der unerwarteten frohen Botschaft aufgesprungen
und herangetreten war. In ihrer Freude ergriff sie den Kopf des Knaben mit
beiden Händen, zog ihn an sich und küßte ihn auf die Stirn.

»Nein, Daniel müssen wir ja dafür danken, er thut es ja, um uns zu
helfen,« sagte Carl verschämt und drückte seinen Mund auf die Hand seiner
Pflegemutter.

»Und ohne Dich würde er nie darauf gekommen sein, mein Carl,« versetzte
Turner, ihm liebevoll die Wange streichelnd. »Hast Du denn wohl daran
gedacht, daß der Kapitain, der uns so viel Freundschaft erzeigt hat, ihn
nicht gern entbehren wird; wir sind Bosse zu Dank verpflichtet, und würden
Unrecht gegen ihn handeln, wenn wir ihm den Neger abtrünnig machten.
Empfangenes Gutes soll man nie vergessen, Dankbarkeit ist eins der edelsten
Gefühle des menschlichen Herzens.«

»Doch, Onkel, ich habe Daniel darauf aufmerksam gemacht; er erwiederte
mir aber, daß er dem Kapitain schon seit längerer Zeit seinen Wunsch
mitgetheilt habe, das Seeleben aufzugeben, sobald er auf dem Lande einen
guten Herrn finden würde. Der Kapitain will ihm auch dabei nicht hinderlich
sein.«

»Nun, dann in Gottes Namen, uns ist die Hülfe Daniels eine Lebensfrage,«
sagte Turner wie neu belebt, und setzte sich, nachdem er noch einige Male
in der Stube mit raschen Schritten auf und abgegangen war, zu seiner Gattin
in das Sopha. Das kleine matte Licht der Lampe, welches bisher mit der
trüben, niedergeschlagenen Stimmung der Familie in Einklang
gestanden hatte, wurde vergrößert, und mit neuem Muthe und frischem
Unternehmungsgeist ward wieder die Zukunft beredet.

Am folgenden Morgen, gleich nach dem Frühstück, traf Turner den Kapitain
Bosse in der Gaststube und säumte nicht, ihm sofort den Entschluß Daniels
mitzutheilen und ihm zugleich zu versichern, daß er das Anerbieten
des Negers ablehnen werde, wenn es mit dem Wunsche des Kapitains nicht
übereinkomme. Dieser aber erklärte sich vollkommen damit einverstanden
und wünschte Turner von ganzem Herzen Glück, sich einen so braven, treuen
Diener erworben zu haben. Als er sich entfernte, versprach er, Daniel
Abends nach beendigter Arbeit zu Turner zu schicken, damit er selbst
sich weiter mit dem Neger bereden könne. Carl stattete diesem aber noch
Vormittags einen Besuch ab, und bei einbrechender Dämmerung ging er
abermals nach dem Goliath, um Daniel von dort abzuholen. Als er mit
demselben bei Turners im Zimmer erschien und diese dem Neger einen Stuhl
reichten, wollte derselbe sich nicht darauf niederlassen, weil es, wie er
sagte, gegen den Gebrauch des Landes sei, daß ein farbiger Mensch sich in
Gesellschaft von Weißen setze; Turners aber erklärten ihm, daß sie keinen
Unterschied zwischen schwarzen und weißen Menschen kennten, und nöthigten
ihn, den Stuhl anzunehmen.

Diese Begünstigung that Daniel wohl, denn es war das erste Mal in seinem
Leben, daß sie ihm zu Theil ward. Er erklärte sich nun bereit, in Turners
Dienste zu treten und treulich bei ihnen in guten und in bösen Zeiten
auszuhalten, so lange sie mit ihm zufrieden sein würden. Turners dagegen
sprachen sich offen über den großen Nutzen aus, den Daniels Hülfe ihnen
gewähren würde, und versicherten ihm, mit ewigem Dank diesen seinen
Beistand zu lohnen. Nach gegenseitiger Uebereinkunft begann Turner nun mit
dem Neger die zunächst zu thuenden Schritte zur Niederlassung zu bereden.
Die Vortheile und Nachtheile der verschiedenen, Daniel bekannten Länder
wurden reiflich gegen einander erwogen, so wie auch die Mittel und Kräfte
Turners dabei in Anschlag gebracht, und nach stundenlangem Ueberlegen
stellte es sich heraus, daß doch die südwestlichen Landstriche Amerika's
die überwiegendsten Vorzüge vor allen andern besäßen. Daniel rieth
unbedingt dazu, dorthin zu wandern, um sich anzusiedeln, wenn auch Turner
sich im Augenblick noch nicht dazu entschließen konnte, die Seinigen den
Gefahren auszusetzen, die ihrer dort harren würden. Daniel brachte von
nun an einige Stunden an jedem Abend bei Turners zu, und blieb während
der Berathung, die dort über die Zukunft gepflogen wurde, immer bei seiner
zuerst ausgesprochenen Ansicht, daß der Südwesten Amerika's sich für
die Verhältnisse Turners zum Ansiedeln am Besten eigne. Seine genaue
Bekanntschaft mit jenen Ländern und seine anschaulichen, überzeugenden
Schilderungen von deren Fruchtbarkeit und Weidereichthum trugen endlich den
Sieg davon, und Turner entschloß sich, dort seine neue Heimath zu gründen.

Mittlerweile hatte der Goliath seine Ladung vollständig erhalten und wurde
zum Absegeln bereit gemacht. Turners begaben sich eines Morgens an Bord, um
dem Kapitain, mit nochmaligem Dank für seine viele Freundschaft, Lebewohl
zu sagen und ihm zugleich Briefe an Freunde in dem lieben Deutschland zur
Beförderung zu übergeben. Es war ein herzlicher, aber trauriger Abschied;
ein Gefühl bemeisterte sich Turners, als ob mit dem Scheiden des Kapitains
und des Schiffes die letzte Beziehung zwischen ihnen und Europa gelöst
werde, und mit thränenschweren Blicken sahen sie die Segel über dem Goliath
sich füllen und ihn hinaus in die Bay treiben. Lange noch standen sie am
Strande und blickten ihm nach, bis er in der blauen Ferne verschwand; es
war, als wollten sie dem Kapitain noch einen Dank nachwinken dafür, daß er
in Daniel ihnen einen Trost, eine Stütze zurückgelassen habe.

Der Neger trat nun in seine Stellung bei Turners ein, und zwar als Diener
und als hülfreicher Freund zugleich. Die Vorbereitungen zu der weiten
Reise nach dem Westen wurden jetzt mit allem Eifer begonnen. Ein großer
Frachtwagen wurde gekauft und dazu eingerichtet, um ihn sowohl mit Pferden
als auch mit Ochsen bespannen zu können, und noch ein zweites sehr leichtes
Fuhrwerk ward angeschafft, welches zur Bequemlichkeit der Madame Turner und
der Kinder dienen sollte. Werkzeuge und Ackergeräthschaften aller Art,
so wie diejenigen nöthigen Gegenstände für den Haushalt, welche nicht von
Deutschland mitgebracht waren, wurden erstanden, und Alles zur
Beförderung mit der Eisenbahn gut verpackt. Namentlich aber vergaß man die
erforderlichen Waffen nicht. Es wurden drei Paar Revolver gekauft, und noch
zwei Doppelbüchsen, welche genau dieselben kleinen Kugeln schossen, wie die
Revolver; denn Daniel nannte es einen wesentlichen Vortheil, kleine Kugeln
zu benutzen, weil man dadurch so viel weniger Gewicht an Blei und auch an
Pulver zu tragen habe.

Der August war erschienen, als Turners ihre sämmtlichen Habseligkeiten auf
die Eisenbahn geschafft hatten, und selbst mit den Kindern und Daniel den
nach Cincinnati abgehenden Zug bestiegen. Mit beklommenem Herzen nahmen sie
von Baltimore Abschied; die Hoffnung, die sie hierher geleitet hatte, war
unter großen Opfern vereitelt worden, abermals waren sie auf langer Reise,
um sich eine Heimath zu suchen -- sollten sie diesmal glücklicher sein
-- sollte der heiße, sehnlichste Wunsch ihres Herzens, den Kindern eine
sichere, sorgenlose Zukunft zu gründen, diesmal in Erfüllung gehen? Fort
brauste der Eisenbahnzug, die Thürme und Monumente Baltimore's entschwanden
den Blicken der Reisenden, wildromantische Felsen, waldbedeckte Höhen
stiegen zu beiden Seiten der im Sturmlauf Vorübereilenden auf, aus reichen,
mit Wiesen und Feldern geschmückten weiten Thälern sahen liebliche einzelne
Farmen und kleine Städtchen hervor, und Turners richteten ihre Blicke mit
neuem zuversichtlichen Vertrauen auf den Beistand des Allmächtigen abermals
nach Westen. Cincinnati wurde glücklich erreicht, und hier begaben sich
Turners nach kurzer Rast mit ihren Effecten an Bord eines Dampfers, der sie
in wenigen Tagen auf den Fluthen des Ohioflusses und des Mississippi nach
Memphis führte. Von dieser großen bedeutenden Handelsstadt aus mußte nun
die Reise zu Lande fortgesetzt werden. Die Wagen wurden aufgestellt, für
den größeren wurden drei Paar mächtige Zugochsen, für den kleineren aber
zwei kräftige Rosse gekauft, und außer drei Reitpferden, welche für Turner,
Carl und Daniel bestimmt waren, noch ein Wagenpferd angeschafft, welches
für den Nothfall, daß Einem oder dem Andern Etwas zustoßen würde, dienen
sollte. Nach Verlauf von einigen Wochen war Alles zur Abreise bereit,
frühzeitig am Morgen wurde die Ueberfahrt über den Mississippi glücklich
ausgeführt, und Daniel, der vorzüglich mit Ochsen zu fahren verstand, trieb
von seinem Pferde herab mit der langen Peitsche die sechs mächtigen
Stiere vor dem schwer bepackten Wagen an. Ihm folgte das leichte, von zwei
stattlichen Schimmeln gezogene offene Fuhrwerk, in welchem Madame Turner
mit ihren Kindern saß und selbst die Pferde lenkte. Den Zug beschloß Herr
Turner zu Roß, während Carl Scharnhorst denselben anführte, indem er, von
Pluto gefolgt, auf einem edeln Falben in einiger Entfernung vor Daniel
auf der rohen Straße hinritt. Sein Pferd war ein vollkommen für die Jagd
abgerichtetes Thier, es stand unbeweglich beim Schießen, ließ Wild aller
Art auf seinen Rücken packen, und entlief niemals seinem Herrn, wenn er
es sich selbst überließ. Dabei war es ein schönes, kräftiges Thier von
gelblicher Farbe mit schwarzer Mähne und schwarzem Schweif, und besaß neben
einer außerordentlichen Schnelligkeit eine große Ausdauer. Mit Verlangen
hatte Carl während der Reise von Baltimore bis Memphis diesen Augenblick
herbeigewünscht, wo er, mit der Büchse bewaffnet, zu Roß die Urwälder des
Westens durchziehen würde, und freudig begrüßte er das heimliche Dunkel
unter dem schattigen Laubdach der Riesenbäume, die ihre ungeheuren
Aeste hoch über ihm zu einer Kuppel verschlangen. Wie ein hochgewölbter
Säulengang, von den Stämmen colossaler Eichen, Cypressen und Platanen
getragen, wand sich die Straße durch den undurchdringlich dichten Wald, und
Carl sandte in der Hoffnung, einem Stück Wild zu begegnen, seinen spähenden
Blick voraus durch die hohen Pflanzen, die von beiden Seiten in den wenig
befahrenen Weg hingen. In seinem Eifer trieb er sein Pferd zu raschen
Schritten an, so daß bald das Knarren und Aechzen des schwer beladenen
Wagens sein Ohr nicht mehr erreichte. Todtenstille herrschte rundum, kein
Luftzug bewegte das Laub oder die leichten, mit bunten Blüthen besetzten
Ranken der Schlingpflanzen, die von den höchsten Aesten bis über den
Weg herabhingen, und eine schwüle, drückend heiße Luft füllte den Wald.
Plötzlich sah Carl an der entfernten Biegung der Straße einen goldrothen
Fleck aus dem frischen Grün hervorglänzen, jetzt bewegte sich derselbe, es
mußte ein Hirsch sein! Im Augenblick war Carl aus dem Sattel gesprungen,
ließ das Pferd zurück, und schlich schnell, aber vorsichtig von Busch zu
Busch, von Baum zu Baum, bis nur etwa hundert Schritt zwischen ihm und dem
Thiere lagen. Dasselbe stand aber, mit dem Kopf an der Erde, hinter hohen
Pflanzen, so daß Carl nur wenig von dessen Körper erkennen konnte. Näher
durfte er nicht gehen, wollte er nicht von ihm bemerkt werden; er stand
hinter dem letzten Busch, der in den Weg hineinhing, und in den Wald
hineinzuschreiten, war hier wegen des Rankengeflechts unmöglich. Carls Herz
schlug so laut, daß es ihm vorkam, als müsse das Thier es hören, es machte
ihm das Athmen schwer, er bebte vor Eifer am ganzen Körper; da hob der
Hirsch den Kopf empor und schlug, indem er hinter dem Busche heraustrat,
mit dem mächtigen Geweih nach den Fliegen. Im Augenblick riß Carl die
Büchse an die Schulter, der Schuß krachte und der Weg war in Pulverdampf
gehüllt. Carl sprang durch den Rauch vorwärts und spähte nach dem Platz,
wo der Hirsch gestanden hatte, doch konnte er Nichts mehr von diesem
erblicken, und als er selbst den Fleck erreichte, suchte er vergebens nach
einer Schweißspur. Es war der erste Hirsch, den er jemals im Freien gesehen
hatte, und untröstlich schaute er mit der Ueberzeugung um sich, daß er ihn
gefehlt habe. Während er nun seine Büchse wieder zu laden begann, war Pluto
in das Dickicht gelaufen und ließ plötzlich seine Stimme in flüchtiger Jagd
ertönen. Carl rannte in gleicher Richtung auf dem Wege hin, war aber nur
einige Augenblicke gelaufen, als der Hund verstummte, der Hirsch dagegen
gellende Klagetöne ausstieß. Carl stellte die Büchse an einen Baum, zog
das Jagdmesser und sprang dem Schreien nach in den Wald hinein. Wiederholt
mußte er sich mit dem Messer durch die Ranken den Weg bahnen, bis er
wirklich den Hirsch vor sich sah, den Pluto niedergerissen hatte. Die
Freude Carls überstieg alle Grenzen, er gab dem Thiere den Todesstich, zog
es dann mit großer Anstrengung und Mühe bis auf den Weg und eilte nun zu
seinem Pferde zurück, welches noch auf demselben Platze, wo er es verlassen
hatte, ruhig graste. Nachdem er die Ladung seiner Büchse wieder vollendet
hatte, führte er sein Roß zu dem Hirsche, und ergötzte sich an dem Anblick
des erlegten Wildes, bis er plötzlich das Knarren des Wagens hörte. Schnell
schwang er sich in den Sattel und eilte davon, damit die Seinigen durch
die Jagdbeute überrascht werden sollten. Bald darauf kamen die Ochsen im
langsamen Schritt heran und die Vordersten stutzten vor dem mitten im Wege
liegenden, todten Thiere, ehe Daniel dasselbe gewahrte. Der Neger jubelte
laut auf, sprang vom Pferde und zog den Hirsch bis hinter den Wagen, damit
Madame Turner und die Kinder ihn sehen sollten, und Turner war gleichfalls
abgestiegen, um ihn zu betrachten und Daniel behülflich zu sein, ihn auf
den Wagen zu heben.

»Carl fängt wahrhaftig an, uns im eigentlichen Sinne des Wortes zu
ernähren,« sagte Turner halb im Scherz, halb im Ernst, »welche Freude wird
es ihm aber gemacht haben, uns so überraschen zu können.«

»Ja, und wie gut hat er den Hirsch geschossen, die Kugel sitzt gerade auf
dem Blatt; er wird einmal ein tüchtiger Jäger werden,« fiel Daniel ein,
indem er das Thier mit abgebrochenen Büschen bedeckte, um es gegen die
Fliegen zu schützen.

Carl war während dieser Zeit wieder vorangeeilt, in der Hoffnung, noch
einen Schuß nach Wild anzubringen; zu seinem Leidwesen aber lichtete sich
bald der Wald, und der Weg führte nun durch offene Grasfluren und Felder
nach dem Städtchen Marion. Carl erwartete in dem Schatten der letzten Bäume
die Wagen, während er sein Pferd grasen ließ, und wurde von den Seinigen
mit Jubel begrüßt und belobt über den Meisterschuß, den er gethan hatte.
Die Sonnenstrahlen fielen jetzt drückend auf die Reisenden nieder, so daß
Madame Turner und die Kinder Regenschirme aufspannen mußten, und auch Herr
Turner bediente sich eines solchen, um sich gegen die Sonne zu schützen;
Carl aber ertrug sie ohne Beschwerde, und meinte, ein Jäger mit einem
Regenschirm müsse ausgelacht werden. Nach einigen Stunden erreichten
die Wanderer zu ihrer großen Erquickung wieder den Wald, der sie ohne
Unterbrechung überschattete, bis sie bei sinkender Sonne an einem kühlen
Wasser ihrer Tagereise ein Ziel setzten. Es war zum ersten Male, daß
Turners eine Nacht unter Gottes freiem Himmel zubringen sollten, und wenn
sie sich dies während ihres ruhigen wohlgeborgenen Lebens auf der Kluse
auch als etwas Schreckliches, kaum Mögliches gedacht haben würden, so hatte
es jetzt etwas Reizendes, Bezauberndes für sie. Zwischen den kolossalen
Stämmen der himmelhohen Bäume, auf welche die Sonne hier und dort ihre
letzten rothen Lichter durch die dunkelgrünen Laubmassen warf, wurde auf
dem üppigen hohen Grase hart an dem Ufer des rauschenden Wassers das Zelt
aufgeschlagen, und vor ihm das Lagerfeuer angefacht, dessen flackerndes
Licht die schnell einbrechende Dunkelheit auf weithin zurückdrängte, und
das hohe Laubdach mit seinem tausendfach verschlungenen Rankengeflecht und
seinem bunten Blumenflor glühend beleuchtete. Während Daniel seinem jungen
Freunde Anweisung gab, wie der Hirsch zerlegt werden müsse, war Madame
Turner mit Julie so recht innig vergnügt beschäftigt, das Abendbrod an dem
Feuer zu bereiten, den Kaffee zu kochen, aus Maismehl das Brod zu backen
und die Pfanne herzurichten, um die zarten feisten Stücke Wildpret, welche
Carl ihr jetzt reichte, zu braten. Turner hatte die Pferde in dem Bache
getränkt und gab ihnen Mais zum Abendfutter in den hölzernen Trog, welcher
zu diesem Behuf hinter dem Wagen befestigt war, nachdem er den Ochsen eben
solche Tröge vorgestellt, und ihnen darin den nöthigen Mais verabreicht
hatte. Der Hirsch war bald zerlegt, die einzelnen Theile in der Nähe des
Zeltes an Aeste aufgehangen und die Haut mit langen Stöcken ausgespannt,
welches Daniel dadurch bewerkstelligte, daß er dieselben an beiden Seiten
zuspitzte und übers Kreuz in den Hautrand einstach. Er hatte sie nahe vor
dem Feuer aufgestellt, damit sie durch dessen Hitze getrocknet und vor
Verderben geschützt werde.

Madame Turner rief jetzt zum Abendessen, welches auf dem Deckel einer
großen Kiste vor dem Zelte aufgetragen war; ihre Lieben ließen sich um
denselben im Grase nieder, und auch Daniel setzte sich auf Turners Wunsch
mit in die Reihe. Es mundete Allen herrlich, denn der lange Tagesmarsch
hatte das Mahl gewürzt, und Alle meinten, so gut hätte es ihnen doch
niemals in Deutschland geschmeckt. Es war eine lauwarme stille Nacht, der
Rauch und die Funken des lustig flackernden Feuers wirbelten sich wie
eine golddurchwirkte Säule gerade zum Himmel auf, und hier und dort in den
Oeffnungen zwischen den unbewegten riesigen Baumkronen blitzten die hellen
Sterne am dunkeln Firmament. In dem weiten Kreise, den das Feuerlicht um
das Lager schuf, zitterten die schwarzen langen Schatten der majestätischen
Baumstämme auf den Laubmassen, und weiter hin in der Finsterniß des Waldes
schwebten Myriaden von leuchtenden Insecten. Spät noch saßen Turners, von
der Schönheit der Nacht entzückt, und lauschten den Erzählungen Daniels. Er
sprach von den unabsehbaren wogenden Grasfluren der westlichen Länder, von
dem wundervollen Blumenflor, womit dieselben Jahr aus Jahr ein geschmückt,
von den kristallhellen brausenden Gewässern mit ihren goldig schimmernden
Fischen, von dem durchsichtig blauen Himmel und von der ewig bewegten
kühlen Luft, die erquickend und stärkend über jene Länder ziehe. Unter den
Indianern geboren, war deren hoher Sinn für die Schönheiten der Natur auf
ihn übertragen, und seine lebendigen gefühlvollen Beschreibungen von den
Fluren, wohin er die Wanderer jetzt führte, begeisterten diese mit den
beglückendsten Hoffnungen. Endlich mahnte Turner an die Nachtruhe und begab
sich mit den Seinigen in das Zelt, während Carl es vorzog, bei Daniel
vor dem Feuer zu schlafen. Dieser machte ihm nach Jägerbrauch ein Lager
zurecht, breitete die wollene Satteldecke für ihn aus, gab ihm den Sattel
als Kopfkissen und hieß ihn seine Büchse als Schlafkameraden neben sich
legen. Ruhig und in wonnigen Träumen, wie sie nur der Schlaf unter heiterem
Sternenhimmel zu geben vermag, schwand den Ruhenden die Nacht, und der
frühe Morgen, als noch das Laub sich unter dem schweren Thau neigte, sah
sie schon wieder auf ihrem Wege nach Westen. Ueber zwei Wochen wanderten
sie in dieser Weise vom Anbrechen bis zum Sinken des Tages durch das
waldbedeckte sumpfige Arkansas, und zwar oftmals halbe Tage lang, ohne auf
ein anderes Zeichen der Cultur zu stoßen, als die rohe, durch das Fällen
von Bäumen geschaffene Straße, auf der sie fuhren, verrieth. In den
einzelnen Farmen, an denen sie vorüber zogen, kauften sie Mais für die
Zug- und Reitthiere, Mehl und Kartoffeln für den eigenen Bedarf, und wurden
mitunter mit Milch, Buttermilch, Eiern und Butter beschenkt. So reich und
üppig der Boden dieser Farmen aber auch war, so kühl und heimisch deren
Wohnhäuser auch in dem Schatten dichtbelaubter uralter Bäume versteckt
lagen, so stand doch unverkennbar auf den bleichen kraftlosen Gestalten
ihrer Bewohner geschrieben, daß ein böser Feind, das Fieber, sich unter
ihnen aufhalte, welches fortwährend aus den endlosen Sümpfen der Wälder
erzeugt wurde. Mit verwunderten, oft neidischen, oft wehmüthigen Blicken
betrachteten die Leute auf diesen Ansiedelungen die frischen rosigen
Gesichter der deutschen Wanderer, und riethen ihnen auch wohl, nicht in
diesem Lande des Todes zu weilen. Das Fieber schien aber keine Gewalt über
die kräftigen gesunden Naturen der Turnerschen Familie zu haben, und frisch
und heiter begrüßten sie die ersten Grasfluren im westlichen Ende von
Arkansas. Der Anblick dieser Prairie, wenn sie auch nur einige Meilen im
Durchmesser hatte, überraschte und entzückte die Herzen unserer Reisenden
sehr. Das hin- und herwogende hohe Gras, die Farbenpracht der Blumen, die
aus demselben hervorsahen, der kühlende Luftstrom, der erfrischend darüber
hinzog, stand so sehr mit dem einförmigen beschränkten Bilde im Gegensatz,
welches der undurchdringliche Urwald mit seiner schweren, schwülen Luft
den Wanderern während einiger Wochen geboten hatte, daß sie wie aus einem
düsteren Gefängniß hervortraten und wieder frei aufathmeten. Noch einmal
sollte sie aber der unheimlich dichte Wald umfangen, und die Sonne stand
schon niedrig, als sie von der hochgelegenen Grasfläche in denselben
hineinfuhren. Die Bewohner einer an dem äußersten Anfange der Prairie
gelegenen Farm, von denen Turners mit Mais versorgt worden waren,
hatten sie aufmerksam darauf gemacht, daß sie in diesem Walde ein böses,
gefährliches Wasser finden würden, welches bei dem leichtesten Regen so
schnell steige und aus seinen Ufern träte, daß es die ganze Gegend zu
seinen Seiten auf viele Meilen weit überschwemme. Als die Wagen in diesen
Wald hinein fuhren, zogen schwere Gewitterwolken am Himmel hin, welche bald
die Sonne verdunkelten und sich immer drohender und schwärzer aufthürmten.
Daniel hielt die Stiere an, und fragte, ob es nicht besser sei, hier den
Regen abzuwarten, doch Turner zog es vor, noch an diesem Abend den Wald zu
durchziehen, da derselbe nur wenige Meilen breit sein sollte. Er fürchtete,
daß das Wasser steige und es ihnen dann vielleicht auf viele Tage, ja auf
Wochen unmöglich machen werde, den waldigen Grund zu passiren. Daniel trieb
nun die Ochsen zu verdoppelter Eile an, und während Turners ihm folgten,
ritt Carl Scharnhorst voran, um den Weg, und namentlich den Fluß in
Augenschein zu nehmen. Die Straße war nur breit genug für _einen_ Wagen und
bot Daniel kaum hinlänglich Raum, zu Pferde neben den Stieren herzureiten.
Dabei wurde der Weg immer sumpfiger und grundloser, so daß die Räder bis an
die Achsen versanken. Der Zuruf Daniels und die Peitsche trieben aber die
Ochsen mit Eile vorwärts, und schon konnte der Neger in einiger Entfernung
Carl erkennen, der sein Pferd in dem seichten Flusse tränkte, als das
Fuhrwerk über einen, im Morast versunkenen Baumstamm fuhr, und der schwere
eiserne Nagel, der den Vorder- und Hinterwagen zusammen hielt, mit einem
lauten Krach zerbrach. Daniel, der sofort erkannte, was geschehen war,
brachte im Augenblick die Zugthiere zum Stehen und theilte mit Bestürzung
Herrn Turner den Unfall mit, indem er zugleich auf das Gewitter hindeutete,
welches schon schwer über dem Walde hing. Turner sah mit Entsetzen den
Wagen an; in diesem Zustande konnte derselbe nicht vom Flecke bewegt
werden. War es wirklich möglich, daß das Wasser in so unglaublich kurzer
Zeit steigen könne, wie die Farmersleute gesagt hatten, so durften Turners
die Fluth schon binnen wenigen Stunden hier um sich erwarten, und dann war
an eine Rettung des Wagens und der Ladung nicht mehr zu denken. Wohin
man nach den Bäumen und Büschen blickte, erkannte man die Spuren früherer
Ueberschwemmungen an dem Schlamm, Schilf und Reisig, welches die Strömung
zehn Fuß hoch von der Erde an ihnen zurückgelassen hatte, so daß ein
solches Wasser die Fuhrwerke bedecken und wahrscheinlich mit sich fort
reißen mußte. Rathlos und ohne zu einem Entschlusse kommen zu können,
hielt Turner mit dem Neger bei dem Wagen, als Carl herangeritten kam, um
zu fragen, was die Ursache des Haltens sei. Unter Angst und Schrecken wurde
ihm der Grund mitgetheilt. Auch Carl war im ersten Augenblick bestürzt und
sah besorgt bald nach dem Wagen, bald nach dem angeschwemmten Reisig in den
Aesten der Bäume; dann aber wandte er sich rasch zu dem Neger und sagte:

»Daniel, Du hast mir ja von einer Holzart erzählt, aus welcher die Indianer
ihre Bogen verfertigen, und welches so hart und so zähe sei, wie Stahl;
sollte dies Holz vielleicht hier im Walde wachsen? dann könnte man ja einen
Nagel daraus machen.«

»An allen den Flüssen, etwas weiter westlich, trifft man dieses Holz an,
es wäre darum nicht unmöglich, daß es sich auch hier vorfände. Die Indianer
nennen es =bois d'arc=, oder Bogenholz. Ich will mich schnell einmal danach
umsehen,« antwortete der Neger, wie von einer Hoffnung belebt, band sein
Pferd mit dem Zügel an einen Baum, und eilte mit der Axt in der Hand in
das Dickicht hinein. Carl war abgestiegen und sprang auf den Wagen, um
die Kiste zu öffnen, in welcher die Werkzeuge sich befanden. Nachdem er
verschiedene derselben auf die Erde hinab geworfen hatte, begab er sich
unter das Fuhrwerk, um den Schaden näher zu untersuchen, und er hatte dort
nur wenige Minuten verbracht, als Daniel in der Ferne einen lauten Jubelruf
erschallen ließ.

»Er hat das Holz gefunden!« rief Carl freudig aus, hob die schwere Winde
dann von dem Wagen und setzte sie unter denselben, um ihn damit in die
Höhe zu heben. Turner war ihm dabei behülflich, indem er ein Stück Holz von
einem umgefallenen Baume des weichen Bodens wegen unter die Winde
legte, und nun begannen Beide mit vereinten Kräften den schweren Wagen
aufzuwinden. Bald war dies so weit geschehen, daß Carl die beiden Stücke
des zerbrochenen eisernen Nagels aus der Oeffnung hervornehmen konnte, und
nun hing Alles davon ab, ob Daniel wirklich das erwünschte Holz mit sich
brachte.

Ein heftiger Donnerschlag erschreckte jetzt die Hoffenden und mahnte sie
von Neuem an die Gefahr, in der sie schwebten. Zugleich fielen schwere
Regentropfen auf sie nieder und wenige Augenblicke später goß es wie ein
Wolkenbruch vom Himmel herab. Durch den dichten Regen wurde aber Daniel
jetzt sichtbar und zwar mit einem starken Ast in der Hand.

»Gottlob, nun sind wir gerettet!« rief Carl, ihm entgegentretend, und nahm
ihm das Holz ab. Schnell ergriff er dann das scharfe Beil, womit er den
Ast, um den Nagel daraus herzustellen, zu behauen begann. Das Holz aber
war so hart, daß die Arbeit nur sehr langsam von Statten ging und mit
jedem Hiebe ertönte der Stahl in hellem Klange. Dabei strömte die Fluth
ununterbrochen so gewaltig auf die Erde nieder, daß bald, so weit man sehen
konnte, die ganze Grundfläche einem See glich, der mit jeder Minute an
Tiefe zunahm, und bereits zu strömen begann. Madame Turner hatte sich mit
den Kindern in ihren Wagen geflüchtet, wo sie das starke darüber gespannte
Leinentuch gegen die Nässe schützte, während die beiden Männer das
Tuch über den großen Wagen strammer anzogen und Carl den Nagel eifriger
bearbeitete. Endlich war derselbe fertig, war passend und sauber abgerundet
und Carl setzte ihn mit Hülfe Turners und des Negers an den Platz des
eisernen Nagels ein. Dann ward der Wagen wieder niedergelassen und Alles
war zur Weiterfahrt bereit. Jetzt war es die Frage, ob das Stück Holz stark
genug sein würde, namentlich während des ersten Anfahrens, um der großen
Gewalt zu widerstehen, die gegen dasselbe wirken mußte; denn die Räder
waren bis an die Achsen versunken. Die Pferde wurden bestiegen, Carl ritt
voran, Daniel rief den Stieren zu und schwang die gefürchtete Peitsche
über deren Köpfen, sie legten sich mit aller Kraft in die Ketten und
unter schwerem Knarren und Aechzen setzte sich nach wiederholten äußersten
Anstrengungen der Thiere der Wagen in Bewegung. Das Wasser wurde mit jedem
Schritt tiefer und die Strömung stärker, und als die Stiere in den Fluß
hinein schritten, reichte ihnen die Fluth bis an die mächtigen Seiten
hinauf. Das Wasser stieg in den großen Wagen, konnte der Ladung aber keinen
Schaden zufügen, weil der untere Theil derselben aus Gegenständen bestand,
auf welche die Nässe nicht nachtheilig wirkte. Die Räder an dem Fuhrwerk
der Madame Turner waren sehr hoch, so daß der Strom kaum über den
Fußteppich in denselben drang, dennoch steigerte dies die Bangigkeit der
Frau und Kinder während der Durchfahrt sehr. Bald aber war das jenseitige
Ufer glücklich erreicht und mit frohen, von Angst befreiten Herzen
erkannten die Wanderer, daß der Grund unter ihnen wieder fester wurde. Der
Weg hob sich allmählig, er wurde steiler und trockener, der Donner
rollte nicht mehr so anhaltend, so fürchterlich, und der Regen verlor an
Heftigkeit. Hier und dort theilte sich bald darauf das eilende Gewölk, der
blaue Himmel schien hindurch und die sinkende Sonne warf noch ihre Strahlen
freundlich und mild auf die krystallhell glänzende Tropfensaat, die der
Regen an jedem Blatt, jedem Halme, jedem Reis zurückgelassen hatte. Jetzt
erreichten Turners am Ende des Waldes einige steile Höhen, von wo sie auf
die so gefahrvoll durchwanderte Niederung zurückblicken konnten. Das ganze
bewaldete Thal war ein reißender Strom, aus dessen weißschäumenden Wogen
die höheren Bäume emporragten und ihre unteren Aeste mit der Fluth spielen
ließen. Nach Westen aber, wo jetzt die Sonne nahe über dem flachen Horizont
stand, lag eine endlose unabsehbare Grasfläche vor den erstaunten Blicken
der Wanderer, und mit frohlockenden Herzen begrüßten sie diese erste offene
Prairie. Das üppige saftige Grün dieser weiten Flur war durch den Regen
erfrischt worden, und die letzten Blicke der Sonne beleuchteten glühend die
feurigen Blüthen der hohen Cactusarten, die sich in Turners Umgebung aus
dem Grase erhoben.

Unter einer Gruppe uralter, undurchdringlicher, dicht belaubter
Lebenseichen hielten die Wagen an und die müden Zugthiere wurden aus
ihrem Zwange erlöst. Heute sollten sie für ihre lange und schwere Arbeit
entschädigt werden, sie sollten sich während der Nacht an dem zarten
frischen Grase laben. Daniel hatte mit unglaublicher Schnelligkeit jedem
der Thiere die beiden vorderen Füße mit einem Streifen roher Ochsenhaut
zusammengefesselt, so daß sie dieselben nur zugleich vorwärts setzen
konnten und dadurch mehr oder weniger an weiterem Fortgehen gehindert
wurden. Dann trieb er sie dem Grase zu und überließ es ihnen, sich die
beste Weide zu suchen. Die Reitpferde wurden dagegen in der Nähe mit langen
Stricken an einzeln stehende Bäume ins Gras gebunden, damit auch sie sich
darin laben möchten, ohne sich weit vom Lager entfernen zu können. Turner
hatte auf einem steinigen Fleck das Zelt aufgeschlagen, Carl und die beiden
anderen Knaben hatten Reisholz herbeigeholt und dasselbe nicht ohne Mühe
angezündet, und Madame Turner war mit Julie beschäftigt, das Abendbrod
zu bereiten. Jetzt kam Daniel auch mit einem schweren Stück von einem
trockenen Baumstamm heran, schleifte denselben an das flackernde Feuer
und ging dann wieder, um noch mehr Holz für die Nacht herbeizuschaffen. Es
rührte sich kein Wind, die Luft aber war erquickend kühl und rein und es
kam den Reisenden vor, als athmeten sie mit jedem Zug noch einmal so viel
Luft ein, als sonst. Nacht legte sich über die weite Landschaft, der Himmel
im Westen glühte noch in dunkelm Carmin über dem schwarzen äußersten Rande
der Prairie und das Firmament war mit funkelnden Sternen übersäet. Die
Familie Turner und der treue Daniel saßen vor dem hochauflodernden großen
Feuer, über dessen Lohe sich die Aeste der alten Eichen zitternd hin- und
herschwangen, und priesen die Gnade des Allmächtigen, welcher sie ihre
Rettung aus der überstandenen Gefahr verdankten. Carl war wieder die Hand
gewesen, durch welche ihnen Gott diesen Beistand hatte angedeihen lassen,
und mit herzinnigen Segenswünschen dankte Turner dem anspruchslosen
hülfreichen Knaben.

Die durchnäßten Gegenstände waren an dem großen Feuer getrocknet, die
Reitpferde wurden an den Wagen befestigt und Turner legte sich in dem
Zelte zur Ruhe, während Carl und Daniel ihr Nachtlager wieder vor dem Feuer
herrichteten.

Kaum graute der Tag, als Alle, vom süßen Schlaf gestärkt, sich erhoben und
Vorbereitungen zur Weiterreise machten. Die Reitpferde wurden abermals ins
Gras gebunden und das Feuer zur Bereitung des Frühstücks frisch angefacht.
Die Stiere, so wie die drei Wagenpferde, hatten sich während der Nacht
ziemlich weit von dem Lager entfernt und standen weidend dort im hohen
Grase. Die Sonne stieg prächtig und heiter über dem waldigen Osten auf und
goß ihr belebendes Licht über die endlose Grasflur, auf der hier und
dort einzelne Rudel von Hirschen zu erkennen waren. Turners saßen beim
Frühstück, ließen aber ihre Blicke dabei wiederholt über die Prairie
schweifen, da jeder Punkt auf derselben ihre Neugierde anzog.

»Was kommt dort hinter der Waldspitze hervor?« fragte Carl plötzlich, indem
er seitwärts nach der waldigen Niederung zeigte, wo dieselbe sich an die
Prairie lehnte.

»Schnell, schnell, das sind wilde Pferde, schnell auf die Gäule, damit wir
sie von unseren Wagenpferden abhalten, sonst sind diese für uns verloren!«
rief Daniel erschrocken aus und sprang mit einem Zaum in der Hand nach
einem der Reitpferde, während Turner und Carl hastig seinem Beispiel
folgten. Im Augenblick waren den drei Thieren die Zäume übergeworfen,
Turner, Daniel und Carl schwangen sich auf deren nackte Rücken, und in
Carriere sausten sie über die Prairie, den wilden Rossen entgegen. Diese
waren aber schon zu nah herangekommen, als daß die Reiter sie noch hätten
von den Wagenpferden zurückhalten können, welche, als ob sie nach der
Freiheit ihrer wilden Kameraden verlangten, denselben trotz der Fesseln
in schwerfälligen, doch flüchtigen Sprüngen entgegeneilten. Ehe noch die
Reiter sie erreichten, waren sie in dem wirren Haufen der wilden Schaar
verschwunden, die, über zweihundert Köpfe stark, jetzt in gedrängten Massen
vor den Reitern über das wogende Gras dahinstürmte.

»Vorwärts, nur frisch dazwischen, wenn die Fesseln an den Füßen unserer
Pferde halten, so können sie uns nicht entgehen!« rief Daniel und trieb
sein Roß zu möglichster Eile an; doch Carl sauste an ihm vorüber, sein
Falber war das schnellste der Thiere und er war der Erste, der sich den
fliehenden Pferden nahte. Die Erde dröhnte unter den Hufen der
wilden Rosse, hoch wehten die langen Mähnen und Schweife, ihre rothen
weitausgespannten schnaubenden Nüstern glühten wie Feuer und ihre großen
Augen blitzten mit Entsetzen nach Carl hin, der jetzt ihre letzten Reihen
erreichte. Es schien, daß die Thiere bisher noch ihren Lauf gemäßigt
hatten, um die gefesselten Kameraden zu schützen und sie mit sich fort zu
nehmen; als aber der Falbe mit Carl auf seinem Rücken ihnen zu nahe kam, da
brachen sie in wilder fliegender Flucht los und ließen die noch mit
letzter Anstrengung ihnen folgenden Wagenpferde zurück. Nur _ein_ mächtiger
goldbrauner Hengst wandte sich noch einmal um, schoß in hohen Bogensätzen
dicht an Carl vorüber und umkreiste wiehernd die gefesselten Brüder, als
wolle er sie nochmals zur Flucht anfeuern; dann aber schoß er wie ein Pfeil
davon, seiner fliehenden Heerde nach. Die Wagenpferde blieben ermattet
stehen, doch Carl jagte an ihnen vorüber, die Lust der wilden Jagd war zu
groß, als daß er sie schon hätte aufgeben können, er drückte beide Sporen
fest in die Seiten des flüchtigen Falben und in fliegendem Sturm ging
es nun über die Prairie, den davonsausenden Rossen nach. Näher und näher
rückte er der geängsteten Schaar, deren kräftigste Thiere die letzten
waren, wie es schien, um die jüngeren vorwärts zu treiben, und der
goldbraune Hengst blieb noch weiter zurück, als wolle er den schrecklichen
Reiter von ihnen abhalten. Jetzt aber wurden zwei Füllen hinter
der verworrenen Masse sichtbar, ein schwarzes und ein weißes, ihre
Schnelligkeit nahm ab, sie ermatteten mehr und mehr, umsonst umschwärmte
sie der goldbraune Hengst, sie konnten nicht weiter und fielen gänzlich
erschöpft in das Gras nieder. Carl hatte sie erreicht und hielt, laut
jubelnd, seinen Falben an, da gewahrte er zu seiner Freude Daniel, der in
voller Carriere herangejagt kam. Beide waren von ihren Pferden gesprungen,
hoben die ermatteten hübschen Füllen auf die Füße und schmeichelten und
liebkosten sie, doch es dauerte lange, ehe dieselben sich erholten und
wieder zu Athem kamen.

»Wenn wir nur einen Strick hätten, Daniel, damit wir sie binden und mit
uns nehmen könnten, sie sind zu lieb und hübsch, und welch prächtige Pferde
müssen sie werden!«

»Wir gebrauchen keines Strickes, junger Herr,« antwortete Daniel lachend
und beglückt über die Freude, die Carl empfand, »lassen Sie die Thiere nur
erst ganz zu Kräften kommen, dann folgen sie geduldig unsern Pferden; wir
werden wenig Mühe mit ihnen haben, denn sie sind schon stark genug, um sich
selbst ernähren zu können.«

So wie Daniel es vorhergesagt hatte, so geschah es auch. Als die Füllen
wieder zu Kräften gekommen waren, bestiegen die Reiter ihre Pferde, und
die kleinen Verwaisten folgten denselben, als ob es ihre Mütter wären.
Der Jubel war groß, als Carl und Daniel mit den beiden Pferdchen im Lager
anlangten, Madame Turner und die Kinder waren außer sich vor Freude, sie
liebkosten die schönen Thiere und Carl machte seinen Brüdern, Arnold und
Wilhelm ein Geschenk mit dem Rappen, den kleinen Schimmel aber schenkte er
seiner Schwester Julie. Turner hatte die Wagenpferde auch glücklich wieder
zum Lager zurückgetrieben, und so war aus dem Schrecken eine große Freude
hervorgegangen. Nun wurde sich schnell zur Abfahrt gerüstet, und als
der Zug sich in Bewegung setzte, folgten die beiden Füllen dem dritten
Wagenpferde, welches zu diesem Zwecke hinter das Fuhrwerk der Madame Turner
angebunden war.

Das schöne herrliche Land der Prairieen lag jetzt vor den Reisenden
ausgebreitet, bald schwanden die letzten blauen Umrisse der Wälder von
Arkansas, und wie auf einem wogenden, mit Blumen übersäeten grünen Meere
zogen die Wanderer über die reichen, wellenförmig auf- und niedersteigenden
Grasfluren hin. Sie hatten das Indianergebiet westlich von Arkansas
betreten, und erreichten am zweiten Abend das Fort Towson, in dessen Nähe
sie übernachteten. Der Befehlshaber der Dragonerabtheilung, welche hier
auf Station lag, um die Grenzansiedelungen der Weißen gegen die
Gewaltthätigkeiten der Indianer zu schützen, bezeigte sich sehr freundlich
gegen Turners und besuchte sie noch vor ihrer Weiterfahrt am folgenden
Morgen in ihrem Lager. An diesem Tage gelangten sie bei dem neuen
Grenzstädtchen Franklin an, wo sie den rothen Fluß überschritten, um sich
aus dem Lande zu entfernen, welches von der Regierung der Vereinigten
Staaten den verschiedenen Indianerstämmen, die sie aus den östlichen
Staaten vertrieben hatte, als Eigenthum angewiesen war. Nun lagerten
Turners auf der nördlichen Grenze von Texas. Von hier aus ward der Weg nur
durch undeutliche Wagenspuren bezeichnet und das Gefühl, der vollständigen
Wildniß näher zu kommen, drängte sich den Reisenden mehr und mehr auf. Nur
selten trafen sie noch ein einsames Blockhaus an, bis sie nach Verlauf
von einer Woche endlich das letzte Grenzstädtchen Preston am rothen Flusse
erreichten. Man nannte es Stadt, wenn es auch nur aus wenigen Holzhäusern
bestand, die unter einzelnen Baumgruppen versteckt lagen und durch sandige
Fußpfade mit einander verbunden waren. Mehrere Kaufleute, die alle für
die Grenzansiedler nöthigen Bedürfnisse feil hielten, ein Schneider, ein
Schmied, ein Schuhmacher, ein Arzt und ein Advocat nebst mehreren Farmern
und zweien Schenkwirthen bildeten die Einwohnerschaft. Die Trachten dieser
Leute bekundeten, daß sie an der äußersten Grenze der Civilisation wohnten,
denn dieselben bestanden zum großen Theil in Lederanzügen, und die langen
Messer, die Pistolen und die Büchsen, welche sie mit sich führten, deuteten
die Nähe der Wildniß an.

Daniel war mit diesem Lande genau bekannt, da er sich oft mit den Indianern
Monate lang hier aufgehalten hatte; bei seinem letzten Besuche in dieser
Gegend stand jedoch auf Tagereisen weit noch kein einziges Haus. Turner
erkundigte sich darum bei einem der Kaufleute, von welchem er mehrere
unbedeutende Gegenstände erstand, wie weit westlich sich die Ansiedelungen
von hier aus noch erstreckten, und erfuhr, daß zehn Meilen von hier an dem
Choctawbache sich die letzten Niederlassungen befänden. Auf die Frage, ob
man dort Kühe, Schweine und Federvieh kaufen könne, wurde ihm gesagt, daß
er dies Alles im Ueberfluß dort finden und die Leute sehr erfreuen würde,
wenn er sich in ihrer Nähe niederlassen wolle. Nachdem Turner dem Kaufmann
das Versprechen gegeben hatte, von ihm gelegentlich seine Bedürfnisse zu
beziehen, setzte er die Reise noch eine Meile weiter fort, bis zu einem
Bache, wo er das Lager für die Nacht aufschlug. Am folgenden Tage langten
die Wanderer gegen Abend an dem Choctawbache an, zu dessen beiden Seiten
sich einige Meilen breit prächtiger hoher Urwald hinzog. Der Weg durch
denselben war durch Fällen der Bäume geöffnet und führte Turners über
den klaren rauschenden Bach bis an den äußeren Waldsaum, wo im schattigen
Dunkel der Riesenbäume eine Ansiedelung versteckt lag. Von den Häusern
derselben sahen nur die Dächer über eine hohe Pallisadenwand hervor, welche
aus aufrechtstehenden, neben einander in die Erde gegrabenen Baumstämmen
bestand und sämmtliche Gebäude umgab. Auf der offenen Prairie, welche sich
an den Waldsaum anlehnte, grasten in Schußweite vor den Pallisaden viele
Pferde, die dort mit langen ledernen Stricken an Pfählen angebunden waren,
und weiter auf der Grasflur weideten mehrere hundert Stück Rindvieh.

Bei Annäherung Turners kamen ihnen viele Hunde bellend entgegen gerannt,
und gleich darauf erschienen mehrere Männer vor der hölzernen Mauer
und sahen verwundert nach den Kommenden hin. Es war der Eigenthümer
der Niederlassung, Herr Warwick, mit seinen drei erwachsenen Söhnen und
mehreren jungen Amerikanern, die bei ihm wohnten, weil sie unentgeltlich
bei ihm lebten, nicht zu arbeiten brauchten, und sich mit der Jagd und
Fischerei belustigten. Herrn Warwick war der Aufenthalt dieser Leute in
seinem Hause sehr erwünscht, da die Lebensmittel für dieselben nichts
kosteten, und sie ihm und den Seinigen eine Sicherheit mehr gegen die
Angriffe der Indianer gewährten. Warwick war der erste Ansiedler in dieser
Gegend gewesen und hatte manche große Gefahr hier bestanden. Er war
ein schon bejahrter, doch noch kräftiger, rüstiger Mann von gutmüthigem
freundlichen Wesen. Indem er Turners entgegen kam, bewillkommnete er sie
aufs Herzlichste und bot ihnen seine Hülfe und Unterstützung nach allen
Kräften an. Die Wagen wurden nahe vor die Pallisaden gefahren, die Pferde
an Stricken in das Gras gebunden, während die beiden Füllchen lustig um
sie hersprangen, und die Stiere ließ Daniel frei gehen, band aber einem
derselben eine große Metallglocke um den Hals, damit er immer hören konnte,
wo die Thiere weideten. Turners folgten nun der freundlichen Einladung
Warwicks und begaben sich in dessen Wohnung, die aus mehreren, innerhalb
der hohen Pallisaden nebeneinanderstehenden Blockhäusern bestand. Die
Hausfrau, so wie deren Töchter nahmen die Gäste ebenso freundlich auf, wie
es Warwick gethan hatte, und führten sie zum Abendessen, welches soeben
aufgetragen war. Daniel mußte in der Küche speisen, weil die Amerikaner es
nicht dulden, daß sich ein Schwarzer in ihrer Gesellschaft aufhalte. Nach
dem Essen aber eilten Alle hinaus vor die Einzäunung und setzten sich unter
eine alte Lebenseiche in das Gras nieder, um die erquickende Abendluft zu
genießen, die nicht so frisch und frei in die Häuser eindringen konnte.
Eine friedliche heimische Ruhe lag auf der Gegend, in dem hohen dunkeln
Walde hinter den Wohnungen ließ sich nur noch hier und dort ein Vogel
hören, auf der Prairie, an deren duftig blauer Ferne die Sonne versunken
war, zogen die Heerden unter klingendem Glockenton der Leitkühe langsam
heran, um sich in der Nähe der Ansiedelung zu lagern, und das Tageslicht
wich vor dem bleichen Schimmer des Mondes, der schon hoch am Himmel stand.
Turners dachten an die schönen Abende auf der Kluse, an den ruhigen, im
Mondlicht glänzenden Spiegel der Werra, an die blauen Berge der lieben
alten Heimath -- wie ganz anders war Alles hier und doch auch, wie schön --
nur die feierlichen Töne der Abendglocken hätten sie gerne jetzt gehört --
es war ihnen ein wehmüthiger Gedanke, daß dies nie wieder geschehen sollte.

Warwick hatte seinen Söhnen verschiedene Aufträge gegeben und wandte sich
jetzt an Turners, wodurch er deren Gedanken von dem Werrathale abzog.
Zuerst sprach er sich ausführlich über die großen Vortheile aus, welche
diese Länder vor anderen dem Ansiedler boten, er wies namentlich auf das
herrliche gesunde Klima hin, dann auf den reichen Boden, auf die immer
grünen üppigen Weiden, auf die Menge von Wild, von Fischen und von Bienen,
und malte zuletzt die große Zukunft aus, die dieser Gegend in nicht gar
langer Zeit bevorstände, eine Zukunft, die wohl werth sei, daß man jetzt
Etwas dafür wage. Dann theilte er Turner mit, daß alles Land an diesem
Bache bereits Eigenthum der zehn Ansiedler sei, die jetzt daran wohnten,
und daß keiner von ihnen, auch er selbst nicht, ein Stück davon verkaufen
würde. Fünf Meilen weiter westlich aber, sagte er, befände sich an dem
sogenannten Bärfluß das ausgezeichnetste Land, welches sämmtlich noch der
Regierung gehöre, und Derjenige, welcher zuerst dort hinzöge, würde die
Auswahl haben und könnte sich ganz nach seinem Wunsche und nach seinem
Geschmack anbauen. Turner bemerkte ihm, daß aber dieser Erste dort sehr
großen Gefahren ausgesetzt sein würde und daß es ihm selbst wohl kaum
möglich sei, sich mit seinen wenigen Kräften gegen die Indianer zu
behaupten.

»Wir Alle hier am Choctawbache werden Ihnen helfen,« fiel ihm Warwick in
die Rede, »denn sehen Sie, es ist ja in unserm eignen Interesse, daß dort
Ansiedelungen entstehen, da dieselben für uns Vorposten gegen die Indianer
sein werden. Das ist so der Gebrauch an der Frontier, Einer muß immer der
Vorderste sein und eine Zeitlang die Widerwärtigkeiten des Grenzlebens
ertragen; hab' ich ja doch viele Jahre lang hier allein gewohnt.«

»Sie kamen aber wohl mit mehr Arbeitskräften hierher, als ich, und konnten
sich schnell jene Festung bauen?« versetzte Turner.

»Mit keinen andern Kräften, als diese beiden Arme mir boten, bin ich hier
angelangt, denn mein ältester Junge war kaum neun Jahr alt. Meine Frau hat
mir aber treulich geholfen, sowohl bei der Arbeit als auch beim Fechten;
ihre Kugeln haben manchmal zur rechten Zeit getroffen. Uebrigens, lassen
Sie es sich nicht bange werden, wir sämmtlich hier am Bache ziehen mit
Ihnen hinaus und bauen Ihnen die Häuser nebst den Pallisaden, das ist nicht
mehr, als Schuldigkeit,« entgegnete Warwick und ließ sich dann darüber aus,
welche Vorsicht der Frontiermann beobachten müsse, um sich gegen die List
der Indianer zu sichern. Turner fragte nun, ob Rindvieh, Schweine und
Schafe hier in den Niederlassungen zu kaufen seien, worauf Warwick
sich erbot, ihn hiemit ganz nach Wunsche zu versorgen, und zwar zu den
allerbilligsten Preisen. Federvieh aller Art wollte er ihm unentgeltlich
liefern und so auch hinreichend Mais zur Aussaat und zum eigenen Verbrauch
für die Zeit, bis er die erste Ernte gemacht habe. Dies sei ein altes
Herkommen an der Grenze und die Ansiedler am Choctawbache würden Alles
aufbieten, um ihrem ersten Vorposten gegen die Indianer zu helfen.

Daniel hatte sich, wie für die Befehle seiner Herrschaft bereit, in
kurzer Entfernung hinter die Gesellschaft in das Gras gelegt und die ganze
Unterhaltung mit angehört. Gegen zehn Uhr nahm Warwick seine Gäste mit sich
in seine Wohnung, Carl aber dankte für die Einladung und machte sich
mit Daniel ein Nachtlager bei den Wagen zurecht, wo sie auch ein Feuer
anzündeten. Pluto ruhte wie gewöhnlich neben ihnen, und ganz in ihrer Nähe
hatten sich auch die beiden Füllen ins Gras gelegt. Als sie sich auf ihren
wollenen Decken ausgestreckt hatten, nahm Daniel das Wort und sagte:

»Ich kenne jenen Bärfluß ganz gut, von welchem Herr Warwick sprach, das
Land in seiner Nähe ist besser und die Weiden sind viel reicher als hier,
denn dort giebt es nur das reine Mosquitogras; nirgends in diesem Lande
fanden wir damals so viel Wild, als gerade dort an jenem Flusse. Ich werde
mit Herrn Turner morgen früh darüber sprechen, er soll nur dort hinziehen
und sich seine Häuser bauen lassen, mit den Indianern wollen wir schon
fertig werden; ich bin ja selbst Indianer genug, um mich nicht von ihnen
überlisten zu lassen. Da giebt es aber Jagden, junger Herr; ich habe dort
manches Mal sicher sechs- bis achttausend Büffel mit einem Blick übersehen.
Und wilde Pferde giebt es dort, so schön, wie nirgend anderswo.«

»Das soll aber ein Spaß werden, Daniel, wie wollen wir Beide uns die besten
Pferde herausfangen! Wenn ich nur erst mit dem Lasso umzugehen wüßte.«

»Das werden Sie bald lernen; ich verstehe es aus dem Grunde,« entgegnete
der Neger und erzählte nun seinem jungen Freunde von den Jagden und
Abenteuern, die er hier in der Gegend bestanden hatte, als er noch unter
den Indianern lebte. Bald aber fielen Beiden die Augen zu, sie sanken auf
ihre Sättel zurück, und die wonnigsten Träume beglückten ihren erquickenden
Schlaf.

Frühzeitig am folgenden Morgen kam Herr Turner zu ihnen, um sich mit Daniel
über Warwicks Vorschlag zu bereden und war sehr erfreut, daß der Neger
so eifrig für die Annahme desselben stimmte. Er beschloß, dessen Rath zu
befolgen, und setzte alsbald Herrn Warwick davon in Kenntniß. Nach dem
Frühstück ritt dieser mit Turner, Carl und Daniel auf die Prairie hinaus zu
den Heerden, damit Turner das Vieh auswähle, welches er zu kaufen wünsche,
und Warwick erbot sich, ihm dasselbe an Ort und Stelle abzuliefern, sobald
seine Niederlassung gegründet sein würde. Noch am selbigen Nachmittag, als
die Sonne ihre Gewalt verlor, bestiegen sie mit Warwick wieder ihre Pferde,
und begaben sich nach dem Bärfluß hinüber, damit Turner sich ein Stück Land
dort wählen möge, auf dem er seine Niederlassung begründen wolle. Noch vor
Sonnenuntergang langten sie dort an und ritten noch mehrere Meilen weit an
dem äußersten Rand des hohen Waldes, der sich zu beiden Seiten des Flusses
hinzog. Die Pferde gingen dabei fortwährend bis an die Sättel in dem
feinsten, üppigsten Gras, und wohin man blickte, standen Rudel von Hirschen
und schauten verwundert nach den Reitern. Carl war außer sich vor Freude
über das viele Wild, und nur die Versicherung des Herrn Warwick, daß er
noch heute Abend einen Hirsch erlegen solle, hielt ihn ab, während des
Reitens vom Pferde zu springen, um sich an einen solchen anzuschleichen.
Endlich als die Sonne unterging, hielt Warwick sein Pferd an einem Platze
an, wo der Fluß in einem Bogen aus dem Walde hervortrat und sich dicht
an die Prairie lehnte. Hier wurde beschlossen, die Nacht zuzubringen, um
frühzeitig am folgenden Morgen das Land an dieser Seite des Flusses weiter
zu besichtigen, und dann auch das jenseitige in Augenschein zu nehmen.
Den Pferden wurde Sattel und Zeug abgenommen, die Vorderfüße wurden ihnen
zusammengebunden, und dann ließ man sie gehen, damit sie sich an dem
reichen Grase laben konnten. Warwick und Turner zündeten neben einem
umgefallenen trockenen Mosquitobaume ein Feuer an, neben welchem sie ihre
Satteldecken für das Nachtlager ausbreiteten, Carl aber eilte mit Daniel
und Pluto davon, um nun schnell noch eine Jagd zu machen. Sie waren wohl
eine Viertelstunde lang an dem Waldsaume hingeschritten, als der Neger Carl
rasch beim Arm ergriff und zugleich ins Gras niederkniete. Dann deutete
er mit der Hand seitwärts und gab zu verstehen, daß dort Wild stände.
Vorsichtig hoben Beide sich wieder empor, und Carl gewahrte nun einen
starken Hirsch, der soeben den Kopf in die Höhe richtete, so daß sein
mit vielen Enden prangendes Geweih sichtbar wurde. Er stand noch außer
Schußweite und die Jäger schlichen sich langsam und vorsichtig näher zu
ihm hin, indem sie immer den Augenblick dazu benutzten, wenn der Hirsch den
Kopf in das Gras versenkte. Endlich hatten sie ihn bis auf hundert Schritte
erreicht, Daniel winkte Carl zu, noch näher zu gehen, doch dieser war
seines Schusses gewiß und hob die Büchse an die Schulter, um zu schießen,
als der Neger ihn plötzlich wieder beim Arm niederzog und und mit
blitzenden Augen nach der andern Seite hinzeigte. Beide hatten sich tief
ins Gras niedergebeugt und Daniel flüsterte seinem Gefährten zu, daß ein
Trupp Büffel vom Walde her auf sie zukäme. Carl stockte vor freudiger
Ueberraschung der Athem und sein Herz pochte hörbar.

»Lassen Sie sie nahe herankommen und schießen Sie dann dicht hinter das
Schulterblatt, aber sehr tief nach unten, sonst fällt der Büffel nicht,«
sagte der Neger leise, indem er sich nahe an Carl drückte. »Nehmen Sie
sich die Zeit, schießen Sie ruhig und werfen Sie sich nach dem Schuß in das
Gras, damit die Büffel Sie nicht sehen -- da kommen sie.«

Bei diesen Worten spannte Daniel gleichfalls seine Doppelbüchse und Carl
hob sich vorsichtig aus dem Grase empor. Als sein Blick über dasselbe
hinstrich, stand eine schwere, schwarze Riesengestalt auf vierzig
Schritte vor ihm, die sich wie ein Berg von dem glühend rothen Abendhimmel
abzeichnete. Es war ein kolossaler männlicher Büffel, der seiner Heerde in
einiger Entfernung voranging. Er war stehen geblieben und schüttelte seinen
schwer umlockten ungeheuren Kopf, wobei die langen Mähnen, die sein ganzes
Vordertheil bis hinter die Schultern bedeckten, ihn wild umwogten. Dann
blickte er sich nach der Heerde um, die wie eine schwarze Masse langsam
herangezogen kam.

»Lassen Sie ihn näher kommen, junger Herr,« flüsterte Daniel, denn er sah,
daß die Aufregung es Carl unmöglich machte, die Büchse ruhig zu halten.

Der Büffel schritt wieder vorwärts und blieb auf zwanzig Schritte von den
Jägern entfernt abermals stehen. Carl hob die Büchse wieder empor, doch
Daniel sagte kaum hörbar: »Noch nicht, warten Sie, bis er zur Seite tritt.«

Carl hatte seinen Hut abgeworfen, um sich nicht durch denselben dem
Thiere zu verrathen, und er wagte kaum, nach diesem durch die Grashalme
hinzublicken. Jetzt wandte sich aber der Büffel mit einem dumpfen Brummen
etwas seitwärts und gab Carl seine ganze Schulter preis. Im Augenblick
hatte dieser die Büchse am Kopf. »Schießen Sie nicht zu hoch,« flüsterte
der Neger. Das Feuer flog aus dem Rohre, der Büffel bäumte sich mit lautem
Wuthgebrüll und stürzte dann vorwärts, bis er wenige Schritte vor den
Jägern zusammenbrach. Die Heerde aber stürmte zu ihrem gefallenen Führer
heran und würde die beiden Schützen unfehlbar unter ihren Füßen zermalmt
haben, wäre Daniel nicht aufgesprungen und ihr mit einem Zetergeschrei
entgegengerannt, indem er seinen Hut hoch über sich durch die Luft schwang.
Links und rechts stoben jetzt die kolossalen Thiere in wilder Flucht
auseinander und suchten das Weite, während der verwundete Büffel sich
wieder auf seine Vorderfüße erhoben hatte, seinen wüthenden Blick auf
Daniel richtete, und Anstrengungen machte, ganz aufzustehen. In diesem
Augenblick krachten aber die Büchsen der beiden Jäger zugleich, und, durchs
Herz geschossen, sank der Büffel todt zur Erde nieder.

[Illustration]

Der Jubel Carls war groß, als er das ungeheure Thier hingestreckt vor sich
liegen sah.

»Sie haben ihn sehr gut getroffen, junger Herr; Ihre erste Kugel würde ihn
schon nach kurzer Zeit getödtet haben, doch es war besser, daß wir ihm noch
Eins gaben. Ihr zweiter Schuß ist ihm durchs Herz gegangen,« rief Daniel
freudig, indem er sein Messer aus der Scheide zog. »Das heißt, wenn es Dein
Schuß nicht war, der ihn ins Herz getroffen hat,« entgegnete Carl
lachend. »Nein, wirklich, junger Herr, ich habe etwas zu weit nach hinten
geschossen; sehen Sie, dies ist meine Kugel,« sagte der Neger, indem er auf
eine blutige Wunde zeigte, welche auf den Rippen des Thieres saß; denn er
wollte Carl die Freude lassen, daß er allein den Büffel erlegt habe. Er
schnitt nun schnell dem Thiere die Zunge unter der Kinnlade heraus, da
seine und Carls Kräfte nicht hinreichten, demselben das Maul zu öffnen,
spaltete dann die Haut auf dem Höcker, welcher sich über den Schultern des
Büffels erhob, und löste ihn von dem Rücken ab.

»Dies ist das beste Stück am ganzen Thiere, sehen Sie nur, wie es mit Fett
durchwachsen ist,« sagte Daniel, indem er dasselbe und die Zunge mit einem
Seil zusammenband und über die Schulter hing.

»Was sollen wir denn aber mit dem übrigen Fleische anfangen?« fragte Carl.

»Wir überlassen es den Wölfen zum Abendbrod, Sie werden hören, welche Musik
sie dabei anstimmen; bis morgen früh ist Nichts mehr vom Büffel übrig, als
die Knochen,« entgegnete Daniel.

»Das ist ja aber schade, das viele, gute Fleisch,« bemerkte Carl.

»Ja freilich, wir können es aber doch nicht mitnehmen,« entgegnete
Daniel und schritt nun eilig voran, auf kürzestem Wege den Lagerplatz zu
erreichen. Der letzte Tagesschimmer war verschwunden, und das Mondlicht
zeigte den Jägern die Richtung, die sie zu nehmen hatten. Schon von
Weitem sahen sie den Schein des Lagerfeuers, wie es sich auf der
hohen, dunkelgrünen Wand des Urwaldes spiegelte, und als sie näher
herangeschritten kamen, rief Turner ihnen freudig entgegen: »Nun, Carl,
hast Du einen Hirsch geschossen?«

»Einen Büffel, einen ungeheuren Büffel, Onkel, noch einmal so groß wie
unsere Stiere,« antwortete Carl überglücklich.

»Ei, was Tausend, wirklich, einen Büffel? den muß ich mir doch morgen früh
auch einmal betrachten,« sagte Turner.

»Das wird wohl nicht möglich werden, denn Daniel sagte, daß die Wölfe ihn
in dieser Nacht vollständig verzehren würden,« entgegnete Carl, als der
Neger herankam und die Beute in dem hohen Grase niederlegte.

»Sieh, das ist ein guter Bursche gewesen, so feist trifft man sie nicht
immer,« sagte Warwick, auf den Höcker blickend, »davon muß ich mir doch
auch ein Stück ausbitten.«

Hiemit stand der Alte auf, schnitt einige dünne Stücke von dem Fleisch
ab, rieb sie mit Salz und Pfeffer ein, welches er in einer Büchse in der
Kugeltasche mit sich führte, stieß sie an einen Stock, und stach denselben
vor dem Feuer in die Erde, so daß das Fleisch über dessen Gluth schmorte.
Turner, Carl und Daniel folgten seinem Beispiel und bereicherten mit diesem
kostbaren Braten ihre Abendmahlzeit, welche aus von Hause mitgenommenem
Fleisch und Zwieback bestand. Warwick hatte auch in einem großen Blechgefäß
Kaffee gekocht, der, wenn auch ohne Milch und Zucker, Allen vortrefflich
mundete. Nach dem Essen zündeten die drei Männer ihre Pfeifen an, und
Warwick erzählte von den herrlichen Jagden, die er an diesem Flusse so oft
gemacht hatte, als plötzlich ein lautes, gellendes Geheul ertönte, wie wenn
es von hundert Kehlen angestimmt würde.

»Hören Sie, junger Herr, jetzt wird Ihr Büffel verspeist; ich wette, daß in
kurzer Zeit viele hundert Wölfe sich dabei einfinden. Sie kommen schon von
allen Seiten,« sagte der Neger zu Carl, und wirklich wurde jetzt das Geheul
weithin in allen Richtungen beantwortet.

»Sage einmal, Daniel, könnten wir uns nicht zu ihnen hinschleichen und
einen von ihnen schießen? ich möchte wohl einen Wolf in der Nähe sehen,«
sagte Carl hochauflauschend.

»Das möchte ich Ihnen doch nicht rathen, junger Freund,« entgegnete
Warwick; »mit den kleineren Prairiewölfen würde es so leicht Nichts zu
sagen haben, es dürften aber wohl auch von den großen weißen Wölfen welche
darunter sein, und die verstehen keinen Spaß. Sie werden auch noch genug
dieser Räuber in der Nähe zu sehen bekommen.«

Trotz des immer zunehmenden Geheuls sanken doch die Lagernden bald auf ihre
wollenen Decken nieder und verbrachten die Nacht in ungestörtem wonnigen
Schlafe. Der anbrechende Tag aber fand sie schon mit Zubereitung des
Frühstücks beschäftigt, wobei der Büffelhöcker wieder in Anspruch genommen
wurde, und ehe noch die Sonne über der flachen Ferne auftauchte, saßen die
Reiter wieder zu Roß, um das weitere Land in Augenschein zu nehmen.

Als sie in die Nähe des Ortes kamen, wo der Büffel lag, erblickten sie
noch einzelne Wölfe, die bei ihrer Annäherung davon flohen; aber von dem
erlegten Thiere war Nichts mehr übrig, als das Skelett.

