Gordon : der Held von Khartum

By Anonymous

The Project Gutenberg eBook of Gordon
    
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Title: Gordon
        der Held von Khartum

Author: Anonymous

Release date: March 20, 2025 [eBook #75673]

Language: German

Original publication: Calw: Verlag der Vereinsbuchhandlung, 1891

Credits: Peter Becker, Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by SLUB: Sächsische Landesbibliothek - Staats - und Universitätsbibliothek Dresden. )


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GORDON ***



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                      Anmerkungen zur Transkription:

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion
des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler
sind stillschweigend korrigiert worden. Folgende Zeichen sind für die
verschiedenen Schriftformen benutzt worden:

  ~gesperrt gedruckter Text~,  =antiqua gedruckter Text=

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                              Gordon

                         der Held von Khartum.




                            Ein Lebensbild.

                            [Illustration]




                          Neue Volks-Ausgabe.

                     Mit Bildnis und Kartenskizze.


                            [Illustration]


                           Calw & Stuttgart.

                    Verlag der Vereinsbuchhandlung.

                                 1891.




             Druck der Stuttgarter Vereins-Buchdruckerei.




                              ~Vorrede~.


Nachdem das vorliegende Buch in zwei Auflagen verbreitet worden ist,
tritt es nun in etwas veränderter Gestalt seinen Weg aufs neue an. Zu
Grunde liegen folgende Quellen:


  1) ~Die stets siegreiche Armee, eine Geschichte des chinesischen
  Feldes unter Oberstlieutenant C. G. Gordon, sowie der Unterdrückung
  des Taiping-Aufstandes, von Andrew Wilson.~

  2) ~Die Geschichte des »Chinesen-Gordon« von A. Egmont Hake~,
  zwei Bände.

  3) ~Oberstlieutenant Gordon in Zentral-Afrika (1874-1879) von G.
  Birkbeck-Hill.~ Letzteres Werk besteht hauptsächlich aus Gordons
  Briefen aus der genannten Zeit.

  4) ~Die Tagebücher von Generalmajor C. G. Gordon zu Khartum, nach
  dem Original-Manuskript gedruckt. Mit Einleitung und Noten von A.
  Egmont Hake.~

  5) ~Betrachtungen in Palästina von Charles George Gordon.~


Außer diesen Hilfsquellen ist eine ganze Reihe kleinerer Bücher
über Gordon, sowie eine nicht geringe Anzahl von Aufsätzen und
Zeitungsartikeln gelesen und zum Teil auch benutzt worden. Der
vorliegenden Auflage sind außerdem nachträglich bekannt gewordene
Charakterzüge und Streiflichter eingefügt worden. Da und dort ist
gekürzt, anderes hingegen ist ergänzt worden, so besonders die
Schlußzeit in Khartum. Es wurde nichts unterlassen, das Lebensbild
des trefflichen Mannes in gegebenen Grenzen zu einem möglichst
vollständigen und abgerundeten zu machen.

Die neue Auflage tritt ihren Weg zu einer Zeit an, in welcher
das Interesse am dunklen Weltteil reger ist denn je. Auch
~Deutschland~ hat einen Beruf in Afrika. Männer voll Hingabe wie
Gordon, wie Emin Pascha, sind es, die Afrika nötig hat. Emin, der
wie bekannt s. Z. als Gordons Unterstatthalter an den Äquator ging,
schrieb uns unterm 2. April 1890 von Bagamojo: »Daß ~meine~
Kräfte bis zum Tod der Sache Afrikas und seiner schwarzen Kinder
gewidmet sind, versteht sich von selbst.« Hat Deutschland nicht noch
andere opferwillige Herzen und Hände, die für die große Arbeit der
Befreiung Afrikas mit einzutreten bereit sind? »Komm herüber und hilf
uns!« ist der Schrei des dunklen Weltteils. Hat die Christenheit kein
Ohr? Wann wird es heißen: Die Sklavenketten sind gefallen! Gordon war
wie Livingstone ein Stern am Nachthimmel Afrikas, und von beiden gilt
das Wort. »sie reden noch, wiewohl sie gestorben sind.« Möchte das
Lebensbild des Helden von Khartum laut reden, der darum ein Held war,
weil er ein ganzer Mann und ein ganzer Christ gewesen ist.

  ~London~, im September 1890.




                             Erstes Buch.

                      Jugendzeit und Krimkrieg.


Die Gordons sind von alter schottischer Herkunft: Clan Gordon war seit
unvordenklichen Zeiten ein kriegerisches Hochlandsgeschlecht. Wer
mit schottischer Geschichte, oder auch nur mit Walter Scott bekannt
ist, der weiß, daß ein Clan sozusagen die erweiterte Familie ist;
der alte Stammverband, ob er nun nach Hunderten zählte oder nach
Tausenden, war von den Vätern her gemeinsamen Blutes, und Gordon
hießen im vorliegenden Fall alle vom adeligen Clanshaupt an bis zum
streitbaren Hirten. Im Laufe der Zeit hatte der Stamm übrigens auch
seine Ableger, die als Gordons von so und so je nach dem betreffenden
Wohnsitz sich nannten und sich so vom älteren Zweig unterschieden.
Lord Byron z. B. stammte mütterlicherseits von den Gordons von Gieght.
Unter dem britischen Adel giebt es jetzt noch mehrere Familien, die
dem alten Stamm angehören: die Grafen von Huntley, von Aberdeen u.
a. sind »Gordons«. In den kriegerischen Annalen Schottlands stößt
man allerwärts auf Gordons, und mancher Gordon zog als Glücksritter
in die weite Welt. Wo immer es Schlachten zu schlagen gab, da wurde
der Name bekannt, in Preußen, in Polen, in Schweden, in Rußland, in
Amerika. Vier Gordons fanden Lorbeeren unter Gustav Adolf. In weniger
rühmlicher, wenngleich eingreifender Weise findet sich ein Gordon in
Wallensteins Lager und bei Wallensteins Tod. Peter der Große lernte
einen Gordon in Moskau hoch schätzen, und der eiserne Zar vergoß
Thränen am Sterbebett dieses Fremdlings, der, nebenbei bemerkt,
Tagebücher von historischem Wert hinterlassen hat. In Schottland
selbst ehrte die englische Regierung das alte Geschlecht, indem sie
einem der neuen Regimenter, die aus dem Chaos des Thronfolgekriegs
hervorgingen, die Benennung »Gordon Highlanders« verlieh.

Im Jakobitischen Aufstand des Jahres 1745 gab es Gordons auf beiden
Seiten. Lord Lewis Gordon und fünf Clanshäupter mit ihren Gordons
kämpften für den Kronprätendenten Prinz Charley (Stuart), während
ihr Verwandter David Gordon für die neue (hannoverische) Linie
stritt. In der Schlacht von Preston Pans wurde dieser David von den
Hochländern (seinen Vettern) gefangen genommen, später aber auf
Ehrenwort freigegeben. Wie er dazu gekommen war, gegen die Tradition
seiner Familie für die neue Königslinie einzutreten, ist jetzt nicht
zu ermitteln, jedenfalls stand er in Gunst beim Herzog von Cumberland
(dem zweiten Sohn des Königs Georg II.), der ihm ein Söhnchen aus der
Taufe gehoben hatte. Nach der Schlacht von Culloden, die der Sache des
Prätendenten den Todesstoß gab, verließ David Gordon mit seinem jungen
Sohn die alte Heimat und suchte Grund und Boden in der neuen Welt.
Sechs Jahre später fand er seinen Tod in Halifax, Neuschottland. Sein
Sohn, des Prinzen Patenkind, war allem nach ein »Häkchen«, das sich
frühzeitig in der angestammten Weise krümmte; denn kaum vierzehnjährig
schlägt sich der Jüngling schon in der britischen Armee. In seinem
vierundzwanzigsten Jahre, als er bereits ein erfahrener Soldat
war, und zuletzt unter General Wolfe bei Quebec mitgekämpft hatte,
kehrte der junge Schotte nach England zurück. In Hexham, Grafschaft
Northumberland, wo er in Quartier lag, fand er in der Schwester des
dortigen Geistlichen die Soldatenbraut, mit der er 1773 in die Ehe
trat. Drei Söhne und vier Töchter entsprangen diesem Bund. Die Söhne
verfolgten wiederum die militärische Laufbahn; der älteste fand
seinen frühen Tod am Kap, der jüngste hingegen, Henry William, ein
Artillerieoffizier, geb. 1786, erreichte ein hohes Alter und erlebte
die erstaunlichen Erfolge der »stets siegreichen Armee« unter seinem
zweitjüngsten Sohn; dieser aber, Charles George Gordon, ist unser Held.

Henry William Gordon war s. Z. in Woolwich stationiert, und
Charles George wurde als der vierte von fünf Söhnen am 28. Januar
1833 daselbst geboren. Die Mutter stammte zwar nicht aus einer
Soldatenfamilie, Unternehmungsgeist war aber auch mütterlicherseits
ein ererbter Charakterzug. Ihr Vater war Samuel Enderby, ein
angesehener Kaufherr, dessen Walfischfahrer von sich reden machten.
Seine Schiffe befuhren ferne und unbekannte Meere; »Enderbys Land« im
antarktischen Ozean zeugt selbst von geographischer Entdeckung. Dem
unternehmenden Kaufherrn gehörten auch jene beiden von der englischen
Regierung mit Thee verfrachteten Schiffe, die im Jahre 1773 im Hafen
von Boston vor Anker lagen, als die Kolonisten erklärten: »Das Land
muß gerettet werden!« In jener Nacht bemächtigte sich ein Haufe von
Schein-Indianern der beiden Schiffe und leerte mit dem Thee die
aufgezwungene Steuer ins Meer. Das war der Anfang der amerikanischen
Freiheit.

Gordons Mutter schildern solche, die sie gekannt haben, als eine
tüchtige Frau, die sich selbst in der Gewalt hatte und unter den
schwierigsten Umständen immer ihren Gleichmut bewahrte. Mit wahrhaft
genialem Takt habe sie immer alles zum besten zu wenden verstanden. Im
Krimkrieg waren drei ihrer Söhne und mehrere ihrer nächsten Verwandten
vor Sebastopol; man sah sie aber nie zaghaft, sondern immer nur damit
beschäftigt, ihren Angehörigen zu Hause, wie den fernen Kriegern Gutes
zu thun. Gordons Vater wird als origineller Mann, als tüchtiger Soldat
von festem Charakter und angenehmer Persönlichkeit geschildert. Er
hatte einen unerschöpflichen Humor, und Heiterkeit war sein Element.
Übrigens war das »Gesetzbuch der Ehre« seine Richtschnur für sich und
für andere. Soldat war er mit Leib und Seele, und zwar britischer
Soldat, für ihn das höchste Ideal auf der Erde; es war ihm daher trotz
der glänzenden Erfolge eine Enttäuschung, als sein Sohn späterhin in
fremde, nämlich in chinesische Dienste trat. Ein Gordon, meinte er,
sollte nur seinem eigenen Volk und Glauben dienen. Wer ihn kannte,
schätzte ihn, denn er war freundlich und großmütig in all seinem
Thun und von großer Gerechtigkeitsliebe; fürs übrige hatte er dies
mit seinem Sohn gemein, daß er von Natur eher dazu angethan war zu
befehlen als zu gehorchen.

Über Gordons Jugend liegt nur wenig vor. Die ersten zehn Jahre seines
Lebens verbrachte er mit seinen Eltern in Dublin, Leith und zuletzt
in Korfu, wo der Vater Festungskommandant war. Obschon wir die
Wahrheit des Dichterworts nicht verkennen, daß der Knabe des Mannes
Vater ist, so trifft dies bei Gordon doch nicht auf den ersten Blick
zu. Er soll als kleines Kind so zart und furchtsam gewesen sein, daß
Kanonenschüsse, ein tagtägliches Ereignis in seines Vaters Beruf, ihn
stets erzittern machten. Sehr bezeichnend ist indessen die Thatsache,
daß der neunjährige Junge, ehe er schwimmen konnte, sich in Korfu
öfter ins tiefe Meer warf mit der festen Zuversicht, seine größeren
Gefährten würden ihn nicht ertrinken lassen. Ein sogenannter »braver«
Junge war er durchaus nicht, vielmehr voller Schelmenstreiche. Sein
Vater wurde nach der Rückkehr von Korfu im königlichen Arsenal zu
Woolwich angestellt. Während der Schulferien geriet einst Charles
Gordon mit einem seiner Brüder auf die undenkbarsten Einfälle. Ihres
Vaters Wohnung lag der des Garnisonskommandanten gegenüber; es war
ein altes Haus und voller Mäuse. Diese wurden fleißig weggefangen und
in des Kommandanten Haus umquartiert. Viele Jahre später schreibt
Gordon (aus dem Sudan 1879) einer seiner Nichten, welche die ersten
zwanzig Jahre ihres Lebens im königlichen Arsenal verlebt hatte: »Es
freut mich zu hören, daß die Rasse der echten Gordons noch nicht
ausgestorben ist. Aber sicherlich hat keines von Euch die Arsenalleute
so umgetrieben wie wir seiner Zeit: sie ließen alles liegen und
stehen, wenn's galt uns zu Willen sein, sie verfertigten uns zum
Beispiel die herrlichsten Spritzen, die nichtsahnende Menschenkinder
bis auf die Haut durchnäßten. Und unsere Armbrüste waren einzig! Ich
weiß noch, wie's einmal an einem Sonntag Nachmittag im Hauptmagazin
siebenundzwanzig Scheiben gab, alle scharf durchschossen -- ein
kleines rundes Loch zur Ventilation -- und der Hauptmann konnte
von Glück sagen, daß wir ihn nicht mit unsern Bolzen an die Wand
nagelten.« Ob nicht solch jugendliche Kraftproben mit ihrem gutmütigen
Humor schon den spätern Mann erkennen lassen? Jedenfalls sieht man den
werdenden Charakter in einem Beispiel von Knabenstolz. Es ereignete
sich einmal, daß er unverdienter Weise von seinen Mitschülern
ausgeschlossen werden sollte, als diese nach London durften, um
»englische Reiter« zu sehen; es ergab sich noch rechtzeitig, daß
der Junge die Strafe nicht verdient hatte, er war aber nicht dazu
zu bewegen, sich dem Klassenvergnügen, auf das er sich vorher doch
so sehr gefreut hatte, anzuschließen. In der Kadettenschule zu
Woolwich soll ein unverständiger Offizier dem Zögling einmal das Wort
hingeworfen haben: »Aus Ihnen wird Ihr Lebtag nichts Rechtes«, was
den jungen Hitzkopf so aufbrachte, daß er sich die Epauletten von
den Schultern riß und sie seinem Vorgesetzten vor die Füße warf. Man
sollte zwar denken, daß solche Insubordination den jungen Menschen
leicht seine Laufbahn hätte kosten können, und Gordon selbst war
im späteren Leben ein viel zu tüchtiger Soldat, als daß er diesen
Jugendstreich gebilligt hätte. Auch ist es nichts weniger als ein
Beweis von Unzulänglichkeit, daß er nach vollbrachter Kadettenzeit
den Royal Engineers einverleibt wurde, einem Regiment, das für seine
Offiziere bekanntlich eine hervorragende technische Ausbildung
voraussetzt.

Im Juli 1852, also in seinem zwanzigsten Lebensjahre, erhielt er sein
Unterleutnantspatent. Er saß darnach zwei Jahre lang zu Pembroke am
Reißbrett. Dort gab es Pläne auszuarbeiten zur Befestigung des Hafens
(Milford), die seitdem ihre Verwirklichung gefunden haben. Diese
Beschäftigung wurde zuletzt zur ernstlichen Geduldsprobe für den
jungen Mann, dessen Kameraden ostwärts fuhren, gen Sebastopol. Aber
auch für ihn kam die Zeit, und am Neujahrstag 1855 trug das »Goldene
Vließ« ihn in den Hafen von Balaclawa. Er landete mitten im tiefsten
Winter.

Die Belagerung von Sebastopol dauerte elf Monate, eine schlimme Zeit
für die britische Armee. Die Schlachten von Balaclawa und Inkerman
waren geschlagen (Okt. und Nov. 1854), ein Winter voll namenlosen
Elends folgte darauf. Wie mancher Soldat erfror in den Laufgräben!
Hunger, Kälte, Krankheit waren die Verbündeten des Feindes. Innerhalb
der russischen Festung gab's Nahrungsmittel, warme Kleidung,
Medikamente die Fülle, während die Belagerer draußen das Allernötigste
entbehrten. Dem ausdauernden Mut der hungernden, zerlumpten Soldaten
ist kaum ein ähnliches Beispiel an die Seite zu stellen. Englische
Transportschiffe fuhren zwar mit ihren Ladungen von Zelten, Teppichen
und Proviant aller Art in nächster Nähe von einem Hafen zum andern,
aber den Kapitänen fehlten die richtigen Instruktionen, und die
Offiziere, die's mit ansahen, wußten nicht was die Schiffe enthielten!

Das war die Zeit, in der der junge Gordon seine Feuertaufe erhielt.
Statt der glorreichen Erfolge sah er wochenlang nur den Jammer des
Kriegs. Als Ingenieur war seine Arbeit in den Laufgräben. Infolge des
Elends war da die Mannszucht nicht selten in Gefahr. Er war vielfach
dem russischen Feuer ausgesetzt, hin und wieder auch dem planlosen
Schießen seiner eigenen Leute. In gewisser Hinsicht war dies ein
Vorbild seiner Laufbahn. Wie oft hat er im Feuer gestanden zwischen
Freund und Feind, und seine wunderbarsten Leistungen waren nicht
selten die, welche er allein vollbrachte, nachdem die Seinen ihn im
Stich gelassen hatten.

In seinen Briefen aus der Krim beschreibt er seine tägliche Arbeit und
erzählt von gefallenen Kameraden. Schon damals giebt er den ernsten
Sinn und die Ergebung in Gottes Willen zu erkennen, die ihn sein Leben
lang kennzeichneten. Der Lauf der Jahre hat bei ihm nur das vertieft,
was sich schon früh kund gab. Der Tod hatte keine Schrecken für ihn,
jeden Augenblick war er zum Sterben bereit. Wie alle gottvertrauenden
Menschen wußte er, daß der Tod nur dann kommt, wenn die dem Menschen
zugewiesene Lebensarbeit vollbracht ist, und in dieser Zuversicht
verfolgte er furchtlos die Bahn seiner Pflicht. Einmal sauste eine ihm
zugedachte russische Kugel hart an seinem Ohr vorüber; in einem Briefe
an seine Mutter erwähnte er der Sache aber nur mit der soldatischen
Bemerkung: »Die Russen zielen gut; ihre Kugeln sind groß und spitz.«
Einige Tage später fiel sein Hauptmann; er berichtet darüber in die
Heimat: »Es ist mir lieb zu wissen, daß er ein ernstgesinnter Mann
war. Die Bombe platzte über ihm, und ein Splitter traf ihn im Rücken
-- ~durch einen Zufall, wie man's nennt~; er war augenblicklich
tot.« Aus dem Sudan schreibt er zweiundzwanzig Jahre später im Blick
auf die Unterdrückung des Sklavenhandels: »Ich kann's vollbringen
mit Gottes Hilfe und habe die feste Überzeugung, daß er ~mich dazu
bestimmt hat~, denn sehr gegen meinen eigenen Willen bin ich hieher
gekommen ... Ich bin ein Fatalist geworden, wie's die Leute nennen,
das heißt: ich überlasse es dem lieben Gott mir durchzuhelfen.« Ein
andermal schreibt er: »Kein Trost kommt dem gleich, den ein Mensch
hat, der sich allezeit auf Gott verläßt, der glaubt und es nicht nur
mit dem Munde bekennt, sondern auch mit der That, daß ~alle~
Dinge vorher bestimmt sind. Wer so denkt, der hat den Tod schon
gekostet, und die Widerwärtigkeiten des Lebens fechten ihn nicht mehr
an.« Gordon hat seine Führung als eine im großen wie im kleinen von
Gott vorher bestimmte betrachtet, und das ist der Schlüssel zu seinem
ganzen Leben; dieser Glaube ist es, der ihn zum Helden gemacht hat. Er
that immer das Beste, was in seinen Kräften stand, dem Ausgang aber
sah er ruhig entgegen. »Wenn wir nur immer glauben könnten,« heißt's
in einem anderen Sudan-Brief, »daß alles von Gott bestimmt und zum
besten bestimmt ist, so wären wir mehr denn Überwinder; die Welt läge
zu unseren Füßen ... Unglück, das uns trifft, ist in Wirklichkeit
nie so schlimm als in der Erwartung, und wenn wir nur stillhalten
könnten, so trügen wir's leichter. Ich kann das Dasein Gottes von
seiner Vorherbestimmung und Leitung aller Dinge, der guten wie der
bösen, nicht trennen; das Böse läßt er zu, aber es bleibt unter seiner
Fügung.«

Nach dem Tod des Zaren, im März 1855, schritt die Belagerung stetig
aber langsam vor. Ende April schreibt Gordon: »Wir schieben unsere
Batterien vor, können aber nicht viel thun, ehe die Franzosen Fort
Malakow eingenommen haben.« Bis Anfang Juni verharrten die Briten
ziemlich unthätig. Gordon hatte nicht viel zu berichten; eine Zeile
aber muß erwähnt werden: »Es ist sehr zu beklagen,« sagt der junge
Leutnant, »daß wir keine rechten Feldprediger haben; ich wüßte auch
nicht einen zu nennen, dem das Wohl der Soldaten wahrhaft am Herzen
läge.«

Am 6. Juni eröffneten die Engländer das Feuer aus tausend Feldstücken;
aber obschon Gordon schreibt: »Ich glaube nicht, daß sich Sebastopol
noch zehn Tage halten kann,« so hielt die Festung sich doch noch
zehnmal zehn Tage; und während dieser ganzen Zeit war der junge
Ingenieur-Offizier auf seinem Posten in den Gräben.

Am 8. September erstürmten die Franzosen den Malakow. Die Engländer
pflanzten ihre Fahne auf Fort Redan auf, wurden aber nach einer Stunde
wieder daraus vertrieben. Zum wiederholten Angriff am folgenden Tage
kam es nicht, denn in der Nacht räumten die Russen die Festung. Gordon
schreibt:

  »In der Nacht auf den 9. hörten wir eine furchtbare Explosion,
  und als ich um vier Uhr morgens in die Gräben ging, sah ich ein
  gewaltiges Schauspiel. Sebastopol war in Flammen, und als die
  aufgehende Sonne die Zerstörung beleuchtete, war der Effekt in der
  That wunderbar. Die Russen verließen die Stadt; alle Dreidecker
  waren in den Grund gebohrt, nur die Dampfschiffe übrig. Viele Tonnen
  Pulvers müssen in die Luft gesprengt worden sein. Morgens acht Uhr
  erhielt ich Ordre, einen Plan der Festungswerke auszuführen, und
  begab mich nach Fort Redan; dort hatte ich einen entsetzlichen
  Anblick. Die Gefallenen wurden haufenweise beerdigt, Russen und
  Engländer mit einander.«

Nach dem Fall von Sebastopol war Gordon bis Februar 1856 fast
ausschließlich damit beschäftigt, die vom Brande verschonten
Festungswerke zu demolieren, und mit dieser wenig interessanten, aber
harten Arbeit schließt seine Zeit in der Krim.

Aus Gordons eigenen Berichten läßt sich wenig oder nichts über seine
persönlichen Leistungen entnehmen; Oberst Chesney dagegen, ein
Offizier, der vielfach Gelegenheit hatte ihn zu beobachten, stellte
ihm nachmals folgendes Zeugnis aus: »In seiner bescheidenen Stellung
als Ingenieur-Leutnant hat er durch seine Tapferkeit und Energie die
Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich gezogen und überdies
eine spezielle strategische Tüchtigkeit an den Tag gelegt, die sich
in den Gräben vor Sebastopol in einer persönlichen Kenntnis der
feindlichen Taktik kundgab, wie kein anderer Offizier sie erlangte.
Wir beauftragten immer ihn damit, ausfindig zu machen, was die Russen
vorhatten!«

Auch General Jones hob seine Verdienste hervor, aber das war
vorläufig alles, was ihm von englischer Seite an Lorbeeren zu teil
wurde, da im Ingenieur-Korps das Avancement lediglich nach dem
Dienstalter erfolgt. Die Franzosen verliehen ihm das Kreuz der
Ehrenlegion. So jung er war, hatte er doch bereits einen guten Anfang
gemacht »sein Bestes zu thun«.

Ehe wir die Krim verlassen, mag noch bemerkt werden, daß mit ihm in
den Laufgräben zwei andere junge Offiziere sich auszeichneten, die
berühmt geworden und neben Gordon auch im Sudan auf den Plan gekommen
sind: General Sir Gerald Graham und General Lord Wolseley, beide seine
lebenslänglichen Freunde.

Im Frieden von Paris verlor Rußland, was es seither durch den Berliner
Kongreß wieder erlangt hat, nämlich einen Streifen Land, dessen Besitz
die Beherrschung der untern Donau bedeutet. Bis 1812 gehörte dieser
Landstrich den Türken. Jetzt sollte die alte Grenze wiederhergestellt
werden. Eine Kommission, bestehend aus englischen, französischen,
russischen und österreichischen Offizieren, wurde damit beauftragt.
Der britische Abgeordnete war Major Stanton, und unter ihm die
Leutnants James und Gordon. Im Sommer 1856 begab sich Gordon deshalb
nach Bessarabien.

Diese neue Arbeit bot Abwechslung. Zwar waren die Salzsümpfe am
Schwarzen Meer kein angenehmer Aufenthalt und Kischinew, das
Hauptquartier der Grenzkommission, das schmutzigste Nest in
Südrußland. Gordon und James durchritten das Sumpfland fast ein
Jahr lang, heute als Grenzvermesser, die russische Landkarte
untersuchend und nötigenfalls verbessernd, morgen vielleicht nur als
Depeschenkuriere. Gordon fand diese Beschäftigung weit ansprechender
als den Krimkrieg; nichtsdestoweniger war es ihm unwillkommen, daß er
nach vollbrachter Grenzbestimmung zu einem ähnlichen Geschäft an die
asiatische Grenze versetzt wurde. Er hatte Verlangen nach der Heimat
und telegraphierte die Anfrage nach England, ob nicht ein anderer für
ihn eintreten könne. Aber seine Tüchtigkeit war bereits notorisch und
»Leutnant Gordon muß gehen«, lautete die Antwort.

In Armenien kam er zum erstenmal mit unzivilisierten Völkerschaften
in Berührung und bewies schon damals durch den Takt, mit welchem er
mit den Kurden-Häuptlingen umging, daß er ein besonderes Geschick
hatte, das Vertrauen solcher Stämme zu gewinnen und sie mächtig zu
beeinflussen. Sein Beruf führte ihn nach manchem interessanten Ort des
berühmten Landes. Er besuchte Erzerum, Kars, Eriwan, die Ruinen von
Arni, und bestieg auch den Ararat. In jenen Gegenden gewann er seinen
ersten Einblick in die Art und Weise, wie die Türkei dem Sklavenhandel
Vorschub leistet. Zwanzig Jahre später lernte er die Greuel der
Sklaverei an der Westgrenze der muhammedanischen Welt kennen, und die
schönste Arbeit seines Lebens war die, welche er der Unterdrückung
jenes schändlichen Handels gewidmet hat.

Nach einem halben Jahr in jenem Land voll reicher Erinnerungen kehrte
er nach Konstantinopel zurück, wo die Grenzkommission tagte, um von
da nach dreijähriger Abwesenheit den Heimweg anzutreten. Im Frühjahr
1858 wurde er abermals nach Armenien geschickt, wo er bis zum Herbst
damit beschäftigt war, die neue Heerstraße zwischen den russischen und
türkischen Grenzländern zu untersuchen.

Das folgende Jahr verbrachte er auf der englischen Militärstation
Chatham, wo er im April 1859 nach siebenjähriger Dienstzeit zum
Hauptmann avancierte.




                            Zweites Buch.

                           Gordon in China.


                           1. Die Taipings.

Die nächsten mit dem Juli 1860 beginnenden vier Jahre umschließen in
dem Leben Gordons fast märchenhafte Ereignisse. Es ist die Zeit, die
ihm den Ehrennamen »Chinesen-Gordon« brachte. Folgen wir dem Manne in
den fernen Osten.

In keinem Lande der Welt ist die Gegenwart so mit der Vergangenheit
verwachsen wie in China. Das hohe Alter des chinesischen Reiches
ist ein einzig dastehendes Beispiel in der Weltgeschichte, und
dieselben Grundsätze, die diesen Staat in seiner Jugend regierten,
sind noch jetzt die Haltpunkte des »schwarzhaarigen Volkes«. Um eine
revolutionäre Bewegung der Neuzeit wie den Taiping-Aufstand richtig
zu verstehen, muß man wenigstens einen Blick gethan haben in die
Gedankenwelt der alten chinesischen Weisen. Bei uns wäre es müßig, die
Sachsenkriege eines Karl des Großen oder die italienischen Feldzüge
eines Barbarossa zu betrachten, um beispielshalber die Politik
eines Staatsmannes der Gegenwart ins richtige Licht zu setzen; in
China aber gehören Einst und Jetzt so zusammen, daß Yao und Schün,
die halbmythischen Kaiser, und der große Yü von vier Jahrtausenden
her heute noch das »blumige Land« beeinflussen. Konfucius, der
»thronlose König«, der »Lehrer von zehntausend Geschlechtern«, betont
es wiederholt, er bringe nichts Neues: »Ich selbst bin nicht die
Weisheit«, sagt er, »ich suche sie bei den Alten.« Und was lehrten
oder glaubten nun diese Alten? Wenn man das Schu-King, dieses wohl
4000 Jahre alte »Lehrbuch der Anfänge« fragt, so lautet die Antwort:
das ganze Weltall ruht auf einer göttlichen Harmonie, die im Herzen
des Menschen Widerhall findet. Dieser ~Gedanke des Harmonischen~
zieht sich durchs Schu-King und alle anderen chinesischen Klassiker
hin. So heißt's vom Kaiser Yao, daß, »nachdem er selbst harmonisch
geworden, er die Unterthanen zum Einklang gebracht habe«, und der
Kaiser Schün ist deshalb gewählt worden, weil er's verstanden hat,
»seinen Vater, seine Mutter, seine Brüder, ja alle dummen und
einfältigen Verwandten zu ~harmonisieren~«. Wenn das Land
zerrüttet ist, so sagt man in China: »die Leute sind nicht harmonisch«.

In der Vorstellung der Harmonie wurzelt alles in China; es ist der
Tien oder Himmel des Konfucius, das Schang-ti oder Göttliche der
alten Schriften; und da nur der Weise wirkliches Verständnis dafür
hat, so ist es sein heiliges und besonderes Vorrecht, den Himmel der
Erde, die Gottheit den Menschen zu deuten. Er allein weiß, wie die
wahre Harmonie sich in irdischen Dingen kundgiebt, sei's nun zwischen
Herrscher und Unterthanen, zwischen Vater und Sohn oder Gatte und
Gattin, Freund und Freund. Der Weiseste soll Regent sein; er sei an
Gottes Statt der Beherrscher des blumigen Landes, der schwarzhaarigen
Menschen, ja der ganzen Welt. Er ist der Ebenbürtige des Himmels.

Es ist ersichtlich, daß die chinesische Anschauung der elterlichen
Autorität, wie auch ihre althergebrachte Theorie, nur tüchtige
Menschen zu Amt und Herrschertum zuzulassen, lediglich Bruchteile
jenes Hauptgedankens der Harmonie sind, woraus die weitere Vorstellung
sich ergiebt, daß in allen Verhältnissen des Lebens, in aller
gemeinsamen Thätigkeit, gleichviel welche verschiedenartigen Kräfte in
derselben sich äußern, eine symmetrische Einheit das Endziel ist. Kein
Volk hat umfassendere Begriffe von Organisation und Zentralisation als
die Chinesen; aber die Anschauung ist lediglich die einer organischen
Einheit, in der das Niedere naturgemäß und willig dem Höheren sich
unterordnet, das Gegenteil also einer nur äußeren Einheit durch
Gewalt. Die Chinesen sind daher in Wahrheit ein demokratisches Volk.
Nichts ist irrtümlicher als anzunehmen, daß der Kaiser oder seine
Beamten, sei es theoretisch oder praktisch, eines unumschränkten
Herrschertums sich erfreuen. Konfucius und alle anderen Weisen Chinas
stimmen mit Plato überein, wenn er sagt: »Niemand thut ~gern~
Böses«. Daraus folgern sie, daß eine gute Regierung beim Volk willigen
Gehorsam erzeuge. »Wer's versteht, mich zu besänftigen, der ist mein
Fürst, wer mich unterdrückt, ist mein Feind, der Verworfene des
Himmels und der Menschen!«

Über schlechte Regenten ergießt sich der göttliche Zorn und beschließt
ihren Untergang. Nach chinesischer Ansicht ist ein Unglück, welches
das Volk trifft, immer ein Beweis von der Untüchtigkeit oder Bosheit
des Herrschers. Der Himmel zürnt, und das Volk ist in Erwartung, daß
einer aufstehe, um den »Ausrottungsbefehl« zu vollziehen, und zwar
trifft dieser Befehl öfters einen »geringen« Menschen. Es ist daher
erklärlich, daß man sich bei politischen Bewegungen in China immer
auf einen göttlichen Auftrag bezieht, mit dem ein Rückblick auf die
Beispiele der Vergangenheit verbunden ist.

Ehe wir nun zur Schilderung des Taiping-Aufstands übergehen, haben
wir noch zu beachten, in wie hohen Ehren die Chinesen alles Wissen
halten, ihre Ehrerbietung gegen das Alter, und die Verbreitung der
Bildung in allen Schichten des Volkes. Konfucius drückt die Meinung
des Landes, die heute noch gang und gäbe ist, aus, wenn er sagt: »Die
Alten, die erhabene Tugend im Reich zu verbreiten wünschten, sorgten
zuerst für Ordnung in der eigenen Familie; zu diesem Zweck veredelten
sie vor allen Dingen ihre eigene Person; um sich aber zu veredeln,
suchten sie ihr Herz zu bessern; um das Herz zu bessern, erstrebten
sie Aufrichtigkeit des Denkens; um aber aufrichtig und wahr zu denken,
erweiterten sie ihre Kenntnisse.« In diesem Zusammenhang von Bildung
und der so hochgeschätzten Harmonie wurzelt die Sitte der allgemeinen
Prüfungen in China, welche die besten Examinanden zum Beamtenstand
zulassen und selbst dem ärmsten Bauernsohn den Weg zu den höchsten
Staatswürden offen halten. Unter den zahllosen Millionen des Reiches
sind nur wenige, die nicht lesen und schreiben können; und selbst der
gewöhnliche Chinese nimmt lebhaften Anteil am Regierungswesen. Die
himmlische Regierung, vom Kaiser an durch den ganzen Beamtenstand,
weiß sich daher unter der Aufsicht einer öffentlichen Meinung, die
nicht zu mißachten ist.

Der Kaiser ist der Stellvertreter des Himmels, aber nicht kraft seines
Amtes, sondern lediglich kraft der Art und Weise, wie er seines Amtes
waltet. »Das Volk ist die Hauptsache«, lehrt die alte chinesische
Weisheit; »darnach kommt der Grund und Boden; der Regent folgt
zuletzt.« Das ganze Regierungsgetriebe ist nicht sowohl das Mittel, um
des Kaisers Willen zur Geltung zu bringen, als eine Organisation, um
die Bedürfnisse des Volkes laut werden zu lassen. Jeder Familie, jedem
Dorf, jedem Distrikt, jeder Provinz in China liegt die Verpflichtung
ob, sich selbst zu »harmonisieren«, und die oberste Instanz, die
kaiserliche Regierung, mischt sich in nichts, wenn sie nicht speziell
von den betreffenden Weisen zur Entscheidung aufgefordert wird. Giebt
es Streitigkeiten, ja selbst Verbrechen in einer Familie, so ist es
Sache des Familienoberhauptes, sie zu richten. Giebt es Händel in
einer Dorfschaft, so haben die Ältesten eine beinahe unbegrenzte
Strafgewalt, und so weiter im Distrikt, in der Provinz. Dies erklärt
auch die chinesische Sitte, die Eltern für die Missethaten der Kinder
zu strafen und die Gesamtheit eines Distrikts für Verbrechen innerhalb
seiner Grenzen verantwortlich zu machen. Die ganze Wirtschaftspolitik
beruht auf einem System gegenseitiger Verantwortlichkeit, was auch
gegenseitige Aufsicht bedingt. Selbst der Kaiser, obgleich nominell
unumschränkter Herrscher, hat einen heilsamen Respekt vor öffentlicher
Censur und eventuellem Volksaufstand.