»Das muß ja ein riesenhafter Büffel gewesen sein, wie viel sollte er wohl
gewogen haben?« sagte Turner, indem er mit Verwunderung auf das ungeheure
Knochengebäude schaute.

»Er ist sicher achtzehnhundert Pfund schwer gewesen,« entgegnete Daniel,
und sprang dann mit den Worten vom Pferde: »Ich will aber doch seine Hörner
mitnehmen, es ist Ihr erster Büffel, junger Herr, von dem Sie ein Andenken
haben müssen, ich werde Ihnen ein Trinkhorn und ein Pulverhorn daraus
verfertigen.« Nun hieb er mit dem kleinen, sehr scharfen Beile, welches
er in einer ledernen Scheide am Sattel hängen hatte, schnell die kurzen,
breiten Hörner von dem Schädel, und folgte dann mit Carl im Galopp den
beiden Andern, die in raschem Schritt vorangeritten waren. Turner blickte
staunend und stumm bald über die in der frischen Morgenluft wogende
Prairie, bald nach dem zweihundert Fuß hohen Urwald; eine so reiche,
üppige Vegetation hatte er bis jetzt noch nicht gesehen. Dabei prangte die
Grasflur, so weit das Auge reichte, durch ihre Blumen in den prächtigsten,
buntesten Farben, und der lieblichste Blüthenduft umwehte die Reiter.
In allen Richtungen sah man Rudel von Hirschen und Antilopen weiden, und
mehrere Züge wilder Pferde wurden sichtbar. Der Urwald dehnte sich oft
in Spitzen weit in die Prairie hinaus und wich dann wieder in tiefen,
schattigen Buchten zurück; hier hatte noch niemals eine andere Axt als die
eines Jägers einen Baum gefällt, und die zerstörende Hand der Civilisation
hatte der Urschönheit der Natur noch keinen Abbruch gethan. Wie seit
Jahrtausenden dieser Wald im ewigen Aufkeimen und Absterben seine Kronen
dichtverschlungen gegen den Himmel emporgehalten hatte, so überschattete
er noch jetzt die zur Erde gefallenen Riesenstämme und die nach dem Lichte
aufstrebenden jungen Schößlinge.

Warwick, der das Erstaunen Turners bemerkte, unterbrach das Schweigen und
sagte: »Nicht wahr, ich habe Ihnen nicht zu viel von diesem Lande erzählt?
es ist bedeutend besser als das unserige am Choctawbache. Ich hätte mich
gern selbst hier angesiedelt, damals aber war es mir noch zu gefährlich,
und jetzt mag ich den Ort, wo ich so viel Arbeit gethan habe, nicht wieder
verlassen. Solches Land wie dieses ist wohl werth, daß man Etwas darum
wagt.«

Turner gab nun seiner Verwunderung und seiner Freude Worte, und erklärte
sich bereit, alle seine Kräfte aufzubieten, um sich hier zu behaupten,
wobei ihm Warwick wiederholt die Versicherung gab, daß er und seine
Nachbarn ihm treulich mit Rath und That beistehen würden.

Während mehrerer Stunden folgten sie dem Laufe des Flusses an der
Außenseite des Waldes, und erst als die Sonnenstrahlen drückend wurden,
bogen sie auf einem Büffelpfade in den Wald ein, um denselben zu
durchschreiten und dann das Land an der anderen Seite zu besichtigen.
Wie mit einem Netz sind diese westlichen Länder Amerika's mit uralten
Büffelpfaden überzogen, und sie allein gestatten es dem Wanderer, die
undurchdringlichen Waldstriche zu durchziehen. Der Pfad, auf dem unsere
Reiter in den Wald eindrangen, kam weit aus der Prairie her, und war selbst
auf dem festesten Boden mehrere Fuß tief eingetreten, während seine Breite
nur _einem_ Pferde Raum gab, darin zu gehen. Warwick ritt voran und nahm
dabei sein schweres Jagdmesser in die Hand, um diejenigen Ranken damit zu
durchhauen, welche von den Bäumen herab über den Pfad hingen und welche er
nicht zur Seite schieben, noch ihnen ausweichen konnte. Tiefer in dem
Walde aber wurden die Weinranken und Schlingpflanzen über dem Wege immer
zahlreicher, so daß die Reiter sich genöthigt sahen abzusteigen und ihre
Pferde zu führen, damit sie den Büffeln es nachmachen konnten, die gebückt
unter dem Geflecht hingehen, wie die allenthalben an den Dornen und Ranken
hängenden lockigen Haare dieser Thiere bezeugten.

Der Weg wand sich wie eine Schlange zwischen den riesigen Baumstämmen hin
und her, das hohe Laubdach wölbte sich immer dichter, und immer üppiger und
kräftiger erhoben sich die Pflanzen aus der schwarzen Walderde, je näher
man dem Flusse kam. Wie Blumengewinde schwangen sich die buntblühenden
Lianen von Baum zu Baum, von Ast zu Ast, und hingen leicht und graziös aus
der höchsten Höhe herab, oder schlangen sich um die kolossalen Weinranken,
die wie Riesenschaukeln auf und niederstiegen. Oft sperrte der ungeheure
Stamm eines umgefallenen Baumes den Pfad, so daß die Reiter sich einen
weiten Umweg um ihn bahnen mußten, und hier und dort hing ein solcher
Koloß der Pflanzenwelt schwebend in tausend Ranken, die ihn in seinem Sturz
aufgehalten hatten und an denen er seine Nachbaren zu sich niederbeugte.
Nur einzeln stahl sich ein Sonnenstrahl durch die dichten Baumkronen und
blitzte auf dem silbergrauen glänzenden Schaft einer Magnolie, auf dem
weißgelben Stamm einer Platane; doch das Licht war nicht hinreichend, das
wohlthuende Halbdunkel des Waldes zu verscheuchen. Eine reine wunderbar
labend kühle Luft füllte den grünen Raum, und die heimliche Stille und Ruhe
in demselben wurde nur durch das Brausen des Flusses unterbrochen, der wild
schäumend in seinem felsigen, dreißig Fuß tiefen Bett dem rothen Strome
zueilte.

»Wie ganz anders ist es in diesen Wäldern, als in denen von Arkansas,
Onkel,« sagte Carl zu Turner, welche Beide ihre Hüte abgenommen hatten und
ihre Schläfe von der duftigen frischen Waldluft umwehen ließen.

»Die Wälder in diesen Gegenden bergen keine stehenden Gewässer, keine
Sümpfe, wie die in jenem Lande, und darum giebt es keine so bösartigen
Fieber hier, als dort,« antwortete Turner, »wir können dem gütigen Gott
nicht genug danken, daß er uns hierher leitete. Sieh, Carl, was wir oft im
Leben als das größte Unglück betrachten, was wir gar nicht glauben ertragen
zu können, was uns wohl verzweifeln lassen will: nach einiger Zeit finden
wir aus, daß es gerade zu unserem Besten gewesen, daß ein großes Glück
für uns daraus entstanden ist. Hätten wir meinen Vetter Victor bei unserer
Ankunft in Amerika noch am Leben getroffen, so würden wir uns sicher bei
ihm niedergelassen haben, und vielleicht hätte Viele von uns dort dasselbe
Schicksal erreicht, welches ihm ein so frühes Ende bereitete. Ohne daß
wir das Geld in der Bank verloren hätten, würden wir niemals unsern treuen
lieben Freund Daniel bekommen haben, und ohne ihn wären diese gesunden
herrlichen Länder uns vielleicht nie bekannt geworden. Darum, Carl, was Dir
auch im Leben begegnen mag, sei es noch so hart und niederschlagend, gieb
niemals die Ueberzeugung auf, daß Gott es zu Deinem Besten lenken wird.«

Der Anblick des Bärflusses, den die Reiter jetzt erreichten, unterbrach
Turner in seiner Rede, und mit der größten Ueberraschung blickte er
und Carl auf die pfeilschnell dahineilende Fluth, die so klar und so
durchsichtig war, daß man in der tiefsten Tiefe jeden Stein, jeden Fisch,
jede Schildkröte auf dem Grunde erkennen konnte, und daß man, wenn keine
Bewegung in dem Wasser gewesen wäre, jedenfalls darüber in Zweifel gekommen
sein würde, ob überhaupt Wasser in dem Flußbette sich befinde, oder
nicht. Die Bewunderung, die man dem herrlichen Gewässer zollte, wurde aber
plötzlich auf etwas Anderes gelenkt, was die Aufmerksamkeit aller vier
Reiter in Anspruch nahm. Pluto nämlich stöberte in diesem Augenblicke
einige hundert wilde Truthähne von dem Ufer des Flusses aus den
Büschen auf, so daß das donnerähnliche Prasseln ihrer Flügel die Pferde
erschreckte. Wie Raketen stiegen sie gerade in die Höhe und schwangen sich
nach allen Seiten hin auf die höchsten Aeste der umstehenden himmelhohen
Bäume. Schnell gaben die Reiter die Zügel ihrer Pferde an Daniel, und
eilten mit ihren Büchsen in verschiedenen Richtungen durch das Dickicht, um
sich solchen Bäumen zu nähern, auf denen diese riesigen Vögel standen. Carl
folgte dabei dem Gebell Pluto's, der auf einer kleinen Blöße im Kreise
um eine ungeheure Cypresse sprang und, an ihr hinaufsehend, seine Stimme
ertönen ließ. Auf den gewaltigen Aesten, die der Riesenbaum weit über den
Fluß hinausstreckte, standen wohl einige zwanzig Truthähne und schauten,
ihre langen Hälse niederbeugend, nach dem bellenden Hunde. Carl hatte den
Baum bald erreicht, richtete seine Büchse nach der luftigen Höhe, und mit
dem Krach des Schusses stürzte ein mächtiger Hahn von dem Aste herab und
fiel schwirrend und flatternd in den Fluß hinein. Carl sprang schnell
an das Ufer, um Pluto hinter dem Vogel herzusenden. Dieser trieb auf der
Fluth, indem er dieselbe mit den Flügeln peitschte, und der Hund, der ihn
jetzt gewahrte, sprang von dem hohen Ufer hinab, um ihn für seinen Herrn an
das Land zu holen. Die Strömung nahm sie Beide rasch mit sich fort, Pluto
kam dem Hahn aber bald näher, und hatte ihn in einer Biegung des Flusses
bis auf wenige Schritte erreicht, als ein großer Alligator plötzlich unter
dem Ufer hervorschoß, vor dem Hunde auf der Oberfläche des Wassers erschien
und seinen furchtbaren Rachen nach dem Vogel öffnete.

Carl, der auf dem Ufer gefolgt war, hatte kaum das verhaßte Thier erkannt,
als er seine Büchse auf dasselbe richtete und ihm eine Kugel in den
gepanzerten Rücken schoß. Der Alligator jedoch ließ sich nicht in seinem
Raub stören, sondern ergriff den Truthahn mit den grimmigen Zähnen und
sank mit ihm in der klaren Fluth am Ufer hinab, bis er unter demselben
verschwand. Carl hatte Pluto mit Angst und Schrecken aus dem Flusse
zurückgerufen, und schaute verdrießlich nach dem Platze im Wasser, wo der
Räuber mit der Beute sich seinen Blicken entzogen hatte, welcher Fleck
durch aufsteigenden Schlamm bezeichnet wurde. Da traten Turner und Warwick,
ein jeder mit einem geschossenen Hahn beladen, zu dem Knaben, und erfuhren
nun von ihm das Mißgeschick, welches ihn betroffen hatte. Dabei blickte
derselbe betrübt auf die beiden prächtigen Vögel, welche die Männer erlegt
hatten und sagte schließlich:

»Daß ich aber auch solch Unglück haben muß!«

»Sage lieber solch Glück, Carl. Denke Dir nur, wenn der Alligator statt des
Vogels Deinen Hund erfaßt und mit sich fortgenommen hätte, wäre das nicht
viel schlimmer gewesen? Außerdem muß man nicht täglich und fortwährend nur
auf Gelingen seiner Unternehmungen rechnen; hast Du denn schon vergessen,
daß Dir das Jagdglück gestern Abend so sehr hold war?« sagte Turner
liebevoll zu Carl und strich ihm über die Wangen, worauf dieser des Onkels
Hand ergriff und sie küßte, als danke er ihm für seine Zurechtweisung. Sie
schritten nun am Ufer hin bis zu Daniel zurück, und bestiegen dort wieder
ihre Pferde, während der Neger die beiden erlegten Vögel an seinen Sattel
befestigte. Der Büffelpfad war sehr tief in das Ufer eingetreten, so daß
er nicht allzusteil nach dem Flusse hinabführte, dessen Grund man in der
kristallhellen Fluth ganz deutlich erkennen konnte.

»Halten Sie Ihre Büchsen und Kugeltaschen in die Höhe, damit dieselben
nicht naß werden, wenn die Pferde in das Wasser sinken,« sagte Warwick zu
seinen Gästen.

»Das wird hier wohl kaum nöthig sein, das Wasser reicht meinem Pferde ja
nicht bis an den Sattel,« entgegnete Turner und blickte Warwick verwundert
an.

»Irren Sie sich nicht,« sagte dieser, »das Wasser ist hier wenigstens zehn
Fuß tief, man läßt sich durch dessen Klarheit sehr leicht täuschen. Ich
will voranreiten, damit Sie sehen, wie tief es ist.«

Hiemit lenkte er sein Pferd zu dem Flusse hinab und in denselben hinein, wo
es sofort mit dem schweren Manne auf seinem Rücken bis an den Kopf versank.
Gleich aber tauchte es wieder bis zur Oberfläche empor, und trug seinen
Reiter in wenigen Augenblicken auf das jenseitige Ufer. Turner, der ihm
folgte, sank beim Hineinreiten in den Fluß bis unter die Arme in das
Wasser, Carl jedoch, dessen Gewicht das Pferd nicht so sehr drückte, wurde
kaum bis an den Leib naß. Die Büchsen, Kugeltaschen und Pulverhörner waren
aber nach Warwicks Rath vor Nässe bewahrt worden.

»Das war doch tiefer, als ich gedacht hatte,« sagte Turner, auf seine Füße
schauend, von denen das Wasser aus seinen Kleidern in Strömen herabfloß.
»Ich bin wirklich bis unter die Arme naß geworden.«

»Das muß man an der Frontier gewohnt werden,« entgegnete Warwick sich
schüttelnd. »Es thut auch keinen Schaden in diesem Klima; in einer halben
Stunde sind Sie wieder trocken.«

»In meinem Vaterlande dürfte man es freilich nicht wagen, so in dem nassen
Zeug zu bleiben, man würde sich eine Krankheit dadurch zuziehen,« bemerkte
Turner.

»Darüber können Sie sich beruhigen, das Bad wird Ihnen sehr gut bekommen.
Lassen Sie uns nur weiter reiten, der Wald ist hier nicht mehr breit und
in der Prairie jenseits soll uns die Sonne bald genug trocknen,« antwortete
Warwick und ließ, wo es die Schlingpflanzen ihnen gestatteten, sein Pferd
tüchtig ausschreiten.

Nach Verlauf von einer Viertelstunde zeigte sich auch in der Ferne vor den
Reitern eine Oeffnung in den dichten dunkeln Baummassen, durch welche
der Pfad, wie durch eine Pforte hinaus in die, mit hellem blendenden
Sonnenlichte bedeckte Prairie führte. Als Warwick diese Oeffnung erreichte
und sein Pferd mit ihm unter den weitausgestreckten Aesten einer uralten
Eiche in das Freie hinaus schreiten wollte, hielt er es plötzlich an und
sagte, indem er sich zu seinen Gefährten umwandte:

»Jetzt aber, Herr Turner, sollen Sie Büffel sehen! Seit langer Zeit bin ich
so zahlreichen Heerden nicht begegnet. Schauen Sie nur über die Prairie;
alle jene schwarzen Striche bis in die weite Ferne sind Büffelheerden.«
Hierbei zeigte er mit der Hand über die unabsehbare Grasflur. Nur wenige
hundert Schritte vom Walde weideten wohl über tausend Büffel in einer
Heerde zusammen, die sich um die anderen, weiterhin grasenden nicht zu
kümmern schienen; denn als die vier Reiter sich vor dem Walde zeigten,
hoben sie sämmtlich ihre Köpfe aus dem Grase hervor und schauten verwundert
nach den Fremden hin, während hier und dort die Heerden sich in einen
schwerfälligen Galopp setzten und davon jagten. So weit das Auge reichte,
war die Prairie von diesen riesigen Thieren belebt, und zwischen ihren
einzelnen Abtheilungen sah man Rudel von wilden Pferden, von Hirschen und
von Antilopen weiden.

»Hier kommt Niemand in die Gefahr, Hunger zu leiden,« sagte Warwick, der
das Erstaunen seines Gastes bemerkte. »Es würde uns ein Leichtes sein,
zwischen eine solche Heerde hineinzujagen, und ein Dutzend dieser Thiere zu
erlegen. Die Weide hier muß einen eigenen Reiz für sie haben, denn wenn man
weit und breit kein Wild antrifft, hier geht man niemals fehl.«

»Wollen wir nicht einmal dazwischen sprengen und ein Paar Büffel schießen?«
sagte Carl, indem er mit strahlendem Blick auf die immer noch unbeweglich
dastehenden Thiere sah.

»Es würde unsre Pferde ermüden und uns von dem eigentlichen Zweck unseres
Rittes abziehen,« entgegnete Warwick.

»Und wir würden ja auch gar keinen Nutzen von den erlegten Thieren haben,
da wir Fleisch nicht mit uns nehmen können; nur um des Vergnügens willen
muß man kein Geschöpf tödten,« bemerkte Turner freundlich, und Carl stellte
sich damit zufrieden, obgleich er gar gern seinem Falben die Zügel hätte
schießen lassen. Sie ritten nun in die Prairie hinaus und folgten dem
Waldsaume, während die Büffelheerde, die sie so verwundert betrachtet
hatte, sich jetzt in Galopp setzte und ihren Kameraden nacheilte.




Abschnitt 4.

  Das Land zur Niederlassung. -- Die Wölfe. -- Die Pferdediebe. -- Die
  hölzerne Festung. -- Das Kanoe. -- Das Feld. -- Fischfang. -- Die
  Bärenjagd. -- Die Felle. -- Der Jaguar. -- Der vermoderte Baum.


Die Gegend gewährte den Reitern während mehrerer Stunden fortwährend
denselben Anblick: zu ihrer linken Seite stand der prächtige Urwald, wie
eine hohe grüne Mauer, und zu ihrer rechten lag die üppige Prairie, deren
Ende mit der duftigen Ferne verschwamm. Vor ihnen aber stieg jetzt über dem
äußersten Rand der Grasflur ein Wald auf, der sich wie blaues Gewölk
von Westen her nach dem Bärflusse zog und den Warwick als das Gehölz
bezeichnete, welches die Ufer eines Baches bedeckte. Dieser Bach wurde der
Pflaumenbach genannt, wegen der unglaublich vielen wilden Pflaumen, die auf
seinen Ufern wuchsen; er kam mehrere Stunden weit aus der Prairie und ergoß
sich in den Bärfluß. Nachmittags erreichten die Reiter das Gehölz, welches
den Bach in seinem tiefen Schatten verbarg und welches hier, wo es im
rechten Winkel auf den Wald am Bärfluß stieß, mehrere tausend Schritte
breit war. Ein Büffelpfad, dem die Jäger schon seit einigen Stunden gefolgt
waren, führte gerade in das Holz hinein und auf ihm langten sie sehr bald
an dem herrlichen silberklaren Bache an, der nahebei rauschend in den
Bärfluß stürzte. Nicht umsonst wurde er Pflaumenbach genannt, denn da, wo
die Reiter ihre Pferde in demselben tränkten, waren die Ufer allenthalben
mit Pflaumenbäumen bedeckt, die ihre mit herrlichen blauen Früchten
beladenen Aeste weit über das Wasser hinausstreckten. Dasselbe war nicht
tief, so daß die Reiter unter die herabhangenden Zweige reiten, und sich
nach Herzenslust an den Pflaumen laben konnten. Ihre Kleidung war wieder
ganz trocken geworden und die Kühlung, welche sie hier in dem dunkeln
Schatten des über ihnen geschlossenen Waldes duftig und belebend umwehte,
that ihnen nach dem langen Ritt in der brennenden Sonne außerordentlich
wohl. Nachdem sie selbst und ihre Pferde sich erfrischt und erholt hatten,
folgten sie wieder dem Büffelpfad, der sie an der andern Seite des Holzes
abermals in die Prairie führte und sich an dem hohen Walde des Bärflusses
hinzog. Hier hielt Warwick sein Pferd an und wandte sich mit den Worten zu
Turner: »Sehen Sie, Herr Turner, dies ist das Stück Land, welches ich so
gern zu meiner Niederlassung gewählt haben würde und welches ich jetzt
Ihrer Beachtung empfehle. Gerade in diesem Winkel, wo der Wald des Baches
auf den des Bärflusses stößt, liegt der reichste Boden, der mir auf weit
und breit bekannt ist; schauen Sie nur, welch üppiger Graswuchs und welch
riesige Pflanzen hier stehen; die Sonnenblumen reichen ja viele Fuß über
unsere Köpfe hinaus. Hier in dieser Ecke, dachte ich, sollten Sie Ihr
Feld anlegen und dort einige tausend Schritte weiter am Walde hin, wo der
Bärfluß sich aus demselben hervorwindet und sich an die Prairie anlehnt,
würde ein sehr passender Platz für Ihre Wohnung sein. Lassen Sie uns
hinreiten, damit Sie denselben selbst in Augenschein nehmen.«

Hiermit ritt Warwick durch das hohe Gras voran, welches ihm bis an den
Sattel hinaufreichte, und bald hielt er mit seinen Gefährten auf dem
steilen, dreißig Fuß hohen Ufer, unter welchem die brausende Fluth des
Bärflusses wild tobend dahineilte. Der Platz bestand aus einem Hügel, der
wohl funfzehn Fuß über der anderen Uferfläche erhaben war und hierdurch
einen weiten Blick über die flache Prairie gewährte. Auf der Höhe standen
mehrere dichtbelaubte rothe Ulmen, welche den Hügel beschatteten, und an
seiner Abdachung nach dem Pflaumenbache hin rieselte ein frischer kühler
Quell aus zu Tage liegendem Gestein hervor. Etwas weiter, nur etwa hundert
Schritte von dem Hügel, wand sich der Bärfluß wieder in den Wald hinein.

»Sie haben hier alle Vortheile, die Sie wünschen können,« nahm Warwick
wieder, zu Turner gewandt, das Wort. »Sie übersehen die ganze Prairie,
den Quell hier am Fuß des Hügels können Sie mit in Ihre Einzäunung fassen,
diese prächtigen Ulmen geben Ihnen den herrlichsten Schatten, dort unten,
wo der Fluß in den Wald einbiegt, haben Sie auf diesem Ufer so viel Holz
in Ihrer Nähe, wie Sie nur bedürfen, und von da aus bis an den Pflaumenbach
können Sie Ihr Feld in beliebiger Größe anlegen. Außerdem haben Sie hier im
Flusse eine Wasserkraft, die hinreicht, irgend ein Mühlwerk zu treiben.
Ich für meinen Theil könnte mir keinen passenderen und angenehmeren Platz
wünschen.«

»Auch mir sagt er in jeder Weise zu und ich bin Ihnen unendlich dankbar
dafür, Herr Warwick, daß Sie mich hierher geführt haben. In Gottes Namen
will ich denn hier den Meinigen die neue Heimath gründen und mag er
mich dabei gnädig beschützen und mir die Kräfte verleihen, mein Ziel zu
erreichen,« entgegnete Turner und hielt Warwick die Hand zum Danke hin.

»Und auf uns am Choctawbache dürfen Sie zu jeder Zeit rechnen, wir werden
Ihnen gute Nachbarn sein,« erwiederte Warwick, indem er Turner die Hand
schüttelte.

»Es ist eine etwas weitläufige Nachbarschaft,« sagte Turner lächelnd, »und
doch wird sie mir ein Trost werden.«

»Seien Sie guten Muthes, Sie werden hier nicht lange allein bleiben; es
kommen sicher bald mehr Ansiedler in unsere Gegend, und am Choctawbache
nehmen wir sie nicht auf, wir senden sie Alle hierher zu Ihnen!« antwortete
Warwick und sagte dann, indem er sein Pferd den Hügel hinab lenkte: »Nun
wollen wir aber den ersten Büffelpfad durch den Wald einschlagen, damit wir
nicht zu spät nach Hause kommen.«

Er ritt nun mit seinen Gefährten am Ufer hin, bis wo der Fluß aus dem Holze
hervorkam, und folgte dann wohl eine halbe Stunde weit dem Waldsaum bis
zu einem tief ausgetretenen Büffelpfade, der aus der Prairie in denselben
hineinführte. Daniel war der Letzte im Zuge, und wollte eben hinter Carl
her in den Wald einlenken, als er diesem zurief:

»Halt, junger Herr, steigen Sie schnell ab, vielleicht können Sie einen
Wolf schießen; dort kommt ein ganzes Rudel hinter einem Büffel her.
Schnell, schnell!«

Zugleich stieg er vom Pferde, führte dasselbe in den Wald und ergriff den
Zügel des Falben, während Carl absprang und hinter dem letzten Baume an die
Prairie trat. Ein lautes Wolfsgeheul, welches jetzt zu Carls Ohren drang,
lenkte seinen Blick weit über die Prairie, wo er einen Büffel erkannte, der
im Sturmlauf herangesaust kam. Derselbe hatte nur noch wenig Vorsprung vor
einer Schaar Wölfe, die ihm nachfolgte. Sie kamen schnell näher, das Geheul
wurde immer lauter, immer wüthender, und immer größer wurde die Anstrengung
des Büffels, den Wald zu erreichen. Er kam in gerader Richtung auf Carl zu,
wie es schien, um dem Pfad zu folgen. Seine Flanken waren mit weißem Schaum
bedeckt, seine brennendrothe Zunge hing ihm weit aus dem Maule hervor und
die Erde dröhnte unter seinen schwerfälligen, doch sehr flüchtigen weiten
Sprüngen. Die wüthende Schaar hinter ihm hatte ihn bis auf wenige Schritte
erreicht und schwärmte heulend nach beiden Seiten auseinander, um ihm in
die Flanken zu fallen. Es waren wohl vierzig von den kleinen Prairiewölfen,
doch ihnen voran setzte ein ungeheurer weißer Wolf, der jetzt mit
geöffnetem Rachen den Büffel erreichte. In diesem Augenblick blitzte es aus
Carls Büchse, der weiße Wolf überschlug sich heulend, der Büffel schreckte
zur Seite, dem nahen Dickicht zu, und die Schaar der Wölfe stob nach allen
Richtungen hin auseinander. Carl sprang hinter dem Baume hervor, richtete
sein Geschoß auf einen fliehenden glänzend schwarzen Wolf, und als das
Feuer aus dem Laufe fuhr, rollte derselbe kopfüber in das Gras.

»Ei, ei, allen Respect vor Ihrem Schießen, junger Freund!« rief Warwick,
der in die Oeffnung des Waldes geritten war, »wo haben Sie das gelernt? So
in aller Flucht zwei Kugeln anzubringen, da muß der älteste Frontiermann
seinen Hut abnehmen.« Dann wandte er sich nach Turner um und sagte:

»Von solchen Schützen halten sich die Indianer gern entfernt; der Knabe
wird Ihnen eine gewaltige Stütze werden.«

»Das ist er mir in der That schon oft gewesen, wofür ich ihm vielen Dank
schulde; er ist ein äußerst braver Junge,« erwiederte Turner, indem er nach
Carl hinsah, der bei dem weißen Wolf stand und untersuchte, wohin er ihn
getroffen hatte. Er warf ihn auf die andere Seite, um zu sehen, ob die
Kugel auch durchgeschlagen sei und strich ihm mit der Hand das schöne weiße
Haar glatt. Dann rief er dem Neger zu:

»Daniel, sollen wir die Felle nicht mitnehmen?«

»Wenn es Ihnen Freude macht, junger Herr, so will ich sie schnell
abstreifen, es sind aber Sommerfelle, an denen das Haar nicht so gut ist,
wie im Winter,« entgegnete der Neger.

»Ach, laß sie uns mitnehmen, wir können sie doch wohl benutzen,« sagte
Carl, und begann seine Büchse wieder zu laden.

»Gern, gern,« rief Daniel, band schnell seinem Pferde die Vorderfüße
zusammen und ließ es mit dem Falben im Grase gehen, und machte dann sich
rasch an die Arbeit, um den Wölfen die Häute abzunehmen.

Mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Gewandtheit hatte er es bald
vollbracht, hing die beiden Felle hinter seinen Sattel über das Pferd,
schwang sich auf dessen Rücken und folgte seinen Gefährten in den Wald
hinein.

Die Sonne war eben versunken, als die Reiter Warwicks Niederlassung
erreichten und dort mit großer Freude empfangen wurden. Die beiden
prächtigen Truthähne und die Büffelzunge wurden der Hausfrau übergeben,
und die beiden Wolfsfelle prangten während der Nacht ausgespannt bei dem
Lagerfeuer, welches Carl und Daniel für sich errichtet hatten. Am folgenden
Morgen ritt Warwick zu allen Ansiedlern am Choctawbache und forderte
sie auf, dabei behülflich zu sein, für Turner die Häuser am Bärflusse zu
erbauen. Zwei Tage später nahm dieser mit den Seinigen von Warwicks Familie
Abschied, um das Ende seiner langen Wanderung zurückzulegen, wobei Warwick
selbst und noch einige zwanzig Männer vom Choctawbache ihn begleiteten.
Obgleich keine Spur von einem Wagen nach dem Bärflusse führte, so gelangten
sie doch ohne große Schwierigkeit durch die offene Prairie bis an den Wald,
in welchem jenes Wasser floß, hier aber mußte Halt gemacht werden, weil die
Wagen nicht auf einem Büffelpfade den Wald durchziehen konnten. An dessen
Saume unter einer schattigen Eiche wurde ein Feuer angezündet, bei welchem
Madame Turner eine Mahlzeit bereiten wollte, während die Männer sich mit
dem Aushauen eines Weges durch den Wald beschäftigten. Carl fehlte zwischen
diesen nicht, und schwang seine Axt trotz einem der Männer. Warwick führte
den Zug, um dem Wege die Richtung nach einer Stelle am Flusse zu geben, wo
das Ufer nicht sehr steil und das Wasser seicht war. Alle größeren Bäume
ließ man unberührt stehen, indem man den Weg hin und her zwischen ihnen
durchwand, und hieb nur die dünneren Stämme und das Buschwerk dicht an der
Erde ab. Beides wurde zur Seite in das Dickicht geworfen. Die Arbeit ging
sehr rasch von Statten, weil Warwick für den Weg immer die lichtesten
Stellen wählte, da es weniger darauf ankam, denselben so kurz wie möglich
zu machen, als ihn mit der wenigsten Mühe herzustellen. Schon nach Verlauf
von einigen Stunden war derselbe bis an den Fluß beendet, worauf die Männer
zu Madame Turner zurückkehrten, um sich bei der Mittagsmahlzeit von der
Arbeit zu erholen. Sie erlaubten sich aber nur eine kurze Rast, dann eilten
sie wieder nach dem Flusse, um ihr begonnenes Werk zu vollenden. Das Ufer
zu beiden Seiten desselben wurde nun abgetragen, so daß ein Wagen ohne
große Schwierigkeit hinab- und hinauffahren konnte, und dann führten die
Männer den Weg weiter durch das Holz nach der, westlich von demselben
gelegenen Prairie. Die Sonne war noch nicht versunken, als sie die Arbeit
vollbracht hatten und zu den Wagen zurückkehrten, die jetzt schnell
bespannt und zur Durchfahrt durch den Wald in Bewegung gesetzt wurden. Nur
ein guter Fuhrmann, wie es Daniel war, konnte mit dem langen Gespann von
drei Paar Ochsen diese Fahrt ausführen, da die Biegungen des Weges zwischen
den Bäumen hier oft sehr kurz waren. Es ging aber Alles gut, und noch
strahlte das scheidende Tageslicht von dem glühenden Abendhimmel her über
die dunkelnde Prairie, als die Wanderer aus dem düstern Walde hervorzogen
und ihre künftige Heimath mit jubelnden Herzen begrüßten.

Nicht weit von dem Platze, wo der Weg den Wald verließ, erhob sich der
Hügel, welcher für die Ansiedlung ausgewählt war, und dorthin richtete sich
jetzt der Zug. Mit einem herzinnigen »Gottlob« stieg Turner vom Pferde und
»dem Allmächtigen sei es gedankt,« sagte Madame Turner, als sie ihr Gatte
vom Wagen hob und sie, von Hoffnung und Vertrauen für die Zukunft beseelt,
an seine Brust drückte. Bald war das Zelt an dem Hügel unweit der Quelle
aufgeschlagen, ein Feuer vor demselben angezündet, ein anderes Feuer
loderte auf dem Hügel empor, wo die Männer vom Choctawbache sich lagerten,
und alle Zug- und Reitthiere weideten mit gebundenen Füßen in dem hohen
saftigen Grase, welches den Boden in der Nähe des Lagers bedeckte. Mit
freudigem beglückenden Gefühl stellte Madame Turner an diesem Abend die
Töpfe, Pfannen und Kannen auf die Kohlengluth; es war ja das erste Mahl,
welches sie in der so lang ersehnten neuen Heimath bereitete. Mit einem
inbrünstigen Dankgebet zu Gott schlossen Turners erst spät in der Nacht die
Augen, während die Männer vom Choctawbache auf dem Hügel um das Feuer herum
so sorglos eingeschlafen waren, als ob sie in dem Schooße der Civilisation
ruhten. Carl Scharnhorst und Daniel hatten sich ihre Ruhelager bei dem
Feuer vor dem Zelte bereitet und zwar Carl auf der weißen Wolfshaut.
Die Schläfer lagen so fest und unbeweglich, daß die Feuer nach und nach
erloschen und kein Zeichen von Leben mehr im Lager zu erkennen war. Auch
die Pferde und die Stiere hatten sich in dem Grase niedergelegt, um sich
von des Tages Arbeit zu erholen, und nur das Brausen des Flusses unterbrach
die Stille, die auf Wald und Flur lag. Der Mond stand hoch am Himmel
und die dichten Ulmen warfen ihre schwarzen Schatten auf die sorglosen
Schläfer. Da erwachte Carl, weil er glaubte, Pluto habe geknurrt. Er schlug
die Augen auf und überzeugte sich, daß er sich nicht geirrt hatte; denn
der Hund saß aufrecht und knurrte jetzt wieder, indem er unbeweglich in
der Richtung auf die Pferde hinabblickte, die sich unterhalb des Hügels
gelagert hatten. Carl setzte sich auf, und spähete aufmerksam weiter über
die Thiere hinaus, da kam es ihm vor, als ob er in einiger Entfernung von
denselben einen dunkeln Gegenstand sich langsam durch das Gras bewegen
sähe. Bald glaubte er, sich getäuscht zu haben, dann aber wieder meinte er,
er hätte es sich deutlich dort bewegen sehen. Er stieß Daniel leise an und
weckte ihn, ohne Geräusch zu machen.

»Daniel, ich sehe dort Etwas sich im Grase bewegen, dort hinter den
Pferden, sollte das wohl ein wildes Thier sein?« sagte er leise zu dem
Neger, und dieser hob sich auf seinem Arm empor und blickte eine Zeitlang
regungslos nach dem bezeichneten Platze. Dann sagte er: »Das sind keine
wilde Thiere, es sind wilde Menschen, es sind Indianer, die unsere Pferde
stehlen wollen. Nehmen Sie ihre Büchse zur Hand, wir wollen ihnen doch
einen Schreck einjagen.«

»Es ist aber noch viel zu weit, um zu schießen,« flüsterte Carl.

»Wenn sie aber in die Nähe der Pferde kommen, so wird es nicht mehr zu weit
sein. Ich will es Ihnen sagen, wenn es Zeit ist, zu feuern.«

»Aber die Tante wird sich erschrecken, Daniel, ich will es ihr schnell
sagen, daß wir schießen wollen.«

»So eilen Sie sich, und stehen Sie nicht auf; kriechen Sie auf den Knieen
nach dem Zelte hin. Aber eilen Sie sich, die Kerls kommen schnell näher,«
flüsterte Daniel, und Carl glitt auf Händen und Füßen durch das hohe Gras
in das Zelt hinein. Nach wenigen Augenblicken kehrte er daraus zurück
und schlich sich ebenso vorsichtig wieder an des Negers Seite, der ihm
zuflüsterte: »Sehen Sie dort, junger Herr, über die beiden Schimmel hinweg,
dort bewegt es sich jetzt, das müssen mehrere Indianer zusammen sein. Jetzt
können Sie sie sehen, das Gras ist da nicht so hoch, wahrhaftig, es sind
drei oder vier Kerls. Schießen Sie, es kann nicht viel weiter sein, als
hundert Schritte; schießen Sie aber kein Pferd; jetzt, Feuer!«

Der Blitz fuhr kaum aus dem Rohr, da sprangen sechs dunkle menschliche
Gestalten hinter den Pferden aus dem Grase empor und flogen mit des
Hirsches Schnelligkeit über die, vom Monde mit Tageshelle beleuchtete
Fläche.

»Jagen Sie auch die andere Kugel hinter den Spitzbuben her!« rief Daniel,
und Carl gab abermals Feuer. Die Indianer aber verdoppelten nur noch ihre
Eile und waren bald in der nebelichten Ferne verschwunden.

Der Krach des ersten Schusses hatte die Schläfer aus ihrer Ruhe aufgejagt,
Alle hatten zu ihren Waffen gegriffen, und als ihnen der zweite Schuß die
Richtung zeigte, wo der Feind zu suchen sei, so erkannten auch sie die
fliehenden Indianer, und schossen sämmtlich noch ihre Büchsen nach ihnen
ab, obgleich sie schon längst außer dem Bereiche der Kugeln waren.

»Die Schurken haben wenigstens das Blei pfeifen hören und kommen nun sobald
nicht wieder; es hat öfterer geknallt, als sie erwartet hatten,« rief
Warwick in seinem Zorn, und setzte dann, indem er den Indianern die
geballte Faust nachstreckte, noch hinzu: »Aber wartet, Ihr werdet hier am
Bärflusse noch Blut lassen!«

Auch Turner war gleich nach dem ersten Schusse aus dem Zelte
hervorgekommen, und Daniel mußte nun den ganzen Hergang des Vorfalls
berichten.

»Laßt uns schnell auf die Gäule springen und ihnen nachjagen!« riefen
mehrere der Männer, doch Warwick entgegnete ihnen: »Den Ritt können wir
sparen. Die Schurken haben bereits das Dickicht am Pflaumenbach erreicht,
dort werden sie ihre Pferde verborgen haben, und wir sollten wohl lange
nach ihnen suchen. Sie kommen sobald nicht wieder; einige zwanzig Kugeln
sind mehr, als sie lieben.«

Turner schlug vor, die Pferde aus dem Grase zu holen und in der Nähe
anzubinden, doch Warwick versicherte ihm, daß es jetzt unnöthig sei, diese
Vorsicht zu gebrauchen. Er rieth, sich wieder zur Ruhe zu legen und war
der Erste, der sich bei dem frisch angefachten Feuer auf seine Satteldecke
ausstreckte.

Die Nacht verging ohne alle Störung und der anbrechende Tag rief die
Männer wieder zu der Arbeit. Madame Turner und Julie hatten schnell
Kaffee gekocht, Maisbrod gebacken und Speck gebraten, das Frühstück wurde
verzehrt, und Warwick führte seine Gefährten an dem Flusse hinunter, dahin,
wo derselbe wieder in den Wald einbog. Dort begannen die Männer nun, auf
dem diesseitigen Ufer Bäume zu fällen, um aus deren Stämmen die Häuser und
Einzäunungen für die Ansiedler aufzuführen. Es wurde auch eine mächtige
Cypresse gehauen, und von ihrem Stamme zwei Fuß lange Stücke abgesägt,
welche Daniel mit einem Paar Ochsen nach dem Hügel schleifte. Diese Stücke
wurden zu dünnen, breiten Brettern gespalten, welche als Schindeln zu
den Dächern der Häuser verwandt werden sollten. Sobald die Bäume nun in
größerer Zahl fielen, nahm auch Carl ein Paar Stiere, und schleifte die
Stämme, so wie Daniel es that, zu dem Hügel hin. Vier Tage lang setzten sie
Alle die Arbeiten unermüdet fort, und am fünften hatten sie bereits so viel
Holz um den Hügel liegen, als nöthig war, die Ansiedelung zu gründen. Nun
ging es an das Aufbauen der Häuser. Es wurden zwei Baumstämme von zwanzig
Fuß Länge in gleicher Richtung vierzehn Fuß von einander entfernt auf
die Erde gelegt, und dieselben durch zwei sechzehn Fuß lange Stämme mit
einander verbunden, welche auf ihre Enden gehoben wurden, so daß sie
zusammen ein Viereck bildeten. In dieser Weise wurden nun immer mehr Stämme
aufeinandergelegt, bis dadurch die vier Wände eines Blockhauses zwölf Fuß
Höhe erreicht hatten. Solche Häuser stellte man drei nebeneinander und
zwar zehn Fuß von einander entfernt, und deckte über alle drei _ein_
Schindeldach, so daß auch die beiden Zwischenräume zwischen den Häusern mit
dem Dache überdeckt wurden. Nun schnitt man mit der Säge Thüren und Fenster
in die Holzwände, schnitt gleichfalls Oeffnungen in dieselben, wo die
Kamine angebracht werden sollten, und führte von diesen Schornsteine
von Holz, Lehm und Steinen auf. Die Thüren und Fensterladen wurden von
gespaltenem Cypressenholz verfertigt und mit Eisenbeschlägen, welche Turner
mitgebracht hatte, eingehangen. Als die Häuser nun auf der Höhe des Hügels
unter den schattigen Ulmen fertig standen, begannen die Männer an der
Aufführung der Pallisadenmauer. Rund um den Hügel wurde ein zwei Fuß tiefer
Graben angebracht, so daß er sich mit seinen beiden Enden an den steilen
Abhang über dem Flusse anlehnte, und in diesen Graben stellte man die
Baumstämme dicht nebeneinander aufrecht hinein und warf ihn um dieselben
mit Erde zu. Die in dieser Weise aufgeführte Mauer war vierzehn Fuß hoch,
und alle Oeffnungen in derselben zwischen den Stämmen wurden mit Holz
ausgefüllt. Der Eingang, den man an der Seite in dieser Einzäunung ließ,
wurde mit einem starken Thor versehen, welches man innerhalb mit schweren
Ketten verschließen konnte. Außerdem wurde in kurzer Entfernung von
dieser hölzernen Festung eine Einzäunung errichtet, in welcher Nachts die
Milchkühe und bei Tage deren Kälber eingesperrt werden sollten. Hiermit
waren die Arbeiten vollbracht, welche die Männer vom Choctawbache für ihre
neuen Nachbarn auszuführen übernommen hatten, und nach vierzehntägigem
Aufenthalt bei ihnen nahmen sie nun Abschied und wünschten ihnen alles
Glück und allen Segen zu ihrer Unternehmung. Warwick versprach, ganz in der
Kürze das von Turner gekaufte Vieh hier abzuliefern, so wie den zugesagten
Mais und die Hühner herzuschaffen, und für die Folge recht oft hier
vorzusprechen, um zu sehen, wie es ihm und seiner Familie ergehe.

Mit recht traurigen Herzen blickten Turners den Männern nach, und sahen sie
auf dem neugeschaffnen Wege in dem Walde verschwinden. Es war ihnen, als ob
sie aller menschlichen Gesellschaft Lebewohl gesagt, als wenn sie von der
übrigen Welt Abschied genommen hätten. Sie waren allein in einer Wildniß,
die nur von wilden Thieren und von feindseligen wilden Menschen bewohnt
wurde, und es drängte sich ihnen ein unheimliches Gefühl auf bei dem
Gedanken, daß vor ihnen nach Westen hin bis an das stille Weltmeer noch
niemals ein weißer Mensch seine Hütte aufgeschlagen hatte. Um so sehnlicher
wandten sich ihre Herzen nach den wenigen Niederlassungen am Choctawbache
zurück, welche nun noch ihre einzige Stütze, das einzige Band zwischen
ihnen und der civilisirten Welt blieben.

Demohngeachtet war Turner weit davon entfernt, zu verzagen; der Gedanke,
für das Wohl der Seinigen zu handeln, stählte seinen Willen, und das
Gefühl, nun in der Wirklichkeit für sie thätig sein und schaffen zu können,
gab ihm Muth und Zuversicht in seine eigene Kraft. Dabei stützte er sich
auf die vielseitigen Erfahrungen, auf die Treue und Anhänglichkeit des
braven Negers und zugleich auf die Hülfe Carls, den die Vorsehung erwählt
zu haben schien, seiner Familie in der Noth als Retter zu erscheinen.

Die erste Grundlage zu der Niederlassung war gelegt, Turners hatten
ein Obdach und einen Schutz gegen einen ersten Angriff der Wilden;
die eigentliche Arbeit aber, diesen Ort zu einer wirklichen Heimath
umzugestalten, sollte jetzt erst beginnen, und mit allen Kräften gingen die
Ansiedler an dies schwere Werk. Das Erste, was unternommen wurde, war die
Anlage eines Gartens. Dies geschah unmittelbar neben der Festung an dem
Ufer des Flusses, so daß das Wasser der Quelle, welche innerhalb der
Pallisaden entsprang, durch den Garten nach dem Strome floß. Daniel hatte
dort in wenigen Tagen zu diesem Zwecke ein kleines Stück Land mit einer
Einzäunung umgeben, und mit Hülfe Turners und Carls dasselbe umgegraben,
so wie die feste schwarze Erde, die der Prairie eigen ist, mit Mühe und
Sorgfalt bearbeitet. Es wurden sogleich Beete angelegt und dieselben mit
Erbsen, Bohnen, Melonen und Kürbissen, mit Kohl und Rüben bestellt, bei
welcher Arbeit auch Arnold und Wilhelm fleißig halfen. Als am vierten Tage
dieselbe beendigt war und man sich zum Mittagsessen in das Fort begeben
wollte, kam Warwick mit einem leichten Wagen angefahren und brachte auf
demselben den versprochenen Mais, die Hühner und eine Sau, während zwei
seiner Söhne das von Turner gekaufte Vieh herantrieben. Die Freude der
Ansiedler war groß, weil das Wiedererscheinen der Nachbarn ihnen das Gefühl
gab, daß sie doch nicht so ganz verlassen seien. Die Kälber wurden in die
dafür bestimmte Einzäunung gesperrt, während man deren Mütter sich selbst
überließ, da man gewiß war, daß diese sich Abends bei ihren Kleinen
einfinden würden. Die Hühner befreite man innerhalb der Festung und gab
ihnen dort etwas Futter, die Sau wurde gleichfalls dort bewahrt, und für
den Mais baute Daniel schnell ein kleines Häuschen aus leichten Stämmen,
welches er mit Schindeln bedeckte. Warwick war sehr überrascht, als er in
die Wohnung trat; denn in dem einen Zimmer fand er schon Tische und
Bänke vor, welche Carl aus leeren Kisten verfertigt hatte, die Oeffnungen
zwischen den Balken waren mit Stücken Holz ausgefüllt, und die Wände mit
großen Leinentüchern behangen, von denen eine mit einem Spiegel in goldenem
Rahmen prangte. An der Wand, der Thür gegenüber, hingen alle Waffen hübsch
geordnet, so wie auch Sättel und Zäume, und Alles im Zimmer war sauber und
nett, und gab Zeugniß von der Ordnungsliebe und dem Fleiß der Hausfrau.

Die drei Nachbarn mußten sich mit zu Tische setzen und wurden dort bei dem
sehr einfachen Mahle aufs Herzlichste willkommen geheißen.

»Ihr Europäer richtet Euch doch, wohin Ihr auch kommen mögt, sofort
behaglich und gemüthlich ein, während wir Amerikaner nur den Nutzen im
Auge halten, und unsere eigene Bequemlichkeit und Annehmlichkeit darüber
vergessen,« sagte Warwick, sich wohlgefällig umschauend, und heftete dann
seinen Blick auf die schönen Waffen an der Wand.

»Nun, beim Himmel, damit können Sie ja das Fort gegen eine ganze Armee
vertheidigen,« rief er erstaunt aus, »das sind ja nicht weniger als
sechszehn Gewehre und außerdem noch viele Revolver und Pistolen -- da
braucht Ihnen wahrlich nicht bange vor den Indianern zu sein. Als ich
zuerst nach dem Choctawbache zog, besaß ich Nichts an Waffen, als eine
einfache Büchse und ein Jagdmesser. Demungeachtet rathe ich Ihnen die
größte Vorsicht an, denn die Rothhäute sind schlau wie die Wölfe und
grausam wie die wildesten Thiere. Nun, Daniel kennt sie ja hinreichend und
weiß, wie weit man ihnen trauen darf.«

»An Vorsicht soll es nicht fehlen,« entgegnete Turner, »und wenn die Wilden
uns dazu zwingen, auch nicht an tapferer Gegenwehr.«

»Sie thun besser daran, wenn Sie sich nicht erst von ihnen zur Nothwehr
zwingen lassen, denn dann möchte es schon zu spät sein. Machen Sie es sich
zum Grundsatz, jeden Indianer wie ein Raubthier zu betrachten und ihn zu
tödten, wo und wie Sie können, er ist nichts anders, und ist auch nichts
anders werth,« sagte Warwick etwas in Eifer, den auch die Röthe verrieth,
die sein Gesicht überzog.

»Das wäre wohl nicht ganz recht,« entgegnete Turner, »es sind doch
Menschen, die uns nur darum feindlich entgegentreten, weil wir Weißen uns
in den Besitz von Land drängen, welches sie als ihr Eigenthum betrachten.
So sehr übel kann ich es ihnen nicht nehmen, wenn sie sich nicht geduldig
davon verjagen lassen.«

»Es sind Menschen,« sagte Warwick, »freilich, das ist nicht abzuleugnen; es
sind aber wilde Menschen, die so wie die wilden Thiere, nur für die Wildniß
bestimmt sind, und die ihr Recht auf das Land da verlieren, wo die Cultur
erscheint. Die Erde ist doch sicher nicht dazu geschaffen, damit sie immer
eine Wildniß bleiben sollte. Warum bauen sich denn die Rothhäute nicht auch
an und leben ein friedliches gesetzliches Leben? dann würde sie Niemand von
ihrem Stück Land vertreiben. Glauben Sie mir, der erste Schuß ist immer
der beste; ich habe es stets so gehalten, und nur dadurch habe ich mich am
Choctawbache behaupten können.«

Die Unterhaltung bewegte sich während des Essens ausschließlich um die
Wilden, es war Warwicks Lieblingsthema, und mit einem gewissen Stolze gab
er eine Menge feindseliger Zusammentreffen mit den Indianern zum Besten, in
denen er Sieger geblieben war.

Daniel hatte sich nicht mit an den Tisch gesetzt, um den freundlichen
Nachbarn durch seine Gegenwart nicht einen Anstoß zu geben. Madame Turner
aber sandte ihm durch Julie die Speisen und den Kaffee in das andere Haus,
wo er eine leere Kiste statt eines Tisches benutzte.

Als die Sonne sich neigte, begaben sich Warwick und seine Söhne unter den
Versicherungen treuester Nachbarschaft auf den Heimweg, und Turner eilte zu
der Einzäunung, vor welcher die Kühe darauf warteten, daß man sie zu ihren
Kälbern einlasse. Erstere wurden durch Madame Turner und Julie gemolken und
in die Einzäunung gesperrt, während man die Kälber in das Gras trieb, damit
sie noch bis zur Dunkelheit dort weiden konnten; denn während der Nacht
wagte man es nicht, sie draußen zu lassen. Durch die große Menge Milch,
welche die Kühe lieferten, war die Haushaltung sehr bereichert worden, und
Madame Turner wußte sie in gar vieler verschiedener Weise zu verwenden.

Die nächste Arbeit, welche man in Angriff nahm, war, ein Kanoe zu
verfertigen, wozu ein ungeheurer Pappelbaum gefällt wurde.

Ein zwölf Fuß langes Stück seines Stammes wurde auf der obern Seite platt
gehauen und etwas ausgehöhlt, wonach Daniel ein Feuer darauf anzündete und
dasselbe in fortwährender Kohlengluth erhielt. In dieser Weise brannte er
den Stamm hohl, so daß er, nachdem dies geschehen, nur wenig mit dem Beil
und dem Stemmeisen nachzuhelfen brauchte. Dann hieb er den Stamm äußerlich
in die Form eines Schiffes, brachte ein Paar Bänke in demselben an, und
bald schwamm es zu aller Freude leicht und beweglich auf der klaren Fluth
des Bärflusses.

Auf einer Stelle in nicht großer Entfernung vom Fuße des Hügels flachte
sich das Ufer nach dem Wasser hin ab, so daß man dort die Pferde tränken
konnte, und hier wurde das Kanoe mit einer Kette an einem Baum befestigt.
Während Daniel das Boot anfertigte, schuf Carl ein anderes Werk von ebenso
großem Nutzen; er baute nämlich ein Mühlenrad, und brachte dessen Welle auf
einem kleinen Floß an, welches er auf dem Flusse zusammengefügt hatte, so
daß die starke Strömung das Rad drehen mußte. Die Welle setzte er mit einer
großen eisernen Maismühle, die Turner vorsichtigerweise früher angekauft
hatte, in Verbindung, welche durch dieselbe in Bewegung gesetzt wurde und
die viel mehr Maismehl lieferte, als die Ansiedler gebrauchten. Es wurde
ihnen hierdurch die sehr beschwerliche Arbeit erspart, selbst täglich den
Mais für den Brodbedarf zu mahlen. Nach Beendigung dieser Arbeit begann
Carl einen Pflug zu bauen, wozu alles Eisenwerk fertig mitgebracht war.
Turner und Daniel dagegen widmeten sich einer schweren Aufgabe, indem sie
ein Stück des Waldes am diesseitigen Ufer zu einem Felde umschufen. Der
Waldboden ist leicht zu bearbeiten und trägt gleich im ersten Jahre die
reichste Maisernte, während ein Feld, in der Prairie angelegt, erst im
dritten Jahre zum vollen Ertrag kömmt. Diese Erde ist zu fest und hart, als
daß man sie gleich im ersten Jahre hinreichend lockern könnte. Die größeren
Bäume des Waldes blieben stehen, wurden aber rundum einige Zoll breit von
der Rinde entblößt, welches sie bis zum kommenden Frühjahr tödten mußte.
Die kleineren Stämme und die Büsche wurden abgehauen und dicht um die
großen Bäume aufgehäuft, um sie dort zu verbrennen, sobald sie trocken sein
würden. Dann zäunte man das Feld ein, und da um diese Zeit der Pflug durch
Carl hergestellt war, so wurde dasselbe zum ersten Male umgebrochen, um es
während der Winterzeit so liegen zu lassen und im Frühjahr zu besäen. Neben
diesen Hauptarbeiten führten die Ansiedler noch unzählige kleinere aus,
die theils durch die Nothwendigkeit bedingt wurden, theils aber zur größern
Bequemlichkeit verhelfen, oder auch nur Vergnügen bereiten sollten. So
spannte zum Beispiel Daniel ein starkes Seil über den Fluß und befestigte
es auf beiden Ufern an schwanke Bäume. An dieses Seil band er nun viele
kurze, mit starken Angelhaken versehene Fischleinen, so daß dieselben in
den Strom hinabhingen, und befestigte auch eine Metallschelle daran,
die verkünden sollte, wenn sich ein Fisch gefangen habe und an dem Seile
zuckte. Zu irgend einer Zeit, wenn Madame Turner nun Fische zu haben
wünschte, wurden die Angelhaken mit Fleisch versehen, und es dauerte dann
auch nie lange, bis die Glocke ertönte und man in dem Kanoe hinfuhr, um den
gefangenen Fisch aus dem Strome zu ziehen. Der Reichthum dieses Wassers
war unglaublich, es lebte von Fischen, deren viele ein Gewicht von dreißig
Pfund erreichten, und es gewährte dem Auge einen überraschenden reizenden
Anblick, dieselben in dem krystallklaren Elemente im Sonnenlichte in allen
Farben schillern zu sehen. Auch die köstlichen Schildkröten, die dies
Wasser zu Tausenden beherbergte, gelangten oft zu einem Gewicht von dreißig
Pfund.

Wenn Carl nun während des ganzen Tages unermüdlich arbeitete und jede
Gelegenheit mit Liebe und Lust erfaßte, um sich nützlich zu machen, so
gehörte doch stets der frühe Morgen und der späte Abend ihm, und wurde von
ihm verwandt, um seiner Liebhaberei, der Jagd, zu folgen. Daniel war dabei
immer, wenn es dessen Zeit erlaubte, sein treuer Begleiter, und bald ward
der Wald, bald die Prairie von ihnen zusammen durchstreift. Bei diesen
Ausflügen gestattete Daniel seinem jungen Freunde stets den ersten Schuß
nach dem Wild, und half nur noch mit einer Kugel nach, wenn Carl dasselbe
nicht gleich tödtlich getroffen, oder gar ganz gefehlt hatte. Der Neger war
ein außerordentlich guter Schütz und seine Schnelligkeit im Gebrauch der
Büchse hielt mit der seines Falkenauges gleichen Schritt. Oftmals wurde
Carl dadurch so überrascht, daß er laut seine Verwunderung darüber
aussprach, welches Daniel dann immer mit Lachen beantwortete und sagte, das
sei noch eine Erinnerung aus seinem Indianerleben. Eines Abends, nachdem
sie des Tages Arbeit beendet hatten, ritten sie vor Sonnenuntergang in die
Prairie hinaus, um dort wo möglich noch einen Hirsch zu erlegen. Wie aber
das alte Sprichwort sagt, »es ist alle Tage Jagdtag, aber nicht alle Tage
Fangtag,« so kann man oft in dem besten Jagdrevier sich abmühen, ohne
Beute zu machen. So ging es den beiden Jägern heute, und sie lenkten halb
verdrießlich ihre Pferde zurück nach der äußersten Spitze des Waldes am
Pflaumenbach, welche sich eine Stunde weit hinaus in die Prairie erstreckte
und durch einige himmelhohe Pappeln und Cypressen auf viele Meilen weit zu
erkennen war.

Die Dämmerung zog schon über die Gegend, als sie diese Waldspitze
erreichten und längs derselben hinritten, um nach Hause zurückzukehren.
Hier standen die Bäume sehr einzeln, so daß man weit durch den Wald blicken
konnte, dessen Boden hier nur mit niedrigem Grase bedeckt war und nur hier
und dort einzelne Büsche trug. Daniel erzählte während des Reitens seinem
jungen Gefährten von früheren Jagden und dieser hörte ihm aufmerksam
zu, ließ aber demungeachtet seinen Blick dabei seitwärts durch den Wald
schweifen. Plötzlich hielt er sein Pferd an und sagte leise zu Daniel:

»Was ist das dort unter der Eiche, siehst Du den schwarzen Punkt nicht?«

»Ein Bär, wahrhaftig; er hat uns noch nicht gesehen, schnell, springen Sie
ab und schleichen Sie sich an ihn, der Wind ist günstig.«

Im Augenblick war Carl von seinem Pferde und sprang, tief gebückt, von Baum
zu Baum durch den Wald. Der Bär suchte Eicheln und stand mit dem Kopf von
Carl abgewandt.

Dieser kam ihm schnell näher und hatte ihn bis auf hundert Schritte
erreicht, als er auf ein trockenes Reis trat, dessen Brechen und Knacken
ihn selbst erschreckte. Er warf sich nieder, aber in demselben Augenblick
setzte sich der Bär auf seinem Hintertheil auf, und blickte sich nach Carl
um. Dieser hatte jedoch seine Büchse schon auf ihn gerichtet und gab Feuer.
Der Bär rannte davon und Carl schoß auch den zweiten Lauf nach ihm ab, ohne
ihn jedoch in seiner Flucht aufzuhalten.

In diesem Augenblicke sauste Daniel zu Pferde an ihm vorüber und unter den
Bäumen hin dem dichten Walde zu, um dem fliehenden Bären den Weg dorthin
abzuschneiden, und Carls Falber stürmte ihm mit fliegenden Steigbügeln
nach. Vergebens rief Carl dem Pferde zu, es folgte zügellos dem Kameraden,
und bald war die wilde Jagd in der Richtung nach der Spitze des Waldes vor
seinen Augen verschwunden, da der Bär sich vor dem heranjagenden Neger und
dem losen Roß abgewandt hatte. Carl lauschte der Jagd, deren Richtung ihm
durch den gellenden Ruf Daniels bezeichnet wurde, und begann seine Büchse
wieder zu laden, während er mißmuthig schon in Gedanken sah, wie sein
Gefährte nun ohne ihn den Bären erlegen würde. Da schallte abermals der
wilde Jagdruf Daniels zu seinem Ohr und zwar in nicht so großer Entfernung;
Carl blickte auf, und dort kam der Bär in weiten Sätzen unter den Bäumen
hergerannt. Er kam geraden Wegs auf Carl zu, dieser hatte soeben die Kugeln
in die Läufe gesteckt und den Ladestock hervorgezogen, um sie hinunter zu
stoßen; konnte er noch fertig laden, bis das grimmige Thier ihn erreicht
hatte? das war die Frage, die sich ihm aufdrang. Mit aller Macht stieß er
die eine Kugel in den Lauf hinab, der Bär war nur noch fünfzig Schritte
entfernt, jetzt stieß Carl die zweite Kugel hinunter, warf den Ladestock
von sich und griff nach den Zündhütchen, da hatte ihn der Bär bis auf
zwanzig Schritt erreicht und stieß, den furchtbaren Rachen weit geöffnet,
ein dumpfes Wuthgebrüll aus. Carl spannte beide Hähne seiner Büchse, warf
dieselbe an die Schulter, und im Knall stürzte der Bär über Kopf nieder.
Im nächsten Augenblicke hob er sich wieder hoch auf seine Hinterfüße
und, seine Vordertatzen nach dem Schützen ausstreckend, schritt er
zähnefletschend auf ihn zu. Carl rührte sich nicht, er sah fest über den
Lauf nach dem Kopfe des Bären, gab Feuer und das wüthende ungeheure Thier
stürzte todt zu seinen Füßen. In fliegender Carriere kam Daniel herangejagt
und stieß einen lauten Freudenschrei aus, als er den Bären niedersinken
sah, denn die Gefahr, in der sein junger Freund schwebte, war ihm nicht
entgangen; es war ihm aber nicht möglich gewesen, dem Bären geraden Wegs
zu folgen, da dieser sich durch eine Reihe hoher Steinblöcke vor ihm
geflüchtet hatte, die er zu umreiten genöthigt gewesen war.

»Gratulire, junger Herr, das ist Ihr erster Bär, und ein feister Bursche
ist es, er wiegt wenigstens achthundert Pfund,« rief Daniel, indem er
vom Pferde sprang und Carl auf die Schulter klopfte, »das haben Sie gut
gemacht, es war mir schon bange, Sie möchten den Kopf verlieren und sich
auf die Flucht begeben; das Thier würde Sie in wenig Augenblicken eingeholt
haben, auch selbst wenn Sie einen Baum erstiegen hätten. Diese schwarzen
Bären klettern wie die Katzen, wohingegen die grauen, oder Grisleybären
nicht klettern können. Nun aber, schnell nach Hause, wir müssen noch heute
Nacht das Thier holen, damit die Wölfe es nicht zerreißen.«

Bei diesen Worten zog Daniel seine Jacke aus und warf sie über die
Jagdbeute, und Carl folgte seinem Beispiele. Dann band der Neger Carls
weißes Taschentuch an einen Baumzweig, so daß dasselbe über dem todten
Thiere hin- und herwehte, und nun bestiegen sie ihre Pferde, nachdem Carl
den Sattel auf seinem Falben wieder zurechtgelegt hatte, der ihm während
der Jagd unter den Bauch gerutscht war. Nun ging es im Galopp über die
Prairie der Niederlassung zu, die sie mit der Dunkelheit erreichten.

Die Nachricht von dem Jagdglück erzeugte große Freude im Fort, denn Warwick
hatte Turners viel von dem Nutzen erzählt, den ein Bär um diese Jahreszeit
dem Haushalte gewähre. Der Korbwagen, in welchem Madame Turner die
Reise gemacht hatte, wurde angespannt, Daniel versah sich reichlich mit
Kienspänen, um sie als Fackeln zu gebrauchen, zündete einige davon an, und
ritt dem Wagen voraus, auf welchem Carl Platz genommen hatte und die
Pferde lenkte. In der Prairie ging die Fahrt leidlich von Statten, obgleich
manchmal ein umgefallener Mosquitobaum, oder ein Graben, den Gewitterwasser
gerissen hatten, dieselbe für kurze Zeit unterbrach; als es aber in den
Wald hineinging, da waren solcher Hindernisse viel mehr, und die alten
Baumstümpfe, die nicht mehr hoch aus der Erde hervorsahen, gaben dem
Fuhrwerk manchen unerwarteten heftigen Stoß. Daniel war aber zu wohl mit
dem Leben in der Wildniß vertraut, als daß er nicht das Erreichen seines
Ziels hätte möglich machen sollen, und bald rief er freudig aus: »Dort sehe
ich schon Ihr Taschentuch wehen; die Herren Wölfe werden es hoffentlich
respektirt haben!«

Der Bär lag denn auch wirklich noch so, wie sie ihn verlassen hatten. Sie
fuhren den Wagen dicht an ihn heran, obgleich die Wagenpferde sich Anfangs
weigerten, in die Nähe dieses gefürchteten Thieres zu kommen, und dann
wurden Anstalten gemacht, um den Bär auf das Fuhrwerk zu befördern.
Vermittelst Stricken und Hebebäumen gelang dies den beiden Jägern endlich,
wenn auch nur durch die größte Anstrengung, und nun wurde die Rückreise
angetreten. Es lag etwas Schauerliches in dieser Fahrt: die Nacht war
rabenschwarz, das Fackellicht erhellte mit seinem rothen Scheine nur die
nächste Umgebung, der schwarze Rauch des Kienholzes umwölkte den Wagen,
auf dem das todte Ungeheuer lag, und nach allen Richtungen hin ertönte das
unheimliche, klagende Geheul der Wölfe. Daniel ritt schweigend voran, und
ebenso stumm lenkte Carl ihm die Pferde nach, während Beide die Büchsen
zum raschen Gebrauch bereit hielten. Endlich aber zeigte sich die
Pallisadenwand des Forts in dunkelem Umriß vor dem nächtlichen Himmel, und
Turner trat mit einer Fackel in der Hand aus der Festung hervor. Im Triumph
zog der Wagen durch das Thor ein, wo Madame Turner und die Kinder auf den
Anblick des erlegten Thieres harrten. Der Bär wurde nun von dem Fuhrwerk
herabgeworfen und mit einem Ausruf der Ueberraschung begrüßt. Man
betrachtete und bewunderte ihn von allen Seiten, und dem Schützen Carl ward
allgemeines Lob gespendet.

»Warum habt Ihr aber das Thier nicht an Ort und Stelle ausgeweidet? Ihr
hättet dadurch doch weniger Gewicht auf den Wagen zu heben brauchen,«
fragte Turner, indem er auf den kolossalen Umfang des Bären schaute.

»Weil wir dann das feinste und beste Feist verloren haben würden. Das Fett,
welches zwischen den Eingeweiden des Bären liegt, ist so zart, daß es, so
lange es noch warm ist, Einem zwischen den Fingern zerfließt, und es wäre
Schade gewesen, es zu verlieren, denn es giebt das köstlichste Oel. Wir
wollen den Petz auch ruhig liegen lassen bis morgen,« entgegnete Daniel,
indem er die Stränge der Pferde vom Wagen löste, und diese in ihre Stände
an der Pallisadenwand führte, wo sie mit den anderen Rossen jede Nacht
befestigt wurden.

Bald nachher saßen die Kolonisten sämmtlich vergnügt um den Tisch und
erfreuten sich des Abendbrods.

»Daniel, kurz vorher, ehe Ihr kamet, muß irgend Etwas bei den Kühen
gewesen sein, denn sie fingen mit einem Male schrecklich zu brüllen an, und
sprangen wie toll in der Einzäunung umher,« sagte Turner zu dem Neger.

»Das kann ein Panther, möglicherweise aber auch ein Jaguar gewesen sein,
diese Gesellen werden uns überhaupt noch viel zu schaffen machen. Ich will
morgen, ehe wir die Kühe hinauslassen, spüren, um mich zu überzeugen, was
es gewesen ist; denn wir dürfen solche Besuche nicht dulden,« entgegnete
der Neger. In diesem Augenblicke ertönten abermals die lauten erzürnten
Stimmen der Kühe und Daniel sprang rasch auf, ergriff seine Büchse, rief
Pluto und eilte zu dem Thore. Er öffnete dasselbe schnell und glitt, von
Carl gefolgt, hinaus und durch die Dunkelheit der Einzäunung zu, in welcher
die Kühe brüllend umhertobten. Es war umsonst, in der Finsterniß einen
Gegenstand erkennen zu wollen, darum schoß Daniel und auch Carl die Büchse
ab, und Beide ließen laute, gellende Schreie ertönen, indem sie den Hund
hetzten.

Pluto sprang zwar bellend in die Finsterniß hinaus, kam aber sogleich
wieder zurück und Alles ward still; denn auch die Kühe hatten sich
beruhigt.

Die Nacht verstrich ohne weitere Störung, und als der Morgen anbrach, begab
sich Daniel nach den Kühen, um nach dem nächtlichen Besucher zu spüren.
Bald entdeckte er denn auch die Fährte eines mächtigen Jaguars, der die
Einzäunung umschritten, es aber doch nicht gewagt hatte, zu den erbosten
Kühen hineinzuspringen. Daniel spürte nun seiner Fährte nach und fand,
daß er von dem Pflaumenbache hergekommen war. Dort aber das Lager des
Raubthiers aufzufinden, war ohne dazu abgerichtete Hunde nicht möglich, und
man mußte sich damit begnügen, dasselbe bei einem wiederholten Besuche in
der Nähe des Forts zu belauern. Nun machte sich Daniel dabei, den Bären
zu streifen, zu zerlegen und dann die prächtige Haut zum Trocknen
aufzuspannen. Mit dem größten Erstaunen sahen Turners den Rücken des
Thieres von der Haut entblößen, wo derselbe mit einer sechs Zoll hohen Lage
Feist bedeckt war; in gleichem Maße befand sich das Innere des Bären mit
Fett durchwachsen, und die Vorrathskammer der Madame Turner erhielt einen
wesentlichen Zuwachs an köstlichem Oel. Nach dem Frühstück begaben sich
Carl und Daniel in den Wald hinter dem neu angelegten Feld, um dort ein
Vorhaben auszuführen, welches sie schon lange besprochen hatten. Sie
wollten nämlich eine Falle bauen, um wilde Truthähne zu fangen, deren sich
unzählige in diesem Walde aufhielten, weil dort sehr viele Pecanußbäume
standen, deren Früchte sie außerordentlich lieben und deren Genuß sie sehr
fett macht. Auf einer Blöße im Walde baute Daniel eine Hütte, indem er
junge Baumstämmchen im Kreis tief in den Boden steckte, sie oben mit den
Spitzen zusammenband und sie dann mit dünnen Stöcken durchflocht. Die Hütte
war mannshoch und so dicht, daß man kaum den Arm zwischen den Stämmchen
durchstecken konnte. Nun begann Daniel in einiger Entfernung von derselben
einen Pfad zu graben, der nach der Hütte hin immer tiefer wurde, so daß er
wohl zwei Fuß tief unter dem Geflecht hin in dieselbe hineinführte und
sich innerhalb wieder erhob. Die Stämmchen, unter welchen dieser Weg
durchführte, wurden über demselben durch Stöcke und Weidengeflecht an
ihren Enden verbunden. Nun streute Daniel um den Anfang des Pfades und auf
demselben hin bis in die Hütte hinein losen Mais, welchen die Truthähne
sehr lieben. Wenn nun die Vögel beim Aufpicken der Körner dem Pfade folgen
und unter dem Geflecht in die Hütte hineingehen, so finden sie den Weg
niemals wieder heraus, da sie die Köpfe erheben und an dem Geflecht hin-
und herlaufen, um zwischen demselben einen Ausgang zu finden, nie
aber daran denken, sich zu bücken und eben so hinauszugehen, wie sie
hereinkamen. Die Arbeit war nach einigen Stunden vollbracht, und Daniel
hoffte, daß sie schon heute Abend einige Gefangene gemacht haben würden.
Carl konnte kaum den Sonnenuntergang erwarten, wo er mit dem Neger wieder
nach der Falle gehen würde; um so fleißiger aber war er Tags über bei einer
Arbeit, die er auf Anrathen Daniels begonnen hatte. Er verfertigte nämlich
eine lange starke Leiter, die von dem steilen Uferabhange innerhalb des
Forts bis auf ein Felsstück hinabführen sollte, welches unten aus dem
Strome hervorsah. Es war eine Vorsichtsmaßregel des Negers für den Fall,
daß einmal die Wilden das Fort stürmen würden, wo die Leiter dann dessen
Bewohnern die Flucht aus demselben möglich machen sollte. Man konnte auf
ihr leicht den Felsen im Flusse erreichen, und von da in dem Kanoe nach dem
jenseitigen Ufer in den Wald gelangen, wo Daniel einen Fußpfad bis zu dem
Fahrwege ausgehauen hatte. Bis jetzt war zwar noch kein Indianer wieder
gesehen worden, Daniel sagte jedoch, daß man gerade darum am meisten auf
seiner Hut sein müsse. Während Carl an der Leiter beschäftigt war, schlugen
Turner und der Neger lange eiserne Nägel, an denen sie die Köpfe abgefeilt
hatten, in die Spitzen der Pallisaden, damit dieselben bei einem etwaigen
Sturm den Indianern das Uebersteigen erschwerten.

Unter solchen und ähnlichen Arbeiten verstrich der Tag, Carl legte vergnügt
sein Handwerkszeug bei Seite und hing das Jagdgeräth um. Voller Erwartung
eilte er nun mit Daniel den Hügel hinab und dem Walde zu, wo sie die
Falle erbaut hatten. Sie traten in den Wald ein, und schlichen sich durch
denselben hin, als plötzlich von fern her ein lautes Rauschen und Schlagen
zu ihren Ohren drang.

»Wahrhaftig, es sitzen schon welche darin, hören Sie nicht, wie sie mit den
Flügeln schlagen!« rief Daniel und sprang voran durch das Dickicht, während
Carl ihm mit allem Eifer folgte.

Bald hatten sie die Hütte erreicht und gewahrten fünf kolossale Truthähne
in derselben, die mit hochgehobenen Hälsen darin umherrannten und mit den
Flügeln schlugen, als wollten sie davonfliegen.

»Ja, wartet nur, ich will Euch den Weg zeigen!« rief Daniel und zog sein
Jagdmesser hervor, während Carl gleichfalls mit dem Messer in der Hand an
die Hütte sprang. Sie steckten nun die Arme durch das Geflecht und hieben
mit dem Messer den Gefangenen die Köpfe ab. Sie wurden nun auf den Pfad
herausgezogen, und frischer Mais auf denselben gestreut. Es waren fünf
Hähne von außerordentlicher Größe, denn sie wogen ein jeder gegen fünfzehn
Pfund. Daniel band dreien von ihnen die Füße zusammen und hing sie über
die Schulter, während Carl sich mit den beiden andern belud, um den Heimweg
anzutreten.

Um diese Zeit saß die Familie Turner neben dem Thore vor den Pallisaden
auf einer Bank und ruhte sich von des Tages Arbeit aus. Es war einer jener
milden, wonnigen Abende, wie sie der November in diesen südlichen Ländern
gewöhnlich bietet. Die Luft zog kühlend und kräftigend über das hohe
wogende Gras der Prairie, aus dem die Blumen des Herbstes ihre bunten, in
den prächtigsten Farben leuchtenden Köpfe hervorhoben, die Sonne hatte den
fernen flachen Horizont erreicht und ließ ihre letzten Strahlen auf dem
hohen Walde des Bärflusses ruhen, dessen dunkeles Grün schon mit Gold
und Carmin gemischt und mit dem brennend rothen Laube der Schlingpflanzen
durchwirkt war; glänzend silberweiße Reiher und rosenrothe Flamingo's
schwebten dem Urwalde zu und schwangen sich in dem scheidenden Blick der
Sonne auf die schwindelnde Höhe der Cypressen, die ihre Riesenarme über
den brausenden Fluß streckten, und der Whippoowill rief seinen eignen Namen
klagend und wehmüthig durch das Dunkel des Waldes.

Turner und dessen Gattin saßen in stummer Bewunderung und heiligem
Anstaunen der Naturschönheit, die sie umgab, und dankten mit demüthigem
Herzen dem Schöpfer dieser Herrlichkeit für die Gnade, mit der er sie
hierhergeführt und beschützt hatte.

»Wie unendlich gnädig ist uns Gott gewesen, Marie!« brach Turner das
Schweigen.

»Und er wird uns auch ferner gnädig sein,« sagte Madame Turner mit einem
flehenden Blick zu dem Himmel, wo der Abendstern, freundlich blinkend,
ihrem Auge begegnete, als wolle er ihr die Zusage ihrer Bitte verheißen.

»Wie sonderbar sich Alles zu unserm Besten fügte!« nahm Turner wieder das
Wort. »Die Vorsehung hat uns doch augenscheinlich den braven Daniel als
Hülfe in unserer Noth zugesandt; was hätten wir wohl ohne ihn anfangen
wollen! Wie weiß er mit Allem umzugehen und wie liebevoll unterweist er
unsern Carl in allen Geschäften. Was die Beiden auch anfangen mögen, es
gelingt ihnen. Soll mich einmal wundern, ob sie wirklich wilde Truthähne
fangen werden.«

»Mein Gott, sieh das Thier dort -- es springt über die Einzäunung zu den
Kälbern!« rief Madame Turner in diesem Augenblick entsetzt aus, und Turner
rannte mit dem Ausruf: »Ein Jaguar, ein Jaguar!« in das Fort, um seine
Büchse zu holen. Doch ehe er zurückkehrte, hatte das Raubthier eins der
Kälber niedergerissen, hatte es mit seinem furchtbaren Gebiß auf dem Rücken
erfaßt, und setzte mit _einem_ Sprunge mit der Beute über die Einzäunung.
Trotz dem Rufen und Schreien der Madame Turner und der Kinder ließ es
seinen Raub nicht fahren, und floh in langen Sätzen über das Gras dem
Walde zu, während das Kalb in seinem Rachen die jämmerlichsten Klagetöne
erschallen ließ.

Turner kehrte mit der Waffe zurück, jedoch nur um dem Räuber nachzusehen,
der sich wiederholt einige Augenblicke ruhte und dann seine Flucht
weiter fortsetzte. Mit wüthendem Gebrüll und hoch in die Luft gestreckten
Schwänzen kamen zugleich die Kühe aus der Prairie herangejagt, um dem
klagenden Kalbe beizustehen, dessen Stimme verhallte aber bald und sein
Mörder verschwand mit ihm in dem Walde.

Mit Schrecken und Leidwesen hatten Turners den ganz unerwarteten Vorfall
mit ansehen müssen, ohne etwas dagegen thun zu können, und die Kinder
weinten und jammerten über den Verlust des hübschen kleinen Kalbes und
konnten sich noch lange Zeit darüber nicht zufrieden geben.

»Es soll mir aber eine Lehre sein, nicht wieder ohne meine Büchse vor das
Fort zu gehen,« sagte Turner, »wie leicht hätten uns auch Indianer hier
überraschen können. Man wird viel zu leicht gleichgültig gegen die Gefahr.
Geht lieber in das Haus, ich will hier in dem Thore bleiben, bis unsere
beiden Jäger zurückkehren; sie werden hoffentlich bald kommen.«

Die Dunkelheit brach schnell herein und bald kamen auch die beiden
schwerbeladenen Jäger den Hügel heraufgeschritten.

»Endlich, ich habe sehr nach Euch verlangt,« sagte Turner zu ihnen, und
theilte ihnen nun gleich mit, was sich während ihrer Abwesenheit zugetragen
hatte.

»Das ist glücklich,« bemerkte Daniel, »es kostet uns allerdings ein Kalb,
aber nun muß auch der Jaguar sterben. Er wird das ganze Thier nicht in
dieser Nacht verzehren und kommt sicher morgen Abend noch einmal zu ihm
zurück, dann werden wir ihn erwarten.«

»Ja, ja, wer weiß, wohin er das Kalb getragen hat, er rannte ja so leicht
mit ihm davon, als ob es ein Hase wäre,« entgegnete Turner.

»Mag er rennen, so weit er will, ich finde ihn; ich war einst der
berühmteste Spürer unter den Indianern; umsonst hatte man mir meinen Namen
nicht gegeben!« sagte Daniel mit einem leuchtenden Blick, wie von einer
plötzlichen Begeisterung ergriffen.

»Wie nannte man Dich denn?« fragte Turner. Der Neger bereute aber
augenscheinlich schon, was er gesagt hatte und erwiederte, sichtbarlich
verlegen:

»Man nannte mich den Spürer.«

Dabei warf er die drei Truthähne von der Schulter und zog sie hinter sich
her in das Fort, indem er sagte:

»Wir bringen aber für Madame Turner fünf herrliche Braten; unsere Falle hat
sich gut bewährt.«

»Aber, Carl und Daniel, Ihr seid ja prächtige Jäger, Ihr bringt uns so
viel Fleisch in das Haus, daß wir es kaum verbrauchen können,« sagte Madame
Turner, als sie die fetten Hähne erblickte. »Ich habe das Bärenfleisch
eingesalzen, wie Du mir riethest, Daniel, nun mußt Du mir aber die
Vorrichtung machen, um es zu räuchern, damit wir es bewahren können.«

»Das will ich morgen früh thun, wenn wir das Kalb aufgefunden haben. Ich
will dann eine Art von Rauchhaus bauen, damit wir immer einen tüchtigen
Vorrath von geräuchertem Fleisch halten können; man weiß nicht, wie uns die
Indianer einmal verhindern möchten, frisches Wild zu haben,« entgegnete der
Neger.

»Mache mir nicht bange, Daniel, der Himmel wird uns hoffentlich vor solchen
Schreckensscenen bewahren,« sagte Madame Turner, bat dann Carl, die Hähne
außerhalb an das Haus aufzuhängen, und ging, um das Abendessen zu bereiten.

Nach Tisch, als das Fort verschlossen war, saßen die Kolonisten traulich
um den großen Tisch herum, mit verschiedenen Arbeiten beschäftigt. Madame
Turner und Julie hatten Näharbeiten vor sich, Turner mit seinen beiden
Söhnen machten Mais von den Kolben los, um ihn am folgenden Morgen für
die Mühle bereit zu haben, Carl verfertigte Patronen mit etwas kleineren
Kugeln, als er gewöhnlich für seine Büchse gebrauchte, um für einen
Nothfall schneller damit laden zu können, und Daniel arbeitete an
den beiden Hörnern des Büffels, welchen Carl erlegt hatte, um für ihn
versprochener Maßen ein Trinkhorn und ein Pulverhorn daraus anzufertigen.
Von dem Bären hatte er die großen Fangzähne gleichfalls aufbewahrt, um für
seinen jungen Freund ein Pulvermaß und eine Pfeife daraus zu machen.
Pluto war die Bewachung der Festung übergeben, welcher Pflicht er treulich
nachkam, indem er in der Mitte der Einzäunung lag und auf jeden Ton außer
derselben lauschte oder einen Rundgang an den Pallisaden machte.

Die Nacht verstrich in ungestörter Ruhe und kaum graute der Tag, als Daniel
seinen jungen Freund weckte und Beide ihr Jagdgeräth umhingen, um das
geraubte Kalb aufzusuchen. Turner ließ sie aus dem Thor, was er stets zu
thun pflegte, wenn die Beiden sich entfernt hatten. Daniel folgte nun der
Spur des Jaguars, welche er leicht an dem niedergedrückten Grase erkennen
konnte. Bald hatte er mit seinem Gefährten den Wald erreicht, wo einzelne
gebrochene Pflanzen oder der wunde Erdboden, auf dem das Raubthier seine
Tatzen niedergesetzt hatte, als Wegweiser dienen mußten. Dem Neger schien
es durchaus keine Schwierigkeit zu machen, auf der Fährte zu bleiben, wenn
Carl auch kein Zeichen derselben erkennen konnte. Daniel aber stand oft
still und zeigte seinem Freunde die unbedeutenden Merkmale, denen er
folgte, und unterrichtete ihn, dieselben zu bemerken. Die Spur zog sich
in ziemlich gerader Richtung zwischen den Büschen hin, wie es schien, der
Gegend zu, wo der Pflaumenbach in den Bärfluß mündete. So weit hatte jedoch
der Jaguar nicht für nöthig gefunden, seinen Raub zu tragen, denn plötzlich
standen die beiden Jäger vor dem zerrissenen Kalbe, von welchem sein Mörder
die ganze eine Seite verzehrt hatte. Die Ueberreste davon lagen in einem
Dickicht, welches aus Dornen, Rankengeflecht und hohen Kräutern bestand und
von den Laubmassen der umstehenden Bäume, die ihre Aeste bis auf den Boden
herabhängen ließen, versteckt wurde.

»Dies ist ein böser Platz, um dem Burschen aufzulauern, an Schießen ist
hier nicht zu denken, und dann würde er uns auch früher gewahren, als wir
ihn. Wir müssen sehen, wohinaus er von hier gegangen ist und ihn auf seinem
Rückwege erwarten,« sagte Daniel und suchte auf dem Boden, um im Dickicht
die Spur des Jaguars aufzufinden. Plötzlich blieb er stehen und sagte:

»Er ist gestern Abend, nachdem er sich gesättigt hatte, von hier
fortgegangen und heute früh wieder hierher zurückgekehrt. Vielleicht haben
wir ihn selbst so eben verscheucht. Hier steht eine Spur, die von dem
Pflaumenbach her in das Dickicht führt, und zwei, die dorthin zurückzeigen,
und hierbei ist eine ganz frische. Nun wird er während des Tages sicher
nicht wieder kommen, aber umso gewisser gegen Abend. Wir wollen jedoch
schon früh genug hier sein. Lassen Sie uns dieser frischen Fährte folgen,
bis sie über eine offene Stelle im Walde führt, auf der man um sich sehen
kann.«

Mit diesen Worten schritt Daniel, gebückt und auf den Boden spähend, voran
und Carl vorsichtig hinter ihm her. Nach einer Weile blieb der Neger stehen
und schaute um sich auf die Erde.

»Dort, wo Sie stehen, ist die Fährte ganz deutlich in dem feuchten Boden
ausgedrückt, hier vermisse ich sie!« rief er Carl zu. »Gehen Sie nicht von
jener Stelle, ich will in einem weiten Bogen um Sie gehen, dann muß ich die
Fortsetzung der Spur finden.«

Er hatte nur kurze Zeit in einiger Entfernung von Carl gesucht, als er sich
mehr zu dessen rechter Seite befand und rief:

»Kommen Sie hierher, der Bursch ist über diesen freien Platz gegangen,
und hier soll er auch sterben; eine vortheilhaftere Gelegenheit, um ihm
unbemerkt aufzulauern, kann man sich nicht wünschen.«

Als Carl aus den Büschen hervor zu Daniel trat, zeigte dieser auf die Erde
vor sich und sagte:

»Sehen Sie, hier ist er frisch hinüber geschritten, und dort in dem
Büschchen vor jener alten Eiche sollen Sie sich heute Abend verbergen;
ich wette Zehn gegen Eins, daß er diesen Weg wieder zurück einschlägt. Nun
wollen wir aber nochmals nach dem Kalbe eilen und auch der andern Fährte
nachgehen, damit ich für mich gleichfalls einen Platz aussuche; denn es
wäre ja möglich, daß er dort zurückginge.«

Mit derselben Sicherheit verfolgte Daniel bald darauf die andere Spur, die
sich etwas weiter rechts wandte, und wählte auf derselben wiederum eine
weite Blöße, um Abends darauf selbst seinen Stand zu nehmen. Dieselbe war
einige hundert Schritt von der für Carl gewählten entfernt und durch ein
undurchdringliches Dickicht von ihr getrennt. Nachdem sich die Jäger genau
die Plätze gemerkt hatten, begaben sie sich auf den Heimweg, wollten aber
im Vorübergehen doch nach ihrer Falle sehen. Zu Carls übergroßer Freude
saßen richtig wieder zwei Hähne in der Hütte, die schnell getödtet und
hervorgezogen wurden.

»Nun wollen wir aber die Falle schließen und erst dann wieder öffnen, wenn
wir Wild nöthig haben,« sagte der Neger und verstopfte den Eingang mit
Büschen. Dann nahm er einige Hände voll Mais aus den Taschen und streute
sie auf den Pfad, damit die Vögel sich daran gewöhnen sollten, hier immer
Futter zu finden.

Ziemlich ermüdet kehrten die Jäger mit der neuen Beute nach dem Fort
zurück, wo Madame Turner sie mit Bärentatzen zum Frühstück tractirte. Nach
gehaltener Rast begab sich Daniel, von Herrn Turner unterstützt, an den
Aufbau eines Rauchhauses, welches sie aus dünnen Baumstämmen aufführten und
mit Schindeln bedeckten; Carl aber nahm die Angel, um zu versuchen, ob
er eine Schildkröte fangen könne. Zu diesem Zwecke werden vier große
Fischhaken so mit dem Rücken zusammengebunden, daß die Spitzen nach allen
vier Seiten auseinander stehen. Wenn sie nun an der Leine befestigt sind,
so bindet man einige Zoll über denselben ein Stück Fleisch an die Schnur
und senkt sie in das Wasser. Die Schildkröte ergreift das Fleisch mit den
beiden Vorderpfoten, mit denen sie es fest hält, um es zu benagen; wird nun
die Angel schnell in die Höhe gezogen, so muß einer der Haken in die Füße
des Thieres fassen, und es ist gefangen.

Nicht weit vom Fort machte der Fluß im Walde eine sehr kurze Biegung, und
der Strom, der mit aller Kraft sich hier hereindrängte, hatte das Ufer
unterhöhlt. Das Wasser war sehr tief, und Carl kannte diese Stelle als
einen Lieblingsplatz der Schildkröten, weshalb er hierher eilte und seine
Angel auswarf. Er hatte gar nicht lange auf dem Rande des hohen Ufers
gestanden und den Bewegungen des schwimmenden Korks zugesehen, den der
Strudel in dieser Bucht im Kreise herumtrieb, als es an der Angel zuckte.
Es zuckte wieder und stärker und nun wurde der Kork in die Tiefe gezogen.
Carl schlug schnell die Angel in die Höhe, fühlte aber gleich, daß ein
sehr schweres Gewicht daran hing; es mußte eine große Schildkröte sein, die
jetzt mit dem Strome davon eilte und gewaltig an der Angel riß. Carl hielt
dieselbe mit aller Kraft an, in diesem Augenblicke aber glitt er mit beiden
Füßen auf dem lockern Boden des Ufers aus, und schoß von demselben hinab in
die Fluth. Er sank bis auf den Grund, stieß sich von dort wieder nach oben
und gerieth, anstatt auf die Oberfläche des Stromes, unter die ausgehöhlte
Uferbank in tausend Wurzeln, die aus derselben in dem Wasser hinabhingen.
Er verlor jedoch die Geistesgegenwart nicht, sondern erkannte sofort seine
Lage, stieß sich mit geöffneten Augen wieder in die Tiefe hinunter und
dann nach dem Lichte hinauf, wo er im nächsten Augenblicke über dem
Wasserspiegel auftauchte. Mit einigen kräftigen Zügen erreichte er das
jenseitige niedrige Ufer, auf dem er landete und sogleich sich nach seiner
Angel umblickte, die er wohl hundert Schritt weiter stromabwärts schwimmen
sah. Er lief auf dem Ufersand hin, sprang abermals in das Wasser und holte
die Angel an das Land. Nun zog er vorsichtig die Leine an, und es gelang
ihm, die Schildkröte trotz alles Sträubens auf den Sand zu ziehen. Sie wog
gegen vierzig Pfund und war eine sogenannte weichschaalige, deren Schild
sich zu Gallerte kocht und sehr schmackhaft ist. Er band die Leine um sie
und schleifte sie hinter sich her durch den Wald bis an das Ufer gegenüber
dem Fort, wo er Daniel rief, damit er ihn in dem Kanoe über den Fluß hole.
Carls Erscheinung verursachte unter den Seinigen im ersten Augenblick
Schreck und Besorgniß, dann wurde aber herzlich über sein Abenteuer gelacht
und er selbst lachte tüchtig mit. Auf die köstliche Suppe aber, welche
Madame Turner versprach, für den folgenden Tag aus der Schildkröte zu
bereiten, freuten sich Alle schon im Voraus. Nachdem Carl sich umgekleidet
hatte, betheiligte er sich beim Aufbauen des Rauchhauses, bis die Sonne
sich zu neigen begann und Daniel an die Zeit mahnte, nach dem Walde zu
gehen, um den Jaguar zu belauern. Heute versahen sich die beiden Jäger
jedoch außer mit Büchse und Messer auch noch ein Jeder mit einem Revolver,
und so ungern Turners auch sahen, daß Pluto sich vom Fort entfernte, so
mußte er doch mitgehen.

Die Sonne stand noch ziemlich hoch über dem fernen Rand der Prairie,
als die beiden Schützen den Platz im Walde erreichten, welcher für Carl
ausgewählt war. Er machte seinen Sitz vor der Eiche zurecht und steckte
noch mehrere Büsche vor sich herum, damit er dem spähenden scharfen Auge
des Jaguars verborgen bleiben möchte. Eine Wurzel der Eiche stand ziemlich
hoch aus der Erde hervor und bildete für Carl einen bequemen Sessel,
während der Stamm des Baumes ihm als Rücklehne diente.

»Machen Sie nur keine rasche Bewegung, auch selbst nicht mit den Augen,
denn der Jaguar überblickt die Blöße sicher, ehe er aus dem Dickicht
hervortritt. Halten Sie Ihren Blick besonders dorthin gerichtet, von wo
seine Fährte herführt, von dort wird er wohl kommen,« sagte Daniel, als
Carl sich zurecht gesetzt hatte und Pluto hinter der Eichenwurzel verborgen
lag. »Uebereilen Sie sich nur nicht und nehmen Sie sich Zeit zum Schießen.
Steht das Thier still, so zielen Sie nach dessen Kopf, bleibt es im Gehen,
so halten Sie ihm hinter das Schulterblatt, und sollte es nach dem Schusse
auf Sie zuspringen, so setzen Sie ihm den Hund entgegen, dann werden Sie
eine gute Gelegenheit finden, ihm die zweite Kugel durch den Kopf zu jagen.
Vor Allem bleiben Sie ruhig und kaltblütig. Nun will ich mich auf meinen
Stand begeben, Einem von uns wird er doch wohl kommen, hoffentlich Ihnen;
Waidmannsheil!«

Mit diesen Worten eilte der Neger geräuschlos zwischen den Büschen und
Stämmen hin und verschwand bald vor Carls Blicken.

Eine feierliche Ruhe herrschte durch den Wald, kein Lüftchen rührte sich,
auch die zartesten Ranken, die wie leichtes buntes Spitzengewebe von den
Aesten der hohen Bäume herabhingen, bewegten sich nicht, und jeden leisen
Ton, wie das Fallen einer Frucht, das Hüpfen eines Eichhörnchens, konnte
man weithin hören. Mit jeder Minute wurde es stiller und heimlicher, denn
auch die Vögel verstummten und nur noch einzeln ließ ein Wasserrabe seine
krächzende Stimme von dem Flusse her ertönen. Die letzten Strahlen der
Sonne, die sich hier und dort durch die Laubmassen stahlen und sich
blendend hell auf den Baumstämmen spiegelten, verblichen, und das Düster
des Abends zitterte mit dem Wiederschein des Feuermeers am westlichen
Himmel durch den Urwald. Carl saß regungslos und bewegte nur von Zeit zu
Zeit langsam seinen Blick über die Blöße vor sich, um ihn dann wieder auf
den Fleck zu heften, wo die Fährte des Jaguars aus dem Dickicht hervorkam.
Dort war der feuchte Boden mit üppigen Pflanzen bedeckt, deren brennend
rothe Kelchblumen aus dem tiefsten Schatten des darüber hängenden dichten
immergrünen Lorbeergesträuches hervorleuchteten, und aus diesen dunkeln
Laubmassen hingen die schneeweißen, federartigen, zwei Fuß langen Blüthen
einer Magnolienart herab, die man »des alten Mannes Bart« nennt. Carl
ergötzte sich an der Farbenpracht, die trotz des zunehmenden Düsters das
saftige Grün des Laubes durchwirkte, da bewegte sich eine der weißen lang
herabhängenden Blüthen, als sei der Strauch, an dem sie hing, durch irgend
Etwas erschüttert worden. Mit verhaltenem Athem und fest gefaßter Büchse
stierte Carl in das Dunkel unter den dicht belaubten Zweigen hinein, da
bewegte sich abermals eine der weißen Blüthen, welche aus dem vordersten
Busche hervorsah.

Jeder Nerv, jede Muskel in Carl war angespannt, sein Blick wollte das
tiefste Dunkel durchdringen; da theilten sich die blutrothen Blumen und die
goldgelbe schwarz gefleckte Gestalt des Königs dieser Wälder, des Jaguars,
schritt lautlos zwischen ihnen hervor. Er stand jetzt still und seine wie
Feuer glühenden Augen überspähten die Waldblöße. Carl hatte die Büchse
schon an der Schulter, als der erste goldige Schein zwischen den
rothen Blüthen sichtbar wurde, und blickte über den Lauf hin auf den
buntgefleckten Kopf des Königthiers.

In dem Augenblick, als er seinen Schritt anhielt, preßte Carl die Büchse
noch fester gegen die Schulter, heftete ihr Korn noch unbeweglicher auf das
Haupt des Feindes und gab Feuer. Der Donner des Gewehrs dröhnte durch
den Wald und der Pulverdampf rollte sich in einer dichten Wolke über den
offenen Platz, doch Carl hatte im Schuß schon erkannt, daß der Jaguar
zusammenbrach.

»Pluto, faß!« schrie er dem Hunde zu und sprang mit der Büchse in der Hand
durch die Büsche vor sich; da sah er das Raubthier an der anderen Seite der
Blöße in das Dickicht hineinsetzen.

»Faß, Pluto!« rief er abermals dem Hunde nach, der schon die Dickung
erreicht hatte und den Jaguar verfolgte. Auch Carl war mit wenigen Sprüngen
in den Büschen und stürzte, sich gewaltsam Bahn brechend, vorwärts; da
sperrte ein riesiger umgefallener Baumstamm seinen Weg. Zugleich hörte er
an dessen anderer Seite die Stimme Pluto's, und erkannte, daß derselbe mit
dem grimmigen Raubthier in verzweifeltem wüthenden Kampfe sei. Mit _einem_
Satze war er auf dem Baumstamme, um ihn zu überspringen; die Borke aber
zerbrach unter seinen Füßen, und er selbst versank bis an die Brust in dem
vollständig zu Pulver vermoderten Stamme. Er sah, wie der Jaguar seinen
Hund unter sich liegen hatte, wollte sich aus dem Stamme hervorheben, um
dem treuen Thiere zu helfen, da erblickte ihn der furchtbare Feind und
wandte sich mit weit geöffnetem Rachen von dem Hunde ab, auf ihn zu. Carl
senkte ihm seine Büchse entgegen mit dem Bewußtsein, daß er verloren sein
würde, wenn die Kugel fehl ginge. Der Jaguar aber hatte nur einen Sprung
vorwärts gethan, als Pluto ihn schon wieder erfaßte und seine Zähne in sein
Hintertheil einschlug. Das Raubthier fuhr mit wildem Stoßgebrüll herum,
um abermals den Hund zu ergreifen, da feuerte Carl, und die Kugel
zerschmetterte den Kopf des wüthenden, gefährlichen Gegners.

In diesem Augenblick riß Daniel das nahe Gestrüpp auseinander und sprang
mit gespannter Büchse aus demselben hervor, der Tiger lag todt zu
seinen Füßen, und Pluto stand über ihm und ließ, ihn zwischen den Zähnen
schüttelnd, seine Wuth an ihm aus.

»Gott sei gelobt!« rief der Neger, von dem getödteten Jaguar nach seinem
jungen Freunde überrascht aufblickend, der seine Büchse von sich gelegt
hatte und sich nun aus dem Baume hervorzuheben suchte.

»Um des Himmels Willen, wie kommen Sie in den Baum?« rief Daniel aus, indem
er Carl zu Hülfe sprang, ihn aus seinem Gefängnisse zu befreien.

»Ich war in eine Falle gerathen, Daniel, und wenn Pluto, der brave treue
Hund nicht noch zu rechter Zeit zugefaßt hätte, so würde es mir vielleicht
so ergangen sein, wie dem Kalbe. Das Thier sprang wüthend auf mich ein,«
entgegnete Carl lachend, und trat frohlockend zu dem Jaguar hin.

»War recht, Pluto, so war es recht, alter treuer Kerl, faß ihn, zaus ihn,
das war brav!« rief er, indem er sich über den Hund hinbeugte und seine
Arme liebkosend um ihn schlang.

»Freund Pluto hat aber einige tüchtige Feldzeichen davon getragen, sehen
Sie, er blutet gewaltig aus der Schulter und auch am Halse; die lange Wunde
auf der Schulter ist mit den Krallen gerissen.«

»Ja wohl, und das Ungeheuer würde ihn todt gemacht haben, wäre ich nicht
hinzugekommen, denn er lag unter demselben und wehrte sich so gut er
konnte. Als mich nun der Jaguar in meiner Falle erblickte, verließ er Pluto
und wandte sich gegen mich, aber der treue Hund fiel ihm schnell in die
Keule, und ich gewann Zeit, meinen Schuß anzubringen.«

»Und ein Meisterschuß war es, gerade durch den Schädel. Hatten Sie ihn denn
mit dem ersten Lauf gefehlt, Sie haben doch zweimal geschossen?«

»O nein, ich muß ihn auch das erste Mal getroffen haben, denn er stürzte
im Feuer zusammen, dennoch habe ich nicht sicher geschossen, da ich nach
seinem Kopfe zielte.«

»Sie haben mit der Büchse gewankt, hier ist das Kugelloch, der Schuß ist
ihm durch den Hals gegangen,« sagte Daniel, indem er Pluto zurückzog und
auf den mächtigen Nacken des Tigers zeigte.

»Ja, Daniel, ich gestehe es, das Herz schlug mir gewaltig, so daß ich es
laut hören konnte und es flimmerte mir vor den Augen. Das nächste Mal aber,
wenn ich wieder nach einem Jaguar schieße, soll es besser gehen. Gefürchtet
habe ich mich aber nicht,« sagte Carl und warf das schöne Thier auf den
Bauch, um die herrliche Zeichnung der schwarzen Flecken auf seinem Rücken
zu bewundern. Als Carl es anfaßte, fiel Pluto sofort wieder über den Feind
her, doch jener zog ihn mit den Worten zurück: »Laß ihn in Ruhe, er ist
todt, und Du verdirbst das schöne Fell,« dabei schmeichelte er den Hund
und wandte sich an Daniel: »Was wirst Du mir denn aus diesen Fangzähnen
machen?«

»Gar nichts, ich will Ihnen den ganzen Schädel aufbewahren; wir vergraben
ihn in einen Ameisenhaufen; die Ameisen nagen das Fleisch sehr sauber ab,
darauf legen wir ihn in die Sonne, damit er recht schön weiß bleicht und
dann hängen Sie ihn an einen Nagel über Ihr Bett. Sie werden sich noch
manchmal über den Meisterschuß freuen. Nun aber muß ich mich wahrhaftig
eilen, um die Haut noch abzunehmen, ehe es ganz dunkel wird.«

Hiermit stellte der Neger die wieder abgespannte Büchse an einen Baum,
zog das Messer aus der Scheide, und begann, bei dem Jaguar niederknieend,
denselben seines schönen Kleides zu berauben. Carl war ihm dabei
behülflich, während Daniel ihn unterwies und Vorsicht anempfahl, nicht in
die Haut zu schneiden. Dieselbe wurde bis an den Kopf abgestreift, dieser
nun von dem Körper getrennt und somit war die Arbeit beendet, während die
Nacht vollständig hereingebrochen war. Daniel warf das Fell über seine
Schulter und ergriff die Büchse, da trat Carl nochmals zu dem Jaguar
hin und sagte: »Ich will mir doch nun auch seine Krallen zum Andenken
mitnehmen.«

Er schnitt sie schnell von den Tatzen ab, steckte sie in seine Jagdtasche
und folgte nun dem Neger, der sicheren Schrittes durch die Finsterniß dem
Waldsaume zueilte. Auf dem Wege bis dorthin geriethen sie aber wiederholt
so sehr in die Ranken und Dornen des Dickichts, daß ihnen Hand und Gesicht
blutete, als sie die Prairie erreichten.

»Morgen will ich doch gleich einige Hirschhäute gerben, damit wir uns
Lederanzüge machen können. Wir werden schön aussehen, wenn wir nach Hause
kommen,« sagte Daniel, nun rasch an dem Walde hinschreitend, der sich wie
eine schwarze Wand zu dem sternbedeckten Himmel erhob.

»Hier ist das Kleid des Räubers!« rief Carl triumphirend, als Turner das
Thor öffnete und die beiden Jäger einließ.

»Also wirklich!« entgegnete Turner, freudig überrascht. »Ich hatte meine
großen Zweifel, ob es Euch gelingen würde, seiner habhaft zu werden. Kommt
herein, auch die Andern werden sich freuen.«

Carl hatte dem Neger die Haut abgenommen und trug sie stolz in das Zimmer,
wo er sie auf dem Boden ausbreitete.

»Das ist ja ein ungeheures Fell, es ist über sechs Fuß lang,« sagte Turner,
indem er erstaunt die Haut betrachtete.

»Und wie prächtig ist es gezeichnet, und wie glänzend und glatt ist das
Haar,« fiel Madame Turner ein.

»Er holt uns keine Kälber wieder,« sagte Carl und erzählte nun den Hergang
der Jagd.

»Das war ja aber eine große Gefahr, der Du ausgesetzt warst, Carl; wie
leicht hätte Dich das Thier verletzen können. Du mußt Dich wahrhaftig mehr
in Acht nehmen, Du bist zu dreist,« fiel Madame Turner mit liebevollem Tone
ein und strich dem Knaben die wild um seinen Kopf hängenden weichen Locken
zurück.

»Dreist ist schon gut, nur muß die nöthige Vorsicht und Ueberlegung damit
gepaart werden,« versetzte Turner; »hättest Du Dich vorsichtig auf den
Baum gehoben, so hättest Du unbemerkt dem Jaguar wohl Deinen zweiten Schuß
anbringen können, und Du wärest nicht in dem Stamme versunken.«

»Aber, lieber Onkel, wer konnte denn denken, daß der Baum inwendig aus
lauter Pulver bestand,« entgegnete Carl, und zeigte nun die Krallen, die
er dem Thiere abgeschnitten hatte. Dann mußte Pluto herbeitreten und seine
Wunden in Augenschein nehmen lassen, wofür er von Madame Turner mit einem
Ueberreste von einer Hirschkeule belohnt wurde.

»Aber, Carl, wie siehst Du denn aus -- Dein Rock hängt ja in Fetzen um
Dich,« sagte Julie, als dieser dem Lichte näher trat; »hat ihn Dir der
Jaguar zerrissen?«

»O nein, der ist so nahe nicht an mich gekommen; die Dornen haben es
gethan, als wir in der Dunkelheit durch den Wald gingen,« entgegnete Carl,
indem er vor den Spiegel trat und die vielen Oeffnungen in seinem Rocke
betrachtete, durch welche das weiße Hemd hervor schien.

»Ich werde morgen Hirschhäute gerben, aus denen wir uns Kleidung machen
wollen, denn aller andere Stoff hält auf der Jagd nicht aus. Auch _meine_
Jacke hat diesmal große Noth gelitten,« fiel der Neger ein und verließ
mit den Worten das Zimmer: »Ich will schnell noch die Häute der zuletzt
geschossenen Hirsche in das Wasser legen, damit sie weich werden.«

Bald kehrte er zurück und nahm mit Turners am Tische Platz, um das
Abendbrod zu verzehren. Nachdem dies geschehen war, griff ein Jedes wieder
zu einer Arbeit, und Daniel kam heute mit der Anfertigung des Pulverhorns
und des Trinkbechers zu Ende, welche er Carl überreichte, als sie sich
erhoben, um sich zur Ruhe zu begeben. Beide Hörner waren äußerst sauber und
geschmackvoll gearbeitet und machten Carl außerordentlich große Freude.
Er dankte dem freundlichen Neger von ganzem Herzen und wünschte nur eine
Gelegenheit zu finden, ihm gleichfalls eine Freude bereiten zu können.




Abschnitt 5.

  Lederbereitung. -- Die Poolkatze. -- Büffeljagd. -- Der Lasso. -- Die
  wilden Bienen. -- Weihnachtsabend. -- Vorsichtsmaßregeln. -- Der Mais.
  -- Die Biber. -- Der Alligator. -- Die Wacoindianer.


Am folgenden Morgen holte Daniel die Hirschhäute aus dem Fluß und rief Carl
zu sich, um ihm zu zeigen, in welcher Weise sie zu bereiten seien. Er
hatte zu diesem Zwecke mehrere Hirschköpfe aufbewahrt, schnitt auch den des
Jaguars aus dessen Haut, und nahm nun aus sämmtlichen Schädeln das Gehirn
heraus. Er mischte dasselbe in einem Gefäße mit Wasser zu einem dünnen
Brei, und nachdem er die Hirschhäute auf ein von der Rinde entblößtes Stück
Baumstamm gelegt und mit einem Ziehmesser von allen Fleischtheilen und von
den Haaren gereinigt hatte, bestrich er sie mit diesem Brei, faltete sie
dann mehrere Male zusammen und legte schwere Steine darauf. Die Jaguarhaut
behandelte er ebenso, nur ließ er das Haar auf ihr sitzen. In dieser Weise
ließ er sie bis zum folgenden Morgen liegen, wusch sie dann im Flusse
sauber aus und hing sie im Schatten auf. Noch ehe sie aber ganz trocken
wurden, nahm er sie ab, um sie trocken zu reiben. Er hatte zu diesem Zwecke
ein breites Brett in die Erde eingeschlagen, dessen in die Höhe stehendes
Ende zugeschärft und nach den Seiten hin abgerundet war. Auf diese nach
oben stehende Schärfe legte er nun eine Haut und zog dieselbe darauf von
einer Seite nach der andern hinunter, wobei er alle Kraft anwandte, um die
Fasern derselben auseinander zu dehnen.

Die Haut wurde hierdurch sehr geschmeidig und weich, besonders nachdem
Daniel sie zuletzt noch zwischen seinen Händen ganz trocken gerieben hatte.
Die Hirschfelle verarbeitete er auf beiden Seiten auf dem Holze, während er
die Jaguarhaut nur auf der Fleischseite rieb, da sie ja das Haar behalten
sollte. Nun war das Leder fertig und so zart und weiß, wie es ein
Weißgerber nicht schöner machen konnte. Damit es aber durch Naßwerden nicht
wieder zusammenschrumpfen und hart werden sollte, wurde es geräuchert. Dies
vollbrachte Daniel dadurch, daß er ein zwei Fuß tiefes Loch in die Erde
grub, dessen obere Oeffnung die Größe der Haut hatte. Er entzündete nun in
der Vertiefung ein Feuer, warf eine Menge faules Holz darauf, so daß es nur
kohlte und stark rauchte, und spannte die Haut glatt darüber aus, indem er
sie mit hölzernen Nägeln rundum auf den Erdboden festnagelte. Von Zeit zu
Zeit lüftete er das Fell, um das Feuer mit faulem Holze zu versehen, und
ließ in dieser Weise das Leder ganze zwölf Stunden räuchern, wodurch es
eine schöne goldbraune Farbe bekam und vor allem Hartwerden für immer
gesichert ward. Madame Turner schnitt nun aus dem Leder zwei Jacken,
eine für Carl und die andere für Daniel, und übergab sie Julie zum Nähen,
während sie sich des Abends selbst bei dieser Arbeit betheiligte.
In gleicher Weise wurden auch bald für die beiden Jäger Beinkleider
angefertigt, so daß sie auf ihren Streifzügen nicht mehr so sehr durch die
Dornen zu leiden hatten, und auch für Arnold und Wilhelm verfertigte Madame
Turner und Julie solche Lederanzüge. Die Jaguarhaut war Carls Stolz, sie
prangte von nun an auf seinem Sattel als Decke und gewährte ihm durch ihr
kurzes strammes Haar, welches den Tiger von dem Leoparden unterscheidet,
einen ebenso sichern als kühlen Sitz.

Turner war täglich bemüht, seine beiden Knaben gleichfalls in dem Gebrauch
der Waffen zu üben, er ließ sie nach einem Ziel schießen, und sie mußten
sich auch an Wild versuchen, wenn dasselbe in die Nähe des Forts kam. Beide
Knaben schossen schon sehr sicher, sowohl mit der Büchse, als auch mit dem
Revolver, und beide hatten schon verschiedenes Wild erlegt. Carl dagegen
übte sich, so oft es seine Zeit erlaubte, in dem Gebrauch des Lasso's,
einem aus Büffelhaut verfertigten dreißig Fuß langen Strick, an dessen
Ende sich eine Schlinge befand. Die Kunst, den Lasso zu gebrauchen, besteht
darin, daß man die Schlinge auf die Entfernung der Länge des Strickes einem
Thiere über den Kopf wirft, um dasselbe darin zu fangen. Carl übte sich
an leblosen Gegenständen, mitunter aber mußten auch Arnold und Wilhelm die
Stelle des Wildes vertreten, und im vollen Laufe hinter ihnen her, gelang
es ihm häufig, ihnen die Schlinge über den Kopf zu werfen, was dann stets
einen großen Jubel veranlaßte. Geschickte Lassowerfer aber, wie Daniel
einer war, sind sogar im Stande, ein flüchtiges Thier an einem beliebigen
Fuß zu fangen, indem sie die Schlinge gerade auf den Fleck auf die Erde
werfen, wo das Thier den Fuß hinsetzen wird, worauf sie den Strick rasch
an sich ziehen und die Schlinge sich um den Fuß zuzieht. Daniel hatte von
Warwick einen alten Lasso geschenkt bekommen, wollte aber, sobald ihm die
Arbeit Zeit gestatten würde, einige Büffel tödten und aus ihren Häuten
Lasso's für sich und für Carl anfertigen.

Die Arbeiten bei und in dem Fort waren vor der Hand beendet, der Garten
lieferte die herrlichsten Gemüse und war mit den wundervollsten Blumen
geschmückt, welche Carl und Daniel bei ihren Jagdausflügen aus dem Walde
und aus der Prairie mitgebracht hatten; es waren Lorbeerbäume, Magnolien,
Maulbeer- und Pflaumenbäume hineingepflanzt, über der Quelle im Fort war
ein Milchhaus erbaut und mit Schilf dicht behangen, so daß die Sonne keinen
Einfluß auf dessen innere Kühle ausüben konnte, und an den beiden vorderen
Ecken des Forts waren die Pallisaden in der Form von Thürmchen vorgebaut
worden und Schießöffnungen darin angebracht, so daß man aus ihnen die Wände
der Festung beschießen konnte.

An einem kühlen Decembermorgen zeigten sich viele Büffelheerden auf der
Prairie und Daniel schlug vor, zu Pferde eine Jagd auf sie zu machen,
theils um einige Häute zu bekommen, theils aber auch, um Fleischvorrath
einzusalzen und zu räuchern, weil jetzt in der kühlen Jahreszeit dies mit
weniger Gefahr vor Verderben geschehen konnte. Carl, der sich schon lange
auf eine solche Jagd gefreut hatte, war sofort bereit, die Pferde wurden
gesattelt, das Riemenwerk noch genau nachgesehen, über die Jaguarhaut wurde
noch besonders ein Gurt geschnallt, und kaum hatte die Sonne ihr neues
Licht über die in ihrer Winterflur bunt schimmernde Prairie ausgebreitet,
als die Jäger ihre muthigen Rosse den Hügel hinab in das hohe Gras lenkten.
Turners standen vor dem Thore und winkten den Reitern noch so lange nach,
bis dieselben zwischen den einzelnen Baum- und Gebüschgruppen, die sich
wie Inseln hier und dort aus der Prairie erhoben, vor ihren Blicken
verschwunden waren.

Turner hatte sich in den Garten begeben, seine Frau und Tochter waren zu
ihren häuslichen Arbeiten zurückgekehrt, und die beiden Knaben wollten
nach dem Boote gehen, um mit der Angel dort einige Fische zu fangen.
Pluto begleitete sie und sie hatten das Ufer noch nicht erreicht, als sie
plötzlich ein Thier vor sich im Grase gewahrten, welches die Größe einer
Katze hatte und glänzend schwarz und blendend weiß vom Kopf nach dem
Hintertheil gestreift war. Die Knaben sprangen darauf zu, um das Thier zu
fangen, welches jedoch statt zu fliehen, seinen mit fußlangen weißen Haaren
bewachsenen Schwanz über seinen Rücken legte und sich ganz mit demselben
bedeckte. Die Knaben wollten das ihnen unbekannte Thier lebendig mit
nach Hause nehmen und riefen Pluto zu sich, doch dieser fiel zornig über
dasselbe her und wollte es mit den Zähnen erfassen. Das Thier aber biß ihn
gewaltig in die Nase, so daß der Hund mit einem Klagelaut zurücksprang,
zugleich aber wandte es sich mit seinem Hintertheil nach ihm hin, und
spritzte mit seinem Urin eine stinkende Flüssigkeit, welche es in einer
Drüse bei sich trägt, über ihn und über die beiden Knaben aus. Ein
furchtbarer, Ekel erregender Geruch erfüllte sofort die Luft, der erzürnte
Pluto jedoch fiel abermals über das Thier her und biß es todt. Die Knaben
eilten von ihm weg, weil sie den Geruch nicht ertragen konnten, Pluto aber,
mit dem Thier zwischen den Zähnen, folgte ihnen, und so kamen sie denn
sämmtlich bald darauf in der Stube bei Madame Turner an, wo der Hund seine
Beute niederlegte.

»Um des Himmels willen, was ist das für ein schrecklicher Geruch, den Ihr
mir in das Zimmer bringt?« rief Madame Turner entsetzt aus, denn die Luft
im ganzen Hause schien in dem Augenblick verpestet zu sein.

»Es ist das Thier, Mutter, welches so riecht,« riefen die Knaben, nach der
Thür springend, um dort frischen Athem zu schöpfen.

»So schafft es mir aus dem Hause, es ist ja fürchterlich, abscheulich, rein
um ohnmächtig zu werden!« rief Madame Turner ganz außer sich, indem sie
gleichfalls, so wie auch Julie zur Thür hinaus flüchtete. Pluto folgte
ihnen mit einem sehr betrübten Gesichte, denn er wurde elend und mußte sich
übergeben.

»Das ist ja doch rein zu arg, Ihr Jungen, mir einen solchen Geruch in das
Haus zu bringen; gleich holt das abscheuliche Thier heraus,« sagte Madame
Turner sehr aufgebracht; doch die Knaben wollten nicht wieder in das Zimmer
gehen, weil sie sich schon sehr unwohl fühlten. Madame Turner lief jetzt in
das Thürmchen, an dessen Außenseite sich der Garten befand, und rief durch
eine Schießscharte ihrem Gatten zu, daß er in das Fort kommen möge. Mit
der größten Verwunderung hörte er bei seinem Eintritt, was sich zugetragen
hatte, und ging lachend mit den Worten nach dem Hause:

»Ihr seid wohl Alle närrisch geworden!« doch kaum trat er in die Thür, als
er selbst vor der Luft, die ihm entgegenkam, zurückprallte. Dann sprang
er aber schnell in das Zimmer, ergriff die Feuerzange, faßte damit das
schreckliche Thier und schleifte es heraus und aus dem Fort nach dem Ufer,
wo er es in den Fluß hinabschleuderte.

»Nein, so Etwas ist mir denn doch auch im Leben noch nicht vorgekommen,«
sagte er, als er in das Fort zurückkehrte; »wie bekommen wir nur den Geruch
wieder aus dem Zimmer?«

Er ergriff darauf einen Spaten, eilte in das Haus und stach die Erde von
dem Fleck, wo das Thier gelegen hatte, denn das Zimmer war noch nicht mit
einem Fußboden versehen. Nachdem er dieselbe in den Fluß geworfen hatte,
nahm er einige Feuerbrände aus dem Kamin, legte sie in der Mitte der Stube
auf die Erde und trug faules Holz darauf, so daß der Raum bald dicht mit
Rauch angefüllt war.

Die Thür und Fenster wurden geschlossen, und als man sie nach Verlauf von
einer Stunde wieder öffnete und den Rauch hinausziehen ließ, hatte sich
auch der Geruch, den das Thier hinterlassen hatte, sehr gemildert.

Während dieser Zeit ritten die beiden Jäger lustig durch die bunten
Blumenfelder der Prairie und näherten sich einer großen Büffelheerde,
welche in einer Vertiefung weidete. Dort war das Gras außerordentlich hoch,
so daß die riesigen Thiere kaum mit dem Rücken aus demselben hervorsahen,
und ihre Köpfe tief in ihm vergraben waren. Daniel hatte sie aber schon auf
eine weite Entfernung erkannt, und wählte sie vorzugsweise zur Jagd, weil
er hoffte, sich ihnen unbemerkt nahen zu können und dadurch den Pferden
die Anstrengung zu ersparen, sie in vollem Laufe einholen zu müssen. Andere
Heerden, die links und rechts weideten, gewahrten die Reiter frühzeitig und
flohen in eiligem Galopp davon.

»Wenn ein recht feister Bulle dabei ist, so wird er bald hinter der Heerde
zurückbleiben, da ihm das gewaltige Laufen den Athem nimmt, und dann will
ich Ihnen einmal zeigen, wie man einen Büffel ohne Schußwaffe tödten kann,«
sagte Daniel zu seinem jungen Freunde.

»Beugen Sie sich auf den Hals Ihres Pferdes nieder, damit wir, ohne gesehen
zu werden, so nahe wie möglich an die Heerde gelangen; wir ersparen dadurch
unseren Rossen große Anstrengung.«

Carl that wie ihm Daniel rieth, und so kamen sie den sorglosen Büffeln bald
sehr nahe, von denen her der frische Wind den Jägern entgegen zog und sie
kühlend umwehte.

Die Prairie hob sich hier wellenförmig auf und nieder, und die Reiter
suchten immer in der Vertiefung zu bleiben, die sie jetzt in das kleine
Thal führte, in welchem die Büffel grasten. Es lagen kaum noch funfzig
Schritte zwischen ihnen und den Thieren, da hoben mehrere derselben die
finster umlockten Köpfe aus dem Grase empor und schauten verwundert nach
den Reitern hin.

»Hurrah!« schrie Daniel jetzt mit seiner gewaltigen Stimme und »Hurrah«
ließ auch Carl die seinige mit aller Kraft ertönen, und Beide gaben ihren
Rossen Zügel und Sporen. Das ganze Thal ward in dem Augenblicke lebendig,
das Gras theilte sich und wogte verworren hin und her, wohl vierhundert
Büffel rannten in wilder Bestürzung durcheinander hin, wie Donner erdröhnte
die Erde unter ihren Füßen, und eng zusammengedrängt jagten sie in
schwerfälligem Galopp der nächsten Höhe zu. Die ganze Heerde, die fliegend
über die Grasflur dahineilte, war in der dichten, um sie aufwirbelnden
Staubwolke verschwunden, während die Jäger ihr auf den flüchtigen Rossen in
Carriere folgten. Die gellenden Jagdrufe der Reiter schienen die Thiere zu
immer schnellerer Flucht anzutreiben und ihre Angst zu steigern, die
sie durch wildes verworrenes Brüllen zu erkennen gaben. Fort ging es in
Sturmeslauf Hügel auf, Hügel ab, über steinige Höhen, durch mannshohes
Gras in den Thälern, über umgefallene Baumstämme, durch breite, tiefe
ausgetrocknete Wassergräben, ohne Rast, ohne Aufenthalt, umsaust von dem
stürmischen Tumult der Jagd, so wie eine Windsbraut über die Erde fliegt.
Wohl mehrere Meilen weit jagte die Heerde dem frischen Winde gerade
entgegen, so daß derselbe den Jägern die Staubwolke zuwehte, die unter den
Füßen der Thiere aufstieg; jetzt aber wandten diese sich mehr zur Seite,
und ihre riesigen, von fliegenden Mähnen umwogten dunkeln Körper wurden
in dem seitwärts verwehenden Staube wieder sichtbar. Der Anblick der Jäger
aber mehrte das Entsetzen der Büffel, ihre Flucht wurde immer rasender
und die schwersten, die feistesten unter ihnen begannen, hinter der Heerde
zurückzubleiben. Namentlich einem alten Bullen schien der tolle Lauf
beschwerlich zu werden, seine Flanken hatten sich mit weißem Schaum
bedeckt, keuchend ließ er seine brennend rothe Zunge über den langen Bart
seines Unterkiefers herabhängen und mit wuthblitzenden glühend gerötheten
Augen blickte er seitwärts nach seinen Verfolgern. Mehr und mehr entfernte
sich die Heerde von ihm, und vergebens waren seine Anstrengungen, ihr nahe
zu bleiben, sein Lauf wurde immer schwerfälliger, seine Sprünge wurden
kürzer, und mit dumpfem zornigen Gebrüll schüttelte er wiederholt die
schwarzbraunen glänzenden Mähnen. Dennoch blieb er im Galopp und folgte auf
dem niedergetretenen Grase der Spur seiner davoneilenden Kameraden.

Da sprengte Daniel mit gellendem Jagdruf näher zu diesem Büffel heran,
er hob sich strack in den Steigbügeln auf, schwang mit der Rechten den
gelösten Lasso hoch über sich im Kreise durch die Luft, und schleuderte
die Schlinge sausend auf das Gras hinab vor das flüchtige Thier, welches
im Sprunge seinen linken Vorderfuß in dieselbe niedersetzte. In derselben
Secunde zog Daniel den Lasso zurück, denn er hatte sein Pferd zur Seite
gewandt, und die Schlinge zog sich um den Fuß des Büffels fest. Hoch bäumte
sich jetzt das plötzlich parirte Pferd des Negers und der Büffel, in seinem
Sturmlauf an dem Fuße zurückgehalten, stürzte über Kopf donnernd zu
Boden, daß die Erde unter ihm erzitterte. Das ungeheure Thier lag mit
emporgestreckten Gliedern auf dem Rücken und mit Blitzesschnelle spornte
der Neger sein wild aufgeregtes Roß im Kreise um dasselbe und wand, noch
ehe der Büffel sich erheben konnte, das starke lederne Seil um dessen vier
Beine.

Mit jedem Kreise, den er um das Thier beschrieb, zog er dessen Glieder
fester zusammen, während der Gefangene die Luft mit seinem Gebrüll
erfüllte.

Wuthschäumend warf er sich hin und her, und riß und dehnte den Lasso
mit seinen Riesenkräften, während er mit den scharfen Hörnern den Boden
zerwühlte.

»Wir haben ihn, wir haben ihn!« rief Carl triumphirend aus, und sprengte
sein entsetztes Roß näher zu dem gegen seine Fesseln kämpfenden Koloß
hinan, als Daniel ihm zurief:

»Zurück, zurück, nehmen Sie sich in Acht, das Seil hat nicht gut gefaßt, er
kommt wieder los.« Zugleich ließ er sein Pferd rückwärts schreiten, um
den Strick, welcher mit dem Ende an dem Sattelknopf befestigt war, fester
anzuziehen; der Büffel aber zuckte und schlug so gewaltig mit seinen
Gliedern, daß er das Seil über seine Kniegelenke streifte und plötzlich
alle vier Beine aus dem Gewinde befreite. Daniel warf sein Roß zur Seite,
um davon zu jagen und so den Büffel abermals an dem gefangenen Fuße
niederzureißen; derselbe aber war mit ebenso großer Schnelligkeit
aufgesprungen und stürzte jetzt mit entfesselter Wuth seinem Gegner nach.
Das Gras war hier ungewöhnlich hoch und hemmte die Flucht des Pferdes,
während dieses für den Büffel die Bahn brach und derselbe mit größerer
Leichtigkeit folgen konnte. In tollem Laufe sausten sie vorwärts, ohne
einander näher zu kommen, oder sich weiter von einander zu entfernen;
ein Fehltritt des Rosses aber würde diesem und seinem Reiter sicher einen
schnellen Untergang bereitet haben. Kaum gewahrte Carl jedoch die Gefahr,
in der sein Freund schwebte, als er dem Falben die Sporen in die Flanken
stieß und in fliegender Carriere an die rechte Seite des Büffels sprengte.
In gestrecktem Laufe richtete er die Büchse auf die Schulter des wüthenden
Thieres und feuerte beide Läufe auf dasselbe ab. Im Augenblick wandte
es sich nach seinem neuen Gegner, doch der Sprung zur Seite streckte den
Lasso, der seinen Fuß gefangen hielt, und das Pferd des Negers riß den
Büffel abermals daran zu Boden. Daniel war darauf vorbereitet und wandte
sein Roß geschickt und schnell dem Gefangenen zu, den er nun wieder
umkreiste und ihn mit dem Lasso umwand. Diesmal gelang es ihm, die Glieder
des Büffels so fest damit zusammenzuschnüren, daß dessen Anstrengungen
dagegen erfolglos blieben und derselbe sich bald in sein Schicksal ergab.
Seine Kräfte nahmen auch rasch ab, denn die beiden Schüsse Carls waren
tödtlich und ließen das Thier sich schnell verbluten.

»Das hätte bös für mich ausfallen können,« sagte Daniel, indem er vom
Pferde sprang und demselben die Vorderfüße zusammenband; »es war ein
Uebermuth von mir, denn wir hätten ja den Büffel mit halb so vieler Mühe
erschießen können; ich wollte Ihnen aber doch zeigen, daß man auch ohne
Schußwaffen ein solches riesiges Thier erlegen kann. Sie haben mir in der
That das Leben gerettet; denn hätte mein Pferd auf den Lasso getreten,
so mußte es mit mir zusammenstürzen und dann würde dies wohl meine letzte
Büffeljagd gewesen sein. Ich versuchte, den Lasso von dem Sattelknopf zu
lösen, konnte aber den Knoten während des Jagens nicht öffnen. Nun wollen
wir eine Fahne über dem alten Burschen aufrichten und schnell nach Hause
reiten, um sein Fleisch zu holen; er ist unglaublich feist.«

Hiermit sprang der Neger nach einem nahestehenden Mosquitobaum, hieb mit
dem Jagdmesser einen langen Ast davon ab, band an dessen Spitze ein rothes
seidenes Halstuch, welches er zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, und
pflanzte die Fahne über dem Büffel auf, so daß der kräftige Wind sie
flatternd über demselben entfaltete. Carl hatte während dieser Zeit seine
Büchse wieder geladen, und nun bestiegen die Jäger abermals ihre Rosse und
lenkten sie eilig nach dem Fort zurück, wo sie noch vor Tisch anlangten.

»Hallo -- hier ist eine Poolkatze gewesen!« rief Daniel, als sie das Thor
der Festung erreichten, wo ihnen der immer noch starke Geruch des durch
Pluto getödteten Thieres entgegenkam. Auch in dem Hause war derselbe noch
nicht ganz beseitigt, und Daniel unterrichtete nun seine Freunde, daß das
Thier eine Poolkatze oder Stinkthier gewesen sei, eine Art Iltis,
welcher sich gegen seine Feinde durch Ausspritzen des stinkenden Saftes
vertheidige.

Das Mittagsessen wurde nun schnell eingenommen und darauf der leichte Wagen
bespannt, um das Fleisch des erlegten Büffels herbeizuschaffen. Carl fuhr,
und Daniel folgte ihm zu Pferde. Bald sahen sie die rothe Fahne im Winde
flattern, und über ihr viele hunderte von Geiern die Luft durchschwärmen,
die sich nicht in die Nähe des rothen Tuches wagten. Als sich die Jäger
näherten, ergriffen auch viele Wölfe die Flucht, die sich in einiger
Entfernung um den Büffel gesammelt hatten, aber gleichfalls durch das
wehende Tuch von ihm zurückgehalten worden waren.

Daniel band sein Pferd an den Wagen und beeilte sich nun, mit Carls Hülfe
dem Büffel die prächtige Haut abzunehmen. Dann wurde derselbe ausgeweidet,
in Stücke gehauen und dieselben auf den Wagen gehoben. Das Fleisch war
ganz mit goldgelben Fettadern durchwachsen und Daniel erklärte, daß man nur
selten einem so außerordentlich feisten Büffel begegne. Kaum hatten sich
die Jäger einige hundert Schritte von den zurückgelassenen Ueberresten
des Thieres entfernt, als die Geier sich zu Hunderten aus der Luft
herabschwangen und sich auf dieselben niederließen. Die Fahrt ging des sehr
hohen Grases wegen nur langsam von Statten und nicht in gerader Richtung
nach dem Fort zurück, weil Carl sich auf den Höhen zu halten suchte, wo das
Gras weniger hoch war. Sie naheten sich einer der Waldinseln, die hier
in der Prairie zerstreut lagen, als Daniel, der etwas seitwärts vom Wagen
ritt, plötzlich sein Pferd diesem zulenkte und zu Carl sagte: »Halten
Sie an, dort hinter der Insel stehen mehrere Büffel, denen Sie sich mit
leichter Mühe auf Schußweite nähern können. Die schöne Haut, welche wir
im Wagen haben, möchte ich nicht gern zu einem Lasso zerschneiden, es wäre
schade dafür. Schießen Sie einen von jenen Büffeln, damit wir noch eine
Haut bekommen. Schnell, eilen Sie in das Holz, ich will bei den Pferden
bleiben.«

Hiermit stieg der Neger ab und führte sein Roß zu den Wagenpferden, während
Carl von seinem Sitze sprang und eilig durch das hohe Gras der Waldinsel
zulief. Dieselbe bestand aus hohen prächtigen Eichen, Tulpenbäumen,
Platanen und Ahornen, deren Stämme sich aus üppigem dichten Gebüsch
erhoben, während das ganze Wäldchen nur einige hundert Schritte im Umfang
maß. Carl hatte bald das Dickicht erreicht, und schlich sich vorsichtig
durch dessen tiefes Dunkel der andern Seite zu. Es lag viel trockenes
Reisig auf dem Boden, auf welches zu treten er sorgfältig vermied, um sein
Nahen den Büffeln nicht zu verrathen, und je näher er dem Waldsaume kam, um
so behutsamer setzte er den Fuß an die Erde. Bald aber gelangte er hinter
den letzten Büschen an den Stamm einer alten Eiche, und blickte neben ihm
hinaus in die Prairie. Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn, denn nur
wenige Schritte vor ihm standen fünf kolossale männliche Büffel in dem
hohen Grase und schauten regungslos in das Dickicht. Sie mußten doch Etwas
gehört haben, welches ihnen verdächtig schien, denn sie verwandten keinen
Blick von der Richtung, in welcher Carl stand. Dieser aber war durch die
Eiche verdeckt und hob mit der größten Vorsicht die Büchse an die Schulter;
dann beugte er sich langsam auf die Seite des Stammes und richtete den Lauf
auf eines der riesigen Thiere. Die große Nähe desselben erfüllte ihn mit
einem unheimlichen Gefühl, er kam sich selbst so klein, so winzig gegen
dieses Ungeheuer vor, und er dachte daran, daß _ein_ Fußtritt desselben ihn
zermalmen würde. Es war aber nur ein Augenblick des Bangens, dann gab er
Feuer. Der Donner der Büchse und das Getöse, mit welchem die Büffel in das
Dickicht hereinstürzten, betäubten Carl, er drückte sich fest hinter den
Eichenstamm und fühlte denselben erbeben, als die Riesenthiere an ihm
vorüberschossen und im Dunkel des Wäldchens verschwanden. Er hörte ihre
dröhnenden Schritte weithin verhallen, zugleich aber vernahm er in dem
Dickicht ein Rauschen und Schlagen und Brechen, welches auf ein und
demselben Platze ertönte. Carls Herz schlug hoch vor Freude, denn dies
Getöse mußte von dem verwundeten Büffel verursacht werden. Er wollte schon
in das Dickicht hineinspringen, da fiel ihm der Jaguar ein und die Gefahr,
in welche er damals gerathen war. Er eilte nun hinaus in die Prairie und um
die Waldinsel, bis er Daniels ansichtig wurde, der ihm schon mit dem Wagen
entgegen kam und ihm zurief: »Haben Sie einen geschossen?«

»Wie viele Büffel hast Du fortrennen sehen?« fragte ihn Carl.

»Vier Stück,« entgegnete der Neger.

»So habe ich einen erlegt, denn es waren ihrer fünf und ich hörte es eben
noch im Walde schlagen. Wollen wir hineingehen?«

»Lassen Sie mich dies thun und bleiben Sie bei den Pferden; ein
angeschossener Büffel ist ein gefährlicher Gesellschafter.«

Carl trat nun zu den Pferden und Daniel schlich sich mit der Büchse in der
Hand in das Dickicht hinein. Nach wenigen Augenblicken aber rief er jubelnd
aus: »Hier liegt er mausetodt, Sie haben ihn durch das Herz geschossen.«

Gleich darauf trat der Neger wieder aus den Büschen hervor, band die Zügel
der Pferde an einen Baum und begab sich dann mit seinem jungen Freunde zu
dem erlegten Büffel, um sich der Haut desselben gleichfalls zu bemächtigen.
Außer dieser wurden noch die besten Stücke Fleisch, die Zunge und die
Markknochen von dem Thiere auf den Wagen gebracht, und dann setzten die mit
reicher Beute versehenen Jäger ihren Heimweg fort. Die Sonne war schon
im Scheiden, als sie das Fort erreichten und dort freudig bewillkommnet
wurden.