Nun geht es aber in China wie anderwärts: die Praxis bleibt oft hinter
der Theorie zurück, und das blumige Land ist keineswegs ein solcher
Musterstaat, wie das Ideal ihn aufstellt. Kommt das aber dem Chinesen
zum Bewußtsein, so ist ihm auch im voraus gewiß, daß die Regierung,
nicht aber das Volk an allen Mißständen schuld ist, und daß es Zeit
ist zur Revolution zu schreiten. So lange Wohlstand herrscht, ist man
zufrieden mit der Dynastie; kommen aber böse Zeiten, dann betraut der
Himmel einen mit dem Ausrottungsbefehl! So ist es von jeher gewesen,
und so war es, als ~Hung Siu-tsiuen~, der Taiping, sich erhob.
Seit den zwanziger Jahren unsres Jahrhunderts machten sich allerlei
Übelstände im Land fühlbar und dazu kamen noch die Verwicklungen mit
Europa, vorab mit England. Namentlich der sog. Opiumkrieg, den England
zu Anfang der vierziger Jahre aus durchaus ungerechtfertigten Ursachen
mit China führte, war von üblen Folgen für dieses Land. Die Macht der
Regierung hatte bislang großenteils auf einem gewissen »Prestige«
beruht. Durch die nötig gewordene Landmiliz lernte nun das Volk seine
Wehrkraft kennen, und wo vorher ein Mandarin mit seinen Bütteln
ausreichte, zogen jetzt bewaffnete Horden durch das Land. Die von
England verlangte Kriegsentschädigung von 84 Mill. Mark brachte eine
finanzielle Krisis. Verheerende Überschwemmungen des Gelben Flusses
und des Jangtsze steigerten das Elend und verringerten die Einkünfte
der Grundsteuer. Um allem Unglück die Krone aufzusetzen, suchte sich
die Regierung damit zu helfen, daß Sträflinge sich mit Geld loskaufen
konnten und die öffentlichen Ämter verkäuflich wurden. Infolge
davon nahmen die Verbrechen überhand, und die zahlreiche Klasse der
»Gebildeten« erachtete sich beeinträchtigt. So kam es, daß der Himmel
voll drohender Wolken hing, als im Jahre 1850 der Kaiser Tao-Kwang
starb und sein junger Sohn Hien-Fong an seiner Statt zu regieren
anfing.

Da erhob sich ein seltsamer Mensch, der bereits genannte
~Hung Siu-tsiuen~, eine Verkörperung der im Volke gärenden
Umsturzgedanken.

~Taiping~ bedeutet »großer Friede«, und der ein neues himmlisches
Reich unter dieser Bezeichnung gründen wollte, war ein Dorfschullehrer
der Hakka oder Fremdlinge, eines ziemlich rohen Menschenschlags, der
vor zwei Jahrhunderten in die Provinz Kwang-tung gekommen und von den
Punti (d. h. Einwohnern) immer mit scheelen Augen angesehen worden
war. Seine verachtete Herkunft mochte mit der Grund sein, daß er im
höheren Examen durchfiel. Das machte ihn halb toll; er hatte Anfälle
von Epilepsie mit Zeiten der Verzückung, und in solchen Verzückungen
hatte er Gesichte. Bei alledem war er ein Chinese voll Aberglauben.
Aus seiner Enttäuschung entwickelte sich der Gedanke, warum sollte der
»Ausrottungsbefehl« des Himmels ihm nicht werden, wie schon so manchem
»Geringen« vor ihm? Nach seiner ersten vierzigtägigen Verzückung hatte
er nichts Eiligeres zu thun, als ein Manifest an seine Thorpfosten
zu nageln, betitelt: »Die edeln Grundsätze des himmlischen Königs,
des souveränen Königs Tsiuen.« Er wollte eine neue Religion einführen
und das Kaisertum stürzen. Und das Merkwürdige dabei ist, daß ein
Anflug von Christentum mit unterlief! Die Engländer bekriegten ja die
Regierung, die er haßte; er studierte daher christliche Traktate,
die ihm in die Hände fielen. Hung hatte in seinen Verzückungen alles
Mögliche gesehen und warf nun seine krankhaften Gesichte mit der neuen
Lehre zusammen. Ein alter Mann war ihm erschienen -- das mußte der
Gott der Christen sein; er selbst war in jenen vierzig Tagen im Himmel
gewesen und nannte sich den himmlischen Sohn -- Christus war deshalb
ohne Zweifel der ältere Bruder und er selbst der jüngere. Es ist nicht
zu vergessen, daß die Provinz weit und breit verheert war; Banditen
plünderten und geheime Gesellschaften unterwühlten das Land, all dies
infolge des Opiumkrieges. Das Volk war daher bereit, einen Retter
mit offenen Armen zu empfangen, besonders einen, der sich von der
altehrwürdigen vaterländischen Idee des »Ausrottungsbefehls« getragen
wähnte. Hungs christlicher Firnis über seinem barocken Heidentum hatte
den Reiz der Neuheit. Auch lag in den Ansprüchen des Mannes, sowie
in seinem ganzen Auftreten etwas von der aller Vernunft spottenden
Gewalt und Anziehungskraft, wie sie ungewöhnlichen Menschen eigen ist.
Massenhaft fielen ihm die Leute zu. Daß es mit seinem Christentum
nicht weit her war, ergiebt sich aus der Thatsache, daß er sich bei
erster Gelegenheit bei einem hochgestellten Engländer erkundigte,
ob die Jungfrau Maria nicht eine hübsche Schwester habe, die sich
entschließen könnte, ihn, den himmlischen König, zu heiraten! Aber
mit mehr als gewöhnlicher Klugheit verstand er es, die neue Religion
zu seinen Gunsten auszubeuten. Und das Ergebnis ging in der That
weit über das Glück eines gewöhnlichen Betrügers hinaus. Daß sich
die Hakka um ihn scharten, ist begreiflich, aber auch das übrige
Volk rottete sich um ihn, und bald zählten die Taipings nach vielen
Tausenden. Mit Feuer und Schwert verwüstete er das große Thal des
Jangtsze und näherte sich der Kaiserstadt Peking. Aus seinen Gesichten
wurden himmlische Edikte, die das Los von Millionen entschieden und
selbst europäische Kabinette in Atem erhielten. Es kam so weit, daß
die schwarzhaarige Nation nahe daran war, samt und sonders von der
herrschenden Dynastie abzufallen. Und das war um so leichter möglich,
als ja (seit 1644 schon) diese Dynastie keine einheimische, sondern
eine mandschu-tatarische war und also im Geruch des Fremdländischen
stand. Jahrelang lag das Reich in Trümmern, und dann kam ein Ende
mit Schrecken. Hung Siu-tsiuen selbst beschloß seine Laufbahn als
Selbstmörder bei der Belagerung von Nanking; man fand seinen Leichnam
in der mit Drachen bestickten gelben Atlaskleidung, und ganz China
rief einstimmig: »Es giebt nicht Worte genug, um das Elend zu
beschreiben, das dieser Mensch angerichtet hat; das Maß seiner Bosheit
war voll, und der Zorn beider, der Götter und der Menschen, erhob
sich gegen ihn.« Sechzehn Provinzen und sechshundert Städte hatte er
verwüstet.

In Nanking, im Schatten des Porzellanturmes, hatte er in königlichem
Glanze gethront. Nur Frauen durften ihn in seinem Schloß bedienen.
Es waren seine zahlreichen Weiber und noch zahlreicheren Kebsweiber.
Seine Verwandten machte er alle zu Wangs, d. h. zu Unterkönigen. Es
gab einen Tschung Wang oder getreuen König, einen Ostkönig und einen
Westkönig, einen Kriegerkönig und einen Geleitskönig, das waren die
fünf ursprünglichen; aber bei den Taipings wurde schließlich jeder
ein Wang, der es verstand, sich geltend zu machen, und es gab ihrer
mit der Zeit über zweitausend. Hung selbst war zwar blutdürstig und
herrschsüchtig, aber ein Feigling; es lag daher immer für ihn die
Gefahr vor, daß ein im Kriegswesen tüchtigerer Wang ihn überflügeln
möchte. So verlor er im Jahre 1856 in purer Selbstverteidigung seine
rechte Hand, den Ostkönig. Der kam eines Tages mit der Erklärung, auch
er sehe Gesichte, und nannte sich den heiligen Geist; überdies brachte
er die fatale Nachricht vom Himmel, Gott Vater sei sehr böse über den
Tien Wang und zwar ganz besonders darüber, daß er seine schwangeren
Weiber mit Füßen trete; er, der heilige Geist, habe daher den Auftrag,
ihn mit vierzig Streichen zu züchtigen. Das war ein bißchen stark und
selbst für einen Taiping zuviel! Es handelte sich schließlich darum,
wer Herr sein sollte, ob der Tien Wang oder der Ostkönig, und obgleich
Hung es für politisch hielt, sich der Prügelstrafe zu unterziehen,
so traf er doch schleunige Maßregeln, sich des Ostkönigs und seiner
Botschaften ein für allemal zu entledigen. Der Nordkönig wurde damit
beauftragt, und die Folge war ein Blutbad.

Der Bericht eines Engländers, der in jener Zeit Nanking besuchte und
Gelegenheit hatte, das Rebellenvolk zu beobachten, wie es den »großen
Frieden« mit sogenannten Gottesdiensten feierte, dürfte von Interesse
sein.

»Wir wohnten einer nächtlichen Feier bei; es war ihr Sabbatanfang,
Freitag nachts zwölf Uhr. Die Versammlung fand in des Tschung Wang
Audienzsaal statt. Er selbst saß inmitten seines Gefolges -- Frauen
waren nicht anwesend. Zuerst wurde gesungen; darnach wurde ein
geschriebenes Gebet verlesen und von einem Offizier verbrannt; dann
wurde wieder gesungen, und man ging auseinander. Der Tschung Wang
ließ mich vortreten, ehe er seinen Sitz verließ, und fragte mich,
ob ich ihren Gottesdienst verstünde. Ich entgegnete, daß ich einem
solchen eben zum erstenmal angewohnt hätte. Darauf wollte er wissen,
wie wir es damit hielten. Ich sagte ihm, daß die Christen es sich
angelegen sein ließen, ihren Gottesdienst mit der heiligen Schrift
in Übereinstimmung zu bringen, und daß wir alles, was gegen die
Schrift wäre, verwerfen müßten. Darauf versuchte er mir zu erklären,
daß ihre Verschiedenheit von uns triftige Gründe habe. Der Tien
Wang sei im Himmel gewesen und habe mit Gott Vater selbst verkehrt.
Unsere Offenbarung sei achtzehnhundert Jahre alt; sie aber hätten
eine neue, eine vermehrte Offenbarung, und diese verstatte es ihnen,
ihren Gottesdienst nach einer bis jetzt noch nie dagewesenen Art
einzurichten ....

»Mit Tagesanbruch setzte sich der Zug in Bewegung nach dem Palast
des Tien Wang. Der Prozession voraus wurden bunte Fahnen getragen
und dann folgte eine Reihe Bewaffneter; darauf kam der Tschung Wang
in einem großen Tragsessel mit gestickten gelben Atlasdecken. Ihm
folgten die Fremdlinge zu Pferd inmitten der berittenen Offiziere.
Unterwegs schlossen sich die anderen Könige an, jeder mit einem
ähnlichen Aufzug. Pauken und Trompeten verursachten einen Höllenlärm,
und neugierige Menschen standen Spalier. Einen »König« zu sehen
mochte nachgerade etwas alltägliches sein, aber über das Gebahren
dieser Menschen konnte sich das Volk offenbar nicht genug wundern
.... Der Palast des Tien Wang ist ein großes Gebäude nach Art der
Konfutsischen Tempel, nur viel umfangreicher. Wir begaben uns zuerst
in eine Nebenhalle, die den Namen »Morgenschloß« führte. Daselbst
wurden wir dem Tsau Wang und seinem Sohn und etlichen andern
vorgestellt. Nachdem man eine Weile geruht und es mit angesehen
hatte, wie zwei Bedienstete ihren Respekt vor den heiligen Räumen in
einem Zwischenakt damit bekundeten, daß sie sich gegenseitig in die
Haare fuhren, gings weiter nach dem Audienzsaal des Tien Wang. Hier
wurde ich seinen beiden Söhnen, zwei Neffen und einem Schwiegersohn
vorgestellt, die mit noch andern, welche ich bereits im Morgenschloß
gesehen, um den Eingang eines Alkovens saßen, über dem die Inschrift
stand: »das erhabene himmlische Thor«. Der Alkoven war tief, und ganz
im Hintergrund desselben zeigte man uns den Sitz des »himmlischen
Königs«, der aber vorläufig leer war .... Er selbst, der Himmlische,
war nicht erschienen; und obgleich nach Beendigung der Feier noch eine
Zeit lang gewartet wurde, erschien er überhaupt nicht. Er mochte sich
eines bessern besonnen haben und es für ersprießlich erachten, sein
Antlitz vor Fremdlingen zu verbergen, auf deren guten Glauben nicht zu
rechnen war; vielleicht hatte der Tschung Wang ihm unsere Ansicht über
unechte Offenbarung berichtet, und er zog es vor, uns vorläufig nur
einen Vorgeschmack seiner Herrlichkeit zu verstatten in der Hoffnung,
unsere Einbildungskraft möchte bei dem leeren Sitze sich die abwesende
Majestät um so erhabener denken ....

»Im Laufe des Nachmittags ließ der Tschung Wang mich zu einem
Privatgespräch zu sich bitten. Durch eine Reihe von Gemächern führte
man mich in sein Zimmer, wo er in einem luftigen Gewand von weißer
Seide in einem Armsessel lag und sich von einem hübschen Mädchen
fächeln ließ. Um den Kopf hatte er ein rotes Tuch gewunden mit einem
Juwel über der Stirne. Er lud mich zum Sitzen ein und fragte mich
allerlei über Maschinen, Landkarten, Ferngläser u. s. w., indem er
offenbar annahm, daß unser einer über alles Bescheid wisse. Er wurde
ganz vertraulich und war von Stund an bereit, mich jederzeit zu
sehen. Bei nächster Gelegenheit zeigte ich ihm verschiedene Stellen
im Neuen Testament, die mit der Lehre des Tien Wang in unverkennbarem
Widerspruch stehen. Er wies es kurzerhand von sich. Im allgemeinen
sprach er gern davon, daß alle Menschen Brüder wären, doch war leicht
zu sehen, daß seine Religion ihn kalt ließ. Er gab zu, daß die
Offenbarung des Tien Wang nicht mit der Bibel übereinstimme, jene sei
aber neuer und darum glaubwürdiger ....«

Der Berichterstatter meldet weiter, es sei ihm im Verkehr mit
diesen Leuten einigermaßen verständlich geworden, wie Hungs
»Offenbarungen« von seinen Anhängern aufgefaßt wurden. Ihr Glaube an
den Ausrottungsbefehl schien ihr Gewissen gänzlich abgestumpft zu
haben und ihnen alle nur denkbaren Verbrechen gegen Andersgläubige
zu verstatten. Einen Anhänger der Mandschu-Dynastie zu berauben oder
zu ermorden, war ein gutes Werk. Wo sie hinkamen, führten sie die
jungen Männer der Landbevölkerung gefangen mit sich und machten sie zu
Rekruten, während die vielen hübschen Mädchen und Weiber, die man bei
ihnen sah, den thatsächlichen Beweis lieferten, daß bei den Taipings
»großer Friede« sich recht wohl mit Weiberraub vertrug.

Übrigens waren die Taipings bei all ihren Verkehrtheiten, um nicht
eine stärkere Bezeichnung zu gebrauchen, doch in einigen Punkten
zu loben. So war z. B. das Opium bei ihnen verpönt, ebenso der
Sklavenhandel. Die Füße der Weiber durften bei ihnen nicht verkrüppelt
werden; die Männer mußten sich das Haupthaar gleichmäßig wachsen
lassen; der rasierte Schädel mit dem Zopf galt ja als Zeichen der
Unterwürfigkeit gegen die Mandschu-Dynastie. Auch rühmten sich die
Anhänger des Ex-Schulmeisters, die allgemeine Bildung zu fördern;
aber damit war es nicht weit her. Das überall zur Schau getragene
Zerrbild des Christentums prägte sich auch dem Unterrichtswesen
auf, das als höchstes Wissen den Satz trieb: »Der himmlische Vater
und der himmlische Bruder (nämlich Hung) sind über alle Pflicht und
Sittlichkeit zu verehren.« Des Tien Wang Erlasse wurden als Lesebücher
benutzt, damit es der Jugend schon geläufig würde, in ihm den
Auserwählten zu erblicken, der zum Friedensherrscher über die ganze
Welt bestimmt sei.

In gewissen Kreisen Englands hatte sich ein merkwürdiges Vorurteil
zu Gunsten Hungs eingeschlichen. Man fragte sich, ob die Taipings
nicht am Ende doch Schutz verdienten, ob das Rebellentum nicht
möglicherweise der Übergang zur Zivilisation, ja Verchristlichung des
Landes wäre. Erst nachdem einmal britische Niederlassungen gefährdet
waren, wurde man anderer Meinung.

Die Briten hielten sich mit den Franzosen vorläufig neutral, und die
Feindseligkeiten bis zum Jahr 1860 verblieben lediglich zwischen
den Kaiserlichen und den Rotten des großen Friedens. Es war ein
Bürgerkrieg von staunenswerter, riesiger Ausdehnung.

Im Jahr 1859 war die Sachlage die: die Mißhelligkeiten zwischen
England und China waren so ziemlich beigelegt, der Friede von Tientsin
war geplant und, von Kanton abgesehen, hatte das britische Militär das
Reich geräumt. Der Aufruhr, der nun in seinem neunten Jahre stand,
schien seine besten Tage gesehen zu haben; die Taipings verloren
einen Ort nach dem andern und wurden wiederholt in der heiligen
Hauptstadt, ihrem Hauptsitze, angegriffen. »Nanking war härter
bedrängt denn je«, sagt der getreue Wang in den vor seiner Hinrichtung
verfaßten Erinnerungen. Hung ließ sich das aber nicht im geringsten
anfechten; mit größtem Gleichmut fuhr er fort, seinen Ministern
himmlische Befehle zu geben und innerhalb der belagerten Stadt auf die
Anzeichen des großen Friedens ringsum hinzuweisen. Der Tschung Wang,
der die Stumpfheit der Majestät offenbar nicht teilte, kann nur sagen:
»Die Zeit zur Ausrottung der himmlischen Dynastie war eben noch nicht
gekommen.« Fürs übrige war der Getreue ein thätiger Krieger, und nicht
weniger als sechsmal brachte er's zu stande, Nanking zu entsetzen.

Die kaiserliche Regierung aber, anstatt nun alles aufzubieten, das
allmählich verglimmende Feuer des Aufstandes vollends auszutreten,
beging den großen Fehler, sich abermals mit den Engländern zu
überwerfen. Auf dem Wege nach Peking, wo der Friede unterzeichnet
werden sollte, sah sich der britische Gesandte an der Mündung des
Peiho-Flusses plötzlich einer chinesischen Streitmacht gegenüber.
Die Taku-Forts waren in aller Eile repariert worden, und man wollte
die britischen Schiffe nicht durchlassen. Als die Engländer trotzdem
vordrangen, erfolgte eine Salve aus verdeckten Feldstücken, und drei
Kanonenboote wurden in den Grund geschossen. Natürlich brüllte da der
englische Löwe ob dem chinesischen Treubruch und man stand alsbald
wieder auf dem Kriegsfuß. Die erneuten Angriffe der verbündeten
Engländer und Franzosen im folgenden Jahre übten selbstverständlich
ihre Rückwirkung auf den Aufruhr, der aufs neue um sich griff. Ein
ganz direktes Resultat war ein Angriff der Taipings auf Schanghai.
In dieser Stadt aber sind die englischen, resp. europäischen
Handelsinteressen mit den chinesischen verwachsen; daraus ergab sich
die Notwendigkeit englischer Intervention, mit andern Worten ein
direkter englischer Angriff auf die Rebellen. Auch traten britische
Offiziere in kaiserliche Dienste, und so wurde man mit der Zeit der
Taipings Herr. Es liegt hier ein Stück historischen Ausgleichs vor:
wie wir gesehen haben, wurzelte der Aufstand teilweise im englischen
Opiumkrieg, und englische Waffen mußten schließlich dem zerrütteten
Lande wieder zum Frieden verhelfen.

Eine solche Verwicklung der Dinge ist übrigens wohl nur in China
möglich, daß, während die zornmutigen Verbündeten noch damit
beschäftigt waren, ihre Truppenschiffe von Singapore und Hongkong
herauf zu bringen, um die Kaiserlichen in Peking zu züchtigen, der
General-Gouverneur von Kiangsu in Person in Schanghai eintraf und
die britischen und französischen Behörden daselbst um Hilfe gegen
die Rebellen anging. Unterm 30. Mai 1860 meldet der englische
Bevollmächtigte dem Ministerium Russell: »Ich beschloß im Einvernehmen
mit Mr. Bourboulon, daß es sich sowohl in politischer als humaner
Hinsicht empfiehlt, solchen Greuelscenen hier zuvorzukommen, wie sie
anderwärts stattgefunden haben ... und wir können die Küstenstädte
schützen, ohne anderweitig Partei zu nehmen.«

Indessen hatten sich die reichen Kaufleute von Schanghai schon unter
der Hand nach Schutz gegen die zu erwartenden Taipings umgesehen. Ein
Amerikaner Namens Ward war erbötig, Truppen zu werben. Es war eine
Belohnung ausgesetzt, das etwa dreißig Kilometer entfernte Sung-Kiang
von den Rebellen zu säubern. Mit einer Bande von Matrosen machte Ward
den Anfang, denen sich zusammengelaufenes Volk aus aller Herren Länder
anschloß; auch Chinesen waren darunter, und dies war der Ursprung
jenes merkwürdigen Söldnerhaufens, der sich in nicht allzuferner Zeit
den Namen der »stets siegreichen Armee« erwarb und dann unter Gordon
dieser Bezeichnung auch alle Ehre machte. Vorläufig nannten sich Wards
Leute nach jener ersten Heldenthat das Sung-Kianger-Corps.

Die Taipings, mittlerweile nicht müßig, unternahmen große Streifzüge
in diesem Jahr. Wie bereits erwähnt, hatte der ~getreue Wang~
Nanking zum sechstenmal entsetzt, was ihm übrigens nicht einmal ein
billigendes Wort von Hung eintrug, auch durfte der streitbare Minister
dem Himmlischen nicht vor die Augen kommen. Es ist kaum faßlich, wie
dieser Mensch sich seine Unterkönige botmäßig erhielt; aber die ganze
Bewegung ruhte ja eben auf den ~übermenschlichen~ Ansprüchen des
wahnsinnigen Hung.

Tschung Wang, der ~Getreue~, und Jing Wang, der Heroische, auch
als vieräugiger Hund bekannt, vertrieben nun die Kaiserlichen aus dem
ganzen Jangtsze-Thal, Schrecken zog vor ihnen her; in einer Stadt
zogen viele Einwohner es vor, ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende zu
machen, als es hieß: die Taipings sind wieder da! Ein Distrikt nach
dem andern ergab sich, und »der Getreue« beschloß seinen Siegesmarsch
in Sutschau, der Hauptstadt der Provinz Kiangsu, einer der reichsten
Städte des blumigen Landes, die sich fast widerstandslos ergab.

»Im Himmel ist das Paradies«, sagt ein chinesisches Sprichwort,
»aber auf Erden sind Su und Hang.« »Um in der Welt glücklich zu
sein«, sagt ein anderes, »muß man in Sutschau geboren sein«; denn
die Menschen dort sind vor allem ihrer Schönheit wegen berühmt --
nach chinesischen Begriffen vermutlich. Die Stadtmauern maßen 15
Kilometer im Umkreis und außerhalb derselben erstreckten sich noch
vier ansehnliche Vorstädte. Man schätzte die Einwohnerzahl auf zwei
Millionen. In ganz China stand Sutschau in fabelhaftem Ruf wegen
der Pracht seiner antiken und modernen Marmorbauten, seiner schönen
Grabstätten, seiner Granitbrücken. Herrlich seien dort die Straßen,
die Gärten, die öffentlichen Plätze; verständiger als anderwärts die
Männer und schöner die Frauen. Auch die Handelsprodukte der Stadt
waren berühmt, kostbare Seidenstoffe insbesondere. In dieser Stadt
hielt der Getreue seinen Einzug, während die Kaiserlichen in heller
Flucht sie verließen, und durch die ganze Provinz Kiangsu schien damit
die Herrschaft des großen Friedens gesichert.

Der Kan Wang oder Schildkönig war zu dieser Zeit Generalissimus;
dieser hatte vier Jahre in Hongkong gelebt und urteilte richtig,
wenn er meinte, daß es den Taipings förderlich sein dürfte, mit den
Ausländern anzuknüpfen. Wichtiger als der Besitz von Su und Hang
erschien es ihm, in der Richtung von Schanghai vorzudringen, um dort
europäische Dampfer zu erlangen, die auf dem Jangtsze dienlich sein
sollten. Er urteilte praktisch, der Schildkönig, denn die Stimmung
unter den Engländern und Amerikanern in den Hafenstädten war selbst
zu dieser Zeit noch eine geteilte. Überdies mochten die Taipings wohl
auf Beihilfe rechnen, denn die Engländer und Franzosen waren schon
unterwegs, um in der Mandschurei ihre Streitkräfte zu vereinigen,
von dort aus den chinesischen Kaiser aus der Ruhe seines Palastes
aufzuschrecken und ihn für den bei den Taku-Forts erlittenen Schimpf
zu züchtigen. In der That war auch etwas wie ein Waffenstillstand
zwischen den Rebellen und den Verbündeten zu stande gekommen, wenn von
einem Waffenstillstande überhaupt da die Rede sein kann, wo aktive
Feindseligkeiten noch nicht ausgebrochen waren. Der englische Admiral
Hope war den Jangtsze hinaufgefahren, welcher Fluß durch den Vertrag
von Peking europäischen Schiffen zugängig war, und hatte unter den
Mauern Nankings mit dem Tien Wang selbst unterhandelt. Das Ergebnis
hievon war, daß die Rebellen sich verbindlich machten, Schanghai
auf Jahresfrist in Frieden zu lassen. Die Verbündeten konnten ruhig
nordwärts ziehen.

Dies ist der Punkt, an welchem das Leben Gordons in den breiten Strom
der Weltgeschichte einmündet.

Im Sommer 1860 war er nach China beordert worden und nahm nun teil
an der Operation gegen die Kaiserstadt. Er war dabei, als der
Sommerpalast in Brand gesteckt wurde. Hören wir darüber seine eigenen
Aufzeichnungen:

  »Am elften Oktober erhielten wir Befehl, in möglichster Eile Schanzen
  aufzuwerfen und Batterien gegen die Stadt zu richten. Die Chinesen
  verweigerten die Übergabe des Thores, und so lang dies der Fall
  war, wollten wir nicht mit ihnen unterhandeln. Auch die Gefangenen
  sollten ausgeliefert werden. Diese waren sehr mißhandelt worden,
  und zwar, wie gesagt wird, im Sommerpalast selbst in Gegenwart des
  Kaisers ... Wir waren bereit, die vierzig Fuß hohe Mauer zu stürmen;
  die Chinesen hatten Bedenkzeit bis zum 13. mittags. Um halb zwölf
  ergaben sie sich, und wir nahmen Besitz von der Stadt. Sie erhielten
  weitere Frist bis zum 23., während welcher Zeit sie für jeden ihrer
  Mißhandlung erlegenen Engländer 200000 Mk. beibringen mußten, und
  10000 für jeden Eingeborenen. Die Strafgelder wurden auch richtig
  gezahlt und der Vertrag gestern unterzeichnet.«

Dem englischen General, Lord Elgin, blieb nun die Entscheidung, ein
Exempel zu statuieren. Die Stadt in Brand stecken, hätte tausende
von Unschuldigen mit den Schuldigen getroffen. Im Sommerpalast aber
hatten sich genügende Beweise der daselbst verübten Grausamkeiten
vorgefunden; somit sollte der stattliche Palast zerstört werden. Und
so wurde der Juen-Ming-Juen (Garten der Gärten) in Brand gesteckt,
und der schwarze Rauch hing wie ein Trauermantel über Peking. Gordon
beschrieb und beklagte die Zerstörung:

  »Unsere Leute plünderten in fast vandalischer Weise, und was ein
  Raub der Flammen wurde, wäre nicht durch 80 Millionen Mark wieder
  herzustellen ... Die Pracht und Schönheit des Zerstörten ist kaum zu
  beschreiben ... Es that einem im Herzen weh, den furchtbaren Brand
  mit anzusehen ... es war ein entsetzlich entwürdigendes Geschäft für
  eine Armee, jedermann wollte nur plündern ...«

Die Franzosen hatten schon vorgesorgt mit der Verheerung und die
kostbarsten Gegenstände einfach zusammengeschlagen.

Die beiden Armeen verzogen sich allmählich, die Engländer ins
Winterquartier nach Tientsin. Gordons Aufenthalt daselbst verlängerte
sich weit über sein Erwarten, nämlich bis zum Frühjahr 1862. Er war
damit beauftragt, die Umgegend aufzunehmen. Öfters gab's auch einen
Ritt nach den 220 Kilometer entfernten Takuforts, und einmal einen
beträchtlicheren Ausflug mit seinem Kameraden Cardew nach der großen
Mauer -- ein ziemlich kühnes Unternehmen, denn sie durchritten da
weite Gegenden, die noch nie von Europäern betreten waren. Einen
vierzehnjährigen Jungen, der etwas Englisch verstand, nahmen sie mit
als Dolmetscher. Ein Zelt und Kochgerät führten sie auf einem Karren
mit sich. Bei Kalgan erreichten sie die 2000 Kilometer lange Mauer des
Schi Hoangi, die 240 Jahre älter ist als die christliche Zeitrechnung,
zweiundzwanzig Fuß hoch, und sechzehn dick. »Es war wunderschön,«
schreibt Gordon, »die endlose Mauerlinie sich über die Hügel hinziehen
zu sehen.« Von Kalgan schlugen sie eine westliche Richtung ein nach
Taitong, wo die Mauer nicht ganz so hoch ist. Daselbst sahen sie
riesige Karawanen von Kamelen, die Thee nach Rußland trugen. In dieser
Gegend fanden sie sich genötigt, die Achsen ihres Karrens verlängern
zu lassen; denn die Fuhrwerke in jenem Lande laufen breitspuriger als
anderswo, und ihre Räder paßten nicht in die ausgefahrenen Geleise der
Landstraßen! Der Hauptzweck ihrer Reise war, zu erkunden, ob außer
dem Tschatiau-Paß noch ein anderer vom russischen Gebiet nach Peking
führe. Auf einem großen Umweg in südwestlicher Richtung suchten sie
lange vergeblich die Straße übers Gebirge ostwärts; erst bei Taijuen
fanden sie ihren Rückweg nach Peking und Tientsin.

Im Mai 1862 erhielt Gordon Befehl, sich mit einer Abteilung Infanterie
nach Schanghai zu werfen, weil dort die Taipings aufs neue die
Gegend unsicher machten. Der himmlische König hatte den Engländern
sagen lassen, er werde Schanghai angreifen, sobald das Jahr des
Waffenstillstandes um sei. Im Januar 1862 hatte er dann auch seinen
»Getreuen« in die Gegenden der Konsulatstadt geschickt, und von da an
datiert die feindliche Stellung der Engländer gegen die Rebellen.

Mit dem militärischen Oberbefehl innerhalb des Distrikts betraut,
marschierte Gordon zuerst nach Singpu, erstürmte die Stadt und
vertrieb die Taipings aus verschiedenen Plätzen, wo sie sich
festgesetzt hatten. In erster Linie sollte Gordon dafür sorgen, daß
der sogenannte »dreißig Meilen Umkreis«[1] um Schanghai her von
feindlichen Überfällen gesichert bleibe.

  »Wir hatten einen Besuch von den Taipings,« schreibt Gordon. »In
  einzelnen Haufen kamen sie bis in die nächste Nähe des Stadtgebiets,
  steckten in Brand was sie konnten und trieben die Landleute zu
  Tausenden vor sich her. Wir zogen ihnen entgegen, aber ohne
  viel Erfolg. Gräben und Sümpfe hindern allerwärts ~unser~
  Fortkommen, die Rebellen sind uns in dieser Hinsicht weit überlegen
  ... Es ist unfaßlich, was für Haufen flüchtigen Landvolkes nach
  Schanghai kommen, sobald die Taipings in der Nähe sind; mindestens
  fünfzehntausend Flüchtlinge sind eben hier, und keineswegs nur Weiber
  und Kinder, sondern stämmige Männer, die sich wohl wehren könnten,
  aber die Angst lähmt ihnen alle Thatkraft. Weiterhin im Land haben
  die Leute Unglaubliches zu leiden und viele sterben Hungers. Dieser
  Aufruhr ist eine entsetzliche Landplage, und unsere Regierung sollte
  alles Ernstes eingreifen, um ihn zu unterdrücken. Worte können
  nicht das Elend beschreiben, das überall herrscht, wo die Rebellen
  hinkommen; die reiche Provinz ist zur Wüste geworden.«

Für die Kaiserlichen hatte das Jahr 1861 schon einen Umschwung
gebracht. Der Kaiser Hien-Fong war am 21. August auf seinem
Jagdschloß in der Tartarei gestorben -- im sechsundzwanzigsten
Jahre seines Lebens und im elften seiner unglücklichen Regierung.
Unfähig mit den großen Schwierigkeiten einer Übergangsperiode zu
kämpfen, hatte er wie manch anderer Fürstenschwächling sich durch
Befriedigung seiner Genußsucht zu entschädigen gesucht. Schließlich
aber »ergriff seine Krankheit ihn mit erneuter Heftigkeit, und am
siebzehnten Tage des Mondes schwang er sich auf mit dem Drachen als
Gast der oberen Räume.« Wohl mochte die arme Seele des untauglichen
Monarchen, dessen sterbliche Hülle in einem »cedernen Schloß« zur
Ruhe gebettet wurde, auf ihrem Drachenritt den vorangegangenen
Kaisern manches zu klagen haben. Elend und Aufruhr hatte während der
ganzen Regierungszeit dieses Jünglings das himmlische Reich verheert,
und Rebellen herrschten an seiner Statt; allerwärts hatte das Volk
sich von ihm losgesagt, der kaiserlichen Gewalt Trotz bietend, und
zur Vollstreckung der heiligen Befehle fanden sich nur schlechte
Statthalter, denen die eigene Größe mehr galt als die Wohlfahrt des
Volkes. Jahr um Jahr durchzogen die rebellischen Horden das Land; die
Brandfackel nächtlicher Zerstörung kündete ihren Weg, und der Rauch
brennender Städte und Dörfer verhüllte der Sonne Licht am hellen Tage.
Ein wahnwitziger Usurpator hatte es nicht nur gewagt, den Drachenthron
für sich zu begehren, sondern sich außerdem noch göttlicher Ehre
vermessen, während kriegerische Heervölker der abendländischen
Barbaren das Kaiserreich demütigten, ja die jungfräuliche Kaiserstadt
Peking bezwangen, die noch nie einem Fremdling sich erschlossen, und
den Palast des himmlischen Sohnes in Brand steckten.