Am folgenden Morgen gab es nun viele Arbeit im Fort. Turner und dessen Frau
und Tochter zerlegten das Fleisch und salzten es ein, einen Theil davon
aber hingen sie, in dünne Scheiben zerschnitten, auf Stöcken über ein
stark rauchendes Kohlenfeuer, wo auch die Sonnenstrahlen darauf einwirken
konnten, um es schnell zu trocknen. Daniel und Carl nahmen die
beiden Büffelhäute vor und reinigten sie mit dem Ziehmesser von allen
Fleischtheilen, welche noch an der Haut saßen; dann bestrichen sie die
schönste derselben mit dem Gehirn der beiden Büffel und falteten sie
zusammen, um sie am folgenden Tage zu gerben; die zweite Haut aber legte
Daniel mit dem Haar nach unten auf einen ganz ebenen Platz, und nagelte sie
auseinandergespannt mit hölzernen Pflöcken auf die Erde fest. Dann stach
er sein sehr scharfes Messer in die Mitte derselben ein, drehte es in einen
kleinen Halbzirkel, so daß er die Haut hier fassen konnte, und begann nun
einen zollbreiten Streifen aus derselben zu schneiden, indem er ihn mit der
linken Hand an sich zog und ihn im Kreise immer weiter aus der Haut löste,
bis er endlich die Holzpflöcke erreichte und das ganze Fell in einen,
mehrere hundert Fuß langen Streifen zerschnitten war. Dieses Band wurde nun
zwischen einzelnstehenden Bäumen von einem Stamme zum andern ausgespannt
und die Haare davon mit scharfen Messern abgeschabt. Außer Carl mußten
Arnold und Wilhelm dem Neger bei dieser Arbeit behülflich sein, und nachdem
sie sauber vollendet war, wurden schwere Holzstücke an den Hautstreifen
gehangen, damit derselbe sich so lang als möglich ausdehne. Dabei wurde
er naß erhalten und am folgenden Morgen in fünf gleich lange Stücke
zerschnitten. Dieselben rollte Daniel zu Knäueln auf, band deren Enden
zusammen und hing sie an den Ast eines Baumes. Nun begann er, diese
fünf Streifen fest zusammen zu flechten, so daß er einen Strick daraus
bereitete, der über vierzig Fuß lang war. Denselben spannte er abermals
zwischen zwei Bäumen aus, rieb ihn tüchtig mit Bäröl ein und hing schwere
Gewichte daran, um ihn möglichst auszudehnen, wodurch er dünn und rund
wurde und die einzelnen Streifen sich fest ineinander zogen. Nachdem
dieses Lederseil mehrere Tage so ausgespannt und vollkommen getrocknet war,
verflocht Daniel das eine Ende desselben zu einer Schlinge, wodurch
der Lasso fertig wurde. Er war sehr glatt und geschmeidig und von
außerordentlicher Stärke. Die andere Büffelhaut hatte Daniel gegerbt,
sie war weich und zart, wie ein Tuch, und gab für Carl eine prächtige
Bettdecke.

Eines Morgens beim Frühstück, als Madame Turner das Gefäß mit Honig auf den
Tisch setzte, welchen sie zum Versüßen des Kaffee's von Warwicks erhalten
hatte, sagte sie: »Hier ist aber der letzte Honig, wir müßten einmal
versuchen, ob wir nicht von Warwicks welchen kaufen könnten.«

»Honig kaufen?« rief Daniel lachend, »das wäre schön -- wir wohnen ja in
dem Lande, wo Honig fließt. Nein, Madame Turner, Sie brauchen deshalb nicht
zu Warwicks zu schicken, ich will Ihnen sogleich so viel holen, wie Sie
bedürfen. Geben Sie uns nur einige Eimer, und in ein paar Stunden sollen
dieselben mit Honig gefüllt sein.«

Madame Turner hielt Daniel beim Wort, und nach dem Frühstück nahm er die
drei Knaben mit sich nach dem Ufer des Flusses, wo dasselbe sich sandig
abflachte. Dort setzte er sich nieder und hielt seinen Blick auf den
Wasserrand geheftet. Nach wenigen Minuten schon kamen mehrere Bienen
geflogen und ließen sich zum Trinken an dem Wasser nieder. Als sie sich
wieder in die Luft erhoben, folgte Daniel ihnen mit dem Blick, so weit
er sie sehen konnte, ging dann bis dorthin und steckte einen Stock in die
Erde, auf welchem er ein mit Honig bestrichenes Papier befestigt hatte.
Nach kurzer Zeit fielen mehrere Bienen auf dasselbe nieder und beluden sich
schnell mit der Süßigkeit. Als sie nun wieder davon flogen, folgte ihnen
Daniel abermals mit dem Stock und pflanzte denselben da auf, wo er sie
zuletzt gesehen hatte. So ging es nun wohl eine Viertelstunde weit am
Waldsaume hin, bis die Bienen, deren Zahl sich schnell vermehrt hatte, sich
von dem Papier nach einer alten Platane wandten, die an dem äußersten Ende
des Waldes stand.

»Dort in jenem Baume wird wohl ihre Wohnung sein,« sagte Daniel, indem er
nach der Platane ging und deren Aeste betrachtete.

»Richtig, da oben sind sie,« rief er den Knaben zu, »sehen Sie den
schwarzen Fleck an jenem starken Aste? Das sind die Bienen vor dem Eingange
ihres Baues. Carl, zünden Sie ein tüchtiges Feuer hier an, ich will mich
auf den Baum machen und den Ast abhauen.«

Der Neger warf nun den Lasso über einen der Aeste des ungeheuren Baumes,
so daß die beiden Enden an dem Stamme herunterhingen, befestigte sie um
denselben und kletterte nun an dem Seile hinauf. Dann ließ er eine Leine
von oben herab, an welche die Knaben die Holzaxt binden mußten, die er
daran zu sich heraufzog. Nun stieg er nahe zu dem Aste hin, in welchem
die Bienen hausten, und begann ihn dicht am Stamme abzuhauen. Es war keine
leichte Arbeit, denn der Ast hatte über drei Fuß im Durchmesser und der
Stand des Negers war unbequem, so daß dieser sich oftmals ruhen mußte;
dennoch begann nach einer Stunde der Ast sich zu neigen und stürzte
plötzlich mit lautem Krachen zur Erde nieder. Er zerbrach im Falle in
mehrere Stücke, und die Aushöhlung, in welcher der Honig sich befand, war
geöffnet. Die Bienen wirbelten sich, wie eine schwarze Wolke über ihrer
zertrümmerten Wohnung auf, und Daniel rief den Knaben zu, beim Feuer zu
bleiben, bis er hinabgestiegen sei. Er ließ sich nun wieder an dem Lasso
zur Erde nieder, eilte zum Feuer und ergriff einige Feuerbrände. Die Knaben
mußten desgleichen thun, und nun trugen sie die rauchenden Stücke Holz
zu dem zerbrochenen Aste, unbekümmert um die Bienen, die denselben dicht
umschwärmten. Der starke Rauch vertrieb die erzürnten Thiere schnell, und
ihre Räuber begannen nun, mit den Messern die Wachszellen aus der Höhlung
des Astes zu schneiden und die mitgebrachten Gefäße damit zu füllen. Der
Honig war so hell, wie Wasser, und von so köstlichem gewürzigen Geschmack,
daß die vier Bienenjäger sich während der Arbeit nach Herzenslust daran
labten. Sie hatten vier Eimer damit gefüllt und traten schwer beladen
ihren Rückweg nach dem Fort an, wo Madame Turner durch den herrlichen Honig
freudig von ihnen überrascht wurde.

»An Honig soll es nie fehlen, denn ich will mich verbindlich machen, in
ganz kurzer Zeit über hundert Bienenstöcke aufzufinden,« sagte Daniel,
erfreut, seinen Freunden sich abermals nützlich erwiesen zu haben. »Es wäre
aber schade, wenn wir uns die Bienen entgehen lassen wollten, denn es ist
ein kräftiger junger Schwarm; wir wollen sie heute Abend einfangen und hier
beim Fort aufstellen.«

Um dies auszuführen, wurde im Walde ein Stück von einem umgefallenen hohlen
Baume abgeschnitten und mit den Ochsen nach dem Fort geschleift. Dort wurde
es mit der unteren Oeffnung auf ein Brett gestellt, die obere mit einem
solchen vernagelt und ein Eingang an dem untern Rande eingeschnitten. Als
nun der Abend kam, begaben sich die Bienenjäger wieder nach dem abgehauenen
Aste, wo sie die Bienen auf einen Haufen versammelt fanden. Daniel
schüttete sie in einen Sack, trug sie nach dem Fort, und schüttelte
sie dort in den hohlen Baumstumpf hinein, der dann wieder auf das Brett
gestellt wurde. Schon am folgenden Morgen fingen die Bienen an zu arbeiten,
und ihre neue Wohnung mit Zellen zu versehen.

Alles gedieh unter der Arbeit und der Sorge der fleißigen Ansiedler; der
Garten lieferte ihnen ununterbrochen einen Ueberfluß an herrlichen Gemüsen
und Früchten; die köstlichsten Melonen kamen trotz der Winterzeit zur
Reife, sehr schmackhafte Kürbisse wurden geerntet und andere wegen ihrer
äußern Schale gezogen, die zu Gefäßen aller Art benutzt wurden, und süße
Kartoffeln und Erdnüsse wuchsen in Menge. Auch der Viehstand hatte sich
vermehrt, es waren mehrere Kälber geboren, die Sau hatte acht niedliche
Ferkel zur Welt gebracht und die Hühner waren kaum noch zu zählen. Diese
wurden gänzlich sich selbst überlassen, sie schliefen während der Nacht
in den nächststehenden Bäumen, brüteten in den Büschen ihre Eier aus,
und führten dann ihre Kleinen nach dem Fort, wo eine solche Schaar jungen
Anwuchses immer freudig begrüßt wurde.

Das Rauchhaus war mit Fleisch gefüllt, die durch Daniel und Carl
verfertigten Bütten mit Salzfleisch versehen, ein großer Vorrath von Heu
war im Fort aufgestapelt, und eine zweite Ladung Mais war vom Choctawbache
herbeigeschafft worden. Die Familie Warwicks hatte Turners wiederholt
besucht, und alle deren Mitglieder freuten sich innig über das segensreiche
Gedeihen der Ansiedelung. Warwick war jederzeit eine Gelegenheit
willkommen, wo er Turners gefällig oder dienlich sein konnte, und er
brachte ihnen bei seinen Besuchen immer irgend ein nützliches Geschenk mit.
So hatte er ihnen einen Beutel voll Pfirsich-, Pflaumen- und Aprikosenkerne
geschenkt, um sie zu pflanzen, da in diesem Lande aus den Kernen die
vortrefflichsten Obstbäume gezogen werden, und meist schon im vierten Jahre
Früchte tragen. Auch hatte er bei seinem letzten Besuche vier ausgewachsene
junge Hunde mitgebracht, damit dieselben helfen sollten, das Fort zu
bewachen.

Bei dieser Gelegenheit sprach er auch sein großes Erstaunen darüber aus,
daß Turners so ganz und gar von den Feindseligkeiten der Indianer verschont
geblieben waren, und erklärte, daß dies zu den wirklich ungewöhnlichen
Ausnahmen gehöre. Er hoffte und wünschte, daß diese Ruhe nicht diejenige
sein möge, welche einem schweren Sturme voranzugehen pflege, und rieth
besonders unausgesetzte Vorsicht an.

Die Weihnachten naheten und Madame Turner konnte nicht umhin, auch hier
Vorbereitungen für das Begehen des Festes zu treffen, wie sie so oft frohen
Herzens in dem alten theuren unvergeßlichen Deutschland gethan hatte.

Es wurden aus dem Wachs der wilden Bienen kleine Kerzen bereitet, es wurden
Honigkuchen gebacken, zu welchem Zwecke von Warwicks ein Fäßchen Weizenmehl
gekauft worden war, Nüsse, und zwar die allerherrlichsten, hatte der Wald
geliefert, nur der Tannenbaum, wie er in Deutschland das Weihnachtsfest
zierte, war hier nicht zu finden. Statt seiner schaffte aber Daniel einen
schönen Cederbaum an, und stellte ihn am Weihnachtsabend in einem der
Häuser auf. Der Neger, der noch nie dies Fest hatte begehen sehen, der aber
so viel durch die Kinder darüber erfahren hatte, freute sich selbst wie ein
Kind darauf, und konnte kaum den Abend erwarten, bis er die Lichter an dem
Baume brennen sehen würde.

Die Nacht brach herein und Alle, bis auf Madame Turner, hatten sich in dem
Wohnzimmer versammelt, während diese in der Stube bei dem Baume beschäftigt
war. Endlich ertönte die Schelle, die Thür in dem andern Hause öffnete
sich, der helle Kerzenschein drang aus ihr hervor, und die Kinder
stürmten mit ihrem Freunde Daniel, und von Turner gefolgt, in das blendend
erleuchtete Gemach. Da hob sich der geschmückte Baum im prächtigen
Lichterglanz, Kisten mit bunten Tüchern überdeckt, vertraten die Stelle
der Tische, und auf ihnen lagen Geschenke für alle Anwesenden und standen
Teller mit allerlei Backwerk und Nüssen.

Dabei war das Zimmer mit blendend weißen Leinentüchern behangen und mit
frischem immergrünen Laub geziert, und neben dem Kamin, in welchem ein
lustiges Feuer flackerte, stand auf einem improvisirten Tische ein
großer Suppennapf mit dampfendem Punsch, wozu Warwicks gleichfalls die
Ingredienzen geliefert hatten. Die Freude, der Jubel Aller war groß, der
Neger aber schien am Tiefsten ergriffen.

Er stand verwundert und sprachlos da, und wußte nicht, wohin er seine
Blicke wenden sollte, bis Madame Turner ihn freudig bei der Hand ergriff
und ihn zu dem Tische führte, auf welchem seine Geschenke lagen. Sie hatte
für ihn, so wie für Carl, eine Weste aus Hirschleder gearbeitet und schön
mit bunter Seide gestickt, Turner hatte sich vom Choctawbache her eine
Pfeife und Taback für ihn verschafft und außerdem ihn mit Baumwollenzeug zu
einem ganzen Anzug beschenkt. Die dankbare Rührung des Negers überwältigte
ihn vollständig, bebend küßte er Allen die Hände, und Thränen der Freude
netzten seine schwarzen Wangen. Carl fand auf seinem Tische eine goldene
Uhr, welche Turner für ihn aus Deutschland mitgebracht hatte, und eine
Menge kleiner Handarbeiten von seiner Tante und von Julie prangte daneben
im hellen Lichtscheine.

Arnold und Wilhelm waren von ihrer Mutter mit ledernen Jacken beschenkt,
die sie aus den Häuten von Hirschen verfertigt hatte, welche durch die
Knaben selbst erlegt worden waren.

Wenn nun auch Manches fehlte, was in Deutschland dazu beigetragen hatte,
die Feierlichkeit und den Glanz des Weihnachtsfestes zu erhöhen, so war die
Heiterkeit und das Glück der Ansiedler deswegen nicht weniger groß, und mit
wonnig bewegten Herzen gaben sie sich der Freude hin, die ihnen der heilige
Abend bot.

Er verstrich in sorgloser Fröhlichkeit, und Mitternacht mahnte daran, daß
es Zeit sei, sich zur Ruhe zu begeben, als die Hunde außerhalb des Forts
plötzlich ein wüthendes Gebell anstimmten. Sie waren durch die, für
sie angelegten kleinen Oeffnungen in den Pallisaden hinaus gerannt, und
schienen im Anfang ganz in der Nähe der Festung irgend einen Feind vor
sich zu haben, bald aber entfernte sich der Lärm in der Richtung nach dem
Pflaumenbache hin, wo er zuletzt verhallte.

Turner, Daniel und die Knaben hatten eilig zu ihren Waffen gegriffen, und
sich damit in dem Hofe aufgestellt.

Sie hefteten ihre Blicke gegen den nächtlichen Himmel auf die Spitzen der
Pallisaden, um etwaigen Feinden das Uebersteigen zu wehren, und lauschten
dabei auf jeden Ton nahe und fern. Bald aber kamen die Hunde sämmtlich
zurück in das Fort und gaben dessen Bewohnern durch ihre Rückkehr die
beruhigende Ueberzeugung, daß kein Feind sich mehr in der Nähe befinde.
Daniel bat seine Freunde dringend, sich zur Ruhe zu begeben, er selbst
wolle während dem Rest der Nacht im Hofe wachen, wobei Carl es sich nicht
nehmen lassen wollte, ihm Gesellschaft zu leisten.

Turners dankten ihm für seine Liebe, seine Fürsorge und gingen dann
beruhigt nach ihren Lagern, worauf Daniel die vier, von Warwick erhaltenen
Hunde aus dem Fort schickte, Pluto aber bei sich behielt. Dann setzte
er sich mit Carl auf die Bank vor dem Hause, von wo er die Pallisaden
übersehen konnte, und erzählte seinem jungen Freunde von den vielen
blutigen Fehden, die er unter den Indianern mitgefochten hatte. Die Nacht
verstrich aber ohne alle Störung, und als der Tag kam, und Turner wieder
im Hofe erschien, ging der Neger mit Carl aus dem Fort, um sich davon zu
überzeugen, was die Ursache der nächtlichen Störung gewesen sei. Er suchte
um den Fuß des Hügels in dem bethauten Gras, und erkannte bald an den
niedergebeugten und zerknickten Halmen die Spur der Hunde, wo sie ihren
Feind verfolgt hatten. Die Fährte des Feindes selbst konnte er in dem Grase
nicht unterscheiden, er ging aber der Spur bis in den Wald am Pflaumenbach
nach. Dort wandte sich dieselbe am Holze hin und auf dem ersten Büffelpfad
in dasselbe hinein. Hier blieb Daniel stehen, gab Carl seine Büchse zu
tragen, und legte sich nun auf die Kniee nieder, um die staubige Erde auf
dem Wege zu untersuchen. Er war nur eine kurze Entfernung auf demselben
hingekrochen, als er Carl zu sich rief, und ihm den kaum sichtbaren Abdruck
eines menschlichen Fußes in dem leichten Staube zeigte.

»Es sind Waco- oder Tonkoway-Indianer gewesen, man kann es deutlich an der
Schärfe der dicken harten Sohlen unter ihren Mokassins erkennen,« sagte er.

»Diese beiden Stämme sind sogenannte Fußindianer, und zwar die einzigen,
welche diese südlichen Länder bewohnen, während alle übrigen Stämme
Pferdeindianer sind, das heißt, Indianer, welche ihre Jagd- und Kriegszüge
zu Pferde machen und stets große Heerden dieser Thiere auf ihren
Wanderungen mit sich führen.

Die Pferdeindianer sind Jahr aus Jahr ein auf der Reise, sie leben
ausschließlich von der Jagd, ziehen im Frühling weit nach Norden in die
großen endlosen Prairien, den unzähligen Büffelheerden nach, und kehren
im Herbst wieder nach Süden zurück, wo die Weiden nie aufhören zu grünen.
Diese Fußindianer dagegen verlassen diese Gegend nicht, und schleichen
wie Schlangen in den Wäldern und Büschen umher, weil sie mit den
Pferdeindianern in ewigem Kriege leben, und von ihnen ebenso sehr gehaßt
und verfolgt werden, wie von den weißen Grenzansiedlern.

Sie sind sämmtlich mit Feuerwaffen versehen, während die anderen Wilden
dieser Länder keine solche besitzen, und darum sind sie auch viel
gefährlicher, als diese. Wir müssen jetzt sehr auf unsrer Hut sein, denn
dies ist sicher nicht ihr letzter Besuch bei uns gewesen.«

Der Neger zeigte seinem Gefährten nun die Spur noch weiter auf dem Pfade
hin, um ihn dadurch zu unterrichten, und dann begaben sie sich nach dem
Fort zurück, um noch einige Vorsichtsmaßregeln gegen solche nächtliche
ungebetene Gäste zu treffen.

Dort angelangt, verfertigte Daniel aus dem Bandeisen, womit die Kisten
Turners benagelt gewesen waren, zwei weitläufige Geflechte in der Form
von Körben, welche dazu dienen sollten, Kienspäne darin anzuzünden und die
Umgebung des Forts bei Nacht schnell zu beleuchten. Er errichtete nun in
jeder der beiden vorderen Ecken der Pallisadenwand aus leichten Baumstämmen
hohe Galgen, und befestigte an die Spitze von deren Armen eine Rolle. Durch
diese zog er eine eiserne Kette, an deren Ende er einen der Körbe anhing,
so daß man denselben daran aufziehen konnte, bis er mehrere Fuß hoch über
den Pallisaden in der Luft hing. Auf diese Weise wollte der Neger bei einer
nächtlichen Störung die ganze Umgebung des Forts hell erleuchten, damit man
durch die Schießscharten den Feind erkennen und nach ihm feuern könne. Die
Vorrichtung war außerordentlich einfach und sehr bald ausgeführt, und auch
noch ein tüchtiger Vorrath von Kienspänen herbeigeholt.

Diese neue Erinnerung an die Gefahr, in welcher Turners lebten, hatte ihre
Besorgniß wieder frisch angefacht, mit Bangen sahen sie den Abend nahen und
fuhren bei dem leichtesten Gebell der Hunde zusammen. Die Pferde wurden
mit Sonnenuntergang schon aus dem Grase geholt, getränkt und in das Fort
geführt, dann das Thor desselben geschlossen, und die vier neuen Hunde
hinausgelassen und ausgesperrt. Die Schrotflinten waren sämmtlich für eine
etwaige Vertheidigung der Festung mit Röllern geladen, und alle übrigen
Waffen zum schnellen Gebrauch in Bereitschaft gesetzt.

Mehrere Wochen eilten aber wieder dahin, ohne daß von Indianern Etwas
gesehen worden wäre, und die Besorgniß der Ansiedler nahm abermals nach und
nach in der Gewöhnung an die Gefahr ab. Die Zeit war gekommen, daß das Feld
mit Mais bestellt werden mußte, bei welcher Arbeit abwechselnd bald Turner,
bald Carl dem Neger behülflich war, Einer von ihnen aber immer in dem Fort
zurückblieb.

Während das Feld nun nochmals gepflügt und dann besäet wurde, mußten die
Hunde dessen Umgebung bewachen, zu welchem Zwecke Daniel sie auf allen vier
Seiten desselben ankettete.

Auch diese Arbeit wurde ohne alle Störung ausgeführt, und nach wenigen
Wochen zeigte der Mais sich in frisch grünen Reihen über dem Felde. Die
Freude der Colonisten über diese üppig aufschießende Hoffnung für die erste
Ernte war groß, und mit Leidwesen zogen sie auf das Anrathen Daniels die
vielen überflüssigen Pflanzen aus den schönen Reihen, obgleich der Neger
ihnen erklärte, daß an einer geringern Zahl derselben bedeutend mehr und
besserer Mais wachsen würde. Bei dieser Arbeit halfen auch Arnold und
Wilhelm, so wie sie sich auch fleißig dabei betheiligten, als mit der Hacke
die Erde um die Pflanzen aufgehäuft wurde. Von dem Hügel aus konnte man
nach dem Felde hinsehen, und sobald das Fort am frühen Morgen geöffnet
wurde, erfreuten sich die Bewohner desselben an dem hellgrünen Schein,
womit der Mais zu ihnen herüberglänzte. Man mag sich nun den Schrecken der
Ansiedler denken, als sie eines Morgens aus der Festung traten und sahen,
daß das Feld, so wie die ganze Grasfläche vom Fuße des Hügels an bis in
die Ecke am Pflaumenbach, sich in einen See verwandelt hatte. Carl war
der Erste, der die Ueberschwemmung gewahrte, und auf seinen Ruf kamen alle
Uebrigen herausgeeilt, um eben so traurig überrascht zu werden.

»Das ist Wasser aus dem Pflaumenbache, denn der Bärfluß ist ja nicht
gewachsen,« sagte Daniel, indem er sinnend auf den ruhigen Wasserspiegel
blickte, der sich wohl eine halbe Meile weit an dem Walde des Pflaumenbachs
hinaufzog. »Sicher ist der Abfluß des Baches in den Bärfluß gehemmt,
und darum hat sich das Wasser seitwärts Luft gemacht. Wie kann dies aber
geschehen sein?«

»Sollten uns die Indianer vielleicht einen Streich gespielt haben, um
unsere Ernte zu zerstören?« bemerkte Turner.

»Nein,« entgegnete Daniel mit Bestimmtheit, »von Indianern haben wir nur
verborgene oder offene Angriffe auf unsere Person zu erwarten, sie werden,
wenn es in ihrer Macht steht, uns tödten; uns aber nur Schaden zuzufügen,
das fällt ihnen nicht ein. Warum bringen sie unsere Kühe nicht um, die
oftmals so weit in die Prairie hinausgehen, daß wir sie von hier aus nicht
mehr sehen können? Wenn sie das Wasser so hoch zu stauen im Stande wären,
daß wir darin ertrinken müßten, oder wenn sie es uns bei einer Belagerung
gänzlich entziehen könnten, um uns verdursten zu lassen, so würden sie es
thun; aber eine solche schwere Arbeit auszuführen, wie das Abdämmen des
Pflaumenbaches, ohne daß sie unser Leben dadurch gefährdeten, daran werden
sie nicht denken. Es hat eine andere Ursache, mag sie sein, welche sie
will. Wir werden sehr bald darüber ins Klare kommen; nehmen Sie Ihre
Waffen, junger Herr, wir wollen gleich nach dem Pflaumenbache hingehen.«

Hiermit sprangen der Neger und Carl in das Fort, Beide ergriffen ihre
Büchsen und eilten an der Einzäunung des Gartens hin bis an das Ufer des
Bärflusses, denn dasselbe lag höher, als die Prairie, und war noch von
Wasser frei. Sie folgten dem Ufer in den Wald hinein, und konnten nur
mit großer Mühe dort ihren Weg darauf fortsetzen, weil dasselbe dicht mit
Dornen und Büschen bedeckt war. Dennoch bahnten sie sich ihren Weg und
trafen schon hier und da das Wasser bis auf das Ufer des Bärflusses
vorgedrungen. Sie schritten bald bei dem überschwemmten Felde vorüber und
näherten sich der Mündung des Pflaumenbaches, hörten aber das gewohnte
heftige Rauschen nicht, womit derselbe seine Fluthen in den Bärfluß
hinabstürzte. Hier war der Boden des Waldes auch trocken, und als sie
nun das Ufer des Pflaumenbaches erreichten, fanden sie dessen Bett
größtentheils von Wasser frei, und nur hier und dort eine Vertiefung mit
demselben angefüllt.

»Wie ich es vorhersagte, der Bach ist abgedämmt, aber weiter nach oben,«
sagte Daniel, von dem Ufer hinabblickend, »ich bin doch wirklich neugierig,
wie dies geschehen ist; ich kann mir nicht denken, daß es die Indianer
gethan haben sollten. Kommen Sie, wir wollen am Bache hinaufgehen, um uns
das Räthsel zu lösen.«

Der Neger voran, und Carl ihm folgend, waren sie nur eine kurze Strecke
gegangen, als Daniel stehen blieb und in das Bett des Baches hinabzeigte,
indem er sagte:

»Dem Burschen da unten wollen wir aber doch das Lebenslicht ausblasen;
sehen sie den ungeheuren Alligator, wie er aus dem Wasserloch hervorsieht,
es ist zu seicht für ihn. Halten Sie meine Büchse, ich will ihm den Kopf
abhauen.«

Daniel reichte Carl sein Gewehr, zog die Holzaxt aus seinem Gürtel hervor
und sprang behend vom Ufer hinab. Kaum nahete er sich auf dem sandigen
Grunde dem Wasserpfuhl, in welchem der Alligator lag, als derselbe den
Neger gewahrte und, seinen furchtbaren Rachen öffnend, aus der Vertiefung
hervor und auf ihn zuschwamm. Die Bewegungen dieses häßlichen gefährlichen
Thieres sind auf dem Lande glücklicherweise ebenso unbehülflich und
langsam, wie die einer Schildkröte, und weder Mensch noch Thier hat es
außerhalb des Wassers zu fürchten, wenn seine Gegenwart ihm einmal bekannt
ist. Liegt es aber regungslos da, so gleicht es einem alten vermoderten
Stück Holz und lauert darauf, daß ein lebendes Wesen sich ihm sorglos
nahet, um es mit Blitzesschnelle mit seinem schrecklichen Gebiß zu
erfassen, aus welchem keine Befreiung möglich ist.

»Wart, Ungeheuer, Du sollst keinen Schaden mehr thun!« rief Daniel dem
erbosten Thiere zu, welches, mit dem Rachen schnappend und mit dem Schwanze
um sich schlagend, ihm entgegen kroch.

Der Neger hatte sich ihm bis auf wenige Schritte genähert und schwang die
schwere Axt über sich durch die Luft, der Alligator hob sich auf seinen
Vorderfüßen so hoch auf, als er konnte, und hielt den weit aufgerissenen
Rachen in die Höhe, als wolle er die Axt ergreifen; doch das schwere Eisen
schoß pfeifend herab und vergrub sich in dem Schädel des Ungethüms. Daniel
sprang zurück, mußte aber die Axt im Stich lassen, mit welcher im Kopf, der
Alligator wüthend nach ihm schnappte und ihn verfolgte.

»Werfen Sie mir Ihre Axt herunter, junger Herr, ich mag dem Teufel doch
nicht zu nahe kommen,« rief der Neger seinem Gefährten zu und fing dann die
Axt, welche dieser vom Ufer herabwarf.

Der Alligator schlug mit Kopf und Schwanz in der größten Wuth um sich,
während der lange Axtstiel über seinem Schädel hervorstand; doch Daniel
benutzte einen Augenblick, wo er sich ihm von der Seite nahen konnte, und
hieb ihm mit einem Schlage den Kopf vom Rücken ab.

»So, du gräuliches, böses Thier, nun ists vorbei mit deinem Morden, gieb
mir nun meine Axt wieder,« sagte Daniel, indem er dem getödteten Alligator
das Eisen aus dem Kopf zog und dann wieder auf das Ufer hinaufsprang.

Nun eilte er mit Carl am Bache weiter hinauf und sie hatten etwa einige
tausend Schritte zurückgelegt, als sie vor sich über dem Bette des Baches
eine Wand von umgestürzten Baumstämmen, Aesten und Reisholz gewahrten, die
wild durcheinander hinlagen, aber doch eng mit einander verbunden schienen.
Zugleich sahen sie seitwärts den Boden des Waldes mit Wasser bedeckt,
welches, von diesem Damm zurückgehalten, über das Ufer des Baches
ausgetreten war.

»Hallo, seid Ihr es, die uns den Streich gespielt haben? Das sollt Ihr mit
Euren Fellen bezahlen!« rief der Neger, laut auflachend, und wandte sich
dann zu seinem erstaunten Gefährten: »Was meinen Sie, wer hat wohl diesen
Damm gebaut?«

»Wer anders, als Indianer -- das ist eine ungeheure Arbeit gewesen,«
entgegnete Carl und sah verwundert auf die mehrere Fuß starken Baumstämme,
die übereinander hingeworfen waren.

»Nein, nein, junger Herr, das sind ganz andere Zimmerleute, es sind Biber.«

»Biber -- ist es möglich -- Biber sollten diese Stämme abgenagt haben?«

»Freilich, sehen Sie nur die Stümpfe, die dort aus dem Wasser hervorragen;
Sie können die Bisse an den abgenagten Stellen erkennen. Nun aber schnell,
lassen Sie uns ein Loch in den Damm machen, damit wir das Wasser aus
dem Felde kriegen. Dasselbe liegt höher als die Prairie und wird schnell
trocken sein. O, wie werden sie sich im Fort freuen, wenn sie mit einem
Male den Mais wieder sehen, dem die kurze Ueberschwemmung nur großen
Vortheil bringt. Nehmen Sie sich aber in Acht, wenn das Wasser erst eine
Oeffnung hat, so wird es mit einer furchtbaren Gewalt hervorbrechen, denn
es ist an der andern Seite des Dammes wenigstens funfzehn Fuß tief.«

Es waren über ein Dutzend größerer und kleinerer Bäume von beiden Ufern her
über den Bach gestürzt, die den Damm bildeten und so nahe zusammenlagen,
daß derselbe nicht mehr als ungefähr dreißig Fuß Dicke betrug. Zwischen
diesen Stämmen waren die Räume mit Aesten, Reisig, Buschwerk und Schlamm
dicht ausgefüllt, so daß kein Wasser hindurch dringen konnte.

Daniel und Carl stiegen auf die Stämme hinauf, um zwischen ihnen dem Wasser
Luft zu machen, als Daniel seinem Gefährten zurief:

»Sehen Sie nur die abgenagten Enden der Stämme und Aeste an, sieht es
nicht aus, als ob sie mit einem scharfen Stemmeisen abgestochen wären. Und
betrachten Sie nur die Menge von Spänen, die hier allenthalben umherliegen;
man sollte glauben, man befände sich auf einem Zimmerplatze. Dort die
beiden Espen sind auch schon rundum tief benagt, das steigende Wasser
hat aber die Biber in ihrer Arbeit gestört, sonst hätten sie dieselben
gleichfalls umgeworfen.«

»Wie künstlich die Thiere diese Tausende von Stöcken hier zwischen die
Stämme unter unseren Füßen angebracht haben, um den Damm dicht zu machen
und dem Schlamm Festigkeit zu geben.«

Während der Neger zu Carl sprach, zog er aus der Mitte des Dammes Stöcke,
Aeste und Buschwerk hervor und warf es hinter demselben in das leere Bett
des Baches, während Carl seinem Beispiel folgte und in gleicher Weise
fleißig arbeitete. Sie hatten bald an der hinteren Seite des Dammes und in
dessen Mitte bedeutende Oeffnungen gemacht, doch immer noch ließ er kein
Wasser durch, weil seine vordere Seite, vor der sich der Bach gestaut
hatte, mit einer dichten Lage von Schlamm bedeckt war. Daniel zog aber
jetzt einige Büsche aus derselben hervor, das Wasser durchbrach die
Schlammwand und der Strom schoß mit einer so rasenden Gewalt zwischen den
Stämmen durch in das leere Bett hinter dem Damme, daß Reisig, Stöcke und
Aeste sämmtlich in wenigen Augenblicken mit fortgerissen wurden und mit den
hoch und wildschäumenden Fluthen dem Bärfluß zubrausten.

Daniel und Carl waren schnell auf das eine Ende des Dammes gesprungen, denn
selbst die schweren Baumstämme warf der furchtbare Strom auseinander und
stürzte sich in hochschlagenden Wogen zwischen ihnen durch.

»Setzen Sie sich zu mir auf diesen Stamm, junger Herr; in kurzer Zeit
werden wir das Ufer am Bache hinauf wieder vom Wasser befreit sehen, dann
wollen wir es versuchen, uns darauf hin einen Weg zu bahnen; es liegt etwas
höher, als der Wald, und viel höher, als die Prairie außerhalb. Ich möchte
gern die Häuser der Biber in Augenschein nehmen, um daraus auf die Zahl der
Thiere zu schließen; es muß eine große Bibercolonie sein, sonst hätten sie
diesen Damm nicht bauen können. An einem starken Baum nagen immer drei
bis vier Biber zu gleicher Zeit, wenn sie ihn fällen wollen, was sie mit
unglaublicher Schnelligkeit ausführen können, zumal da sie nur weiche
Holzarten dazu wählen. Liegt der Baum einmal, dann fällt die ganze Colonie,
die häufig aus hundert Stück besteht, darüber her und ein jeder Biber nimmt
einen Ast vor. Wollen sie einen Damm bauen, so fällen sie die Bäume mit
großer Geschicklichkeit so, daß sie über den Bach fallen, die abgebissenen
Aeste tragen sie in den Zähnen zwischen die Stämme, so auch die dünneren
Zweige und die Büsche, und dann führen sie auf ihren breiten, platten,
haarlosen Schwänzen den Schlamm herbei, um alle Oeffnungen damit zu
verkitten.

Der Bach, in seinem Laufe aufgehalten, steigt nun rasch und dehnt sich zu
beiden Seiten aus, worauf die Biber in tiefen Stellen auf offenen Plätzen
ihre Häuser in das Wasser bauen. Sie führen dieselben aus zwei bis drei Fuß
langen Stöcken auf, welche sie im Kreis vom Grund des Wassers verflechten
und zwischen einander so durchstecken, daß sie eine starke, dicke Mauer
bilden, die sie noch drei bis vier Fuß über dem Wasserspiegel enger bauen,
und dann oben in Form einer Kuppel vereinigen. Das Gebäude hat das Ansehen
eines Bienenkorbes, hat aber sichtbarlich keinen Eingang, denn derselbe
befindet sich auf dem Grunde des Wassers. Das Innere des Hauses ist mit
einer, mitunter auch mit zwei Abtheilungen übereinander eingerichtet, von
welcher die obere sich über dem Wasserspiegel befindet, und in welche der
Eingang durch den Fußboden führt.

Diesen oberen Raum, welcher niemals vom Wasser berührt wird, füttern die
Biber sauber mit Moos aus, und verwahren hier ihre Jungen. Im Norden, wo
die Winter kalt sind, bringen sie im Herbst in den untern Raum des Hauses
große Vorräthe von abgebissenen Stöcken, deren junge Rinde ihnen während
der Zeit zur Nahrung dient, in welcher das Wasser mit Eis bedeckt ist und
sie nicht an das Land gelangen können, um frische Zweige zu benagen;
denn der Biber lebt ausschließlich nur von Baumrinden, und nicht, wie
irrthümlich so vielfach geglaubt wird, von Fischen.

In einer Bibercolonie wird niemals ein fremder Biber aufgenommen, er muß
sich entfernen, oder wird todtgebissen.

Ist die Gesellschaft zu zahlreich geworden, so theilt sie sich in zwei oder
mehrere Partieen, und jede sucht sich einen andern Wohnort. Auch verlassen
sie die Ansiedelung, sobald das weiche Holz in der Nähe des Wassers
spärlich wird. Die Biber machen oft weite Reisen und wandern zusammen
Stunden Weges über Berg und Thal, um sich eine Heimath zu suchen.«

»Das müssen ja einzige Thiere sein, können wir nicht eines derselben
habhaft werden?« sagte Carl nach dieser Mittheilung des Negers.

»Eines derselben? nein, die ganze Gesellschaft wollen wir fangen, es
soll uns auch nicht Einer davon entgehen. Ich werde nach dem Choctawbache
reiten, und mir von den dortigen Ansiedlern sämmtliche Fallen borgen, die
sie besitzen. Nur _einen_ männlichen Biber müssen wir schießen, ehe wir die
andern fangen können; denn wir müssen von ihm das Bibergeil erhalten, um
seine Kameraden damit nach der Falle zu locken. Er trägt dasselbe, eine
ölige Flüssigkeit, in zwei Drüsen bei sich.«

Während sich die beiden Jäger in dieser Weise unterhielten, brauste und
tobte das Wasser mit wildem Ungestüm durch den geöffneten Damm, und sank
dabei schnell oberhalb desselben. Nach Verlauf von einigen Stunden wurden
auch die Ufer des Bachs wieder sichtbar, und jetzt, wo das Wasser aus der
Prairie nicht mehr über dieselben abfließen konnte, nahm die Strömung im
Bache auch sehr ab.

»Unser Feld muß schon ganz von Wasser frei sein, denn dasselbe liegt
vollkommen so hoch, wie dieses Ufer hier,« sagte Daniel, indem er aufstand.
»Nun kommen Sie, wir wollen es versuchen, ob wir am Bache hinaufgehen
können.«

Hiermit sprang er von dem Baumstamme hinab auf das Ufer, und Carl folgte
ihm nach. Der Boden war außerordentlich weich und schlüpfrig, so daß
das Gehen auf demselben sehr erschwert wurde, die Jäger aber schritten
demungeachtet frisch darauf los, wenn sie auch mitunter bis an die Kniee
einsanken, oder eine Strecke Wasser zu durchwaten hatten. Je weiter sie
durch die Büsche, Ranken und Dornen vorrückten, um so lichter wurde der
Wald, und sie hatten eine umfangreiche Blöße in demselben erreicht, durch
welche der Bach sich hinwand, da blieb Daniel stehen und zeigte auf einen
hohen, oben abgerundeten Reisig- und Knüppelhaufen, der sich wohl zehn Fuß
aus dem Bache erhob.

»Das ist eins der Biberhäuser, es sieht aus, wie ein riesiges
Stachelschwein. Die Bewohner desselben werden bereits in großer Noth sein,
weil das Wasser so sehr gefallen ist. Ich bin überzeugt, daß sie sich
sämmtlich zu dem Damme begeben, um ihn auszubessern; sie werden sich aber
sehr wundern, wenn sie das große Loch in demselben bemerken. An diesem
Biberhause können Sie sehen, weshalb die Thiere den Damm gebaut haben. Sie
haben das Wasser so hoch gestaut, daß ihre Wohnung von einem unabsehbaren
Wasserspiegel umgeben war, und dieselbe dadurch ihren Feinden verborgen und
unzugänglich blieb. Jetzt ist das Ufer kaum noch zehn Schritt von derselben
entfernt, und ein Jaguar, ein Panther, oder ein Bär kann vom Lande aus
leicht die Thiere in ihrem Gebäude wittern und sie darin überfallen; denn
der Reisighaufen ist leicht auseinandergerissen. Wenn die alten Biber nun
auch selbst dadurch nicht gefährdet würden, weil sie nur in dem untern Raum
in das Wasser zu springen brauchen, um sich dem Feinde zu entziehen, so
würden doch ihre Jungen demselben ein Opfer werden, und deshalb setzen sie
die ganze Umgegend unter Wasser. Nun will ich Ihnen einen Vorschlag machen,
junger Herr: Ich glaube nämlich, daß es gerade jetzt ein sehr günstiger
Augenblick ist, um einen Biber zu schießen, weil dieselben wegen des
fallenden Wassers hin- und herschwimmen, und sich auf der Oberfläche sehen
lassen werden, was sie sonst nur in der Nacht thun.

Sie können hier sitzen bleiben, und ich will weiter am Bache hinauf ein
anderes Biberhaus wählen, um dabei zu lauern.

Im Fort wird man uns nicht zurückerwarten, da unsere Freunde an dem Fallen
des Wassers erkennen werden, daß wir an der Arbeit sind. Verstecken
Sie sich in den Busch an jener Pappel, von dort können Sie das Wasser
übersehen. Wenn ein Biber sich auf der Oberfläche zeigt, so müssen Sie
ihn auf den Kopf schießen und schnell zu ihm ins Wasser springen und ihn
ergreifen, ehe ihn der Strom mit sich fortnimmt. Treffen Sie ihn nicht in
den Kopf, so entgeht er Ihnen. Das Wasser hier ist nicht tief. Seien Sie
sehr vorsichtig und bewegen Sie sich nicht; denn der Biber ist eins der
schlausten Thiere; und verlieren Sie die Geduld nicht, wir müssen darauf
rechnen, vielleicht bis zu einbrechender Nacht zu sitzen. Wenn es so lange
dauern sollte, und Sie können nicht mehr zum Schießen sehen, so gehen Sie
am Ufer hinauf bis zu mir, dann gehen wir bis an das Ende des Wassers,
welches in der Prairie zurückgeblieben ist, und nehmen unsern Heimweg im
trocknen Grase.«

Indem Daniel seinem Gefährten noch guten Erfolg wünschte, eilte er auf
dem Ufer hin, und fand in nicht großer Entfernung von Carl eine Menge
Biberhäuser aus dem Bache hervorsehen, so wie auch mehrere, die
seitwärts in dem Walde in Vertiefungen standen und nur noch von wenig
zurückgebliebenem Wasser umgeben waren. Er wußte aber, daß diese bereits
von ihren Bewohnern verlassen seien, und nahm sich darum nicht die Zeit,
sie zu durchsuchen. Er wollte aber nicht in der Nähe Carls bleiben, um
demselben nicht durch einen Schuß die Jagd zu verderben, deshalb schritt er
weiter am Bache hinauf, und gelangte dahin, wo das Wasser nicht aus seinem
Ufer ausgetreten gewesen war, und der Wald zu beiden Seiten mehr aus hohen
Bäumen und nur einzelnen Büschen bestand. Es war dieselbe Gegend, wo Carl
an jenem Abend den Bären erlegt hatte. Hier fand Daniel noch ein Biberhaus
in dem Bache, dessen Ufer sich auf dieser Stelle weit von einander
entfernten und eine Art von kleinem See bildeten. Der Neger wählte einen
hochgelegenen Platz am Ufer, von wo aus er den ganzen Wasserspiegel
übersehen und mit Genauigkeit bis an das Biberhaus schießen konnte.

Es stand dort ein alter Ahorn, an dessen Stamm er sich niedersetzte,
nachdem er einige Büsche vor sich in die Erde gesteckt hatte, um sich dem
Blick der Biber zu entziehen. Es war Nachmittag geworden und die Sonne
begann ihre Strahlen schräg durch den Wald zu werfen.

Alles war still und lautlos, weder in dem Laube der hohen Baumkronen,
noch auf dem glatten Wasserspiegel war eine Bewegung zu erkennen, und der
goldene Streif, den das Sonnenlicht über den Teich warf, wurde nur zuweilen
durch einen aufspringenden Fisch gekräuselt. Stunden eilten dahin, ohne daß
ein Biber seine Gegenwart verrathen hätte, obgleich der sprühende scharfe
Blick des Negers fortwährend das Wasser überwachte. Die Schatten der Bäume
dehnten sich länger und dunkeler über die Erde aus, und hier und dort
wurden zwischen den Stämmen Hirsche und Antilopen sichtbar, die vertraut
und sorglos dem Bache zuschritten, um ihren Durst in dessen kühlen Fluthen
zu stillen. Daniel sah ihnen zu, wie sie mit einander scherzten, ihre
Gehörne an einzelnen Stämmchen rieben, oder die zartesten Kräuter in dem
Grase suchten; da plötzlich fuhren mehrere derselben, wie durch irgend
etwas erschreckt, zusammen und hielten lauschend die Köpfe in die Höhe.

Daniel blickte schnell um sich durch den Wald, so weit sein Auge aber
reichte, konnte er Nichts erkennen, was die Veranlassung zu der plötzlichen
Aufmerksamkeit der Thiere hätte geben können. »Vielleicht war es ein großer
Raubvogel, der sie erschreckt hat,« dachte Daniel und blickte wieder nach
dem Biberhause; da sah er unweit desselben eine Bewegung im Wasser, es
erschien ein dunkeler Punkt auf der Oberfläche und derselbe bewegte sich
jetzt schnell dem Ufer zu. Es war ein Biber, der schwimmend mit der Nase
das Wasser theilte, und von derselben aus zwei lange Streifen in einem
spitzen Winkel hinter sich auf dem glatten Spiegel zurückließ.

Daniel hatte behutsam die Büchse an den Backen gehoben, und zielte dem
nahenden Thiere auf den Kopf, bis dasselbe nur noch wenige Schritte vom
Lande entfernt war, dann gab er Feuer. Der Biber überschlug sich im Wasser
und warf dasselbe hoch um sich auf, da hatte der Neger aber schon seine
Büchse an den Baum gestellt und war in _einem_ Satze bis zu der sterbenden
Beute ins Wasser gesprungen. Er ergriff das Thier beim Schwanze und schwamm
in wenigen Augenblicken mit ihm an das Land zurück.

Hier schüttelte er das Wasser von sich, hing seine Kugeltasche um
und ladete den abgeschossenen Lauf seiner Büchse. Kaum hatte er dies
vollbracht, und bückte sich, um sich wieder an dem Baume niederzusetzen
und Carl zu erwarten, da fiel ein Schuß, und die Kugel schlug neben Daniels
Kopf in den Baumstamm.

In weiten Sätzen sprang der Neger von der Anhöhe herab nach einer
umgefallenen kolossalen Cypresse, die nur einige zwanzig Schritte von
ihm entfernt lag, und warf sich hinter dem Stamme in das Gras nieder. Das
scharfe, geübte Auge Daniels hatte aber beim ersten Umblicken den Schützen
erkannt, einen Indianer, der hinter einer Eiche hervorsah und nach dem
Schusse sich wieder hinter derselben verbarg. Diese Eiche stand weiter am
Bache hinunter, etwa hundert Schritte von dessen Ufer entfernt, und der
erste Gedanke des Negers war Carl zugewandt, der nun bald von dort her
kommen mußte. Er schob die Holzaxt durch den Gürtel, den er um den Leib
trug, und war im Begriff, den Indianer sofort anzugreifen, ehe derselbe
seine Büchse wieder laden konnte, denn er wußte, daß die Wilden keine
Doppelgewehre führten; doch hob er zuerst nur seinen Hut über dem Baumstamm
hervor. In demselben Augenblick fielen von anderen Bäumen her wieder zwei
Schüsse, und eine Kugel flog durch den Filz. Der Neger hatte gleichfalls
die beiden Indianer gesehen, welche jetzt geschossen hatten.

Er war unschlüssig, ob er hervorspringen und den Kampf offen beginnen, so
wie versuchen solle, den Weg zu Carl zu gewinnen; da kam ihm der Gedanke,
daß möglicherweise eine noch viel größere Zahl von Wilden in der Nähe
verborgen sein könnte und er dieselben bei einer Flucht seinem Gefährten
gerade entgegenführen würde. Der Baum, hinter welchem er lag, war durch
einen Sturm umgeweht und mit den Wurzeln aus dem Grunde gerissen, so
daß diese mannshoch über dem Boden emporragten und tief in das Loch
hinabhingen, welches sie in der Erde zurückgelassen hatten. In diese
Vertiefung sprang Daniel jetzt hinein, weil er durch das Wurzelwerk des
Baumes den Blicken der Feinde entzogen wurde und selbst doch zwischen
demselben hindurch nach ihnen hinsehen konnte. Nur mit dem Kopfe ragte
er über dem Erdboden empor, und vermochte die ganze Waldfläche nach den
Indianern hin zu übersehen; so sehr sein Auge sich aber auch anstrengte,
so konnte er doch Nichts von denselben gewahren. Er spähete unverwandt nach
den drei Bäumen hin, von wo die Schüsse gekommen waren, und hielt selbst
die sichere Doppelbüchse zum augenblicklichen Gebrauch fertig.

Die letzten Sonnenblicke waren verschwunden und der Abend breitete sein
Düster durch den Wald aus, während die Besorgniß des Negers um seinen
Gefährten von Minute zu Minute zunahm, und sich bis zu einer entsetzlichen
Angst steigerte.

Derselbe mußte nun bald an dem Ufer heraufkommen, die Wilden mußten ihn
in seinem sorglosen Schritt schon von Weitem kommen sehen, und dann war er
sicher verloren! Es trieb den Neger jetzt mit tödtlicher Angst heraus aus
seinem Versteck, damit Carl durch das viele Schießen vor der Gefahr, die
seiner harrte, gewarnt wurde, da sah er, wie der Wilde, der zuerst nach ihm
gefeuert hatte, mit Blitzesschnelle hinter der Eiche hervor und nach einer
andern, dem Ufer näher stehenden, hinrannte. Er führte es so schnell aus,
daß Daniel zwischen den Wurzeln, durch welche er blickte, ihm in seinem
Lauf nicht mit der Büchse folgen konnte, und dann wurde in demselben Moment
sein Blick auf noch zwei andere Indianer gezogen, die gleichfalls hinter
Bäumen standen, und die er früher nicht gesehen hatte.

Es waren deren also fünf und sie beabsichtigten, ihn bis an das Ufer des
Baches zu umzingeln; denn zwei derselben sprangen jetzt auf der andern
Seite näher nach dem Wasser hin. Der Wilde, der zuerst seinen Stand
gewechselt hatte, befand sich nun gerade in der Richtung, von wo Carl
herkommen mußte, und Daniel spähete an ihm vorüber nach der kleinen Anhöhe,
die sich in kurzer Entfernung hinter ihm erhob. In diesem Augenblick
erschien der Hut seines Gefährten über dem Hügel, und gleich darauf seine
Gestalt bis an die Brust.

»Indianer -- zurück, fliehen Sie!« schrie der Neger jetzt mit aller Gewalt
seiner Stimme seinem jungen Freunde zu, und winkte, indem er aus der
Vertiefung neben dem Stamm sprang, ihm mit seinem Hute entgegen. In
derselben Sekunde feuerten seitwärts von ihm zwei Indianer, doch ohne
Daniel zu treffen, der sich zugleich über dem Stamme aufrichtete und einen
dieser Wilden durch den Kopf schoß, noch ehe derselbe sich hinter den Baum
zurückziehen konnte. Mit einem furchtbaren Kriegsgeschrei stürzte der Neger
nun hinter dem Stamm hervor und auf den Indianer zu, der zwischen ihm
und Carl hinter der Eiche stand, der Wilde aber richtete seine Büchse ihm
entgegen und würde dem Leben Daniels wahrscheinlich ein Ende gemacht haben;
es blitzte aber in diesem Augenblicke von Carl her, und mit einem gellenden
Todesschrei brach der Indianer zusammen.

»Hurrah!« schrie Carl, daß es weit durch den Wald schallte, und sprang
seinem Freunde entgegen, und »Hurrah!« schrie Daniel und wandte sich den
drei anderen Indianern zu, die jetzt die Flucht ergriffen und wie Hirsche
zwischen den Bäumen davon sausten.

»Halt -- Du mußt zurückbleiben!« rief der Neger jetzt dem Letzten der
fliehenden Wilden zu und hob stillstehend sein Gewehr an die Schulter. »Du
bist ein Waco -- eine Schlange, und hast wohl einmal vom schwarzen Panther
gehört!«

Das Feuer fuhr aus der Büchse Daniels, und so blitzschnell auch der
Indianer in seinem Lauf hin und hergesprungen war, so hatte ihn doch die
Kugel des Negers erreicht, und er überschlug sich im Todessturze zwei --
drei -- viermal.

Carl hatte den Augenblick benutzt, sein abgeschossenes Rohr wieder zu
laden, Daniel aber unterbrach ihn darin, indem er seine Hand hastig ergriff
und seine Lippen darauf pressend ausrief:

»Der gütige Gott hat uns gerettet, junger Herr, ihm sei Lob und Dank
dafür!«

Freudebebend drückte er abermals Carls Hand an seinen Mund und sagte dann:

»Ich habe Ihnen wieder mein Leben zu danken, die Rothhaut hatte ruhig und
gut gezielt, ich fühlte schon in Gedanken die Kugel, da machten Sie Funken
und, wahrhaftig sie hatten nicht schlechter gezielt.«

»Und auch Du hast mir das Leben gerettet, Daniel, denn wenn Du mir nicht
gewinkt hättest, wodurch Du Dein eignes Leben aufs Spiel setztest, so
würde ich nichts von den Indianern gewahr worden sein, bis ich ihre Kugeln
gefühlt hätte. Du hast eben so viel, und noch mehr für mich gethan, wie ich
für Dich; denn auf mich wurde keine Büchse gerichtet.«

»Wir haben aber gut gefochten, die Teufel scheinen alle drei todt zu sein;
es sind Waco's, die allerschlechtesten, allergefährlichsten Indianer von
allen. Wir wollen uns aber doch zum Andenken ihre Waffen und ihren Schmuck
zueignen, und dann eilen, daß wir nach Hause kommen, sie werden im Fort
besorgt um uns sein,« sagte Daniel, indem er die Kugeln in seine Büchse
trieb und dann Zündhütchen aufsetzte. Zuerst gingen die Kampfgenossen
nun zu dem zuletzt erlegten Indianer, und fanden ihn todt auf dem Gesicht
liegend. Die Kugel war ihm in den Hinterkopf eingedrungen.

»Es war weit, deswegen hielt ich etwas hoch, ich habe aber ziemlich gut die
gerade Linie gehalten; es war mein schlechtester Schuß nicht,« sagte der
Neger, indem er dem Erschossenen die Kugeltasche, den Tomahawk und den
Schmuck abnahm, der in metallenen Armringen, Ohrringen und einem Halsband
aus Muscheln bestand. Dann ergriff er dessen Büchse und sagte:

»Sieh, der Lump hat nicht einmal nach uns gefeuert, die Büchse ist noch
geladen.«

»Warum riefest Du ihm denn zu, ob er einmal von einem schwarzen Panther
gehört habe?« fragte Carl, auf den Todten blickend.

»Ja so -- o, das ist nur so eine Redensart unter den Indianern,« antwortete
Daniel sichtbarlich verlegen, und ging seinem Gefährten voran zu dem zuerst
Gefallenen, dem die Kugel durch die Stirn gedrungen war. Sie nahmen ihm
gleichfalls Waffen und Schmuck ab. Auch den durch Carl erlegten Wilden
fanden sie todt, er war durch den Rücken geschossen. Carl belud sich
mit dessen Waffen, während Daniel dessen Schmuck zu sich nahm, und beide
begaben sich dann zu dem Biber, welchem der Neger die Drüsen mit Bibergeil
ausschnitt. Darauf band er ihm einen Busch an den Schwanz und warf ihn in
das Wasser, so daß der Busch aus demselben hervorsah; denn es war zu spät,
um ihm die Haut abzunehmen, die Daniel jedoch am folgenden Tage holen
wollte. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als die beiden Jäger die
Prairie erreichten, der neue Mond stand aber am Himmel, und sein mattes
Licht war hinreichend, den Heimkehrenden das Gehen zu erleichtern. Sehr
ermüdet langten sie beim Fort an und wurden durch das Bellen der Hunde
dessen Bewohnern schon von Weitem angemeldet.

Als sie das Thor erreichten, hatte Turner dasselbe bereits geöffnet und
trat ihnen mit einem »Gottlob« entgegen.

»Wo seid Ihr denn so lange geblieben? wir waren wirklich in Sorgen um
Euch,« sagte er, als sie durch das Thor einschritten, »das Wasser ist
aber aus dem Felde verschwunden; was war denn die Ursache von der
Ueberschwemmung?«.

»Eine Bibercolonie hatte in dem Pflaumenbach einen Damm gebaut, den wir
ihnen zum Aerger zerstört haben,« antwortete Daniel.

»Was habt Ihr denn da für Büchsen und sonst für Sachen?« fragte Turner
jetzt verwundert, da der Schein des Lichtes, womit Madame Turner in die
Hausthür trat, auf die beiden Jäger fiel.

»Wir haben sie von drei Waco-Indianern zum Geschenk erhalten, wenn auch
gegen ihren Willen,« entgegnete Daniel und setzte lachend hinzu, »nein, wir
haben sie von ihnen geerbt.«

»Mein Gott, Ihr habt doch wohl nicht mit Indianern gefochten?« sagte Madame
Turner erschrocken.

»Und ganz gut gefochten,« antwortete der Neger, indem er im Zimmer die
Büchsen an die Wand stellte und die andere Beute dabei niederlegte. »Wir
hatten fünf gegen uns zwei und haben drei von ihnen erschossen; die beiden
anderen mögen es ihren Kameraden als Warnung erzählen.«

Nun wurden theils durch Daniel, theils durch Carl die Begebenheiten
mitgetheilt, wobei den Lippen der Madame Turner und Juliens manches »Ach
und Oh« entfuhr.

»Die Hand des Allmächtigen hat über Euch gewacht, er sei gepriesen und
gelobt,« sagte Turner, als die Erzählung zu Ende war, und Madame Turner
trocknete unbemerkt die Thränen des stillen innigsten Dankes, die ihr in
die Augen getreten waren.

»Wenn die Ueberschwemmung nur unserm Mais keinen Schaden gethan hat,« nahm
Turner wieder das Wort, nachdem die Angelegenheit mit den Indianern lange
Zeit besprochen war.

»Im Gegentheil, er wird um so kräftiger emporschießen, das Wasser hat ihn
nur erfrischt,« entgegnete der Neger. »Da fällt mir ein: ich will Abends,
wenn wir das Fort schließen, immer das Kanoe bis zu dem Felsstück hier
unter dem Abhange rudern und auf der Leiter heraufsteigen; es könnte das
Schiff uns leicht durch die Indianer gestohlen oder zerstört werden, und
außerdem hat man es auch zur Hand, wenn man, wovor uns der Himmel bewahren
mag, dasselbe einmal zur Flucht nöthig haben sollte.«

Am folgenden Morgen, als Madame Turner zum Frühstück rief, hatte der Neger
schon einen Ritt gemacht und den Biber geholt. Nachdem er ihm das prächtige
Fell abgenommen und ihn sauber ausgeweidet hatte, übergab er ihn der
Hausfrau als einen vortrefflichen Braten, und bezeichnete dessen Schwanz
als einen ganz besondern Leckerbissen. Madame Turner hatte ihr Bedenken
dabei, ihn zuzubereiten, und meinte, das Thier habe ganz das Aussehen einer
großen Ratte; auf Daniels Versicherung und Carls Zureden jedoch versprach
sie, dasselbe auf den Tisch zu bringen.

Das Bibergeil nahm der Neger aus den Drüsen, that es in eine kleine
Bouteille, goß nur sehr wenig Cognac hinzu und verstopfte das Glas fest.
Nach dem Frühstück bestieg er sein Pferd, um nach dem Choctawbache zu
reiten und von den dortigen Ansiedlern Biberfallen zu borgen. Carl hätte
ihn sehr gern dorthin begleitet, doch als Madame Turner ihn bittend fragte:

»Willst Du denn mit Daniel reiten?« verzichten er sofort darauf und
erwiederte:

»O nein, es wird nicht nöthig sein, Daniel wird wohl allein die Fallen
herüberschaffen können.«

Er benutzte den Tag, um für seine Tante in dem Garten einige Beete
mit Gemüsen zu bestellen und für Julien ein Gestell zu einer Laube
aufzuschlagen, um welche er dann prächtig blühende Schlinggewächse
pflanzte, die er zu diesem Zwecke gelegentlich aus dem Walde mitgebracht
hatte.




Abschnitt 6.

  Biberfang. -- Die Bärin. -- Der graue Bär. -- Der Prairiebrand. -- Der
  wilde Rappenhengst.


Noch vor Sonnenuntergang kehrte Daniel zurück und zwar mit acht eisernen
Fallen, sogenannten Tellereisen, die um seinen Sattel herumhingen. Mit
großer Bereitwilligkeit hatten die Ansiedler am Choctawbache ihm dieselben
zum Gebrauch überlassen, zumal da die Biber aus jener Gegend schon
verschwunden waren. Die Nachricht von dem Sieg Daniels und Carls über die
Waco-Indianer war in der Niederlassung mit Jubel aufgenommen worden, ganz
besonders aber hatten Warwicks sich darüber gefreut, weil, wie der alte
Herr sagte, die Rothhäute eine gute Lehre dadurch erhalten hätten und nun
sobald nicht wieder kommen würden. Die Fallen setzte der Neger sogleich
sämmtlich in guten Stand und ölte sie ein, um am folgenden Tage die Jagd
damit zu beginnen. Nachdem die Pferde getränkt und in ihr Nachtquartier
gebracht worden waren, ruderte Daniel das Kanoe bis an das Felsstück unter
dem Abhange, stieg von da auf der Leiter in das Fort und zog dieselbe dann
wieder zu sich herauf.

Der folgende Tag wurde Carl sowohl, wie auch Arnold und Wilhelm unendlich
lang, denn erst gegen Abend wollte Daniel nach dem Pflaumenbache reiten, um
die Fallen zu legen, und den beiden jüngeren Knaben war es versprochen, mit
dabei zu sein. Endlich sattelte der Neger sein Pferd, Carl folgte seinem
Beispiel und für Arnold und Wilhelm wurden die beiden Schimmel aufgezäumt.
Die vier Reiter vertheilten die Fallen unter sich und hingen sie an
ihre Sättel und dann ritten sie vergnügt davon, während Turner das Thor
verschloß. Es war verabredet worden, daß einige Schüsse vom Fort her als
Aufforderung zur eiligen Rückkehr nach demselben gelten sollten, denn der
Wind stand nach dem Pflaumenbache hin, so daß man den Knall eines Gewehrs
sicher dort hören konnte.

Bald hatten die Reiter den Bach erreicht, da wo Daniel den Biber geschossen
hatte, die todten Indianer aber waren verschwunden. Die Pferde wurden
schnell an Bäume befestigt, worauf der Neger mit dem Legen der Fallen
begann. Er versenkte sie aufgestellt an dem Ufer in das Wasser und zwar an
solchen Stellen, wo dieses nicht mehr als einen halben Fuß tief war. Dann
nahm er ein dünnes Reis, tauchte dessen eines Ende in das Bibergeil und
steckte es mit dem andern Ende so in das Ufer, daß die angefeuchtete Spitze
gerade über der Falle auf den Wasserspiegel zeigte. An jede Falle hatte
Daniel einen Strick gebunden und an dessen Ende einen Busch, den er auf das
Ufer legte. Wenn nun in der Nacht ein Biber auf den Wasserspiegel kam und
das Bibergeil witterte, so lockte dies denselben zu sich heran, er kam
bis über die Falle geschwommen, trat auf dieselbe und mußte an dem Fuße
gefangen werden. Nach Verlauf von einer halben Stunde waren sämmtliche
Fallen in Entfernungen von etwa funfzig Schritt gelegt und die Jäger
begaben sich in gespannter Erwartung, wie viele Biber sich wohl fangen
würden, auf den Heimweg. Gleich nach Sonnenuntergang langten sie schon
wieder im Fort an, und Abends bei verschiedener Beschäftigung um den großen
Tisch wurde von Nichts als von den Bibern gesprochen, deren Felle so sehr
werthvoll waren.

Daniel sagte voraus, daß ganz gewiß in jeder Falle ein Biber sitzen würde
und daß er binnen einer Woche die ganze Colonie auszufangen gedenke.

Kaum graute der Tag, als die vier Reiter abermals zu Rosse waren und in
Galopp dem Pflaumenbache zujagten.

Die Knaben nahmen sich dort nicht einmal Zeit, die Pferde anzubinden,
sondern baten Daniel, dies für sie zu thun, während sie selbst zu der
ersten Falle liefen, und gleich den Busch auf dem Ufer vermißten. Er
schwamm unweit des Biberhauses auf dem Wasser, also mußte die Falle von
dem Gefangenen dorthin gezogen sein. Daniel kam nun mit einem sehr langen
Stock, an dessen Ende er einen hölzernen Haken befestigt hatte, und zog mit
demselben den schwimmenden Busch zu sich heran. Dieser wurde nun auf das
Ufer gezogen und als die Falle an dem Strick folgte, hing wirklich ein
todter Biber darin. Er hatte sich an einem Vorderfuß gefangen, war mit der
Falle in die Tiefe getaucht und hatte sich heftig gegen dieselbe gewehrt;
denn seine Bisse waren an dem Eisen zu sehen und die Schärfe seiner Zähne
war abgebrochen. Das schwere Eisen hatte ihn in der Tiefe gehalten und ihn
ertränkt; denn der Biber kann nur eine gewisse Zeit der Luft entbehren. Der
Jubel der Knaben war grenzenlos und mit größter Erwartung rannten sie zu
der zweiten Falle, die sie gleichfalls entführt fanden. Mit ihr aber kam
kein Biber, sondern eine Otter hervor, denn auch diese Thiere werden durch
Bibergeil herangelockt.

So ging es nun von einer Falle zur andern, und wie es der Neger vorher
gesagt hatte, so saß in jedem der Eisen ein Biber. Sieben dieser
werthvollen Thiere, deren Felle zu jeder Jahreszeit vollkommen gut im Haare
sind, und eine Otter waren die reiche Beute der verflossenen Nacht, und mit
neuen Hoffnungen wurden die Fallen wieder aufgestellt.

Die nächste Nacht lieferte nur vier Biber als Beute, und Daniel und Carl,
welche diesmal allein hinausgeritten waren, um die Fallen zu untersuchen,
wählten andere Plätze für dieselben, so daß die letzte Falle in der Nähe
des zerstörten Dammes zu stehen kam. Als sie am andern Morgen abermals
hinausritten, um nach dem Fang zu sehen, trennten sie sich, ehe sie den
Pflaumenbach erreichten; Carl nahm die gerade Richtung nach dem Damme hin,
und der Neger ritt nach dem kleinen See, den der Bach oberhalb bildete.
Carl drang auf einem alten, wenig benutzten Büffelpfad in den Wald ein,
der nach dem Biberdamme zu führen schien, aber sehr mit Ranken und Büschen
überwachsen war, so daß der junge Jäger viele Mühe hatte, sich den Weg
zu bahnen. Bald aber wurde dieser freier und der Falbe schritt rascher
vorwärts, als sein Reiter ihn anhielt, weil vor ihm ein alter umgefallener
Kiefernbaum den Pfad versperrte.

Die Entfernung bis zu demselben betrug nicht mehr als zwanzig Schritte,
und Carl schaute sich links und rechts um, auf welcher Seite er wohl am
leichtesten den Baum umreiten könne. In diesem Augenblicke erhob sich
an der andern Seite des Stammes eine große Masse von Kiefernbüschen und
trockenem Laube, es bewegte sich darin, rauschte und brach, und in der
Mitte der verworrenen dunkeln Masse kam plötzlich der Kopf eines riesigen
schwarzen Bären zum Vorschein. Carl hatte bei der Bewegung, die er hinter
dem Stamme bemerkte, die Büchse erhoben und darauf hingerichtet, und kaum
erschien der von ihm abgewandte Kopf des Ungeheuers, so gab er Feuer. Mit
dem Knall der Büchse versank die ganze erhobene Masse, und Carl warf sein
Pferd herum und jagte auf dem Pfade zurück, so schnell, als er sich in
dem Dickicht durchwinden konnte, nach der Prairie hinaus. Er lauschte und
lauschte, kein verdächtiger Ton aber drang zu seinem Ohr, dennoch wollte er
es nicht wagen, ohne Daniel in den Wald zurück zu reiten.