So mochte der arme Kaiserjüngling gedacht haben. Wir aber erkennen in
der mancherlei Trübsal die Wehen einer sich neu gestaltenden Zeit.
Des Monarchen Tod öffnete Thür und Thor für neue Dinge. Der Thronerbe
war ein Kind, und die Regentschaft neben der Kaiserin-Witwe bestand
aus Vertretern der fremdenfeindlichen Partei. Als daher der Bruder
des verstorbenen Kaisers, ein weitsichtiger Prinz, der die Konvention
von Peking unterzeichnet hatte, an den Hof gerufen wurde, war die
Hoffnung, daß er lebendig zurückkehren würde, keineswegs stark.
Man hielt dafür, daß die Einladung nichts anderes bedeute, als die
höfliche Erlaubnis, wie sie einem irrenden Mitglied der kaiserlichen
Familie zukommt, sich in der Stille mittelst einer seidenen Schnur aus
der Welt zu befördern. Zum Glück fürs Land aber war die Hauptgewalt in
den Händen einer Frau von außergewöhnlichem Verstand und männlichem
Charakter, nämlich der Kaiserin-Witwe, und diese erkannte alsbald, daß
Prinz Kung sich besser auf die wahren Interessen des Landes verstehe,
als die Ratgeber des verstorbenen Kaisers. Und während jedermann von
seinem demnächstigen Selbstmord zu hören erwartete, griff er plötzlich
in den Gang der Dinge ein und stürzte sofort -- gleichzeitig mit
dem Einzug des jungen Monarchen in Peking -- durch den berühmten
Staatsstreich vom 2. November 1861 die fremdenfeindliche Partei. Ihre
Hauptvertreter wurden hingerichtet. Von da an datiert ein freundliches
Einvernehmen zwischen den ausländischen Bevollmächtigten und der
kaiserlichen Regierung. Die Zeit war in der That gekommen, da die
verschiedensten Interessen in natürlicher Weise zusammenwirkten, die
Taipings auszurotten und dem himmlischen Reich zu einem neuen besseren
Stand der Dinge zu verhelfen.


                    2. Die stets siegreiche Armee.

Das Jahr 1861 war britischerseits den Rebellen gegenüber eine Zeit
des Waffenstillstandes gewesen, in diesem Jahr aber hatten die
Taipings ihre erste empfindliche Niederlage erlitten, ja eine Reihe
von Niederlagen. Sie hatten versucht, sich des Jangtsze-Thales wieder
zu bemächtigen mit besonderen Absichten auf Hangtschau. Aber obgleich
dieses Jahr durch Hien-Fongs Tod eine innere Umwälzung der Monarchie
mit sich brachte, so hatte die Macht der Kaiserlichen doch stetig
gewonnen, und die Rebellen sahen sich mit Ende des Jahres wieder in
die Gegend von Schanghai zurückgeworfen. Man darf die Vernichtung der
Taipings daher nicht ausschließlich britischen Waffen zuschreiben.

Wie bereits erwähnt, hatten die Handelsherren von Schanghai es schon
vorher für geraten gehalten, sich durch ein Privatsöldnerheer gegen
Überfälle möglichst zu sichern. Der Amerikaner Ward, ein tüchtiger
Soldat, und nach ihm Burgevine, ein weniger tüchtiger Glücksritter,
befehligte diesen Truppenhaufen, der sich des hochtrabenden Titels der
»stets siegreichen Armee« erfreute.

Die Leute des blumigen Landes haben eine Vorliebe für schöne
Redensarten. Ihre Flüsse sind alle wohllautplätschernd, ihre Berge
voll himmlischen Weihrauchs; das geringste Dörfchen fühlt sich als
eine Pflanzstätte süßduftenden Korns, und jeder gewöhnliche Nachen
ist ein Wunder der kristallenen Flut. Der Chinese findet solche
Benennungen keineswegs lächerlich, er hält im Gegenteil dafür, daß
der pure Wortlaut der Dinge irdisches Geschick beeinfluße. In den
chinesischen Klassikern wird nichts so sehr betont als die Thatsache,
daß Weisheit eine richtige Benutzung der Worte sei. Es fragte einmal
einer den alten Mencius, worin er sich auszeichne; »ich verstehe mit
Worten umzugehen«, war die tiefsinnige Antwort. Und anderswo wird
darauf hingewiesen, wie selbst tugend- und talentvolle Menschen durch
übelgesetzte Rede sich oft ganz in den Schatten stellen. Konfucius
erklärte, der erste Schritt zu einer wohlgeordneten Regierung sei,
»die Bezeichnung der Dinge zu verbessern«, und fügte bedeutungsvoll
hinzu: »einen unpassenden Namen haben heißt in ungünstiger Lage
verharren, allem Übel ausgesetzt.« Derlei Ideen sind gang und gäbe in
China, und jeder Schwarzhaarige läßt sich's daher angelegen sein, sich
und den Seinen schöne Namen zu gewinnen. Selbst die Regierung richtet
ihre Erlasse nach dem Geschmack des Volkes ein, ob nun vom Sohne der
Erde und des Himmels auf dem Drachenthron die Rede ist, oder vom
Büttel des geringsten Mandarins. Daher also die Bezeichnung Tschang
Seng Tschiun oder stets siegreiche Armee.

Der General-Gouverneur der Kiang-Provinzen war Li Futai oder
Li-Hung-Tschang, ein tüchtiger Soldat und berühmter Staatsmann.
Tseng-kwo-fan, (der Vater des kürzlich verstorbenen, bekannten
Marquis Tseng), der kaiserliche Generalissimus, hatte ihm den
Oberbefehl von Schanghai übertragen. Der englische General Staveley
erklärte ihm bei seiner Ankunft, daß, obgleich die Verbündeten den
Dreißig-Meilen-Umkreis verteidigen würden, die allgemeine Bekämpfung
des Aufstands doch nach wie vor den Chinesen überlassen bleibe. Li
machte sich sofort daran, die chinesischen Truppen auf europäische
Waffen einzuüben. Wards Söldner waren bislang ihren eigenen Weg
gegangen, erst nachdem er gefallen war und sein Nachfolger Burgevine
sich mit Li überworfen hatte, verschmolzen die fremden Söldner mit den
chinesischen Rekruten, und Li bat den englischen General, einem seiner
Offiziere den Oberbefehl zu übertragen.

Der rechte Mann war bald gefunden in Gordon, der zwar noch nie im
Oberkommando gestanden, der aber mehr denn irgend ein anderer für den
verantwortungsvollen Posten geeignet war. Seinen Ruf von Sebastopol
her hatte er in Peking und Schanghai aufrecht erhalten, und es spricht
sehr für den Mann, daß er dem ehrenvollen Antrag keineswegs in blinder
Aufregung Folge leistete, sondern im Gegenteil den gelassenen Wunsch
vortrug, seine Arbeit der militärischen Kenntnisnahme des Terrains
innerhalb des Dreißig-Meilen-Umkreises zuerst zu Ende bringen zu
können, weil das für eventuelle Operationen jedenfalls von Wert
sei. In einem Offizier, Namens Holland, ernannte man darum einen
zeitweiligen Ersatzmann, unter dessen Führung die »stets siegreiche
Armee« von den Taipings bei Taitsan glänzend geschlagen wurde. Erst im
Frühjahr 1863 übernahm Gordon den Oberbefehl. Er schreibt darüber an
seine Eltern:

  »Ich fürchte, es wird Euch unlieb sein, daß ich das Kommando
  übernommen habe; es geschah nicht ohne reifliche Überlegung
  meinerseits. Ich halte dafür, daß es ein gutes Werk ist, diesen
  Aufstand zu unterdrücken; es ist eine einfache Pflicht der
  Menschlichkeit und kann außerdem dazu beitragen, dieses Land der
  Zivilisation zugänglich zu machen. Ich will nicht tollkühn handeln,
  und ich hoffe, bald nach England zurückkehren zu können -- ich will
  nicht vergessen, daß das Euer Wunsch ist. Ich kann wohl sagen,
  daß, wenn ich mich geweigert hätte, den mir übertragenen Posten
  anzunehmen, die Truppen sich verlaufen hätten und der Aufruhr allem
  Anschein nach das Land noch Jahre lang im Elend erhalten würde. Ich
  hoffe, daß das nun nicht der Fall sein wird und daß ich Euch sehr
  bald Beruhigendes werde schreiben können.[2] Ihr müßt es Euch nicht
  zu nahe gehen lassen; ich glaube wirklich, daß ich das Rechte thue
  .... Ihr seid mir stets gegenwärtig und dürft Euch darauf verlassen,
  daß ich nichts Unbesonnenes thun will.«

Gordon hatte gerade das dreißigste Jahr zurückgelegt. Sein Heer
zählte bei der Übernahme zwischen drei- und viertausend Mann mit etwa
hundertundfünfzig Offizieren, war aber später erheblich stärker. Die
Uniform war eine halb-europäische, aus dunklem Wollenzeug und grünem
Turban bestehend; die Soldaten waren anfänglich nichts weniger als
mit ihrer Montur einverstanden, denn ihre Landsleute erblickten in
ihnen nur »nachgemachte fremde Teufel«; unter der Bezeichnung »fremde
Teufel« fasst nämlich der Chinese alle Ausländer zusammen. Später
aber, als die Armee anfing, sich wirklich als die »stets siegreiche«
zu erweisen, wurden die Leute stolz auf ihre eigenartige Kleidung und
hätten sich dieselbe nicht wieder nehmen lassen. Ja, soweit ging die
gute Meinung eines chinesischen Statthalters, daß er dafür hielt,
schon ihren Fußstapfen folge der Sieg und demgemäß Entmutigung der
Rebellen; er ließ daher viele tausend Paare europäischen Schuhwerks
unter das Landvolk verteilen, um die Spuren von Gordons Truppen
möglichst zu vervielfältigen! Ein Oberst dieses Korps erhielt etwa
fünfzehnhundert Mark pro Monat, die Majore, Hauptleute, Adjutanten
u. s. w. eine entsprechende Summe in absteigender Linie bis zum
Leutnant, der sich auf sechshundert Mark stellte; die Unteroffiziere
circa hundert Mark in abnehmendem Verhältnis bis zum Gemeinen, dessen
Sold ungefähr vierzig Mark monatlich betrug. Im Feld verabfolgte man
außerdem noch Rationen. Der Oberbefehlshaber selbst erhielt eine
stattliche Summe -- 5200 Mark monatlich, also 62400 Mark im Jahr; --
»aber das ist sehr gleichgültig«, schreibt Gordon.

Sämtliche Offiziere waren Ausländer. Amerikaner bildeten die Mehrzahl,
dann Engländer, Franzosen, Spanier, Deutsche. Im allgemeinen waren
es tapfere Leute, die sich rasch in eine gegebene Lage zu finden
wußten, im Feuer meist großen Mut entwickelten, im übrigen aber
leicht einander in die Haare gerieten. Die Disziplin war so scharf
wie thunlich, doch war es nicht oft nötig, summarisch einzugreifen,
Gordons persönlicher Einfluß machte sich bald fühlbar. Das
Schlimmste war die Trunksucht; innerhalb eines Monats starben einmal
elf Offiziere an +delirium tremens+. »Man mußte froh sein,
überhaupt Offiziere zu kriegen«, schrieb einer, der aus Erfahrung
reden konnte; »sie schlugen sich gut, und das war schließlich die
Hauptsache.« Ein anderer schreibt: »Es waren sogar offenkundige
Freunde der Rebellen unter ihnen und solche, die alle Landesgesetze
in den Wind schlugen; aber Offiziere wie Gemeine lernten sehr bald
einen Anführer respektieren, auf dessen Tapferkeit, Kriegsgeschick,
Gerechtigkeitsliebe und persönliche Güte sie alle Ursache hatten sich
jederzeit zu verlassen, einen, der sich nie selbst schonte[3], wo es
Gefahr gab, und der mit fester Hand alle Privathändel darnieder zu
halten wußte, die bislang dem Erfolg oft hinderlich im Wege gestanden.«

Der Kriegsschauplatz, auf welchem Gordon seine Armee innerhalb
anderthalb Jahren dreiunddreißigmal ins Gefecht führte, war die von
der Jangtsze-Mündung im Norden und von der Bucht von Hangtschau im
Süden begrenzte Provinz Kiangsu, eine stumpfe Halbinsel, die von
Hangtschau bis Nanking am Jangtsze, der Residenz des Taiping, über
zweihundert Kilometer breit ist, während der Querdurchschnitt in
der Mitte zwischen diesen beiden Punkten bis zum Meer dreihundert
Kilometer beträgt. Am nordöstlichen Ende, etwa vierzig Kilometer vom
Ufer entfernt, liegt inmitten zahlloser Buchten die Stadt Schanghai.
Das von unzähligen Flüssen, Flüßchen und Kanälen durchzogene Land ist
von fast lagunenartigem Charakter und, abgesehen von den einzelnen
Hügeln, flach wie Holland, fruchtbar und reich an Dörfern und Städten.
Stellenweise liegt das Land tiefer als der Spiegel des Meeres, und
lange Strecken erheben sich nur wenige Fuß darüber. Der Verkehr
ist größtenteils zu Schiff. Zum Manövrieren in Kriegszeiten ist es
daher ein schwieriges Land, und es kam Gordon gut zu statten, daß
er sich eine so gründliche Kenntnis desselben verschafft hatte. Ja,
er war mit dem gesamten Kriegsschauplatz weit besser vertraut als
die Rebellen, die das Land seit zehn Jahren durchstreift hatten. Er
wußte genau, welche Kanäle zur Zeit schiffbar waren und welche nicht;
er wußte, wo der Boden Artillerie tragen würde und wo er versumpft
war. Er ging auch alsbald daran, sich durch eine kleine Flotte von
Kanonenbooten zu verstärken, die in dem wasserdurchfurchten Land
seiner Infanterie als Bedeckung dienen konnte und die überdies durch
rasche Truppenbeförderung seine viertausend Mann in der Meinung des
Feindes vervielfachte. Mit Gordons Korps kooperierte eine kaiserliche
Armee; der dieselbe befehligende General war Li Adong, ein Mann, vor
dessen militärischer Tüchtigkeit Gordon alle Achtung hatte. Gleichwohl
hatte sich Gordon völlige Unabhängigkeit vorbehalten, und die wurde
ihm auch zugestanden.

Seine »Siegreichen« brannten vor Begier, die Scharte von Taitsan
auszuwetzen, er aber ließ nichts übereilen. Er hatte das eine
große Ziel im Auge, den Aufruhr schnell und gründlich aufs Haupt
zu schlagen, und wußte genug von den bisherigen Ergebnissen, um
einzusehen, daß hitziges Scharmützeln hier und dort, oder eine
Taktik der Defensive -- wie z. B. das energische Sauberhalten des
Dreißig-Meilen-Umkreises -- oder auch wiederholtes Angreifen des
Feindes in seinen Verschanzungen wie in Taitsan, durchaus ungenügend
sei, wenn es sich darum handle, dem ganzen Aufstand ein Ende zu
machen. Ihm erschienen plötzliche Überfälle an Orten, wo man ihn am
wenigsten erwartete, der geeignetste Kriegsplan; denn nicht nur
gewannen seine Soldaten bei ziemlich sicheren Erfolgen immer mehr
an Selbstvertrauen, sondern er zwang die Rebellen sehr bald, sich
allerwärts seines Erscheinens gewärtig zu halten, zu einer Stellung
der Defensive also, und ließ ihnen weder Zeit noch Mut, Schanghai oder
die andern Hafenstädte zu beunruhigen.

Nicht viele Tage gingen ins Land, ehe er mit zweihundert Mann
Artillerie und so viel Infanterie, als seine beiden Dampfer tragen
konnten, d. h. etwa tausend Mann, den Jangtsze hinaufdampfte. Etwa
hundert Kilometer aufwärts, am südlichen Ufer, liegt Fusan, ein
Piratennest, wo die Taipings sich befestigt und kurz zuvor einen
kaiserlichen Angriff zurückgeschlagen hatten. Die Kaiserlichen waren
dort verschanzt und unter ihrer Deckung brachte er seine Leute ruhig
ans Land, obgleich die Taipings in ziemlicher Stärke seinen Bewegungen
aus nächster Nähe zusahen. Er erreichte Fusan, und es gab eine
dreistündige Beschießung; einen Ansturm warteten die Taipings gar
nicht ab, sie wandten sich alsbald zurück. Fusan war der Schlüssel
zu dem fünfzehn Kilometer südlicher gelegenen Tschanzu, wo eine
kaiserliche Besatzung sich bisher tapfer gehalten hatte.

Die Einwohner dieser Stadt waren selbst Rebellen gewesen, hatten sich
aber wieder der kaiserlichen Sache zugewandt. Der getreue Wang hatte
darauf die Stadt belagert und als Beweis, was er zu thun vermöchte,
die Köpfe von drei bei Taitsan erschlagenen europäischen Offizieren
über die Mauern werfen lassen; allein die Einwohnerschaft hielt aus.
Auf dem Wege dahin fand Gordon die Leichname von fünfunddreißig von
den Taipings gekreuzigten Kaiserlichen. Er vertrieb die Rebellen mit
einem Verlust von nur zwei Toten und sechs Verwundeten auf seiner
Seite. Der Feind zog sich nach Sutschau zurück; ein gut Stück Land war
somit den Rebellen abgenommen. Die Leute von Tschanzu empfingen ihren
Befreier mit großem Jubel und bedauerten lebhaft, ihm kein Geschenk
machen zu können. »Das sei nicht Mode bei ihm«, entgegnete Gordon.

Der Kaiser übrigens lohnte den glänzenden Anfang damit, daß Gordon
den Titel Tsung-Ping erhielt, was annähernd durch Brigadegeneral
wiederzugeben ist. Eine Besatzung von dreihundert Mann in Tschanzu
zurücklassend, kehrten die Siegreichen nach Sung-Kiang zurück.

Nordwestlich von Schanghai liegt Taitsan, von wo in südwestlicher
Richtung der Weg durch Kuinsan nach Sutschau führt. Das waren die
drei Hauptorte der Rebellen, der letztere als Provinzialhauptstadt
der bedeutendste. Die Taipings hatten diese Stadt seit 1860 inne.
Gordon machte sich marschfertig. Es war unbekannt, welchen der drei
Orte er zuerst angreifen würde; man vermutete, Kuinsan sei das
Ziel. Dieser Ort, als Verbindungsglied zwischen den beiden anderen
Städten, war strategisch von großer Wichtigkeit; überdies hatten
die Rebellen daselbst unter einem hergelaufenen Engländer eine
Kugelgießerei in voller Thätigkeit. Auf dem Wege dahin erfuhr Gordon,
daß der Kommandant von Taitsan dem Gouverneur Li einen Vorschlag zur
Übergabe gemacht habe, daß demzufolge ein kaiserlicher Truppenteil als
Besatzung dahin abgezogen sei, daß der Taiping den Kaiserlichen aber
damit nur eine Falle gestellt und dreihundert derselben enthauptet
habe, deren Köpfe er als Beweis seiner Geschicklichkeit nach Sutschau
und Kuinsan sandte. Gordon nahm alsbald die verräterische Stadt aufs
Korn.

Kein leichtes Unternehmen! Die feindliche Garnison war zehntausend
Mann stark, darunter waren zweitausend auserlesene Truppen mit
französischen, amerikanischen und englischen Überläufern bei den
Batterien, während er nur dreitausend Mann befehligte. Aber das
war ihm einerlei, er belagerte die Stadt sofort. Nach zwei Tagen
war Bresche geschossen und die Stürmenden in vollem Anmarsch. Der
erste Angriff wurde jedoch zurückgeschlagen. Darauf ließ Gordon
seine Artillerie die Bresche über den Köpfen der Stürmenden hinweg
beschießen. Dieser zweite Angriff war erfolgreicher; die Flagge der
Siegreichen wehte von den erstürmten Zinnen, und die Taipings retteten
sich in tollster Flucht. Gordon schreibt darüber an seine Mutter:

  »Am 24. April verließ ich Sung-Kiang mit etwa dreitausend Mann, um
  Kuinsan anzugreifen, eine große Stadt zwischen Taitsan und Sutschau.
  Ehe ich aber soweit kam, erfuhr ich, daß die Taipings zu Taitsan
  vorgegeben hatten, mit den Kaiserlichen unterhandeln zu wollen, die
  abgesandte kaiserliche Besatzung aber verraten und vernichtet hatten.
  Ich änderte daher alsbald meinen Plan und marschierte nach Taitsan;
  am ersten Tag wurde die äußere Verschanzung angegriffen, am zweiten
  Tag die Stadt selbst. Die Rebellen wehrten sich tüchtig, aber es
  half nichts; die Stadt fiel. Taitsan ist ein wichtiger Ort und die
  Einnahme nach dem verübten Verrat eine verdiente; der Kommandant
  hat eine Kopfwunde davongetragen. Diese Stadt erschließt uns ein
  großes Stück Land. Die chinesischen Behörden sind voll Lobes über
  meine Leute. Ich bin jetzt ein Tsung-Ping Mandarin (die zweitoberste
  Würde) und habe viel Einfluß. Nicht daß ich das an sich schätzte,
  aber ich bin immer gewisser, daß ich recht daran that, das Kommando
  zu übernehmen. Du würdest mir ebenfalls recht geben, könntest Du Dich
  mit eigenen Augen von der Niederträchtigkeit der Rebellen überzeugen.
  Taitsan war stark befestigt, es ist eine Fu oder Hauptstadt.«

Die stets siegreiche Armee hatte ihrem Namen Ehre gemacht und ihr
Anführer sich als ein Befehlshaber erwiesen, der das wahre Geheimnis
der Kriegskunst kennt -- das Wann, Wie und Wo des Draufschlagens.
Zwanzig Jahre später, als die Araber angefangen hatten, seinen Palast
in Khartum zu beschießen und er wußte, daß selbst etliche seiner zum
Mahdi überlaufenden Sudanesen die feindlichen Kanonen bedienten,
schrieb er in sein Tagebuch: »Es ist nicht das erstemal, daß meine
eigenen Leute auf mich schießen. In der Bresche vor Taitsan waren
zwei Engländer vom 31. Regiment unter den Rebellen. Der eine fiel,
der andere wurde verwundet und gefangen genommen. ›Herr Gordon! Herr
Gordon! lassen Sie mich nicht totschießen!‹ Lauter Befehl: ›Führt ihn
weg und jagt ihm eine Kugel durch den Kopf.‹ Leiser Befehl: ›Bringt
ihn in mein Boot, der Doktor soll nach ihm sehen; dann schickt ihn
nach Schanghai.‹ Der Mann lebt wohl heute noch.«

Die kaiserlichen Mandarine nahmen ihre Privatrache an einigen der
Gefangenen, was zu Gerüchten Anlaß gab, die darauf berechnet waren,
Gordon zu verleumden. Dieser schreibt mit Bezugnahme hierauf unterm
15. Juli 1863 an den Herausgeber der Schanghaier Schiffszeitung:

  »Ich kann bezeugen, daß die Chinesen meines Korps nicht grausamer
  sind als die Soldaten irgend einer christlichen Nation; als Beweis
  erwähne ich die Thatsache, daß siebenhundert der bei Kuinsan
  gefangen genommenen Taipings bei uns jetzt im Dienst stehen. Sie
  haben sich freiwillig unsern Fahnen angeschlossen und sich bereits
  gut gegen die Rebellen geschlagen. Nur ~eine~ Hinrichtung ist
  nötig gewesen; sie traf einen Rebellen, der es versuchte, seine
  Kameraden gegen die Wache aufzuhetzen, und sofort erschossen wurde.
  Es ist ein großer Irrtum, anzunehmen, daß dieses Korps aus lauter
  gewissenlosen Menschen bestehe. In der Hitze des Gefechts schlagen
  sie drauf und halten es für tapfer den Feind zu töten, wie andere
  Soldaten auch; aber nach der Schlacht heißt es gleich wieder gut
  Freund .... Wenn ein gewisser (ungenannter) »Augenzeuge« und jener
  »Freund der Barmherzigkeit« ihre beiderseitigen Behauptungen mit
  wirklichen Beweisen belegen könnten, so wäre es besser, als den
  Zeitungen Zuschriften zu schicken, wie diejenigen, die den Bischof
  von Viktoria beschäftigen. Und wenn irgend jemand der Meinung ist,
  das Volk wäre mit der Rebellenwirtschaft zufrieden, so dürfte er
  sich vom Augenschein hier leicht eines andern belehren lassen.
  Ich überschätze die Zahl gewiß nicht, wenn ich sage, daß nach der
  Einnahme von Kuinsan fünfzehnhundert der flüchtigen Rebellen von den
  sich massenhaft erhebenden Landleuten erschlagen wurden.«

Wir haben vorgegriffen. Daß die chinesischen Söldner in vollständiger
Mannszucht standen, ist kaum anzunehmen; Gordon war ja noch keine zwei
Monate im Kommando. Seine Soldaten hatten in Taitsan geplündert, was
gegen seine Kriegsverordnung war. Er strafte sie aber damit, daß er
ihnen keine Gelegenheit gab, ihre Beute zu verwerten; sie anderweitig
zu züchtigen, dafür war es kaum der geeignete Moment, nachdem sie
eben einen Sieg errungen, der, so glänzend er war, doch blutige Opfer
gekostet hatte. Er überließ es den Mandarinen, die gefallene Stadt zu
besetzen, und marschierte mit seinem Korps nach Sung-Kiang zurück.
Dort erließ er eine Proklamation, dankte den Truppen für ihre tapfere
Haltung, tadelte die Offiziere aber wegen allzu laxer Mannszucht.
Um diese zu bessern, ernannte er an der Gefallenen Statt mehrere
englische Offiziere aus einem in Schanghai liegenden Regiment, welche
Erlaubnis hatten, ihm ihre Dienste anzubieten.

Und nun ging's nach Kuinsan. Eine drohende Unbotmäßigkeit in seinem
Korps wich seiner Ruhe und Festigkeit. Kuinsan war nicht nur der
Schlüssel zum größeren Sutschau, sondern überhaupt zur Hälfte des
rebellischen Territoriums. Die Stadt hatte eine ausgezeichnete Lage;
in ihrer Mitte erhob sich inselartig, mit einer Pagode gekrönt, ein
Hügel. Der Angriff konnte somit genau beobachtet werden, und zwei oder
drei richtig aufgepflanzte Geschütze hätten die Stadt zur beinahe
unnahbaren Festung gemacht. Der Graben um die Stadt her war über
hundert Fuß breit. Die Garnison bestand aus zwölf- bis fünfzehntausend
Taipings unter einem Anführer Namens Moh Wang. Der kaiserliche General
Tsching war für einen Angriff von der Ostseite her, aber Gordons
Kriegsgenie geriet auf eine andere Taktik, und in der That fiel die
Stadt lediglich infolge seiner Manöver mit einem kleinen Flußdampfer.

Er hatte bald entdeckt, daß Kuinsan bei seiner ausgezeichneten Lage
doch einen schwachen Punkt hatte, indem die Verbindung mit Sutschau in
einer einzigen Straße bestand, die teilweise an einem See hinführte,
teilweise zwischen einem Netz von Kanälen lag. Er brachte seinen
Dampfer Hyson zur Stelle, und die Verbindung zwischen den beiden
Städten war abgeschnitten. Der Hyson trug einen Zweiunddreißigpfünder
und einen zwölfpfündigen Mörser. Der Kapitän war ein kühner
Amerikaner, und ihm folgte eine Flottille von etwa fünfzig kleinen
Segelboten mit Kanonen. Der Hyson that gute Arbeit und säuberte sehr
bald die Wasserstraße von allen Taipings, als wäre er ein mächtiges
Kriegsschiff gewesen; ja einmal dampfte das kühne Boot mit Gordon an
Bord bis unter die Mauern von Sutschau.

Mittlerweile fand im großen Kanal ein hitziges Gefecht statt. Die
Besatzung hatte nach Sonnenuntergang einen Ausfall gemacht. So
zahlreich und so verzweifelt waren die Taipings, daß sie unter
einem tüchtigen Anführer die »stets siegreiche Armee« völlig hätten
aufreiben können. Mitten im Getümmel erschien der Hyson mit dem
Aufblitzen und Donner seiner Geschütze, und -- was den Taipings
offenbar einen tollen Schrecken einjagte -- mit dem schrillen Pfiff
seiner Dampfmaschine. Der Feind geriet in verworrene Flucht, und
ehe der Morgen tagte, war Kuinsan gefallen, ohne nur ein einzigesmal
gestürmt worden zu sein. Von da an hatten die Krieger des großen
Friedens eine heilsame Furcht vor dem Namen Gordon. Achthundert Mann
der feindlichen Besatzung wurden gefangen genommen, und die meisten
von diesen nahmen Dienst bei dem Sieger; doch war dies nicht der
zehnte Teil der Mannschaft, und nur wenige Flüchtlinge erreichten
Sutschau; der größte Teil muß unterwegs umgekommen sein. Gordon hatte
diesen wunderbaren Erfolg fast ohne Opfer erreicht; zwei im Kampf
Gefallene und fünf Ertrunkene war der ganze Verlust auf seiner Seite.
Gordons Grundsatz, alle Gefangenen, die es begehrten, in seine Reihen
aufzunehmen, bewährte sich glänzend. Feinde wurden zu Freunden.
Auch gestattete er, so viel an ihm lag, nie, daß die Kaiserlichen
Grausamkeiten verübten; Gefangene müßten so behandelt werden, sagte
er, wie es Soldaten zukomme, die sich einem britischen Offizier
ergeben. Sein eigener Bericht lautet:

  »Die Rebellen haben diesmal tüchtig Schläge gekriegt; ich glaube
  nicht, daß sie sich noch lange zur Wehr setzen werden, da wir ihnen
  durch unsere Dampfer so weit überlegen sind. Kuinsan ist eine große
  Stadt, über fünf Kilometer im Umkreis, ihren Mittelpunkt bildet ein
  sechshundert Fuß hoher Hügel, von dem man die Gegend stundenweit
  beherrscht. Es ist ein merkwürdiges Land, voller Wasserstraßen und
  von großem Reichtum. Durch die Eroberung dieser Stadt ist es der
  kaiserlichen Regierung nun ermöglicht, die reichen Korndistrikte
  u. s. w. zu beschützen; die Landleute sind so dankbar, daß es eine
  Freude ist, sie zu sehen. Sie waren in schlimmer Lage vorher, mitten
  zwischen den Rebellen und den Kaiserlichen; sie waren aber schlau
  genug, sich einigermaßen dadurch zu helfen, daß jedes Dorf sich zwei
  Bürgermeister hielt, einen kaiserlichen und einen, der vorgab, es mit
  den Rebellen zu halten. Auf diese Weise entrichteten sie Steuern an
  beide. Was ich nun weiter zu sagen habe, könnte für Prahlerei gelten,
  aber ich weiß, daß Ihr alles hören wollt. Der Gouverneur der Provinz,
  Prinz Kung, und alle Mandarine sind froh, daß ich die Anführerschaft
  übernommen habe. Ich bin ein Tsung-Ping, d. h. ein Mandarin zum
  roten Knopf; wie Ihr Euch denken könnt, trage ich die Kleidung aber
  nicht. Sie schreiben mir sehr schmeichelhafte Briefe und sind äußerst
  verbindlich. Ich mag die Chinesen auch gut leiden, aber Takt ist
  nötig im Umgang mit ihnen, und über ihr Phlegma zornig werden nützt
  gar nichts; ich lasse es daher bleiben .... Sollten Gerüchte von
  begangenen Grausamkeiten Euch erreichen, so glaubt sie nicht! Wir
  haben an achthundert Gefangene gemacht; eine gute Anzahl derselben
  ist jetzt meiner Garde eingereiht und hat seither gegen ihre alten
  Freunde, die Rebellen, mitgefochten. Wenn ich Zeit hätte, könnte
  ich lange Geschichten erzählen, wie Leute aus entfernten Provinzen
  einander hier treffen, oder wie die Bauern unter meinen Soldaten
  Rebellen erkennen, die vor noch nicht langer Zeit ihre Dörfer
  geplündert haben -- aber ich habe keine Zeit! Ich nahm einen Mandarin
  gefangen, der drei Jahre lang bei den Rebellen war; er hat jetzt eine
  Kugel in der Wange, die er sich neulich im Gefecht gegen die Taipings
  geholt hat. Die Ex-Rebellen, die ich in meine Garde aufnahm, waren
  alle Schlangenträger oder Hauptleute. Sowohl bei den Rebellen als bei
  den Kaiserlichen sind die Schlangenstandarten nämlich die Abzeichen
  der Anführer. Wo man eine sieht, ist immer ein Befehlshaber in der
  Nähe. Ihr Verschwinden bedeutet den Rückzug des Feindes. In Taitsan
  hielten die Schlangen auch bis zuletzt, das bewies, daß der Kampf
  ein hartnäckiger war. Die Wangs wußten nach der Einnahme von Fusan,
  daß ein »neuer Engländer im Kommando war, aber sie erwarteten ihn
  nicht in Taitsan.« Äußerst seltsame Gerüchte sind im Umlauf, so z. B.
  sollen die Rebellen mir vierzigtausend Mark geschenkt haben, damit
  ich Kuinsan in Ruhe lasse. Alle Mandarine hatten davon gehört, und
  wenn sie es glaubten, so mußte es sie wunder nehmen, daß wir trotzdem
  vor Kuinsan erschienen. Bu Wang und zehn andere Wangs ertranken auf
  dem Rückzug; jener war Befehlshaber von Sutschau und schrieb einen
  großthuenden Brief an General Staveley, wir wären nur ein Krämervolk,
  und er habe Soldaten wie Sand am Meer. Ich meinesteils hielt die
  Rebellen nie für so stark als man annahm; es sind nicht viel tüchtige
  Soldaten unter ihnen. Tschung Wang, der Getreue, ist anderwärts
  beschäftigt und soll nicht beabsichtigen, wieder nach Sutschau
  zurückzukehren. Die Einwohner von Sutschau haben ihre Weiber und ihre
  Habe in die Wassergegend hinter die Stadt geflüchtet. Ich fürchte,
  die Wangs werden lange Gesichter machen, wenn sie dort auf unsere
  drei Dampfer stoßen, was ihnen leicht blühen kann.

  Eine gründliche Kenntnis des Landes ist unschätzbar, und ich habe
  die Gegend genau studiert. Tschanzu ist etwa sechzig Kilometer von
  hier. Ich bin öfters dort gewesen; die Leute fühlen sich jetzt sicher
  dort, seit Kuinsan gefallen ist. Das Entsetzen der Rebellen über
  unsere Dampfer ist ein großes, besonders wenn Signal gepfiffen wird,
  das geht über ihr Fassungsvermögen .... Wir haben mehrere ehemalige
  Diener des Bu Wang unter den Gefangenen, und ihre Berichte sind
  ergötzlich. Die Wangs hatten beschlossen, meinen Dampfer in die Luft
  zu sprengen, und erließen eine Proklamation, daß Pulver gelegt werde;
  sie vergaßen nur die Hauptsache, nämlich ~wie~ das geschehen
  könnte -- darüber hat allem nach nichts verlautet ...

  Ich habe mehrere englische Offiziere, und wir begnügen uns mit der
  Montur, die wir auftreiben können; die Soldaten sind in hellen Lumpen
  ... Ja, es ist wie Du sagst, der Bezahlung wegen bin ich nicht
  hier. Ich halte es immer mehr für ein gutes Werk, den Aufstand zu
  unterdrücken, und Du würdest ebenso denken, könntest Du es nur einmal
  mit ansehen, mit welch dankbarer Freude die Landleute ihre Freiheit
  hinnehmen; die Rebellen sind ihre Tyrannen ... Die Verlegung des
  Hauptquartiers war ein großes Stück Arbeit.«

Gordon hatte nämlich beschlossen, Kuinsan jetzt zum Mittelpunkt seines
Unternehmens zu machen, und zwar ebensowohl der Lage wegen als mit
Rücksicht auf den nicht minder wichtigen Vorteil, daß er sein Korps
dort in strammerer Mannszucht würde halten können als in Sung-kiang,
wo die Tradition von Ward und Burgevine noch nachwirkte. Seine Leute
aber billigten den Beschluß keineswegs. In Sung-kiang konnten sie
etwaige Beute besser los werden, während das Plünderungsverbot in
Kuinsan überhaupt so leicht nicht mehr umgangen werden konnte. Die
Unbotmäßigkeit wuchs zur Meuterei. Die Artillerie weigerte sich
anzutreten. Sie würden die Offiziere zusammenschießen, ließen sie
Gordon schriftlich androhen. Dieser aber war ihnen gewachsen. Er rief
sofort sämtliche Unteroffiziere heraus, indem er nicht zweifelte, daß
unter diesen die Rädelsführer und Schreiber des frechen Schriftstücks
sich befänden. Wer den Brief geschrieben, verlangte er zu wissen, und
warum das Regiment sich dem ergangenen Befehl widersetze. Störriges
Schweigen war die Antwort. Darauf erklärte Gordon mit ruhiger
Bestimmtheit, er werde je den fünften Mann erschießen lassen, was mit
wildem Murren aufgenommen wurde. Ein Korporal zeichnete sich hierbei
besonders aus. Mit dem ihm eigenen Scharfblick erkannte Gordon seinen
Mann. Mit eigener Hand zog er den Korporal aus der Reihe und ließ ihn
von zwei dabeistehenden Infanteriesoldaten ohne weiteres erschießen.
Die andern erhielten eine Stunde Arrest mit der Erklärung, daß, wenn
alsdann der Antritt nicht erfolge und der Verfasser des Briefes nicht
genannt würde, je der fünfte Mann unter ihnen erschossen werden
solle. Das wirkte; das Regiment trat an, und als Gordon die verlangte
Mitteilung erhielt, ergab sich's, daß der Rädelsführer eben jener
Korporal war, dem er die verdiente Strafe hatte werden lassen.

Die Einnahme von Sutschau war das nächste Ziel, aber erst im Dezember
wurde es erreicht. Kuinsan war im Mai gefallen.

Die Pagodenstadt Sutschau liegt am großen Kanal und ist von
Wasserwegen umgeben. Gordon beschloß, sie allmählich abzuschneiden,
indem er zu Wasser von allen Seiten näher rückte. Etwa fünfzehn
Kilometer südlich von Sutschau liegt Kahpu am Thaihusee, wo die
Rebellen zwei starke Forts innehatten, nicht weit davon die Stadt
Wokong. Als Schlüssel zu dem etwa achtzig Quadratkilometer großen
Thaihusee waren beide Orte von Wichtigkeit, außerdem beherrschten sie
die Verbindung zwischen Sutschau und den Taiping-Städten im Süden.
Dahin richtete Gordon deshalb seinen ersten Angriff und eroberte
beide Orte mit etwa zweitausendzweihundert Mann Infanterie und
Artillerie, sowie mit Hilfe zweier Kriegsboote, der »Feuerfliege« und
dem »Heimchen«. Auch hier zeigte es sich wieder, daß rasche Bewegung
Gordons Stärke war; so gab es z. B. einen ordentlichen Wettlauf nach
einer Verschanzung außerhalb Wokongs, welche die Rebellen vergessen
hatten zu besetzen. Als sie merkten, daß der Feind sich seine
Gelegenheit ersah, wollten sie das Versäumte geschwind noch nachholen
und machten sich kopfüber auf den Weg. Zwei Regimenter Gordons aber
waren hinter ihnen her, so daß die Taipings eigentlich nur sozusagen
zu einer Thür hinein und zur andern wieder hinausgejagt wurden, den
Siegreichen den Posten überlassend.

Viertausend Rebellen kapitulierten; fünfzehnhundert derselben sollte
Tsching unter seine Kaiserlichen aufnehmen, nachdem er sein Wort
gegeben hatte, sie gut zu behandeln. Es dauerte aber nicht lange,
da hörte Gordon, Tsching habe trotz seinem Versprechen etliche
derselben enthauptet, eine Wortbrüchigkeit, welche Gordons ganzen
Zorn herausforderte. Überdies war er unzufrieden, weil der Sold
seiner Truppen seit einiger Zeit im Rückstande war. Er hatte ihnen
das Plündern verwehrt mit dem Versprechen einer regelmäßigen Löhnung;
nun entbehrten sie beides, und allgemeines Murren wurde laut. Es ist
bezeichnend, daß nach der Einnahme von Kuinsan, einem Erfolg, der
europäische Truppen mit flammender Begeisterung erfüllt hätte, die
Siegreichen in ziemlicher Anzahl davonliefen! Auch hierin liegt ein
Grund, warum Gordon nicht anders konnte, als Taiping-Überläufer zu
Rekruten zu machen! Durch Tschings zwecklose Grausamkeit wurde das Maß
seines Unmuts voll; er beschloß sein Kommando niederzulegen, und ritt
in dieser Absicht nach Schanghai. Als er am dritten August dort ankam,
fand er indessen eine Nachricht vor, die ihn alsbald umstimmte.

Burgevine mit etwa dreihundert Mann europäischen Pöbels und einem
kleinen Dampfer hatte eben die Stadt verlassen, um sich den Rebellen
anzuschließen. Burgevine ein Wang! das war allerdings eine Neuigkeit,
die den Leuten von Schanghai nicht ganz einerlei war, und Gordon sah,
daß er der kaiserlichen Sache nicht den Rücken wenden durfte, wenn er
es nicht riskieren wollte, daß die »stets siegreiche Armee« sich ihrem
alten Anführer zuwenden und mit ihm zu den Taipings übergehen sollte.

Sofort kehrte er nach Kuinsan zurück, und ernste Gedanken mochten ihn
auf seinem einsamen Ritte begleiten. Wie viel hing von der Stimmung
seines Korps ab! Die Leute konnten es nicht vergessen haben, wie
Burgevine seiner Zeit den kaiserlichen Zahlmeister prügelte, weil er
im Rückstande war, und wie er nie Anstand nahm selbst Tempelraub zu
begehen, wenn sich's darum handelte, die Siegreichen zu löhnen. Kein
Wunder, daß Gordon bei seiner Rückkehr großer Aufregung begegnete;
seine Macht über die Geister machte sich aber auch jetzt wieder
geltend. Er schickte sich alsbald an, seine Stellung bei Kahpu zu
verstärken, und nicht zu früh, denn die mutig gewordenen Taipings
machten einen Überfall, wurden aber zurückgeschlagen; doch verlor
Gordon ein Kanonenboot. Burgevine war übrigens nicht bei diesem
Angriff; es hieß, er bilde eine Fremdenlegion in Sutschau. Gordon
hielt sich fürs nächste auf der Defensive.

  »Daß Burgevine sich den Rebellen angeschlossen hat, wird den Aufstand
  ohne Zweifel verlängern, der sonst, nach menschlichem Ermessen, wohl
  noch in diesem Jahr unterdrückt worden wäre, oder doch spätestens
  im Laufe des Winters. Ich habe zu wenig Leute, um überall sein zu
  können, auch ist bei der gegenwärtigen Sachlage doppelte Vorsicht
  nötig. Die Kaiserlichen leiden an der Einbildung, daß sie die
  Rebellen im offenen Felde schlagen können, was nicht der Fall ist
  ... Man sucht mich zu überreden, alsbald die Offensive zu ergreifen,
  allein das Leben der Leute ist mir anvertraut, und ich will nichts
  thun, was ich von vornherein für tollkühn halten muß. So weit sind
  wir gut weggekommen, wir hatten in all diesen Gefechten nicht mehr
  als dreißig bis vierzig Tote bei sechzig bis achtzig Verwundeten.
  Es wäre wohl ein Unternehmen, um von sich reden zu machen, wenn
  ich Sutschau eroberte ohne Verstärkung abzuwarten; aber ich will
  nichts derartiges riskieren. Wokong ist unser, damit ist schon viel
  gewonnen, und wenn ich durch die Einnahme von Wusieh Sutschau von
  aller Verbindung abschneiden kann, wird es wohl nicht nötig sein,
  die Stadt zu stürmen. Ich denke, die Taipings werden sie von selbst
  räumen. Burgevine ist ein Thor und sieht nicht, was für Elend er
  übers Land bringt ....«

Unterm 11. September heißt es weiter:

  »Burgevines kleiner Dolmetscher ist zu uns übergelaufen und sagt,
  daß sein Herr den Wangs allerlei von uns erzähle, was sie höchlich
  interessiere. Er sei in guter Gesundheit, aber träge. Seine Anhänger
  sind größtenteils Gesindel aus Schanghai .... Die Gegenwart von
  Europäern (bezw. Amerikanern) hat die Rebellen in nichts gebessert;
  sie sengen und brennen nach wie vor, wo und was sie können, und wir
  haben eine Menge ausgehungerter Leute hier ....«

Unterm 25. September schreibt er aus dem Lager bei Sutschau:

  »Ich habe nun Stellung genommen, um die Kaiserlichen zu decken,
  die sich in einer Entfernung von etwa fünftausend Fuß vor Sutschau
  verschanzt haben ... Burgevine ist in Schanghai gewesen« -- nämlich
  um sich Munition zu verschaffen, bei welch tollkühnem Unterfangen er
  beinahe in Gefangenschaft geriet.

Am 30. September konnte Gordon bereits von Erfolg berichten:

  »Da die Kaiserlichen durch die Patatschau-Schanzen gehindert waren,
  so beschloß ich, dieselben einzunehmen. Die Verteidigung war schwach
  und unser Verlust bei der Erstürmung ein kaum nennenswerter --
  fünf Verwundete .... Bei Patatschau ist eine merkwürdige Brücke,
  sie besteht aus dreiundfünfzig Bogen und ist dreihundert Fuß lang.
  Ich bedaure sagen zu müssen, daß sechsundzwanzig der Bogen gestern
  zusammenfielen wie ein Kartenhaus, wobei zwei meiner Leute ums Leben
  kamen, zehn andere retteten sich nur durch schleunige Flucht. Die
  Bogen stürzten einer nach dem andern mit kolossalem Lärm zusammen,
  und mein Boot wurde schier mit zertrümmert. Es ist mir sehr leid,
  denn die Brücke war einzig in ihrer Art und sehr alt, eine wahre
  Sehenswürdigkeit. Ich fürchte, ich bin am Einsturz schuld; ich wollte
  nämlich einen Bogen wegnehmen lassen, um Raum für den Durchgang
  eines Dampfers nach dem Thaihusee zu gewinnen, da brach die ganze
  Geschichte zusammen, weil ein Bogen vom andern getragen war ... Die
  Lage der Rebellen wird immer schlimmer; ich denke, es wird nicht
  lange mehr dauern, bis ich den Fall von Sutschau melden kann. Wir
  sind hier etwa drei Kilometer davon entfernt, am großen Kanal. Die
  Dampfer legen den Taipings doch das Handwerk bedeutend.«

Was den Sturz der Brücke betrifft, so bedarf Gordons Bericht der
Ergänzung. Er saß eines Abends allein auf der Brüstung jener Brücke
und rauchte seine Zigarre, als zwei Kugeln nach einander neben ihm
auf den Stein schlugen und abprallten. Diese Flintenschüsse, die ganz
»zufällige« waren, kamen aus seinem eigenen Lager, wo man nicht wußte,
daß er sich gerade daselbst aufhielt. Nach dem zweiten Schuß erhob er
sich und schickte sich an, zurückzurudern, um zu sehen was es gäbe.
Er war noch keinen Steinwurf von der Stelle entfernt, als der Teil
der Brücke, auf dem er gesessen, mit großem Gekrach einstürzte und
sein Boot in nicht geringe Gefahr brachte. Die Hauptgefahr, der er
soeben entronnen, war natürlich die gewesen, selbst mit der Brücke zu
stürzen. Es ist charakteristisch, daß er die Sache in seinem Briefe
mit keinem Wort erwähnt! Diese Begebenheit ist eines jener Ereignisse,
die seine Leute auf den Glauben brachten, sein Leben sei gefeit.

Dieser Glaube hatte bei seinen Chinesen in der That tiefe Wurzel
gefaßt. In keinem Gefecht sah man ihn selbst Waffen tragen, obschon er
es meist nötig fand, den Angriff persönlich zu leiten. Seine Offiziere
waren ja im ganzen sehr tapfere Leute, aber nicht immer dazu angethan,
dem verzweifelten Feind stand zu halten. Bei solchen Gelegenheiten
konnte man Gordon oft sehen, wie er diesen oder jenen Offizier ruhig
am Arm nahm und ihn mit sich in den dicksten Kugelregen führte. Er
kannte keine Furcht; ihm galt ein Musketenfeuer nicht mehr als ein
Hagelwetter. Die einzige »Waffe«, die er im Treffen führte, war sein
kleines spanisches Rohr, womit er die Leute dirigierte; seine Soldaten
aber, die ihn fast nur als Sieger kannten und ihn mit Staunen immer
kaltblütig und unversehrt sahen, meinten, es habe mit dem Röhrchen
eine besondere Bewandtnis. Als »Gordons Zauberstab« stand dasselbe
denn auch in glänzendem Rufe. Und dieser Ruf war etwas wert.

Die in der Festung eingeschlossenen Europäer fanden sich mittlerweile
unter der Herrschaft der Taipings aufs gründlichste enttäuscht; es
kam zu Unterhandlungen zwischen Gordon und Burgevine. Eine Brücke bei
Patatschau war der neutrale Boden der Zusammenkünfte.

Burgevine war ein amerikanischer Abenteurer vom reinsten Wasser,
Sohn eines französischen Offiziers aus der Zeit des ersten Napoleon,
in Nord-Karolina geboren. Er war nicht ohne Bildung, und der Traum
seines Lebens scheint der gewesen zu sein, ein Kaiserreich zu
gründen. Kalifornien, Australien, Hawaii, Indien und schließlich
China waren der Schauplatz seiner Unternehmungen. Trunksucht soll
ihn schließlich zu Grunde gerichtet haben. Seine Entlassung aus dem
Sung-kiang-Corps hatte er nicht verwinden können, und er schloß sich
den Taipings an, nur um sich an den Kaiserlichen zu rächen. In
seiner ersten Unterredung mit Gordon erklärte er, er sei der Rebellen
überdrüssig und wolle sie mit seinem Anhang wieder verlassen, wenn
er die Gewißheit erhalten könne, daß die Kaiserlichen ihn für seinen
Verrat nicht zur Verantwortung ziehen würden. Gordon übernahm es, die
Bürgschaft zu leisten, und war alsbald bereit, sowohl Burgevine als
andere Europäer, die dazu Lust hätten, unter seiner Fahne dienen zu
lassen. Als aber Gordon und Burgevine das zweitemal zusammenkamen,
gab der letztere seine wahre Gesinnung kund. Er und Gordon könnten
gemeinschaftliche Sache machen, meinte er, mit einander der Stadt
Sutschau habhaft werden, unter Ausschluß beider, der Rebellen und
der Kaiserlichen, sich der in dieser Stadt aufgehäuften Schätze
versichern, eine größere Armee heranbilden, nach Peking marschieren
und das geträumte Kaiserreich gründen. Man kann sich denken, was
Gordon dazu wird gesagt haben.

Übrigens desertierten die Europäer in der Stadt einige Wochen später
massenweise, und zwar mit Gordons Hilfe. So groß war ihr Vertrauen zu
dem feindlichen Landsmann, daß sie ihm sagen ließen, sie gedächten
einen Ausfall zu machen in der Absicht, sich seinem Schutz zu ergeben.
Auf ein Raketensignal hin wollten sie den Dampfer Hyson entern.
Dies geschah denn auch mit solchem Eklat, daß Tausende von Taipings
hinter ihnen herstürmten, in der Meinung, es handle sich um einen
wirklichen Überfall; der Hyson aber trug die Flüchtlinge davon, deren
Abschiedsgrüße der Zweiunddreißig-Pfünder energisch vermittelte.
Burgevine mit etlichen anderen war indessen zurückgeblieben; der
Moh Wang habe Verdacht geschöpft, hieß es, weshalb sie die Sache
beschleunigt hätten, ohne auf die Säumigen zu warten.

Die Mehrzahl dieser Überläufer waren Matrosen, die nach Sutschau
gelockt worden waren, ohne zu wissen, wohin sie gingen. Ausgehungert
und zerlumpt wie sie waren, wußten sie ihrer Dankbarkeit kein Ende,
und fast alle baten um die Erlaubnis, dieselbe dadurch mit der That
beweisen zu dürfen, daß sie sich der siegreichen Armee einreihen
ließen. Gordon aber, sobald er hörte, daß Burgevine in der Stadt
zurückgeblieben und somit der Rache der Taipings hilflos überlassen
war, richtete (16. Okt.) folgende Zuschrift an die beiden Haupt-Wangs
der Belagerten:

  »Es kann Ew. Exzellenzen nicht verborgen geblieben sein, daß ich
  bei jeder Gelegenheit, wo es in meiner Macht stand, Ihren in unsere
  Gefangenschaft geratenen Soldaten Barmherzigkeit erwiesen habe und
  es mir habe angelegen sein lassen, die kaiserlichen Behörden vor
  Grausamkeiten zurückzuhalten. Die Wahrheit dieser meiner Aussage kann
  Ihnen von solchen, die persönliche Erfahrung haben, bestätigt werden;
  denn mancher von Ihren Soldaten muß, nachdem Wokong in unsere Hände
  gefallen war, wieder nach Sutschau zurückgekehrt sein, ich habe es
  wenigstens keinem verwehrt, der es wünschte.

  »Hierauf Bezug nehmend, erlaube ich mir Ew. Exzellenzen zu ersuchen,
  die Lage der Europäer in Ihren Diensten wohlwollend zu beurteilen.
  Ein Soldat, er mag kämpfen für wen er will, muß von loyalen Gedanken
  getragen werden, wenn er seine Pflicht thun soll. Und wenn einer
  gegen seinen Willen zu irgend einer Fahne gezwungen wird, so wird
  er nicht nur ein schlechter Soldat sein, sondern außerdem auch ein
  Unruhestifter im Regiment, den man nur hüten muß. Sollten nun solche
  Europäer in Sutschau sein, so erlaube ich mir, an Ew. Exzellenzen die
  Frage zu richten, ob es nicht viel besser wäre, solche unbehindert
  ziehen zu lassen, wenn das ihr Wunsch sein sollte. Sie selbst würden
  damit eine ständige Ursache des Argwohns los werden und sich die
  Billigung fremder Mächte erwerben; während Sie außerdem die Gewißheit
  hätten, daß Ihnen nur von außen ein Feind droht und nicht auch im
  eigenen Lager. Ew. Exzellenzen denken vielleicht, daß durch ein paar
  Hinrichtungen innere Ruhe bald hergestellt wäre; Sie würden dann aber
  ein Verbrechen auf sich laden, das sich früher oder später rächen
  müßte. Bei meinen Truppen steht es den Offizieren wie den Gemeinen
  frei, zu kommen und zu gehen wie es ihnen beliebt; und obschon das
  manchmal unbequem ist, so bin ich doch andererseits dadurch vor
  innerem Verrat sicher. Ew. Exzellenzen wollen sich darauf verlassen,
  daß Sie es zu bereuen haben werden, wenn Sie den in Ihrem Dienst
  sich befindenden Europäern ans Leben gehen oder sie wider ihren
  Willen zurückhalten. Dieselben haben nichts verbrochen, sie haben
  Ihnen im Gegenteil eine Zeit lang gedient; und wenn sie nun zu
  entfliehen suchen, so ist das nichts anderes als was jeder Mensch,
  ja jedes Tier in mißlicher Lage zu thun strebt .... Persönlichen
  Vorteil habe ich durchaus keinen dabei, ob die betreffenden in
  der Stadt zurückgehalten werden oder dieselbe verlassen. Wenn ich
  ihretwegen an Sie appelliere, so geschieht es lediglich aus Gründen
  der Menschlichkeit .... Daß diese Europäer mir Mitteilungen machen
  könnten, haben Ew. Exzellenzen durchaus nicht zu fürchten; Ihre
  Truppenstärke und Kriegsmittel sind mir längst bekannt, ich brauche
  mich daher nicht erst von ihnen belehren zu lassen.

  »Sollte ich hinsichtlich dieser Männer vergeblich an Sie appellieren,
  so schicken Sie mir wenigstens die Verwundeten unter ihnen und
  glauben Sie, daß Sie damit eine That thun, die Sie nie bereuen
  werden.

  »Ich schreibe dies eigenhändig, da ich mich nicht auf einen
  dolmetschenden Schriftführer verlassen will. In der Hoffnung, daß Sie
  meine Bitte gewähren, schließe ich

      Ew. Exzellenzen gehorsamer Diener

      ~C. G. Gordon~,
      Major-Kommandant.«

Burgevine, der diese Teilnahme an seinem Schicksal durchaus nicht
verdient hatte, wurde freigegeben und verschwand für immer. In einem
Brief an die Seinen beschreibt Gordon die Sache und fährt fort:

  »Moh Wang fragte den Boten genau aus, u. a. ob es möglich wäre, mich
  zu bestechen, und mußte sich mit einem Nein begnügen. »Wird Gordon
  die Stadt einnehmen?« »Jedenfalls«, lautete die Antwort, und er
  schwieg nachdenklich. Ich höre, daß die Stadt in großer Verwirrung
  ist; es ist nicht sowohl die Flucht der Europäer, was die Taipings
  beunruhigt, als vielmehr das Bewußtsein, daß die Europäer die Sache
  für verloren halten. Burgevine soll gut behandelt werden; ich werde
  thun, was ich kann, ihn loszubringen, und dann, sobald sich einer
  findet, der meine Stelle einzunehmen imstande ist, werde ich mich
  zurückziehen ... an Ruhm und Ehren ist mir nicht gelegen ... Ich
  hoffe, daß die chinesische Regierung sich hinlänglich davon überzeugt
  hat, daß ich ehrlich an ihr gehandelt habe und daß nicht alle
  Engländer von Geldgier beseelt sind. Daß sie diese Überzeugung in der
  That gewonnen haben, das glaube ich; wenigstens kommen sie mir mit
  vollem Vertrauen entgegen.«

Die Tage von Sutschau waren gezählt. Die Kaiserlichen hatten
südwestlich um die Stadt her feste Stellungen inne, während Gordon
mit seinem Belagerungstrain und vor allem mit dem Dampfer Hyson die
nördliche und östliche Seite gesperrt hielt. Der Hyson erwies sich
stets als vorzügliches Kampfmittel; bei einer Gelegenheit wurden
dreizehnhundert Taipings gefangen genommen, und ebensoviel ertranken
bei einem Fluchtversuch. Aber die kaiserlichen Verbündeten unter
ihrem Anführer Tsching waren es, die durch ungeschickte Taktik Gordon
immer wieder an der Ausführung eines umfassenden Planes hinderten. In
Schanghai und anderwärts wurden Stimmen laut, daß, wenn Gordon nicht
den Gesammtoberbefehl erhalte, man den Fall von Sutschau nie erleben
würde. Aber nicht nur hat er diesen Oberbefehl nie erhalten, sondern
sein eigenes Korps geriet wieder an den Rand der Meuterei und war
außerdem von Krankheit heimgesucht. Aber Gordon hatte in sich die
Kraft eines Kriegsheeres.

Zwar wurden die Siegreichen nun mehrmals zurückgeworfen, einmal
lediglich infolge einer zur unrechten Zeit geleisteten Hilfe. Bald
aber kann Gordon wieder ein Gegenteil berichten.

  »Wir mußten die Rebellen aufs neue aus Wokong verjagen, sie hatten
  trotz ihrer neulichen gründlichen Niederlage daselbst die Kühnheit,
  diesen Ort abermals zu besetzen. Ich schickte einen Dampfer hin, und
  der Erfolg war ein glänzender Sieg, fast wie der bei Kuinsan und auch
  aus ähnlicher Ursache. Die Rebellen waren nämlich genötigt, ihren
  Rückzug auf einer engen Straße zwischen dem großen Kanal und anderen
  Gewässern zu nehmen ...«

Es war ein Weg, der oft lange Strecken nur drei bis vier Fuß breit
war und dann und wann kamen enge Brücken, die nur ein bis zwei Mann
auf einmal durchließen. Auf der ganzen Strecke des Rückzugs, fünfzehn
Kilometer weit, waren die Flüchtlinge unter dem Feuer der Dampfer und
hatten die verfolgenden Truppen hinter sich. Der Verlust der Taipings
war entsprechend.

Am 1. November wurde Fort Liku erstürmt, etwa acht Kilometer nördlich
von Sutschau. Dabei ereignete sich folgendes: Einige Tage zuvor hatte
Gordon zufällig einen beschriebenen Zettel gefunden. Er erkannte
die Handschrift als die eines seiner Offiziere, Namens Perry, der
offenbar einem Rebellenfreund in Schanghai über das Korps berichtete.
Perry leugnete auch gar nicht, entschuldigte sich aber damit, daß
seine Mitteilungen nicht aus böswilliger Absicht stammten, sondern
nur vertraulicherweise einem Bekannten gelten sollten. »Gut«, sagte
Gordon, »ich nehme Sie für diesmal bei Ihrem Wort und erwarte von
Ihnen, daß Sie beim nächsten ›hoffnungslosen‹ Gefecht vorne dran
sind.« Er selbst vergaß den Fall alsbald wieder, aber nach wenigen
Tagen waren beide nebeneinander vorne dran beim Erstürmen einer
Verschanzung. Eine Kugel traf Perry in den Mund, Gordon fing ihn in
seinen Armen auf -- er war tot.

  »Wir eroberten Liku im Sturmlauf«, berichtet Gordon. »Leutnant
  Perry ist leider gefallen, er war ein guter Offizier. Sonst nur
  drei Verwundete. Die Rebellen hielten tapfer Stand, hatten vierzig
  bis sechzig Tote; wir machten sechzig Gefangene, eroberten drei
  Kanonenboote und etwa vierzig andere Boote.«

Zehn Tage später wurde ein anderer Ort Namens Wanti angegriffen,
der so mit Erdwällen verschanzt war, daß das Beschießen kaum einen
Eindruck machte; als Gordon aber den Ort eingeschlossen hatte,
stürzten die Taipings wie toll daraus hervor, es gab ein hitziges
Handgemenge, und nach einer Stunde war Wanti erobert. Gordon hatte
zwanzig Tote, darunter einen Offizier; die Rebellen dreihundertfünfzig
-- sie waren nämlich unter das Feuer der Artillerie geraten -- und
außerdem gab's sechshundert Gefangene.

So wurde ein immer engerer Kreis um Sutschau gezogen. Die Wangs fingen
an, mutlos zu werden.

  »Uneinigkeit unter den Belagerten kann die Übergabe herbeiführen«,
  schreibt Gordon; »sie haben nichts mehr als für zwei Monate Reis
  ... Mauding am großen Kanal beabsichtigte ich zunächst durch zwei
  Dampfer angreifen zu lassen; es ist nur eine Stunde von hier und
  die Rebellen dort haben gar keine andere Wahl als sich zu ergeben.
  Die Kaiserlichen reden davon, ihnen Garantie anzubieten, daß ihnen
  das Leben geschenkt werde; die meisten wären ohne weiteres damit
  einverstanden!«

Wir werden bald sehen, was es mit solchen Versprechungen
kaiserlicherseits auf sich hatte, und daß auch in China ein Treubruch
Böses nach sich zieht.




          3. Der Fall von Sutschau und der Mord der Könige.

Die Belagerung war vollständig; an vierzehntausend Mann umschlossen
die Stadt, von denen drei- bis viertausend unter Gordons Befehl
standen. Außerdem waren noch etwa fünfundzwanzigtausend Mann
kaiserliche Truppen in der Nähe; Fusan war ihr Zentrum. Die Taipings
zählten vierzigtausend in der belagerten Stadt, zwanzigtausend in
Wusieh und weitere achtzehntausend zu Matantschiao, wo Tschung Wang,
der Getreue, den großen Kanal beherrschte.

Gordon wußte all dies, aber er wußte auch, daß der Getreue nur auf die
Gefahr hin näher rücken konnte, Nanking bloßzustellen und Hangtschau
preiszugeben. Tschung selbst war sich darüber klar, daß Nanking hart
bedrängt war und daß der Fall der Hauptstadt dem »großen Frieden«
den Todesstoß versetzen würde. Die Außenwerke von Nanking waren zum
Teil schon in Feindeshand. Gordon wußte dies, denn die Kaiserlichen
hatten eine Staffette abgefangen; und er beschloß, Sutschau auf der
Nordseite zu stürmen. Der Angriff geschah nachts, mißlang aber, denn
die innere Reihe der Außenwerke war stark befestigt und wohl bemannt.
Die Angreifenden trugen weiße Turbane, um sich nächtlicherweile
untereinander zu erkennen. Es schien zuerst, als ob der Überfall
gelingen sollte. Gordon an der Spitze seiner Vorlinien hatte den
Wall schon erstiegen, aber ein mächtiges Feuer der plötzlich in
Masse erscheinenden Taipings hinderte seine Unterstützungskolonnen
am Vordringen, und so mußte auch er wieder zurückweichen. Ein Kampf
bei Nacht mochte den Rebellen übrigens nicht behagen; wirklichen Mut
schien nur noch der Moh Wang zu haben, der sich wie ein Löwe in den
vordersten Reihen wehrte, ohne Schuhe und ohne Strümpfe mitten unter
den Gemeinen kämpfend. Zwanzig Europäer hielten sich zu ihm.

Am andern Morgen hatte General Tsching eine Unterredung mit dem
Taiping Kong Wang und erfuhr von diesem, daß unter den Wangs
in Sutschau große Uneinigkeit herrsche; außer dem Moh Wang und
fünfunddreißig zu ihm haltenden Unterbefehlshabern wären die Anführer
bereit, mit dreißigtausend Mann zu kapitulieren. Denn trotz des
zurückgeschlagenen nächtlichen Angriffs wüßten die Wangs nur zu
gut, daß Sutschau fallen müsse; sie schlügen daher vor, daß Gordon,
um ihnen einen gewissen Schein zu retten, einen zweiten Angriff
aufs Ostthor mache, wobei sie dem Moh Wang den Rückweg in die
Stadt abzuschneiden gedächten, um dann ihrerseits mit dem Feind zu
unterhandeln.

Am 29. November schoß Gordons Artillerie die Palissadenverschanzung
zusammen und der Angriff erfolgte. Es war eine heiße Arbeit. Gräben
voll Wasser mußten durchschwommen und Wälle erstiegen werden. Der
Getreue selbst war von Wusieh her zu Hilfe gekommen und verteidigte
die Stadt. Da ereignete es sich, daß Gordon, der mit einer Handvoll
Leute ungestüm vordrang, plötzlich einen Haufen Taipings im Rücken
hatte und so von den Seinen abgeschnitten war. Zurück konnte er
nicht, wollte es auch nicht, also vorwärts! Er eroberte eine Redoute
und hielt sich, bis Verstärkung sich zu ihm durchschlagen konnte.
Die errungene Position, die er fast allein gewonnen, kam einem
vollständigen Siege gleich, aber er war teuer erkauft. Neun Offiziere,
meist Engländer, waren gefallen, dazu fünfzig Gemeine und es gab viele
Verwundete. Aber am folgenden Tag konnte er eine Proklamation an seine
Leute erlassen des Inhaltes, daß Sutschau faktisch erobert sei.

Es dauerte nicht lange, so hatten Gordon und der kaiserliche General
Tsching eine Zusammenkunft mit den Wangs. Immer noch besorgt, sich
den Schein zu wahren, schlugen diese jetzt vor, daß ein Angriff auf
die Stadt selbst geschähe, wobei sie versprachen, sich nicht bei der
Abwehr zu beteiligen, vorausgesetzt, daß die Kaiserlichen ihnen bei
der Einnahme die persönliche Sicherheit garantierten. Selbst unter
solchen Umständen war der Angriff mit Schwierigkeiten verbunden; die
Stürmenden konnten nicht viel über fünftausend Mann beibringen, ein
breiter Graben umgab die Stadt und vom Ostthore hin zog sich eine
unabsehbare Reihe von Schanzen. Als der Na Wang Gordon vorschlug,
die Stadt im Sturm zu nehmen, erklärte dieser daher rundweg, daß es
dann unmöglich sein würde, den Soldaten das Plündern und Brennen zu
verbieten, und fügte hinzu, wenn es den Wangs wirklich ernst sei mit
ihren Vorschlägen, sie ihre Aufrichtigkeit damit bekunden sollten, daß
sie dem Feinde ein Thor überließen; wollten sie das nicht, so sollten
sie die Stadt entweder räumen oder um den Besitz fortkämpfen, so lange
sie sich würden halten können. Daraufhin erklärten sie sich bereit,
die Übergabe der Stadt durch Überlassen eines der Thore ins Werk
zu setzen; und während General Tsching die Unterhandlungen zu Ende
führte, machte Gordon sich alsbald auf den Weg, um beim Gouverneur die
Sicherheit der Besatzung zu beantragen.

Übrigens war die Übergabe noch nicht vollzogen. Als der tapfere
Moh Wang erfuhr, was seine Mit-Wangs im Schild führten, erfaßte
ihn ein gewaltiger Ingrimm, und er versammelte sie alsbald um sich
zum Kriegsrat. Er war der Oberbefehlshaber der Stadt. Es mag eine
seltsame Szene gewesen sein, als nach der festlichen Mahlzeit und dem
obligatorischen Gottesdienst diese Würdenträger mit ihren Kronen und
Königsgewändern sich im Halbkreis um den Moh Wang scharten. Sofort kam
es zu einem Wortwechsel. »Übergabe!« schrien die Wangs durcheinander.
»Wir halten Sutschau bis zum letzten Mann!« entschied der Moh Wang. Da
fuhr der Kong Wang auf, den Königsmantel von sich werfend, und stieß
seinen Dolch dem Moh Wang neunmal in den Rücken. Miteinander trugen
sie den Gemordeten hinaus und zerstückten seinen Leichnam. Gordon
erfuhr diese Mordthat, als er eben von seinem Liebesritt zurückkehrte
und das Versprechen von Li mitbrachte, dem Moh Wang und seinen
Gefährten solle kein Leids geschehen. Er hatte den Moh Wang um seiner
mannhaften Tapferkeit willen hochgeschätzt.

In jener Nacht ergab sich Sutschau.

Um, wenigstens so viel an ihm lag, die Plünderung zu verhüten,
zog Gordon sein Korps auf einige Entfernung von der Stadt zurück,
verlangte aber in Anerkennung ihrer Leistungen doppelte Löhnung
für die Truppen auf zwei Monate. Allein Li handelte die Belohnung
auf einen Monat herunter, was die Soldaten so verdroß, daß ihr
unzufriedenes Gemurre fast in offene Meuterei überging. Ein paar
Stunden Plünderung wäre ihnen lieber gewesen als alle Löhnung. Gordon
konnte sich nur damit helfen, daß er seine Siegreichen nach Kuinsan
zurück marschieren ließ.

Was die nun folgenden Ereignisse betrifft, so mochte Gordon füglich
erwarten, daß er eine Stimme im Rat habe, besonders rücksichtlich des
Schicksals der Wangs. Ohne ihn und seine Leute hätten dieselben noch
lange stand gehalten; und er, der sein eignes Leben nie der Gefahr
entzog, dessen Todesverachtung die Armee mit Siegesmut erfüllte,
mochte wohl denken, daß er vor allen das Recht habe, dem überwundenen
Feind das Leben zu schenken. Li und Tsching wußten auch recht wohl,
daß eine menschliche Behandlung der Überwundenen nach europäischen,
bezw. nach christlichen Grundsätzen beobachtet werden müsse, wo Gordon
mitzureden hatte. Li hatte es diesem bestimmt zugesagt, daß Gnade
vor Recht ergehen solle, hatte ihm sozusagen das Leben der Wangs
geschenkt. Wie wurde aber dieses Versprechen gehalten!