Nicht lange hatte er aber gewartet, als die laute Stimme des Negers aus
dem Holze her dringend seinen Namen rief, worauf er ihm mit allen Kräften
antwortete. Nach wenigen Minuten wand Daniel sich zu Fuß aus dem Dickicht
hervor und rief seinem jungen Freunde ganz außer Athem zu:

»Gottlob, daß meine Angst unbegründet war; als ich Ihren Schuß hörte,
fielen mir die verhaßten Waco's ein, und es ergriff mich die Furcht, sie
könnten nach Ihnen geschossen haben. Ich ließ mein Pferd zurück, weil ich
nicht damit durch die Dickung dringen konnte und bin wirklich schneller
hier angelangt, als ich glaubte, daß es möglich sei. Wonach haben Sie denn
geschossen?«

»Nach einem sehr großen Bären; er stand vor mir aus dem Laube unter einem
umgefallenen Baumstamme auf, und als ich seinen Kopf sah, gab ich Feuer.
Dann bin ich fortgejagt, und habe nichts weiter von dem Thiere gehört,«
entgegnete Carl.

»Nun, der wird auch wohl nicht viel mehr von sich hören lassen. Sie werden
ihn wahrscheinlich aus seinem Winterschlafe geweckt haben, denn es
ist jetzt die Schlafzeit der Bären, und hätten Sie ihn nicht tödtlich
getroffen, so sollte er wohl bald hinter Ihnen gewesen sein. Wir wollen ihn
aufsuchen, folgen Sie mir nur nach.«

Mit diesen Worten spannte Daniel seine Büchse und schritt rasch auf dem
Büffelpfad durch das Dickicht hin, indem er mit seinem Jagdmesser die
Ranken für den ihm folgenden Carl aus dem Wege hieb.

»Dort liegt der Baum, Daniel, nimm Dich in Acht,« rief Carl diesem zu,
und machte gleichfalls seine Büchse zum Schuß bereit; doch der Neger rief
lachend aus:

»Sie haben dem Freund Urian einen zu starken Schlaftrunk eingegeben, als
daß er noch einmal aus seinem Pallast hervorschauen sollte. Bleiben Sie
dort zurück, ich will mich um den Baum herumschleichen und sehen, wo der
Eingang ist.«

Hiermit sprang Daniel in das Dickicht hinein und erschien gleich nachher
auf der andern Seite des Baumes in einiger Entfernung von demselben.

»Es scheint unter dem Stamme eine Höhle zu sein, die mit trockenen
Kiefernzweigen bedeckt ist,« rief er seinem Gefährten zu, warf dann mit den
Worten, »Hallo, Bursche, ists gefällig aufzustehen?« ein Stück Holz gegen
den Stamm.

»Wahrhaftig, es bewegt sich unter dem Reisig!« rief er aus, und erhob die
Büchse. Nach einer Weile gespannter Aufmerksamkeit aber sagte er:

»Wissen Sie, was ich glaube? Sie haben eine alte Bärin geschossen, und die
Jungen sind es, die in dem Laube herumspringen. Wir wollen es bald genau
wissen.«

Hierauf trat der Neger nahe zu dem Baume hin und blickte mit vorgehaltener
Büchse durch die Kiefernzweige.

»Richtig, wie ich Ihnen sagte, hier schaut eine Hintertatze der Alten
hervor, sie liegt auf dem Rücken und zwei ganz kleine Bären sitzen auf ihr.
Die wollen wir lebendig mitnehmen, sie werden Ihnen tausend Spaß machen,
denn es sind allerliebste Thierchen.«

Indem Daniel dies sagte, stellte er seine Büchse an den Baum und beugte
sich in die Vertiefung unter denselben, aus welcher er zwei kleine Bären
hervorhob, die nicht viel größer als Kaninchen waren. Carl war vom Pferde
gesprungen und zu Daniel hingeeilt, wo er laut aufjauchzte, als er die
niedlichen Thiere erblickte, die ganz zutraulich seinen Finger in das Maul
nahmen und daran sogen. Sein Gefährte räumte nun die Zweige und das Laub
hinweg, worauf die ganze Bärin sichtbar wurde. Carl mußte ihm behülflich
sein, dieselbe aus ihrem Lager hervorzuziehen, wobei Beide alle ihre Kräfte
anzuwenden hatten.

Es war ein ungeheures Thier, welches wenigstens siebenhundert Pfund wog.

Carls Kugel war ihm von hinten in den Schädel eingedrungen. Daniel ging nun
allein nach dem Bach, um die Fallen zu untersuchen, während Carl bei den
kleinen Bären blieb, damit sie nicht abhanden kommen möchten. Nach Verlauf
von einer Stunde kehrte der Neger seinem Gefährten zurück, indem er sein
Pferd leitete, an dessen Sattelknopf vier gefangene Biber hingen. Dieselben
wurden nun neben die Bärin gelegt, ein Tuch wurde über ihnen aufgehangen,
um Raubthiere davon abzuhalten, und dann bestiegen die Jäger ihre Pferde,
indem ein Jeder von ihnen einen kleinen Bären in den Arm nahm. So langten
sie denn glücklich in dem Fort an, wo die verwaisten Kleinen große Freude
erzeugten, und durch ihre Zutraulichkeit und ihr spaßiges Wesen das Mitleid
Madame Turners, so wie Juliens erweckten. Daniel spannte schnell die
Schimmel vor den leichten Wagen und fuhr mit Carl nach dem Waldsaume am
Pflaumenbach zurück, um die Beute nach dem Fort zu schaffen. Dort nahm er
eines der Pferde vom Wagen, führte es in den Wald zu dem Bären, und ließ
diesen durch dasselbe nach der Prairie schleifen. Mit großer Anstrengung
wurde das schwere Thier endlich aufgeladen, Daniel holte noch die Biber
herbei, und nach Verlauf von einer halben Stunde langten sie wohlbehalten
in dem Fort an. Das kostbare Fett des Bären war Madame Turner sehr
willkommen, das Fleisch desselben wurde gesalzen und geräuchert, und
die ungeheure Haut ward getrocknet, um dann als Decke unter dem Tisch im
Wohnzimmer zu dienen.

Wie es Daniel vorhergesagt hatte, so war im Laufe von zwei Wochen die ganze
Bibercolonie ausgefangen. Vierunddreißig Biber waren erlegt, und nirgends
mehr war eine Spur von einem solchen Thiere zu entdecken. Der Werth der
erbeuteten und sauber getrockneten Felle betrug gegen zweihundert Dollar,
welche Warwick dafür an Turner bezahlte, um selbst noch beim Verkauf an
einen Pelzhändler einen kleinen Nutzen daran zu machen.

Dem Maisfeld hatte die Ueberschwemmung augenscheinlich wohl gethan, denn
die Pflanzen schossen ungemein kräftig empor. Die Freude und das Glück
der Ansiedler über diese herrliche Aussicht für ihre erste Ernte war
unbeschreiblich, denn sie nahm ihnen jede Nahrungssorge für ihre Zukunft.
Zwischen die Reihen der Maisstauden hatten die Kolonisten süße Kartoffeln,
Bohnen, Kürbisse und Melonen gelegt, so daß die Ernte eine überreiche und
vielseitige zu werden versprach.

»Könnten wir doch den armen Leuten in unserer alten Heimath unsern
Ueberfluß an Lebensmitteln und an Holz abgeben,« sagte Turner eines Abends,
als sie Alle um den Tisch herum saßen. »Der Segen in diesem Lande ist doch
unglaublich. Jetzt liegt in Deutschland die Natur noch im Winterschlafe,
und die Felder sind wahrscheinlich mit einer Schneedecke überzogen; wir
dagegen holen uns täglich frische Gemüse aus dem Garten, und diejenigen
Bäume und Sträuche, welche vor wenigen Wochen das vorjährige Laub verloren
hatten, treiben schon wieder junge Knospen. Und welchen Reichthum von Wild
haben wir hier gefunden! Hunderte von Hirschen und Antilopen können wir
fast täglich vor uns auf der Prairie weiden sehen, gar nicht der Tausende
von Büffeln zu gedenken, die so häufig die Umgegend, so weit das Auge
reicht, bedecken.«

»Und die Bären nicht zu vergessen,« fiel Madame Turner ein, »sie sind mir
der wichtigste Artikel in meiner Haushaltung; wie wollten die armen Leute
in Deutschland jeden Tropfen von deren kostbarem Oel verwenden!«

»Und doch haben die Bären hier schon abgenommen, gegen jene Zeit, als noch
kein Ansiedler am Choctawbache wohnte,« fiel Daniel ein. »Ich habe häufig
hier mit den Indianern, unter denen ich lebte, Jagd gemacht, und erinnere
mich recht gut, daß wir ein Dutzend starke Bären in einem Tage an diesem
Flusse schossen. Daher hat er ja auch seinen Namen. Auch trafen wir hier
einmal einen Grisleybären an; dies fürchterliche Thier tödtete uns einen
jungen Krieger, dessen Pferd es in vollem Laufe einholte und ihn dann von
demselben herabzog und zerriß.«

»Das ist ja erschrecklich; jetzt giebt es doch wohl hier solche Thiere
nicht mehr?« sagte Madame Turner entsetzt.

»Sie waren auch damals nur Fremdlinge in diesen flachen Gegenden. Ihre
Heimath ist in den weiter westlich liegenden Gebirgen, aus denen sie im
Winter, wenn dort die Nahrung spärlich wird, sich herab in die Niederungen
ziehen und dann in dem Walde am rothen Flusse mitunter bis in diese Länder
vordringen. Die Ansiedler aber bieten Alles auf, um ihrer gleich habhaft zu
werden, denn einen gefährlichern Feind für sich selbst und für ihre Heerden
giebt es nicht. Ein Grisleybär nimmt ein zweijähriges Pferd in die Arme
und trägt es fort. Auch holt er jedes Pferd auf die Dauer ein; denn seine
Kräfte halten länger aus, als die irgend eines andern Thieres. Ich habe
Grisleybären erlegen helfen, die gegen zweitausend Pfund wogen. Der Himmel
mag sie fern von uns halten, sonst wäre es bös für unser Vieh.«

»Das muß ja ein wahres Ungeheuer sein,« bemerkte Turner, »vor einem solchen
Thiere wäre ja Flucht kaum möglich.«

»Außer wenn man einen Baum ersteigen kann. Der Grisleybär kann zum Glück
nicht klettern,« entgegnete Daniel.

»Geht denn eine Kugel durch sein Fell?« fragte Carl.

»Das wohl, aber oft sind zwanzig Kugeln nöthig, um ihn zu tödten, wenn
nicht zufällig eine gleich auf den rechten Fleck kommt,« antwortete der
Neger.

»Nun, den Fleck könnte man ja wohl treffen,« bemerkte Carl lachend.

»Carl, Carl, Du wirst mir wahrhaftig zu dreist; der Himmel bewahre Dich
davor, mit einem solchen entsetzlichen Thiere zusammenzutreffen,« sagte
Madame Turner mit ängstlicher Betonung.

»Am sichersten ist der Schuß auf seinen Kopf, das heißt, wenn es nicht weit
ist, sonst muß man ihn kurz hinter das Schulterblatt und zwar ganz tief
schießen, denn das Herz des Bären liegt unten im Brustkasten,« nahm Daniel
wieder das Wort, und setzte noch tröstend hinzu: »Wir werden aber wohl
niemals einen solchen Besuch hier bekommen, denn der Grisleybär läßt sich
nur selten in der Nähe von Ansiedelungen sehen.«

Da der Mais die Thätigkeit der Kolonisten jetzt nicht in Anspruch nahm, so
benutzten dieselben die Zeit, um das Feld herum noch mehr Bäume zu tödten
und das Buschwerk abzuhauen, damit sie es im kommenden Herbste vergrößern
könnten. Auch fällten sie Bäume und spalteten daraus zwölf Fuß lange
Holzstücke, die sie dann zur Erweiterung der Einzäunung benutzen wollten.
Dies war die Ursache, daß während einer ganzen Woche Keiner von ihnen auf
die Jagd gegangen und kein frisches Wildpret auf den Tisch gekommen war.
Madame Turner bemerkte eines Abends beim Essen, daß sie wohl ein Stück Wild
zu haben wünsche, und Carl erbot sich mit Freuden dazu, am folgenden Morgen
hinauszureiten und einen Hirsch zu schießen. Arnold und Wilhelm baten, daß
sie ihn begleiten dürften; worin Turner einwilligte, unter der Bedingung,
daß sie sich nicht weit von dem Fort entfernen wollten.

Die beiden jüngeren Knaben waren schon ganz gute Reiter, da sie sich fast
täglich übten, indem sie die Pferde zum Wasser brachten, und sehr häufig
Abends, wenn die Kühe nicht bei guter Zeit zu Hause kamen, in die Prairie
hinausritten und das Vieh heimtrieben; dabei gab es denn manch lustiges
wildes Rennen. Turner hatte sich durch Warwick zwei mexikanische Sättel für
seine Knaben verschafft, in welchen man ungleich sicherer und fester sitzt,
weil sie einen hohen Sattelknopf und sehr hohe Rücklehnen haben. Zugleich
waren die Knaben schon recht gute Schützen, wenn auch nicht so gewandte
Jäger, wie Carl; denn Turner war zu ängstlich, um sie allein weit
hinausreiten zu lassen. Am folgenden Morgen sollten sie nun ihre erste Jagd
zu Pferde machen, und Carl sollte sie führen und über sie wachen, damit
ihnen kein Unglück zustoße; denn Daniel war mit dem Felde sehr beschäftigt,
und einen Hirsch konnten die drei Knaben ja leicht allein in der Nähe des
Forts erlegen.

Arnold und Wilhelm konnten kaum den Tag erwarten, und als dessen
erstes Licht erschien, waren sie schon mit den Vorbereitungen der Jagd
beschäftigt. Sie richteten Alles so ein, wie Carl es that, nur fehlten
ihnen die Revolver, welche jener heute umschnallte, und die schöne
Jaguarhaut, die derselbe auf dem Sattel liegen hatte.

Die beiden Schimmel wurden nach dem Frühstück für sie aufgezäumt, Turner
untersuchte selbst noch das Riemenzeug, und als er seinen beiden Söhnen in
die Sättel half, ermahnte er sie nochmals zur größten Vorsicht und sagte zu
Carl: »Du wirst gut auf sie Acht geben, Carl; Eines mußt Du mir aber noch
versprechen: daß ihr keine Büffeljagd machen wollt, hörst Du, mein Junge!«

»Nein, gewiß nicht, Onkel; wir schießen nur einen Hirsch, und dann kommen
wir gleich zurück,« entgegnete Carl mit seiner treuherzigen Stimme.

»Nun, so reitet mit Gott,« sagte Turner, während seine Gattin zu Carl
an das Pferd getreten war, und, ihm die Hand drückend, sagte: »Carl, sei
vorsichtig mit meinen Kindern, und kommt bald zurück.«

»Das trockene Gras ist so hoch, junger Herr, daß Sie sehr nahe an das Wild
hinanreiten können,« rief der Neger noch Carl zu. »Halten Sie dann die
Pferde an, binden Sie den Schimmeln die Füße zusammen, und schleichen
Sie sich mit Ihren Brüdern zu Fuße an die Hirsche. Sie können Arnold und
Wilhelm heute den ersten Schuß zukommen lassen, und nur noch nachhelfen,
wenn es nöthig sein sollte.«

Carl winkte dem Neger scheidend die Versicherung zu, daß er thun werde, wie
derselbe ihm angedeutet hatte, und lustig trabten die drei Knaben den Hügel
hinab bis in das hohe Gras, wo die Pferde von selbst in Schritt fielen.
Das Gras reichte den Thieren bis an den Bauch hinauf und war abgestorben,
während die jungen Halme schon Fußlang zwischen ihm emporstanden und auf
dem Grunde eine frischgrüne Decke bildeten. Carl nahm die Richtung nach
der Spitze des Waldes am Pflaumenbache, wo dieselbe in der Prairie endigte,
weil er dort immer das meiste Wild gesehen hatte. Auf dem Wege dahin
sprangen wiederholt Hirsche aus dem hohen Grase und flohen vor den nahenden
Reitern, doch vergebens strengte Carl seine Blicke an, weidendes Wildpret
von fern zu erkennen, um sich ihm vorsichtig nahen zu können.

Sie hatten die letzte Waldspitze erreicht, die nur aus einzelnen
hohen Bäumen bestand, und Carl hielt sein Pferd an, um unter demselben
hinzuspähen, ob dort nicht ein Hirsch zu erkennen sei. Nachdem er vergebens
eine zeitlang auch mit dem kleinen Fernglas den Wald durchschaut hatte,
sagte er zu seinen Kameraden: »Sonderbar, daß gerade heute hier kein Hirsch
steht, ich bin doch fast nie hier gewesen, ohne mehrere zu sehen. Man kann
hier so leicht von Baum zu Baum an sie schleichen. Es hilft uns Nichts, wir
müssen in die Prairie hinausreiten, dort nach jenen Waldinseln zu, die Ihr
wie blaue Wolken über dem Grase hervorblicken seht. Laßt uns weiter reiten,
wir treffen sicher bald Wildpret an.«

Hiermit lenkte Carl sein Pferd von der Waldspitze ab nach Westen in die
offene Grasflur, und Arnold und Wilhelm ritten zu seinen beiden Seiten.
Wohl eine Viertelstunde lang hatten sie während des Reitens eifrig sich
nach Wildpret umgesehen, als Carl in weiter Ferne vor sich ein Rudel
starker Hirsche erkannte, die sich vertraut äßten und mit einander
scherzten.

»Dort steht ein Rudel, seht dort, wo die zwei Mosquitobäume aus dem Grase
hervorragen; gleich links daneben.«

»Ja, ja, ich sehe sie!« sagten seine beiden Gefährten zugleich.

»Es ist noch sehr weit, wir können noch viel näher zu ihnen hinreiten. Es
sind starke Hirsche, ich kann schon von hier die Geweihe erkennen, denn der
Bast sitzt noch daran, was sie so dick macht. Beugt Euch aber etwas auf den
Hals der Schimmel, damit Eure schwarzen Hüte uns nicht verrathen,« sagte
Carl und neigte sich selbst nach vorn. Sie ritten in langsamem Schritt
vorwärts und die Formen der Hirsche wurden ihren Blicken immer deutlicher.

»Es sind neun Stück,« hub Carl wieder nach einer Weile an.

»Wollen wir noch nicht absteigen?« fragte Arnold in seinem Jagdeifer.

»Nein, noch nicht; ich will es Euch schon sagen, wenn es Zeit ist. Legt
Euch nur hübsch hinter die Hälse Eurer Pferde,« entgegnete Carl, indem
er neben dem Kopf seines Rosses nach dem Wild blickte. Plötzlich fuhr der
Falbe zusammen und machte einige Sätze vorwärts, indem er schnaubend seinen
Kopf hoch empor richtete und hinter sich blickte. Carl riß ihn angehalten
mit dem Zügel zurück, und schaute sich dann selbst um.

»Mein Gott, was kommt dort von der Waldspitze her -- seht Ihr es -- dort
über dem Grase -- es ist ein Bär -- aber kein schwarzer -- es ist ein
grauer Bär!« rief Carl, seinen Falben mit Gewalt zurückhaltend, während
auch die Schimmel schon das Weite suchen wollten.

»Ach Gott, Carl, was sollen wir thun? der holt uns ein. Laß uns nach dem
Fort zurückjagen!« rief Arnold entsetzt und Wilhelm jammerte: »Ach lieber
Gott -- Carl -- hilf uns!«

»Er hat uns den Weg nach dem Fort abgeschnitten. Seid aber nur ruhig, er
kann uns nicht einholen, unsere Pferde sind zu gut. Laßt den Schimmeln die
Zügel und folgt mir, treibt sie aber nicht an und sitzt fest im Sattel. Es
hat Nichts zu sagen, der soll uns wohl nicht kriegen. Vorwärts!« rief
Carl und ließ seinem Falben die Zügel schießen, der nun, von den beiden
Schimmeln gefolgt, über das hohe trockne Gras dahinsauste. Augenscheinlich
hatten die Thiere trotz der großen Entfernung den furchtbaren Feind
erkannt, denn sie wandten im vollen Jagen die Köpfe bald links bald rechts,
um nach dem Bären zurückzublicken, der in ungeheuren Sätzen über das Gras
heranstürmte und ihnen in Schnelligkeit vollkommen gleich blieb.

»Er bleibt schon zurück!« rief Carl jetzt seinen Brüdern zu, um sie zu
beruhigen, obgleich ein Blick nach dem Bären ihn überzeugte, daß derselbe
noch eben so nahe hinter ihnen war, als im ersten Augenblick der Flucht.
Er hielt seinen Falben gewaltsam zurück, da es ihm schien, daß die Schimmel
ihm nicht so schnell folgen konnten, gab ihm aber immer wieder die Zügel,
um die beiden Wagenpferde zu größerer Eile anzufeuern.

»Laßt nur die Zügel frei und treibt Euere Pferde etwas mehr an, dann wollen
wir bald in Sicherheit sein!« rief Carl, indem er sich nach seinen Brüdern
umsah, und zugleich einen Blick auf das schreckliche Thier warf, welches
immer in gleichem Sprunge ihnen folgte.

Schneller konnten die Schimmel nicht laufen, das sah Carl wohl ein, und er
wußte, daß sein Falber ihn mit Leichtigkeit von ihnen fortgetragen haben
würde; er hielt ihn aber zurück, so daß er nur einige zwanzig Schritte
vor seinen Kameraden hinsauste. Fort ging es in unausgesetztem Sturmlauf
vorwärts Hügel auf, Hügel ab, ohne daß die Entfernung zwischen den beiden
Rossen und dem ihnen folgenden Ungeheuer sich vermindert hätte. Meile
auf Meile blieb zurück, die Pferde bedeckten sich mit Schweiß, die weißen
Schaumflocken flogen von ihren Gebissen, und immer keuchender schnaubten
sie aus ihren weitausgespannten blutrothen Nüstern. Carl sprach seinen
Brüdern unaufhörlich Muth zu, und diese trieben die Schimmel mit Sporn und
Peitsche an; ihre Schnelligkeit aber begann nachzulassen, und der Bär kam
ihnen näher. Vor den Fliehenden hob sich jetzt rasch die Waldinsel deutlich
empor, und nach ihr hin richtete Carl seinen Lauf. Noch wußte er nicht, in
welcher Weise das kleine dichte Gehölz ihnen Hülfe bringen sollte, wenn es
aber eine Rettung gab, dann mußte sie dort gesucht werden. Näher und näher
rückten sie dem Wäldchen, und näher und näher kam ihnen der grimmige Feind.
Noch lagen nur hundert Schritte zwischen ihnen und dem Gehölz, als Carl
sein Roß noch mehr zurück hielt, so daß seine Brüder an seine Seite kamen.

[Illustration]

»Jetzt sind wir gerettet!« rief er ihnen zu, »sobald wir an dem Wäldchen
dicht vorüberjagen, biegt Ihr Beiden links um dasselbe herum, so daß der
Bär Euch nicht mehr sieht; ich bleibe etwas zurück, bis er mir ganz nahe
ist, und dann lasse ich meinen Falben rechts ab davon jagen. Der Bär wird
mir folgen, ich werde ihm aber bald aus den Augen sein, und dann komme ich
nach Hause. Eilt, so schnell Ihr könnt, von der Waldinsel nach dem Fort,
und sagt dort, daß der Bär mich nicht kriegen könnte, daß ich aber erst
spät nach Hause kommen würde.«

Das Wäldchen war erreicht, Carl blieb jetzt hinter seinen Brüdern zurück,
und rief ihnen zu:

»Vorwärts, jagt um das Holz herum und dann nach Hause, ich komme bald
nach.«

Dabei parirte er sein Pferd, das sich wild und entsetzt bäumte, denn der
Riesenbär kam herangestürzt und war nur noch kaum hundert Schritte von ihm
entfernt. Carl sah ihn an, er bebte aber nicht, denn er sah im nächsten
Augenblick seine Brüder um das Gehölz verschwinden. Jetzt ließ er dem
Falben abermals die Zügel schießen und jagte rechts vom Holze ab in die
Prairie hinaus. Seinen Blick aber hielt er nach dem Ungeheuer gerichtet, ob
es ihm auch folgen würde.

»Gottlob!« entfuhr Carls Lippen, als er den Bären hinter sich sah, und nun
sprach er dem Falben zu, sein Bestes zu thun. Kaum fühlte das brave Thier
die freien Zügel, kaum hörte es den aufmunternden Ruf seines Reiters, da
flog es davon, als ob seine Hufe den Boden gar nicht berührten, und der Bär
blieb weit zurück.

»Gottlob!« sagte Carl abermals, als er gewahrte, daß der Feind ihm nicht
so schnell folgen konnte, und »Gottlob!« rief er laut aus, als er nach der
Insel zurückblickte, und an deren anderer Seite seine beiden Brüder schon
in weiter Ferne davonjagen sah.

»Nun sollst du mich wohl nicht kriegen, du abscheuliches Thier,« dachte
Carl, und schmeichelte seinem Falben, indem er ihm den nassen Hals
liebkosend klopfte. Bald war der Bär mehrere tausend Schritte hinter dem
entschlossenen Knaben zurück und derselbe athmete wieder freier auf. Er
ließ seinem Pferde jetzt freien Willen, denn daß der Bär ihn nicht einholen
konnte, das war ja gewiß; dennoch schaute er immer nach demselben zurück,
in der Hoffnung, daß er die Jagd aufgeben würde. Der Bär veränderte weder
seinen Sprung, noch seine Eile, und stürmte in der Bahn vorwärts, die der
Falbe in dem Gras gebrochen hatte. Die Insel verschwand hinter Carl in
blauem Duft und vor ihm hob sich ein Waldstrich aus der Prairie empor,
der sich weit am westlichen Horizont hinzog. Das mußte der Wald sein, von
welchem ihm Daniel oft erzählt hatte, daß er nur aus einzeln stehenden
Lebenseichen bestehe, deren Kronen ein dichtes Laubdach bildeten, während
der Boden mit einer feinen Grasdecke überzogen sei. Den Wald mußte Carl zu
erreichen suchen, so dachte er und trieb jetzt seinen Falben stärker an,
denn dessen Schnelligkeit hatte abgenommen, und es schien dem Knaben, daß
der Bär wieder etwas näher gekommen sei. Das Pferd gehorchte im Augenblick
jeder Anforderung seines Reiters, aber jedesmal auf kürzere Zeit, dann ließ
es wieder im Laufe nach. Seine Sprünge wurden kürzer und mühsamer, sein
Athem wurde schwer, und Carl erkannte es zu seinem Schrecken, das die
Kräfte des edlen Thieres schnell abnahmen. Im Laufe des Bären war keine
Aenderung.

Die Möglichkeit, daß das furchtbare Ungethüm ihn einholen könne, fing an,
in dem Knaben mehr und mehr zur Gewißheit zu werden, und die dann nöthige
Vertheidigung vereinigte jetzt mit aller Willenskraft seine ganze geistige
Thätigkeit.

Der Schuß durch den Kopf und der durch das Herz des Thieres mußten ihm
gelingen, davon war Carl überzeugt, und dann war er und der Falbe gerettet.
Wie aber, wenn die Kugeln dennoch nicht den rechten Fleck träfen? Der graue
Bär konnte aber nicht klettern, hatte Daniel gesagt, und der Eichenwald
war ja schon ganz nahe vor Carl, ein Baum sollte ihm Schutz und dem Pferde
Rettung bringen! Jetzt drückte der Knabe beide Sporen fest in die nassen
Flanken des treuen Rosses, und nochmals stob dasselbe fliegend dahin, und
abermals ließ es den Bären weiter zurück. Die Eichen waren erreicht und
in sausender Carriere jagte Carl zwischen ihnen hindurch, indem er weithin
nach einem Baume spähete, der seinem Zweck entsprechen würde. Noch hatte er
mehrere tausend Schritte Vorsprung vor seinem grimmen Verfolger, da hielt
er plötzlich das Pferd vor einer Eiche an und sprang im selbigen Augenblick
aus dem Sattel.

Ein Schlag mit der Peitsche und die in der Ferne heranstürmende
Riesengestalt des Bären trieben den Falben in wilder Flucht davon, während
Carl die Büchse um den Nacken hing und den nicht starken, aber rauhen
Stamm der Eiche erklomm. Nach wenigen Augenblicken stand er auf den ersten
Aesten, die wohl funfzehn Fuß über der Erde erhaben waren, und nahm die
Büchse vom Nacken, um sie zum Gebrauch fertig zu machen. Jetzt hörte er die
schweren Tritte des Bären nahen, die Erde dröhnte unter seiner Wucht und
Carl konnte deutlich das laute Aechzen seines Athems vernehmen.

Da kam der Bär unter den Eichen her, gerade auf den Baum zu, auf welchem
Carl stand. Wie aber, wenn derselbe vorüberrennen und dem Pferde folgen
sollte -- dann wäre dasselbe verloren! In schwerfälligen ungeheuren Sätzen
stürzte der Bär jetzt zwischen den nächsten Stämmen hervor, Carl hatte die
Büchse auf ihn gerichtet, er gab Feuer, und riß den Hut vom Kopf, den er
dem Ungeheuer vor die Füße warf, in dem Augenblick, als dasselbe den Baum
erreichte. Mit einem dumpfen Wuthgebrüll fiel der Bär über den Hut her und
schlug seine Zähne und Klauen in den Filz ein, da blitzte es zum zweiten
Male vom Baum herab, und im Schuß rollte der Bär kopfüber. Im nächsten
Augenblick aber richtete er sich wieder empor und sah zähnefletschend nach
dem Schützen hinauf. Er sprang an dem Stamme in die Höhe und schlug mit den
Riesentatzen nach seinem Gegner, reichte jedoch nicht ganz bis an den Ast,
auf dem Carl stand, und dieser sah, wie ihm das Blut vom Kopf und von der
Seite herabströmte. Mit einem furchtbaren Wuthausbruch faßte der Bär den
Baumstamm und schüttelte ihn, als wolle er ihn aus der Erde reißen. Carl
aber hatte den Revolver gezogen, hielt ihn dem brüllenden Umgethüm entgegen
und feuerte in dessen weitgeöffneten Rachen.

Der Bär umklammerte nach dem Schusse mit den Vordertatzen den Stamm und
stieß ein röchelndes dumpfes Brummen aus. Carl aber richtete den Revolver
nun mitten auf den Kopf des Thieres und mit dem Knall sank dasselbe
zuckend, und an allen Gliedern zitternd, am Stamme nieder.

»Gott sei gelobt und gedankt!« rief Carl aus und faltete seine Hände, indem
er die Waffen in den Armen an sich drückte und mit thränenfeuchtem
Blick zum Himmel über sich schaute. Dann sah er wieder hinab, da lag das
Ungeheuer zu seinen Füßen hingestreckt, doch das Leben war noch nicht ganz
aus ihm gewichen. Carl schob den Revolver in den Gürtel und ladete, so
schwierig es ihm auch wurde, seine Büchse wieder, denn ehe er sich zu dem
Thiere hinabbegeben wollte, mußte er von dessen Tod überzeugt sein.
Er schoß ihm nun noch eine Büchsenkugel durch den Schädel, worauf jede
Bewegung des Bären aufhörte und Carl sich an dem Stamme herabließ. Einige
Augenblicke stand er erstaunt vor dem todten Riesenkörper, dann aber dachte
er an seinen Falben und beschloß, dem treuen Thiere sofort zu folgen. Er
ladete schnell den abgeschossenen Lauf, suchte nun die Spur des Pferdes,
der er dann mit mit raschen Schritten folgte; denn das Gras war seiner Eile
nicht hinderlich.

Die Sonne stand hoch am Himmel und Carl war durch die ungewöhnlichen
Anstrengungen sehr ermüdet, der Schatten aber, den das dichte Laubdach
der immergrünen Eichen gewährte, und die frische Luft, die unter demselben
hinzog, thaten ihm wohl und ließen ihn wieder zu Kräften kommen. Das Gras
war sehr fein und nicht lang, so daß er jeden Tritt seines Pferdes leicht
erkennen und ihm ohne Unterbrechung folgen konnte, während sein Blick
sehnlichst und besorgt auch in die Ferne schweifte, ob er das geliebte Roß
nicht erspähen könne.

Um diese Zeit naheten sich seine geretteten Brüder dem Fort. Kaum konnten
die Schimmel sich noch im Galopp erhalten, so sehr die Peitschen und Sporen
der Knaben sie auch antrieben.

Immer noch wandten diese bebend ihre ängstlichen Blicke zurück über die
weite Grasflur, und meinten, sie müßten im nächsten Augenblick wieder das
entsetzliche Thier hinter sich herstürmen sehen. Auch die Pferde hatten das
Ungeheuer noch nicht vergessen, denn auch sie blickten sich oft
schnaubend um, und stürzten vorwärts, als wollten sie laufen, bis sie todt
zusammenbrächen. Der Anblick des Forts gab den Rossen und Reitern wieder
Trost und ließ sie ihre Erschöpfung vergessen, und mit fliegenden Mähnen
und verhängten Zügeln jagten sie mit den letzten Kräften durch das hohe
Gras dem heimischen Hügel zu.

Madame Turner hatte wohl eine Stunde über die gewohnte Zeit mit dem
Mittagsessen auf die Rückkehr der Knaben gewartet, und ging jetzt hinaus
vor das Fort zu ihrem Gatten und zu Daniel, welche schon seit einiger
Zeit dort gesessen hatten, um nach den jungen Jägern auszuspähen. Noch war
Nichts von ihnen zu sehen, und auch Julie war hinzugetreten, als Madame
Turner sagte:

»Wo mögen die Jungen nur so lange bleiben, sie wollten sich doch nicht weit
entfernen.«

»Sie werden wohl einen Hirsch angeschossen haben und ihn verfolgen.
Man weiß stets, wann man auf die Jagd geht, nie aber, wann man von ihr
zurückkommen wird,« bemerkte Daniel.

»Daß man aber gar Nichts von ihnen sehen kann und daß wir auch keinen Schuß
gehört haben!« sagte Turner mit sichtbarer Unruhe.

»Wenn ihnen nur kein Unglück zugestoßen ist. Wir hätten sie doch nicht
sollen allein reiten lassen,« fiel Madame Turner ein.

»Carl ist ja dabei und er ist ein eben so guter Schutz, als ob ich
mitgeritten wäre. Seien Sie ohne Sorgen, er wird die beiden Knaben
wohlbehalten zurückbringen,« versetzte der Neger.

»Dort sehe ich Etwas herankommen, ich glaube es sind die Schimmel,« fiel
Julie plötzlich ein, und zeigte in die flache Ferne.

»Das sind sie -- in voller Jagd -- sie haben Etwas angeschossen!« sagte
Daniel und hielt die Hand über die Augen, um schärfer spähen zu können.

»Mein Gott -- ich sehe den Falben nicht -- nur die beiden Schimmel kann
ich erkennen!« rief der Neger nach einer Weile und setzte mit ängstlicher
Stimme noch hinzu: »Das ist auch keine Jagd das sieht mir aus wie Flucht;
da ist Etwas geschehen, -- sie kommen ja in gerader Richtung auf uns zu --
Carl ist nicht dabei!«

»Um des Himmels Willen, wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist!« sagte
Madame Turner und preßte ihre gefalteten Hände bebend zusammen.

Schweigend, und von Schrecken erstarrt, hefteten Alle ihre Blicke auf die
beiden heranjagenden Knaben und ihre Angst, ihr Entsetzen steigerte sich
mit jedem Sprunge, den die Schimmel über das Gras thaten.

Bald erkannten sie auch an den Bewegungen der Pferde deren große
Erschöpfung, sahen, wie die Knaben sie mit den Peitschen zur Flucht
antrieben, und wie den Thieren der weiße Schaum von den Gebissen flog.

»Wo ist Carl, um Gottes Willen, wo ist Carl?« riefen Alle zugleich den
Knaben entgegen, als dieselben in Galopp den Hügel heraufgesprengt kamen,
und »wo ist Carl?« wiederholten Alle, als Turner und Daniel sie aus den
Sätteln hoben.

»Ein grauer Bär!« war Alles, was die entsetzten Knaben hervorstammeln
konnten, die sich jetzt weinend in die Arme ihrer Eltern schmiegten.

Daniel hatte aber kaum das Wort »Bär« gehört, als er in das Gras
hinunterstürzte, sein Pferd von dem Strick befreite und mit ihm nach dem
Fort zurückrannte.

In wenigen Minuten hatte er es gesattelt, hatte seine Waffen ergriffen,
und trat nun zu Turners in das Haus, um noch weitere Auskunft über Carls
Schicksal zu erhalten, ehe er sich zu dessen Auffinden entfernte.

Er fand die ganze Familie in Thränen und Jammer, denn jetzt hatten die
Knaben den Hergang der unglücklichen Begebenheit erzählt. Mit lautem
Schluchzen und Wehklagen empfingen Turners den treuen Neger, und machten
sich die bittersten Vorwürfe, daß sie ihre Zustimmung zu der Jagd gegeben
hatten.

»Noch ist nicht Alles verloren,« sagte Daniel tröstend, »der Falbe ist
ein edles Pferd und Carl ein guter Reiter. Er hat die Richtung nach dem
Eichenwald genommen, und er wußte, daß der graue Bär nicht klettern kann.
Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß der Himmel ihn beschützt hat.«

Hiermit sprang der Neger hinaus zu seinem Pferde, schwang sich in den
Sattel und sprengte in fliegendem Lauf der Waldspitze am Pflaumenbache
zu. In sehr kurzer Zeit hatte er dieselbe erreicht und dort auch die
Riesenfährte des Bären erkannt. Im Galopp folgte er derselben nach der
Waldinsel, wo Carl seine Brüder gerettet und den Blutdurst des Raubthieres
auf sich selbst gelenkt hatte. Hier fand Daniel nun die Fährte des Falben
mit der des Bären zusammen, und sie führten ihn dem Eichenwalde zu.

Der Himmel hatte sich mit grauem Gewölk überzogen und ein heftiger Wind war
von Süden her aufgesprungen, als der Neger den Wald erreichte, unter dessen
Laubdach das immer dort herrschende Düster schon durch den einbrechenden
Abend vermehrt wurde. Dennoch konnte Daniel von seinem Pferde herab
die Fährten des Falben und des Bären erkennen, wenn er ihnen auch mehr
Aufmerksamkeit schenken mußte, als in dem hohen Grase der Prairie, wo die
zerrissenen und niedergedrückten Halme dieselben auf weithin bezeichneten.
Er mußte seiner Eile, seiner Sehnsucht aber Gewalt anthun und im Schritt
reiten, um nur die Fährten nicht zu verlieren. Bald aber wurde es so
düster, daß er dieselben vom Sattel herab nicht mehr erkennen konnte,
weshalb er abstieg und sein Pferd führte. Mit schwerem Herzen ging er von
Baum zu Baum und suchte den Gedanken zu bekämpfen, daß er plötzlich den
Fleck erreichen würde, auf welchem sein junger Freund ein Opfer seines
edlen Herzens geworden -- und durch das fürchterliche Thier gemordet war.
Er mußte der zunehmenden Dunkelheit wegen gebückt gehen, um die Fußtapfen
des Bären erkennen zu können, schritt aber immer noch mit möglichster Eile
vorwärts, als er plötzlich aufsah und sein Blick auf das getödtete Ungethüm
fiel.

»Gerettet, gerettet, mein junger Herr ist gerettet!« schrie der Neger laut
zum Himmel auf und hob seine Hände gefaltet empor, dann zog er sein Pferd
im Trabe hinter sich her zu dem Bären, bei dem er niederfiel, um sich
zu überzeugen, daß er durch Carls Kugeln getödtet sei. Bei seiner
Herzensfreude jubelte er hell auf, ließ seinen gellenden Jagdruf durch den
Wald ertönen und feuerte die beiden Rohre seiner Büchse ab. Antwort wurde
ihm keine andere gegeben, als die, welche eine Eule ihm klagend zurief; der
Neger aber lachte lustig auf und sagte: »Du lügst, ich habe bessere Kunde
von meinem jungen Herrn!«

Carl war schon zu weit von Daniel entfernt, als daß er dessen Schüsse hätte
hören können.

Er war während des ganzen Nachmittags den Huftritten seines Rosses
unermüdlich gefolgt, bald rechts, bald links, bald vorwärts, bald
rückwärts, so daß er zuletzt gar nicht mehr wußte, in welcher Richtung
er gehe, denn die Sonne hatte sich versteckt, und seinen Compaß hatte er
unglücklicherweise zu Hause gelassen. Es war ihm aber im Augenblick auch
ganz einerlei, wohinaus er ginge, denn er stand ja immer noch auf der
Fährte seines Falben, und das war der beste Wegweiser, den er jetzt sich
wünschen konnte. Lange Zeit hatte die Fährte deutlich gezeigt, daß das
Pferd flüchtig gewesen war, dann aber hatte es sich in Trab gesetzt, und
nun erschienen die Fußtritte im Schritt. Es war um dieselbe Zeit, als
Daniel den Bären fand, daß Carl nur noch mühsam die Fährte seines Rosses
erkennen konnte, und mit traurigem, verzweifelnden Herzen blickte er zu
dem grauen Himmel auf, weil er befürchtete, daß ein schwerer Regen jedes
Kennzeichen von dem Wege verwischen würde, welchen der Falbe eingeschlagen
hatte. An sich selbst dachte er noch gar nicht, er fühlte keine Müdigkeit,
keinen Hunger, keinen Durst; das heiße Verlangen, sein braves Pferd
wiederzufinden, erdrückte jedes andere Gefühl in ihm. Jetzt wurde er irre
in der Fährte, es war zu dunkel, um sie noch zu erkennen; er beschloß
daher, hier unter einer alten Eiche zu schlafen und am folgenden Morgen
sein Suchen wieder zu beginnen.

Er stellte seine Büchse an den Baum und war im Begriff, seine Jagdtasche
abzulegen, als er in der Ferne unter den Eichen eine Bewegung bemerkt zu
haben glaubte. Er fuhr zusammen, denn die Hoffnung, die ihn bis hierher
begleitet hatte, erwachte in dem Augenblick wieder mit aller Stärke. Er
verwandte keinen Blick von jenem Fleck zwischen den schwarzen Stämmen,
und da bewegte es sich abermals. Schnell hatte er die Büchse ergriffen und
sprang von Baum zu Baum, jedoch vorsichtig dem sich bewegenden Gegenstand
zu, der vor seinem Blick immer heller erschien, bis er plötzlich die
gefleckte Jaguarhaut auf der unbestimmten Form seines Falben erkannte.

»Falber, Falber!« schrie er dem Pferde zu, um sich ihm zeitig zu erkennen
zu geben, damit das geängstigte Thier nicht etwa die Flucht vor ihm
ergreifen möge, und ging nun mit liebkosenden, zutraulichen Worten näher
und näher zu ihm hinan.

Das Pferd hatte ihn bald erkannt, wieherte ihm freudig entgegen, und als
Carl mit den Worten zu ihm trat: »Ja, Falber, ehrlicher Falber, freuest Du
Dich denn, daß ich wieder bei Dir bin?« da wieherte das Thier abermals und
legte seinen Kopf auf die Schulter seines jungen Herrn.

Carl war im Begriff, dem Pferde Sattel und Zeug abzunehmen, da erkannte er
weiterhin unter den Eichen einen Gebüschstreifen, und er zog es vor, dort
sein Nachtlager aufzuschlagen, weil er in dem Dickicht weniger leicht
gesehen werden konnte, und die Dunkelheit ihn noch nicht genug verbarg.
Er führte sein Pferd nach dem Gebüsch hin und fand in demselben zu seiner
größten Freude ein frisches Quellwasser, welches wahrscheinlich den Falben
herbeigelockt hatte; denn derselbe war schon dabei gewesen, wie dessen
Huftritte in dem weichen Boden zeigten.

Für Carl war diese Entdeckung eine große Wohlthat, denn jetzt, da sein
Verlangen nach dem Pferde gestillt war, fühlte er seine Erschöpfung und
einen brennenden Durst.

Er warf sich an den Quell nieder, und als er sich nach Herzenslust daran
gelabt hatte, nahm er dem Falben Sattel und Zaum ab und band ihn mit dem
Seil, welches derselbe zu diesem Zwecke um den Hals trug, an ein junges
Bäumchen, damit er noch in dem üppig grünen wilden Roggen weiden könne, der
zwischen den Büschen den Boden bedeckte.

Dann legte Carl sein Jagdgeräth ab, breitete seine Jaguarhaut unter einer
alten Eiche aus, und ließ sich darauf nieder, um nun der Ruhe zu pflegen,
die ihm so sehr nöthig war. Madame Turner hatte ihm am frühen Morgen, wie
sie immer zu thun pflegte, wenn Carl auf die Jagd gehen wollte, ein Stück
Brod und etwas Fleisch in die Jagdtasche gesteckt, dies holte er jetzt
hervor und stillte seinen Hunger damit, der sich auch nun fühlbar gemacht
hatte.

Carl meinte, so gut habe ihm noch niemals eine Mahlzeit geschmeckt, er
fühlte sich dabei so froh und so beglückt im Herzen, denn er dachte an
seine geretteten Brüder und an den Jubel, den ihre Rückkehr nach der
überstandenen Gefahr im Fort erzeugt haben mußte. Freilich wußte er, daß
Turners sehr besorgt um ihn sein würden, er hatte ihnen ja aber sagen
lassen, daß er vielleicht spät nach Hause kommen könne und mit dem ersten
Tageslicht wollte er ja auch seinen Rückweg nach dem Fort antreten.

Wo hinaus aber lag das Fort? -- darüber war Carl mit sich nicht eins, er
tröstete sich aber damit, daß Morgen die Sonne scheinen würde und er nur
ihrem Aufgange entgegenzureiten brauche, um an den Bärfluß zu gelangen;
denn derselbe floß ja von Süden nach Norden in den rothen Fluß.

Dieserhalb beruhigt, und mit dem beseligenden Bewußtsein, eine gute That
vollbracht zu haben, sank er bald auf seinen Sattel zurück und verfiel in
einen süßen, stärkenden Schlaf.

Der Wind nahm von Stunde zu Stunde an Heftigkeit zu, er pfiff und heulte
durch die alten Eichen, schüttelte ihre gewaltigen Aeste und warf ihr
trockenes Holz von ihnen auf die Erde nieder; Carl hörte nicht, was um ihn
her vorging und fühlte nicht, wie der Wind in seinen reichen Locken wühlte,
er schlief den Schlaf der Guten und träumte von seinen Brüdern. Kaum aber
graute der Tag, als er erwachte und sich verwundert umblickte, denn im
ersten Augenblick wußte er nicht, wo er war.

Der Falbe wieherte laut auf, als er die Bewegung seines Herrn sah, und Carl
ermunterte sich schnell und sprang zu dem Pferde, um dasselbe auf einen
andern Weideplatz zu führen. Zugleich hörte er etwas weiter an dem Wasser
hinunter den kollernden Ruf von wilden Truthühnern, womit sie den Morgen
begrüßten. Carl hatte nichts mehr zum Essen bei sich, deshalb ergriff er
seine Büchse und sprang schnell in das Buschwerk dem Rufe der Truthühner
nach. Er gelangte an die letzten Büsche, als er wohl fünfzig dieser
kolossalen Vögel aus demselben hervor und unter den Eichen hinrennen sah.

Ihr Lauf war so flüchtig, wie der eines Pferdes, doch Carl hatte schnell
einen der größten Hähne unter ihnen gewählt und sandte ihm seine Kugel
nach. Sie traf, der Vogel stürzte, mit den Flügeln um sich schlagend,
zusammen, und Carl trug ihn eilig nach seinem Lagerplatz. Dort zündete er
sogleich ein Feuer an, schnitt die besten fettesten Stücke Fleisch von
der Brust des Vogels, spießte sie an einen Stock und pflanzte sie vor der
Feuergluth zum Braten auf. Das Frühstück war bald bereitet und schmeckte
Carl vortrefflich, als er es aber beendet, eilte er, sich zum Nachhauseritt
fertig zu machen, denn er wußte, wie sehr man nach seiner Rückkehr
verlangen würde.

Der Falbe hatte sich in dem fetten wilden Roggen tüchtig etwas zu Gute
gethan, er wurde rasch gesattelt und Carl schwang sich auf ihn hinauf, mit
dem freudigen Gedanken daran, welcher Jubel ihn im Fort empfangen würde.
Die Sonne war nicht erschienen, der hohe Himmel war mit einem hellen
einfarbigen Grau überzogen und der Wind blies mit einer solchen Gewalt
durch die Bäume, daß ihre Aeste wild umherschlugen und knarrten und
krachten. Carl beschloß nun, auf der Fährte des Falben seinen Rückweg nach
dem Bären zu suchen, denn von dort aus konnte es ihm dann nicht mehr schwer
werden, sich nach Hause zu finden. Das niedergetretene Gras hatte sich aber
während der Nacht in den Huftritten wieder aufgerichtet, der Wind hatte die
Halme über denselben vereinigt, und es war unmöglich, sie noch zu erkennen.
Carl blickte verlegen um sich, denn er wußte wirklich nicht, wohinaus er
reiten sollte. Die Richtung, von woher er am Abend zuvor den Falben zuerst
erblickt hatte, glaubte er jedoch zu erkennen und hiernach wählte er seinen
Weg; denn geritten mußte werden. Er setzte sein Pferd in Trab und ließ
seine Blicke über den Boden schweifen, in der Hoffnung, doch wohl einmal
des Falben Spur vom vergangenen Tage zu finden; doch es gelang ihm nicht,
so aufmerksam er auch war. Wie hätte dies auch geschehen können, er ritt
ja ganz in der entgegengesetzten Richtung von der, welcher er zu folgen
glaubte; er ritt nach Westen, und das Fort lag hinter ihm in Osten. Als
er nun glaubte, in die Nähe des Bären zu kommen, strengte er seine
ganze Sehkraft an, um ihn zu entdecken, aber vergebens; er ritt und ritt
stundenlang in gleicher Richtung vorwärts, vom Bären sah er nichts, und
plötzlich befand er sich an dem Rande des Eichenwaldes, wo derselbe sich
an die Prairie anlehnte. Mit aller Zuversicht, daß er sich auf dem rechten
Wege nach dem Bärflusse befinde, ritt er in das hohe trockene Gras hinaus,
dessen lange Halme der Sturm in einander verwirrt hatte. Das Gehen wurde
dem Pferde mitunter in den Vertiefungen der Prairie beschwerlich, weil dort
das Gras ihm bis an den Sattel reichte, auf den Höhen aber munterte Carl es
zur Eile auf, und willig folgte das Thier dem Wunsche seines Reiters. Jetzt
stieg eine Waldinsel vor Carls Blick empor, und er bewillkommnete sie als
das Wäldchen, welches seinen Brüdern Rettung gebracht hatte; nun war er
sicher, daß er ohne Schwierigkeit seinen Weg nach dem Fort finden würde.
Er kam näher und näher und immer mehr überzeugte er sich, daß es dasselbe
kleine Gehölz sei, in dessen Nähe er sich gestern von seinen Brüdern
getrennt hatte. Auch selbst, als er dasselbe erreichte, glaubte er noch,
die einzelnen Bäume zu erkennen, und daß er von der Spur des Bären nichts
mehr sah, war ja bei diesem Sturm nicht zu verwundern. Er ritt getrost
weiter, mußte aber seinen Hut tief auf den Kopf drücken, damit ihm derselbe
nicht davon flog. Der Wind steigerte sich mehr und mehr, bis er um die
Mittagszeit als entfesselter Orkan von Süden her über die unabsehbare
Grasfläche brauste. Vergebens suchte Carls Blick in der Ferne den Wald des
Bärflusses zu entdecken, der seiner Berechnung nach schon sichtbar sein
mußte, und ein unheimliches Gefühl der Ungewißheit über die eingeschlagene
Richtung drängte sich ihm unwillkürlich auf. Es fiel ihm jetzt auch auf,
daß er ungewöhnlich viele Thiere auf der Prairie in Bewegung sah, und zwar
mit einer Unruhe, die er früher nie so allgemein an ihnen bemerkt hatte.
Namentlich kamen deren immer mehr von Süden mit dem Sturme herangezogen und
schienen sich weniger um Carl zu kümmern, als sonst. Er hatte eine Zeitlang
verwundert dem Winde entgegen geblickt, als er plötzlich einen dunklen
Streif über dem fernen Horizont gewahrte. Er hielt denselben im ersten
Augenblick für aufsteigendes Gewölk, dann aber kam er ihm nicht mehr wie
gewöhnliche Wolken vor, es war ein glatter langer Strich, der sich schnell
über den äußersten Rand der Prairie erhob und immer schwärzer von Farbe
wurde. »Das ist kein Gewölk; was aber kann es sein, das mit dem Sturm dort
heranzieht?« dachte Carl, und sah in weitester Ferne noch immer mehr Thiere
heranjagen. Da fuhr es ihm wie ein Blitzstrahl durch die Gedanken: »Wenn
es ein Prairiebrand wäre!« Kaum hatte er es gedacht, so stand auch die
Gewißheit in ihm darüber fest, denn das Bild, welches Daniel ihm so oft
von diesem Schreckensereigniß gegeben hatte, stimmte vollkommen mit dem
überein, welches er jetzt vor Augen hatte.

Der schwarze Strich waren Rauchwolken, die schon beinahe um den dritten
Theil des Horizonts sichtbar wurden, und sich weiter und weiter hinter Carl
ausdehnten.

Zugleich änderte der Sturm seine Richtung und kam mehr von Osten
hergezogen. Noch lebte die Hoffnung in Carl, daß seine Richtung ihn nach
dem Bärflusse führe, wenn auch viel weiter nach dessen Mündung in den
rothen Fluß, als das Fort lag. Hier war keinenfalls seines Bleibens, und
nur die Flucht konnte ihn und sein Roß von einem grausigen Untergange in
den Flammen des brennenden Grases retten. Auch der Falbe schien jetzt die
drohende Gefahr, die mit jenen Rauchwolken aufstieg, zu ahnen, denn er sah
schnaubend nach ihnen hin und drängte sich in das Gebiß, um davoneilen zu
dürfen. Kaum aber hatte Carl ihm die Zügel gegeben, so flog das Thier mit
ihm davon, als wolle es den Sturmwind hinter sich zurücklassen.

Links und rechts jagte es an fliehenden Hirschen, an einzelnen Büffeln,
an wilden Pferden vorüber, und soweit Carls Auge reichte, belebte sich die
Grasfläche in jedem Augenblicke mehr mit Thieren der Wildniß, die alle vor
dem Orkane dahin jagten. Carl suchte sein Pferd zu beruhigen, um ihm auf
die Dauer die Kraft zu erhalten, er sprach zu ihm und klopfte mit der Hand
seinen festen Hals; die Aufregung des Thieres schien sich aber immer mehr
zu steigern und seine Sprünge immer weiter, immer flüchtiger zu werden.
Carl blickte zurück nach dem rasch aufsteigenden schwarzen Gewölk, und sah,
wie unter demselben die weiteste Ferne der flachen Prairie sich mehr
und mehr mit bewegten dunkeln Massen bedeckte. Diese Massen waren die
fliehenden vierfüßigen Bewohner dieser Wildniß, die das Feuer von weit her
vor sich hingetrieben hatte, und die jetzt in gedrängten Reihen in wilder
Flucht ihre Rettung suchten. _Einen_ Trost fühlte Carl in dem Hinblick auf
seinen Falben, den, daß derselbe den Lauf ebenso lange aushalten würde, als
eines jener Tausende von Thieren, die ihm folgten; denn ließen seine Kräfte
früher nach, so wäre der Tod unter den Füßen jener Massen unvermeidlich
gewesen. Dahin jagte Carl Scharnhorst mit dem Sturme um die Wette, Hügel
auf, Hügel ab; vergebens aber spähete er nach dem Walde des Bärflusses,
sein Blick schweifte rundum nur über eine endlose Grasfläche. Immer
eiliger, immer drohender zogen die Rauchwolken am Himmel empor und rollten
sich in schwarzen schweren Massen über einander an demselben hin;
schon jagten sie sich, wie in wildem Kampfe über Carls Haupt, mit ihrem
Weiterzuge nahm das Tageslicht mehr und mehr ab, und ein Düster, wie
das hereinbrechender Nacht, legte sich auf die im Sturme wogende weite
Grasfläche. Plötzlich zog ein röthlicher Schein über das schwarze rollende
Gewölk, und als Carl sich umwandte, sah er im Halbzirkel hinter sich
die Flammen des brennenden Grases über dem äußersten Rande der Prairie
emporlodern. Sie schlugen hoch und wild zum Himmel auf und beleuchteten mit
ihrem glühendrothen Scheine das wogende Thiergewirre, das sie im Todeslaufe
vor sich hertrieben. Die ganze Fläche hinter Carl schien zu leben, und wie
ferner Donner drang es von dort her zu seinem Ohr. Die Rauchwolken hatten
den ganzen Himmel überzogen, sie schienen rundum auf dem Rande der Prairie
zu liegen, und die durch sie erzeugte schwarze Nacht wurde nur durch das
glühende Feuerlicht der immer höher in der Ferne hinter Carl aufsteigenden
Flammen verscheucht. Fort ging es mit des Sturmes Rasen über viele, viele
Meilen weite Strecken, immer noch gleich flüchtig trug der brave Falbe
seinen Reiter weit vor den heranstürmenden Thiermassen hin, und nur
einzelne der schnellsten Bewohner dieser Steppen, Hirsche, Antilopen und
wilde Pferde begleiteten ihn zu beiden Seiten auf der verzweifelten Flucht.
Alles rannte in blinder Verwirrung durcheinander hin, Alles in seiner
Schnelligkeit Rettung suchend, Alles vor dem furchtbaren Elemente fliehend,
dessen Flammen, vom Orkan getragen, über das Grasmeer wirbelten und in
ihrer Gluth verzehrten, was ihrem Bereich verfiel.

Nicht weit von Carl jagte ein Trupp wilder Pferde; an ihrer Spitze
befanden sich viele Füllen, welche, wie es schien, durch die Alten zur Eile
angetrieben wurden, denn diese rannten hinter ihnen hin und her, und ließen
sie nicht zurückbleiben. Zwei der Füllen aber stürzten plötzlich zusammen,
und während die Heerde an ihnen vorübersauste, blieben ihre Mütter
bei ihnen zurück, stießen sie mit dem Kopf, scharrten an ihnen mit den
Vorderfüßen und suchten sie auf alle Weise zum Aufstehen zu bewegen; es
war aber umsonst, die Kleinen konnten sich nicht wieder erheben. Nochmals
versuchten es die Stuten, sie aufzutreiben, dann aber sahen sie mit
entsetztem Blick nach den Flammen zurück, und jagten der Heerde nach. Bald
darauf brach ein mächtiger Hirsch vor Carl zusammen, er sprang wieder auf
und suchte sich auf den Füßen zu erhalten, sank aber immer wieder nieder,
und als Carl an ihm vorüberjagte, hob das erschöpfte Thier den Kopf empor
und schaute ihn an, als ob es seine Hülfe erflehen wolle.

Hier stürzte ein Pferd, dort eine Antilope, da ein Hirsch, ein Büffel; ihre
Kameraden aber flohen davon und überließen sie ihrem Schicksale.

Noch hatte des Falben Schnelligkeit nicht nachgelassen, Angst und Entsetzen
trieben ihn vorwärts, und die Verzweiflung gab seinen Gliedern immer noch
neue Kräfte. Dennoch fühlte Carl, daß die Bewegungen des edlen Thieres
härter und weniger leicht wurden, und mit Schrecken hörte er durch das
Heulen und Brausen des Orkans die mühsamen schweren Athemzüge des treuen
Rosses. Bald aber wurden auch dessen Sprünge kürzer, seine Glieder hoben
sich nicht mehr hoch über das trockne harte Gras, sie theilten mühsam
dessen verworrene Halme, und Erschöpfung zeigte sich in seiner verminderten
Schnelligkeit. Augenscheinlich kamen die Flammen und die heranstürmenden
Heere der wilden Thiere jetzt Carl näher, und mit Entsetzen schaute er bald
rückwärts in die, zwar noch ferne auflodernde Gluth, bald in die düstere
Weite vor sich. -- Wo -- wie -- sollte er Rettung finden, Rettung für sich
und für sein ihm so theures Pferd!

In der Ferne, nur in der weiten Ferne konnte er sie suchen; ein Wald -- ein
Wasser -- klang es mit verzweifelndem Verlangen durch Carls Seele, und mit
schmerzlichem Zucken stach er beide Sporen in die von Schweiß triefenden
Flanken des ermüdeten lieben Rosses. Hoch schnellte das Thier sich wieder
über das Gras hinaus und ließ in fliegender Carriere abermals eine Meile
hinter sich zurück; um so schneller aber sanken seine Kräfte, und um so
mühsamer wurden seine Anstrengungen, sein Athmen. Der kürzeste Aufenthalt
aber war sicherer, unvermeidlicher Tod; vorwärts, war die Losung, und
abermals trieb Carl den Falben zu wilder Flucht an, und nochmals folgte
das treue Thier der Aufforderung seines Reiters. Es sauste hinab in ein
schmales Thal und hatte die nächste Höhe mit letzter Anstrengung erreicht,
da stürzte es mit seinem Reiter zusammen und wandte seinen Kopf mit einem
Blick nach ihm hin, als wolle es Abschied von ihm nehmen. Mit Entsetzen
sprang Carl empor, und schlang seine Arme um den Hals des geliebten
Thieres; wie konnte er ihm helfen -- wie konnte er sich selbst retten?

[Illustration]

Er sah zurück in die zum Himmel auflodernden, im Fluge heranziehenden
Flammen, sah die schwarzen Thiergestalten im Sturmlauf näher kommen, und
hörte den Donner, womit sie den Boden unter sich erdröhnen ließen. Hier
durfte er nicht weilen; noch einen kurzen Abschied dem Falben, und mit
der Büchse in der Hand rannte Carl über die Höhe davon. Er hatte aber
kaum vierzig Schritte zurückgelegt, als er hinter einem niedrigen
Gebüschstreifen in einer Vertiefung ein sumpfiges Wasser gewahrte, welches
in kurzer Entfernung bei einem alten kolossalen Mosquitobaum seinen Anfang
zu haben schien. Carl lief zu dem Baume hin, der hoch auf dem Ufer stand
und sich über das Wasser neigte, welches tief unter seinen Wurzeln als
klarer Quell hervorkam und nach dem Sumpfstreifen hinfloß. Der gütige
Gott hatte ihn zu seiner Rettung hierhergeführt, das fühlte Carl mit
dankerfülltem Herzen, und mit gläubiger Zuversicht auf seinen fernem
Beistand warf er noch einen Blick in die Vertiefung unter den Wurzeln des
Baumes, und rannte dann mit fliegenden Sprüngen zu seinem Pferde zurück. In
wenigen Augenblicken hatte er die Gurte des Sattels gelöst, denselben von
dem Pferde herabgezogen, den Strick, den dasselbe um den Hals trug, so wie
den Zaum von ihm genommen, und trug Alles in Eile in die Aushöhlung, welche
sich unter dem Baume in dem Ufer befand. Jetzt erinnerte er sich, daß
Daniel ihm gesagt hatte, man müsse bei einem Prairiebrand selbst das Gras,
wo es niedrig stehe, anzünden, um einen Platz zu gewinnen, wo dann das
heranziehende Flammenmeer keine Nahrung mehr finden würde; da dachte er
aber an seinen Falben, sollte er selbst dem treuen Thiere den Tod bereiten?
Unmöglich, das konnte er nicht, und wenn er selbst ein Opfer des Feuers
werden sollte. Er riß schnell seinen Hut vom Kopfe, füllte ihn an dem
Quell, rannte damit zu dem erschöpften Pferde, und goß demselben das Wasser
über den Kopf. Das erschreckte Thier raffte sich auf, stürzte wankend
vorwärts und erreichte den Sumpf, in welchem es abermals zusammenbrach.

»Gottlob!« rief Carl aus, als er das Wasser aus dem hohen schilfartigen
frischen Grase über dem Thiere aufspritzen sah; denn möglicherweise blieb
dasselbe dort von der schnell über ihm hinziehenden Gluth verschont. Da
hörte er aber wieder den Donner der heranstürmenden Thiere, und sah schon
im Geiste, wie dieselben seinen armen Liebling unter ihren Füßen zermalmen
würden. Es stand aber nicht in seiner Macht, mehr für das Roß zu thun,
und die unter ihm dröhnende Erde mahnte ihn, auf seine eigene Sicherheit
bedacht zu sein. Er sprang nach dem Baume zurück und in die Vertiefung
unter demselben in das Wasser hinein. Er legte sich darin nieder, so daß
seine Kleidung ganz durchnäßt wurde, sein Gepäck und seine Waffen schob er
unter den Wurzeln des Baumes tief in das Ufer hinein, indem er schnell mit
dem Messer und mit den Händen die Höhle noch vergrößerte. Dann tauchte er
die Jaguarhaut in den Quell, um sich damit zu überdecken, sobald das Feuer
sich nahe; denn Daniel hatte ihm erzählt, daß sich die Indianer bei einem
Prairiebrande wohl in eine frische Büffelhaut einwickelten, um sich gegen
das Feuer zu schützen.

Das Ufer war ziemlich hoch, das Gras an dessen Abhang und um das Wasser
konnte nicht brennen, da es noch grün war, und die Büsche, die auf dem
Ufer standen, gewährten gleichfalls noch Schutz. Auch vor den fliehenden
Thierschaaren war er sicher, und seine ganze Besorgniß, seine Angst war
nur noch dem lieben Falben zugewandt. Derselbe hatte sich aber wieder etwas
erhoben und streckte seinen Kopf empor, als wolle er über das Ufer hin
nach dem dumpfen Getöse spähen, welches schnell näher kam und von Minute zu
Minute lauter und dröhnender mit dem Brausen des Orkans die Luft erfüllte.

Jetzt verfinsterte sich die Luft, ein dichter schwarzer Aschenregen wehte
über die sumpfige Vertiefung und raubte Carl jeden Blick in die Ferne,
nur den Falben konnte er noch erkennen, weil der Sturm die Asche hoch über
denselben hinauswehte. Zugleich meldete das Erzittern der Erde das Nahen
der wilden fliehenden Thierschaaren an, und der Donner ihrer Tritte,
die Schreckenstöne ihres Gebrülls, ihres Geheuls mischten sich mit den
furchtbaren betäubenden Accorden des Sturmes.

Carl erfaßte die im Wasser vor ihm liegende Jaguarhaut, hielt aber
zusammengepreßten Herzens seinen Blick immer noch auf seinen Falben
geheftet; da sprang derselbe, wie von neuem Entsetzen ergriffen, aus dem
Schilf heraus, erreichte mit verzweifelten Sätzen das trockene Ufer, und
stob in die Finsterniß hinaus, womit die fallende Asche die Ferne bedeckte.
Plötzlich wurde es hell, die ganze Luft erglühte, statt der schwarzen Asche
wehte dieselbe brennend als Feuerregen über die Prairie, und Himmel und
Erde schienen in Flammen zu stehen. Der Baum, unter welchem Carl verborgen
lag, erbebte bis in seine Wurzeln, das Ufer schien über ihm einbrechen zu
wollen, das Getöse betäubte sein Gehör, und links und rechts stürzten
sich Büffel, Bären, Rosse, Hirsche, Antilopen, Wölfe, Jaguare und Panther
übereinander hin von der Höhe hinab in den Sumpf hinein. Im Augenblick war
derselbe, so weit Carls Blick reichte, mit wilden Thieren ausgefüllt, auf
welche andere vom Ufer hinabsprangen und sich ihren Weg über deren Körper
zu bahnen suchten. Der Kampf derselben war ein furchtbarer, verzweifelter,
aber ein kurzer; denn Kopf an Kopf und Rippe an Rippe drängten sich
Tausende von nachfolgenden Thieren über die Streitenden hin, und die
Bahn für den Sturmlauf der großen Massen, die jetzt erst vor den Flammen
herangebraust kamen, war geebnet: Alles, was säumte, was stürzte, ward
unter den Füßen zermalmt.

Carl hatte beim ersten Erscheinen dieser furchtbaren Schaaren nach einem
Revolver gegriffen, und hielt ihn fest in der Hand, die Thiere aber
bemerkten ihn nicht, denn alle strebten weiter. Nur ein riesiger Panther
wandte sich aus dem Getümmel der Höhle zu, um in ihr Schutz zu suchen. Er
stutzte vor der gefleckten gelben Haut des Jaguars, welche Carl bis über
die Brust heraufgezogen hatte, er erkannte in ihr den König dieser Wildniß
und zögerte, zähnefletschend, sich ihm zu nahen. Carl hatte ihm aber den
Revolver zwischen die glühenden Augen gerichtet und schoß ihm die Kugel
durch den Schädel. Ohne Zucken sank das Raubthier vor Carls Füßen zusammen
und der Krach des Schusses verhallte unbemerkt in dem Donnerdröhnen, womit
die vorüberstürmenden Thierschaaren die Luft erfüllten. Unaufhaltsam
und ununterbrochen zog Heerde auf Heerde in dicht gedrängten Reihen im
buntesten Gemisch und in fliegendem Laufe zu Carls beiden Seiten
vorüber, Freund und Feind nebeneinander, und hier und dort sah Carl eine
Leopardenkatze, einen Lux auf dem zottigen Rücken eines kolossalen Büffels
reiten.