Von Kuinsan zurückkehrend, betrat Gordon, nichts ahnend, die gefallene
Stadt, von seinem jungen Dolmetscher begleitet. Er begab sich nach des
Na Wang Wohnung. Dort fand er sämtliche Wangs im Begriff aufzusitzen.
Li erwarte sie außerhalb der Stadt, um die Schlüssel der Thore von
ihnen entgegenzunehmen. Es sei alles in Ordnung, versicherte Na Wang,
und daraufhin sah Gordon sie ruhig ziehen, um so mehr, als Tsching ihn
erst kürzlich versichert hatte, der Gouverneur habe eine allgemeine
Amnestie erlassen. In aller Gemütsruhe schlenderte Gordon durch sie
Stadt, sorgte für des Moh Wang Begräbnis und erreichte nach einiger
Zeit das Ostthor, wo ein Haufe Kaiserlicher ihm lärmend entgegen kam.
Er blieb stehen und forderte die Soldaten zu ruhigerem Benehmen auf,
damit sie die Einwohner nicht unnötig alarmierten. Während er noch
redete, betrat der General Tsching selbst die Stadt und erblaßte, als
er Gordon sah. Dieser erkundigte sich alsbald nach den Wangs, die der
Zeit nach längst von ihrer Audienz zurück sein mußten, worauf Tsching
etwas hervorstotterte und sich in Ausreden verwirrte. Da schöpfte
Gordon Verdacht und kehrte eiligst nach des Na Wang Hause zurück.
Er fand es zerstört; die Plünderung hatte begonnen. Ein Oheim des
Na Wang, der ratlos umherlief, bat ihn inständig, mit ihm in seine
Wohnung zu gehen, um ihm behilflich zu sein, die Frauen des Na Wang
in Sicherheit zu bringen. Er zögerte einen Augenblick, waffenlos wie
er war, allein das Weibervolk erbarmte ihn; er beschloß, der Bitte
Folge zu leisten und alsdann mit Hilfe seiner Leute dem Plündern der
Kaiserlichen wo möglich zu steuern.

Man sollte denken, daß Li den heldenmütigen Gordon, dem er so viel
verdankte, wenigstens vor dem Betreten der Stadt hätte warnen
lassen; aber davon war keine Rede. So hatte sich Gordon in der That
unwissentlich als Geisel gestellt, während der treubrüchige Futai
die Wangs draußen enthaupten ließ. Die lärmenden Kaiserlichen, denen
er begegnete, kamen gerade von der Hinrichtung, der Tsching selbst
beigewohnt hatte. Gordons Lage war um so bedenklicher, als er sich
in völliger Unwissenheit befand. Hätten die Taipings, die alsbald
zu Tausenden das Haus umstellten, mehr gewußt als er, er wäre nicht
lebendig aus ihren Händen gekommen. So aber betrachteten sie ihn
als Geisel, bis sie ihre Anführer wieder sähen. Bis zum folgenden
Morgen befand er sich völlig hilflos unter den Taipings, die von der
vertragswidrigen Plünderung wohl auf Schlimmeres schließen mochten;
aber es geschah ihm kein Leid. Wer weiß, ob die Leute nicht halb
unbewußt in ihm den festen Mann erkannten, der ihnen Treue halten
würde, wenn alle anderen sie brächen. Jedenfalls hat wohl selten ein
Heerführer inmitten seiner geschlagenen Feinde dem Tod näher ins Auge
geschaut als er; allein über Gordon wachte ein Höherer, dem er diente
und der ihn zu noch Größerem brauchen wollte.

Am nächsten Morgen hatte er die Taipings soweit gebracht, daß
sie ihm gestatteten, seinen Dolmetscher mit einem Brief an sein
Boot zu entsenden, das vor dem Südthor vor Anker lag. Nichts kann
bezeichnender für unsern Helden sein, als die Thatsache, daß das
Schreiben auch nicht ein Wort über seine eigene Lage enthielt, wohl
aber den Befehl an den Kapitän seiner Flottille, den Gouverneur
Li gefangen zu nehmen und ihn festzuhalten, bis die Wangs in
Sicherheit wären, ein prächtiger Plan, der aber leider mißlang.
Der Taipingführer, der den Dolmetscher begleitete, kam allein mit
der Nachricht zurück, die Kaiserlichen hätten dem Jungen den
Brief abgenommen und denselben zerrissen. Darauf hin gestatteten
die Taipings ihrem Gefangenen, sich selbst auf den Weg zu machen.
Unterwegs wurde auch er von Kaiserlichen überfallen, die ihn wohl
nicht kannten, aber es gelang ihm von ihnen loszukommen und das
Ostthor zu erreichen, wo seine Leibwache lag. Diese entsandte er nun
sofort zum Schutze der Taipings, die ihn die Nacht durch festgehalten
hatten.

Es war immer noch sein Vorsatz, den Li gefangen zu nehmen. Während er
zu diesem Zweck auf seinen Dampfer wartete, stellte Tsching sich zu
einer Unterredung ein; aber Gordon weigerte ihm das Wort. Da schickte
der General einen seiner Offiziere, aber diesem fehlte der Mut, dem
entrüsteten Briten die Wahrheit zu sagen. Auf Gordons Frage nach den
Wangs entgegnete er, er wisse nichts, doch sei des Na Wang junger Sohn
in der Nähe, der werde wohl Bescheid geben können. Und von dem Sohne
eines der Gemordeten erfuhr denn Gordon endlich, daß bei Gelegenheit
der Audienz die Hinrichtung stattgefunden hatte. Er ließ sich sofort
übers Wasser rudern und fand die kopflosen Leichname der Wangs
zerhackt und zerstückt.

  »Ich fand sechs Leichen«, schrieb er, »und erkannte des Na Wang
  Kopf.«

Wohl selten in seinem Leben ist ihm etwas so nahe gegangen. Er
vergoß Thränen vor Leid und Entrüstung, vor Scham und Zorn. Überdies
erachtete er seine Ehre angegriffen durch die unmenschliche That.
Er hatte den Wangs zwar nicht sein Wort gegeben -- das konnte er
nicht -- aber er hatte von vornherein mit ihnen in der Voraussetzung
verhandelt, daß der Gouverneur sie anständig behandeln werde. Und
die Plünderung der Stadt gegen seinen Willen und Wissen war eine
weitere Kränkung. Seinem Mut und Kriegsgeschick war's in erster
Linie zu verdanken, daß Sutschau gefallen, und nun hatte man ihn
einfach beiseite gesetzt, ja ihn selbst in nicht geringe Lebensgefahr
gebracht. Diese perfide Handlungsweise der Chinesen, für die er sich
aufgeopfert, ergrimmte ihn so sehr, daß sein Zorn keine Grenzen
kannte, und wohl zum erstenmal in der ganzen blutigen Kriegszeit
nahm er eine Waffe zur Hand. Er steckte seinen Revolver zu sich,
entschlossen, an des Gouverneurs eignem Leben Gericht zu üben, mochten
die Folgen für ihn selbst sein, welche sie wollten. Tsching aber war
ihm zuvorgekommen und hatte Li wissen lassen, daß er wohl daran thun
werde, dem zornmütigen Engländer aus dem Weg zu gehen. Als Gordon
das Boot des Li bestieg, fand er daher, daß dieser sich in die Stadt
geflüchtet hatte. Gordon verfolgte ihn dort und versuchte während
mehrerer Tage vergeblich, zuerst allein und dann mit Hilfe seiner
Garde, des flüchtigen Gouverneurs habhaft zu werden. In bitterm Mißmut
kehrte er nach Kuinsan zurück. Dort verlas er seinem versammelten
Korps einen Bericht über das Geschehene mit dem Anfügen, daß ein
britischer Offizier unter dem Gouverneur Li nicht länger dienen könne,
es sei denn, daß dieser vom Kaiser zur verdienten Strafe gezogen werde.

Gordon schrieb an seine Angehörigen:

  »Ihr werdet froh sein zu erfahren, daß wir wieder zu Kuinsan im
  Quartier sind und es wohl so bald nicht wieder verlassen werden.
  Ich habe weder Zeit noch Lust, Euch von dem Kampf am Ostthor zu
  berichten, noch von dem kaiserlichen Verrat in Sutschau -- die
  Zeitungen werden genug darüber melden. Des Na Wang Sohn habe ich
  bei mir. Er ist ein gescheiter junger Mensch und sehr lebhaft, etwa
  achtzehnjährig. Sein armer Vater war ein recht guter Wang, besser als
  die meisten Kaiserlichen, mit denen ich noch zu thun hatte. Ich kann
  Euch nicht sagen, wie tief ich die neuesten Ereignisse beklage und
  zwar um verschiedener Ursachen willen. Hätte man dem Feind, der sich
  ergeben, Treue gehalten, so wäre es mit dem Aufstand wohl zu Ende,
  und die anderen Städte, die noch aushalten, wären ohne Zweifel dem
  Beispiel Sutschaus gefolgt. Wir hätten uns dann rühmen können, den
  Aufruhr mit geringem, nicht zu umgehendem Blutvergießen unterdrückt
  zu haben. Wenn ~ich~ nicht mit dem Na Wang unterhandelt hätte,
  wäre die Übergabe wohl so bald nicht erfolgt, und ich halte jetzt
  all meine Mühe für verloren. Ich kann mich nur damit trösten, daß
  ~alles~ zum besten dienen muß! Unverständlich ist und bleibt mir
  die Handlungsweise des Li; er kennt mich hinreichend um zu wissen,
  daß ein solches Verfahren mich aufbringen muß, und er handelte mit
  nicht geringem persönlichem Risiko, denn meine Truppen waren in der
  Nähe ....«

Während von Regierungs wegen eine Untersuchung eingeleitet wurde,
verhielt sich Gordon völlig unthätig in seinem Quartier, -- keine
leichte Sache bei der Stimmung seines Korps. Li aber hatte sich weiß
zu brennen gewußt; überhaupt wähnte man in Peking, das Hauptlob bei
der Einnahme von Sutschau gebühre ihm. Gordon hatte allerdings eine
Position nach der andern, die er mit seinen Siegreichen eroberte,
mit Kaiserlichen besetzt. In Anerkennung dieser Thatsache erhielt Li
mit der »gelben Jacke« die höchste militärische Auszeichnung. Doch
erinnerte man sich auch des englischen Anführers. Ein kaiserlicher
Erlaß bestimmte eine Medaille für den tapfern Tsung-Ping und außerdem
ein Geschenk von siebzigtausend Mark.

Diese Summe mit vielen andern Geschenken und der Versicherung der
kaiserlichen Anerkennung wurde Gordon von Li übersandt, außerdem eine
erhebliche Extra-Löhnung für seine Truppen und eine besondere Summe
für die Verwundeten. Diese beiden letzten Beträge nahm Gordon an;
die für ihn bestimmte Summe aber wies er mit Entrüstung zurück. Ja,
als die buchstäblich mit Gold beladenen Schatzträger vor ihn traten,
kommandierte er: rechts umkehrt mit seinem spanischen Röhrchen.
Wahrlich keine schönere That läßt sich von dem »Zauberstab« berichten.
Die Chinesen wußten sich nicht zu fassen vor Verwunderung. Wo war's
erhört, daß einer solche Schätze von sich wies, und wer durfte es
wagen, den kaiserlichen Gesandten mit dem Kommandostab zu begegnen!
Der mit der Sendung betraute Mandarin brachte ihm außerdem vier
seidene Fähnchen als Ehrengabe, zwei von Li und zwei von Wang-tetai,
einem die Kanonenboote der Provinz befehligenden Mandarin. Li's
Ehrengabe schickte Gordon zurück, die Fähnchen des Wang-tetai nahm
er an, da derselbe nicht bei jenem Treubruch beteiligt war. Der
kaiserliche Erlaß wurde auf gelbem Atlas feierlich auf einen mit zwei
brennenden Kerzen versehenen Tisch gelegt und so zu Gordons Kenntnis
gebracht. Eine Übersetzung war dem Schriftstück beigegeben. Auf die
Rückseite derselben schrieb der uneigennützige Held stehenden Fußes
folgende Antwort:

  »Major Gordon nimmt Sr. Majestät des Kaisers huldvolle Billigung
  mit Befriedigung entgegen, aber er kann es nur aufrichtig bedauern,
  daß nach dem, was seit der Einnahme von Sutschau vorgefallen
  ist, es nicht in seiner Macht steht, irgend welche Geschenke
  kaiserlicher Gnade anzunehmen. Er entbietet kaiserlicher Majestät
  seinen unterthänigsten Dank für die ihm zugedachte Belohnung, welche
  abzulehnen man ihm gnädigst verstatten wolle.«

In einem Brief an die Seinen spricht er sich so aus:

  »Um die Wahrheit zu sagen, begehre ich weder Lohn noch Ehre, weder
  von den Chinesen, noch von unserer Regierung. Auszeichnung habe ich
  nie gesucht. Ich habe das Bewußtsein, ein gutes Werk zu vollbringen,
  und fürs übrige gewährt mir mein Beruf an sich Befriedigung ...
  Ich würde das kaiserliche Geschenk auch dann zurückgewiesen haben,
  wenn es mit Sutschau anders gegangen wäre ... Ich weiß, daß ihr
  Verständnis habt für meine Lage, die keine leichte ist, und daß
  meine Erfolge Euch freuen. Die Rebellen sind ein grausames Volk. Der
  Tschung Wang hat zweitausend hilflose Menschen umbringen lassen,
  die nach der Ermordung der Wangs zu ihm flüchteten. Dem Li habe ich
  übrigens einen Denkzettel angehängt, den er so bald nicht vergessen
  wird.«


             4. Weitere Siege und das Ende des Aufstands.

Die Enthauptung der Wangs hatte Gordons Lage in der That zu einer
schwierigen gemacht. Seinen Kriegs- und Siegeszug nach der Gewaltthat
zu Ende führen, hieß den Treubruch seiner Kollegen billigen, während
andererseits seine bisherigen Erfolge vergeblich gewesen wären, wenn
er alles weitere den Kaiserlichen allein überlassen hätte. Im Korps
der Siegreichen gab es durch das zeitweilige Einstellen des Kampfes
bereits bedenkliche Unruhen. Sechzehn Offiziere hatten kassiert werden
müssen, während den Taipings offenbar der Mut wuchs. Gordon sah ein,
daß er jetzt nicht mit seinen Gefühlen zu Rate gehen durfte, und
beschloß deshalb, dem Gouverneur Li behufs weiterer gemeinschaftlicher
Arbeit die Hand der Versöhnung zu reichen.

In den Augen chinesischer Machthaber war die Hinrichtung der Wangs ein
notwendiges Übel, und als Gordon bei ruhigerer Stimmung anhörte, was
Li zu seiner Entschuldigung beibringen konnte, erschien ihm die That,
wenn auch immerhin verabscheuungswürdig, doch minder ruchlos. Nach
chinesischen Begriffen hätten die kapitulierenden Wangs sich nämlich
alsbald wieder als Kaiserliche gebärden sollen; sie aber erschienen
vor dem Gouverneur mit vollem Haarwuchs anstatt mit rasiertem Kopfe,
sie kamen auch bewehrt, und ihre Haltung war die von Männern, die
auch künftig noch zu herrschen gedachten. Das kam dem Li unerwartet.
Die Unterhandlungen aber aus diesem Grund abbrechen, war keineswegs
thunlich, ohne eine Katastrophe herbeizuführen. General Tsching,
selbst ein Ex-Rebell, kannte seine Leute und hatte dem Li dringend zur
Hinrichtung geraten. »Macht die Anführer unschädlich«, sagte er, »und
die Hunderttausende ihrer Anhänger gelten für nichts; so allein ist
Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.« Und so erfolgte die Hinrichtung.

Um aber ehrlich und aufrichtig seinen Gang gehen zu können,
machte sich nun Gordon auf den Weg zu Li und forderte ihn auf,
eine Proklamation zu erlassen, die ihn von aller Teilnahme und
Mitwissenschaft der Hinrichtung losspräche; alsdann wolle er den
Kampf wieder aufnehmen. Es geschah, doch erst nachdem durch Hin-
und Herschreiben zwischen dem englischen Bevollmächtigten und den
chinesischen Behörden kostbare Zeit verloren gegangen war.

  »Wenn ich meiner Neigung folgte,« schrieb Gordon damals an den
  englischen Gesandten, »so würde ich das Kommando jetzt niederlegen.
  Ich bin aus allen Gefahren unverletzt hervorgegangen, und schöne
  Erfolge sind mein Lohn; aber das zusammengelaufene Volk, das unter
  dem Namen der »stets siegreichen Armee« bekannt ist, ist eine
  gefährliche Rotte, und ich halte es für meine Pflicht, das Korps
  mit aller Vorsicht aufzulösen; so lange es aber besteht, soll es
  der kaiserlichen Sache dienen ... Übrigens bin ich mir bewußt, daß
  keinerlei persönliche Interessen mich bestimmen ....«

Die Proklamation des Li war eine umfangreiche Darstellung der Dinge,
die Gordon volle Gerechtigkeit widerfahren ließ. Am 19. Februar 1864
zog dieser abermals ins Feld.

Die westlichen Distrikte waren noch immer in den Händen der Taipings
und von desperaten Rotten überlaufen. Eine von Sutschau durch Jesing,
Lijang und Kintang westwärts gezogene Linie durchschneidet das
Rebellenland in zwei Teile, mit Nanking am obern Ende und Hangtschau
am untern. Gordon beschloß auf dieser Linie zu operieren, indem er
Hangtschau einem französisch-chinesischen Heeresteil unter einem
Offizier Namens d'Aiguibelle überließ, während einem Mandarin mit den
Kaiserlichen die Belagerung von Nanking oblag.

Strategisch war dies sehr wohl geplant, aber die Ausführung war
mit Schwierigkeiten verbunden. Er verließ Kuinsan in Schnee und
Hagelwetter. Bisher war Schanghai sein Proviantmagazin gewesen, jetzt
in Feindesland war er lediglich auf sich selbst angewiesen, auch
konnten seine Schiffe ihm nicht überall hin folgen. Überdies bestanden
seine Truppen jetzt größtenteils aus Überläufern, die von Mannszucht
nichts wußten.

Über Wusieh am großen Kanal ging es zuerst nach Jesing, ein trostloser
Zug durch Ländereien, welche die Taipings seit Jahren innegehabt und
verwüstet hatten. Der Einwohner waren nur wenige übrig geblieben --
ausgehungerte Skelette, die oft froh gewesen waren, an den Leichen
Verhungerter ihren eigenen Hunger zu stillen. Jesing wurde eingenommen
und Lijang, das nächste Ziel, ergab sich ohne Widerstand. An tausend
Mann der Garnison wurden dem Korps einverleibt. Glücklicherweise war
dieser Ort wohl verproviantiert, und Gordon that sein Möglichstes,
es den ausgehungerten Landleuten zu gute kommen zu lassen. Von
Lijang ging es nach Kintang. Hier schienen die Taipings entschlossen
standzuhalten. Gordon traf seine Vorbereitungen zur Eröffnung einer
Kanonade; als diese aber eben beginnen sollte, kam schlimme Kunde.
Siebentausend Taipings aus Tschantschufu, einer Stadt nordwestlich von
Sutschau, also in seinem Rücken, hatten die Kaiserlichen überflügelt,
Fusan überrumpelt, bedrohten Wusieh und belagerten Tschanzu, wo Gordon
seinen ersten Erfolg errungen hatte. Die Rebellen hatten somit wieder
im Dreißig-Meilen-Umkreis Fuß gefaßt. Gordon beschloß aber, sich vor
allen Dingen Kintangs zu versichern, wo eine ebenso grausame als
hartnäckige Garnison zu überwältigen war.

Eine dreistündige Beschießung erzielte eine Bresche und Gordon ließ
stürmen. Aber der erste und zweite Angriff wurde zurückgeworfen. Und
hier ereignete sich das in den Augen des Korps Unglaubliche: der
»unverwundbare« Anführer erhielt einen Schuß in die Wade. Es war seine
erste und einzige Verwundung. Einen seiner Gardisten, der neben ihm
stand, hieß er schweigen und fuhr fort, seine Befehle zu erteilen, bis
er vor Blutverlust fast ohnmächtig wurde. Daß auch der dritte Anlauf
mißlang, war ohne Zweifel eine Folge von Gordons Verwundung, die ihre
Rückwirkung nicht verfehlte. Nach einem Verlust von etwa hundert Toten
und Verwundeten mußte sich das Korps nach Lijang zurückziehen!

Hier gab es eine neue Unglückspost; kein anderer als der Getreue in
Person hatte Fusan erobert. Nun hinderte zwar Gordon seine Verwundung
am Stehen, aber er konnte auch liegend Krieg führen, und die Zeit
drängte. Die Taipings erließen eine Proklamation um die andere, daß
Schanghai ihr Ziel wäre, und daß sie Sutschau auf dem Wege dahin zu
überfallen gedächten. Waren sie doch in Wusieh, keine drei Stunden
von Sutschau entfernt! Trotz seiner Verwundung machte Gordon sich
alsbald auf mit vierhundert Mann Artillerie und etwa sechshundert Mann
Infanterie, welch letztere samt und sonders nur wenige Tage zuvor noch
Rebellen gewesen, jetzt aber bereit waren, ihm überallhin zu folgen.
»Man weiß nicht, was das Erstaunlichere ist,« ruft hier mit Recht ein
englischer Berichterstatter aus, »ob der Mut, oder das Vertrauen des
verwundeten Anführers!«

Das überall zu Tag tretende Elend aber war über alle Beschreibung
grauenhaft -- ausgehungertes Landvolk auf allen Seiten; die noch
Lebenden hatten keine Kraft mehr, die Toten zu begraben, die überall
die Luft verpesteten. »Es ist entsetzlich!« schreibt ein Augenzeuge,
»von Kannibalen zu ~hören~ ist schlimm genug, aber mit eigenen
Augen Tote zu ~sehen~, denen das Fleisch von den Knochen abgenagt
ist, das übersteigt die menschliche Kraft. Man kann hier vor Ekel kaum
mehr daran denken, seinen Hunger zu stillen. Die abgezehrten Leute
machen Augen wie Wölfe und laufen den Booten nach in der Hoffnung,
einigen Abfall zu finden.

Die Taipings haben das Land rein ausgeplündert und alles Eßbare mit
fortgeschleppt.«

Mit unglaublicher Geschwindigkeit drängte Gordon indessen weiter, und
aufs neue wurde nun Sieg um Sieg erfochten.

Der letzte Schlag gegen die Rebellen geschah von Waisso aus. Die
Taipings zogen sich auf Tschantschufu zurück, allerorts aber erhob
sich das Landvolk in verzweifelter Rache, ihrer hunderte und tausende
erschlagend. Tschantschufu wurde von Li belagert, und Gordon zog
ihm mit dreitausend Mann zu Hilfe. Zwanzigtausend Taipings unter
dem Hu Wang oder Schutzkönig, gemeinhin auch »Scheel-Auge« genannt,
verteidigten die Stadt bis aufs Blut, sich tagelang wehrend. Aber
Li hatte eine Proklamation erlassen, in welcher er allen, welche
die Stadt verlassen würden, Pardon verhieß, den Hu Wang selbst
ausgenommen, und siehe da -- die Überläufer kamen massenhaft.
Schließlich erstürmte Gordon die Stadt; etwa fünfzehnhundert Taipings
fielen, aber auch das siegreiche Korps litt große Verluste. Es war die
letzte Kriegsthat desselben. Kurz vor der Einnahme der Stadt hatte
Gordon an seine Mutter geschrieben:

  »Ich werde mich natürlich versichern, daß der Aufstand wirklich
  unterdrückt ist, ehe ich meine Leute heimschicke, da ich sonst eine
  große Verantwortlichkeit auf mich laden würde .... Auf Weihnachten
  hoffe ich bei Euch zu sein. Unsere Verluste innerhalb dieser
  sechzehn Monate waren doch bedeutend: von hundert Offizieren sind
  achtundvierzig tot oder verwundet, von dreitausendfünfhundert
  Gemeinen an eintausend tot oder verwundet; aber ich habe die große
  Befriedigung zu wissen, daß, soweit es in menschlicher Berechnung
  liegt, es wohl keine sechs Monate mehr dauert, bis auch die letzte
  Handbreit Erde den Rebellen unter den Füßen weggezogen sein wird,
  während der Aufruhr sonst leicht noch sechs Jahre hätte dauern
  können. Meine Beförderung und das Lob der Leute ist mir sehr
  gleichgültig, und im übrigen werde ich China so arm verlassen als
  ich es betreten habe, doch darf ich das Bewußtsein mit mir nehmen,
  daß ich als schwaches Werkzeug dazu dienen durfte, achtzig- bis
  hunderttausend Menschenleben zu erhalten. Ich brauche keinen anderen
  Lohn. Die Rebellen von Tschantschufu gehören zu den ursprünglichen
  Anstiftern, und obgleich manch Unschuldiger mit dabei sein mag, so
  verdienen sie doch im allgemeinen das Los, das ihrer harrt. Hättest
  Du eine Vorstellung von den haarsträubenden Grausamkeiten, die sie
  verübten, so würdest Du wohl auch mit mir sagen: Strafe muß sein. Es
  sind meist Ausreißer von Sutschau, Kuinsan, Taisan, Wusieh, Jefing u.
  s. w., die sich hier schließlich zur Wehre setzen; sie halten täglich
  mehrere Dutzend Hinrichtungen ab, um die mit ihnen in der Stadt
  Eingeschlossenen an der Flucht zu hindern.«

Am 11. Mai, zwei Stunden nach der Einnahme von Tschantschufu, sandte
er in aller Eile folgenden mit Bleistift geschriebenen Brief ab:

  »Liebste Mutter! Tschantschufu wurde um zwei Uhr heute von meinen
  Truppen und den Kaiserlichen erstürmt. Übermorgen kehre ich nach
  Kuinsan zurück und werde nicht mehr zu Feld ziehen. Die Rebellen sind
  jetzt geliefert; sie haben nur noch Tajan und Nanking. Tajan wird
  wohl in diesen Tagen fallen und Nanking kann sich höchstens noch zwei
  Monate halten. Es freut mich, Dir zu sagen, daß ich wohlbehalten aus
  dem Kampfe gekommen bin.

   Dein treuer Sohn

   C. G. G.«

Nach Kuinsan zurückgekehrt, fand er daselbst die Nachricht vor, daß
die Kabinetsordre, die es einem britischen Offizier verstattete,
unter der chinesischen Regierung zu dienen, aufgehoben war. Es war
ein Glück für China, daß Gordons rasche Züge das Werk in der kurzen
Zeit vollbrachten; die letzte morsche Stütze des Taipingtums konnte
ohne ihn zusammenbrechen. Mehrere feste Plätze der Rebellen ergaben
sich ohne weiteres auf die Kunde hin, daß Tschantschufu gefallen sei.
Nanking allein hielt noch aus, trotz Hungersnot. Aber Gordon konnte
dem endlichen Sieg dort nicht ohne Besorgnis entgegensehen, galt es
doch den Bestand seiner errungenen Erfolge. Er machte sich daher
selbst nach Nanking auf den Weg, wo Tseng Kwo-fan kommandierte. Von
einer Anhöhe oberhalb des Porzellanturmes besichtigte er die Stadt.
Die Mauer war vierzig Fuß hoch und dreißig Fuß breit. Er sah, wie
einige Taipings sich an Stricken herunterließen, um außerhalb Linsen
zu sammeln; man wehrte es ihnen nicht. Innerhalb der Stadt waren große
leere Plätze, und an vielen Stellen waren die Wälle ganz verlassen.
Die kaiserliche Belagerungslinie erstreckte sich weithin mit einer
doppelten Reihe von Schanzen und einhundertvierzig Lehmforts, je
achtzehnhundert Fuß von einander entfernt und mit je fünfhundert Mann
Besatzung.

Seine »stets siegreiche Armee« verabschiedete nun Gordon auf eigene
Verantwortung, jedoch im Einverständnis mit Li. Er entledigte
sich dieser seiner letzten Pflicht mit derselben Festigkeit und
Selbstlosigkeit, die ihn durchweg gekennzeichnet hat. Er behielt
sich vor, Offiziere wie Gemeine nach Verdienst zu belohnen, und die
chinesische Regierung gestattete ihm dies um so bereitwilliger, als er
für sich selbst auf allen Lohn verzichtete. Jeder Offizier, der eine
Verwundung davongetragen hatte, erhielt die Summe von achtzehntausend
Mark; die andern je nach Verhältnis. Ein Preuße, Namens Schamroffel,
der bei Sutschau um beide Augen kam, erhielt zweiunddreißigtausend
Mark. Die nicht verwundeten Gemeinen erhielten je einen Monat
Löhnung und Reisegeld in ihre Heimat. So wurde die stets siegreiche
Armee aufgelöst, die während der sechzehn Monate unter Gordons
Oberbefehl vier Hauptfestungen und ein Dutzend befestigte Plätze
eingenommen und in einer Reihe von Gefechten eine Anzahl von Feinden
außer Kampf gesetzt hatte, die, gering gerechnet, fünfzehnmal ihre
eigene Streitkraft überstieg. Und der Aufruhr, dem sie in voller
Blüte entgegengetreten, lag nun in den letzten Zügen: die hungernde
Hauptstadt des Usurpators konnte sich nicht mehr lange halten.

Die kaiserliche Regierung hatte Gordon eine stattliche Belohnung
zugedacht -- zweimalhunderttausend Mark; allein er wies sie zurück wie
vorher die siebzigtausend Mark. Und selbst von seiner während der 16
Monate bezogenen Besoldung hatte er den größten Teil nicht für sich,
sondern für seine Soldaten ausgegeben. Mit Recht konnte er sagen: ich
verlasse China so arm wie ich es betreten!

Li that was er konnte, seinem scheidenden Freunde mit Auszeichnung
zu begegnen. Nie war ihm ein solcher Mann in seinem eigenen Volke
vorgekommen, und die Ausländer, mit denen er zu thun gehabt, waren
immer Leute gewesen, die sich für etwaige Dienste gut hatten bezahlen
lassen. Nun lernte er die menschliche Natur von einer ganz neuen
Seite kennen -- daß es die vom Christentum durchdrungene, erneute
menschliche Natur war, verstand der Chinese nicht -- und eine
lebenslängliche Bewunderung und Liebe für unseren Helden war das
Ergebnis. Li hat es bis heute nicht vergessen, daß Gordon ihn einst
im höchsten Zorn mit der Pistole verfolgte, weil er sich durch
Wortbrüchigkeit eine That hatte zu Schulden kommen lassen, die der
edle Sinn des Briten nicht verwinden konnte.

Es bereitete der kaiserlichen Regierung einen ordentlichen Kummer,
daß Gordon sich nicht lohnen lassen wollte; ihn nach Möglichkeit zu
ehren, war ihr deshalb ein Anliegen. Er wurde zum Range eines Ti-tu
erhoben, d. h. zur obersten Mandarinenwürde, auch erhielt er die gelbe
Jacke mit der Pfauenfeder, was den höchsten Orden im europäischen
Sinne gleichkommt. »Mir liegt nichts an diesen Dingen,« schreibt er
an seine Eltern, »aber ich weiß, daß sie Euch Freude machen,« und er
nahm sie an, wie auch eine goldene Kette, die Prinz Kung von seinem
eigenen Halse löste mit den Worten: »Dies wenigstens sollen Sie mir
nicht abschlagen!« Gordon ließ sich die Kette umhängen, aber es
erging dieser Kostbarkeit nicht besser als manchen anderen, die er
erhalten hat. Auf der Heimreise nämlich begab es sich, daß für eine
arme Soldatenwitwe gesammelt wurde. Gordon ging in seine Kajüte,
und da er fand, daß seine Barschaft ihm nur eben bis in die Heimat
reichen würde, kam er mit jener Ehrenkette zurück und legte sie
stillschweigend auf den Teller der Witwe. Ja, selbst eine Medaille,
welche die Kaiserin-Mutter von China ihm mit ihrem besonderen Dank
übersandte und die er werthielt, verschwand nach einiger Zeit aus
seinem Besitz. Nicht einmal seine nächsten Angehörigen wußten,
was daraus geworden. Nach Jahren verriet es ein Zufall. Bei einer
Hungersnot unter den Fabrikarbeitern in Manchester, welche infolge
der Baumwollenkrisis während des amerikanischen Krieges ausgebrochen
war, hatte Gordon, dessen Kasse oft durch Liebeswerke erschöpft
war, sich seiner Medaille erinnert. Er vertilgte die Inschrift und
sandte die schwere Goldmünze als Beitrag an einen Geistlichen jener
Stadt. Einer, der ihn persönlich kannte, sagt von ihm, daß er sich
stets grundsätzlich von Dingen trennte, die ihm wert waren oder die
irgendwie der Eigenliebe Vorschub leisten konnten. »Man muß sich auch
von seinen Medaillen trennen können,« war späterhin in Freundeskreisen
eine Redensart von ihm. In einem seiner Sudanbriefe aus dem Jahr
1874 findet sich folgende Stelle: »Wie ist mir's gelohnt worden, daß
ich damals die Inschrift (jener Medaille) vertilgte, tausendfältig
gelohnt! Es giebt jetzt nichts mehr auf der Welt, woran mein Herz
hängt. Ihre Ehren? sie sind hohl. Ihr sonstiger Tand? mir ganz
gleichgültig. So lang ich lebe, schätze ich die Gottesgabe Gesundheit,
das ist Reichtum genug.«

Prinz Kung ließ Gordon nicht ziehen, ohne ein chinesisches Zeugnis
seiner Tüchtigkeit an die englische Regierung zu senden. »Wir wissen
uns nicht zu helfen,« sagte dieser Fürst zum britischen Botschafter,
»er nimmt kein Geld an, und was wir an Ehren ihm verleihen können,
ist geschehen; aber auch dies schlägt er gering an, und deshalb
habe ich Ihnen dies Schreiben an die Königin von England gebracht,
damit sie ihm einen Lohn gebe, der vielleicht mehr gilt in seinen
Augen.« Des Lobes und der Dankbarkeit in diesem Schreiben war in der
That kein Ende, und die Zuschrift an die britische Majestät schloß
mit den Worten: »Der Titel Ti-tu verleiht ihm den höchsten Rang in
der chinesischen Armee; der Prinz möchte aber hiermit die Hoffnung
aussprechen, daß wenn die englische Regierung dem Heimkehrenden irgend
welche Ehrenbeförderung kann zukommen lassen, der britische Minister
es nicht unterlassen möge, solche zu befürworten, damit alle Welt
erkenne, daß seine Heldenthaten und seine persönlichen Eigenschaften
nicht hoch genug zu schätzen sind.«

Der chinesische Brief soll irgendwo »zu den Akten« gelegt worden
sein, ohne seine Bestimmung zu erreichen. Die Anerkennung seitens
der englischen Regierung war jedenfalls eine sehr langsame. Dem
damaligen Kriegsminister soll sogar der Name des Oberstleutnant
Gordon ganz unbekannt gewesen sein! Dafür ließ die Stimme des
Volkes sich hören, und »Chinesen-Gordon« lautet der aus jener Zeit
stammende Ehrentitel, der unserem Helden im Volksmund noch immer
anhängt. »Nie,« sagte die Times in jenen Tagen, »hat ein sogenannter
Glückssoldat[4] ein feineres Verständnis für die militärische
Ehre an den Tag gelegt, als der Mann, der nach einer Reihe von
glänzenden Siegen soeben sein Schwert niedergelegt hat. Sein Heldenmut
gegenüber den Widerstandleistenden, seine Barmherzigkeit gegen die
Überwundenen werden nur durch sein selbstloses Außerachtlassen alles
dessen überboten, was ihm persönlichen Gewinn hätte bringen können
... Das Ergebnis seines chinesischen Feldzugs läßt sich kurz dahin
zusammenfassen: er fand die fruchtbarsten Distrikte Chinas verwüstet
und in den Händen von räuberischen Rebellen. Die reichen Gegenden der
Seidenzucht waren eine Stätte barbarischer Greuel; den altberühmten
Städten Hangtschau und Sutschau drohte das Los Nankings, sie waren
nahe daran, im Besitze der Rebellen zu Grunde zu gehen. Gordon hat
den Aufstand mitten entzweigeschnitten, die Städte erobert, die
Räuberhorden aufgelöst; und all dies nicht nur durch die Macht seines
Schwertes, sondern vielfach durch die bloße Wirkung seines Namens.«

Sein Tagebuch hatte er vor seiner Abreise nach Hause gesandt.

  »Ich wünsche aber keine Veröffentlichung,« schreibt er dazu, »je
  bälder diese Geschichte vergessen ist, desto besser; ich weiß
  nämlich durchaus nicht, ob wir (die Engländer) ein Recht hatten uns
  einzumischen. Meinesteils bin ich ruhig im Gedanken, ein Werk der
  Menschlichkeit vollbracht zu haben, doch kann ich nicht erwarten, daß
  Fernstehende es eben so ansehen und billigen.« --

Gordon war dringend nach Peking eingeladen worden, aber er lehnte die
Aufforderung ab, wohl wissend, daß man ihn dort mit fürstlichen Ehren
empfangen würde. In Schanghai aber hielt er sich vor der Abreise noch
eine Zeit lang auf, um den Chinesen einigermaßen zu einer Armee nach
europäischem Begriff zu verhelfen.

  »Ich mache hübsche Fortschritte, die chinesischen Offiziere
  einzuüben,« heißt es in seinem letzten Brief aus China, »es geht
  leichter, als ich dachte!«

Und in eben jenen Tagen, während er als einfacher Exerziermeister
sich bestrebte, Nützliches zu hinterlassen, fiel Nanking. Jeden Fuß
breit, bis in den Palast des himmlischen Königs, verteidigten die
Taipings mit verzweifeltem Mut. Hung hatte seit Monaten in seiner
Teilnahmlosigkeit verharrt, die man nur als eine Phase seines
Wahnsinns betrachten kann. Es durfte ihm niemand sagen, daß die Stadt
sich nicht werde halten können; und bis zuletzt bestand er auf seiner
göttlichen Herkunft. »Ich bin der Herr von zehntausend Völkern,
wen sollte ich fürchten?« rief er. »Ich habe Befehl von Schang-ti
(Gott) und von Jesus selbst, dies Reich zu regieren.« Als der Getreue
ihm einst dringend zur Flucht riet, entgegnete er: »Fürchtest du
den Tod? Ich, der wahre Herr, kann ohne Truppen bestimmen, daß
das Reich des großen Friedens sich bis an die äußersten Grenzen
erstrecke.« Die Berge, die Ströme, die Völker seien sein, sagte
er; und ließ die andern Wangs für sich kämpfen und seine Minister
schalten und walten, wie sie wollten. Nur in ~einem~ war er
unerbittlich: nie durfte man ihn anders als in religiösen Phrasen
und mit kriechender Unterwürfigkeit anreden. Einem die Haut bei
lebendigem Körper abziehen, war von Anfang an seine Lieblingsstrafe
gewesen; jetzt wollte er jeden dazu noch gevierteilt sehen, der es
unterließ, von ihm anders als von dem »Himmlischen« zu reden. Die
letzten Monate seines unglücklichen Daseins verbrachte er unter seinen
Weibern mit religiösen Andachten. Als man ihm mitteilte, daß nur die
allerwohlhabendsten Leute der Stadt noch zu essen hätten, erließ er
eine Verordnung, daß die anderen sich von »duftenden Kräutern« nähren
sollten, wozu er selbst ein gutes Beispiel zu geben wähnte, indem er
Gemüse aus dem königlichen Garten zur Tafel befahl.

Der getreue Wang wußte wohl, wie es stand, aber Untreue gegen seinen
Herrn scheint ihm nie als eine Möglichkeit vorgeschwebt zu haben. Nach
dem Fall von Sutschau war er zum letztenmal nach Nanking zurückgekehrt
in der Hoffnung, diese Stadt abermals zu entsetzen. Ihm selbst gelang
es, Eingang zu finden, aber seine Truppen hatte er eingebüßt, weil
es weithin an allem Proviant gebrach. Zu Ehren dieses Mannes sei's
gesagt, daß er sich mit Aufbietung all seiner Kräfte und Mittel nun
bestrebte, die Eingeschlossenen vor dem Verhungern zu schützen. Er
erzählt in seinem Tagebuch, daß man sich täglich dem Himmlischen zu
Füßen werfe, aber dieser gestattete keinem, das Wort Übergabe auch
nur in den Mund zu nehmen. Den Rat des Getreuen, die Weiber und
Kinder fortzulassen, verachtete er und wandte sich dem Schildkönig
zu. Der Getreue aber that heimlich was er konnte, und zu tausenden
verließen Weiber und Kinder die Stadt. Der kaiserliche General Tseng
nahm alle auf und ließ ihnen Nahrung reichen. Der Schildkönig war ein
Banditenanführer, und täglich gab es Mord und Totschlag unter den
unglücklichen Taipings.

Die Tage des großen Friedens waren gezählt. Ob der tolle Schulmeister
wohl je an seine Jugend zurückdachte, da er noch von keinem anderen
Ehrgeiz beseelt war, als im Examen zu bestehen? Ob er sich sein
bisheriges Leben vergegenwärtigte? Ströme von Blut bezeichneten seine
Laufbahn durch die Länge und Breite des blumigen Landes. Friedliche
Städte hatte er in Räuberhöhlen verwandelt, fruchttragende Felder in
Wüsteneien. Und nun das Maß voll war und er inmitten seiner wilden
Horden dem sicheren Tod ins Auge sah, krönte er sein entsetzliches
Leben damit, daß er eigenhändig seine Weiber aufhängte und dann Gift
nahm.

Nach seinem Tod bestieg sein ältester Sohn, Hung Fu-tien, als der
»junge Herr« den angeblichen Thron; der aber war ein sechzehnjähriger
Jüngling, in vollständiger Unwissenheit aufgewachsen. Die Belagerer
bedrängten die Stadt mehr und mehr. Am 8. Juli wagte der Getreue einen
Ausfall, wurde aber zurückgeschlagen; am 19. gelang es den Belagerern,
mittelst einer Riesenmine, die vierzigtausend Pfund Pulver enthalten
haben soll, die Mauer zu sprengen; sie drangen unaufhaltsam in die
Stadt. Der Getreue leistete zum letztenmal Widerstand, aber die Stunde
der Taipings war gekommen; bis Mitternacht hatte er noch den Palast
des Tien Wang verteidigt, um den »jungen Herrn« und seine weinenden
Angehörigen zu schützen, und als alles zu Ende ging, hatte er den
Palast und seine eigene stattliche Wohnung in Brand gesteckt. In der
allgemeinen Verwirrung, zwischen Feuer, Totschlag und Fluchtversuchen,
legte er eine letzte Probe seiner seltenen Treue ab, indem er den
»jungen Herrn«, der mit zwei seiner Geschwister ihn flehentlich um
Rettung bat, auf sein eigenes tüchtiges Pferd setzte, während er
selbst auf einem ausgehungerten Klepper zu entfliehen versuchte.
»Obgleich der Tien Wang dahin war und alles verloren,« heißt's
in seinem Tagebuch, »so konnte ich doch als einer, dem er einst
wohlwollte, nicht anders, als wenigstens den Versuch machen, seinen
Sohn zu retten.« Daß der Tien Wang ihm schließlich nur mit Undank
gelohnt hatte, schien dieser Edelste der Taipings in seiner schönen
Hingabe vergessen zu haben.

Es gelang dem »jungen Herrn« sowie auch dem Getreuen und dem
Schildkönig, mit etwa tausend anderen zu entkommen; sie wurden aber
bald von einander getrennt. Als der Getreue fand, daß sein Tier ihn
nicht mehr tragen konnte, suchte er Schutz in einem Tempel; dort
wurde er von Landleuten erkannt, die ihn knieend baten, sich den
Kopf rasieren zu lassen und verkleidet zu entfliehen. »Ich bin der
Diener eines Königs, der nicht mehr ist,« entgegnete er, »es wäre ein
Unrecht an den Gefallenen, ließe ich mir das Haar scheren.« Er fiel
in die Gefangenschaft der Kaiserlichen und wurde samt dem Schildkönig
enthauptet. Während der letzten Tage seines Lebens schrieb er seine
Erinnerungen, die in gedrängter, klarer und durchaus glaubhafter
Darstellung den ganzen Aufstand schildern.

Was den »jungen Herrn« betrifft, so brachte des Getreuen Pferd ihn
in vorläufige Sicherheit. Aber weder seine Erziehung noch sein
genußsüchtiges Leben in der Gesellschaft seiner jungen Königinnen
hatten ihn dazu geschickt gemacht, mit dem Unglück zu kämpfen. Nachdem
er sich etliche Wochen im Gebirg herumgetrieben und angefangen, im
Hunger sich den Tod zu wünschen, fiel auch er den Kaiserlichen in die
Hände. Trotz seiner inständigen Bitte, ihn am Leben zu lassen, »damit
er noch etwas lernen könne und sein Examen mache,« wurde er alsbald
hingerichtet.

Im November des Jahres 1864 schickte sich Gordon zur Heimreise an.
Die Kaufleute von Schanghai faßten seine Verdienste um China in einer
äußerst anerkennenden Denkschrift zusammen, die besonders auch darauf
Wert legt, daß seine edle Selbstlosigkeit viel dazu beitragen werde,
die Chinesen von ihrem Mißtrauen gegen alle Ausländer zu heilen. Als
Gordons Tod bekannt wurde, kamen Zeugnisse aus dem fernen China, daß
man seiner dort in Liebe gedenke; und als Gordon in Khartum gefallen
war, da schickten der Kaiser und Li und andere, die ihm ihren Dank
bewahrt hatten, erhebliche Beiträge zu dem Gedächtnisfonds, damit ein
würdiges Denkmal für den Helden erstehe.

Aber das schönste Zeugnis stellt ihm ein Taipingführer aus, der nach
dem Fall von Sutschau geschrieben hat: »Fern sei es zu behaupten, daß
Gordon um die Greuelthaten wußte. Bei aller Kenntnis des brutalen
Verfahrens, dessen mancher, den Namen Engländer entehrend sich
schuldig macht, glauben wir doch keinen Augenblick, daß der ehrenwerte
Anführer der Armee, die sich die siegreiche nennt, jene mörderischen
Greuel guthieß ... Wir wissen, daß Gordon es stets bitter beklagte,
wenn Grausamkeiten verübt wurden, die er nicht verhindern konnte, und
daß in seinem Herzen der Gedanke brennen muß, wie in seinem Heimatland
solche Greuel vielleicht ihm zur Last gelegt werden. Möge es ihm eine
Genugthuung sein zu wissen, daß unter seinen Feinden, die lieber seine
Freunde wären, jene Thaten ihm nicht zugerechnet werden. Gefiele es
doch dem Himmel, daß irgend ein unwürdiger Abenteurer seine Stelle
einnähme, einer, den man nicht betrauern müßte, wenn er erschlagen
würde! Statt dessen kann ich es bezeugen und habe es mehrmals mit
eigenen Augen gesehen, wie im Schlachtgetümmel einem niederträchtigen
Engländer, den Geldgier in unsere Reihen führte, die Flinte aus der
Hand geschlagen wurde, wenn er von gedecktem Standpunkt aus auf den
stets furchtlos sich bloßstellenden Gordon zu zielen sich unterstand.
Und der solchem Meuchelmord wehrte, war immer einer unserer Anführer,
ja einmal kein anderer als der Schildkönig selbst!«




                            Drittes Buch.

                            In der Stille.


»Es ist einer auf dem Heimweg,« schreibt Gordon an seine Mutter im
November 1864, »aber es ist ihm nicht darum zu thun, daß es bekannt
werde.« Gefeiert zu werden war, wie wir wissen, nicht nach seinem
Geschmack; wozu auch? meinte er, er habe nur seine Pflicht gethan.
Der Geschichtschreiber der stets siegreichen Armee sagt, daß er über
die Persönlichkeit Gordons von ihm selbst wenig Auskunft erhalten
und daß der Leser, in dem die Berichte von Krieg und Sieg mit der
Verherrlichung Gordons unwillkürlich zusammenfließen, sich ohne
Zweifel wundern würde, wenn er den jungen Mann und seine ruhige,
zurückgezogene Art sehen könnte. Freude an energischer Thätigkeit,
Selbstaufopferung und Pflichtbewußtsein seien offenbar die Triebfedern
seines Wesens. Äußerlich aber habe der tief fromme Soldat nichts von
all dem an sich, was sonst den kühnen Anführer einer irregulären
Soldateska kennzeichne.

Kaum war Gordon im Kreise der Seinigen in Southampton angelangt, da
regnete es auch schon Einladungen aus der vornehmen Welt. Er hatte
den Mut, sie alle abzulehnen. Im engen Familienkreise nur ließ er
sich herbei, seine chinesischen Erlebnisse zu beschreiben; und die
so glücklich waren, es mit anzuhören, fanden die Berichte fast
märchenhaft, fast wie eine Heldensage aus vergangener Zeit. Mit
Ingrimm konnte er da wohl die Greuel des Rebellentums beschreiben,
aber seine Stimme wurde stets leise, wenn von Sieg die Rede war, denn
dann gewann neben der Bescheidenheit des Erzählers Mitleid mit den
Überwundenen die Oberhand. Niedergeschrieben wurde nichts von all dem,
außer was bewunderndes Interesse in die Herzen der Hörer eingrub.
Selbst das Tagebuch, das Gordon aus China nach Hause gesandt hatte,
fiel seiner Demut zum Opfer. Er wünschte keine Veröffentlichung, wie
er bei der Übersendung schrieb. Leihweise fand es indessen seinen Weg
in die Hände eines der Minister, und dieser war daran, es privatim
drucken zu lassen, damit seine Kollegen es auch lesen könnten. Eines
Abends hörte Gordon zufällig davon und begab sich stehenden Fußes nach
der Wohnung des betreffenden Herrn, traf ihn aber nicht zu Hause; doch
erfuhr er den Namen des Druckers, eilte zu diesem und verlangte sein
Manuskript zurück mit dem Befehl, das bereits Gesetzte zu zerstören.
Was jenes Tagebuch betrifft, so hat es niemand je wieder gesehen.
»Ich besitze wenig auf der Welt,« pflegte er zu sagen, »meinen Namen
könnten die Leute mir jedoch als Privateigentum lassen«. Von wie viel
tausend Zungen ist der Name Gordon seither mit Bewunderung genannt
worden!

Im folgenden Jahre wurde ihm die Ernennung als königlicher
Ingenieur-Kommandant zu Gravesend, wo in Aussicht auf einen möglichen
Krieg mit Frankreich neue Forts an der Themse aufgeführt werden
sollten. In Anerkennung seiner Verdienste erhielt er um diese Zeit
den Ritterorden +of the Bath+.[5] Er war mittlerweile zum
Oberst-Leutnant avanciert.

In Gravesend war er sechs Jahre, die schönste Zeit seines Lebens
-- arm nach außen in den Augen der Welt, reich nach innen an den
christlichen Früchten der Hingabe und zwar unbewußter Hingabe und der
edelsten reinsten Menschenliebe. Er selbst hat es ausgesprochen, daß
es die glücklichsten, friedlichsten Tage seiner Wallfahrt waren, und
damit giebt er sich selbst ein hohes Zeugnis. Wie ergreifend, wie
herrlich ist das Bild des Mannes, der Thaten vollbracht wie wenige und
der nun seine ganze Freude darin findet, in der Stille an den Armen,
den Kranken, den Verlassenen, den leiblich und geistig Darbenden Gutes
zu thun. Als eine Art Heiliger soll der Mann keineswegs gezeichnet
werden; das wäre eine Übertreibung, die er selbst am meisten beklagt
hätte. Er hatte seine Gebrechen wie alle Menschen, so unterlag er z.
B. hin und wieder seiner Heftigkeit; seine Gleichgültigkeit gegen das
Urteil der Leute grenzte zuweilen ans Rücksichtslose, und wenn er sich
eine Meinung in den Kopf gesetzt hatte, so war es nicht immer leicht,
ihn eines anderen, vielleicht besseren, zu belehren; trotzdem aber
kann der Leser aus folgenden Zügen reichlich erkennen, daß Christus in
diesem Manne eine Gestalt gewonnen hatte, die den meisten Menschen,
ja den meisten Christen ein beschämendes, aber andererseits auch
aufmunterndes Beispiel sein kann.

Gordon war ein ideal angelegter Mensch, aber das Ideale wurde in ihm
sofort real, praktisch. Sein Christentum war kein enges, frömmelndes,
sondern eine große, tiefe, treue Liebe zu seinem Heiland, die alle
Menschen als Brüder umschloß, ein rechter Israeliter, in welchem kein
Falsch ist! Ob und wann es in seiner Lebensentwicklung einen Zeitpunkt
gab, den man seine »Bekehrung« nennen könnte, ist nicht ersichtlich
-- ernste Eindrücke empfing er schon in Pembroke; das aber ist nicht
zu verkennen, daß ihm Gravesend zum Patmos wurde, wo sein Glaube sich
höher schwang und seine Liebe sich vertiefte, wo er nach dem Worte
lebte: »Simon Johanna, hast du mich lieb? Weide meine Schafe.«

Er lebte nur für andere. Sein Haus -- und es war ein großes, viel zu
groß für seine bescheidenen Junggesellenbedürfnisse -- war Schule,
Kranken- und Armenhaus in einem; ein zufälliger Besucher hätte es
eher für die Behausung eines Stadtmissionars gehalten als für die
Dienstwohnung eines Offiziers. Kein Notleidender klopfte je vergebens
an seine Thür; alle Hilfsbedürftigen hatten ein Anrecht an ihn, aber
am meisten zog sein Herz ihn zu den sogenannten Straßenjungen. Nie
ging er an einem vorüber ohne ihn anzureden. Er lud sie ein, zu ihm
zu kommen, und versammelte sie bei sich in Klassen, wozu mehr als
ein Zimmer seines Hauses herhalten mußte. Die ganz verkommenen und
heimatlosen behielt er eine Zeit lang bei sich, kleidete und reinigte
sie, um sie dann, am liebsten als Schiffsjungen, unterzubringen. Er
nannte sie seine »Könige« -- als Deutscher hätte er wohl »Prinzen«
gesagt. Einer seiner Bekannten, der ihn einmal besuchte, wunderte
sich, warum auf der Weltkarte in seinem Arbeitszimmer so viel
Stecknadeln mit Fähnchen angebracht waren, und erfuhr dann, daß
Gordon auf diese Weise seine »Prinzen« auf ihren Fahrten begleite;
und er vergaß keinen in seiner täglichen Fürbitte. Seine Prinzen
vergalten ihm die Liebe aber auch mit begeisterter Anhänglichkeit. Sie
vertrauten ihm und lernten von ihm mit der Wahrheit umgehen; und wenn
einer Unrecht that, so wußten sie, daß sein Mitleid immer größer war
als sein Mißfallen. Drei der Jungen hatten einmal das Scharlachfieber
in seinem Hause; er pflegte sie und verbrachte mehrere Stunden der
Nacht an ihrem Bette.

Auch die Armenschule besuchte er; an den Sonntag-Nachmittagen konnte
man ihn sicher daselbst antreffen, und die es mit Augen gesehen
haben, sagen, kein erhebenderes Bild lasse sich denken als den Helden
Chinas, der den armen Kindern mit heiliger Wärme biblische Geschichten
erzählte, ja mit einer Begeisterung, als führe er sie durch Kampf zum
Sieg. Für jedes einzelne interessierte er sich persönlich, kannte ihre
Lage, ihre Sorgen, suchte sie in ihrer Armut auf und ließ sie zu sich
kommen. Der Armenschule in Gravesend hat er auch seine chinesischen
Trophäen geschenkt, nämlich die seidenen Fahnen, die seine Siege
bekundeten. Ein anderer hätte sie allenfalls einem Monarchen zu Füßen
gelegt; ihn freute es, daß seine Armenschüler damit eine Auszeichnung
gewannen. Mehr als einer jener armen Jungen, der jetzt ein gemachter
Mann ist, und, was besser ist, ein Christ, dürfte ein schöneres
Denkmal für den gefallenen Helden sein, als irgend eines, das seine
Nation ihm zu errichten vermöchte.

Einer seiner »Prinzen« schreibt unterm 12. März 1885: »Nichts freut
mich mehr, als es bezeugen zu dürfen, was der liebe gute General
für mich und andere gethan hat, während er in Gravesend lebte. Zu
der Zeit, als ich in seinem Hause Aufnahme fand, traf ich dort noch
eine Anzahl anderer Jungen, die alle gleich mir kränklich waren;
unsere Eltern hatten nicht die Mittel, uns hinreichende Nahrung
zu gewähren. Der General aber hatte uns fast täglich bei sich zum
Mittag- und Abendbrot, und wir durften mit ihm am selben Tisch essen.
Drei von uns (darunter ich), die es am nötigsten hatten, schickte
er in das Seebad-Krankenhaus nach Margate, wo er je 16 und 18 Mark
wöchentlich Kostgeld für uns zahlte. Ich war ein volles halbes Jahr
dort, die beiden anderen, ein Junge und ein Mädchen, jedes drei
Monate. Ich danke jetzt noch dem lieben Gott dafür; denn von jener
Zeit datiert meine Gesundheit ... Später hat er mich auch auf einem
Schiff untergebracht und die Lehre bezahlt; ich kann ihm nie genug
danken. Ein anderer Junge, der mit mir dort war, ist jetzt Lotse, und
das verdankt er auch dem General ... Es drängt mich, dies bekannt zu
machen als ein Beispiel von dem, was der liebe General an vielen that.
»Seine Jungen« nannte er uns. Kaum ein Abend verging, daß er nicht
ein Dutzend von uns bei sich hatte, meist Fischerjungen, die nicht
zur Schule gehen konnten; er unterrichtete uns, und wenn das Lernen
vorbei war, durften wir Domino oder Schach spielen, und im Sommer
gab es Cricket. Wenn die Jungen alt genug waren, brachte er sie auf
Kauffahrteischiffen unter, manchmal auch in der Marine. Keinen ließ er
gehen, ohne ihn mit der nötigen Kleidung zu versorgen.«

Auch später, als Gordon selbst wieder in weite Ferne zog, verlor
er keineswegs das Interesse an seinen »Prinzen«. Mit manchen
korrespondierte er, nach anderen erkundigte er sich, und wo Hilfe not
that, schickte er auch Geld. Hier sind einige Sätze aus einem der
vielen Briefe, die er an einen Freund in Gravesend richtete:

     Galatz, 27. Februar 1872.

  »Es freut mich zu hören, daß Georg P. verheiratet ist und daß Billy
  Arbeit gefunden hat ... Ich habe meinen Wagen und die Pferde verkauft
  -- ganz unnötiger Luxus ... Meine Grüße an Birls und Ridley; diese
  beiden Jungen könnten manchen aus den besseren Ständen zum Muster
  dienen. Was den M. betrifft, so sollte er als Junggeselle bei 25
  Mark wöchentlichem Verdienst etwas zurücklegen können; ich lasse ihm
  weniger Trunk und mehr Fleiß empfehlen. Ich bedaure, daß Sie, wie Sie
  sagen, beinahe angeschwindelt worden sind. Weisheit in Geldsachen
  geht uns beiden ab; doch ist es ein Trost, zu wissen, daß Gott uns
  immer wieder durchhilft, und wenn wir nicht selbst manchmal Mangel
  empfänden, so wüßten wir nicht, was ~Geben~ ist; von unserem
  Reichtum geben ist keine Kunst. Ich lasse dem Harry A. für seinen
  Brief danken, es freute mich von ihm zu hören. Auch der Frau K.
  meinen Dank -- hat Karl Arbeit? Sie ist ein braves Frauchen, und es
  würde ihr wohlthun, wenn Sie sie besuchen wollten. Auch nach dem
  jungen Fordham könnten Sie sehen, erkundigen Sie sich doch, was er
  vorhat; in seiner Schule wird es zu erfragen sein. Das Kunstwerk von
  Brief ohne Unterschrift ist wohl von dem kleinen Arthur W..., sagen
  Sie ihm, er müsse vor allen Dingen wachsen, bis er über den Tisch
  sehen kann, und danken Sie ihm für den Brief. Sagen Sie der Frau M.
  ein tröstliches Wort ...; es thut mir sehr leid, zu hören, daß E..
  seine Stelle verloren hat; sagen Sie es ihm mit einem herzlichen
  Gruße ....«

Es erhellt schon aus diesem Briefe, daß er sich nicht nur der Jungen
annahm. An Sonntagen hielt er regelmäßig eine Bibelstunde für alle
Armen, die kommen wollten. Gepredigt im eigentlichen Sinne hat er
dabei nicht, aber wie er ihnen die Bibel auslegte und was er ihnen
von der Liebe Gottes sagte, das kam vom Herzen und ging zum Herzen.
Als er Gravesend verließ, haben die Armen, denen er auf diese Weise
Gutes gethan, aus eigenem Antrieb ihre Scherflein zusammengelegt und
ihm eine schöne Bibel geschenkt; es war eine Gabe dankbarer Liebe wie
selten etwas.

Auch der Kranken nahm er sich an. Furcht vor Ansteckung kannte er
nicht; er besuchte Häuser in den Armenquartieren, wohin andere zu
gehen sich scheuten. Wenigstens einmal wöchentlich erschien er im
Armenspital, und nie kam er mit leeren Händen. Was seine Freunde
etwa ihm zuschickten, schöne Trauben oder Erdbeeren zu früher
Jahreszeit, das wanderte zu den Kranken. Und die Liebe, die aus seinen
Augen strahlte, und die liebliche Art seines Wesens war den Leuten
erquicklicher noch als seine Gaben. Da las er denn auch ein paar
Bibelworte und betete mit ihnen und verließ sie getröstet. Und sie
zählten die Tage bis er wieder kam, sie richteten sich auf an seiner
wahren Teilnahme, ja manches geprüfte Herz sah da den Himmel offen und
lernte an den Heiland glauben, der alle Schmerzen auf sich genommen
hat.

Seine einzelnen Samariterdienste sind nicht zu zählen. Er hatte eine
leidenschaftliche Freude an Blumen, hatte auch einen schönen Garten
zu Gravesend, wo er sie pflegen konnte, aber wenn sie erblüht waren,
trug er sie in die Krankenzimmer der Armenquartiere. Er hört von
einer kranken Frau und geht hin, findet sie in Kälte und Elend, da
zündet er eigenhändig ein Feuer an und macht ihr eine Tasse Thee. Dann
schickt er ihr eine Wärterin und bezahlt den Doktor. Die Frau lebt
heute noch, voll Lobes über seine Liebesthat. Ein andermal hörte er,
daß eine Familie in Gefahr ist, aus ihrer Wohnung gewiesen zu werden;
er zahlt die rückständige Miete und entzieht sich dem Danke. Unter
seinen besonderen Schützlingen war ein alter Mann, der seit Jahren
gelähmt war: nur die linke Hand konnte er noch bewegen, auch konnte
er liegend lesen. Gordon sorgte dafür, daß ihm täglich eine Zeitung
zukam. Derselbe gelähmte Mann klagte ihm einst, daß die Fliegen ihn so
quälten, weil er sich ihrer nicht erwehren könne. Gordon sagte nichts,
aber am andern Tage erschien ein den Leuten anfänglich unerklärliches,
mit Schleierstoff überzogenes Gestell. Es war eine Vorrichtung, den
Kopf des Mannes vor den Fliegen zu schützen, ohne ihn am Lesen zu
hindern.

Ja die Armen und Kranken zu Gravesend, denen er nie vorpredigte, ihr
Elend sei der Wille Gottes, erinnern sich seiner mit lebenslänglicher
Dankbarkeit. Ein alter Mann erzählt, seiner damals leidenden Frau
seien kräftige Suppen und Wein verordnet worden, die er aus seinen
Mitteln nicht bezahlen konnte, aber der gute Oberst habe, als er davon
gehört, täglich eigenhändig Suppe oder Wein gebracht, und als es ihr
wieder besser ging hätte er ihnen aus der Bibel vorgelesen, und das
sei schön gewesen. Niemand beklagte seinen Tod aufrichtiger als dieser
alte Mann, wenn es nicht jene alte Frau war, an deren Jungen er Gutes
gethan hatte. Diese hatte schwer mit Armut zu kämpfen gehabt. Als es
bekannt wurde, Gordon sei tot, meinte die fromme Einfalt, sicherlich
würde er in London begraben werden, und schickte sich an, ihren ganzen
Besitz, ein paar Fischernetze, zu verkaufen, um die Mittel zu einer
Reise nach London aufzutreiben. »Ich muß sein liebes Gesicht noch
einmal sehen,« sagte sie, »es mag kosten was es will, und wenn ich
nachher Hungers sterbe.«

Gordon war lange in Gravesend, ehe die Leute dahinter kamen, daß der
freundliche Oberst im Forthaus und der »Chinesen-Gordon« ein und
derselbe waren. Äußerst bezeichnend, sowohl für ihn als für gewisse
Leute, ist folgende kleine Thatsache. Er hatte von Anfang an Sonntags
seinen Sitz auf der Emporkirche unter den Armen genommen. Niemand
kümmerte sich darum; als es aber nach und nach bekannt wurde, was
für einen berühmten Mann man in der Gemeinde habe, würdigten die
Kirchenältesten ihn einer feierlichen Aufwartung und baten ihn,
er möge doch herunterkommen und sich eines der gepolsterten Sitze
bedienen, die für die Vornehmeren bestimmt sind. Er dankte für die
Rücksicht, zog es aber vor, unter den Armen auf hölzerner Bank sitzen
zu bleiben.

Es ließen sich leicht noch Dutzende von Beispielen beibringen, die
sein Leben in der Stille kennzeichnen, doch dürfte das Vorstehende
genügen. Was eine zu Gravesend wohnende Dame, die ihn kannte, über ihn
schrieb, sei jedoch nicht unterdrückt:

»Seine barmherzige Liebe umschloß alle; daß einer elend und arm
war, war ihm genug, er erkundigte sich nie, ob man seine Hilfe auch
verdiene. Wenn er dabei auch einmal hintergangen wurde, so war's nur
selten[6], denn er hatte ein Auge, das die Leute zu durchschauen
schien, es schien nutzlos, ihn belügen zu wollen. Ich habe mich
oft gefragt, ob es seinem natürlichen Scharfblick zuzuschreiben
ist oder vielmehr der ihm eigenen Einfalt und Selbstlosigkeit, daß
er Menschen und Dinge meist in ihrem wahren Licht sah. Im Armen-
und Krankenhaus war er ein ständiger Gast, und Empfänger für seine
Liebesthaten gab's unzählige in der ganzen Umgegend. Mancher Sterbende
schickte lieber nach ihm als nach dem Pfarrer, und weder Entfernung
noch Wetter hielten ihn je ab, einem solchen Rufe zu folgen. Einen
Armengottesdienst zu leiten, dazu war er immer bereit, und wo man
die Hungernden zum Sichsattessen versammelte, ließ er sich nie
zweimal bitten, ihnen biblische Geschichten zu erzählen. Aber in
Versammlungen religiöser oder philanthropischer Art sah man ihn nie
als Vorsitzenden, und öffentliches Redenhalten haßte er, besonders
wenn es dazu dienen sollte, ihn persönlich zu verherrlichen. Und
nichts war ihm gleichgültiger, als Essen und Trinken, sofern es ihn
selbst betraf. Wir begegneten ihm einmal gegen Abend, und er nahm
uns mit nach Hause, wo der Tisch für ihn gedeckt stand -- eine Kanne
Thee und ein trockenes Laibchen Brot. Ich machte eine scherzende
Bemerkung, ob er auf trockenes Brot reduziert sei; da nahm er das
Laibchen (kein großes), drückte es in ein Schüsselchen und goß den
Thee darüber. ›So, nun wird es bald weich sein,‹ sagte er, ›und nach
einer halben Stunde ist es einerlei, was ich gegessen habe.‹ Um ein
humoristisches oder witziges Wort war er nie verlegen, und noch
seh' ich ihn mit den Augen zwinkern, als er mir erzählte, was für
enttäuschte Gesichter es manchmal unter seinen Jungen gebe, die, von
ihm aufgenommen, sich einbildeten, künftig herrlich und in Freuden
zu leben, und dann die Entdeckung machen mußten, daß Pöckelfleisch
und Kartoffeln auch ein gutes Mittagessen abgebe. Zu seinem Garten
überließ er uns freundlicher Weise den Schlüssel, damit unsere Kinder
darin spielen könnten. Als wir zum erstenmal davon Gebrauch machten,
bewunderten wir die frühen Erbsen und andere leckere Gemüse, die darin
wuchsen, und da eben seine Haushälterin hinzu trat, machten wir eine
darauf bezügliche Bemerkung. Sie erklärte uns alsbald, daß der Oberst
nie dergleichen auf seinem Tisch hätte; er überlasse fast den ganzen
Garten armen Leuten, die ihn anpflanzen und den Ertrag dann verkaufen
dürften. So kam es, daß es bei uns zu einer Redensart wurde, »der
Oberst hat kein Ich.« All sein Thun war selbstlos, und darin folgte er
seinem Herrn. Nie oder selten konnte man ihn dazu bringen, von sich
zu reden. In jener Zeit wurde das erste Buch über ihn geschrieben.
Er lud den Verfasser zu sich ein und half ihm nach Kräften, sofern
es die Einzelheiten über den Taiping-Krieg betraf, wozu er ihm seine
eigenen Aufzeichnungen gab. Als er aber, durch irgend eine Bemerkung,
die gemacht wurde, auf den Verdacht kam, daß in dem Buche von ihm
selbst und seinen Thaten viel die Rede sein könne, da bat er sich
das Manuskript aus und zerriß eine Seite nach der andern zu des
Verfassers nicht geringem Entsetzen. Es war mir ein Anliegen, den Mann
und seine ungewöhnliche Abneigung gegen alles Lob zu verstehen, und
so befragte ich ihn einmal darüber, indem ich hinzufügte, er habe ja
alles Recht, auf diese Dinge stolz zu sein. Da entgegnete er, niemand
habe ein Recht, auf irgend etwas stolz zu sein, da wir alles empfangen
hätten und von Natur in keinem Menschen Gutes wohne. Er setzte
hinzu, daß jeder nur immer alle Ursache habe, sich zu demütigen,
daß alles Medaillentragen, aller äußere Schmuck des Körpers, wie
überhaupt alle Selbstverherrlichung ganz übel angebracht sei. Auch
hätte keiner ein Recht, irgend etwas sein zu nennen, der sich ein
für allemal dem Herrn als Eigentum ergeben habe. Was sollte er da
zurückbehalten? ›Des lieben Gottes Eigentum zu sein,‹ sagte er zu
mir, ›sollte auch Sie hindern, diese goldene Kette da zu tragen; sie
sollte für die Armen verkauft werden.' Indessen gab er zu, daß nicht
alle Menschen je nach ihrer verschiedenen Lage es so leicht finden
möchten wie er, irdischen Besitz in solchem Licht zu betrachten.
~Sein~ Geldbeutel war immer leer infolge seiner Freigebigkeit.
Ein silbernes Theeservice, das Geschenk seines Verwandten Sir William
Gordon, bewahre er auf, sagte er einmal; der Wert desselben werde
ausreichen, früher oder später seine Begräbniskosten zu bestreiten,
ohne anderen zur Last zu fallen. So verhaßt es ihm war, von seinen
Thaten zu reden, so freigebig war er mit seinen Gedanken, und manche
interessante Unterhaltung führten wir mit ihm. Ein gewisser mystischer
Zug, der ihm eigen war, verlieh seiner Rede einen eigenen Reiz; wir
haben viel von ihm gelernt. Er besuchte uns oft, aber es war eine
ausgemachte Sache, ohne daß je ein Wort darüber verloren worden wäre,
daß man ihn nie auffordern dürfe, länger zu bleiben, wenn er sich zum
Gehen anschickte. Ihn je zu Tisch zu bitten, wäre ordentlich eine
Beleidigung gewesen: ›Ladet die Armen und Kranken ein,‹ hätte man da
zur Antwort erhalten, ›ich kann zu Haus essen.‹«

Daß er neben seinen Berufsarbeiten und täglicher fleißiger
Beschäftigung mit Gottes Wort so viel Zeit fand, Gutes zu thun,
verdankte er einerseits seiner Gewohnheit früh aufzustehen,
andererseits seinem methodischen Fleiß, der nie auf einen andern
Tag verschob, was sofort geschehen konnte. »Warum sollte man etwas
hängen lassen, was man gleich erledigen kann,« pflegte er zu sagen.
Immer beschäftigt sein, war offenbar die äußere Bedingung seiner
Zufriedenheit. Einer Dame, die sich bei ihm über die Langeweile des
Mode-Lebens beschwerte, gab er den guten Rat, sich doch einmal am
Waschzuber ordentlich müde zu schaffen. Einer seiner Untergebenen, der
über die Arbeiten seines Berufes in Gravesend berichtet hat, schreibt
unter anderem: »Wenn Gordon an der Arbeit war, dann ~war's~
Arbeit, und keiner von uns hätte es sich beikommen lassen, ihn auf
irgend etwas einen Augenblick länger warten zu lassen als absolut
nötig war. ›Schon wieder fünf Minuten verloren, die wir nie wieder
haben werden!‹ konnte er ausrufen. Er hielt strenge Ordnung, aber das
hinderte keinen, mit völliger Liebe und Verehrung an ihm zu hängen.«

Gordons äußere Erscheinung soll durchaus nichts Überwältigendes
gehabt haben. Er war nicht groß, hatte kein stattliches Auftreten;
man sah ihm den Soldaten nicht an. Wer ihm zum erstenmale begegnete,
konnte aus seinem bescheidenen Äußeren nicht schließen, daß er
es mit einem der tüchtigsten Offiziere zu thun habe. Daß er der
»Chinesen-Gordon« war, stand ihm nicht auf der Stirn geschrieben,
obgleich er der denkbar offenherzigste Mensch war. Ein gewisses
jugendliches Aussehen soll er bis ins mittlere Alter bewahrt haben.
Die ihn kannten, stimmten darin überein, daß seine Macht über die
Menschen von seinen blauen Augen ausging -- »sein Gesichtsausdruck
hatte nichts bedeutendes, war aber von der Art, die es ›einem
anthut,‹« sagt einer seiner Mitoffiziere, ein langjähriger Freund,
»und im Umgang hatte er etwas unaussprechlich bezauberndes.« Man
habe sich mit unwiderstehlichem Vertrauen zu ihm hingezogen gefühlt
als zu einem Mann, der es gut mit einem meine; man habe ihm nur ins
Auge zu sehen brauchen um zu wissen, daß man sich felsenfest auf ihn
verlassen könne, selbst wenn alle andern einen im Stich ließen. Neben
der Sanftmut und Güte seines Wesens, die alle rühmen, die je mit ihm
zu thun hatten, konnte er aber auch herzhaft zornig werden, wie schon
angedeutet wurde. Er kannte diese seine schwache Seite wohl, und wenn
einer seiner Untergebenen einen Verweis verdiente, so suchte er für
den zu erlassenden Tadel gern einen Stellvertreter, aus Furcht, von
der Hitze mit fortgerissen zu werden.