Endlich wurden die Reihen lichter und die erschöpften Nachzügler stürzten
mit Aufwand ihrer letzten Kräfte vorüber, um bald von den Flammen eingeholt
und von ihnen vernichtet zu werden. Der Feuerregen war mit den Thieren
weiter gezogen, der Himmel aber hatte sich in ein blendendes Gluthmeer
verwandelt und der Sturm trug jetzt eine sengende Glühhitze heran. Carl
warf noch einen Blick an dem Ufer empor, er sah die Flammenspitzen hoch
über sich in der Luft ausgestreckt züngeln, warf sich in die Höhlung zurück
und zog die nasse Jaguarhaut über den Kopf. Es waren Augenblicke zwischen
Leben und Tod, er hielt den Mund dicht an die Erde, dennoch schien ihn die
glühende Luft ersticken zu wollen, seine Gedanken verwirrten sich, und er
hörte nur noch ein stürmisches Sausen und Brausen in der Luft. Es waren
aber nur Augenblicke der Qual und der Betäubung, denn plötzlich wehte es
kalt, ja eisig in die Höhle hinein; Carl warf die Jaguarhaut von sich, und
verschwunden war Feuer und Gluth. Es war wieder Tag, Carl sah den hohen
grauen Himmel wieder über sich, und sah vor sich die schwarzen Rauchwolken
über den aufwirbelnden Flammensäulen vor dem Orkane nach Westen hin über
die weite Ebene jagen. Er sprang aus seinem Versteck hervor auf das Ufer
hinauf und blickte dem dahineilenden Grasbrande nach. Ein Bild des Todes,
der Erstarrung umgab ihn. So weit sein Auge reichte, lag die, noch vor
wenigen Minuten im Sturme wogende Prairie, eine schwarze kahle Fläche,
ausgebreitet, und wohin er schaute, traf sein Blick auf versengte und
verbrannte schwarze Thiergestalten, deren viele noch mit dem Tode rangen.
Carl fiel auf seine Kniee, faltete seine Hände und dankte, zum Himmel
aufsehend, dem Allmächtigen für seine wunderbare Rettung. Dann stand er auf
und blickte auf die Verwüstung um sich; wohin sollte er sich wenden, um
die lebende Welt wiederzufinden? Thränen traten ihm in die Augen, denn
er dachte an die Angst, an die Sorgen der Seinigen, und fühlte sich so
verlassen, so hülflos. Was mochte auch wohl aus seinem Falben geworden sein
-- derselbe war gewiß auch in den Flammen umgekommen! Hätte er ihn jetzt
noch gehabt, dann wäre ihm nicht bange gewesen, der hätte ihn gewiß wieder
nach dem Fort zurückgetragen. Carl schaute nach dem Platze, wo sein
Pferd mit ihm zusammengestürzt war, und sah etwas weiter hin bei einem
Mosquitobaum sich Etwas bewegen. Er ging näher und erkannte einen schwarzen
Pferdekopf, der sich, wie es schien, aus einer Vertiefung erhob. Bald sah
er das ganze Pferd, einen Rappen, der in einem steinigen trocknen Graben
lag, wie sie häufig von schweren Gewitterregen in der Prairie erzeugt
werden. Er trat nahe an das wilde Roß hinan, es war ein Rappenhengst von
etwa vier Jahren, der aber Carl nicht zu bemerken schien und nur nach Luft
schnappte. Er war aber nicht versengt, denn seine Mähnen hingen lang und
glänzend an seinem Nacken, und über seine Stirn fielen lange Locken von
seinem Kopf herab. Es war ein schönes Thier, nur sein Blick war nicht, wie
er sein sollte, denn seine Augen waren mit Asche und Staub angefüllt. Die
Vertiefung, in welcher das Roß lag, hatte dasselbe vor den schnell über
ihn hineilenden Flammen geschützt; denn das Gras ward ja in wenigen
Augenblicken von dem Feuer verzehrt, und der Sturm hatte dieses ja fliegend
über die Erde hingetrieben.

Carl sprang rasch nach seiner Höhle zurück, zog den Strick seines Falben
hervor und eilte damit zu dem wilden Pferde. Er befestigte denselben um
dessen Hals, und band dann das andere Ende fest an den nahestehenden Baum.
Das Thier war so erschöpft, daß es sich Alles ruhig gefallen ließ, auch
selbst, daß Carl mit ihm sprach und ihm Kopf und Hals mit der Hand klopfte.
Nun ging er wieder nach seinem Versteck, um dem Thiere Wasser zu bringen.
Da er aber in dem Hut nur zu wenig herbeitragen konnte, so nahm er die
Jaguarhaut, faßte ihre vier Enden und die Seiten zusammen, versenkte sie
in den Quell, und hob sie dann mit Wasser gefüllt empor. Nun trug er sie
vorsichtig zu dem Pferde, und goß demselben das Wasser über den Kopf. Das
Thier erschrack gewaltig und sprang auf die Füße, es war aber zu
schwach, um das Ufer zu erklimmen. Carl wiederholte die Uebergießung noch
einigemale, und zuletzt gelang es dem Pferde, aus der Vertiefung auf die
versengte Erde bei dem Baume zu springen. Carl verkürzte nun den Strick,
so daß das Thier den Graben nicht wieder erreichen konnte, und er sah zu
seiner Freude, wie es sich nach und nach erholte. Daniel hatte ihm oft
erzählt, daß man wilde Pferde leicht dadurch bändigen könne, wenn man ihnen
mit dem Lasso den Hals für einige Augenblicke zuschnüre und ihnen dann die
Schlinge wieder löse. Er holte schnell den Lasso, den er am Sattel trug,
und legte dem Rappen die Schlinge um den Hals, damit er im Stande sein
würde, ihn zu bändigen, wenn er mit der Rückkehr seiner Kräfte böse werden
sollte. Noch aber war das Thier ganz geduldig und ließ Alles mit sich thun.

Carl holte nun einen Hut voll Wasser und drückte ihn dem Pferde unter das
Maul, so daß dasselbe in das Wasser kam. Das Thier schreckte mit dem Kopfe
zurück, leckte aber doch seine Lippen ab, schnaubte laut aus den Nüstern
und zeigte, daß ihm die Erfrischung wohlgethan habe. Sein Durst mußte
schrecklich sein, denn als Carl sein Verfahren wiederholte und ihm abermals
das Wasser unter das Maul hielt, trank es gierig den ganzen Hut leer. Carl
brachte ihm so viel Wasser, bis es nicht mehr trinken wollte, und wusch ihm
dann die Augen aus. Im Anfang erbebte das Pferd jedesmal, wenn der Knabe
sich ihm nahte, bald aber sah es ihn nicht mehr so scheu an und ließ ihn,
ohne zu erschrecken, bei sich kommen. Er holte nun von dem Ufer des Sumpfes
frisches Gras und reichte es dem Thiere, dasselbe wollte aber noch kein
Futter annehmen, worauf Carl das Gras an dem Baumstamme niederlegte.

Er hatte nun wieder ein Pferd, ob er es aber zum Reiten würde benutzen
können, das war noch die Frage; versuchen wollte er es jedoch jedenfalls.
Jetzt mußte er aber auch an sich selbst denken, denn sein eigener Magen
verlangte nach Speise. Wegen Nahrung brauchte er nun freilich nicht in
Verlegenheit zu sein, denn es lagen ja Hunderte von getödteten Thieren ganz
in seiner Nähe. Er ging nach dem Ufer des Sumpfes, der mit todten Körpern
vollständig ausgefüllt war und fand an dem Rande desselben einen jungen
Hirsch, den die fliehenden Heere niedergetreten hatten. Carl schnitt
das zarteste Wildpret aus ihm heraus, zündete ein Feuer neben dem alten
Mosquitobaume an, denn trockenes Holz lag in Menge unter demselben, und
bereitete nun sein Mittagsessen. Das Quellwasser war herrlich und stillte
seinen Durst. Er hatte aber auch an die nächste Zukunft zu denken, denn
mehrere Tage mußte er jedenfalls hier verweilen, ehe er das Pferd würde
reiten können. Zeigte sich die Sonne wieder, so stand zu erwarten, daß die
vielen Thierkörper schnell in Verwesung übergehen würden, wo er dann deren
Fleisch nicht mehr benutzen konnte, und auf diesem öden abgebrannten Lande
durfte er wohl nicht hoffen, ein lebendes Thier erscheinen zu sehen.
Er zerschnitt darum das Fleisch des Hirsches in sehr dünne Streifen und
trocknete es über einem rauchenden Kohlenfeuer.

Der Sturm hatte sehr nachgelassen, der Himmel hatte sich aber um so
finsterer überwölkt und drohte mit Regen. Die Nacht brach herein, Carl
reichte seinem Pferde nochmals Wasser, trug ihm dann einen Arm voll Gras
hin und legte sich auf den versengten Erdboden bei dem Feuer nieder,
nachdem er dieses mit einigen starken Stücken Holz versehen hatte. Obgleich
seine Kleidung wieder getrocknet war und er das Feuer während der Nacht
unterhielt, so fror ihn doch sehr, denn er besaß nichts, um sich darin
einzuhüllen und konnte auch die Jaguarhaut nicht unter sich legen, weil
dieselbe noch naß war. Er beschloß darum, am folgenden Morgen einem der
Büffel, welche todt im Schilfe lagen, die Haut abzunehmen und sie für
seinen Gebrauch, so gut er konnte, zuzubereiten, denn dies hatte er von
Daniel gründlich gelernt. Als der Tag graute, erwachte Carl aus einem
mehrstündigen festen Schlaf und richtete seinen ersten Blick nach dem
Rappenhengst hin. Derselbe hatte sich schon erhoben und verzehrte das
letzte Gras, welches Carl ihm am Abend vorher zugetragen hatte. Als aber
dieser sich ihm nahete, sprang er entsetzt zurück, bäumte sich und riß mit
aller Gewalt an dem Seil, womit er an dem Baume befestigt war. Carl suchte
das Pferd mit guten Worten zur Ruhe zu sprechen, es schnaubte ihm aber
gewaltig entgegen und stierte ihn scheu und geängstigt an, und als er ihm
einen Hut voll Wasser holte, drängte es sich von ihm zurück und geberdete
sich wild und unbändig. Jetzt ergriff Carl den langen Lasso, dessen
Schlinge der Hengst um den Nacken trug und zog dieselbe zu. Das Roß bäumte
und sträubte sich gegen die Gewalt, die ihm angethan wurde, aber der Athem
ward ihm genommen und es stürzte, an allen Gliedern zitternd, zu Boden.
Carl löste nun schnell die Schlinge, um das Pferd vor dem Ersticken zu
bewahren, und suchte dasselbe durch Liebkosungen zu beruhigen; kaum aber
athmete das Thier wieder, als es aufsprang und noch wilder, noch wüthender
tobte. Carl jedoch zog abermals die Schlinge zu, wieder stürzte der Hengst
zusammen, und diesmal ließ sein Bändiger ihn länger dulden und es dauerte
geraume Zeit, ehe das Thier sich erholte, nachdem die Schlinge wieder
geöffnet war.

Es schien jetzt die Uebermacht seines Herrn anzuerkennen, denn es duldete
nun, daß derselbe sich ihm näherte und ihm wie früher mit der Hand das
glatte Haar strich. Sein Zittern und Beben zeigte aber, daß seine Angst
sehr groß war, wenn es sich auch nicht mehr zu widersetzen wagte. Das
Wasser, welches Carl ihm reichte, wollte es nicht trinken, doch es
verzehrte das Gras, welches er ihm reichlich zutrug.

Nachdem Carl nun selbst etwas gebratenes Fleisch und einen frischen Trunk
aus dem Quell zu sich genommen hatte, begab er sich in das hohe grüne
Schilf zu einem todten jungen Büffel, von welchem er sich die Haut aneignen
wollte. Es lag ein alter Büffel und ein Pferd auf dem jungen Thiere, welche
beide Carl nur mit großer Anstrengung zur Seite ziehen konnte, um zu jenem
zu gelangen.

Nach langer Arbeit aber setzte er es doch durch, und nahm dem Thiere
die Haut ab. Sie war groß genug, um sich darin vom Kopf bis zu den Füßen
einzuhüllen, und war doch nicht so unhandlich und schwer, wie die eines
ausgewachsenen Büffels. Carl spaltete nun mit dem Beil, welches er am
Sattel trug, mehreren der umherliegenden Thiere die Köpfe, nahm das
Gehirn aus denselben und strich die ganze Haut damit an, worauf er sie
zusammenfaltete und sie mit Steinen und Stücken Holz beschwerte, um sie am
folgenden Tage zuzubereiten. Sein Pferd verzehrte heute alles Gras, welches
er ihm reichte, verstand sich aber erst gegen Abend dazu, Wasser aus dem
Hut zu trinken.

Mit dem Neigen des Tages theilte sich das Gewölk, der blaue Himmel blickte
hier und da hervor und die Sonne zeigte sich wieder. Sie warf im Scheiden
ihre letzten Strahlen über die abgebrannte schwarze Fläche, und Carl sah
verwundert nach ihr ihn, denn dort, wo sie versank, hatte er geglaubt, daß
es Sonnenaufgang sein müsse. Er war demnach nach Westen geflohen, während
er der festen Meinung gewesen, nach Osten dem Bärfluß zuzujagen. Es lagen
nun drei bis vier Tagereisen zwischen ihm und seiner Heimath, und der Weg
dorthin führte über eine öde Strecke, auf welcher kein Gras für sein Pferd
mehr stand, und auf welcher es sehr ungewiß war, ob er für dasselbe und für
sich Wasser antreffen werde, um den Durst zu stillen. Diesen Weg konnte er
deßhalb nicht einschlagen, um das Fort zu erreichen; welche andere Richtung
sollte er aber wählen? Er wußte, daß der rothe Fluß von Westen nach Osten
strömte und daß er denselben in nördlicher Richtung treffen mußte; wie
weit es aber zu dessen Ufern sei, das konnte er sich nicht beantworten.
Das Feuer war von Südost gekommen und nach Nordwest gezogen, also nach dem
rothen Flusse hin, darum hielt es Carl für das Rathsamste, seinen Weg nach
Südwesten zu verfolgen, in der Hoffnung, dort am ersten auf Land zu stoßen,
welches vom Feuer verschont geblieben war. Jedenfalls mußte er noch einige
Tage hier verweilen, bis er das Pferd so weit gezähmt hatte, daß er es
reiten konnte. Er legte ihm schon am folgenden Tage den Sattel einmal auf,
legte ihm den Zaum an, und hing sich mit den Armen wiederholt auf seinen
Rücken, welches das Thier zitternd und bebend duldete, theils, weil es noch
sehr entkräftet war, theils aber auch, weil es die Schlinge noch immer an
das Erdrosseln erinnerte. Außerdem aber schien es auch die Hülfe und die
Wohlthaten seines Herrn anzuerkennen, und sich immer weniger vor ihm zu
fürchten. Carl bereitete heute auch die Büffelhaut, wobei er sich
mehrerer schweren Steine als Werkzeuge bediente, und wobei ihm der warme
Sonnenschein sehr zu Hülfe kam.

Während Carl nun mit den Vorbereitungen zu seiner Weiterreise beschäftigt
war, herrschte in dem Fort der größte Jammer über das schreckliche
Schicksal, das ihn aller Vermuthung nach erreicht haben mußte. Daniel war
an jenem Abend, als er Carl suchte und den Bären gefunden hatte, bei diesem
während der Nacht liegen geblieben, und hatte am folgenden Morgen viele
Meilen weit mit der größten Mühe die Fußtritte seines jungen Freundes und
die des Falben verfolgt, bis dieselben seinen Blicken unbemerklich wurden
und er nur noch auf gut Glück weiter ritt und nach einem Zeichen von Carl
spähete. Plötzlich aber sah er die schwarzen Rauchwolken von Süden her
aufsteigen und mehr und mehr nach Westen hinziehen. Der Gedanke, daß
Carl in das Feuer gerathen sein könne, war ihm entsetzlich, und als er
Nachmittags zufällig wieder die Spur des Falben erkannte, die nach Westen
zeigte, da trieb ihn die Verzweiflung vorwärts. Er stieg vom Pferde ab, um
die Fährte leichter verfolgen zu können, und gelangte dann auch wirklich
auf ihr in die abgebrannte Prairie hinaus, wo er bald an den Huftritten
des Falben erkannte, daß derselbe im Sturmlauf dahingeeilt war. Nicht
lange aber konnte er ihnen folgen, weil die fliehenden Thierschaaren sie
ausgetreten hatten.

Alle Hoffnung für die Rettung Carls war jetzt in der treuen Seele des
Negers erstorben, denn nur zu gut wußte er es, daß derselbe dem, vom Sturm
gejagten Feuer nicht hatte entfliehen können.

Mit blutendem Herzen schaute er lange Zeit über die endlose schwarze Fläche
vor sich, und wandte sich dann unter Thränen zurück nach dem Eichenwald,
wo er ohne Speise und ohne Trank die Nacht verbrachte. Als er aber am
folgenden Tage ohne Carl nach dem Fort zurückkehrte, da brachen Turners
sämmtlich in lautes Wehklagen aus, und Alle weinten und rangen die Hände
über den Verlust des braven Knaben, der sich für ihr Wohl, für ihr Glück
geopfert hatte. Der Bericht des Negers stellte es außer allen Zweifel, daß
Carl in den Flammen des brennenden Grases seinen Tod gefunden habe, nachdem
er aus dem Kampfe mit dem Bären siegreich hervorgegangen war. Auch in den
Ansiedelungen an dem Choctawbache erregte die Kunde von Carls Schicksal
großes Bedauern, namentlich bei Warwick; denn der alte Herr hatte in dem
Knaben immer eine Hauptstütze der Niederlassung am Bärfluß erkannt.

Es war nun eine Woche verstrichen, seit Carl dem Flammentode entgangen war,
und von Tag zu Tag hatte das gefangene wilde Pferd sich zutraulicher und
williger gegen ihn gezeigt. Er hatte ihm jeden Morgen Sattel und Zaum
aufgelegt, und das Thier erlaubte ihm nun schon, seinen Rücken zu
besteigen, welches er recht häufig that und es dabei am Zügel hin- und
herlenkte, ohne jedoch den Strick vom Baume zu lösen. Die in Verwesung
übergehenden, umherliegenden todten Thiere mahnten ihn jetzt aber dringend,
diesen Ort zu verlassen, und er beschloß eines Morgens nach dem Frühstück,
einen Proberitt auf seinem Rappen zu machen. Er löste den Strick von dem
Baume, stieg in den Sattel und lenkte das Pferd in weitem Kreise um den
Sumpf über die kahle Fläche, und zu seiner großen Freude folgte das
Thier geduldig dem Zügel, wenn es auch nur langsam mit seinem Reiter
dahinschritt. Es war noch immer sehr matt, denn wenn Carl ihm auch
hinreichend Gras zugetragen hatte, so konnte es sich doch nicht so davon
erholen, als wenn es sich selbst die Nahrung gesucht hätte. Nachdem Carl
wohl eine Stunde lang so umhergeritten war, lenkte er das Pferd nach dem
Quell, damit es sich an dem frischen Trank erquicken möge, und dann ritt er
an den Sumpfrand in das beste Gras, und ließ das Thier dort weiden.

Er verbrachte beinahe den ganzen Tag in dieser Weise mit der Pflege seines
Rosses, welches sich denn auch zum ersten Male seit seiner Gefangennehmung
wirklich nach Herzenslust sättigte und sich dann geduldig wieder an den
Baum befestigen ließ.




Abschnitt 7.

  Ritt durch die Wildniß. -- Wasser. -- Die Antilopen. -- Die Grenze des
  Prairiebrandes. -- Die Klapperschlangen. -- Der Delawaren-Häuptling.
  -- Das Lager der Indianer. -- Der schwarze Panther. -- Rückkehr in das
  Fort. -- Indianerfreundschaft. -- Der Frühling. -- Die Bestürmung. --
  Letztes Mittel. -- Die nahende Rache.


Am folgenden Morgen hatte Carl nun schon frühzeitig den Hengst gesattelt,
hatte die Büffelhaut zusammengerollt und hinter den Sattel gebunden und das
getrocknete Fleisch an demselben befestigt. Nachdem er selbst, so wie sein
Pferd sich noch einmal an dem Quell gelabt hatten, bestieg er dasselbe
und ritt in den Strahlen der aufsteigenden Sonne nach Südwesten davon. Die
Hoffnung, die Seinigen bald wieder zu sehen, trieb ihn vorwärts, und
der Gedanke, durch sein Erscheinen ihren Kummer, ihren Gram zu heilen,
beseligte sein junges hochschlagendes Herz. Er trieb den Rappen zur Eile
an, und ließ ihn häufig lange Strecken traben, nach Verlauf von einigen
Stunden aber fand er schon aus, daß dessen Kräfte zu einem tüchtigen Ritt,
wie er ihn auf dem Falben oft gemacht hatte, nicht ausreichten. Er mußte
darum seiner Sehnsucht nach den Seinigen Zwang anthun und sich mit einem
raschen Schritt des Thieres zufrieden stellen, wobei ihn die Ueberzeugung
tröstete, daß nur die große Ermattung desselben ihn überhaupt in den Stand
gesetzt habe, es seinem Willen so weit unterthänig zu machen. Die weite
Fläche, über welche er seinen Weg richtete, gewährte einen schauerlichen
trostlosen Anblick; wie in einem schwarzen Trauerkleide lag sie,
wellenförmig auf- und niedersteigend um ihn ausgebreitet, nirgends war ein
grüner Halm, ein grüner Baum zu sehen, hier und dort bezeichnete eine dünne
aufsteigende Rauchsäule den trocknen Stamm einer abgestorbenen Mimose,
welche Feuer gefangen hatte und nun so lange glühte und kohlte, bis selbst
die Wurzeln in der Erde verbrannt waren, und in allen Richtungen sah man
Schwärme von Geiern über todten Thieren schweben, die den Flammen des
Prairiebrandes zum Opfer geworden waren. Links und rechts ritt Carl an
gefallenen Büffeln, Bären, Hirschen und Antilopen vorüber, manch schönes
Pferd sah er verendet liegen, und der todten Wölfe waren es unzählige,
deren versengte Körper wie schwarze Steine über dem verbrannten Boden
emporragten.

Vergebens spähete Carl unaufhörlich und sehnsüchtig in die Ferne, ob er
nicht den freundlichen grünen Schein lebender Vegetation erkennen könne;
das finstere Bild blieb unverändert. Die Sonne überschritt ihren Höhepunkt
und neigte sich dem westlichen Horizont zu, und noch hatte Carl seinem
Pferde nicht einen Augenblick Rast gegeben, immer noch hielt er an dem
Glauben fest, er müsse einen grünen Punkt in der schwarzen Ferne entdecken.

Der Rappe war sehr erschöpft, und sein Reiter mußte ihn mit den Sporen
antreiben, sollte er nicht stille stehen. Endlich aber half auch
dieses Mittel nicht mehr, und Carl stieg ab, um dem Thiere die Last zu
erleichtern. Er ging nun zu Fuße und zog sein Pferd an dem Zügel hinter
sich her, denn die Hoffnung konnte er nicht aufgeben, Wasser zu finden.

Die Sonne hatte den flachen dunklen Rand der Prairie erreicht und versank
hinter demselben wie ein glühender Feuerball, während der Himmel über ihr
sich blutroth färbte, und sein feuriger Wiederschein über die schwarze
Steppe zitterte. Jetzt weigerte sich der Rappe, noch einen Schritt weiter
zu gehen, und Carl sah es ein, daß es nicht böser Wille des Thieres,
sondern vollständige Entkräftung war, die dasselbe an die Stelle fesselte.
Er zog es mit Gewalt bis zu einem Mosquitobaume, befestigte es an dessen
Stamm und nahm ihm seine Bürde ab. Wie gern hätte er ihm Gras weit
hergeholt und ihm Wasser in seinem Hut zugetragen, aber wo sollte er
es hernehmen? Ihn selbst peinigte der Durst, und doch würde er ihn gern
ertragen haben, hätte er dem erschöpften Thiere nur helfen können. Dasselbe
legte sich bald nieder, und Carl streckte sich, ohne ein Abendbrod genossen
zu haben, neben ihm auf seiner Jaguarhaut aus, und deckte sich mit dem
Büffelfell zu; denn das getrocknete Hirschfleisch hätte er nicht verzehren
können, ohne erst seinen Mund mit einem Trunk Wasser zu erfrischen. Die
Nacht breitete sich schnell über die Einöde aus, weder nah noch fern
verrieth ein Laut die Gegenwart eines lebenden Wesens, und selbst die Lüfte
schienen zur Ruhe gegangen zu sein, denn nicht der leiseste Hauch bewegte
die reichen Locken Carls, der mit dem Kopf auf den Sattel zurückgesunken
war und den Sternen sein Leid klagte, die so heiter blitzten und so
freundlich auf ihn niederfunkelten.

Ein bleicher Lichtstreifen am östlichen Himmel zeigte sich über dem Rande
der Steppe und verkündete den nahenden Tag, als Carl aus süßen wonnigen
Träumen, wie sie nur die frische Jugend spendet, erwachte, und sich
verwundert umschaute; denn er konnte im ersten Augenblick sich nicht
besinnen, wo er eigentlich war. Die schwarze schwere Masse seines Rappen,
den er neben sich durch die Dunkelheit erkannte, rief ihm seine Lage
schnell ins Gedächtniß zurück, und er schaute nun besorgt und mitleidig
auf das entkräftete Thier und rührte sich auf seinem Lager nicht, um seinen
armen Leidensgefährten nicht in seiner Ruhe zu stören. Er lenkte aber
seinen Blick zu den hellen Sternen über sich, faltete seine Hände und bat
den Allmächtigen, ihm seinen fernern gnadenreichen Beistand zu verleihen.

Carls Vertrauen auf Gottes Schutz und Hülfe war von seiner frühesten
Kindheit an unbedingt und unerschütterlich gewesen, und der
augenscheinliche wunderbare Beistand des Höchsten in den vielen großen
Gefahren, in welchen der Knabe sich trotz seiner Jugend schon befunden
hatte, war an ihm nicht unbeachtet vorübergegangen, er hatte das Vertrauen
nur tiefer in seinem dankbaren Herzen befestigt. Auch jetzt schaute er mit
Zuversicht und unverzagt in die nächste Zukunft, und sagte sich, daß
die Hand, die ihn schützend hierhergeleitet hatte, ihn auch ferner nicht
verlassen würde.

Der Morgen zitterte über die Erde und der Tag warf bald sein helles,
heiteres Licht auf die öde, ausgestorbene Wüste. Es that Carl leid, den
Rappen in seiner Ruhe stören zu müssen, er wollte aber in der Kühle des
Morgens den besten Ritt machen, und lieber in der Mittagshitze rasten. Der
Hengst sprang rasch empor und schaute ganz erfrischt und munter um sich,
ja, er widersetzte sich sogar ein wenig, als sein Herr ihm Sattel und Zeug
auflegen wollte. Dies Zeichen von Stärkung war Carl jedoch sehr willkommen,
und er wandte nur Güte an, um das Thier zur Weiterreise fertig zu machen.
Dann schwang er sich auf dessen Rücken, und hatte seinen großen Spaß
darüber, als der Hengst in Galopp fiel und mit ihm davonrennen wollte. Bald
aber wurden Carl die Anstrengungen des Rappen doch zu bedenklich, und er
faßte die Zügel mit beiden Händen, um ihn in seiner Gewalt zu behalten. Das
Thier aber war kaum zu bändigen, hob die Nase immer hoch gegen den frischen
Wind und drängte sich gewaltsam rechts aus der Richtung, in welcher sein
Reiter es zu halten suchte. Diese auffallende Veränderung in dem Benehmen
des Pferdes, und namentlich das hartnäckige Bestreben, etwas weiter
nördlich zu gehen, fiel Carl auf, und er ließ ihm mehr Freiheit. Kaum
fühlte das Roß aber die lockern Zügel, als es mit seinem Reiter dahin
sauste, wie wenn es nie ermüdet gewesen wäre, so daß Carl seine Last hatte,
nur einigermaßen noch die Herrschaft zu behaupten.

Der Lauf des Hengstes wurde immer wilder, immer flüchtiger und unbändiger,
und sein Reiter konnte Nichts mehr thun, als sich nur im Sattel zu
erhalten. In wenigen Minuten waren einige Meilen zurückgelegt, da erblickte
Carl in der Ferne vor sich einen hellgrünen Streif, und nach ein paar
Minuten später erkannte er deutlich zwei Pappeln, das sicherste Zeichen,
daß Wasser sich in der Nähe befinde. Jetzt ward es ihm klar, weshalb das
Thier so gewaltig nach dieser Richtung gestrebt hatte, denn der Wind wehte
gerade von den Pappeln her, und das Pferd hatte das Wasser schon auf Meilen
weit gewittert.

In sehr kurzer Zeit waren die Pappeln erreicht, welche an dem Ufer eines
klaren, nach Nordost fließenden Baches standen. Noch ehe aber das Roß an
das Ufer kam, hielt Carl es mit Gewalt an, sprang aus dem Sattel, nahm
diesen von dem Rücken des Pferdes, und leitete dasselbe dann an dem Zügel
nach dem Wasser, weil er voraussetzte, daß das Thier sich in den Bach
hineinlegen würde. Dies geschah nun auch sofort, der Hengst warf sich in
dem Bache nieder und wälzte sich von einer Seite zur andern; dann sprang er
auf, schüttelte sich, stillte seinen Durst und wandte sich darauf nach dem
frischen saftigen Grase an dem Ufer. Carl befestigte ihn mit dem Strick an
eine der Pappeln, so daß er beide Ufer erreichen und darauf weiden konnte,
und nachdem er nun selbst seinen großen Durst gelöscht hatte, ließ er sich
in dem Grase nieder und verzehrte einige Stücke des getrockneten Fleisches.

Erquickt und gestärkt ruhte er mit dem Rücken an einem der Bäume, und sah
während einiger Stunden mit Freude seinem Rappen zu, wie derselbe zwischen
dem hohen, vom Feuer verwelkten schilfartigen Grase die zarten frischen
Halme und Kräuter verzehrte, und sich daran labte. Endlich hatte sich das
Thier gesättigt und die Ruhe schien ihm jetzt das Nothwendigste zu sein,
denn es ließ sich im Grase nieder und streckte die Glieder darin aus. Auch
Carl fühlte sich schläfrig und die Augen waren ihm zugefallen. Nach einer
Weile aber schlug er sie wieder auf und ließ seinen Blick über die weite
öde Fläche wandern, als wolle er sich überzeugen, daß er sich unbesorgt
einem festen Schlafe hingeben könne.

Da traf sein Auge in der Ferne auf einen hellen Fleck, den er früher nicht
bemerkt hatte. Er zog sein Fernglas hervor, und erkannte durch dasselbe
einige zwanzig Antilopen, welche über die schwarze Ebene wanderten und
wahrscheinlich, wie sein Rappe es gethan hatte, das Wasser aufsuchten. Ihre
Richtung war aber weiter nach dem Bache hinauf, wo kein Busch, kein hohes
Gras ein Annähern an dieselben möglich machte, und da Carl die große
Neugierde dieser Thiere kannte, so hieb er schnell einen langen Stock von
der Pappel, spitzte ihn unten zu, band sein Taschentuch an das obere Ende,
und pflanzte diese Fahne einige fünfzig Schritt am Bache hinauf in dessen
erhöhtes Ufer. Nun legte er sich hinter die Pappel und beobachtete die
Antilopen durch sein Fernglas. Sie kamen unbekümmert und unaufmerksam
immer näher, bis sie plötzlich stillstanden und sämmtlich die Köpfe
emporrichteten. Sie blickten verwundert und neugierig nach der im Winde
wehenden Fahne. Ein altes Thier setzte sich jetzt in Bewegung und schritt
dem Rudel voran der Fahne zu, während die anderen sich zusammendrückten und
der Alten folgten. Carl hielt immer noch das Glas auf sie gerichtet, bis
sie sich in Trab setzten, dann griff er schnell nach der Büchse, hob sich
hinter dem Baum auf ein Knie und machte sich zum Schusse bereit. Jetzt
kamen die Antilopen im Galopp nach der Fahne herangesprungen, und als sie
dieselbe bis auf fünfzig Schritte erreicht hatten, wandten sie sich im
Kreis um sie und jagten direct auf die Pappeln zu. Da hob der Rappe seinen
Kopf aus dem Grase empor, und die Antilopen sprangen erschrocken zur Seite.
Carl aber hatte seine Büchse schon fest auf einen jungen Bock gerichtet und
gab Feuer. Das Thier überschlug sich, und bemühte sich vergebens, wieder
aufzuspringen, um seinen Gefährten zu folgen; es konnte nicht weiter, die
Kugel war ihm am Herzen durchgegangen. Mit raschen Sprüngen hatte Carl den
Bock erreicht und ihm den Todesstoß gegeben. Er schnitt schnell das beste
Fleisch von ihm ab, um für einige Tage frisches Wildpret zu haben, und
zündete darauf ein Feuer bei den Pappeln an, über welchem er sich ein
Mittagsmahl aus den feistesten Stücken bereitete. Es schmeckte ihm ganz
vortrefflich, er labte sich nochmals durch einen frischen Trunk, und dann
streckte er sich im Grase aus, um sich vollends für die Weiterreise zu
stärken.

Die Sonne begann sich schon zu neigen, als er erfrischt erwachte und seinen
Rappen zum Aufstehen ermunterte. Derselbe schien auch neues Leben bekommen
zu haben, und Carl hatte ziemlich viel Mühe, um ihn zu satteln. Endlich
aber saß er wieder auf dem Rücken des Hengstes, und ließ ihn nun tüchtig
austraben, indem er dem Bache hinauf folgte, da derselbe aus Südwest
hergeflossen kam. Er beabsichtigte nämlich, so weit in dieser Richtung
vorzudringen, wo das Feuer nicht mehr gewüthet hatte, und dann seinen Weg
nach Osten einzuschlagen, wo er jedenfalls auf Ansiedelungen stoßen mußte.
An diesem Wasser war sein Pferd vor Hunger und Durst gesichert, und es
stand zu erwarten, daß er auch an seinen Ufern Wildpret antreffen werde.
Er ritt noch spät in die Nacht hinein, schlief abermals an dem Rande
des Baches, und folgte demselben während des ganzen nächsten Tages. Mit
Sonnenuntergang erreichte er auf einer Höhe, wo wenige entlaubte Eichen
standen, die Quellen des Baches, und schlug hier sein Nachtlager auf. Am
folgenden Morgen glückte es Carl wieder, einen feisten Hirsch zu erlegen,
wodurch sein Vorrath an frischem Fleisch ersetzt wurde.

Das Wasser war hier nun zu Ende, und der Knabe würde abermals mit Zweifeln
über seine nächste Zukunft sein Pferd bestiegen haben, hätte er nicht
von hier aus in der Ferne vor sich die blauen Umrisse eines über dem
Prairierand aufsteigenden Waldes erkannt. Mit neuer Hoffnung, in jenem
Walde endlich die Grenze der Verwüstung, die das Feuer angerichtet hatte,
zu finden, verließ er die Quellen, und gab seinem Hengst die Zügel, damit
er ihn schnellmöglichst aus dieser Einöde tragen möge. Der Rappe hatte sich
sehr erholt, und begann durch seinen Uebermuth seinem Reiter oft viel zu
schaffen zu machen, dieser aber kannte ein sehr gutes Mittel, um ihn zu
bändigen: er ließ ihn nach Herzenslust laufen, und wenn er dann, etwas
ermüdet, langsam gehen wollte, dann trieb er ihn mit den Sporen zum Galopp
an, bis ihm der weiße Schaum auf den schwarzen Flanken stand. Nach einigen
Stunden flüchtigen Rittes näherte sich Carl dem Walde, dessen grüner
Schein von immergrünen Baum- und Straucharten zeugte, die sich in demselben
befanden. Carls Hoffnung, hier die Grenze der Feuerverwüstung zu finden,
wuchs mit jedem Schritte des Rappen, und sie wurde zur Wahrheit, als er
um die Mittagszeit das Holz erreichte. Der Brand war bis an dessen Saum
gedrungen, und war an ihm hin nach Nordwesten gezogen. Der Wald war
ziemlich licht, nur einzeln zeigte sich hier und dort eine Dickung von
immergrünen Lorbeer- und Myrthenarten in demselben, aber allenthalben unter
den einzelnstehenden Bäumen befand sich frisches junges Gras, in welchem
das Feuer keine Nahrung gefunden hatte.

Carl verfolgte seine Richtung durch den Wald, in der Hoffnung, Wasser zu
finden, welches er um so sicherer glaubte, weil sich nach allen Seiten hin
ungeheure Felsstücke aus dem Boden erhoben. Schon nach Verlauf einer halben
Stunde gelangte er an die westliche Seite des Holzes, wo dasselbe sich an
eine hügelige Prairie anlehnte, die, so weit das Auge reichte, mit frischem
jungen Grase bedeckt war. Dieses Land mußte vor einigen Monaten von
Indianern abgebrannt sein, wie denn überhaupt alle Prairiebrände durch die
Wilden erzeugt werden. Wenn ein Indianerstamm eine Zeitlang an einem Orte
verweilt hat und das Wildpret spärlicher wird, so zieht er weiter und
benutzt den Augenblick, wo der Wind von daher weht, wohin er reisen will,
um das Gras anzuzünden, damit er, wenn er nach einigen Monaten in diese
Gegend zurückkehrt, hier frische Weide und Reichthum an Wild vorfindet.

An dem Saume des Waldes traf Carl denn auch auf ein herrliches klares
Wasser, welches von einer felsigen Höhe zu seiner linken Seite herabkam.
Er beschloß, hier zu rasten, sich und sein Pferd auszuruhen, und dann der
Grenze der Feuerverwüstung bis zu deren Anfang nach Südost zu folgen. --
Die Felsen erhoben sich in dem Walde in kurzer Entfernung von Carl, und
er lenkte sein Pferd nach ihnen hin, indem er an dem rauschenden Wasser
hinaufritt.

Je näher er den hoch übereinander aufgethürmten Steinmassen kam, um so mehr
einzelne mächtige Felsblöcke lagen zwischen den Bäumen umher, so daß er
endlich sein Roß in das Wasser selbst leiten mußte, um nach dessen Quellen
gelangen zu können.

Ohne große Schwierigkeiten erreichte er den Fuß der hohen Felsenpartie,
wo das Wasser aus einer tiefen Spalte in dem grauen Gestein lustig
hervorsprudelte und durch einen kleinen Grasplatz rieselte, der ihm sein
frisches üppiges Grün verdankte. Dies war ein herrlicher Weideplatz für
den Rappen, so wie ein recht heimliches Versteck für ihn und seinen
Reiter, deßhalb sah sich Carl nach einem passenden Ort um, wo er sein
Lager aufschlagen wollte. Er war nur eine kurze Strecke an den steil
aufstrebenden Felsen zwischen uralten immergrünen Eichen und umherliegendem
Gestein hingeschritten, als er hinter einem dichten Lorbeergebüsch eine
tiefe Spalte in der Felswand bemerkte, die sich nach unten sehr erweiterte
und eine geräumige Höhle zu bilden schien. Als er seinen Rappen zu deren
Eingang führte, fand er, daß sie weit in den Berg hineinführte und geräumig
genug war, ihn und sein Pferd in sich aufzunehmen. Einen passenderen Platz
für seine Rast hätte er sich gar nicht wünschen können; nur wollte er
vorsichtig das Innere der Höhle untersuchen, ob auch kein Raubthier darin
verborgen sei, denn es war ja die Schlafzeit der Bären. Er führte den
Rappen von dem Eingange hinweg, befestigte ihn an einem Baum, und schritt
dann mit der Büchse in der Hand in die Höhle hinein. Kaum aber war er
eingetreten, als ein betäubendes Geklapper darin erschallte und Carl
schnell wieder in den Eingang zurücksprang; denn er erkannte das warnende
Zeichen der Klapperschlange, welches sie mit der Klapper an dem Ende
ihres Schwanzes einem jeden Nahenden giebt, und er glaubte, daß wenigstens
hundert dieser Thiere sich in der Höhle befinden müßten, um ein solches
Getöse hervorzubringen. Er hatte aber in der Nähe des Forts schon so
unzählig viele dieser Schlangen todtgeschlagen und wußte, daß sie einem
Menschen in keiner Weise gefährlich werden können, wenn ihm nur ihre
Gegenwart bekannt ist, da sie nur aus Nothwehr beißen und immer ängstlich
vor dem Menschen fliehen. Carl bewaffnete sich daher mit einem tüchtigen
langen Stock, und ging dann in die Höhle zurück. Die Schlangen hatten sich
sämmtlich in das hinterste Ende derselben geflüchtet und sich zwischen
losem Gestein verkrochen, das Tageslicht fiel aber von der Höhe der
Felsspalte hinreichend auf sie herab, so daß Carl sie erkennen konnte. Als
er sich ihnen nun näherte, hoben sie die Köpfe hoch empor und klapperten
durch die schnelle zitternde Bewegung ihres Schwanzes; jeder Hieb des
Knaben aber, den er nach einem der Köpfe führte, tödtete eine Schlange. Es
waren deren, große und kleine zusammen, einige Dutzende; Carl warf sie mit
dem Stock zur Höhle hinaus und untersuchte in derselben Alles genau, ob
sich keines dieser widrigen Thiere noch irgendwo versteckt halte, er hatte
sie aber sämmtlich getödtet. Nun befreite er sein Roß von Sattel und Zeug,
trug Alles in die Höhle hinein, und band dann den Rappen auf dem nahen
Grasplatz in die Weide. Er hatte einige köstliche Stücke Hirschfleisch mit
hierhergebracht, welche er jetzt für seine Mahlzeit zubereitete, und zwar
innerhalb der Höhle, wo er ein Feuer anzündete. Der Rauch desselben zog
durch die hohe Spalte, wie durch einen Schornstein ab, und verschwand in
den dichtbelaubten Kronen der Lebenseichen, die ihre ungeheuern Aeste
rings um den Felsen ausbreiteten, so daß eine aufsteigende Rauchsäule
Carls Gegenwart nicht an Wilde verrathen konnte, im Falle sich deren in der
Umgegend aufhalten sollten. Von dem Eingange der Höhle aus konnte er nicht
allein sein Pferd beobachten, sondern auch, wie von einer Festung herab,
weithin durch den Wald blicken, und hielt während des ganzen Tages scharfe
Wacht. Mit Ausnahme von einigen Rudeln Hirschen, die flüchtig vorüberzogen,
gewahrte er aber weder Thiere, noch Indianer, und er wunderte sich, hier
nicht einen größern Reichthum von Wildpret zu finden, da im Walde sowohl,
als auch auf der nahen Prairie das Gras jung und üppig stand, und im Osten
das Land auf so ungeheure Entfernungen kahl gebrannt war.

[Illustration]

Als die Sonne sich neigte und der Rappe nicht mehr weiden wollte, sondern
sich in dem Grase zum Ruhen niederlegte, führte ihn Carl in die Höhle
und befestigte ihn dort an einem starken Holzpflock, den er mit dem Beile
zurechtgehauen und in eine enge Spalte zwischen dem Gestein eingeschlagen
hatte. Dann stellte er einige dicht belaubte Büsche vor die Höhle, damit
der Eingang einem unberufenen fremden Auge verborgen bleiben möge, und nahm
seine Waffen, um in der Nähe zu versuchen, ob er ein Stück Wild erlegen
könne. Nochmals durchblickte er von der Höhe herab den Wald, und ging dann
vorsichtig zwischen den Felsstücken hin, indem er fortwährend mit wachsamem
Auge um sich spähete. Er traf nur wenig Wild an, und die einzelnen Hirsche
und Antilopen, die er zu Gesicht bekam, waren außerordentlich scheu und
flohen schon auf weite Entfernungen, wenn er sich ihnen nahen wollte.
Er hatte in der Umgebung des Forts, wo er und Daniel doch so oft jagten,
niemals das Wild so scheu gesehen, und erklärte sich dessen Wildheit hier
durch den stattgehabten Prairiebrand, welcher die Thiere so in Flucht
gesetzt haben mußte. Es war schon sehr düster geworden, als Carl an dem
Wasser hinauf nach seiner Höhle zurückging, ohne daß es ihm gelungen
war, eine Jagdbeute zu machen, und er erstieg die felsige Höhe im letzten
Scheine des scheidenden Tageslichtes, da kam es ihm vor, als ob er in der
Ferne einen Schuß gehört habe. Er blieb stehen und lauschte lange Zeit, es
war aber Alles still, und er suchte sich zu überreden, daß er sich verhört
habe, denn der Schuß konnte nur von einem Indianer herrühren, und die
Gegenwart von Wilden, welche in dieser Gegend jagten, konnte auch die
Ursache von dem scheuen Benehmen der Thiere sein.

Er beruhigte sich aber, als er durch die Büsche in die Höhle trat, denn
in diesem Versteck war er zu gut verborgen, als daß ihn ein Indianer hätte
auffinden können, und lange wollte er ja auch nicht hier verweilen. Wenn
er hier nur einen Hirsch erlegte und dessen Fleisch trocknete, so hoffte er
mit diesem Mundvorrath seine Rückreise nach dem Fort ausführen zu können,
im Fall ihm die Jagd unterwegs keine neue Beute liefern sollte. Zu diesem
Zweck wollte er am folgenden Morgen sein Jagdglück noch einmal versuchen.

Seinen Rappen fand Carl, wohlbehalten der Ruhe pflegend, auf dem Boden
ausgestreckt, und das Thier hob nur zutraulich den Kopf empor, um seinen
Herrn zu begrüßen. Carl klopfte ihm schmeichelnd den Hals, legte dann seine
Waffen ab und zündete ein Feuer an, um sein Abendbrot zu bereiten. Sobald
dieses aber geschehen war, löschte er das Feuer wieder aus, damit der helle
Schein in der obern Felsspalte seine Gegenwart nicht etwa verrathen möge.
Er hätte es gern während der Nacht unterhalten, denn es wurde sehr kühl und
der Wind blies in die Höhle herein, seine Vorsicht aber untersagte es ihm,
deßhalb hüllte er sich dicht in seine Büffelhaut und empfahl sich Gottes
Schutz, während ihm die Müdigkeit die Augen zudrückte.

Der Morgen graute, als Carl aus einem ruhigen erquickenden ungestörten
Schlafe erwachte und schnell emporsprang, damit er die Dämmerung noch zu
der beabsichtigten Jagd benutzen könne. Mit der Büffelhaut um die
Schultern und der Büchse in der Hand, trat er aus der Höhle auf einen der
vorspringenden Felsen und durchspähete und überlauschte die nahe Umgebung,
dann erfrischte er sich schnell bei dem sprudelnden Wasser, trug die
Büffelhaut in sein Versteck zurück, und trat nun seine Wanderung in den
Wald hinab an, von Stein zu Stein, lauschte auf jedes, auch das leiseste
Geräusch, und achtete auf jede Bewegung, die ein leichter Luftzug in dem
schwer bethauten Laub und in den üppigen Pflanzen um ihn her erzeugte. Wohl
eine halbe Stunde lang war er in dem Walde hin- und hergeschlichen, ohne
auch nur ein Stück Wild zu Gesicht zu bekommen, da warf die Sonne ihren
ersten Blick durch die immergrünen Bäume, und in dem goldigen Lichte,
welches auf eine frische grüne Grasfläche unter hohen Lebenseichen fiel,
erkannte Carl die glänzend rothe Farbe eines sich äsenden Hirsches. Er
schlich sich leichten Fußes schnell von Eiche zu Eiche, und hatte sich dem
Thiere bis auf hundert Schritte genähert, als dieses plötzlich zusammenfuhr
und mit weiten Sätzen davon sprang. Carl aber folgte ihm mit dem Rohre
seiner Büchse, und es hatte nur wenige Sprünge gethan, als der Schuß
des Knaben den Wald durchhallte und der Hirsch, tödtlich getroffen,
zusammenstürzte. Freudig sprang Carl zu ihm hin, warf sich über ihn her,
damit er ihm nicht entgehe, und gab ihm mit dem Jagdmesser den Todesstoß.
Die Büchse hatte er neben sich in das Gras gelegt und knickte bei dem
Hirsch, um ihn auszuweiden, da sagte eine Stimme ganz in seiner Nähe:

»Ei, ei, noch so jung und doch schon ein so guter Jäger?«

Carl fuhr erschrocken empor, indem er zugleich seine Büchse ergriff, und
blickte sich nach dem Sprecher um; da trat in kurzer Entfernung von ihm ein
großer schöner Mann hinter einer Eiche hervor und winkte ihm freundlich zu,
indem er sagte:

»Brauchst nicht zu dem Gewehre zu greifen, Du hübscher Knabe, denn wenn
ich Dir hätte etwas zu Leide thun wollen, so würde ich Dich nicht angeredet
haben. Du warst ja in meiner Gewalt und auch ich weiß die Büchse zu
handhaben; aber Dein Schuß nach diesem Hirsch war ein Meisterschuß, und es
jagen nicht viele Jäger in diesem Lande, die Dir denselben nachthun können.
Wo lagert Deine Jagdgesellschaft? Ich bin ein Delaware und ein Freund der
weißen Männer, führe mich zu ihnen, damit ich mit ihnen rauchen und reden
kann.«

Carl hatte auf den ersten Blick erkannt, daß der Fremde ein Indianer sei,
wenngleich dessen Erscheinung von der jener Wilden verschieden war, die er
bisher gesehen hatte. Derselbe trug ein aus Wildleder verfertigtes, bunt
gesticktes und zierlich befranztes Jagdhemd, welches ihm bis an die Kniee
reichte, trug hirschlederne Gamaschen und Mokassins von demselben Material,
und um seinen Kopf war ein buntes seidenes Tuch in Form eines Turbans
gewunden. Unter demselben hing das glänzend schwarze Haar des Indianers
über seine breiten Schultern herab, und um seinen braunrothen Nacken lag
eine breite Perlenschnur, an welcher eine große silberne Medaille mit
dem Bildniß des Präsidenten der Vereinigten Staaten bis auf seine nackte
dunkelfarbige Brust reichte. Er war eine hohe schöne Mannsgestalt von
schlankem aber muskulösen Bau, und die Formen seines männlichen Gesichts
waren edel und ausdrucksvoll. Die Adlernase und die hohe Stirn zeugten von
Willenskraft, Entschlossenheit und Muth, und in seinen großen dunklen Augen
lag ernste Ruhe und tiefe Leidenschaftlichkeit zugleich. Dieselbe Ruhe lag
auf seiner ganzen stolzen Erscheinung, und jede seiner Bewegungen schien
von ihr beherrscht zu werden. Als er aber zu Carl sprach, hatten seine Züge
einen freundlichen milden Ausdruck angenommen, der dem Knaben Vertrauen
einflößte und die schreckhafte Ueberraschung, die sich seiner im ersten
Augenblicke bemeistert hatte, verscheuchte.

»Wenn Du ein Delaware-Indianer bist, so habe ich keine Ursache, vor Dir
besorgt zu sein; denn die Delawaren sind ja immer Freunde der Weißen
gewesen, und haben gegen die Engländer mit großer Treue an ihrer Seite
gefochten, als sie sich von deren Herrschaft befreiten. Daniel hat mir
sehr viel Gutes von den Delawaren erzählt,« entgegnete Carl, indem er ohne
Bangen dem Indianer die Hand hinreichte, die dieser zutraulich ergriff.

»Wer ist denn der Daniel, der so viel Gutes von den Delawaren gesagt hat?«
fragte der Indianer.

»Er ist ein Neger, der sich als Freund bei meinem Onkel aufhält,«
antwortete Carl.

»Und wo ist denn Dein Onkel? führe mich zu ihm,« fuhr der Indianer fort.

»Mein Onkel ist nicht hier, er wohnt am Bärfluß, ich bin allein hier.«

»Du allein hier?« fragte der Indianer mit einem Tone, als bezweifle er die
Wahrheit von Carls Aussage.

»Ja, ganz allein. Der Prairiebrand hat mich hierhergetrieben und es ist
ein Wunder, daß ich nicht dabei umgekommen bin. Mein armes Pferd habe ich
verloren, doch habe ich mir ein wildes Pferd dafür gezähmt, welches
mich hierhergetragen hat,« erwiederte Carl mit seiner natürlichen
Offenherzigkeit.

»Du setzest mich in Erstaunen; bist ja doch nur noch ein Knabe, und Dein
Benehmen, so wie Deine Handlungen sind die eines tüchtigen Mannes. Wie
heißest Du? mein Name ist Leopard.«

»Ich heiße Carl Scharnhorst, und mein Onkel am Bärfluß heißt Max Turner,«
antwortete Carl.

»So komm mit mir in mein Lager, Carl, ich bin mit meinem Stamme auf dem
Wege nach dem Bärfluß, und will Dich zu Deinem Onkel zurückbringen. Am
Choctawbache habe ich viele Freunde, die ich in jedem Frühjahre besuche. Wo
hast Du Dein Pferd?« nahm der Indianer wieder das Wort und legte liebkosend
seine Hand auf die Schulter des Knaben.

»Dort hinauf, in jenem Felsen,« entgegnete Carl, nach der Höhe zeigend.

»In der Höhle dort oben? Ich habe schon manchen feisten Bären in ihr
getödtet, sie ist ein Lieblingsaufenthalt der Petze. Lade Deine Büchse, ich
will dem Hirsch schnell die Haut abnehmen,« sagte der Indianer, und kniete
bei dem erlegten Thiere nieder, während Carl den Schuß in seinem Gewehr
ersetzte.

»Du wirst nicht viel Wild mehr in diesem Walde angetroffen haben,« fuhr
Leopard während seiner Arbeit fort, »wir haben über zweihundert Hirsche und
Antilopen hier geschossen, denn wir fanden sehr viel Wild hier vor, als wir
vor einem Monat hierherkamen, und das Feuer auf der Prairie trieb uns noch
eine große Anzahl davon zu. Es ist gut, daß ich Dich getroffen habe, denn
wir wollten morgen von hier aufbrechen. Schade nur, daß Du nicht früher
hier warest; ein Jäger wie Du es bist, wäre mir sehr willkommen gewesen.«

In wenigen Minuten hatte der Indianer dem Hirsch die Haut abgenommen,
denselben zerlegt und sich mit den beiden Keulen beladen, während er die
Schulterblätter und den Rücken desselben zusammenband und Carl zu tragen
gab. Darauf ergriff er seine lange einfache Büchse und schritt mit seinem
jungen Gefährten den Felsen zu, die sie bald erreichten. Leopard kannte den
Weg nach der Höhle sehr gut, und trat voran in dieselbe hinein. Der Rappe
sprang entsetzt vor dem Indianer zurück, Carl aber beruhigte ihn, und
während jener das Roß von allen Seiten betrachtete und seine Formen lobte,
legte Carl demselben Sattel und Zeug auf und befestigte das mitgebrachte
Wildpret an demselben. Nachdem er nun noch die Büffelhaut über den Sattel
geworfen hatte, leitete er das Pferd aus der Höhle dem Indianer nach,
welcher einen, Carl noch nicht bekannten Pfad zwischen den Felsen
hinabschritt, auf welchem sie bald die frisch grüne Prairie erreichten.
Leopard war verstummt und schien in Gedanken versunken, und Carl war im
Geiste schon im Fort zurück, sah sich von seinen Lieben umarmt und hörte
ihren Jubel, ihre Worte der Liebe. So schritten sie schweigend an dem
Waldsaume hin, bis sie nach einer halben Stunde das Lager der Delawaren
erreichten.

Carl erkannte dasselbe schon von Weitem an den Rauchsäulen, die zwischen
den einzelnstehenden Eichen aufstiegen, und bald darauf an den vielen
Pferden, welche theils in dem Schatten der Bäume, theils in der nahen
Prairie weideten.

Das Lager selbst bestand aus einigen zwanzig Zelten, die aus Baumwollenzeug
verfertigt und vermittelst hölzerner Stangen aufgestellt waren. Vor jedem
Zelte brannte ein Feuer, an welchem man Indianerinnen beschäftigt sah,
Speisen zu bereiten, während daneben junge kräftige Männer auf Büffelhäuten
ruhten, oder ihre Waffen reinigten und in Stand setzten. Wo man hinblickte,
sah man zum Trocknen ausgespannte Thierfelle an den Bäumen hängen, oft
einige Dutzend derselben, die bis in die höchsten Aeste hinauf sich in dem
Winde schaukelten.

Als Leopard mit seinem Gaste in das Lager schritt, erhoben sich die Männer
und kamen ihm entgegen, um ihn zu begrüßen; denn er war der Häuptling
dieses Stammes und zugleich erster Häuptling aller Delawaren, die aus zehn
solcher Abtheilungen bestanden. Die ganze Nation zählte kaum noch einige
Tausend Seelen, obgleich sie in früheren Jahren die mächtigste unter
den Indianern dieses Welttheils war, und die östlichen Länder von der
Chesapeakebay bis zu den großen Landseen im Norden als ihr Eigenthum
beherrschte. Von den Weißen aus ihrer Heimath verdrängt, blieben die
Delawaren denselben dennoch treu befreundet, und wanderten unter blutigen
Kämpfen mit anderen Indianern weiter und weiter nach Westen, bis sie
endlich an dem Kanzasflusse, westlich von Missouri, eine bleibende Stätte
sich gegründet hatten, welches Land ihnen von der Regierung der Vereinigten
Staaten als freies unantastbares Eigenthum überwiesen wurde. Dort hatten
sie sich nun einer Art von Civilisation hingegeben, das heißt, sie gaben
ihr Wanderleben auf, bauten sich Dörfer, trieben Viehzucht und pflanzten
Mais. In diesen kleinen Niederlassungen wohnten nur die alten Leute, die
größere Zahl der Frauen und die Kinder, während die jungen Männer mit nur
wenigen Weibern beinahe Jahr aus Jahr ein der Jagd lebten, und im Frühjahr
nach Norden bis in die Felsengebirge, und im Herbst nach Süden bis an die
Ufer des Golfs von Mexico dem Wild folgten. Auf ihrer Durchreise hielten
sie sich nur einige Wochen in ihren Niederlassungen auf, und nahmen dann
abermals auf ein halbes Jahr Abschied von den Ihrigen. Die Delawaren
standen aber auch in dem Dienst der Regierung der Vereinigten Staaten, und
wurden von derselben zu Unterhandlungen und Vermittlungen mit den anderen
Nationen der Indianer verwandt, wofür sie jährlich eine sehr bedeutende
Summe Geldes baar ausbezahlt bekamen. Dies Freundschaftsverhältniß zu
der Regierung war theilweise eine Ursache, weshalb die Delawaren bei den
anderen Indianern in hohem Ansehen standen; der Hauptgrund lag aber in
ihrer Persönlichkeit, in ihrem Charakter. Offenheit, Biederkeit und tiefes
Gefühl für Freundschaft, aber auch unversöhnliche Rachsucht, Kühnheit und
Tapferkeit bis zur Verzweiflung waren ihre vorherrschenden Eigenschaften.
Auch die mächtigsten Nationen unter den Indianern wagten es nicht, zu
Feindseligkeiten mit den Delawaren Veranlassung zu geben, und erkannten
ihre große Ueberlegenheit als Krieger an. Die Delawaren waren sämmtlich
vortreffliche Schützen, besaßen die besten Feuerwaffen, und waren ebenso
gewandt zu Fuß, wie zu Pferde. Namentlich gegen die südlichen Indianer,
welche mit den Weißen in noch keinerlei freundliche Beziehung getreten
waren, und noch in ihrem ursprünglichen Naturzustande lebten, standen sie
in großem Vortheile; denn jene führten durchaus keine Feuerwaffen, weil die
Weißen ihnen dieselben nicht ausbesserten und ihnen keine Munition zukommen
ließen.

Jetzt war Leopard mit seinem Stamme auf seiner Rückreise nach Norden,
nachdem er mehrere Monate lang in diesen südlichen Ländern gejagt hatte,
und wollte wieder einige Wochen bei den Seinigen am Kanzasflusse rasten,
ehe er nach Norden zur Jagd aufbräche; denn der Frühling sollte ihm
voranziehen und dort die Grasfluren mit frischem Grün schmücken. Der
Häuptling übergab Carls Roß einer Indianerin, damit sie für dasselbe Sorge
trage, und führte ihn selbst zu seinem Zelte, wo er ihn willkommen hieß
und ihm seinen Schutz und seine Gastfreundschaft zusicherte. Er sprach, wie
alle Delawaren, sehr gut englisch, rief aber nun in seiner Muttersprache
die Männer aus dem Lager zusammen, und theilte ihnen mit, in welcher Weise
er mit dem fremden Knaben bekannt geworden sei, woher derselbe stamme und
daß er beabsichtige, ihn zu seiner Familie an den Bärfluß zurückzubringen.
Die Mittheilung über Carls Tüchtigkeit als Jäger erwarb ihm bei den
Indianern sofort Ansehen und sie betrachteten mit großer Bewunderung seine
Waffen. Sie hatten sich zu ihm gesetzt und ließen seine Büchse von Hand zu
Hand gehen, da ein Jeder von ihnen dieselbe in Augenschein nehmen wollte,
als plötzlich ein großer Raubvogel über ihnen erschien und seine Kreise in
der Luft beschrieb. Leopard sah Carl lächelnd und fragend an, und deutete
auf den Vogel über sich, als ob er wünsche, daß sein junger Gast die
Mittheilung wahr machen möchte, welche er seinen Leuten über dessen
Geschicklichkeit im Schießen gegeben habe. Carl blickte nach dem Vogel
hinauf, ergriff rasch die ihm hingereichte Büchse, zielte einen Augenblick
nach dem über ihm schwebenden Falken und gab Feuer. Der Raubvogel aber ließ
in demselben Augenblick seine Flügel sinken, und fiel unter dem lautesten
Jubel und den Freudenrufen der Indianer aus der Luft herunter in das Gras.
Der Häuptling schaute mit einem stolzen Blick durch die Versammlung und
reichte dann Carl wie zum Danke die Hand, indem er sagte: »Warum mußtest
Du auch unter den Weißen geboren werden und nicht unter den Delawaren? Du
würdest ein großer Mann unter ihnen geworden sein. Hättest Du keine Freunde
am Bärflusse, so sollten die Delawaren Deine besten Freunde werden.«

Nun folgten alle Indianer dem Beispiele ihres Häuptlings, reichten Carl
die Hand, und ein Jeder von ihnen sagte dem Knaben, daß er sein Freund sei.
Carl war ganz glücklich über die liebevolle Behandlung, die ihm zu Theil
ward, und es freute ihn, daß er Daniels Mittheilungen über die Delawaren so
treu bestätigt fand. Er wurde nun mit der größten Aufmerksamkeit bewirthet,
es wurden ihm in der Asche gebackene Bärentatzen, geröstete Markknochen von
Büffeln und gebratene Hirschleber vorgesetzt, und herrlicher klarer Honig
dazu gereicht. Nach dem Essen lagerten sich die Indianer um ihn im Schatten
der Bäume, und er mußte ihnen von Europa erzählen; denn er hatte dem
Häuptling mitgetheilt, daß er nicht in Amerika geboren sei.

Er hatte unzählige Fragen zu beantworten, und Alles, was der Knabe sagte,
wurde mit größter Aufmerksamkeit angehört. Abends aber nach dem Essen, als
sie vor dem Zelte des Häuptlings beim Feuer lagen, bat Carl diesen, er möge
ihm nun auch über die Geschichte seines Volkes Etwas erzählen, da ihn dies
eben so sehr interessire, wie ihn Carls Mittheilungen über Europa. Der
Häuptling schien sich durch diese Bitte geschmeichelt zu fühlen, setzte
sich aufrecht und begann mit ernstem, feierlichen Tone die Größe seines
Volkes in jener Zeit zu schildern, als dasselbe die Ufer der Chesapeakebay,
des Susquehanna und der großen Landseen im Norden seine Heimath nannte, und
sein Reich sich bis an die Küsten des Oceans erstreckte. Mit hinreißender
Begeisterung pries er den damaligen unerschöpflichen Reichthum der endlosen
Jagdgründe in dem Lande der Delawaren, schilderte die Schönheit der edlen
Pferde und der auserlesenen Waffen, welche seine Vorfahren besessen
hatten, und nannte mit Verehrung die gefeiertsten Krieger, deren Namen
seit Jahrhunderten von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht in
dem Andenken des Volkes fortgelebt hatten. Er sprach von der Macht der
Delawaren, von ihrer Wahrheitsliebe, von ihrer Gastfreundschaft, von ihrer
Tapferkeit und von den vielen glorreichen Siegen, die sie über ihre
Feinde erkämpft hatten. Er redete mehrere Stunden lang, ohne von einem der
Umsitzenden unterbrochen zu werden, und ebenso, wie alle übrigen Zuhörer,
wurde auch Carl von der feierlichen Mittheilung über die vergangene Größe
der Delawaren tief ergriffen. Mit einem Ausdruck der Wehmuth, der Trauer
verstummte der Häuptling endlich, und saß eine Zeitlang, schweigend vor
sich niedersehend, da, dann ergriff er die Hand Carls und sagte mit einem
Blick zu dem sternbedeckten Himmel über sich: »Es ist der Wille des großen
Geistes, daß die rothen Kinder den Weißen Platz auf dieser Erde machen
sollen!«

Abermals versank er dann in stummes Nachdenken, welches, wie es schien,
die übrigen Indianer als einen Wink des Häuptlings betrachteten, sich zu
entfernen; denn sie erhoben sich sämmtlich und begaben sich nach ihren
verschiedenen Zelten. Als nun der Häuptling noch allein mit Carl beim Feuer
saß, wandte er sich zu ihm und sagte: »Du nanntest heute früh einen Neger
den Freund Deines Onkels; ich will wünschen, daß Dein Onkel sich nicht von
dem Neger bethören läßt; ein Mohr ist niemals ein Freund, ein Mohr redet
mit doppelter Zunge, und sein Herz ist so schwarz wie seine Haut.«

»Dann macht unser Freund Daniel eine Ausnahme von der Regel, er ist uns ein
wahrer, aufrichtiger und uneigennütziger Freund,« fiel ihm Carl schnell
in die Rede, um auch nicht einen Augenblick länger einen so ungerechten
Verdacht auf seinem Daniel zu lassen.

»Das läßt er Euch glauben, so lange, bis es ihm einen Vortheil bringt, Euch
zu hintergehen,« fuhr der Häuptling fort.

»Nein, nein, Daniel ist und bleibt ewig unverändert unser treuer Freund und
will uns niemals verlassen,« fiel Carl wieder ein; denn von dem ehrlichen
Daniel sollte Niemand etwas Unrechtes sagen.

»Er wird so lange bei Euch bleiben, bis er anderswo glaubt, einen
angenehmeren Aufenthalt zu finden. Auch bei mir lebte ein Neger, er hieß
der schwarze Panther, und er war mein bester Jäger, so wie mein bester
Krieger. Den schwarzen Panther fürchteten die Indianer von dem Golf von
Mexiko bis hinauf zu den Felsengebirgen! Er wurde unter uns geboren, denn
sein Vater und seine Mutter waren Sclaven meines Vaters. Ich habe den
Knaben zuerst auf ein Pferd gesetzt, ich habe ihm die ersten Waffen in die
Hände gegeben und ihn angewiesen, sie zu gebrauchen, und ich war es, der
ihm das Kriegsgeschrei der Delawaren lehrte, welches später Keiner von uns
Allen mit solcher Gewalt ertönen lassen konnte, wie der schwarze Panther.
Er hat an meiner Seite geschlafen, gespeist, gejagt und gekämpft, und wo
der Leopard und der schwarze Panther erschienen, da war ihnen der Sieg
gewiß. Seine Eltern starben, ihre Gebeine ruhen bei denen meiner Väter,
und der schwarze Panther wurde dem Leoparden untreu und verließ ihn, ohne
Abschied von ihm zu nehmen. Er floh den Ansiedelungen der Weißen zu, ich
folgte ihm, um ihm die Füße zu lähmen und ihn den wilden Thieren als Beute
zu überlassen; die Füße des schwarzen Panthers aber waren schneller und
leichter, als die des Leoparden, und er entkam unter die Weißen. Ich habe
nie wieder von ihm gehört; ein Neger hat kein Herz für einen Freund, er hat
nur ein Herz für sich selbst.«

Bei diesen Worten des Häuptlings verstummte Carl, es war ihm, als ob
ihm der Athem genommen würde, denn die Worte Daniels fielen ihm ein,
die derselbe dem fliehenden Waco-Indianer zugerufen hatte, ehe er ihn
niederschoß: »Du hast wohl einmal vom schwarzen Panther gehört!«

Daniel war der schwarze Panther, darüber konnte Carl nicht mehr in Zweifel
sein, und mit Angst und Schrecken dachte er daran, daß der Häuptling den
Neger im Fort wiedersehen und ihm dann ein Leids zufügen würde. Er bereute
es tief, daß er überhaupt von Daniel gesprochen hatte, weil Leopard gewiß
nach ihm fragen würde, wenn sie das Fort erreichten; und Carl sann auf
Mittel und Wege, ein Zusammentreffen des Indianers mit dem Neger zu
verhindern. Der Häuptling unterhielt sich noch eine Zeitlang mit dem
Knaben; als er aber dessen Wortkargheit bemerkte, glaubte er, derselbe sei
müde und wünsche, sich zur Ruhe niederzulegen.

Er bat ihn daher, in sein Zelt einzutreten, und wies ihm dort ein Lager an,
welches die Frauen für ihn aus weichen Thierhäuten bereitet hatten. Dann
wünschte er ihm eine sanfte Ruhe, die ihn für die Reise, welche sie am
folgenden Morgen antreten wollten, stärken möchte.