Wohl der schönste Zug seines Wesens war seine wunderbare Demut, die
nie heller leuchtete als im Umgang mit den Armen und Niedrigen.
Solchen erzählte er auch mit größter Bereitwilligkeit aus seinem
Leben in China und anderwärts, worüber seinesgleichen ihn nie reden
hörten. Er war höflich gegen den Geringsten und konnte einen Bettler
um Verzeihung bitten, wenn er ihm eine Münze hastig hingeworfen. Wer
zu jener Zeit in Gravesend wohnte, der konnte hin und wieder sehen,
wie er auf der Straße plötzlich stehen blieb, um vielleicht einem
armen Waschweib ihre Last abzunehmen, sei's Bündel oder Korb, und ihr
tragen zu helfen, und war einer seiner Freunde in der Nähe, vornehm
oder gering, so konnte er gewärtig sein, auch aufgefordert zu werden,
mit Hand anzulegen.

Gordon war ein Christ in des Wortes vollster Bedeutung, aber einer
besonderen Gemeinschaft im englischen Sinn hat er nicht angehört. Dies
ist schon durch seine Lebensführung begreiflich. Auch darf man wohl
sagen, daß einer, der so in der Allgegenwart, ja Gemeinschaft Gottes
wandelt, über die Unterschiede hinaus ist, die uns andere, die wir
noch Schüler sind, in Klassen abteilen. Er hat sein Leben, wie wir
gesehen haben, nach dem Wort eingerichtet: Ein reiner und unbefleckter
Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der, die Waisen und Witwen in
ihrer Trübsal besuchen und sich von der Welt unbefleckt erhalten.
Übrigens hielt er dafür, daß das Christentum eines Menschen sich vor
allen Dingen in der gewöhnlichen Berufs- und Pflichterfüllung des
Lebens bethätigen müsse. Das ist's, was der seltenen Energie zu Grunde
liegt, die ihn zum großen Manne gemacht hat; das auch, was in der
Gerechtigkeit, Festigkeit, Milde und Umsicht seinen Ausdruck fand, die
seine Verwaltung des Sudan so rühmlich kennzeichneten. Er war überall
und in allen Dingen ein Christ. Sich selbst für besser halten als
andere, war nicht seine Sache. »Wir sind alle voll Schwären,« konnte
er sagen, »manche verdecken ihre Schäden mit seidenen Lappen, andere
haben nur Lumpen; reißt beides weg, und die Krankheit ist dieselbe.«

Auf sein inneres Leben und seine Stellung zur christlichen Lehre
werden wir später zurückkommen. Die Früchte, die aus seinem Glauben
erblühten, sind mit der kurzen Schilderung aus Gravesend wohl zur
Genüge dargethan.

Im Jahr 1871 wurde Gordon nach Galatz geschickt, in eine ihm nicht
unbekannte Gegend, wo er an der Donau-Mündung eine ähnliche Arbeit
ausführen sollte wie daheim an der Themse. Die »öffentliche Meinung«
aber fing an sich zu wundern, warum die Kräfte eines so eminent zum
Kriegführen geschaffenen Mannes wie Gordon an eine Arbeit verschwendet
würden, die jeder andere Ingenieuroffizier auch erledigen könne.
Es war die Zeit der Asante-Sorgen, und die Zeitungen fingen an sich
zu erkundigen, wo der »Chinesen-Gordon« stecke und warum man nicht
ihn absende, um dem König Kofi das Handwerk zu legen. Unter den
vielen Zuschriften an die öffentlichen Blätter in jener Zeit verdient
ein »Mandarin« unterzeichneter Brief, den die Times brachte, hier
wenigstens im Auszug wiedergegeben zu werden.

»Es ist zum Verwundern,« sagt der Schreiber, ein ehemaliger Offizier
der stets siegreichen Armee, »wie wenig die erstaunlichen Thaten
des Mannes, der als »Chinesen-Gordon« öfters genannt worden ist,
in diesem Land bekannt geworden sind. Als einer, der in der stets
siegreichen Armee unter ihm diente -- welche Bezeichnung ganz gewiß
nicht aus seinem Munde stammt -- könnte ich lange Spalten füllen mit
den Beweisen seiner unglaublichen Thatkraft, seiner über alles Lob
erhabenen Um- und Vorsicht, seiner anspruchslosen Bescheidenheit,
seiner Ausdauer und Herzensgüte, seines überlegenen Mutes, ja
Heldenmutes. Es ist die einfache Wahrheit, daß alle, die je unter ihm
gedient haben, seine militärische Tüchtigkeit, um nicht zu sagen sein
Kriegsgenie, in alle Himmel erheben. Es giebt nicht viele Heerführer,
denen ein ganzes Offizierkorps solch einstimmiges, begeistertes Lob
zollt. Und noch wunderbarer ist die völlige Hingabe, mit der die
chinesischen Truppen ihm anhingen, das unbedingte Vertrauen, das sie
in irgend welches Unternehmen setzten, wenn nur er es persönlich
leitete. In ihren Augen war er einfach ein Zauberer, dem alles möglich
war .... In ihrem Glauben an seine gefeite Unverwundbarkeit bestärkte
sie seine Gewohnheit plötzlich zu erscheinen, wenn die Truppen unter
Feuer waren, wo er dann im dichtesten Kugelregen ganz ruhig dastand.
Außer seinem spanischen Rohr, das die Soldaten seinen Zauberstab
nannten, trug er ein kurzes Fernrohr, nie Waffen; oder richtiger,
was er an Waffen trug, war unsichtbar.... Einmal nur erinnere ich
mich Zeuge gewesen zu sein, wie Gordon einen Revolver zog. Es war
bei Kuinsan, nachdem die Truppen ein Vierteljahr lang während der
Sommerhitze im Quartier gelegen hatten. Man benutzte diese Zeit,
sie einzuexerzieren, mit dem Gedanken an die geplante Einnahme von
Sutschau. Die Hitze war entsetzlich. Ruhr und Cholera lichteten die
Reihen, und die Disziplin war nicht ganz so stramm wie sonst..... Als
gegen Ende September Befehl zum Abmarsch gegeben wurde -- es galt
die Forts und Schanzenwerke zwischen Kuinsan und Sutschau -- war's
besonders die Artillerie, die den Gehorsam weigerte. Eine Kompagnie
wurde störrig und wollte sich nicht einschiffen ... da erschien Gordon
mit seinem Dolmetscher. Er war zu Fuß, dem Anschein nach unbewaffnet
und wie gewöhnlich sehr gefaßt. Sobald er zur Stelle war, erließ er
durch den Dolmetscher die Ordre, daß jeder Soldat, der gesonnen sei,
sich nicht einzuschiffen, vortreten solle. Nur einer trat vor. Da zog
Gordon eine Pistole aus seiner Brusttasche, richtete sie gegen des
Mannes Kopf und ließ ihm durch den Dolmetscher zurufen: »Marsch!« Der
Mann gehorchte auf der Stelle und die ganze Kompagnie ihm nach. Sage
einer -- das hätte jeder andere kaltblütige und entschlossene Offizier
auch erreicht! Durchaus nicht! Wenigstens gab's unter uns damals nur
~eine~ Meinung, daß der Gehorsam in diesem Fall lediglich der
grenzenlosen Achtung, ja Ehrfurcht zuzuschreiben war, mit welcher
das ganze Korps zu Gordon aufsah. In der That war die Stimmung der
Truppen damals eine solche, daß wenn irgend ein anderer Offizier es
gewagt hätte, zu handeln wie Gordon handelte, offene Meuterei und
die Ermordung der Offiziere die Folge gewesen wäre .... Die wahre
Ursache der beispiellosen Erfolge des Korps ist einerseits wohl in
der militärischen Tüchtigkeit des Anführers zu suchen, andererseits
aber in seinem Charakter und seinem ganzen Wesen, welches der Art
war, daß alle, die mit ihm in Berührung kamen, unbegrenztes Vertrauen
in seine Fähigkeit setzten neben dem festen Glauben, daß er mit
den besten ihm zu Gebot stehenden Mitteln die besten Resultate zu
gewinnen der Mann war.[7] Wer Gordon kennt mit seiner anspruchslosen
Persönlichkeit, seiner ruhigen zurückhaltenden Art, kann von seinem
wunderbaren Einfluß über ein Heer von unwissenden Soldaten und aus
aller Herren Länder zusammengelaufenen Offizieren nur auf die höchsten
Eigenschaften seines Charakters schließen. Um einen Vergleich zu
ziehen, so möchte es scheinen, daß die unwissenden Chinesen den Mann
besser zu würdigen verstanden, als gewisse wohl unterrichtete Leute
hierzulande.«

Allein die Regierung hatte taube Ohren; einer aus dem Ingenieurkorps,
und wäre er selbst der »stets siegreiche General«, wie das Volk
ihn neuerdings nannte, sei nicht fürs Kommando bestimmt, war die
Entschuldigung. Als der Khedive aber nach einiger Zeit einen
Kommandanten nötig hatte und sich dazu den Oberst Gordon ausersah,
hatte die englische Regierung nichts dagegen einzuwenden.




                            Viertes Buch.

                       Im Lande der Schwarzen.


Die Sudanländer sind insbesondere durch deutsche Reisende allgemeiner
bekannt geworden. Der Name »Sudan« bedeutet nichts anderes als das
~Land der Schwarzen~ und stimmt also mit der alten Bezeichnung
»Äthiopien« überein, woraus sich ergiebt, daß der Sudan, heutzutage
ein Land des Elends und der Knechtschaft, schon eine bessere
Vergangenheit gekannt hat. Wir erblicken in ihm das Mohrenland der
Bibel, das Land der Königin Kandaze. Im Propheten Jeremia ist zu
lesen: Lasset die Helden ausziehen, die Mohren! Memnon, ein König von
Äthiopien, zog mit zehntausend Mann den Trojanern zu Hilfe. Und auch
neuerdings haben sich die Sudanesen als Soldaten bewährt, mit denen
nicht zu spassen ist. Aber der Fluch Hams liegt auf dem Lande.

Sudan ist ein Gemeinname, er umfaßt die ungeheuren mittelafrikanischen
Ländergebiete zwischen Ägypten im Norden und den Seen (Njansa) im
Süden, zwischen dem Roten Meer im Osten und dem Lande Darfur im
Westen. Khartum am Zusammenfluß des Blauen und Weißen Nils liegt
so ziemlich in der Mitte zwischen dem Mittelländischen Meer und
dem Viktoria Njansa, von Meer und See je sechzehnhundert Kilometer
entfernt. Von Khartum nach der Ostgrenze des Sudans, nämlich bis
zu den Hafenstädten Suakim und Massaua am Roten Meer, beträgt die
Entfernung etwa sechshundert Kilometer, nach der Westgrenze bis
Darfur sind es zwölfhundert. Die Hauptstationen zwischen Khartum und
Ägypten sind Berber und Dongola, beide am Nil. In Berber mündet die
Wüstenstraße von Suakim her, und zwischen diesen beiden Orten ist die
Eisenbahnlinie projektiert, die den Sudan vom Roten Meer aus leichter
zugänglich machen soll. Um die Entfernungen durch einen Vergleich zu
veranschaulichen, so ist es von Kairo nicht weiter nach Petersburg
als nach Gondokoro, der Hauptstadt der ägyptischen Äquatorialprovinz,
während es von Khartum nach Gondokoro etwa so weit ist, als von
Berlin nach Rom. Khartum und Gondokoro sind durch den Nil verbunden,
durch den »Ssett« aber, eine Massenanhäufung von schwimmenden
Wassergewächsen, sind diese Städte trotz aller Dampfer oft monatelang
außer Verbindung.

Ägypten hat sich während der letzten sechzig Jahre in den Sudanländern
ausgebreitet. Mehemet Ali mochte es redlich meinen oder nicht, als
er sich anschickte, an die Stelle der herrschenden Anarchie im
Sudan eine geregelte Regierung zu setzen, und seinen Sohn Ismail
mit einem Soldatenhaufen und etlichen Gelehrten hinsandte, um von
dem Lande Besitz zu nehmen. Dieser aber wurde mit samt seinem
Gefolge von einem Häuptling verbrannt. Man wußte sich furchtbar zu
rächen, und die ägyptische Gewaltherrschaft wurde aufgerichtet. Die
geregelte Regierung bekundete sich in Unterdrückung und Aufstand,
und die eingeführte Zivilisation beschränkte sich hauptsächlich
auf Elfenbeinhandel, wogegen nichts zu erinnern gewesen wäre, wenn
nicht auch das »schwarze Elfenbein«, der Negerhandel, zur Goldquelle
geworden wäre. Der Sklavenhandel nahm nach und nach so zu, daß er
zum offenkundigen Skandal wurde. Die arabischen Händler zahlten
eine beträchtliche Abgabe an die ägyptische Regierung, die deshalb
ein Auge zudrückte. Das Elend im Land spottete aller Beschreibung;
ein ehrliches Gewerbe konnte neben dem Menschenraub nirgends
aufkommen. Europäische Händler waren die Urheber des Unfugs. Um
das Jahr 1860 mußten sich diese aber angesichts der öffentlichen
Meinung zurückziehen. Seither haben die Araber die Negerjagd und
den Negerhandel ins Unglaubliche getrieben. Die Einwohnerschaft der
Sudanländer besteht nämlich aus zwei Hauptklassen, von welchen die
eine, die eingewanderten Araberstämme, die natürliche Unterdrückerin
der andern, der Neger, ist. ~Schweinfurth~ beobachtete die
Sklavenhändler mehrere Jahre lang. Vor zwanzig Jahren, schreibt
er, gab es Hunderte von Denka-Dörfern auf der östlichen Seite des
Flusses, jetzt ist die ganze Strecke zur Einöde geworden. Man stößt
allenthalben auf Spuren, daß Dörfer und angebaute Gegenden da zu
finden waren, wo jetzt alles verwüstet ist; die Bevölkerung muß
wenigstens um zwei Drittel abgenommen haben. Sir ~Samuel Baker~
ist der Ansicht, daß niemand anders als die ägyptischen Pascha an der
Verwüstung des Denka-Landes schuld seien. »Das Land ist vollständig
entvölkert infolge der Razzien der vom Statthalter von Faschoda
begünstigten Sklavenjäger.« Er durchreiste das Land nach allen
Richtungen und kam allerwärts auf Spuren zerstörter Dörfer. Im Jahre
1864 sah er die Gegend des Viktoria-Nils zum erstenmal; das Jahr
1872 brachte ihn wieder dahin. »Die in diesen Jahren stattgefundene
Veränderung ist nicht zu beschreiben; damals war die Landschaft ein
Garten, dicht bevölkert und voll reicher Produkte. Jetzt ist alles
zur Wüstenei geworden! Niemand ist schuld daran, als die Khartumer
Händler, welche Weiber und Kinder in die Sklaverei führen und plündern
und zerstören, wo sie hinkommen.« »Man sieht meilenweit keine
Menschenseele,« schreibt Gordon, als er den Sobat hinaufdampfte: »die
Sklavenhändler haben die ganze Bevölkerung aufgerieben und die Gegend
zur vollständigen Wildnis gemacht.«

Während einer Reihe von Jahren geschah nichts, um dem schändlichen
Handel zu steuern. Zwar wurden Proklamationen erlassen, aber,
wie Schweinfurth sagt, schien eine unüberwindliche Neigung zum
Sklavenhandel jedem Türken oder Ägypter angeboren, der im Dienste
der Regierung den Sudan verwalten half. Und als der Greuel dem
Khedive endlich zu arg wurde, war dies nicht sowohl eine Regung von
Mitleid mit den armen Negern, als vielmehr Furcht vor einem sich
erhebenden Machthaber, der seine Oberherrschaft im Sudan bedrohte. Die
Sklavenhändler zählten nach Tausenden; mit bewaffneten Horden zogen
sie durchs Land, ja so mächtig wurden sie, daß sie die Abgaben an die
Regierung nicht länger zu entrichten für nötig fanden. Auch das war
ein Grund, ihnen das Handwerk zu legen. Unter den Sklavenhändlern
war besonders einer, der durch seinen unglaublichen Reichtum, seine
aus Sklaven rekrutierten Truppen, sowie durch die beträchtliche
Anzahl seiner befestigten Stationen fast die Stellung eines Königs
einnahm. Es war dies der berüchtigte Sebehr Rachama, der schwarze
Pascha. Schweinfurth fand ihn von fürstlichem Hofstaat umgeben. Seine
Gäste wurden von reichgekleideten Sklaven in mit kostbaren Teppichen
behangene Vorzimmer geführt, und um den königlichen Glanz seiner
Umgebung zu erhöhen, wurden Löwen herbeigebracht. Sein Reichtum und
sein Aberglaube schienen einander die Waage zu halten, wenigstens wird
erzählt, daß er einmal fünfundzwanzigtausend Maria-Theresia-Thaler
einschmelzen ließ, um Kugeln aus Silber zu gießen, mit denen ein
Feind beschossen werden sollte, der angeblich gegen Blei gefeit
war. Ursprünglich ein Elfenbeinhändler, hatte er sich auf das
»schwarze Elfenbein« verlegt. Er war Herr von nicht weniger als
dreißig Stationen, die sich bis ins Innere von Afrika erstreckten,
und sein Name verbreitete Schrecken durch den ganzen Sudan. Von den
einzelnen Stationen aus wurden Streifzüge auf die Neger unternommen;
auf den Stationen fanden sich die Kleinhändler ein, welche ihm die
Sklaven abkauften und durch die Wüste an die Grenze schleppten. Als
Schweinfurth im Jahre 1871 die Raubhöhle Schekka, Sebehrs Hauptstation
an der Südgrenze Darfurs, besuchte, fand er daselbst nicht weniger
als zweitausendsiebenhundert solcher Händler, die gekommen waren,
um sich mit Sklaven zu versehen. Schon 1869 hatte es die ägyptische
Regierung versucht, Sebehrs großer Macht einen Zügel anzulegen. Eine
Truppenabteilung unter einem Anführer Namens Bellal folgte dem
Sklavenräuber in die Bahr el Ghasal. Es kam auch zu einem Gefecht,
in welchem Bellal, sowie die meisten seiner Soldaten umkamen.
Sebehr selbst trug eine Fußwunde davon. Der Khedive war nicht wenig
entrüstet, mußte sich aber vorläufig damit zufrieden geben, daß nicht
er, sondern Sebehr Herr im Sudan war, den Tausende von Sklavenhändlern
als solchen anerkannten. Zwar dem Namen nach war Sebehr ägyptischer
Unterthan, aber in Wirklichkeit souveräner Herr.

Die Eroberung Darfurs war eines der mit Bellals Unternehmen in
Aussicht genommenen Projekte. Dieses Land war damals noch frei. Es
hatte seit vierhundert Jahren seine eigenen Sultane. Darfur ist der
Kornspeicher für den westlichen Sudan, und der regierende Sultan hatte
dem drohenden Überfall Bellals eine Ausfuhrsperre entgegengesetzt,
was nicht nur seinem offenen Feinde, sondern auch den Sklavenhändlern
ungelegen kam. Sebehr war Manns genug, einen Gegenschlag zu führen.
Er plante seinerseits eine Einnahme Darfurs. Das konnte dem Khedive
nicht einerlei sein. Fiel Darfur in Sebehrs Hand, dann war nichts
wahrscheinlicher, als daß der ganze Sudan sich ihm ergeben würde. Der
Khedive nahm zur Politik der Feigheit seine Zuflucht und beschloß,
lieber mit als gegen Sebehr zu handeln, worauf ägyptische Truppen
unter Ismail Pascha Jakub vom Norden her in Darfur einfielen, während
die Sklavenhändler es im Süden bedrängten.

In einer Schlacht wurde der Sultan von Darfur erschossen, und als
seine beiden Söhne den Leichnam decken wollten, fielen auch sie. Ihr
jüngerer Bruder war ein Kind, und ein entfernterer Verwandter Namens
Harun beanspruchte die Thronfolge. Darfur aber wurde unterjocht und
Sebehr zum Pascha gemacht. Diese Ehre war ihm keineswegs genügend; er
und seine Horden hätten das Land erobert, sagte er, ihm komme es daher
zu, als Generalgouverneur die neue Provinz zu verwalten. Er hatte
sogar die Kühnheit, selbst nach Kairo zu gehen, um seine Ansprüche
dort geltend zu machen. Zwei Millionen Mark soll er mit sich genommen
haben, um die Pascha zu bestechen. Es nützte ihm nichts, er wurde in
Kairo festgehalten. Soliman, Sebehrs Sohn, beunruhigte an seines
Vaters Statt das Land und war die Seele eines gewaltigen Aufstandes.
Wie derselbe von Gordon und seinem kühnen Stellvertreter Gessi
unterdrückt wurde, werden wir später hören.

Der Khedive, der den Sklavenhandel geduldet, wo nicht geschützt hatte,
so lange er ihm eine Rente abwarf, verfiel auf philanthropische
Motive, sobald seine Oberherrschaft gefährdet war. Durch ganz Europa
posaunte er die Nachricht, daß er gesonnen sei, den greulichen
Handel auszurotten. Nur zu diesem Ende habe er Sir Samuel Baker an
den Äquator geschickt und nun auch den genialen Gordon berufen. Das
ganze Nilbecken bis zu den Seen am Äquator wurde zu einem Teile von
Ägypten erklärt. Selbst an jenen äußersten Grenzen -- so lautete das
vielverheißende Manifest -- müßten Leib, Leben und Freiheit fürderhin
als heilige Dinge gelten. Unter dieser Maske der Menschenliebe wurde
Gordon, der als einer der aufrichtigsten Menschenfreunde, als einer
der kühnsten Heerführer bekannt war, für den neuen Gouverneurposten in
Aussicht genommen. Oberägypten sollte einen Regierungsbezirk für sich
bilden, und der Elfenbeinhandel innerhalb seiner Grenzen wurde zum
Staatsmonopol erklärt.

Gordon war noch in Galatz, als ihm die neue Thätigkeit angeboten
wurde. Im Jahre 1872 war er in Konstantinopel mit dem ägyptischen
Minister Nubar Pascha zusammengetroffen, und dieser, von seiner
Tüchtigkeit überzeugt, hatte ihn gefragt, ob er nicht einen Nachfolger
für Baker zu empfehlen wisse. Gordon erblickte in dem sich eröffnenden
Wirkungskreise eine Möglichkeit, den geknechteten Schwarzen zu dienen,
und bot im folgenden Jahr seine Dienste an, vorausgesetzt, daß der
Khedive bei der englischen Regierung um ihn einkommen wolle und diese
nichts dawider habe. In England schien man seiner nicht zu bedürfen,
und so machte er sich auf den Weg zur Ausrichtung eines großen Berufs
im Innern des schwarzen Weltteils. Es war der Tag, der die Nachricht
vom Tode Livingstones nach England brachte, an welchem Gordon von
London aufbrach! Jener war mit dem Gebete auf den Lippen gestorben,
daß der Herr sich Afrikas erbarmen und einen Befreier senden möge.
War es nicht wie eine Antwort auf diese Bitte, daß Gordon sich
rüstete, um den Kampf mit dem großen Unrecht aufzunehmen, das jener
ans Licht gebracht hatte? Die Namen Livingstone und Gordon sind wie
zwei Sterne an Nachthimmel Afrikas; beide sind untergegangen; wann
wird der Tag anbrechen?

Der Khedive setzte seinem neuen Statthalter denselben Jahresgehalt
aus, den Baker bezogen hatte, nämlich zweimalhunderttausend Mark,
Gordon selbst aber bestimmte nur vierzigtausend. Das war dem Khedive
und noch andern Leuten ein Rätsel. Wer den Mann aber kannte und
überdies wußte, auf welche Weise Ismail seine Schatzkammer füllte, dem
war die Handlungsweise erklärlich. Gordon verabscheute einen Gewinn,
der, wie er wohl wußte, dem Schweiß der Fellahs erpreßt wurde; es
wäre ihm wie Blutgeld vorgekommen; er nahm daher nur so viel, als er
durchaus nötig hatte. »Wie Mose, so verachte auch ich den Reichtum
Ägyptens,« schreibt er. »Wir haben einen König, der mächtiger ist,
denn diese alle, und bessere Güter in ihm, als die Welt uns bieten
könnte. Ich beuge mich keinem Haman.«

Gordons Auftrag bestand darin, eine fast unbekannte Provinz zu ordnen,
in der bewaffnete Händler ihr Wesen trieben und durch Elfenbein
und Schwarze sich bereicherten. Die eingeborenen Stämme hatten sie
grausam unterdrückt und gezwungen, mit ihnen Handel zu treiben, ob
sie wollten oder nicht. Einige dieser Tyrannen hatten Erlaubnis,
im Lande zu wohnen, vorausgesetzt, daß sie sich des Sklavenhandels
enthielten; man hatte sie dem Gouverneur vom Sudan unterstellt. Dieser
aber war von Khartum aus nicht im stande gewesen, seine Autorität
geltend zu machen, und aus diesem Grunde hatte der Khedive die neue
Äquatorialprovinz gebildet. Wenn der Sklavenhandel und das Raubwesen
erst einmal abgeschafft wäre, dann sollte aller rechtmäßige Handel
frei sein. Gordon sollte eine Kette von Stationen errichten, sollte
versuchen, das Vertrauen der Stämme zu gewinnen und der Sklavenjagd
auf alle mögliche Weise entgegenarbeiten.

Aber bei seinem kurzen Aufenthalte in Kairo hatte er mit dem ihm
eigenen Scharfblick den Khedive und seine Pläne durchschaut. »Ich
glaube, den wahren Beweggrund entdeckt zu haben,« schreibt er,
»man hofft, uns Engländern Sand in die Augen zu streuen.« Trotzdem
schwankte er keinen Augenblick. Er wußte, daß er in eines Höheren
Dienst stand, und das gab ihm Kraft. So schreibt er einmal:

  »Wer dürfte es wagen, der nicht den allmächtigen Gott auf seiner
  Seite hat? Ich kann es und will es thun, ~denn mein Leben achte
  ich für nichts~ -- ich würde nur viel zeitlichen Verdruß mit dem
  ewigen Frieden vertauschen!« Und weiter: »~Wer doch den Tod immer
  als Erlöser vor Augen hätte!~ Welche Ruhe ist des Menschen Teil,
  der so denkt, und was für Thaten kann er vollbringen -- nichts kann
  ihn mehr beunruhigen, in welchem Amt er auch stehe!«

Es war Gordons Wunsch, als gewöhnlicher Passagier sich nach Suakim zu
begeben; allein Nubar Pascha erklärte, der Gouverneur von Oberägypten
müsse mit Gepränge reisen. Ein Gefolge wurde ernannt, und, von einem
Adjutanten des Khedive begleitet, sollte Gordon mit einem Extrazug
nach Suez fahren. Aber unterwegs versagte die Lokomotive, und die
Reise mußte mit dem gewöhnlichen Zug fortgesetzt werden -- ein
Hauptspaß für Gordon. »Wir haben groß angefangen und dürfen klein
aufhören,« berichtet er darüber. Von Suakim ging's durch die Wüste
nach Berber; etwa zweihundertundzwanzig Mann Militär, die mit ihm
an Bord waren, bildeten die Eskorte für den vierzehntägigen Marsch,
dessen Länge Gordon keineswegs beklagte, denn es war ihm vor allen
Dingen darum zu thun, seinen Soldaten, die von Mannszucht nichts
wußten, Gelegenheit zu geben, ihn kennen zu lernen. Was persönlicher
Einfluß vermag, das wußte er von China her.

Sein Generalstab bestand aus einem kühnen und in jeder Beziehung
tüchtigen Italiener, dem nachmals so rühmlich bekannt gewordenen
~Romulus Gessi~, den er als Dolmetscher schon in der Krim kennen
gelernt hatte; ferner aus mehreren anderen Europäern, Namens Kemp,
Russell, Anson und zwei Brüdern Linant, dem Amerikaner Long und Abu
Saud, einem gewesenen Sklavenhändler und niederträchtigen Menschen,
den er in Kairo als Gefangenen vorfand und dem er mit einem gewissen
Eigensinn zutraute, daß er sich künftighin der Redlichkeit befleißigen
und sich nützlich erweisen werde. Der Khedive wußte nicht recht, was
mit diesem Gefangenen anfangen, der am oberen Nil als »Sultan« bekannt
war, aber nichts weniger als einen guten Namen dort hinterlassen
hatte. Gordons Vorschlag, sich seiner Kenntnis des Landes zu bedienen,
hielt der Khedive für sehr gewagt; Gordon aber ließ sich in diesem
Vertrauen nicht irre machen, und der ehemalige Sklavenjäger wurde
seinem Stabe einverleibt. Die Gewohnheit Gordons, Feinde durch gutes
Zutrauen zu Freunden zu machen, hat sich in seinem Leben zwar oft
bewährt; Abu Saud aber hat die ihm entgegengebrachte gute Meinung
~nicht~ gerechtfertigt und Gordon viel zu schaffen gemacht, bis
dieser sich durch einen Machtspruch seiner wieder entledigte.

Über Gordons Zeit im Sudan liegt ein umfangreicher Band seiner,
hauptsächlich an seine Schwester gerichteten Briefe vor; wir folgen
ihm ins Land der Schwarzen an der Hand dieser Briefe. Am 13. März 1874
wurde Khartum erreicht.

  »Der Generalgouverneur kam in voller Uniform Deinem unter dem Donner
  der Geschütze landenden Bruder entgegen. Gestern stand dieser noch
  mit nackten Beinen im Nil und half das Boot flott machen -- trotz
  der Krokodile, die einem nichts thun, so lange man in Bewegung ist
  -- heute salutiert ihn die Garde, so oft er sich blicken läßt ...
  Ich habe seit meiner Ankunft schon Musterung gehalten und das Spital
  und die Schulen besucht; die kleinen Schwarzen lachten, als sie mich
  sahen. Ich wollte, die Fliegen suchten sich ein anderes Quartier, als
  die Augenwinkel dieser Kinder! Khartum ist eine schöne Stadt, was die
  Lage betrifft. Die Häuser sind von Lehm und haben flache Dächer ...
  Ich bin wohlauf bei ruhiger Zeit, trotz vieler Arbeit. Übrigens ist
  es wahr, Herr Selbst ist der beste Diener, den man haben kann.«

In Khartum scheint er seinen neuen Titel ausfindig gemacht zu
haben, und zwar keinen geringeren als »Se. Exzellenz General Oberst
Gordon, Generalgouverneur am Äquator«, ein Titel, den er mit Recht
ein sonderbares Gemisch nennt. Von Khartum aus erging auch sein
Erlaß an die neue Provinz, worin er den Elfenbeinhandel als Monopol
der Regierung erklärte, die Einfuhr von Waffen und Pulver, sowie
unbefugtes Waffentragen überhaupt verbot und außerdem ankündigte, daß
in Zukunft niemand ohne Paß die Provinz bereisen dürfe.

Am 22. März trat er die Reise nach seiner Hauptstadt ~Gondokoro~
an. Er erwähnt der großen glitzernden Krokodile, die allabendlich
mit weitoffenem Rachen auf dem Ufersand liegen, der vielen Zugvögel,
die sich anschickten, den brennenden Süden mit dem Norden zu
vertauschen. Hier gab es Störche, schwarze und weiße, zu Tausenden,
dort Pelikane und Flamingos, auch große Nilpferde -- doch sieht
er vorläufig nur ihre Nasen, denn sie stehen mitten im Fluß. Die
Affen kommen herdenweise und tragen ihre kerzengerade in die Höhe
gerichteten Schwänze wie Speere hinter sich; die Giraffen erscheinen
ihm wie wandernde Türme. Offenbar hatte er seine Freude an all dem
Neuen, Ungewohnten, und beschreibt es gern der fernen Schwester.
Eines Abends, als er beim stillen Mondlicht die vor ihm liegenden
Schwierigkeiten zu vergessen sucht und halb träumerisch der Heimat
gedenkt, erschreckt ihn ein lautes Gelächter.

  »Ich war nahe daran, es für eine Beleidigung zu halten,« erklärt
  er spaßhaft, »aber es waren nur ein paar überschlaue Vögel, die
  guterdinge schienen und es gar zu lächerlich fanden, daß unsereiner
  den Weg nach Gondokoro unternimmt in der Meinung, dort etwas Gutes zu
  schaffen.«

Nicht weit davon, in einer Felsenhöhle auf der Insel Abba, hielt sich
damals ein Derwisch auf, Namens Muhamed Achmet, der im Geruch der
Heiligkeit stand. Wie ahnungslos fuhr Gordon an ihm vorüber! Zehn
Jahre später ist dieser »Heilige«, der Mahdi, das Werkzeug seines
Todes geworden.

An den ersten Wilden, die Gordon sieht, bemerkt er die Folgen der
Mißhandlung.