Vier Tage später saßen Turners Abends, als die Sonne sich neigte, in deren
wohlthuendem Strahlenlichte an der Außenseite des Forts auf einer Bank, und
Daniel hatte sich neben ihnen im Grase niedergelassen. Sie ruhten sich
von der vollbrachten Tagesarbeit aus, und ließen ihre Blicke in trauerndem
Andenken an den geliebten, für sie verlorenen Carl über die weite Grasflur
wandern, auf welcher sie glaubten, daß der treue, brave Knabe seinen
Opfertod gefunden habe. Sie hatten schon eine Zeitlang in spärlicher
Unterhaltung dagesessen, immer wieder war Carl genannt worden, immer wieder
war die Unterhaltung verstummt, und Madame Turner hatte wiederholt die
Thränen heimlich weggewischt, die ihr in die Augen getreten waren, da
richtete sich Daniel auf seiner linken Hand empor, und hielt die Rechte
über die Augen, indem er in die flache Ferne schaute.

»Sollten das Büffel sein, die dort herangezogen kommen? Sehen Sie dort den
schwarzen Strich über jenem Mosquitobaum nicht? Er bewegt sich -- es sind
wahrscheinlich Büffel. Wenn sie nahe herankommen, so will ich doch einen
von ihnen schießen, wir können frisches Fleisch gebrauchen,« sagte der
Neger, indem er wieder auf seinen Ellnbogen zurücksank und seinen Blick auf
die Ferne geheftet hielt.

»Als Carl noch bei uns war, da hatten wir immer Ueberfluß an frischem
Wildpret im Hause, seit seinem Scheiden scheint Alles bei uns die
Thätigkeit verloren zu haben,« sagte Madame Turner, und abermals entfielen
Thränen der Wehmuth ihren Augen.

»Ja wohl, die frohe, rege Thätigkeit hat uns verlassen; weiß der Himmel,
ich mag die Büchse gar nicht mehr anrühren, denn immer sehe ich dann den
lieben Carl wieder vor mir, und es ist mir, als ob mir das Herz zerreißen
wollte,« sagte Daniel mit einem schweren schmerzlichen Athemzug, sprang
aber plötzlich auf und rief: »Das sind keine Büffel, das ist ein Zug
Indianer, sie kommen hierher.«

Mit diesen Worten rannte er in das Fort hinein und kehrte nach wenigen
Augenblicken mit dem Fernglas in der Hand zurück. Er schaute nun durch
dasselbe nach dem schwarzen Streifen hin, der jetzt deutlicher in seiner
Bewegung am Horizont zu erkennen war.

»Das sind Indianer!« sagte er nach einer Weile mit einem Ton, der
unverkennbar verrieth, daß ein Schreck den Neger ergriffen hatte.

»Es müssen viele Indianer sein, denn es ist ja ein langer Zug,« fiel Turner
ein, der die Aufregung Daniels bemerkte, welcher unverwandt das Fernglas
vor dem Auge hielt, ohne eine Sylbe zu erwiedern.

»Sollen wir nicht in das Fort gehen und unsere Waffen zur Hand nehmen?«
fragte Turner mehr und mehr besorgt.

»Sie und die Ihrigen haben Nichts von jenen Indianern zu befürchten, es
sind Delawaren, und die sind den Weißen in Freundschaft zugethan,« fuhr
Daniel mit bebender Stimme fort und hielt immer noch das Fernglas vor das
Auge. Plötzlich aber schlug er mit einem lauten Schrei die Arme auseinander
und rief: »Carl -- Carl, unser Carl -- er lebt -- er kommt -- großer Gott
-- es ist Carl!« und Carl, Carl schrieen Turners und breiteten weinend
und jauchzend ihre Arme nach der Ferne aus, wo der Reitertrupp schnell
dem Blicke deutlicher wurde. Daniel aber war in dem Fort verschwunden
und kehrte nach wenigen Minuten mit seinen Waffen in der Hand unter
sichtbarlich gesteigerter Aufregung zu Turners zurück.

»Ich muß fort,« sagte er, heftig bewegt; »die Delawaren dürfen mich nicht
sehen; sollten sie nach mir fragen, so sagen Sie, ich hätte Sie verlassen,
um wieder auf See zu gehen.«

»Daniel, um Gottes willen, Daniel, Du wolltest uns verlassen -- das ist
unmöglich, Du darfst nicht fort -- bester Daniel, bleibe bei uns -- was
soll ohne Dich aus uns werden!« riefen Turners durcheinander und schlangen
ihre Arme um den Neger; doch dieser wand sich mit den Worten von ihnen los:
»Ich muß fort, um Ihretwillen und um meiner selbst; wenn Carl nicht zu viel
über mich geredet hat, so werden die Delawaren sich nicht lange aufhalten,
und dann komme ich zu Ihnen zurück, ich bleibe im Walde. Sagen Sie nur dem
Häuptling, wenn er nach mir fragt, ich sei wieder auf See gegangen.«

Mit diesen Worten sprang Daniel davon, eilte nach dem Kanoe, und verschwand
bald darauf an der andern Seite des Flusses in dem Walde.

Turners standen sprachlos; das Glück und der Schmerz hatten sie gleich
gewaltig ergriffen, und Thränen der Freude und des Leids füllten zugleich
ihre Augen. Das Glück aber war für den Augenblick stärker; sie sahen den
Reiterzug nahen, und mit ihm den todtgeglaubten Liebling ihres Herzens
ihren Armen entgegeneilen. Näher und näher kamen die Reiter, schneller
und stürmischer schlugen die Herzen der Turners, und sehnsüchtiger und
verlangender breiteten sie die Arme nach dem geliebten Wiederkehrenden aus.
Da sprengte von der Spitze der nahenden Schaar Carl Scharnhorst auf seinem
Rappenhengst heran über das wogende Gras, und sauste unter jauchzenden
Freudenrufen am Hügel herauf seinen Lieben zu. Er warf sich vom Pferde und
Turners in die Arme. Es war ein Augenblick höchster Seligkeit, welche die
Wiedervereinten überwältigend durchbebte, die keine Worte, die nur Thränen,
heiße Freudenthränen hatten, um ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, ihren
übervollen Herzen Luft zu machen.

»Wo ist Daniel?« rief Carl plötzlich, wie aus einem Rausche erwachend, und
blickte sich erschrocken nach den Indianern um, die jetzt den Fuß der Höhe
erreicht hatten und von ihren Pferden stiegen.

»Er ist fort, in den Wald; wir sollen sagen, er sei wieder auf See
gegangen,« antwortete Turner rasch.

»Gottlob, dann wird Alles gut gehen!« sagte Carl und wandte sich
schnell dem Häuptling zu, der jetzt auf der Höhe mit feierlichem Ernst
herangeschritten kam. Carl ergriff seine Hand und führte ihn zu den
Seinigen, indem er ihn denselben als seinen liebevollen hülfreichen Freund
vorstellte. Turners hießen den Indianer mit so stürmischer Herzlichkeit
willkommen, daß derselbe tief ergriffen ward, und mit augenscheinlicher
Freude die Danksagungen, die Liebkosungen der beglückten Familie hinnahm.
Sie ließen ihm kaum Zeit, seinen Leuten zuzurufen, daß sie weiter am
Fluß hinauf ihr Lager aufschlagen möchten, und zogen ihn, von ihren
Armen umschlungen, in das Fort hinein, um ihm dort wieder und wieder ihre
Dankgefühle darzuthun.

Dem Häuptling waren solche stürmische Ausdrücke menschlicher Gefühle eben
so fremd wie überraschend, denn der Indianer zeigt niemals in seiner äußern
Erscheinung, was in seinem Innern vorgeht; im höchsten Schmerz, im höchsten
Glück liegt dieselbe stolze Ruhe auf seinen Zügen. Diese Kundgebungen
der Freude und der Dankbarkeit Turners aber rissen ihn aus seiner äußern
Theilnahmlosigkeit, seine Züge erheiterten sich, Freude, herzinnige Freude
strahlte aus seinen Blicken, -- und immer wieder drückte er Turner und
dessen Gattin die Hände, und nahm die Kinder in seine Arme. Es dauerte
lange, ehe der Sturm des unverhofften Glücks der Wiedervereinten verwogte;
dann aber mußte Carl ausführliche Mittheilung über seine Schicksale und
über seine Rettung machen. Alle lauschten seiner Erzählung mit der größten
Theilnahme, manches »Gottlob« drang von den Lippen der Hörer, manch
dankbarer Blick wurde von ihnen zum Himmel gesandt, und manche Thräne
entfiel ihren Augen. Als er seinen Bericht aber beendet hatte, da ging
der Knabe abermals aus einer Umarmung in die andere, und der Häuptling
wiederholte die Worte: »Warum mußtest Du unter den Weißen, und nicht unter
den Delawaren geboren werden!«

Bis jetzt war des Negers noch nicht erwähnt worden und Turners vermieden
absichtlich jedes Wort, welches das Gespräch hätte auf denselben lenken
können. Madame Turner und Julie entfernten sich, um ihren Gast auf das
Beste zu bewirthen, und Turner und Carl unterhielten ihn, indem sie ihm
ihre sämmtlichen Waffen zeigten, und ihm deren Vorzüge vor den, in diesem
Lande gewöhnlich benutzten langen einfachen Büchsen auseindersetzten. Das
Abendessen war für diese Wildniß ein ausgezeichnetes zu nennen. Madame
Turner hatte dabei alle ihre Kochkunst aufgeboten und das Beste ihrer
Vorräthe dazu verwandt. Auch war das gute Porzellan dabei aufgetragen,
alles Silberzeug auf den Tisch gebracht und derselbe herrlich mit Blumen
geschmückt. Dem Häuptling entging es nicht, daß Alles dies nur ihm zu Ehren
geschah; denn er war schon oft von Grenzansiedlern bewirthet worden, wo es
immer viel einfacher hergegangen war.

Die Aufmerksamkeiten und Herzlichkeiten Turners machten ihm Freude und
er meinte, daß die Europäer mehr Gefühl für Freundschaft und Dankbarkeit
hätten, als die Amerikaner.

Nach dem Abendessen, als er mit der Familie bei dem Kaminfeuer saß und
so, wie Turner eine Cigarre rauchte, fiel ihm der Neger wieder ein, und er
fragte halb verwundert, weßhalb derselbe sich noch nicht gezeigt habe, da
er doch ein so guter Freund der Familie sein solle. Turner entgegnete ihm
etwas verlegen, daß der Schwarze ihn vor Kurzem verlassen habe, um wieder
auf See zugehen, weil ihm dort ein besserer Verdienst zu Theil werde.

Der Häuptling sah Carl mit einem triumphirenden Blick an, und sagte:
»Glaubst Du nun noch an die Freundschaft eines Negers, junger Mann? Dein
geliebter Daniel ist ein eben solcher Freund gewesen, wie mein schwarzer
Panther; auch sein Herz ist so schwarz wie seine Haut.«

Carl gab dem Indianer keine Antwort, was dieser für Anerkennung seiner
ausgesprochenen Ansicht hielt und darauf das Gespräch auf einen andern
Gegenstand lenkte.

Der Abend verstrich in traulicher Unterhaltung und ehe der Häuptling dann
von dem für ihn bereit gehaltenen Ruhelager auf Daniels Bett Gebrauch
machte, begab er sich nach seinen Leuten, um ihnen zu sagen, daß er bei
seinen weißen Freunden schlafen werde.

Am folgenden Morgen hatte Madame Turner schon sehr zeitig das Frühstück
bereitet, weil ihr Gast mit Sonnenaufgang seine Weiterreise antreten
wollte. Nach beendigtem Mahle wurde dem Häuptling sein Pferd vor das Fort
gebracht, er nahm einen herzlichen Abschied von seinen Freunden, versprach,
im nächsten Herbst sie wieder zu besuchen, und bemerkte dabei, daß Carl
ihn dann auf einige Wochen begleiten und mit ihm jagen müsse. Der Knabe
geleitete ihn darauf zu seinem Lager, und brachte die Indianer bis zu
dem Weg, welcher durch den Wald nach dem Choctawbache führte, damit seine
Freunde mit weniger Schwierigkeiten das Holz durchreiten könnten. Nochmals
versprach er hier dem Häuptling, im Herbst mit ihm zu jagen, und sah mit
erleichtertem Herzen die Delawaren dahinziehen, weil er die Minute kaum
erwarten konnte, wo er Daniel in die Arme fallen würde.

Der Neger hatte aber aus dem Dickicht des Waldes die Bewegungen der
Indianer beobachtet, war, als er sie den Weg nach dem Choctawbache
einschlagen sah, mit fliegender Eile durch den Wald nach dessen anderer
Seite gerannt, und hatte den Saum erreicht, als die Delawaren schon in
der Prairie jenseits angelangt waren. Er kletterte schnell auf einen der
höchsten Bäume, um ihnen von dort aus weit hin mit dem Blicke folgen zu
können, und als er sie endlich in der blauen Ferne verschwinden sah, da
ließ er sich rasch auf die Erde nieder, und rannte nun, von der Sehnsucht
seines treuen Herzens getrieben, nach dem Fort, um seinen geliebten jungen
Freund wieder zu sehen. Kaum hatte er den Fleck an dem Ufer des Flusses
erreicht, wo er unter überhängenden dichten Laubmassen das Kanoe verborgen
hatte und dasselbe in den Strom hinein gerudert, als Carl von dem Fort
hergesprungen kam, und ihm jubelnd und jauchzend entgegen eilte. Das Glück
der Beiden, als sie sich in die Arme fielen, kannte keine Grenzen, und
»mein Daniel, mein Carl!« war Alles, was sie hervorstammeln konnten.

Der Neger ging nun mit Carl Arm in Arm nach dem Fort zurück, wo er mit
großer Freude von Turners empfangen wurde, und wo er ihnen nun mittheilte,
daß er der schwarze Panther sei, der vor einer Reihe von Jahren dem
Häuptling entsprungen war. Er gestand es ein, daß derselbe ihn gut und
liebevoll behandelt habe, stellte aber ein jedes Unrecht, welches man in
seiner Flucht finden möchte, in Abrede, da seine beiden Eltern freie Neger
gewesen und von den Delawaren gewaltsam zu Sclaven gemacht waren. Sie
hatten an der Indianergrenze sich eine Niederlassung gegründet, waren dort
von dem Vater Leopards überfallen und fortgeführt worden. An ihm, sagte
Daniel, hätten sie demnach kein Eigenthumsrecht, wenn es überhaupt ein
Recht gebe, einen Menschen als Eigenthum zu besitzen, und er fühle sich
durchaus frei davon, ein Unrecht gegen Leopard begangen zu haben.

Turner fragte den Neger nun, was denn der Häuptling mit ihm thun würde,
wenn er ihn wieder in seine Gewalt bekäme; worauf Daniel erwiederte, daß
derselbe ihn in einer grausamen Weise umbringen würde, da die Rache eines
Indianers nur mit dem Tode seines Feindes ende.

»Wenn der Häuptling aber Deinen Werth in Geld ausgezahlt bekäme, würde er
Dich dann nicht verkaufen?« fragte Turner.

»An Geld ist dem Indianer Nichts gelegen, weil er Alles besitzt, wonach
seine Wünsche trachten. Außerdem opfert er auch Alles seiner Rache,«
entgegnete der Neger, und wies alle Anerbietungen Turners, ihm sein ganzes
baares Geld zur Verfügung zu stellen, als nutzlos zurück. Er suchte aber
zugleich seine Freunde zu beruhigen, indem er ihnen auseinandersetzte,
daß ihm keine große Gefahr drohe, da die Delawaren nur im Frühjahr und im
Herbst diese Gegend besuchten, und er selbst sich dann vor ihnen leicht
verborgen halten könne. Andern Indianern sagte er, wäre er nicht so genau
bekannt, und so könnten die Delawaren auch nicht erfahren, daß er der
schwarze Panther sei, und sich hier aufhalte.

Der Tag verstrich in dem Glücke, welches mit Carl unter die Ansiedler
zurückgekehrt war, und als der Abend kam, verließ Daniel das Fort, um
in dem Walde zu übernachten, wo er überhaupt verweilen wollte, bis die
Delawaren sich aus der Gegend entfernt haben würden. Er nahm einige
Häute und Kochgeschirr mit sich, um sich eine Art von Wohnung im Walde
einzurichten. Carl begleitete ihn, um ihm dabei behülflich zu sein, und den
Platz seines Aufenthaltes zu kennen.

Der Knabe kehrte spät nach dem Fort zurück, und die Besorgniß um den
Sieger minderte sich, als er die Nachricht brachte, wie derselbe sich gut
versteckt habe, und sicher Niemand ihn auffinden könne. Am folgenden Morgen
besuchte er seinen Freund wieder, brachte ihm Brod und andere Lebensmittel,
und Tags darauf ritt er frühzeitig nach dem Choctawbache, um Erkundigungen
über die Delawaren einzuziehen.

Bei Warwicks, in deren Nähe dieselben gelagert hatten, wurde Carl mit
großem Jubel bewillkommnet; sie hatten schon durch die Indianer von seiner
Rettung gehört und wußten es ihm besonders großen Dank, daß er nun selbst
gekommen war, um sich ihnen zu zeigen. Die Delawaren hatten schon früh am
Morgen ihr Lager abgebrochen und waren dem rothen Flusse zugeritten, um
sich nach ihrer Ansiedelung am Kanzasstrome zu begeben.

Ungeachtet dieser erfreulichen Nachricht, die Carl seinem Freunde
überbrachte, verweilte derselbe noch einige Wochen in dem Walde, da er
sagte, einem Indianer dürfe man nie trauen; dann aber kehrte er in das
Fort zurück, und die Besorgniß wegen der Sicherheit Daniels wurde bald
vergessen.

Das Frühjahr hatte seinen ganzen Schmuck, seine ganze Pracht über Wald und
Prairie ausgebreitet, und die bunte Blumenflur prangte in dem frischen Grün
der Bäume und der Büsche, so wie in dem saftigen, üppigen jungen Grase.
Aus dem glänzenden dunkeln Laube der Magnolien, die sich zwischen den
Riesenbäumen des Waldes zum Himmel erhoben, glänzten deren alabasterweiße
Blüthen wie kolossale Rosen hervor, die Tulpenbäume waren mit goldigen
Blumen übersäet, der Hundeholzbaum streckte seine großen weißen
Sternblüthen gegen den blauen Himmel, die Bignonie trug ihre blaßrothen
Blüthenfackeln zur Schau, die Jucka hielt den dreißig Fuß langen, mit
schneeigen Glocken behangenen Blüthenstengel über ihrer Stachelkrone empor,
und in tausendfältigem Farbenspiel schlangen sich die blühenden Lianen von
Ast zu Ast, von Wipfel zu Wipfel, und wehten wie bunte Guirlanden in
der lieblich duftenden Frühlingsluft, die über die Blumenfelder der
unabsehbaren Prairie gezogen kam. Der Spottvogel, der Cardinal, der
Blauvogel sangen in dem schattigen Dunkel des Waldes ihre süßen Lieder,
der Kolibri summte von Blüthenkelch zu Blüthenkelch, und das glänzend
bunte Gefieder der Papageien blitzte und funkelte durch die reichen
üppigen Laubmassen. Alles sollte neues reges Leben empfangen, und auch die
Ansiedler waren von frischer Thätigkeit beseelt; denn die Arbeit gedieh
unter ihren fleißigen Händen und versprach ihnen eine reiche sorgenlose
Zukunft. Das Feld prangte in größter Ueppigkeit, der Garten bot ihnen
Ueberfluß und der Viehstand vermehrte sich schnell. An die Gefahren, welche
ihnen von Seiten der Indianer drohten, hatten sie sich gewöhnt, und dadurch
hatten dieselben für sie das Fürchterliche verloren, ja, sie würden sie
ganz vergessen haben, hätte nicht der vorsichtige Freund Daniel sie immer
wieder daran erinnert und bei jeder Gelegenheit sie ermahnt, auf ihrer Hut
zu sein. Er sorgte dafür, daß Abends die Pferde immer zeitig in das Fort
gebracht wurden, daß dessen Thor immer gut und fest verschlossen ward, daß
man die Hunde hinaussperrte, und daß die Waffen stets zum augenblicklichen
Gebrauch in gutem Stand blieben. Auch ließ er die drei Knaben oft nach
einem Ziel schießen, und hatte stets für den besten Schuß ein Geschenk zu
geben, welches dann in einem Pulvermaß, einem Kugelbeutel, einer Angel,
oder einer ähnlichen kleinen Arbeit seiner eigenen Hände bestand. Die Ruhe
im Fort blieb jedoch ungestört, und die Ansiedler hätten jetzt ihr stilles
Glück nicht mehr für alle Freuden in der großen Welt vertauscht.

Der Wald bot nun auch in den süßen überreifen Maulbeeren seine ersten
Früchte, und Daniel ging regelmäßig, wenn der Abend kam, mit den Kindern
über den Fluß und sammelte mit ihnen einen Korb voll dieser köstlichen
Beeren.

Madame Turner brachte dieselben dann beim Abendbrod auf den Tisch, gab
herrliche kühle Milch dazu und Alle labten sich dann an dem Gericht nach
Herzenslust.

Es war eines Abends spät geworden, ehe Daniel mit seinen jungen Freunden
aus dem Walde zurückkehrte, denn sie hatten dies Mal viele Maulbeeren
gesammelt, weil Madame Turner den Kindern versprochen hatte, Fruchtkuchen
davon zu backen. Turner hatte bereits die Pferde getränkt und in das
Fort gebracht, als Daniel mit den Knaben dort anlangte; das Thor wurde
geschlossen, die Hunde hinausgesperrt, und bald saßen die Ansiedler in
traulichem Kreise um den großen Tisch, und erfreuten sich an dem einfachen
guten Mahle, welches Julie aufgetragen hatte. Dann holte ein Jeder von
ihnen seine Arbeit herbei; Carl mußte wieder erzählen, wie er unter den
Wurzeln des Mosquitobaumes gesessen hatte, als die fliehenden Thierschaaren
bei ihm vorüberbrausten und das Feuermeer über ihn hinzog; hundert Fragen
mußte er beantworten, und bald wurde er bedauert, bald wurde über ihn
gelacht, wobei er dann immer von ganzem Herzen mit einstimmte. Der Abend
verstrich in der heitersten Stimmung und es war später als gewöhnlich
geworden, ehe die Ansiedler ihr Lager aufsuchten und sich einem sorglosen
Schlafe hingaben.

Friedliche Ruhe lag auf dem Fort, die Pferde hatten sich in ihren Ställen
auf dem Boden hingestreckt, und Pluto lag regungslos in dem Hofe. Es war
Mitternacht, als Daniel durch das ziemlich ferne Gebell der Hunde außerhalb
des Forts geweckt wurde. Er richtete sich auf seinem Lager auf und
lauschte dem Lärm, welcher schnell näher und näher kam. Die Hunde wichen
unverkennbar vor einem Feinde zurück, und ihr Gebell wurde mit jedem
Augenblick heftiger und wüthender. Jetzt klagte und heulte einer derselben
laut, und alle hatten bald darauf die Pallisaden erreicht, wo nun Pluto aus
dem Innern des Forts mit seiner tiefen Baßstimme in ihren rasenden Lärm
mit einstimmte. Der Neger sprang aus dem Bette und wollte Carl wecken, doch
dieser war auch schon auf den Füßen und fragte:

»Was mögen die Hunde vorhaben?«

»Es müssen Indianer sein, die sie zurücktrieben, ich hörte das Bellen der
Hunde schon weit in der Prairie. Nur schnell in die Kleider und zu den
Waffen, ich will Herrn Turner wecken!«

Mit diesen Worten sprang Daniel nach Turners Zimmer und wollte an die Thür
klopfen, als dieser ihm schon entgegentrat und bestürzt sagte:

»Ich glaube, es sind Indianer vor dem Fort, nur schnell mit den Waffen in
den Hof, ehe sie die Pallisaden übersteigen, es ist draußen so finster, daß
man keine Hand vor Augen sehen kann.«

»Ich will es bald hell machen, eilen Sie, nehmen Sie die Schrotgewehre,
Arnold und Wilhelm müssen helfen!« rief der Neger, und sprang in den Hof
hinaus, wo es so dunkel war, daß man kaum die Spitzen der Pallisaden gegen
den Himmel erkennen konnte. Dort traf er Carl, der mit der Schrotflinte in
der Hand, der Doppelbüchse über der Schulter und den Revolvern im Gürtel
nach der Höhe der Pallisaden spähete, während Pluto mit wüthendem Gebell an
denselben auf und niederrannte.

»Geben Sie Acht, junger Herr, daß keiner der Wilden übersteigt, ich will
schnell die Feuer anzünden und dann gehen Sie in jenen Thurm,« rief Daniel,
eilte zu dem einen der früher erbauten Galgen, und füllte den Eisenkorb
mit Kienspänen. In diesem Augenblick sprang Pluto mit rasender Wuth an
der andern Holzwand in die Höhe, und über derselben erschien eine dunkle
menschliche Gestalt.

»Carl, Carl, dort, sehen Sie!« schrie der Neger, als er den Indianer auf
den Pallisaden erblickte; da blitzte es aber schon aus Carls Flinte, und
der Wilde verschwand mit einem gellenden Schrei. Der Krach des Gewehrs
und der Schrei des Indianers aber wurden von einem höllischen Zetergeheul
außerhalb des Forts beantwortet, als würde es von hundert Kehlen
angestimmt.

Nun loderten die Flammen des angezündeten Kienholzes aus dem Eisenkorbe
auf, und im nächsten Augenblick hatte Daniel denselben emporgezogen, so
daß der Hof und die Umgebung des Forts blendend erhellt waren. Ein noch
stürmerisches Geschrei erschallte jetzt außerhalb der Festung, und Carl,
der in einen der Vorbaue gesprungen war und durch eine Schießöffnung
blickte, sah, wie die Indianer in verworrenen Haufen in wilder Flucht den
Hügel hinabrannten.

»Das haben sie nicht erwartet!« rief Daniel, indem er sich beeilte, den
zweiten Eisenkorb mit Holz zu füllen und anzuzünden. »Sie haben einen
Schrecken bekommen, werden aber doch bald zurückkehren.«

Auch der zweite Korb schwang sich nun mit seiner Feuergluth über die
Pallisaden, und Turner trat mit Arnold und Wilhelm in den Vorbau daneben,
während Daniel sich zu Carl in die andere Ecke der vordern Holzwand begab.
Die Wilden hatten sich außer Schußweite von dem Fort in dem hohen Grase
gesammelt, und die Belagerten erkannten zu ihrem Schrecken, daß die Zahl
ihrer Feinde über hundert betragen mußte. Daniel aber ermuthigte seine
Gefährten und versicherte sie, daß sie die Wilden sicher von dem Fort
zurückhalten würden, wenn sie tüchtig mit Schrot unter sie schössen, denn
so viele Kugeln in einem Schusse sei ihnen etwas Neues und würde sie mit
Entsetzen davon jagen. Er benutzte den Augenblick, um sämmtliche
Gewehre aus dem Hause zu holen und noch Vorrath von Pulver und Schrot
herbeizuschaffen. Nachdem er Waffen und Munition vertheilt, trat er wieder
zu Carl und schaute nach den Indianern hinaus.

»Sie berathen sich, auf welche Weise sie stürmen wollen,« sagte er zu Carl.
»Es sind Reiterindianer, denn dort etwas weiter in der Tiefe sehe ich ihre
Pferde. Jetzt laufen sie zu denselben hin; was mögen sie vorhaben?«

Wirklich waren sämmtliche Wilde zu ihren Pferden geeilt, doch konnten die
Belagerten nicht erkennen, was sie dort vornahmen. Bald darauf aber sollte
es ihnen klar werden, denn sie sahen die Feinde jetzt mit ihren Lasso's in
den Händen heranschreiten, während sie Bogen und Pfeile in dem Köcher über
den Schultern und die Streitaxt im Gürtel um den Leib trugen.

»Sie haben ihre Lasso's geholt, um dieselben über die Spitzen der
Pallisaden zu werfen und daran in die Höhe zu klettern. Sie wollen stürmen.
Schießen Sie immer in den dichtesten Haufen, dann wirkt das Schrot
besser,« rief Daniel seinen Kameraden zu, während die Indianer sich in drei
Abtheilungen sonderten. Plötzlich stimmte einer von ihnen den Kriegsgesang
an und Alle ließen nun ein furchtbares Geheul ertönen.

»Das ist das Kriegsgeschrei der Comantschen; geben Sie Acht und schießen
Sie nicht fehl!« rief Daniel laut aus und sagte dann zu Carl: »Schießen Sie
immer dahin, wo Viele zusammen sind, und nicht zu nahe, damit das Schrot
sich auseinander breitet.«

Die Wilden kamen in drei Haufen mit einem betäubenden Zetergeschrei wie im
Sturmwind herangesaust, und hatten in wenigen Augenblicken die Pallisaden
bis auf vierzig Schritt erreicht, da krachte es aus den Schießscharten, und
das tödtliche Blei fuhr aus den Gewehren der Ansiedler tausendfach in
die nackten Körper der Indianer, daß dieselben in wilder Verwirrung
durcheinander stürzten. Sie wichen aber nicht zurück, sie warfen ihre
Lasso's über die Spitzen der Pallisaden und kletterten an den Stricken
in die Höhe. Das mörderische Feuer aber, welches aus beiden Vorbauen der
Festung auf sie unterhalten wurde, stürzte die Meisten zu Boden, und nur
dreien von ihnen gelang es, unverwundet in das Fort herabzuspringen. Kaum
aber berührten sie die Erde, als Pluto einen derselben niederriß und Carl
den Wilden mit dem Revolver erschoß, in dem Augenblick, als derselbe die
Streitaxt gegen den Hund erhob, Turner den zweiten mit einem Büchsenschusse
tödtete, und Daniel sich mit dem Messer in der Hand auf den dritten warf
und mit ihm zu Boden stürzte. Es war nur ein Kampf weniger Sekunden, dann
sprang der Neger von seinem getödteten Gegner auf und eilte zu Carl zurück,
um wieder durch die Schießscharte zu blicken. Die Indianer waren geflohen
und sammelten sich abermals außer Schußweite, während viele Verwundete
vor den Pallisaden sich heulend im Grase wanden und Todte hier und dort
umherlagen. Jetzt sprang Daniel aus dem Vorbau durch den Hof nach der
hintern Seite des Forts und ließ die Leiter auf den Felsen in den Fluß
hinab, indem er seinen Gefährten zurief: »Schnell, schnell, retten Sie sich
in den Wald, Madame Turner, Julie, schnell, schnell, ehe es zu spät wird!«

Madame Turner und Julie waren bleich und bebend aus dem Hause getreten,
und wie von einer höhern Macht getrieben, folgten Alle der Aufforderung des
Negers. Turner stieg zuerst auf den Felsen hinab, ihm folgte seine Gattin,
dann kamen ihre Kinder, und Carl stand noch zögernd an der Leiter, indem er
die Hand des Negers ergriff, und sagte: »Du gehst mit uns, Daniel?«

»Nein, nein, ich bleibe, es giebt noch _ein_ Mittel, die Niederlassung zu
retten. Fort, fort, führen Sie die Ihrigen durch den Wald und eilen Sie
nach Warwicks; der Allmächtige wird Sie in seinen Schutz nehmen!«

Mit diesen Worten drängte der treue schwarze Freund seinen Liebling Carl
auf die Leiter und auch dieser erreichte den Felsen. Turner sprang nun
mit den Anderen in das Kanoe und ruderte an das jenseitige Ufer. Der Neger
ergriff dann seine Doppelbüchse, öffnete schnell das Thor und stürzte
nun hinaus vor das Fort, wo er im hellen Scheine des Feuerlichtes sich im
Angesichte der noch berathenden Indianer aufstellte.

»Kennt Ihr den schwarzen Panther der Delawaren?« schrie er mit donnernder
Stimme den Comantschen zu, und schwang seine Axt hoch über sich durch die
Luft, daß ihr blanker Stahl in dem Feuerschein blitzte. »Wer von Euch will
den Scalp eines Delawaren erbeuten? So viele Haare, wie derselbe enthält,
so viele Scalpe der Comantschen werden die Delawaren als Zahlung dafür
nehmen. Kommt heran, wenn Ihr den schwarzen Panther besiegen wollt, bringt
aber Eure besten Waffen mit!«

Nun stimmte der Neger das furchtbare Kriegsgeschrei der Delawaren an und
tanzte, seine Waffen über sich schwingend, nach dieser Schreckensmelodie
deren Kriegstanz.

Die Ueberraschung und zugleich der Schreck der Wilden war augenscheinlich
groß, denn sie standen unbeweglich und stierten nach dem schwarzen
Delawaren hinauf, auf dem das Licht des lodernden Kienholzes flackerte;
nicht lange aber besannen sie sich, denn sie beredeten sich nur wenige
Minuten, warfen dann ihre Waffen von sich und kamen, die Arme auf der Brust
gekreuzt, auf Daniel zugeschritten. Der Häuptling nahm das Wort und sagte:

»Die Comantschen sind Freunde der Delawaren und Freunde des schwarzen
Panthers. Sie wußten nicht, daß ein Delaware unter diesen Bleichgesichtern
lebte, sonst würden sie nicht nach deren Leben getrachtet haben. Laß uns
unsere gefallenen Brüder mit uns nehmen und lösche Deine Feuer aus; Du
kannst ruhig schlafen!«

Dabei reichte er Daniel die Hand, machte dann nochmals das Zeichen der
Freundschaft, und winkte seinen Leuten zu, die Todten und Verwundeten
fortzuschaffen. Der Neger theilte ihm mit, daß noch drei Todte in dem Fort
lägen und ging, von einer Anzahl Wilden gefolgt, in dasselbe hinein, welche
die Erschlagenen davon trugen. Nach Verlauf von einer Stunde waren die
Comantschen verschwunden und die Feuer in den Körben waren erloschen.

Daniel saß in dem Zimmer an dem großen Tische und vor ihm brannte eine
düstere Lampe. Er hatte seine Stirn in seine Hand gelegt und dachte an die
Folgen dieser Nacht. Es war kein Zweifel darüber, daß binnen ganz kurzer
Zeit die Delawaren von seinem Hiersein unterrichtet werden und sofort
hier erscheinen würden, um seiner habhaft zu werden. Was sollte er thun?
flüchtete er sich von hier, so mußten Turners mit ihrem Leben, oder wenn
sie entkamen, mit ihrem Eigenthum dafür büßen, denn die Delawaren würden
die ganze Niederlassung zerstören. Er würde dann die Ansiedelung aus den
Händen der Comantschen gerettet haben, um ihre Vernichtung den Delawaren zu
überlassen. Blieb er hier und überlieferte sich dem Leopard, so wußte er,
daß ein schrecklicher Martertod seiner erbarmungslos harrte. Er saß lange
Zeit regungslos an dem Tische und dachte an die Zukunft seiner Freunde, und
der bleiche Schimmer des nahenden Tages stahl sich durch die Thür herein,
als er aufstand und hinausging, um die Pferde in das Gras zu binden. -- Er
hatte beschlossen, hier zu bleiben, und sich den Delawaren zu überliefern.

Nachdem er die Pferde in die Weide geführt hatte, brachte er Alles im Fort
wieder in Ordnung, was während der Verwirrung in der Nacht in Unordnung
gerathen war; er reinigte die Gewehre, lud sie wieder, hing sie in Turners
Zimmer an der Wand auf und verbrachte den Tag mit Arbeit im Fort und im
Garten. Daß seine Freunde glücklich die Niederlassung am Choctawbache
erreicht hatten, darüber war er beruhigt, denn Carl war ja bei ihnen, und
er war überzeugt, daß sofort alle Männer von dort hierhereilen würden, um
die Indianer zu vertreiben. So geschah es denn auch. Noch stand die Sonne
hoch am westlichen Himmel, als eine Schaar von vierzig Reitern mit dem
alten Warwick an ihrer Spitze aus dem Walde hervorgesprengt kam und zu dem
Fort heraufjagte.

Auch Turner und Carl befanden sich unter ihnen, und ihr Erstaunen war
groß, als Daniel aus dem Fort hervortrat und ihnen mittheilte, daß die
Comantschen in Frieden abgezogen seien. Auf die Frage, wie dies möglich und
was sie dazu bewogen habe, sagte der Neger, er sei zu ihnen hinausgegangen
und habe mit ihnen geredet und ihnen gesagt, daß die Männer am Choctawbache
bald hier sein und sie verfolgen würden, so weit sie ihre Pferde tragen
könnten. Wenn nun diese Mittheilung Warwicks und seinen Gefährten auch
räthselhaft und unglaublich erschien, so war es doch Thatsache, daß Alles
in und um das Fort sich unversehrt fand, und daß die Wilden sich entfernt
hatten.

Preis und Lob wurde über den treuen Neger ausgesprochen und Warwick meinte,
daß Daniel im Besitze eines Zaubermittels sein müsse, durch welches er die
Rothhäute gebändigt habe. Die Männer vom Choctawbache traten bald darauf
ihren Heimweg wieder an und mit ihnen Warwicks beide Söhne, der Alte aber
wollte hier bleiben, bis am folgenden Tage Madame Turner mit ihren Kindern
hierher zurückgekehrt sein würde.

Carl hatte in der Nacht die Seinigen glücklich durch den Wald geführt und
hatte mit ihnen erst gegen Mittag die Niederlassung Warwicks erreicht, denn
das Gehen in dem hohen Grase der Prairie war Madame Turner und den Kindern
sehr mühsam geworden. Nur die Angst und das Entsetzen vor den Wilden hatte
es ihnen überhaupt möglich gemacht, den Weg ohne Aufenthalt zurückzulegen,
und zu Tode erschöpft waren sie bei ihren theilnehmenden Freunden
angelangt. Die beiden Söhne Warwicks sollten ihnen nun die frohe Kunde
bringen, daß alle Gefahr vorüber sei und sie dann am folgenden Tage zu
Pferde nach dem Fort zurückgeleiten. Carl ritt ihnen am nächsten
Morgen entgegen und langte dann auch noch vor der Mittagszeit mit ihnen
wohlbehalten zu Hause an. Madame Turner rief allen Segen des Himmels auf
den treuen Daniel herab und ihre Danksagungen wollten kein Ende nehmen. Der
alte Warwick frohlockte über das Ereigniß, welches Turners unter so großer
Gefahr glücklich überstanden hatten; denn er meinte, daß sie nun, nachdem
die Comantschen, die mächtigsten Indianer dieses Landes, ihren Angriff
aufgegeben hätten, vor allen übrigen Wilden sicher wären und weissagte
ihnen nun ungestörten Frieden in ihrem Eigenthum. Seine langjährige
Erfahrung, seine genaue Bekanntschaft mit dem Thun und Lassen der Indianer
und seine zuversichtlichen Worte flößten Turners Vertrauen ein und
beruhigten ihre Gemüther, denn immer noch klangen die Schreckenstöne der
Wilden durch ihre Seelen. Der biedere alte Freund scherzte und lachte über
die einzelnen Scenen in jener Nacht, und that Alles, um die erschreckten
Herzen der Ansiedler aufzuheitern. Er verweilte bei ihnen, bis die Sonne
sich neigte, sagte ihnen dann ein herzliches Lebewohl, versprach bald
wieder zu kommen, und trat dann mit seinen beiden Söhnen den Heimritt an.

Die sorglose Ruhe, der glückliche Friede, welche bisher die Ansiedler
umgeben hatten, waren aber tief erschüttert, und mit Bangen und Zagen sahen
sie jetzt immer die Nacht hereinbrechen. Daniel that sein Möglichstes,
ruhig und sorglos zu erscheinen, um seinen Freunden Muth zu geben und vor
ihnen seinen eignen Seelenkampf zu verbergen, der ihm, wo er ging, wo er
stand, sein unvermeidliches furchtbares Ende vorspiegelte. Tage verstrichen
aber, und Wochen eilten dahin, ohne daß die Ruhe im Fort abermals gestört
worden wäre, und dem Frühling mit seinen tausend Schönheiten, seinen
zahllosen Reizen gelang es, die Herzen der Bedrängten wieder zu ermuthigen,
zu erfreuen. Die ganze Natur war ja heiter und festlich gestimmt, es war ja
kaum möglich, an etwas Trauriges, etwas Schreckliches zu denken, denn das
Bild eines ewigen Friedens umgab die Niederlassung. Bei Turners zog nach
und nach das frühere Glück, die frühere heitere Zuversicht in ihre Zukunft
wieder ein; aber im Herzen Daniels wurde es von Tag zu Tag trüber, und mit
Bangen schloß er Abends das Fort, mit Bangen blickte er Morgens über dessen
Umgebung. Er wollte seinem Schicksal nicht entgehen, er wollte sich für
seine Freunde opfern, aber es schauderte ihn, dachte er an die grausame
Rache der Indianer. Er war stets der Erste, der Morgens einen Blick aus den
Schießscharten der Pallisaden warf, um zu sehen, ob die Delawaren das Fort
noch nicht umstellt hätten; denn sobald dieselben erschienen sein würden,
wollte er sich durch Turner an sie ausliefern lassen, damit bei den
Indianern jeder Vorwurf gegen seine Freunde verschwinden möge.




Abschnitt 8.

  Aufopferung. -- Stummer Abschied. -- Der Falbe. -- Das Rennen wider
  Willen. -- Das Handelshaus. -- Großer Büffelfang. -- Der Panther. --
  Dankbarkeit. -- Das Wiedersehen.


Daniel hatte sich eines Morgens so eben mit dem Gedanken an die Delawaren
von seinem Lager erhoben, und trat in den Hof, um einen Blick über die
Prairie zu thun, als das laute, lärmende Gebell der Hunde außerhalb des
Forts ihm wie ein Blitzstrahl durch die Seele fuhr. Er sah im Geiste seine
Henker nahen, sprang an die Schießöffnung, und nun ward der Gedanke zur
Wahrheit; denn dort kamen die Delawaren mit Leopard an der Spitze im Galopp
über das wogende Gras dem Fort zugejagt. Die Liebe zum Leben, der Trieb der
Selbsterhaltung blitzte mit einem Gedanken an die Leiter und an das Kanoe
in Daniel auf; noch war es Zeit, zu fliehen, noch konnte er dem Tode unter
den Händen der Barbaren entgehen! Er blickte nach dem Abhang, wo die
Leiter lag, er sah aber auch die geschlossenen Thüren, hinter welchen seine
Freunde in sorglosem glücklichen Schlummer ruhten, und verschwunden war
jedes Wanken, jedes Zagen, er wollte sich seinen Feinden überliefern.

Der Lärm der Hunde brachte nun auch Carl und Turner erschreckt in den Hof,
doch Daniel rief ihnen zu, es seien die Delawaren, die sich naheten und von
denen sie Nichts zu befürchten hätten.

»Die Delawaren -- doch nicht mit Leopard?« rief Turner erschrocken; »dann
eile fort in den Wald, Daniel, daß sie Dich nicht hier finden!«

»Sie kommen, um mich zu holen, und ich werde mit ihnen gehen,« antwortete
der Neger entschlossen.

»Nimmermehr, nun und nimmermehr, Daniel, lieber wollen wir uns sämmtlich
unter den Trümmern des Forts begraben lassen. Fort, guter Daniel, fort in
das Boot, noch ist es Zeit,« rief Turner dringend und zog den Neger nach
der Leiter hin.

»Es ist umsonst, die Delawaren wissen durch die Comantschen, daß ich hier
bin; denn diesen habe ich es in jener Nacht gesagt, um sie von weiteren
Feindseligkeiten abzuhalten. Durch meine Flucht würde ich Sie sämmtlich
dem Tode weihen. Ich liefere mich an Leopard aus,« sagte Daniel
unerschütterlich, und weigerte sich, die Leiter zu betreten, welche Carl
auf den Felsen hinabgelassen hatte. Dieser, so wie Turner aber schlangen
ihre Arme um den treuen Freund und flehten und beschworen ihn, zu fliehen,
und sie ihrem Schicksale zu überlassen.

Daniel aber blieb bei seinem Entschluß, und zeigte einige Augenblicke
später nach dem jenseitigen Ufer, wo jetzt vor dem Walde schon mehrere
Delawaren erschienen.

»So werden wir mit Dir sterben, Daniel, lebendig sollen diese Barbaren
weder Dich noch uns in die Hände bekommen. Carl, hole die Waffen!« rief
Turner außer sich, schlang abermals seine Arme um den Freund und flehte ihn
an, sich zu vertheidigen.

»Halloh, weißer Mann, höre mich, ich bin Leopard, der Delawarenhäuptling!«
rief jetzt die Donnerstimme des Indianers außerhalb des Forts, indem
derselbe mit seiner Streitaxt an das Thor schlug.

»Was willst Du, kommst Du als Freund oder als Feind zu mir? Bedenke, daß
ich mich unter dem Schutze des Präsidenten der Vereinigten Staaten befinde,
in dessen Diensten Du stehst.«

»Ich komme als Freund zu Dir und bitte Dich, mir mein Eigenthum, den
schwarzen Panther auszuliefern, der unter Deinem Dache wohnt.«

»Du hast kein Eigenthumsrecht an ihn, denn dein Vater hat dessen Eltern
geraubt und sie zu seinen Sklaven gemacht,« entgegnete Turner entschlossen.

»Richte über Deine eigenen Angelegenheiten, nicht über die meinigen. Ich
werde mein Eigenthum, den schwarzen Panther, lebendig oder todt mit mir
von hier nehmen. Er kann mir nicht entgehen, denn ich werde Deine Festung
umstellt halten, bis der Hunger Euch Alle tödtet, oder bis Ihr mir den
schwarzen Panther überliefert. Ich lehne mich nicht gegen den Willen des
großen Vaters, des Präsidenten der Vereinigten Staaten auf, denn ich werde
keine Gewalt gegen Dich gebrauchen und Deine Holzwände nicht ersteigen; es
soll kein Fuß eines Delawaren Dein Haus betreten, Du magst frei ein- und
ausgehen, aber Lebensmittel lasse ich nicht in Deine Festung ein, bis der
schwarze Panther in meinen Händen ist.«

»Ich werde Dir folgen, Leopard, obgleich Du kein Recht an mir hast,« schrie
Daniel dem Indianer zu, doch Turner unterbrach ihn und rief: »So entferne
Dich von meinem Eigenthum, so weit, daß Dich meine Kugeln nicht erreichen
können; ich werde mich und meinen Freund Daniel vertheidigen, und meine
Freunde vom Choctawbache werden bald hier sein und mir beistehen!«

»Thue, was Du willst, der Leopard redet nur _einmal_!« rief der Häuptling
von draußen und gab weiter keine Antwort.

Madame Turner und die Kinder waren zu Tode erschrocken in den Hof
gekommen, und hörten mit Entsetzen, um was es sich handele. Sie weinten
und jammerten, und hingen sich flehend an Daniel, der bei seinem Entschluß
blieb, das Fort zu verlassen und sich den Delawaren zu überliefern.

Als Turner durch eine Schießöffnung blickte, sah er, daß die Indianer außer
Schußweite rings um das Fort ihre Zelte aufgeschlagen hatten, und daß ihre
Pferde weiterhin im Grase weideten.

»Noch eine Bitte mußt Du mir zugestehen, Daniel, Du mußt hier bleiben, bis
ich nochmals mit dem Häuptling gesprochen habe,« sagte Turner nun zu dem
Neger, »ich will hinaus zu ihm gehen und will ihm all mein vorräthiges Geld
bieten, um Dich frei zu kaufen. Ich habe noch mehr, als er für Dich fordern
kann.«

Daniel stellte ihm vor, daß es umsonst sein würde; Madame Turner und die
Kinder hingen sich an Turner, und wollten ihn nicht hinausgehen lassen;
doch er blieb bei seinem Entschluß, und öffnete das Thor. Carl mußte es
wieder hinter ihm verschließen, und nun schritt er den Hügel hinab dem
Zelte zu, vor welchem er den Häuptling sitzen sah.

»Sei mir willkommen in meinem Lager,« sagte Leopard, dem Nahenden entgegen
gehend, und bot ihm die Hand zum Gruß; »die Delawaren sind Freunde der
weißen Männer.«

Damit leitete er Turner vor sein Zelt und ließ ihn neben sich auf einer
Büffelhaut Platz nehmen.

»So zeige es mir, daß Du mein Freund bist, ich fordere einen
Freundschaftsdienst von Dir und will Deinen Schaden nicht. Verkaufe mir
den Neger, ich bin bereit, Dir einige tausend Dollar für ihn zu geben; mehr
Geld besitze ich nicht,« sagte Turner, und ergriff bittend die Hand des
Häuptlings.

»Geld kann kein Unrecht gut machen, welches einem Delawaren zugefügt ist.
Behalte Du Dein Geld und gieb mir meinen schwarzen Panther,« antwortete der
Häuptling mit unerschütterlicher Bestimmtheit.

»Nun, so will ich versuchen, ob meine Freunde am Choctawbache mir auf mein
ganzes Eigenthum noch Geld borgen wollen, ich zahle Dir Alles, was ich
aufbringen kann für den Neger,« nahm Turner wieder das Wort.

»Und wenn Du mir alles Geld der weißen Männer geben könntest, so würde ich
Dir den schwarzen Panther nicht dafür verkaufen,« entgegnete Leopard mit
einem finstern Blick, und blieb gegen alle Vorschläge, alles Flehen Turners
unerbittlich.

Mit blutendem Herzen kehrte dieser unverrichteter Sache in das Fort zurück,
und gab sich dort mit den Seinigen dem Schmerz und dem Jammer über das
unvermeidliche Schicksal des geliebten Freundes hin.

Den Tag verbrachten die schwer Bedrängten unter Wehklagen und Thränen, nur
Carls Augen waren trocken geworden, und es glänzte ein Gedanke auf deren
Spiegel, der in seiner Seele immer lebendiger aufstieg. Er wurde stumm und
nachdenkend, und erst, als die Sonne sich neigte, sagte er zu Turner: »Ich
will noch einmal mit dem Häuptling reden, vielleicht gelingt es mir, ihn
milder zu stimmen; er ist mir sehr gut gewesen.«

Turner schlang seinen Arm um den braven Knaben und drückte ihn innig an
seine Brust, indem er sagte: »Du meinst es so gut, Carl, der Himmel mag
Dich unterstützen, ich fürchte aber, es wird auch umsonst sein. Gehe mit
Gott und versuche es, das Herz des Wilden zu erweichen.« Darauf geleitete
Turner den Knaben zu dem Thore und ließ ihn hinaus.

Als Carl den Hügel hinabschritt, kam ihm der Häuptling schon von Weitem
entgegen und empfing ihn mit den Worten: »Warum willst Du mich zwingen,
auch Dir eine Bitte abzuschlagen, da Du weißt, daß ich sie Dir nicht
gewähren kann, und da Du weißt, wie gut ich Dir bin? Habe ich Dir doch
gesagt, wie leid es mir thut, daß Du nicht als Delaware geboren bist!«

»Und wenn ich nun dennoch ein Delaware werden wollte, ein treuer Delaware
mit Leib und Seele, würdest Du mich nicht lieber haben, als ihn?«

Bei diesen Worten Carls war es, als ob ein plötzlicher Sonnenschein über
die finstern Züge des Häuptlings führe, er sah den Knaben überrascht und
in höchstem Erstaunen an, ergriff plötzlich dessen beide Hände, zog ihn an
seine Brust und schlang seine sehnigen Arme um ihn.

»Du, ein Delaware?« rief er, außer sich vor Freude; »und wenn ich hundert
schwarze Panther für Dich geben müßte, so solltest Du ein Delaware werden!
Dein Herz ist groß, ja es ist größer für Freundschaft, als das meinige,
ich will Dir aber ein eben so guter Freund sein, als Du es dem schwarzen
Panther bist. Ja, Knabe, Du sollst Delaware, Du sollst mein Freund werden,
und ich gebe den schwarzen Panther für Dich auf.«

»Du mußt ihm nicht allein seine Freiheit geben, er muß als Delaware unter
Deinem Schutze bei den Meinigen bleiben, damit sie und ihr Eigenthum gegen
jede Feindseligkeit anderer Indianer sicher gestellt werden. Willigst Du
hierin ein, so ziehe ich mit Dir, und will Dir ein treuer Freund sein,«
sagte Carl mit freudestrahlendem Blick; denn nun hoffte er nicht allein,
seinen Freund Daniel zu retten, er hoffte auch, für immer alle Gefahren von
seinen Lieben abzuwenden.

»Ich gehe es ein, der schwarze Panther ist frei, er bleibt als Delaware bei
den Deinigen, und wer ihren Frieden stört, dessen Herz sollen die Delawaren
den Wölfen hinwerfen. Du ziehst mit mir, Carl, Du sollst auf meinem Lager
schlafen, sollst mit mir essen, mit mir jagen und kämpfen und die Delawaren
werden Dich lieben und ihren letzten Scalp für Dich hingeben, wenn Du in
Gefahr kommen solltest.«

Hiemit reichte der Häuptling Carl die Hand und dieser schlug ein.

»Wird Dein Onkel Dich aber mit mir gehen lassen?« fragte der Indianer nun
bedenklich, »ich darf Dich nicht rauben.«

»Ich gehe aus eignem Willen mit Dir, freilich muß es heimlich geschehen.
Ich sage es meinem Onkel schriftlich, daß ich freiwillig mit Dir gezogen
bin, und lasse den Brief in meinem Zimmer zurück. In dieser Nacht, wenn
Alles im Fort schläft, schleiche ich mich davon und komme zu Dir; noch
ehe der Tag graut, müssen wir weit von hier fort sein. Halte Alles zum
schnellen Aufbruch bereit, nach Mitternacht bin ich bei Dir.«

Mit dem beseligenden Gedanken, durch sein Handeln die Seinigen für immer
vor allen Gefahren zu schützen und seinen Freund Daniel dem Tode zu
entreißen, verließ Carl den Häuptling und kehrte leichtern Herzens in das
Fort zurück.

»Du bringst frohe Kunde, Carl, ich lese es auf Deinen Zügen,« sagte Turner,
als er den Knaben am Thor empfing und, von Hoffnung bewegt, dessen Hand
ergriff.

»Der Häuptling ist friedlicher gestimmt, er will morgen noch einmal mit
Dir reden,« entgegnete Carl entschlossen, sein Vorhaben, welches er für das
Wohl seiner Lieben ausführen wollte, nicht auf seinen Zügen zu verrathen.

»Gottlob!« sagte Turner, »nun wird sich doch noch Alles zum Guten wenden;
Carl, Du bist und bleibst unser Schutzengel.«

Madame Turner dankte dem Knaben unter Thränen für den neuen Beweis seiner
Liebe, und Daniel gab sich mit den innigsten Danksagungen der Hoffnung hin,
daß sein Geschick eine günstige Wendung nehmen möge.

Als die Sonne versunken war und Turner daran erinnerte, daß die Pferde in
das Fort hereingebracht werden müßten, sagte Carl: »Ich will sie zum Wasser
führen und sie dann wieder in das Gras bringen; wir wollen sie während der
Nacht draußen lassen. Es zeigt von Mißtrauen gegen die Delawaren, wenn wir
sie hereinholen.« Turner stimmte seiner Ansicht bei, und Carl tränkte nun
die Pferde und band sie dann wieder in die Weide, seinem Rappen aber gab
er dabei einen Platz nicht weit von dem Zelte des Häuptlings. Nachdem er in
das Fort zurückgekehrt war und die Seinigen mit Daniel in dem Speisezimmer
versammelt fand, ging er in seine Stube und schrieb schnell einen
Abschiedsbrief an alle seine Lieben. Er theilte ihnen den Grund mit,
weßhalb er sie verließ, sagte ihnen, daß es ihn hoch beglücke, sie allen
Gefahren zu überheben, und bat sie, sich nicht über sein Entfernen zu
grämen, da es ihm ja gut gehen würde, und er sie im nächsten Herbst
besuchen wolle. Er schloß den Brief mit der Bitte, ihm nicht zu folgen,
da er fest entschlossen sei, bei den Delawaren zu bleiben, und ihn nichts
vermögen werde, in das Fort zurückzukehren. Er richtete diese letzten
Worte insbesondere an Daniel, beschwur ihn, nun treulich bei den Seinigen
auszuhalten, und dadurch Carls Schritt zu heiligen. Die Thränen, welche
während des Schreibens seinen Augen entquollen, gestatteten ihm kaum, den
Brief zu beenden, und er mußte sich wiederholt dabei unterbrechen. Als er
ihn endlich geschlossen hatte, richtete er die Aufschrift an seinen Onkel,
und verbarg dann das Schreiben in seiner Lederjacke. Er steckte nun schnell
alle Gegenstände, die er mitnehmen wollte, in seine Jagdtasche, hing
dieselbe neben seine Waffen, und ging dann zu den Seinigen, um mit ihnen
das Abendbrod zu verzehren. Mit schwerem Herzen setzte er sich an dem
Tische nieder, es war ja zum letzten Male, daß er sich hier mit seinen
Lieben versammelte, und unbemerkt wischte er die Thränen von seinen Augen,
die er nicht zurückhalten konnte. Sein Schweigen und sein Ernst fiel nicht
auf, denn auch die Anderen saßen bekümmert und wortkarg da, und dachten an
das Schicksal Daniels, welches erst morgen entschieden werden sollte. Carl
erhob sich zuerst, um sich zur Ruhe zu begeben, und die Anderen folgten
seinem Beispiel; denn die Stimmung war zu traurig, um ein längeres
Zusammensein zu veranlassen. Carl küßte die Seinigen, wie er immer zu thun
pflegte, wenn er ihnen eine gute Nacht wünschte; er küßte sie aber inniger,
heißer und länger als sonst, denn er nahm einen stummen Abschied von
ihnen. Er weinte dabei bitterlich, welches man der Ungewißheit über Daniels
Schicksal zuschrieb, und Turner suchte Carl zu beruhigen, und tröstete ihn
mit dem Vertrauen auf den Allmächtigen, der ihnen beistehen würde. Alle
begaben sich nach ihren Ruhestätten, doch der Schlaf blieb ihnen noch lange
fern, und erst gegen Mitternacht hatten die Bewohner des Forts die Augen
geschlossen; nur Carl war noch wach, fühlte von Zeit zu Zeit auf dem
Zifferblatt seiner Uhr, wie spät es sei, und lauschte nach den Athemzügen
Daniels, ob derselbe auch fest schlafe. Es war schon lange nach
Mitternacht, als er sich leise von seinem Lager erhob, sich schnell
ankleidete und den Brief an seinen Onkel auf den Tisch legte. Dann
schnallte er die Revolver und das Jagdmesser um, hing die Jagdtasche über
seine Schulter, nahm die Jaguarhaut und seine wollene Decke, ergriff die
Büchse und schlich vorsichtig in den Hof hinaus. Pluto kam freudig zu ihm
herangesprungen, Carl aber wies ihn liebkosend zur Ruhe, und schritt nach
dem Thore, welches er geräuschlos öffnete. Er ging hinaus, trug sein Gepäck
an die vordere Wand der Pallisaden, und kehrte noch einmal in das
Fort zurück, um sein Sattelzeug zu holen. Als er wieder durch das
Thor hinausschritt, wollte Pluto ihm folgen, er drückte den Hund aber
schmeichelnd zurück, und schob das Thor hinter sich zu. Nun eilte er mit
Sattel und Zeug den Hügel hinab zu dem Zelt des Häuptlings, wo dieser ihn
beim Feuer freudig empfing und ihm sagte, daß Alles zur Abreise bereit sei.

Carl lief nun noch einmal zu den Pallisaden hinauf, um seine dort
niedergelegten übrigen Sachen zu holen, sandte noch einen heißen innigen
Abschied aus der Tiefe seines Herzens an alle seine Lieben, und ging dann
wieder zu Leopard, dessen Zelt bereits zusammengepackt war und auf den
Rücken eines Pferdes gebunden wurde. Carl führte seinen Rappen zum Feuer,
legte ihm schnell das Reitzeug und Gepäck auf, wobei der Häuptling ihm
behülflich war, und stieg dann in den Sattel, während die Indianer sich zu
Pferde um ihn sammelten und freudig in ihm ihren neuen Gefährten begrüßten.
Bald war nun auch der Häuptling zu Roß, und der Reiterzug setzte sich,
mit ihm und Carl an der Spitze, in Bewegung, während dieser seinen
thränenschweren Blick auf die dunklen Umrisse des Forts gerichtet hielt,
und im Stillen den geliebten dort Ruhenden sein letztes heißes Lebewohl
sagte. Lautlos zogen sie in eiligem Schritt durch die dunkle Nacht dahin,
und bald war der letzte Lichtschein der verlassenen Lagerfeuer und die
schwarze Form der Pallisadenwände ihren Blicken entschwunden.

In dem Fort aber herrschte Todtenstille, denn selbst das gewohnte Geräusch,
welches die Pferde während der Nacht dort zu erregen pflegten, unterbrach
die Ruhe nicht.

Der Morgen graute und Daniel erwachte mit dem festen Entschluß, sich heute
dem Häuptling zu überliefern, wenn die bevorstehende Unterhandlung mit
demselben keinen friedlichen Vergleich herbeiführen sollte. Er erhob sich
leise von seinem Lager, um seinen Freund Carl nicht im Schlafe zu stören,
da gewahrte er, daß Carls Bett leer war. Der Neger erschrak und richtete
seinen nächsten Blick nach der Wand, wo die Waffen des Knaben zu hängen
pflegten; sie waren fort. Jetzt sah er den Brief auf dem Tische liegen
und erkannte die Handschrift seines Freundes, denn dieser hatte ihm ja
Unterricht im Schreiben ertheilt. Ein Brief von Carl, an seinen Onkel
gerichtet, -- was konnte die Veranlassung dazu sein -- warum war Carl
nicht hier? Der Neger zitterte am ganzen Körper, mit dem Brief in der Hand
stürzte er hinaus in den Hof und nach dem Thore -- das Thor war offen, und
die Indianer waren verschwunden! Wie gelähmt stand Daniel da, und sah auf
den Brief, der in seiner bebenden Hand zitterte; das Papier sagte ihm, was
der Knabe für ihn gethan hatte. Ohne Worte, ohne Thränen sank er auf die
Kniee und preßte den Brief zitternd mit beiden Händen auf sein Herz. Er
wußte nicht, was er that, wußte nicht, was er thun sollte, das Geschehene
war zu ungeheuer, zu schrecklich, als daß er es hätte fassen können, es
drückte ihn, wie ein riesiges Unglück zu Boden und preßte ihm das Herz und
die Brust zusammen.

Plötzlich aber fuhr er auf, stürzte in das Fort hinein zu Turners Haus und
schrie:

»Carl ist fort, Herr Turner, Carl ist fort!«

»Was sagst Du, Carl fort?« rief Turner, aus dem Zimmer hervorspringend, und
ergriff hastig den Brief, den ihm der Neger entgegenstreckte.

»Er ist fort, Herr, er ist mit den Delawaren fortgezogen. Lesen Sie, lesen
Sie schnell, ich muß ihn noch einholen und ihn aus den Händen der Indianer
befreien; ich bin es, dessen Besitz sie verlangten, nicht Carl, mich sollen
sie haben!« schrie der Neger in höchster Verzweiflung und stierte auf
den Brief, den Turner mit zitternder Hand entfaltet hatte und ihn mit
ängstlicher Hast durchflog.

»Carl, Carl!« klagte er dann mit einem Blick zum Himmel, und ließ sein
Antlitz auf den Brief in seine beiden Hände sinken.

»Er soll zurückkehren, Sie sollen ihn wieder haben!« schrie der Neger, und
wollte davon eilen, doch Turner ergriff ihn beim Arm und sagte:

»Es ist umsonst, Daniel, er wird nicht zurückkehren! Glaubst Du, daß Carl
seine Freiheit mit Deinem Leben erkaufen würde?«

»Er soll, er muß zurückkehren, die Delawaren sollen mich tödten, und dann
bleibt Carl nicht bei ihnen,« rief Daniel, und wollte sich von Turner
losreißen; doch dieser hielt ihn zurück und sagte:

»So höre, was er schreibt, und was er Dir in diesem Briefe sagt, dann wirst
Du einsehen, daß es nutzlos wäre, wenn Du ihm folgtest.«

Turner las nun dem Neger den Brief vor, und dieser stand wie vernichtet da,
rang die Hände und jammerte wieder und wieder:

»Warum habe ich mich auch nicht gleich selbst ausgeliefert!«

»Es war nicht Deine Schuld, Daniel, wir selbst haben Dich ja gehalten. Der
Himmel, der Alles so gefügt hat, wird unsern Liebling beschützen, und ihn
doch wieder in unsere Arme zurückführen. Carl lebt, er lebt nur für uns,
und weiß, daß mit ihm ein großer Theil unseres Glücks verloren ist. Er wird
wiederkehren!«

So suchte Turner den treuen Neger und sich selbst zu trösten, und den
herzzerreißenden Schmerz von sich abzuwehren; als er aber seiner Gattin und
den Kindern die Kunde von Carls Aufopferung überbrachte, da überwältigte
sie sämmtlich der Jammer, und sie brachen weinend und schluchzend in lautes
Wehklagen aus.

Carl ritt immer noch schweigend an der Seite des Häuptlings, und immer noch
entfielen Thränen seinen Augen.

»Dein Herz ist traurig, Carl,« sagte Leopard theilnehmend zu ihm, »und
das macht auch mich traurig; meine Freude aber darüber, daß Du mein Freund
werden willst, ist groß, und soll Dich wieder froh machen. Die Delawaren
werden Dich lieben, und Du wirst einst ein großer Mann unter ihnen sein,
sie werden Dir folgen, wenn der Leopard zu schwach wird, um sein Jagdroß
zu reiten, und sein Auge zu matt, um die Kugel in das Herz des Wildes zu
senden. Du sollst die schönsten Pferde haben, und die Frauen der Delawaren
werden die prächtigsten Häute für Dich zubereiten und Dir die weichsten
Jagdhemden und Gamaschen anfertigen.«

»Ich bin mit Allem zufrieden, wenn ich nur weiß, daß es meinen Freunden am
Bärflusse gut geht,« antwortete Carl, mit feuchtem Auge auf die glänzend
schwarzen Mähnen niedersehend, die der Rappenhengst in seinem Uebermuthe
schüttelte.

»Niemand soll und wird nun noch den Frieden Deiner Freunde stören, und Du
wirst sie zweimal des Jahrs wiedersehen und sie erfreuen.«

»Das hast Du mir versprochen, Leopard, und mußt es halten; nur mit dieser
Hoffnung kann ich fern von ihnen zufrieden sein.«

»Du wirst zufrieden, Du wirst glücklich sein, denn unser Leben ist ein
glücklicheres, als das der Weißen. Wir haben Alles, wonach unsere Herzen
sich sehnen; die Weißen haben niemals das, wonach sie streben; das Geld
stiehlt ihnen die Ruhe, wir lachen darüber; uns kann das Geld nicht froh,
nicht traurig machen.«

Carl blieb wortkarg, doch der Häuptling hörte nicht auf, ihn zu unterhalten
und ihm das Leben der Indianer von der schönsten Seite zu schildern.

Währenddem eilten sie nach Nordwest dahin über die mit Blumen übersäete
Prairie, auf der das trockene Gras vermodert zur Erde gesunken und
die frischgrünen Halme darüber mit der Blüthenpracht des Frühlings
aufgeschossen waren. Der Häuptling wollte der Grenze des Prairiebrandes bis
an den rothen Fluß folgen, weil er dort das meiste Wild anzutreffen hoffte.
Er ritt mit Carl den übrigen Indianern in ziemlich großer Entfernung
voraus, um seinem jungen Freunde Gelegenheit zu geben, während der Reise
mitunter ein Stück Wild zu erlegen, die Reiterschaar folgte ihnen langsam
nach, hinter derselben kamen die Pferde, die mit den Zelten, Geräthschaften
und Vorräthen aller Art beladen waren, und den Zug beschlossen die Frauen,
welche die Packthiere vorwärts trieben und sie zusammenhielten. Carl that
im Laufe des Tages wiederholt einen Meisterschuß auf Wild, welches der
Häuptling dann, stolz auf die Geschicklichkeit des Knaben, seinen ihm
folgenden Leuten überwies. Der Abend brachte sie in den Eichwald, wo Carl
den furchtbaren grauen Bären erlegt hatte, und an dem Wasser, wo er seinen
Falben wiederfand, wurde das Lager für die Nacht aufgeschlagen. Er benutzte
das Dämmerlicht noch zur Jagd, wobei er zwei Antilopen erlegte, welche von
den beiden Indianern, die ihn begleitet hatten, im Triumph in das Lager
getragen wurden. Mit Sonnenaufgang setzte sich am folgenden Morgen die
Schaar wieder in Bewegung und folgte dem Saume des Eichwaldes, der sich bis
zu den Ufern des rothen Flusses hinaufzog, und neben welchem die Prairie
bis dorthin durch jenen Schreckensbrand abgesengt war. Das junge Gras hatte
sie aber schon mit einer fußhohen Decke überzogen, auf welcher in allen
Richtungen Büffel, Hirsche und Antilopen weideten. Es war ein reizender
Tagesmarsch unter dem schattigen Laubdach der Eichen auf der feinen dichten
Grasdecke, aus welcher sich die mächtigen Stämme erhoben. Weithin wanderte
das Auge, da nirgends ein Dickicht die Fernsicht hemmte, und der Blick
konnte kaum eine Richtung finden, wo er nicht auf Wild traf. Besonders
zahlreich waren die Züge wilder Truthähne, die sich um diese Jahreszeit zu
Hunderten versammeln, während die Hennen einsam im hohen Grase der Prairie,
oder im Dickicht der Wälder auf ihren Eiern sitzen und brüten. In endlosen
Reihen flohen die Hähne vor der nahenden Reiterschaar, und wiederholt
sprengte der Häuptling mit seinem jungen Freunde ihnen nach, bis sie sich
prasselnd in die Luft erhoben und sich in die hohen Eichen schwangen. Dann
holte jede Büchsenkugel der beiden Reiter einen dieser colossalen Vögel auf
die Erde herab, und Carl schoß zur Freude Leopards auch einige derselben
mit dem Revolver herunter. Ohne zu rasten, ging es während des ganzen Tages
in dem kühlen Schatten des lichten Waldes vorwärts, während die Sonne
heiß auf die Baumkronen niederbrannte, und ihre Strahlen hier und dort ein
blendendes Licht auf den frischgrünen Boden warfen.

»Dort weidet ein starkes Rudel wilder Pferde, sie sind uns noch nicht
gewahr geworden,« sagte der Häuptling zu Carl, und zeigte unter den Bäumen
hin nach dem Saume der Prairie.

»Ach, wenn wir doch nahe an sie hinanreiten könnten; es sind zu schöne
Thiere. Ich meine immer, das Pferd wäre in seiner Freiheit viel stolzer als
in der Gefangenschaft.«

»Wenn Dir das Spaß macht, so reite nur dicht hinter mir her, ich will Dich
ganz nahe zu ihnen führen. Du mußt Dich aber auf den Hals Deines Pferdes
legen,« entgegnete der Häuptling, und ritt nun weiter seitwärts unter den
Eichen hin, bis er eine recht große Zahl von Stämmen zwischen sich und den
Rossen sah, so daß er durch sie mehr oder weniger den Blicken der Thiere
entzogen wurde. Dann ritt er auf sie zu, wählte aber immer die Richtung,
in welcher er die meisten Baumstämme vor sich hatte. Es lagen wohl noch
fünfhundert Schritte zwischen den beiden Reitern und den wilden Pferden,
die noch immer ganz sorglos grasten, als Carl dem Häuptling plötzlich leise
zurief: »Halt, halt, Leopard, halt Dein Pferd zurück!« und schnell sein
Fernglas aus der Tasche hervorzog und es vor sein Auge hob. Der Häuptling
hielt sein Roß an, und sah erst nach seinem Gefährten, dann aber wandte er,
wie dieser, seinen Blick gleichfalls nach der wilden Heerde.

»Du suchst wohl Deinen todten Liebling unter ihnen?« fragte Leopard
lachend.

»Ja, wahrhaftig, dort steht ein Pferd, welches gerade so aussieht, wie mein
Falber, wenn er sich nur noch etwas zur Seite wenden wollte,« entgegnete
Carl in großem Eifer, und hielt das Glas unbeweglich vor sein Auge.
Nach einer Weile fuhr er noch bewegter fort: »Jetzt wendet es sich,
-- wahrhaftig, es ist mein Falber, ich sehe den Satteldruck auf seinem
Rücken!«

Mit diesen Worten zeigte Carl, ganz außer sich vor Freude, nach einem
Pferde hin, welches etwas seitwärts von der Heerde nahe an der Prairie
weidete.

»Wäre es möglich -- laß mich einmal durch Dein Glas sehen,« sagte der
Häuptling, und nahm dasselbe dem Knaben ab. Nachdem er einige Augenblicke
nach dem Thiere hingeschaut hatte, sagte er rasch: »Das Pferd hat schon
einen Sattel getragen, und wenn Du sagst, daß es Dein Falber sei, so sollst
Du ihn auch wieder reiten. Bleibe hier hinter diesen Eichen halten, bis ich
zurückkomme, ich muß mein Kriegspferd reiten, wenn ich Deinen Falben fangen
will.«

Hiermit lenkte er sein Roß eilig auf demselben Wege zurück, auf dem er
gekommen war, und nach einer Weile sah Carl ihn in fliegendem Laufe davon
jagen. Die anderen Indianer waren noch weit zurück, so daß Carl noch nichts
von ihnen entdecken konnte. Mit hochschlagendem Herzen hielt er nun seinen
Blick durch das Glas auf den Falben gerichtet, und überzeugte sich immer
mehr, daß derselbe sein todtgeglaubter Liebling sei. Ungeduldig spähete er
wieder durch den Wald zurück, ob der Häuptling noch nicht sichtbar würde,
und lauschte nach den Hufschlägen seines Rosses. Noch war nichts von ihm zu
sehen, und mit Bangigkeit blickte Carl dann wieder nach der Heerde, ob sie
auch nicht unruhig werde. Die Thiere aber grasten ganz vertraut, und hier
und dort legte sich eins derselben im Grase nieder. Es schien, daß sein
Falber noch immer von den übrigen Rossen als Fremdling angesehen werde,
da er sich stets in einer gewissen Entfernung von ihnen hielt, und dies
bestärkte Carl noch mehr in seiner Ueberzeugung, daß es sein Pferd sei.
Der Häuptling blieb erschrecklich lange für Carl aus, und die Ungeduld
des Knaben, so wie dessen Besorgniß, daß die Heerde plötzlich davon eilen
würde, steigerte sich von Minute zu Minute; er strengte seinen Blick mit
allen Kräften an, um den Schimmel, den Leopard reiten wollte, in der Ferne
zu erspähen, da sah er ihn plötzlich weiter seitwärts sich nahen, und
zwar schon in nicht großer Entfernung. In verhaltenem Schritt kam der edle
Schimmelhengst zwischen den dichtstehenden Baumstämmen herangeschritten,
er war mit einer prächtigen Jaguarhaut geziert, die über seinen Sattel
ausgebreitet lag, und auf welcher der Indianerhäuptling, von aller Kleidung
entblößt, saß. Nur ein breites Stück feuerrothen Tuches umgab dessen Hüfte,
und statt der Waffen hielt er einen sehr langen Lasso aufgeschlungen in
seiner Rechten. Stolz hob sich seine muskulöse schlanke rothbraune Gestalt
über dem muthigen blendend weißen Rosse empor, und sein langes glänzend
schwarzes Haar hing weit über seine breiten Schultern herab. Als er näher
kam, mäßigte er noch mehr den Schritt des Pferdes und legte sich hinter
dessen breiten Hals. Bald hatte er Carl erreicht und sagte:

»Wenn Dein Falber wirklich so schnelle Füße und so langen Athem besitzt,
wie Du mir gesagt hast, so wird es eine heiße Jagd geben; noch aber habe
ich kein Pferd gesehen, welches im Laufe vor meinem Hengst bleiben konnte.
Halte Dich nur hinter mir, wir wollen so nahe wie möglich unbemerkt zu dem
Falben reiten; wird er uns aber gewahr, dann ist keine Zeit zu verlieren.
Dann sorge nur, daß Du mich im Auge behältst, meinen Schimmel kannst Du
sehr weit sehen.«

»Könnte ich mich dem Falben nahen, ohne daß die Heerde davonjagte, so würde
er gleich zu mir kommen, sobald er mich erkannt hätte,« sagte Carl, mit
Verlangen nach dem Pferde hinschauend.

»Die Freiheit schmeckt zu süß und das Thier hat sie nun schon zu lange
genossen, als daß es freiwillig wieder in die Gefangenschaft zurückkehren
sollte. Es ist ja mit den Indianern auch so, sie werden von den Weißen
immer näher zu den Gebirgen der Anden hingedrängt, wo sie mit dem Büffel
wegen Mangel an Nahrung zu Grunde gehen müssen und dennoch, trotzdem, daß
sie ihr Schicksal voraussehen, wollen sie lieber untergehen, ehe sie sich
dem Joch der Civilisation ergeben. Wir müssen Deinem Falben mit Gewalt die
Fessel wieder anlegen, wenn er Deine Herrschaft abermals anerkennen
soll. Nun folge mir,« entgegnete der Häuptling, wandte seinen ungeduldig
scharrenden Hengst dem Falben zu und nahte sich ihm von Baum zu Baum,
ohne daß das Thier ihn gewahr worden wäre, bis er es auf hundert Schritte
erreicht hatte. Hier standen die Eichen viel einzelner, und kaum schritt
der Schimmelhengst unter ihren Schatten, als die ganze wilde Heerde
zusammenschreckte und in wilder Verwirrung die Flucht ergriff.

Mit einem lauten gellenden Jagdgeschrei ließ aber im selbigen Augenblicke
der Häuptling seinem Hengst die Zügel schießen und flog ihr nach, als ob
sein Schimmel von dem Winde dahin getragen würde. In wenigen Augenblicken
war die Prairie erreicht, die wilden Pferde, die unter den Eichen
auseinandergesprengt waren, sammelten sich jetzt in einen dichten Haufen,
der Falbe jagte an ihrer Spitze und fort ging es in sausender Carriere über
die grüne, im Sonnenlichte glänzende Grasflur.

Carls Rappe mußte an die Zeit seiner eigenen Freiheit denken, denn er
setzte wie rasend hinter der fliehenden Heerde her und hatte auch bald die
letzten Reihen derselben erreicht. Der Häuptling aber jagte im Sturmlauf an
ihr vorüber, dem Falben nach, der schon mehrere hundert Schritte Vorsprung
vor den wilden Rossen gewonnen hatte, und diese wandten sich entsetzt von
dem Indianer ab und suchten seitwärts das Weite. Carl wollte dem Häuptling
folgen, sein Rappe aber kündigte ihm den Gehorsam und sprengte trotz Zügel
und Sporn in die Mitte des fliehenden Haufens. Fort ging es Hügel auf,
Hügel ab in tollem rasenden Laufe, denn die wilden Pferde sahen mit
Entsetzen nach der Menschengestalt hin, die sich zwischen ihnen erhob, und
verdoppelten ihre Anstrengungen zur eiligsten Flucht. Der Rappe aber blieb
zwischen ihnen; fliegend umwogten seine langen Mähnen den jungen Reiter
auf seinem Rücken, hoch wehte sein glänzend schwarzer Schweif und laut und
schnaubend blies er aus seinen weit geöffneten Nüstern. Mit Verzweiflung
schaute Carl seitwärts über die mit ihm fliehenden Schaaren nach dem
Häuptling hinüber, der nur noch wie ein weißer, dahinfliegender Punkt in
weiter Ferne zu erkennen war; vergebens aber wandte er alle seine Kräfte
auf, seinen widerspänstigen Rappen zurückzuhalten, derselbe stürmte
unaufhaltsam mit ihm fort und mit ihm die ganze wilde Heerde, daß der Boden
erzitterte und der Donner der Hufschläge die Luft erfüllte. Carl ergab sich
in sein Schicksal, Meile auf Meile blieb zurück und sein Roß, so wie dessen
wilde Kameraden bedeckten sich mit weißem Schaum.

Jetzt ging es einem Eichwalde zu, der sich über dem Saum der Prairie erhob,
und mit Schrecken dachte Carl an die Gefahr, die ihm beim Einjagen zwischen
die Baumstämme drohte; aber umsonst wandte er wieder und wieder alle seine
Kräfte an, das wilde Thier in seinem Laufe aufzuhalten, es blieb in der
Mitte der fliehenden Massen. Der Eichwald ward erreicht, und im Sturm
ging es in denselben hinein und zwischen den Stämmen hin, daß Carl jeden
Augenblick glaubte, an einem derselben hängen zu bleiben; er wand sich aber
hin und her und drückte sein Pferd gewaltsam herüber und hinüber, um
den Bäumen auszuweichen. Da erkannte er plötzlich vor sich einen weiten
Wasserspiegel, der sich an dem Saume des Waldes hinzog und in welchem er
keinen andern als den rothen Fluß erkennen konnte. Ein Hoffnungsstrahl fuhr
in Carl auf, denn an dem Strome, dachte er, würde die Heerde Halt machen,
und er würde einen Augenblick gewinnen, um Herr seines Pferdes zu werden.
Er sah, wie die Vordersten der dahinstürmenden Schaar das Ufer des Flusses
erreichten, sie stürzten sich in die Fluthen hinab und alle ihre wilden
Kameraden ihnen nach, daß die Wellen hoch über ihnen zusammenschlugen. Auch
Carl sauste mit seinem Roß in die Wogen hinunter, er hörte und sah nicht
mehr, das Wasser thürmte sich um ihn auf und für einen Augenblick war
ihm der Athem genommen. Er klammerte sich aber an seinen Rappen fest, der
jetzt, von den Hunderten von Pferden umgeben, welche rings um ihn aus den
Wellen emporschauten, eilig die schnelle Fluth durchzog und dem jenseitigen
Ufer zuschwamm. Schnaubend und brausend stieg der Hengst aus den Wogen auf
und nieder und trug seinen Reiter vielen seiner Kameraden vorüber glücklich
an das jenseitige Land. Diese letzte Anstrengung hatte aber die Kräfte der
wilden Rosse erschöpft, sie erstiegen mühsam das Ufer und theilten sich nun
im Trab nach allen Richtungen auseinander, um der fremden Schreckensgestalt
auf dem Rappen zu entgehen. Umsonst machte dieser abermals neue
Anstrengungen, jenen zu folgen, er sträubte sich nur noch kurze Zeit gegen
die Gewalt seines Reiters und ergab sich dann dessen Herrschaft. Durchnäßt
bis auf die Haut und mit einem zu Tode erschöpften Pferde, sah sich Carl
nun allein und verlassen viele Meilen von seinen Freunden entfernt und von
ihnen durch einen mächtigen Strom geschieden. Er stieg ab und sein nächster
Gedanke traf seine Waffen, die gleichfalls, wenn auch nur einen Augenblick,
unter Wasser gewesen waren. Er feuerte schnell seine Büchse, so wie seine
Revolver ab, und zu seiner Freude versagte kein Schuß. Sein Pulverhorn war
vollkommen wasserdicht, deßhalb ersetzte er gleich sämmtliche Ladungen und
überdachte dabei seine Lage. Wäre der Fluß nicht vor ihm gewesen, so
würde er auf dem Wege, den er gekommen, zurückreiten, um die Delawaren
aufzusuchen; mit seinem müden Pferde konnte er sich aber den Fluthen nicht
noch einmal anvertrauen, und er sah keinen andern Ausweg, als hier am Ufer
zu verbleiben und zu warten, ob seine Freunde zu ihm kommen würden. Ohne
Zweifel folgten diese, sobald sie ihn vermißten, der breiten Spur, welche
die wilden Rosse hinterlassen hatten, und er beschloß, ein großes Feuer zu
errichten, damit die Delawaren seinen Aufenthalt daran erkennen könnten,
wenn sie erst in der Nacht den Fluß erreichen sollten; denn die Sonne
stand nicht mehr hoch und es war ungewiß, ob die Jagd nach dem Falben den
Häuptling nicht sehr weit abgezogen hatte. Während der Rappe, den Carl an
einen einzelnen Baum befestigte, sich an dem jungen Grase erholte,
trug dieser trockenes Holz herbei, um das Feuer anzuzünden, welches ihm
augenblicklich sehr wünschenswerth war; denn in der nassen Kleidung fing
ihn an zu frieren. Er zog die Zunderbüchse aus der Tasche und nahm sie aus
der fest zugebundenen Blase hervor, in welcher er sie stets verwahrte, um
sie vor Nässe zu schützen. Dann schlug er mit Stahl und Stein Funken hinein
und blies die erzeugte Gluth zur Flamme an, in welcher er einen Bündel
trockenes Gras entzündete. Bald loderte nun das Feuer aus dem gesammelten
Reishaufen empor und wirbelte sich um das schwere Holz, welches Carl darauf
warf. Die Gluth war bald so groß, daß er sich einige Schritte von ihr
entfernt halten mußte, wo er sich nun von allen Seiten durch sie trocknen
ließ, indem er sich langsam vor ihr drehte. Er hatte schwere Aeste von
einem umgefallenen Mosquitobaum herbeigetragen, um das Feuer während der
Nacht zu unterhalten, da er sicher darauf rechnete, seine Freunde erst spät
erscheinen zu sehen; doch kaum war die Sonne versunken, als ihn der ferne
Jubelton des Häuptlings von der andern Seite des Flusses her begrüßte. Bald
darauf sah er ihn denn auch an der Spitze seiner Schaar unter den Eichen
heranziehen, und wie groß war Carls Freude, als er an der Seite Leopards
seinen lieben Falben erkannte, der geduldig neben demselben herschritt. Als
der Häuptling das Ufer erreicht hatte, rief er Carl zu, er möge dem Flusse
folgen, da einige Meilen weiter eine sehr seichte Stelle sich in demselben
befinde, wo man durchreiten könne, ohne naß zu werden. Sogleich war Carl
zu Roß und eilte dem Ufer entlang, er konnte aber den Augenblick kaum
erwarten, wo er wieder bei seinem Falben sein würde.

Die Delawaren folgten dem Strome an dem andern Ufer, und Carl verwandte
keinen Blick von seinem Liebling, der ihm während seiner Abwesenheit noch
viel schöner geworden zu sein schien. Endlich hielt der Häuptling an und
blickte sich nach einer Stelle um, wo das Ufer nicht zu steil war. Er fand
sie in kurzer Entfernung, lenkte sein Pferd in den Strom hinein, und der
ganze Zug der Delawaren folgte ihm noch. Das Wasser reichte wirklich den
Pferden nicht bis an den Leib und schnell war der Fluß durchritten. Carl
war abgestiegen und wartete mit größter Ungeduld am Ufer, und als der
Falbe auf dasselbe heraufschritt, da schlang er seinen Arm um den Hals des
geliebten Thieres, und sagte in höchster Freude:

»Ja, Falber, kennst Du mich denn noch, Du braver Kerl, wie ist es Dir denn
ergangen?« Dabei klopfte und strich er liebkosend den Hals des Pferdes, und
dieses gab ihm durch leises Wiehern zu verstehen, daß es sich ebenso sehr
freue, ihn wiederzusehen.

Dann aber wandte sich Carl mit rührenden Versicherungen seines ewigen
Dankes an den Häuptling, der mit der innigsten Freude das Glück
beobachtete, welches sich auf Carls Zügen spiegelte.

»Du hattest mir nicht zu viel von dem Falben gesagt,« fiel ihm Leopard in
das Wort, »er ist flüchtig wie die Antilope und ausdauernd wie der Büffel,
er hat meinem Hengst vielen Schweiß gekostet. Ich bin ihm über fünf Meilen
weit gefolgt, ehe ich den Lasso nach ihm werfen konnte, kaum lag aber die
Schlinge um seinen Hals, als er sich ergab und sich geduldig von mir leiten
ließ. Er ist den Ritt werth gewesen, zumal da ich meinem jungen
Freunde eine so große Freude dadurch verschafft habe. Wenn ich meinen
Schimmelhengst nicht hätte, so möchte ich wohl den Falben besitzen, es
giebt nicht viele seines Gleichen.«

»Ja, er ist ein braves edles Thier, und ich danke Dir von ganzem Herzen,
daß Du ihn mir wiedergegeben hast. Der Rappe dort ist nicht so treu, es
hätte mir bei diesem Ritt das Leben kosten können; der Abscheuliche ging
mit mir durch, und ich mußte, ob ich wollte oder nicht, mit der tollen
Heerde davonjagen.«

»Ich sah es wohl,« entgegnete der Häuptling lachend, »ich konnte aber doch
unmöglich den Falben entkommen lassen; auch dachte ich, wer einen solchen
Prairiebrand glücklich mit durchgemacht hat, der könne auch wohl einmal in
der Mitte einiger Hundert wilder Rosse einen lustigen Ritt machen.«

»Sehr lustig war er nun gerade nicht, ich kann Dir sagen, in dem Eichwalde
war es ein gefährlicher Lauf, und den Sprung in den Strom will ich im Leben
nicht vergessen!«

»Du bist ja nun ein Delaware, und darum ist Dir auch kein Ritt zu wild;
wir werden noch weit lustigere zusammen machen. Wo giebt es denn wohl
eine größere Lust für den Mann, als auf den Rücken eines flüchtigen edlen
Rosses?«

Der Häuptling gab seinen Leuten nun einen Wink, das Lager aufzuschlagen,
die Frauen breiteten für ihn und für Carl weiche Büffelhäute im Grase aus,
und in ganz kurzer Zeit darauf hatten sie Leopards Zelt hinter ihm und
hinter seinem jungen Freunde aufgestellt. Auch die übrigen Zelte erhoben
sich schnell, die Feuer vor denselben loderten empor, und die Weiber
beeilten sich, das Abendbrod zu bereiten. Der Häuptling theilte Carl
nun mit, daß er sich nach einem, mehrere Tagereisen von hier gelegenen
Handelshause der vereinigten Staaten begeben wolle, deren die Regierung an
der ganzen Grenze des Indianergebiets bis weit nach Norden hin errichtet
hatte, damit die Indianer dort Alles kaufen und eintauschen könnten, dessen
sie bedürftig wären, ohne in die Ansiedelungen der Weißen vordringen zu
müssen. Er wollte dort die, auf diesem Jagdzuge erbeuteten Häute, das
Bärenöl, den Honig und das Wachs, so wie getrocknetes Wildpret verwerthen,
und vielerlei Bedürfnisse für seine Niederlassung am Kanzasflusse
eintauschen. Dorthin wollte er dann ziehen, um einige Wochen bei den
Seinigen zuzubringen, ehe er nach Norden zur Jagd aufbräche. Bald nach dem
Abendessen legte Carl sich in dem Zelte zur Ruhe nieder, denn er war sehr
ermüdet von den Anstrengungen während des wilden Rittes; ehe ihn aber
der erquickende Schlaf umfing, sandte er seine innigsten, liebevollsten
Gedanken seinen zurückgelassenen Theuern zu und schloß sie in sein Gebet
ein. Mit dem anbrechenden Tage folgte er dem Beispiel sämmtlicher Indianer
und badete sich in den kristallklaren Fluthen des rothen Flusses, wobei
er die Geschicklichkeit im Schwimmen bewunderte, welche seine Gefährten
besaßen; denn sie schienen eben so sicher und heimisch im Wasser zu sein,
wie auf dem Lande. Als die Sonne sich über der flachen weiten Ferne erhob
und ihr goldenes Licht über die endlose grüne Ebene warf, war der Zug schon
wieder in Bewegung, und Carl saß abermals auf dem Rücken seines lieben
Falben, während sein Rappe einem jungen Indianer zum Reiten übergeben war,
damit derselbe ihn vollkommen in Gehorsam bringe. Ununterbrochen führte
während drei langer Tagereisen der Weg der Indianer durch eine offene
Grasflur, aus der sich nur hier und dort ein Mosquitobaum, eine
dichtbelaubte rothe Ulme erhob, und nur an den einzelnen Gewässern, die
sie überschritten, und die ihre kleinen Wellen dem Kanzasflusse zuführten,
trafen sie auf dichte hohe Waldstriche. Am dritten Abend erreichten sie ein
solches Wasser und erkannten schon von Weitem vor dem Walde, der dasselbe
überschattete, eine große Anzahl von hohen spitzen weißen Zelten, welche
das Lager eines bedeutenden Indianerstammes bezeichneten. Bei Annäherung an
dasselbe theilte der Häuptling seinem jungen Freunde mit, daß es ein Stamm
der Comantschenindianer sei, der dort lagere. Bald hatten sie das Zelt des
Häuptlings erreicht, und wurden von demselben mit großer Aufmerksamkeit und
Freundlichkeit begrüßt. Leopard stellte ihm Carl als seinen Freund vor, der
mit ihm zu leben beschlossen habe, und theilte ihm mit, daß der schwarze
Panther der Delawaren bei Carls Onkel am Bärflusse lebe, und Niemand diese
Niederlassung beunruhigen dürfe, wenn er nicht die Delawaren zu Feinden
haben wolle. Der Comantschenhäuptling schien von dieser Mittheilung nicht
sehr erbaut zu sein, hatte jedoch Nichts dagegen einzuwenden, und gab
Leopard nur die Versicherung, daß die Comantschen stets gute Freunde der
Delawaren bleiben würden. Carl betrachtete mit großem Interesse die Zelte.
Dieselben waren von gegerbtem weißen Büffelleder verfertigt, hatten die
Form eines Zuckerhutes, und maßen auf dem Boden zwölf bis vierzehn Fuß im
Durchmesser, während ihre Höhe gegen sechszehn Fuß betrug. Die Oeffnung,
welche hineinführte, konnte mit Lederbändern zugebunden werden, so daß
man sich im Innern des Zeltes gegen Wind und Kälte geschützt befand. Lange
Stangen waren inwendig in den Erdboden eingestochen, die oben zusammen
kamen und durch die Oeffnung hinaus reichten, welche in der Spitze des
Zeltes gelassen, und welche zugleich als Schornstein diente, da in der
Mitte des innern Raumes bei kaltem Wetter ein Feuer unterhalten wurde. Rund
um dasselbe waren die Ruhelager für die Bewohner des Zeltes aus Thierhäuten
hergerichtet, und an den Stangen, die dasselbe ausgespannt hielten, hingen
Waffen und Geräthschaften des Eigenthümers. Die weiße Außenseite aller
dieser beweglichen Wohnungen war mit bunten Malereien geziert, welche
Schlachten und Gefechte mit wilden Thieren vorstellten.

Zusammengepackt werden diese Zelte auf der Reise von Maulthieren getragen,
und die langen Stangen, an deren Hals befestigt, von ihnen über Berg und
Thal mitgezogen. Carls Aufmerksamkeit wurde gleichfalls durch die große
Heerde von Pferden und Maulthieren angeregt, welche vor dem Lagerplatz
in der Weide ging und aus mehr als fünfhundert dieser Thiere bestand. Sie
werden von den Indianern theils zum Reiten, theils zum Tragen der Zelte,
Geräthschaften und Vorräthe benutzt, und bei Gelegenheit auch, wenn Wild
mangelt, geschlachtet und gegessen.

Leopard schied nach einer langen Unterredung mit dem Häuptling der
Comantschen im freundlichsten Vernehmen von demselben, bat ihn schließlich
noch, allen Indianerstämmen, mit welchen er zusammentreffen möchte, die
Mittheilung wegen des schwarzen Panthers zu überliefern, und zog dann noch
einige Meilen weiter am Flusse hinauf, um dort zu übernachten. Am folgenden
Tage langten die Delawaren bei dem Handelshause der Regierung an, und
schlugen in nicht großer Entfernung von demselben an dem Flusse, an dessen
Ufer jenes gelegen war, ihr Lager auf.

Es war Abend geworden und Leopard sandte einen seiner Krieger an den
Vorstand der Niederlassung, um denselben von seiner Ankunft zu unterrichten
und ihm wissen zu lassen, daß er wünsche, am nächsten Morgen mit ihm zu
handeln. Der Bote kam bald zurück, und brachte die Antwort, daß es dem
Director der Handlung sehr erfreulich sein werde, die Delawaren bei sich zu
sehen und sie bedienen zu können.

Mit dem anbrechenden Tage wurden nun alle Vorräthe, welche sie mit sich
führten, bereit gemacht, und nach dem Frühstück beluden deren Eigenthümer
ihre Pferde damit, um sie nach dem Handelshause zu schaffen.

Leopard und Carl geleiteten sie auf dem Wege, und nur die Weiber blieben im
Lager zurück. Das sogenannte Handelshaus bestand aus einer Menge hölzerner
Gebäude, welche in einem Viereck erbaut und mit einer hohen Pallisadenwand
umgeben waren. Der Eingang führte in einen, gleichfalls von Blockhäusern
eingeschlossenen Vorhof, durch welchen man dann erst in den innern Raum des
eigentlichen Forts gelangte, und vor welchem Durchgang zwei kleine Kanonen
aufgepflanzt waren, um denselben im Fall eines feindlichen Angriffs durch
die Indianer damit zu vertheidigen. Der Vorhof war nun stets der Ort, wo
die Wilden mit den Beamten der Niederlassung zusammenkamen, um ihre Händel
abzuschließen, und wohin die Waaren gebracht und ihnen vorgelegt wurden.

Der Director des Geschäfts empfing Leopard und seine Begleiter mit
großer Freundlichkeit, und sagte ihnen, daß sie zu einem sehr günstigen
Augenblicke gekommen seien, da er vor wenigen Tagen bedeutende Zusendungen
von Waaren erhalten habe, und sie aufs Beste bedienen könne.

Die Indianer übergaben nun einzeln ihre Vorräthe dem Geschäftsführer, und
dieser bestimmte in Gemeinschaft mit Leopard für die Waare eines jeden
Mannes den Preis, zu welchem die Handlung dieselbe übernehmen wollte,
und von welchem ein gewisser Theil dem Häuptling zukam. Dann nannten die
einzelnen Leute die Gegenstände, welche sie zu kaufen wünschten, und welche
nun aus dem Fort in den Vorhof gebracht wurden. Dieselben bestanden in
grobem feuerrothen Tuch, welches die Delawaren benutzten, um ihre Hüften
damit zu umbinden, in bunten Baumwollenzeugen, seidenen Tüchern, Spiegeln,
Perlen, Pfeifen, Waffen aller Art, Pulver und Blei, und Taback. Die Wahlen
waren bald getroffen, und Carl wunderte sich dabei über die unerhört
hohen Preise, welche seinen Freunden berechnet wurden. Nachdem die
Leute sämmtlich befriedigt waren, erstand nun auch Leopard für den ihm
zugefallenen Antheil an dem Erlös aus den Vorräthen der Indianer eine Menge
Waaren, womit das Geschäft beendigt wurde. Der Director machte dann dem
Häuptling noch verschiedene Geschenke, und bedauerte, daß die Delawaren
keine geräucherte Büffelzungen mitgebracht hätten, wofür er augenblicklich
einen sehr hohen Preis bewilligen könne; denn dieselben wären in den
östlichen Staaten sehr gesucht.

Der Häuptling zeigte sich erfreut über diese Mittheilung und entgegnete dem
Director, er wolle sofort eine Jagd nach Büffeln unternehmen, die, wenn sie
glückte, ihn in den Stand setzen würde, einige hundert Büffelzungen binnen
Kurzem hierherzubringen. Der Händler munterte ihn noch mehr zu dieser
Jagd auf und sagte, er würde ihm für die Zungen noch viel schönere Waaren
vorlegen.

Leopard nahm nun Abschied von ihm, die Leute schafften ihre Einkäufe in das
Lager, und schon nach wenigen Stunden waren die Delawaren unterwegs nach
Westen.

Leopard theilte seinem jungen Freunde mit, daß er nur _einen_ Ort kenne, wo
er die beabsichtigte große Jagd auf Büffel ausführen könne; es frage sich
nur, ob er zahlreiche Heerden dieser Thiere dort antreffen werde. Wäre
dies der Fall, so wolle er sie mit seinen Kriegern einer tiefen Schlucht
zutreiben, in welche sie hinunter stürzen und sich zu Hunderten tödten
würden.

Carl war sehr gespannt auf diese neue Art von Jagd, und der Häuptling mußte
ihm viel über solche, früher schon gehaltene erzählen.

Nach scharfem Reiten während zweier Tage gelangten sie an ein kleines
Wasser, welches von schmalen Waldstreifen überschattet war. Hier wurde noch
vor Sonnenuntergang das Lager aufgeschlagen, der Häuptling aber bestieg
seinen Schimmel, Carl seinen Rappen, welcher während des heutigen
Tagesmarsches nicht geritten war, und Beide eilten einer Höhe zu, die
einige Meilen von dem Lager entfernt, sich weiter nach Westen in der
Prairie erhob. Leopard wollte sehen, ob auf der Ebene jenseits des
Hügels Büffel weideten, denn dort war der Platz, wo er die Jagd zu halten
beabsichtigte. Schon auf dem Wege nach der Höhe trafen die beiden Reiter
viele Büffel an, links und rechts konnte man bis in die weiteste Ferne
Heerden dieser Thiere erkennen, und als sie die Anhöhe erreichten, von wo
ihnen sich die Aussicht nach Westen öffnete, fanden sie zu ihrer Freude
ihre Hoffnungen erfüllt. So weit das Auge reichte, war die Grasfläche
mit Büffelheerden bedeckt. Der Häuptling bezeichnete Carl nun am fernen
Horizonte eine Gruppe hoher Bäume, und sagte ihm, daß dort die Schlucht
sich befinde, und daß sie sich eine Meile lang ausdehne. Dorthin sollte
morgen nun die Jagd gemacht werden, und mit dem Wunsch, daß sie am
folgenden Tage noch eben so viele Büffel hier antreffen möchten, traten die
beiden Reiter ihren Rückweg an.

Im Lager herrschte an diesem Abend große Thätigkeit: die Männer setzten
ihre Waffen in besten Stand, und die Weiber sahen das Sattelzeug genau nach
und stellten alle Schäden daran sorgfältig wieder her. Viele waren aber
damit beschäftigt, ein Gestell aus leichtem Weidenholz zu flechten,
welches, wenn eine Büffelhaut darüber gehangen wurde, die ungefähre Form
eines Büffels hatte. Dieses Gestell sollte bei der Jagd einer der Delawaren
auf dem Kopf tragen, und den Büffelheerden den Weg nach der Schlucht
zeigen. Hierzu war der beste Läufer, ein schlanker, kräftiger junger
Bursch, gewählt und nachdem das Gestell fertig war, hing er die Büffelhaut
darüber, hob es auf seinen Kopf, und rannte damit zur Belustigung Aller
in den tollsten Sprüngen im Lager umher, während ihm von allen Seiten der
lauteste Beifall gezollt wurde. Namentlich war Carl sehr überrascht, als
plötzlich dies Ungeheuer um das Feuer des Häuptlings, bei welchem er
ruhte, herumgaloppirt kam und der Indianer, der in ihm steckte, die
fürchterlichsten Töne dabei ausstieß. Leopard war sehr mit der Ausführung
dieses nachgeahmten Büffels zufrieden, und sagte dem Burschen, der die
Vorstellung gab, daß er einen doppelten Antheil an der Beute haben solle,
wenn die Jagd gut ausfiele. Nachdem das Abendbrod eingenommen war und man
sich zur Ruhe begab, bestieg jener junge Krieger sein Pferd, legte die
große Büffelhaut unter sich über den Sattel, nahm das Gestell auf seine
Schultern, und ritt davon, um auf einem weiten Umwege von Westen her die
Schlucht zu erreichen, wohin die Jagd gemacht werden sollte. Auf diesem
Wege beunruhigte er die Büffelheerden an dieser Seite der Schlucht nicht,
und er war morgens frühzeitig auf seinen Posten, um seine Rolle als Büffel
zu spielen.

Beim ersten Grauen des Tages bestiegen die Delawaren nun ihre besten
Pferde und ritten, von Leopard auf seinem Schimmel und Carl auf dem Falben
geführt, nach der Anhöhe, welche der Häuptling am Abend zuvor besucht
hatte. Es war noch nicht ganz Tag, als sie dort anlangten und die ganze
Ebene bis nach der, viele Meilen entfernten Schlucht mit Büffelheerden
bedeckt fanden. Viele dieser Thiere hatten sich noch nicht erhoben und
ruhten sorglos in dem frischen jungen Gras. Der Häuptling sandte seine
Krieger nun zur Rechten und zur Linken ab, um in einem weiten Halbzirkel
die Heerden zu umstellen. Er selbst blieb mit Carl auf dem Hügel halten,
und sie folgten mit den Blicken den davonreitenden Jägern, von denen von
Zeit zu Zeit einer stehen blieb, um die Treiblinie zu bilden. Bald aber
verschwanden die Weiterziehenden in der Ferne, und ihre Richtung wurde
nur durch heraneilende Büffelheerden bezeichnet, welche, durch sie
aufgeschreckt, vor ihnen flohen. Die Heerden auf der Ebene nach der
Schlucht hin zeigten aber keine Unruhe, und die neu herzukommenden begannen
gleichfalls zwischen ihnen zu weiden. Als es heller Tag geworden war, sagte
der Häuptling zu Carl: »Sieh jetzt einmal durch Dein Glas nach der Schlucht
hin, ob Du vor derselben einen einzelnen Büffel gewahren kannst, das würde
unser Mann mit dem Gestell auf dem Kopfe sein. Er wird sich dort in der
Gegend aufhalten, und erst, wenn die Büffel, von uns gejagt, angestürmt
kommen, der Schlucht zufliehen, damit die Heerden ihm folgen.«

Carl sah lange Zeit nach den bezeichneten Bäumen hin, die sich am Horizont
erhoben, konnte aber keinen einzelnen Büffel in deren Nähe erkennen.
Der Häuptling hatte währenddem, mit der Hand über den Augen, gleichfalls
unverwandt hingeblickt, und sagte plötzlich: »Ich glaube, ich sehe ihn,
dort ist wenigstens ein schwarzer Punkt, und ich meine, derselbe habe sich
den Bäumen etwas genähert. Gieb mir Dein Glas.«

Er nahm nun das Fernrohr aus Carls Hand, und hatte nur kurze Zeit
hindurchgesehen, als er sagte: »Freilich ist es unser Mann, er steht gerade
in der Mitte vor der Schlucht. Jetzt wirst Du ihn auch erkennen können,
suche ihn rechts von den Bäumen.«

Carl nahm nun das Fernglas, und hatte kaum hindurchgeblickt, als auch er
den nachgeahmten Büffel erkannte, der sich jenseits der Heerden vor der
Schlucht aufgestellt hatte.

Von links und rechts kamen immer noch Büffel angezogen, und der Häuptling
spähte nach den beiden äußersten Enden des Halbzirkels, in welchem seine
Leute von beiden Seiten heranreiten sollten. Bald erschienen denn auch die
letzten derselben wie dunkele Punkte in weiter Ferne, sie bewegten sich
der Schlucht zu, und man konnte nun den ganzen Bogen, welchen die Delawaren
beschrieben, vom Hügel herab übersehen. Plötzlich ließ der Häuptling sein
gellendes Jagdgeschrei ertönen, und auf der ganzen Linie zu beiden Seiten
wurde es dann auch von den Treibern angestimmt. Zugleich setzten Alle ihre
Rosse in Galopp und stürmten der Schlucht entgegen, während die wilden
Jagdrufe die sorglosen Büffel auf der ganzen Ebene aufscheuchten und alle
vor den heranjagenden Reitern die Flucht ergriffen. In sausender Carriere
folgte die ganze Linie der Indianer den fliehenden Heerden, die von beiden
Seiten immer näher zusammengedrängt und von hinten im Sturmlauf vorwärts
getrieben wurden. Je mehr die Indianer sich der Schlucht näherten, um
so enger rückten sie in ihrer Linie zusammen und um so lauter und
fürchterlicher ertönte ihr Jagdgeschrei. Nur einzelne Büffel wandten sich
gegen die Linie, und wurden von den Kugeln der Indianer begrüßt. Keiner
von diesen aber hielt sich um einen verwundeten oder getödteten Büffel auf,
alle blieben in der Nähe und folgten den Heerden in wilder tobender
Jagd. Auch Carl schoß mehrere Büffel nieder, sprengte aber immer mit dem
Häuptling vorwärts, und ließ seinen Jagdruf aus Leibeskräften erschallen.

Während dieser Zeit stand der Indianer mit der Büffelhaut über dem Kopfe
einige Tausend Schritte vor der Schlucht auf der Grasflur aufgestellt und
schaute nach den aus der Ferne heranstürmenden Büffelheerden. Wie Donner
kam es mit ihnen herangezogen, und die Erde begann unter den Füßen des
Indianers zu beben. Er ging jetzt hin und her, hielt aber seinen Blick
immer auf die vorderste Heerde gerichtet und suchte durch wiederholte
Sprünge deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie kam auf ihn zu, und
nun setzte er sich langsam in Trab, blickte sich aber immer wieder um,
damit die wilden Schaaren ihm nicht zu nahe kommen möchten. Er beeilte
bald seine Schritte mehr und mehr, und sah zu seiner großen Freude, daß
die vorderste Heerde ihm geraden Weges folgte. Jetzt aber setzte er sich
in raschen Lauf, denn Rippe an Rippe kamen die entsetzten Thiere in
so rasender Flucht herangejagt, daß, wollte er nicht unter ihren Füßen
zermalmt werden, er keine Sekunde mehr verlieren durfte. In fliegenden
Sprüngen setzte er vor dem ihm folgenden Thiergewoge über die Prairie
der Schlucht zu, und erreichte deren steilen Abhang, als nur noch fünfzig
Schritte zwischen ihm und den Büffeln lagen. Ein Busch auf dem Abhange
bezeichnete ihm die Stelle, wo er sichern Schutz zu finden wußte; denn dort
führte ein schmaler Fußsteig, den die Indianer in die Felswand eingehauen
hatten, zehn Fuß an derselben hinab und in eine Höhle, die sich dort tief
in den Felsen erstreckte. Der Pfad war so schmal, daß ein Mensch ihn nur
mit Lebensgefahr betreten konnte, denn neben demselben schoß der Abhang
mehrere Hundert Fuß senkrecht hinunter. Der Indianer hatte den Busch über
dem Pfad erreicht, warf das Gestell mit der Büffelhaut über den Kopf in den
Abgrund hinunter, kletterte auf dem Pfad hinab und saß wenige Augenblicke
später sicher geborgen in der Höhle. Die Felswand schien unter der Wucht
der heranstürmenden Schaaren zu wanken, das Donnerdröhnen der Tritte hatte
den Abhang erreicht, und jetzt sah der Indianer die Riesenthiere brüllend
über sich durch die Luft fliegen und vor sich in die Schlucht hinabstürzen.
Tausende von Büffeln wurden jetzt von den ihnen folgenden Reitern gegen den
Abhang gejagt; zu spät wurden ihre vorderen Reihen denselben gewahr,
denn ehe sie sich in ihrem Sturmlauf aufhalten und von der Schlucht sich
abwenden konnten, drängten sie die folgenden Massen über den Felsrand
hinaus. Nach wenigen Minuten aber hatte das wilde verworrene Thiergewoge
Halt gemacht, und Leopard rief seinem jungen Freunde zu:

»Zurück, zurück, folge mir, laß dem Falben die Zügel!« und fort jagten
Beide, und links und rechts sämmtliche Delawaren mit ihnen, denn jetzt
waren die Büffel die Angreifer und die Jäger die Gejagten. Mit lautem
Wuthgebrüll kamen die erzürnten colossalen Thiere gesenkten Kopfes
herangebraust, und verfolgten ihre Feinde weit über die Grasflur, bis sie
sich überzeugten, daß sie die flüchtigen Pferde nicht einholen konnten.
Dann stampften sie, ihnen nachblickend, den Boden, und ließen ihr
Siegesgebrüll ertönen.

In weitem Bogen führte der Häuptling nun seine Schaar in Galopp dem Ende
der Schlucht zu, wo dieselbe sich in der Prairie erweiterte und abflachte,
und dann ritten die Jäger in derselben hinauf, um zu ihrer Beute zu
gelangen. Je weiter sie zwischen den beiden Felswänden vordrangen, um so
höher erhoben sich dieselben, um so mehr näherten sie sich einander. Schon
von Weitem sahen die Jäger die schwarzen Massen der herabgestürzten Büffel
in der Schlucht liegen, und bald erkannten sie, daß viele derselben sich
noch hin- und herwarfen und aufzustehen versuchten. In einer Länge
von fünfhundert Schritten lagen unter der Felswand zwischen drei- und
vierhundert Büffel, und hoch über ihnen sah der Indianer aus der Felsspalte
hervor und bewillkommnete seine Kameraden bei der reichen Jagdbeute mit
lauten Jubelrufen. Die noch lebenden Thiere wurden schnell getödtet, und
dann begaben sich die Indianer eilig an die Arbeit, allen Büffeln die
Zungen auszuschneiden. Nur wenige wurden ihrer Häute beraubt, alle aber den
Geiern und Wölfen zum Schmause überlassen; denn kaum hatten die Jäger die
Zungen der Büffel an ihren Sätteln hängen, so ging es ohne Aufenthalt nach
dem Lager zurück, um die Beute den Frauen zum Trocknen und Räuchern
zu übergeben. Zu so hoher Begeisterung Carl auch in der Aufregung der
großartigen Jagd hingerissen wurde, so war ihm doch der Anblick der
ungeheuren Zahl von gemordeten Thieren, die ihr Leben nur ihrer Zunge wegen
hatten hingeben müssen, abschreckend und widrig gewesen, und er war
froh, die Schlucht hinter sich zurückzulassen und seinen Blick an dem
freundlichen Bilde zu weiden, welches die saftig grüne Fläche mit ihren
tausendfarbigen Blumen ihm bot. Die Frauen hatten im Lager nun schon die
nöthigen Gerüste über Kohlenfeuern aufgestellt, um die Zungen darüber zu
räuchern und zu trocknen, und mit großem Jubel bewillkommneten sie die
glücklichen Jäger und nahmen deren Beute in Empfang. Der Tag verstrich in
großer Thätigkeit, und es wurde während desselben an keine weitere Jagd
gedacht. Am folgenden Morgen aber forderte der Häuptling Carl auf, einen
Gang mit ihm an dem Wasser hinab zu machen, da dessen Ufer immer reich
von Wild belebt seien. Carl war schnell bereit, ergriff seine Büchse und
verließ mit dem Häuptling das Lager, nachdem dieser seine Leute ersucht
hatte, nicht gleichfalls am Flusse hinab zu jagen, sondern lieber die
entgegengesetzte Richtung zu wählen. Er ließ dann Carl in den Waldstrich
an dem linken Ufer gehen und begab sich selbst durch das seichte Wasser an
dessen andere Seite, weil, wie er sagte, dort zu viel Röhricht stehe und
Carl sich leicht darin verirren könne. Ehe sie sich trennten, bezeichnete
er einen Ort, wo sich die Prairie bis an das Wasser in den Wald hinein
erstrecke; dort sollte Carl auf ihn warten. Wohl eine halbe Stunde lang
war dieser hin und her in dem ziemlich lichten Gehölz fortgeschritten, ohne
irgend ein Wild zu Gesicht zu bekommen, da rauschte es plötzlich neben ihm
in dem Röhricht am Wasser, es krachte und brach darin, und eine schwere
dunkle Masse stürzte aus dem Dickicht hervor. Carl war hinter einen Baum
gesprungen, und erkannte jetzt einen schwer verwundeten riesigen Büffel,
der sich wahrscheinlich nach der gestrigen Jagd hierher geflüchtet und das
Wasser aufgesucht hatte, um darin seine Wunden zu kühlen. Carl schoß nach
ihm, doch da das Thier sich dennoch mühsam fortschleppen wollte, so gab er
ihm seine zweite Kugel, welche dasselbe nun völlig tödtete.

In diesem Augenblick fiel an der andern Seite des Wassers in nicht großer
Entfernung ein Schuß, und Carl schaute nach der Richtung hin, von wo der
Schall gekommen war. Da hörte er die gellende Stimme des Häuptlings, und
erkannte deutlich, daß er seinen Namen rief. Mit wenigen Sätzen hatte er
durch das seichte Wasser hin das jenseitige Ufer erreicht, und brach sich
gewaltsam Bahn durch das Röhricht, während der Hülferuf des Häuptlings
immer lauter, immer dringender zu ihm herüber drang. Das Dickicht war aber
zu sehr mit Ranken durchschlungen, als daß Carl sich hätte schnell vorwärts
bewegen können, und der sumpfige Boden, in dem er oft bis an die Knie
einsank, hinderte noch mehr seine Eile. Endlich ward es licht, er hatte
einen offenen Grasfleck erreicht, und hörte nun von dessen anderer Seite
her den Ruf Leopards ganz nahe aus dem Röhricht erschallen.

Carl stürzte sich in dasselbe hinein, bog es mit allen Kräften links und
rechts zur Seite, und sprang plötzlich in eine offene Stelle, wo vor ihm
auf dem Boden der Häuptling lag und mit einem ungeheuern Panther rang,
der auf ihm saß und seinen Hals zu ergreifen trachtete. Leopard wehrte das
grimmige Thier mit seiner linken Hand von sich ab, während sein rechter Arm
mit Blut bedeckt machtlos in dem Grase hing. Mit _einem_ Satze warf sich
Carl auf das wüthende Thier und stieß ihm sein langes Jagdmesser in die
Seite. Der Panther fuhr herum, und schlug seine furchtbaren Tatzen in die
Schulter seines neuen Gegners, doch Carls Messer fand mit dem zweiten Stoß
das Herz des Raubthiers und streckte es todt zu Boden. Jetzt erst erkannte
der Knabe, daß der Häuptling auf einem zweiten Panther lag, welchem der
Kopf gespalten war. Leopard sank mit einem dankbaren Blick nach seinem
Retter in das Gras zurück und verlor die Besinnung; Carl aber nahm schnell
sein Tuch hervor und verband damit die Wunden an dem rechten Arm Leopards,
aus welchem das Blut noch immer frisch hervorquoll. Dann holte er Wasser in
seinem Hute herbei und wusch seinem Freunde die Schläfe und die Brust,
bis derselbe die Augen wieder aufschlug. Der Häuptling deutete auf seinen
rechten Schenkel, und als Carl denselben untersuchte, fand er mehrere sehr
arge Wunden daran, die das Raubthier mit den Hintertatzen geschlagen hatte.
Der Knabe wollte sein Hemd ausziehen, um dasselbe zum Verbinden dieser
Wunden zu verwenden, da sah er das Tuch, welches der Häuptling um den Kopf
getragen hatte, im Rohr hängen; er holte es schnell herbei und wand es
sorgfältig um das verwundete Bein. Dann brachte er abermals Wasser in
seinem Hut, um seinen Freund damit zu erfrischen, und fragte ihn nun,
was er thun solle, damit er ihn in das Lager schaffe. Leopard bat ihn mit
matter Stimme, seine Büchse zu laden und sie neben ihm niederzulegen, da er
im Nothfall dieselbe auch mit der linken Hand würde abfeuern können;
denn seine rechte war er nicht im Stande zu erheben. Carl erfüllte seinen
Wunsch, und als ihn Leopard nun aufforderte, in das Lager zurückzueilen,
lud Carl auch noch sein eigenes Gewehr, legte es bei dem Verwundeten
nieder, und sprang dann auf dem Wege, den er gekommen war, so schnell ihn
seine Füße tragen konnten, wieder zurück nach dem Lager. Die Wunden an
seinem eignen Arm beachtete er gar nicht, obgleich sie ihn schmerzten und
das Blut aus dem Aermel bis auf seine Hand geflossen war.

[Illustration]

Die Nachricht von dem Unglück, welches Leopard betroffen hatte, verbreitete
großen Schrecken unter den Delawaren, die Kräftigsten von ihnen schlossen
sich Carl sofort an, und er mußte sie zu ihrem Häuptling führen. Sie fanden
denselben durch den bedeutenden Blutverlust sehr entkräftet, verfertigten
schnell eine Trage, legten ihn auf dieselbe und hoben die Bahre auf ihre
Schultern.

Leopard trug einem der Delawaren auf, die Häute der beiden Panther
mitzunehmen, und auch die eines jungen Panthers, welchen er ihm in dem
Röhricht bezeichnete, wo derselbe todt lag. Darauf setzte sich der Zug in
Bewegung und langte nach Verlauf einer Stunde in dem Lager an. Die Männer,
so wie die Frauen sammelten sich traurig um ihren geliebten Häuptling, er
wurde in sein Zelt getragen, dort auf weichen Häuten gebettet, und zwei
Indianerinnen legten nun Kräuter in die Wunden und verbanden dieselben dann
von Neuem. Sie kochten auch einen Kräuterthee für ihn, den sie ihm von Zeit
zu Zeit zu trinken gaben, und blieben während der ganzen folgenden Nacht
bei ihm sitzen, um seine Schmerzen zu lindern und den Verband seiner Wunden
häufig zu erneuen. Sie hatten auch Carl verbunden, der nun gleichfalls
nicht von der Seite des Häuptlings wich, und dieser hielt oft lange Zeit
des Knaben Hand in seiner Linken und schaute ihn mit dankbarem Blick dabei
an. Gegen Morgen versank Leopard in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst
erwachte, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Er fühlte sich sehr
gekräftigt, rief Carl lächelnd zu sich heran, und nachdem derselbe sich
neben ihm niedergelassen hatte, erzählte er ihm, in welcher Weise er am
Tage vorher so zu Schaden gekommen war. Er sagte, es sei seine eigene
Schuld gewesen, und er verdiene die Schmerzen, die er sich selbst zugezogen
habe.

Während er in dem Walde spähend vorwärts geschritten war, hatte er
plötzlich an dem Saume der Rohrdickichts einen jungen Panther erblickt, und
hatte, ohne sich zu bedenken, nach ihm gefeuert. Das Thier war verwundet
in das Röhricht hineingeeilt, und Leopard war ihm nachgesprungen, hatte
es eingeholt, und hatte es mit einem Schlage seiner Streitaxt getödtet. In
demselben Augenblick aber waren die beiden alten Panther durch das Röhricht
auf ihn zugestürzt, und es war ihm gelungen, dem einen mit der Axt den Kopf
zu spalten. Der andere aber hatte seinen rechten Arm dann so zerrissen,
daß ihm die Waffe aus der Hand gefallen war, und nun hatte ihn das Thier
zu Boden geworfen, und nur mit größter Noth war es ihm möglich gewesen,
dasselbe von seinem Halse abzuwehren.

Nachdem der Häuptling den Verlauf der Begebenheit Carl mitgetheilt hatte,
ergriff er dessen Hand und sagte:

»Du hast den obersten Häuptling der Delawaren seinem Volke erhalten, Du
hast Deinem Freunde das Leben gerettet, und hast dabei Dein eigenes gewagt;
denn hätte Dein Messer das Herz des Panthers verfehlt, so wärst Du verloren
gewesen. Der einzige Griff des Thieres auf Deine Schulter hat Dir schon
tiefe Wunden geschlagen, wenn sie auch zum Glück nicht so bedeutend sind,
wie die meinigen. Hättest Du mich nicht von dem Raubthier befreit, so würde
es mich nach wenigen Minuten erwürgt haben, denn meine Kräfte gingen zu
Ende. Du hast ein großes Herz für Freundschaft und für Dankbarkeit, doch
auch die Herzen der Delawaren sind nicht klein dafür.«

Diese letzten Worte sagte der Häuptling mit einer feierlichen Betonung, und
drückte Carl dabei bedeutungsvoll die Hand.

Die ungeschwächte Gesundheit, wie sie nur der Indianer besitzt, ließ die
Wunden Leopards schnell heilen, und nach Verlauf von einigen Wochen war
er wieder im Besitz seiner vollen Kraft. Das Lager war abermals nach dem
Handelshause verlegt, und die Büffelzungen zu hohen Preisen an dessen
Vorstand verwerthet.

Der Häuptling hatte niemals wieder in Carls Gegenwart des Ereignisses mit
den Panthern erwähnt, und niemals wieder von seinem Dank für die Hülfe des
Knaben geredet. An dem Abend, nachdem er den Handel über die Büffelzungen
abgeschlossen hatte, und mit Carl allein bei dem Feuer vor seinem Zelte
lag, sagte er zu diesem:

»Ich habe einen langen Ritt zu machen, um ein, für mich sehr wichtiges
Geschäft abzuschließen; ich werde morgen zeitig die Reise antreten. Du
sollst mich begleiten, denn ich hoffe, daß Du mir große Dienste dabei
erweisen wirst.«

»Du weißt es ja, Leopard, wie gern ich Dir diene, wenn nur meine
Fähigkeiten dazu ausreichen werden,« antwortete Carl mit freudigem Blick.

»Sie werden ausreichen, wenn Du nur den guten Willen hast, mir zu helfen,
und davon bin ich ja unbedingt überzeugt. Es werden mich nur wenige meiner
Leute begleiten, und sie sollen mir meinen Schimmel und Dir Deinen Rappen
nachführen; denn uns Beiden steht ein scharfer Ritt bevor. Du machst ja
gern einen lustigen Ritt!«

»So lange meine Kräfte ausdauern, bleibe ich bei Dir, mag es hingehen,
wohin es will,« entgegnete Carl mit funkelnden Augen, und sah sich in
Gedanken schon wieder in wilder Jagd auf der endlosen Prairie.

»Gut, ich werde Dich auf die Probe stellen,« sagte der Häuptling lächelnd,
und wandte dann das Gespräch auf andere Dinge.

Am folgenden Morgen, noch ehe die Sonne über die Erde blickte, saß Leopard,
so wie auch Carl schon zu Roß, und vier junge Krieger schwangen sich in
ihre Sättel, um ihrem Häuptling zu folgen. Zwei von ihnen leiteten den
Schimmel desselben und den Rappen seines jungen Freundes. Unter tausend
Glückwünschen der Zurückbleibenden verließen sie das Lager und nahmen eine
südöstliche Richtung. Leopard war ernst und schweigsam, was Carl mit der
Wichtigkeit des abzuschließenden Geschäftes erklärte; die neuen Gegenden,
die Wälder in ihrem Frühlingsschmuck, die Grasfluren in ihrer Farbenpracht,
die Gewässer mit ihren Fischen, das unzählige Wild aber fesselten
fortwährend die Aufmerksamkeit des Knaben und unterhielten seinen
lebendigen, für alles Schöne hoch empfänglichen Geist. Vier Tage lang
hielten sie ihre Pferde von dem Grauen des Morgens bis in die Nacht hinein
in eiligem Gange, und als am vierten Abend die Dunkelheit sich über die
Gegend legte, sagte der Häuptling zu Carl, daß sie noch einige Stunden zu
reiten hätten. Die Nacht war sternhell und die Reiter erreichten bald
einen hohen Wald, an dessen Saum sie mehrere Stunden lang hinzogen. Dann
gelangten sie an einen tiefausgetretenen uralten Büffelpfad, welcher in
den Wald hineinführte. Hier stieg Leopard ab, und seine Begleiter folgten
seinem Beispiele, um die Pferde zu leiten, da man der Ranken wegen
namentlich in der Dunkelheit nicht zu Roß in den Wald eindringen konnte.
Schweigend schritt der Häuptling voran, und machte während des Gehens seine
Begleiter nur darauf aufmerksam, wenn ihm ein Hinderniß in den Weg kam.
Nach einer halben Stunde gelangten sie im Walde an einen Fluß, wo Leopard
bestimmte, die Nacht zuzubringen.

Schnell war ein Feuer angezündet, die Pferde wurden in den wilden Roggen
gebunden, der den Boden des Waldes hier bedeckte, und die Reiter erquickten
sich mit einem Stück Hirschfleisch, welches sie am Feuer rösteten, so wie
mit dem frischen Trunk, den ihnen die krystallhelle Fluth des Flusses bot.
Es schien, daß Leopard mit jedem Tage ernster und schweigsamer geworden
war, ohne jedoch seine innige Herzlichkeit gegen Carl zu beeinträchtigen.
Auch an diesem Abend redete er nicht viel, wünschte dem Knaben bald ruhig
zu schlafen, drückte ihm herzlich die Hand, und streckte sich dann auf
seiner Satteldecke aus. Am folgenden Morgen wurde es spät, ehe sich der
Häuptling von seinem Lager erhob, und auch dann noch schien er keine
Eile zu haben, die Weiterreise anzutreten. Das Frühstück verzögerte er
augenscheinlich absichtlich, und als endlich die Sonne ihre Strahlen durch
die Baumkronen auf das Lager warf, sagte er zu Carl:

»Wir Beide haben heute einen kurzen aber scharfen Ritt zu machen: Du sollst
dabei meinen Schimmel reiten, damit Du mir nicht zurückbleibst, es wird ein
heißes Rennen werden.«

Carl sah ihn verwundert an, denn außer Leopard selbst hatte er noch
nie einen Menschen auf dem Rücken des Schimmels gesehen, und er glaubte
beinahe, daß der Häuptling sich versprochen habe.

»Ich soll Deinen Schimmel reiten?« fragte der Knabe erstaunt.

»Ja wohl, meinen Schimmelhengst, und ich hoffe, daß Du ihm als Reiter Ehre
machen und mir nicht erlauben wirst, ihn einzuholen; denn das ist bis jetzt
noch keinem Rosse möglich gewesen.«

»Es soll an mir nicht liegen, Du wirst zufrieden mit mir sein,« entgegnete
Carl freudestrahlend; denn auf die Ehre, den Schimmel zu reiten, hatte er
nicht gehofft. Derselbe wurde nun statt des Falben gesattelt, Carl mußte
ihn besteigen, Leopard schwang sich auf sein Roß und der Fluß, in welchem
das Wasser nicht tief war, ward überschritten. Der Wald wurde hier lichter,
so daß die Reiter nicht abzusteigen brauchten, und ihre Pferde in raschem
Schritte halten konnten. Bald sah man durch die Laubmassen die Prairie
liegen, und nach wenigen Minuten hielt Leopard an dem Ausgange aus dem
Walde sein Pferd an.

»Jetzt mußt Du mir voranreiten, unser Rennen wird von hier aus beginnen,
ich hoffe, Du lässest Dich nicht von mir einholen,« sagte er zu Carl mit
einem strahlenden Blicke.

»Wohin wollen wir denn rennen?« fragte Carl verwundert.

»Reite nur hinaus, dann wirst Du schon die Richtung finden,« entgegnete der
Häuptling, und zog sein Pferd zur Seite, um dem Knaben Raum zu geben.

Carl ritt, erstaunt um sich sehend, unter dem letzten Baume hervor, warf
einen Blick am Waldsaume hin und schrie:

»Großer Gott -- das Fort!«

»Vorwärts!« rief der Häuptling, und dahin sauste Carl auf dem
Schimmelhengst, als flöge er über das Gras, dem heimathlichen Hügel zu, auf
dem das Fort seines Onkels stand, und hinter ihm her stürmte der Häuptling
in gestrecktem Laufe.

Carl wollte rufen, wollte schreien, die Stimme aber versagte ihm, und statt
der Worte von seinen Lippen flossen die Freudenthränen von seinen Augen.
Der Häuptling aber hinter ihm ließ das Jagdgeschrei der Delawaren ertönen,
daß es laut und jubelnd nach dem Fort hinaufschallte und dessen Bewohner
erschrocken in das offene Thor rief.

Carl sah die Seinigen, wie sie die Hände nach ihm ausstreckten; auch er
breitete jauchzend ihnen seine Arme entgegen, und der Häuptling hielt sein
Roß im Lauf zurück und winkte mit dem Tuche durch die Luft, um jeden
Schein von Feindseligkeit zu beseitigen. Der Schimmel flog am Hügel hinauf,
Turners rissen den geliebten Knaben vom Pferde, er verschwand in ihren
Umarmungen, und Daniel hielt mit einer Hand den Schimmel und streckte die
andere zwischen seinen überglücklichen Freunden nach seinem geliebten
Carl aus, um wenigstens dessen Arm zu erfassen. Das unverhoffte Glück, die
Seligkeit des Wiedersehens überwältigte Alle für den Augenblick so sehr,
daß sie nicht bemerkten, wie der Häuptling unbeweglich neben ihnen stand,
und selbst das Glück, welches er hier geschaffen hatte, wonnig in sein Herz
einziehen ließ; als aber der erste Freudenrausch verwogte und die Blicke
der Beseligten sich fragend auf ihn richteten, hub er mit ernster Stimme
an:

»Der Knabe hat dem Manne Freundschaft und Dankbarkeit gelehrt, er ist dem
Häuptling der Delawaren ein treuer Freund gewesen, er hat ihm das
Leben gerettet, und das Herz des Leoparden enthält jetzt nicht
weniger Freundschaft und Dankbarkeit, als das Herz des Knaben. Der
Delawarenhäuptling giebt seinen Freund Carl dessen Lieben zurück, er
schenkt ihm sein bestes Roß, seinen Schimmelhengst, und er ertheilt dem
schwarzen Panther die Freiheit, damit derselbe nun seinen Freund Carl
niemals wieder verlasse. Der schwarze Panther ist und bleibt ein Delaware,
und wer seine und seiner Freunde Ruhe stört, der wird der Todfeind der
Delawaren sein.«

Kaum hatte der Indianer aber das letzte Wort gesagt, so warf sich Carl ihm
an die Brust und umschlang seinen Nacken unter heißen Thränen des
Dankes und des Glücks, und Turners sämmtlich und der Neger drückten den
hochherzigen Indianer an ihre Herzen und stammelten unter Freudenthränen
ihren Dank hervor.

Mein Herz ist nun wieder froh und meine Zunge wieder leicht; Leopard hat
jetzt viele Freunde am Bärflusse! sagte der Häuptling, überwältigt von dem
Wonnegefühl, mit welchem das von ihm geschaffene Glück seine Brust füllte.

Er ließ sich von seinen Freunden nun in das Fort führen, wo sie ihn jubelnd
und jauchzend willkommen hießen. In Freude und glücklicher Eintracht
verbrachte er hier den Tag, schlief mit Carl in _einem_ Zimmer, und sagte
am folgenden Morgen seinen Freunden mit dem Versprechen Lebewohl, sie
zweimal im Jahre zu besuchen.

Fünf Jahre später, während welcher Zeit der Verfasser dieses Buches
wiederholt aus dem Munde des Delawaren-Häuptlings Begebenheiten aus dem
Leben Carl Scharnhorsts vernommen hatte, besuchte er selbst die Familie
Turner in ihrer Niederlassung am Bärflusse, und erfuhr dann von ihnen
und von Carl Scharnhorst selbst ihre Schicksale, die in diesem Buche
geschildert sind.

Das Fort war verschwunden, ein freundlicheres, von blühenden Lianen
umschlungenes Haus stand statt seiner auf dem Hügel, und wurde von Turner,
dessen Gattin und ihren beiden Söhnen bewohnt.

Das Feld war weit in die Prairie am Pflaumenbache hinauf ausgedehnt und
theils mit Mais, theils mit herrlicher Baumwolle bestellt.

Julie war an den zweiten Sohn Warwicks am Choctawbache verheirathet,
und Carl Scharnhorst hatte seine eigene Farm an der andern Seite des
Pflaumenbaches gegründet, die er mit Daniel musterhaft bewirthschaftete.
Die Prairie vor beiden Niederlassungen war mit herrlichen Viehheerden
belebt, Alles in und um die Ansiedelungen zeugte von Wohlhabenheit und
glücklichem ungestörten Frieden der Eigenthümer, und in einer großen
Einzäunung vor Carls Hause weideten der Falbe, der Rappe und der Schimmel.




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Im Verlage von #Carl Rümpler# in _Hannover_ sind erschienen und durch alle
Buchhandlungen zu beziehen:


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  Aus den Quellen.

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  _Theodor Colshorn_.

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[ Hinweise zur Transkription


Eine auf den Halbtitel folgende ganzseitige Illustration wurde zu der
entsprechenden Textstelle auf Seite 248 verschoben.

Der Halbtitel wurde entfernt.

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription
sind _gesperrte_ Schrift, Textanteile in =Antiqua-Schrift= sowie
#Fettdruck# jeweils markiert.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  Seite 12:
  "Madam" geändert in "Madame"
  (in vollem Lauf bei Herrn und Madame Turner vorübersauste)

  Seite 22:
  "«" eingefügt
  (ist und bleibt doch eine Goldgrube, und --«)

  Seite 40:
  "«" eingefügt
  (wenn mir nur kein Anderer schon zuvorgekommen ist.«)

  Seite 59:
  "«" eingefügt
  (in einigen zwanzig Tagen nach Baltimore bringen.«)

  Seite 65:
  "." geändert in "?"
  (kennst Du das Land an den Ufern der Chesapeake-Bay?«)

  Seite 82:
  "»" eingefügt
  (»Der Kapitain verliert mich allerdings nicht gern)

  Seite 99:
  "Perde" geändert in "Pferde"
  (wenn die Fesseln an den Füßen unserer Pferde halten)

  Seite 105:
  "«" hinter "helfen." entfernt
  (um ihrem ersten Vorposten gegen die Indianer zu helfen.«)

  Seite 112:
  "«" eingefügt
  (ein Trinkhorn und ein Pulverhorn daraus verfertigen.«)

  Seite 117:
  "»" eingefügt
  (»Ich bin wirklich bis unter die Arme naß geworden)

  Seite 122:
  "?" geändert in "!"
  (wir senden sie Alle hierher zu Ihnen!« antwortete Warwick)

  Seite 146:
  "Tnrner" geändert in "Turner"
  (als ob es ein Hase wäre,« entgegnete Turner)

  Seite 155:
  "gnt" geändert in "gut"
  (sich so gut er konnte. Als mich nun der Jaguar)

  Seite 162:
  "Jaguarhant" geändert in "Jaguarhaut"
  (über die Jaguarhaut wurde noch besonders ein Gurt geschnallt)

  Seite 176:
  "Honigkochen" geändert in "Honigkuchen"
  (es wurden Honigkuchen gebacken)

  Seite 176:
  "Weinachtsfest" geändert in "Weihnachtsfest"
  (wie er in Deutschland das Weihnachtsfest zierte)

  Seite 195:
  "er-ermüdet" geändert in "ermüdet"
  (Sehr ermüdet langten sie beim Fort an)

  Seite 199:
  "eineu" geändert in "einen"
  (An jede Falle hatte Daniel einen Strick gebunden)

  Seite 206:
  "«" eingefügt
  (läßt sich nur selten in der Nähe von Ansiedelungen sehen.«)

  Seite 212:
  "»" vor "Der" entfernt
  (Der Schuß durch den Kopf und der durch das Herz)

  Seite 240:
  "Tauerkleide" geändert in "Trauerkleide"
  (wie in einem schwarzen Trauerkleide lag sie)

  Seite 264:
  "Anwort" geändert in "Antwort"
  (Carl gab dem Indianer keine Antwort, was dieser)

  Seite 269:
  "Thierscharen" geändert in "Thierschaaren"
  (als die fliehenden Thierschaaren bei ihm vorüberbrausten)

  Seite 270:
  "Fortes" geändert in "Forts"
  (der Hof und die Umgebung des Forts blendend erhellt waren)]







End of the Project Gutenberg EBook of Carl Scharnhorst. Abenteuer eines
deutschen Knaben in Amerika., by Armand and Friedrich Armand Strubberg

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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
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or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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