  »Wir kamen an einem Dorfe der Schilluk vorüber, die sich über unsern
  Anblick wunderten und erschreckt davonliefen, wenn man ein Fernrohr
  auf sie richtete.«

Am 22. April lief er in den Sobat ein, der oberhalb Faschoda in den
Weißen Nil mündet. Hier präsentierten sich ihm die ersten seiner
Unterthanen -- ein Stamm der Denka. Es waren harmlose Leute, ein
Hirtenvolk, deren Häuptling nur schwer dazu zu bringen war, an Bord zu
kommen.

  »Dann aber erschien er in seinem ganzen und besten Staat -- einer
  Halskette von Glasperlen. Wir machten ihm einige Geschenke. Darauf
  trat er auf mich zu, nahm erst meine rechte Hand und dann meine
  linke, leckte sie tüchtig, packte mein Gesicht und that, als ob er
  mich anspeien wollte.«[8]

Man trug zu essen auf; als Häuptling verzehrte er außer seinem auch
seines Nebenmannes Teil. Zum Dank wollte er Gordon die Füße küssen,
aber das wurde ihm nicht gestattet; er brüllte daher mit seinem
Gefolge einen Lobgesang und trug sein Geschenk, eine Kette Glasperlen,
vergnügt davon; d. h. der gewandlose Herrscher war viel zu erhaben, um
sie eigenhändig zu tragen, er überließ sie einem Geringeren, der sie
vor ihm hertrug.

Wo der Bahr el Ghasal in den Weißen Nil einmündet, bildet das
Gewässer einen See und Sümpfe. Gordons Dampfer drang stetig vor.
Die Eingebornen, die er jetzt sah, hatten sich die Gesichter mit
eingeriebener Holzasche grau gefärbt, elende Menschen, die offenbar
kaum zu leben hatten.

  »Es ist ein Rätsel, warum sie erschaffen sind! ... ihr Leben schwankt
  zwischen Furcht und Not. Kein Wunder, daß sie den Tod nicht fürchten
  ... Ich freue mich auf meine Arbeit, denn ich glaube, ich werde
  manche Gelegenheit finden, das Elend der armen Leute zu lindern.«

Er fuhr an einer verlassenen österreichischen Missionsstation
vorüber, wo innerhalb dreizehn Jahren fünfzehn Missionare dem Klima
erlegen waren, ohne auch nur ~einen~ Schwarzen gewonnen zu
haben; »die Sklavenhändler hatten den Teufel hingebracht,« sagt ein
Berichterstatter. Die nächste Station war Bohr, ein Sklavenjägernest,
»wo man uns nicht allzu höflich empfing.« Am 16. April, also nach
einer Fahrt von dreiundzwanzig Tagen, ankerte das Boot bei Gondokoro
zum Erstaunen der Leute, die von ihrem neuernannten Gouverneur noch
gar nichts gehört hatten. Seine Residenzstadt fand er in verwahrlostem
Zustand, und unbewaffnet hätte er sich anfänglich in der nächsten
Umgebung nicht zeigen können; die Eingebornen waren durch lange
Mißhandlung allerwärts voll Mißtrauen. Gordon aber war der Hoffnung,
sie mit der Zeit zu gewinnen und bessere Zustände einzuführen.

Man sieht aus seinen Briefen, wie er fleißig von Ort zu Ort zieht,
vorab darauf bedacht, sich die Herzen seiner schwarzen Unterthanen
geneigt zu machen. Hier schenkt er den Leuten Korn, dort bringt er sie
dazu, selbst Mais anzupflanzen.

  »Sie verstehen es ganz gut und thaten es nur deshalb nicht, weil der
  Ertrag ihnen gewaltsam entrissen wurde; sie pflanzen nur so viel,
  daß sie nicht geradezu Hungers sterben, und dies nur in entfernt
  liegenden versteckten Plätzen.«

Die Schwarzen erkannten bald einen Helfer in ihm, und einer der ersten
Beweise des ihm entgegengebrachten Vertrauens war das Verlangen eines
Vaters, seine Kinder, die er nicht ernähren konnte, um eine Handvoll
Durra (eine Art Hirse) zu übernehmen! Gordon nahm die Kinder an und
kleidete sie. Der Vater aber kümmerte sich von Stund an nicht mehr um
dieselben und erkundigte sich nicht einmal nach ihnen, als er wieder
in die Nähe kam. Ein anderes Beispiel von elterlicher Gleichgültigkeit
erzählt Gordon so:

  »Ein Mann mit seiner Frau und zwei Kindern (unsere ersten
  Kolonisten!) haben sich nahe bei der Station niedergelassen. Ich
  verabreiche ihnen täglich etwas Durra, bis das von ihnen gesäete Korn
  zur Ernte reift. Ich hoffe, ihr Vertrauen zu gewinnen« ....

Nach einiger Zeit lautet der weitere Bericht:

  »Es scheint, daß der Mann, ehe er hierherkam, eine Kuh gestohlen
  hatte und deshalb seinen Wohnsitz veränderte. Allein der Eigentümer
  der Milchspenderin machte ihn ausfindig und verlangte die längst
  geschlachtete und verzehrte Kuh zurück. Auf meiner Runde kam ich bei
  der Hütte vorüber und sah nur eins der Kinder. Das andere, erzählte
  mir die Mutter mit befriedigtem Lächeln, hätten sie dem Mann gegeben,
  dem sie die Kuh gestohlen hatten. Es wäre ihnen auch gar nicht leid,
  sagte sie, die Kuh wäre besser!«

Wenn die Mutter eine Spur von Verlangen nach ihrem Kind an den Tag
gelegt hätte, so würde Gordon es ihr wieder verschafft haben; aber
sie war nichts weniger als betrübt, der Verlust einer Handvoll Durra
wäre schmerzlicher gewesen. Um dieselbe Zeit kaufte Gordon einen
Jungen, dessen Bruder ihn um ein Körbchen voll Korn feilbot. Die
schwarzen Jünglinge hatten es offenbar mit einander ausgemacht, denn
der eine lächelte so vergnügt wie der andere. Gordon nennt derartige
Vorkommnisse Experimente; er wollte vor allen Dingen Land und Leute
kennen lernen.

Die Sklaverei hat die Stämme so heruntergebracht, daß, wie es Gordon
scheinen will, die Eltern- und Kindesliebe bei ihnen wie ausgestorben
ist. »Organisierte Auswanderung wäre das Beste für dieses Land.« Aber
so elend das Leben jener Schwarzen ist, so hält Gordon doch mit Recht
dafür, daß es anderwärts trotz der gepriesenen Zivilisation im Grunde
oft nicht besser ist.

  »Für junge Leute ist dieses Klima ein äußerst niederdrückendes; wer
  aber einmal über die Mittagshöhe hinaus ist und gelernt hat, das
  Leben lediglich als eine Prüfungszeit zu würdigen, der erträgt es
  und freut sich sogar der Einförmigkeit. Wir sind immer selbst daran
  schuld, wenn wir unglücklich sind. Wir verlieren die besten Jahre
  unseres Lebens, indem wir nach einem Glück jagen, das auf Erden
  nicht zu finden ist. Das Geheimnis des Glücklichseins liegt darin,
  daß wir lernen, mit dem zufrieden zu sein, was uns beschert ist ...
  Die Schwarzen sind mit einer Handvoll Mais zufrieden; Wohlleben ist
  ihnen ein unbekannter Zustand; sie haben kaum einen Fetzen, ihre
  Blöße zu decken, und sind trotzdem glücklicher zu nennen als Hunderte
  von unzufriedenen Menschen bei uns zu Lande mit ihrer erbärmlichen
  Vergnügungssucht, wo alles hohl ist ... Heutzutage wäre niemand
  weniger willkommen in der Welt als unser Heiland. Man würde ihn für
  altmodisch erklären ... Wahres Glück besteht darin, daß man den
  Willen Gottes annimmt, was dieser auch sei. Wer so weit kommt,
  hat die Welt und ihre Trübsal überwunden ... Der stille Friede im
  Leben unseres Herrn wurzelte lediglich in seiner völligen Ergebung
  in den Willen Gottes. Allerdings giebt es Zeiten, die uns Kampf
  bringen, aber je nach der Größe des Kampfes ist dann auch das Maß der
  verliehenen Kraft ... Ich habe kürzlich ein elendes klapperdürres
  Weib aufgenommen und sie seither gefüttert; gestern hat der Tod sie
  ganz still geholt, und jetzt weiß sie alle Dinge. Sie hatte ihren
  Tabak bis zuletzt und starb sehr leicht. Welch ein Wechsel aus ihrem
  Elend! Ich denke, sie genügte ihrem Lebensberuf so gut, wie eine
  Königin Elisabeth.«

Ein andermal erzählt er der Schwester:

  »Es schwankt eine Gestalt die Straße herauf -- so dünn, daß der Wind
  nicht viel Mühe hat sie umzuwerfen; es ist eine Deiner schwarzen
  Schwestern, ich sehe, sie bleibt stehen und läßt den Regen über sich
  ergehen. Ich schicke ihr etwas Durra, das wird ihrem abgezehrten
  Leichnam eine Freude sein. Sie hat nicht einmal einen baumwollenen
  Rock an, ja ihre ganze Kleidung ist keinen halben Heller wert.«

Am folgenden Tag heißt's weiter:

  »Ich muß Dir doch schreiben, wie's der schwarzen Dame ferner erging,
  der ich gestern in Wind und Wetter zu helfen versuchte. Ich schickte
  meinen Diener hinaus, daß er sie in einer der Hütten unterbringe,
  und dachte nicht anders, als es wäre geschehen. Die Nacht war naß
  und kalt und ich hörte mehrmals ein Kind schreien, stand deshalb
  auf und ging hinaus; da lag Deine und meine Schwester tot in einer
  Pfütze. Ihre schwarzen Brüder waren hin- und hergegangen und hatten
  keine Notiz von ihr genommen. Ich ordnete an, daß sie begraben werde,
  und ging weiter; fand ein etwa einjähriges Kind im Gras, das wohl
  die ganze Nacht in der Nässe gelegen hatte, ohne Zweifel von seiner
  eigenen Mutter ausgesetzt -- Kinder sind hier immer eine Last! Ich
  trug's zurück, und da die Leiche noch immer in der Pfütze lag,
  machte ich mich selber daran, sie mit Hilfe einiger meiner Leute
  zu beerdigen. Zu meiner Verwunderung fand ich das Geschöpf lebend,
  brachte ihre schwarzen Brüder aber nur mit großem Mühe dazu, mit
  Hand anzulegen, um sie aus der Pfütze aufzunehmen. Ich ließ sie in
  eine Hütte tragen, ein Feuer anzünden, gab ihr etwas Branntwein ein
  und wusch ihr den Sand aus ihren lebensmüden Augen. Nun liegt sie
  da, kaum sechzehn Jahre alt! Ich kann nicht anders als hoffen, ihr
  Schiffchen schwimmt dem Hafen der Ruhe entgegen. Das Kind ist um
  eine tägliche Portion Durra von einer Familie angenommen worden.
  Ich zweifle nicht, bin sogar gewiß, daß Du Deine schwarze Schwester
  einmal finden und dann von ihr hören wirst, daß die ewige Weisheit
  alles wohl gemacht hat. Ich weiß, daß das nicht leicht zu glauben
  ist, ~aber es ist doch wahr~! Ich meinesteils ziehe ein Leben
  unter den Elenden einem Leben trägen Genusses vor. Und es giebt
  überall Elend. Mancher ist in seinem Reichtum ganz so beklagenswert,
  wie diese arme Sterbliche. Wie schlecht ist dieser Senf angemacht,
  sagte einer meiner Offiziere neulich, während unsere schwarzen Brüder
  um uns herumlaufen und man ihnen alle Rippen zählen kann!« ...

Vierundzwanzig Stunden später:

  »Laß Dir's nicht zu nahe gehen. Deine schwarze Schwester ist heute
  nachmittag aus diesem Leben erlöst worden, nur von mir betrauert;
  ihre schwarzen Brüder sind froh, sie los zu sein.«

Neben solchen Erlebnissen finden wir aber den Gouverneur alles
Ernstes damit beschäftigt, den Sklavenhändlern hinderlich zu sein;
bald macht er jedoch die Entdeckung, daß den Schurken durch die
Regierungsbeamten Vorschub geleistet wird. Ein seinem Dolmetscher in
die Hände gefallener Brief von einer Bande Menschenjäger an den Mudir
(Bezirksstatthalter) von Faschoda lautete folgendermaßen: »Wir sind
auf dem Weg mit zweitausend Kühen und allem anderen nach Wunsch.« Die
Kühe waren von verschiedenen Stämmen gestohlen, und das ›alles andere‹
bedeutete eine Anzahl Sklaven. Die ganze Sendung wurde abgefangen,
und die Sklaven soweit es möglich war in ihre Heimat zurückgeschickt;
einen Teil derselben behielt er. Die Sklavenhändler erhielten
Gefängnisstrafe; nach einiger Zeit aber nahm er die brauchbaren unter
ihnen in seine Dienste, so z. B. einen gewissen Nassar, der ein
Haupttyrann in jener Gegend war. Diesem jagte er eine Karawane von
mehreren hundert Sklaven ab, die derselbe mit einer Bande bewaffneter
Schwarzer nach Faschoda zu bringen hoffte; ihn selbst setzte er
vierzehn Tage hinter Schloß und Riegel und schrieb dann:

  »Ich habe dem Hauptsklavenhändler Nassar verziehen und ihn in meinen
  Dienst genommen; er ist nicht schlimmer als die andern, und die Leute
  sind bisher nur in ihrem Thun bestärkt worden. Er ist ein tüchtiger
  Mensch und kann was leisten.«

Als er nach einiger Zeit seine Station an einen gesünderen Ort
verlegte, berichtete er:

  »Nicht ich hab's zu stande gebracht, sondern die gewesenen
  Sklavenhändler, die ich in meinen Dienst genommen.«

Wie mit den Taipings in China, so verfuhr er hier: zuerst überwältigte
er den Feind und dann benutzte er ihn.

Im Mai hatte er den ganzen Weg nach Berber zurückmachen müssen, um
seine dort liegengebliebene Ausrüstung flott zu machen. Und dann
ging's wieder zurück nach dem Sobat. Es dauerte lange, bis seine
Dampfer ihm nachkamen. Mittlerweile aber ist er nicht müßig, gewinnt
mehr und mehr das Vertrauen der Schilluk und weiß sich in allen
Lagen zu helfen, von der Verfertigung einer Rattenfalle an bis zum
eigenhändigen Nähen einer Hose für einen seiner Schwarzen, an welchem
wohlgelungenen Kunstwerk er seinen Spaß hat. Und wenn alle anderen
in der trostlosen Wildnis mutlos werden, so bewahrt er die gute
Stimmung. »Ich bin längst über den Graben des Mißmuts hinaus,« kann er
sagen, denn sein Herz hat einen festen Ankerpunkt. Als er einst nach
viertägiger Abwesenheit auf seine Station zurückkam, umdrängten ihn
die Schwarzen, die er den Sklavenhändlern abgejagt hatte: sie wollten
ihm alle die Hand geben. Das freute ihn. »Ich kann jetzt allein
umhergehen und alle grüßen mich.« Kein Araber durfte das wagen, so
fürchteten sie die von ihnen unterdrückten Neger. Daß die Scheiks um
Gondokoro her sich ihm zuneigten, verdankte er übrigens teilweise dem
Einfluß Abu Sauds. Er machte ihn zu seinem Vakil oder Unterstatthalter.

In Gondokoro geriet Gordon mit Rauf Bey in Konflikt; derselbe war
Statthalter gewesen, aber, nur auf seinen Gewinn bedacht, hatte er
nichts gethan, das Gordon ihm nachrühmen konnte. Zwischen ihm und
Abu Saud entspannen sich alsbald Eifersüchteleien und Zwistigkeiten.
Gordon fand es rätlich, ihn mit Briefen nach Kairo zu senden, d. h.
sich seiner zu entledigen. Und mit Abu Saud mußte er bald ähnlich
verfahren. Dieser hatte sich allerlei Betrügereien zu schulden
kommen lassen, hatte Elfenbein unterschlagen, das für die Regierung
bestimmt war. Außerdem gebärdete er sich den andern Offizieren
gegenüber, als ob er Statthalter wäre. Gordon sah, daß er sich in
seinem Vertrauen getäuscht hatte. Er gab ihm den Laufpaß, nicht zu
früh, denn es stellte sich heraus, daß Abu Saud eine Meuterei unter
den von ihm befehligten schwarzen Truppen anzuzetteln im Begriff
war. Diese erklärten, sie würden ohne ihn nicht nach Dufile gehen,
wohin sie das Dampfboot in Teilen tragen sollten, damit es dort
wieder zusammengestellt werde. Gordon, der unlängst erklärt hatte,
daß die Losung der Provinz »Hurryat«, d. i. Freiheit, sei, erwiderte,
sie könnten bleiben wo sie wären, aber keine Macht der Welt würde
ihn zwingen, Abu Saud mit ihnen zu schicken, denn das würde seine
»Hurryat« beeinträchtigen. Da sie übrigens von der Regierung Sold
nähmen, so versähe er sich ihres Gehorsams. Seine feste Haltung
stellte die Ruhe her, und Abu Saud ging seiner Wege, ohne jedoch
sofort die Provinz zu verlassen. Nach einigen Wochen kamen Gessi
und einer der anderen Offiziere um seine Begnadigung ein, weil die
Kenntnisse des Schurken eben doch dienlich waren. Gordon gab nach;
»braucht doch jeder selbst Gnade,« schreibt er, »und kriegt sie auch,
so er darum einkommt.« Die Zurückberufung des Menschen war aber ein
Fehler; bald darauf mußte er doch nach Kairo geschickt werden.

Auch mit Krankheit hatte Gordon zu kämpfen. Er selbst, zwar zu
einem Schatten abgemagert, war der einzige Gesunde unter all seinen
Offizieren. Sein Zelt nannte er ein Lazaret, und Tag und Nacht wartete
er der Siechen. Der eine der beiden Linant und zwei andere starben,
mehrere mußten zurückgeschickt werden. »Ich bin wohl, aber sehr
überreizt,« erklärte er, »was schlimm ist, wenn mir etwas quer kommt.«
Damit meinte er die kleinen Widerwärtigkeiten, die immer wieder einen
Teil seiner Last ausmachten. Er mußte sich um alles selbst kümmern.

  »Die Hauptsache ist, immer gerecht und gradaus zu verfahren; keinen
  Menschen zu fürchten; alle Winkelzüge zu vermeiden, selbst wenn man
  für den Augenblick dabei verlieren sollte, und allen, die nicht
  parieren wollen, mit vollster Strenge zu begegnen. Es ist nicht immer
  leicht!«

Auf dem Wege nach Rigaf oberhalb Gondokoros wurde er von einem Scheik
aufgefordert, bei ihm Quartier zu nehmen; er lehnte es ab und fand in
der Nacht sein Zelt von diesem Häuptling und seiner Gruppe umstellt.
Mit dem Gewehr in der Hand hieß er sie ihrer Wege gehen, und die
beträchtliche Anzahl gehorchte dem »zum Schatten abgemagerten« Mann.

Ein großer Fortschritt bei den Eingebornen war, daß er ihnen den
Gebrauch des Geldes beibrachte. Vorher hatte nur Tauschhandel
existiert; und wenn ein Stamm zum Lasttragen bestellt war, so
beanspruchte der Häuptling den Lohn, Glasperlen oder Kattun, stets für
sich. Gordon entdeckte, daß die Leute schlecht dabei wegkamen, und
nahm sich vor, die Vorrechte des Scheiks in etwas zu verringern. Bei
nächster Gelegenheit gab er jedem Lastträger selbst einige Glasperlen;
am folgenden Tage lohnte er sie mit Kupfergeld ab -- jeder erhielt
einen halben Piaster. Darnach bot er ihnen Glasperlen zum Verkauf an.
Sie merkten den Witz auch alsbald und erklärten, sie wollten erst noch
mehr Kupfer verdienen und sich dann eine größere Anzahl Perlen dafür
geben lassen. Er richtete einen förmlichen Laden ein, wo allerlei zu
haben war, was den Eingebornen begehrlich erschien; wie bei allen
Neuerungen ging es auch hier keineswegs ohne Widerspruch ab.

Unter viel Krankheit der Stabsmannschaft ging das erste Jahr zu Ende.
Gordon beschloß, das Hauptquartier auf die andere Seite des Flusses
nach Lado zu verlegen, um der Sumpfluft bei Gondokoro zu entgehen.
Um diese Zeit kam sein Ingenieur Kemp, der in Dufile, zweihundert
Kilometer weiter oben am Nil, damit beschäftigt war, den Dampfer
zusammenzufügen, mit dem der Albert Njansa erreicht werden sollte, mit
der Nachricht zurück, daß von dem Unternehmen vorläufig abgestanden
werden müsse. Die Stämme waren mit seiner moralisch ganz ungenügenden
Mannschaft ins Treffen geraten. Doch brachte Long, der Amerikaner,
bessere Kunde, der mittlerweile bei dem König Mtesa von Uganda gewesen
war und sich einer guten Aufnahme bei der schwarzen Majestät erfreut
hatte. Außerdem hatte er die Wasserverbindung zwischen Urondogani und
Foweira entdeckt, wofür ihm Gordon großes Lob zollte.

Die eignen Erfolge Gordons faßt ein Sachverständiger mit folgenden
Worten zusammen: »Gordon hat Wunder vollbracht in der kurzen Zeit. Bei
seiner Ankunft fand er siebenhundert Mann Soldaten in Gondokoro vor,
die sich nur truppweise und bewaffnet in die nächste Umgebung wagten;
mit diesen hat er nicht weniger als acht Stationen besetzt. Sir Samuel
Bakers Äquatorzug hat die ägyptische Regierung über 20 Millionen Mark
gekostet, während Gordon bereits Geld genug nach Kairo geschickt
hat, um alle Unkosten seines Unternehmens nicht nur für dieses Jahr,
sondern auch für das kommende zu decken.« Es war dies lediglich ein
Resultat seiner getreuen und umsichtigen Verwaltung der rechtmäßigen
Einkünfte, hauptsächlich des Elfenbeinmonopols. Ein schönerer Erfolg
aber war der, daß trotz seiner Strenge gegen die Araber, oder vielmehr
gerade wegen dieser Strenge, die Schwarzen landauf landab angefangen
hatten, in ihm ihren einzigen Helfer gegen die Unterdrücker zu
erblicken. Er hatte ihr Vertrauen gewonnen, so unmöglich es anfangs
schien.

Der Hauptplan für das Jahr 1875 war die Verbindung Gondokoros mit
dem südlicheren Foweira, die durch eine Reihe von befestigten, je
eine Tagereise von einander entfernten Stationen hergestellt werden
sollte. Foweira konnte zur Zeit nur durch eine beschwerliche, sechs
Monate in Anspruch nehmende Reise erreicht werden und eine Karawane
mußte mindestens hundert Mann stark sein. Später waren zehn Mann
ausreichend, um den Weg in Sicherheit zurückzulegen, und statt der
Monate genügten Wochen. Außerdem hoffte Gordon, den Äquatorbezirk von
einer neuen Richtung her zugänglich zu machen, hatte er doch selbst
die Schwierigkeiten der Verbindung mit Ägypten über Khartum reichlich
erfahren. Nach seinem Plan sollte die Mombasbay am indischen Ozean zur
Kopfstation werden, von wo aus eine Karawanenstraße durch Mtesas Land
an die großen Seen führen sollte. Dem Khedive war der Vorschlag nicht
unwillkommen, denn es stand mit auf seinem Programm, die ägyptische
Flagge auf dem Albert Njansa wehen zu lassen. Es wurde auch ein Anfang
gemacht, nämlich ein Pascha entsandt, um den Plan zu verwirklichen;
zur Ausführung kam er aber nicht.

Gordons nächste Briefe erzählen von einem König und einem Häuptling,
die ihm zu schaffen machten. Von Foweira war Nachricht gekommen,
daß Kaba Rega, der König von Unyoro, sich mit den Sklavenhändlern
verbündet hatte und einen Überfall auf jene Stadt beabsichtigte.
Er beschloß diesen Kaba Rega seines »Stuhls«[9] zu entsetzen, und
einen gewissen Rionga zum König zu machen; es war dies aber schon
der Entfernung wegen leichter geplant als ausgeführt und blieb
einstweilen ein Vorhaben. Der unruhige Häuptling, Scheik Bidden, war
näher bei der Hand; diesem hatte Gordon im Herbst einen Boten mit
Geschenken zugeschickt. Den nächsten Boten werde er umbringen, hatte
der schwarze Machthaber zurückmelden lassen. Bidden beherrschte einen
Distrikt in der Nähe von Rigaf, und Gordon sah, daß er nicht weit
würde vordringen können, ehe er sich Bidden botmäßig gemacht hätte,
der überdies ganz kürzlich einen dem Statthalter freundlich gesinnten
Häuptling überfallen hatte. Das einzige Mittel, ihn Respekt zu lehren,
bestand darin, ihm sein Vieh abzujagen. Gordon beschreibt diese Razzia
folgendermaßen:

  »Ich ließ sechzig Mann auf der Ostseite des Flusses vordringen
  und hundert Mann auf der Westseite, während ich selbst mit einem
  Offizier und zehn Mann ein Boot bestieg in der Absicht, nach den
  Inseln zu rudern, wo die Umzäunungen für das Vieh sich befanden. Um
  zehn Uhr abends stießen wir ab, es war eine wunderschöne Mondnacht.
  Die Entfernung bis zu Biddens Inseln betrug etwa fünf Wegstunden;
  und dort fangen die Stromschnellen an. Nach einiger Zeit geriet das
  Boot in eine Untiefe und mußte zurückbleiben. Der Offizier mit acht
  Soldaten marschierte voraus, mich zurücklassend ... Wir waren nicht
  weit von einer der Inseln und man konnte Stimmen unterscheiden. Ich
  war allein mit nur zwei Mann und einem Dolmetscher! Wir gingen eine
  Strecke weiter und setzten uns dann nieder ...«

Sowohl die westliche als östliche Abteilung seiner Leute sollte hier
mit ihm zusammenstoßen; die sudanische Mannschaft war aber nicht sehr
zuverlässig. Es war vier Uhr, und in weniger als zwei Stunden mußte
es tagen. Gordon sagt, militärisch sei die Lage eine ganz schlimme
gewesen, aber sie war nicht zu ändern. Er legte sich daher ruhig hin
und schlief eine Weile; als er aufwachte, stand das Morgenrot am
Himmel und man hörte eine Trommel, das Signal zum Melken.

  »Das Vieh ist nur nachts in der Umzäunung; diese hat einen einzigen
  Eingang, und die Krieger schlafen in der Mitte. Für den Angriff
  empfiehlt sich folgende Methode; man postiert ein paar Mann am
  Eingange, die bei Tagesanbruch, ehe die Herde hinausgetrieben wird,
  mit drei Schüssen ein Zeichen geben. Wartete man, bis das Vieh im
  Freien ist, so kriegte man nicht leicht ein Stück. Die Helden von
  Herdenwächtern suchen das Weite, sobald sie schießen hören, geben
  aber den Alarm mit der Kriegstrommel, wenn die Flucht keine zu eilige
  ist. Die Umzäunung zu verteidigen, fällt ihnen nicht ein; und es
  ist immer am besten, sie laufen zu lassen, denn die Kühe sind die
  Hauptsache. Während ich also die rote Glut im Osten aufsteigen sah,
  ertönten uns gegenüber drei Signalschüsse, und alsbald wirbelte die
  Trommel. Es war aber ein schwacher Wirbel, und die anderen Trommeln
  schwiegen dazu ... Nach einiger Zeit erschienen unsere Verbündeten,
  der Scheik und seine Leute. Biddens Krieger, meldeten diese, hielten
  stand inmitten ihrer Kühe und schossen ihre Pfeile ab. Bald aber
  liefen sie doch davon, und die Herde war gewonnen. Ich entschädigte
  den Scheik mit dem, was keineswegs unser Eigentum war« ...

Die andere Abteilung hatte ähnlichen Erfolg, und so wurde der
widerspenstige Bidden ohne Blutvergießen oder Dorfverbrennen durch
einen Verlust von zweitausendsechshundert Stück Vieh gezüchtigt.

Etwa vierzehn Tage später machte Gordon einen Ausritt und, auf einen
Trupp Eingeborner stoßend, fragte er sie, ob sie Biddens Leute wären.
Da wiesen sie auf einen alten Mann, der unter einem Baume saß, und
sagten bedeutungsvoll: »Bidden!« Der gefürchtete Scheik war ein
blinder Greis! Gordon ging sofort auf ihn zu und schenkte ihm seine
Pfeife (übrigens ein Blas-, kein Rauchwerkzeug) und eine Portion
Tabak. Das freute den Alten, und er versprach dem Gouverneur einen
freundschaftlichen Gegenbesuch. Als er sich einfand, gab Gordon
ihm eine Anzahl seiner Kühe zurück, welche Großmut den günstigsten
Eindruck auf die Stämme machte. Bidden, der Greis, war indessen nur
dem Namen nach Scheik; der wirkliche Machthaber war sein Sohn.

Seine Arbeit während der nächsten Monate faßt Gordon so zusammen:

  »Um es kurz zu sagen, ist's wenig genug -- an einem Fluß hin
  befestigte Stationen errichten und Bote durchzwingen, wo die
  Schifffahrt fast unmöglich ist -- das ist so ziemlich alles, und die
  Mühe ist größer als der Erfolg.«

Aber ob es auch wenig scheint, so weiß Gordon doch, daß durch
anscheinend geringe Dinge oft Großes erreicht wird. Zwar weiß er
nicht, daß er in der Vorbereitung auf Größeres steht, aber im Glauben,
daß Gott ihn an jenen Posten gestellt hat, dringt er vorwärts, und als
sein Motto für diese Zeit kann das Wort des Predigers gelten: »Alles,
was dir zu thun vorkommt, das thue frisch!« Der Held von China, der
Mann von Gravesend, thut überall sein Bestes, mag die übernommene
Arbeit äußerlich eine glanzvolle sein oder nicht.

Die Nilbarken, »Nuggers« genannt, durch die Stromschnellen und
zwischen Felsen flußaufwärts zu bringen, scheint eine Riesenarbeit
gewesen zu sein; er spricht von sechzig bis achtzig kohlschwarzen,
atlashäutigen Eingebornen, die jedem Boot vorgespannt sind. Die Stämme
sahen es erstaunt mit an und ließen ihre Zauberer das Wasser schlagen,
teils freundlich, teils feindlich gesinnt. Und wenn die Lage oft eine
verzweifelte zu sein schien, so war sie doch so, daß Gordon in seiner
eigentümlichen Weise schreiben konnte:

  »Ich wußte mir selbst oft nur damit zu helfen, daß ich mir die
  Nuggers herbetete, wie einst die Truppen in China, wenn sie nicht mir
  nach in die Bresche wollten.«

Thatkraft und Glaube waren bei ihm eng verschwistert! Er hat in
jenen Tagen und Wochen lange Briefe geschrieben, die eine Kette von
Schwierigkeiten berichten, aber er bewältigte sie, und nacheinander
wurden die Stationen Kirri, Muggi, Labore und Dufile erreicht. Ob der
Khedive mit ihm zufrieden ist oder nicht, darnach fragt er nicht.

  »Ich danke Gott, daß ich's längst aufgegeben habe, mich um die Gunst
  oder Ungunst von Menschen zu kümmern. Ich kann ehrlich sagen, ich
  weiß keinen, der die Verbannung und Quälerei meines gegenwärtigen
  Lebens ertrüge ... Ich thue mein Bestes, soweit mein Verstand mir's
  zeigt, und suche gegen alle gerecht zu sein ... Was würde ich hier
  zurücklassen, wenn es Gottes Wille wäre, daß man mich zurückriefe --
  ein Zelt, Hitze bei Tag und feuchte Kälte bei Nacht, die geringste
  Nahrung, die sich denken läßt: trockenen Zwieback, gedörrtes Fleisch,
  etwas Maccaroni, das ist alles. Mit Tagesanbruch an die Arbeit
  und früh zu Bett (ich lege mich schon um sieben oder acht Uhr der
  Moskitos wegen, und wollte: sich legen hieße schlafen!) Nichts zu
  lesen, ~ein~ Buch ausgenommen, und dieses nicht so oft als
  man wünschte, weil die Ruhe fehlt, die zu andächtiger Betrachtung
  der göttlichen Geheimnisse nötig ist; den lieben langen Tag nichts
  als Plackerei, an alles selbst denken, alles selbst thun, wenn's
  geschehen soll, das ist zur Zeit mein Leben ... Die arme Exzellenz
  ist der Hauptsklave.«

Und während der ganzen Zeit lassen seine von Khartum ihm folgenden
Dampfer auf sich warten. Zuletzt kann er aber doch schreiben:

  »Wie froh bin ich, daß die Verbindung hergestellt ist! Gestern kam
  ein Mann allein von Bidden her; vor einiger Zeit wagten die Leute nur
  zu zwanzig und dreißig den Weg. Die Schwarzen würden sich im hohen
  Gras versteckt haben und hätten den Hintermann angespießt. Jetzt
  sind sie ganz freundlich. Ein Bari in meinem Dienst hat dieser Tage
  ein Schaf gestohlen, und alsbald kamen die Beschädigten zu mir, um
  Recht und Gerechtigkeit zu erlangen, und sie kamen nicht umsonst.
  Ist das nicht schön? Auch unter meinen Leuten hat eine Veränderung
  stattgefunden; sie fürchten die Schwarzen nicht mehr wie früher,
  es herrscht ein besseres Einverständnis ... Die Stämme haben viel
  Verkehr miteinander, und auch solche, die uns nicht kennen, wissen es
  jetzt, daß sie uns nicht zu fürchten brauchen.«

Allerdings hatte er die Eingebornen auch von der feindlichen Seite
kennen zu lernen, so z. B. schreibt er zwischen Muggi und Labore:

  »Es herrscht große Aufregung auf der anderen Seite des Flusses; ein
  Scheik in einem roten Hemd mit zwanzig Bewaffneten läuft hin und her
  und Zauberfeuer sind zu sehen. Sonderbar, daß all dies Entsetzen
  dadurch hervorgerufen scheint, daß ich in einem Nachen überfuhr. So
  viel Vorstellung mußte der Anblick der Nuggers ihnen doch geben, daß
  wir überfahren können, wenn wir wollen ... Mein Fernglas zeigte mir
  eine Anzahl Eingeborne, die unter einem Baume saßen. Nach einiger
  Zeit stand einer auf und wandte sich gegen Norden, pflückte einige
  Kräuter und schwenkte sie fortwährend gegen unser Lager; darnach
  lief er südwärts und machte eine ähnliche Bewegung, als ob er Hilfe
  herbeiwinke. Ohne Zweifel war er ein Prophet, der Israel verfluchen
  sollte. Sie waren etwa dritthalbtausend Fuß von uns entfernt. Um
  ihnen ein bißchen Schrecken einzujagen, schoß ich eine Kugel so ab,
  daß sie etwa fünfzig Schritte zu ihrer Rechten in den Boden schlug.
  Da hörte das Zaubern sofort auf, und sie wunderten sich offenbar,
  dabei ertappt zu sein.«

Linant, der Bruder des in Gondokoro dem Fieber Erlegenen, kam um
diese Zeit von einem Streifzug nach Makade zurück. Vorher war er bei
Mtesa gewesen und hatte Stanley, den bekannten Afrikareisenden, dort
getroffen. Gordon sollte nun abermals erfahren, was seine Araber
wert waren. Er hatte an vierzig Mann über den Fluß geschickt, weil
Nachricht eingetroffen war, daß einer der längst erwarteten Dampfer
in einiger Entfernung fest säße. Kaum waren aber die Leute gelandet,
als sie von einem Trupp Eingeborner, die sich im hohen Grase verborgen
gehalten hatten, überfallen und zurückgeworfen wurden. Gordon fuhr
alsbald selbst über und versuchte, durch seinen Dolmetscher eine
Unterhandlung anzuknüpfen. Die Schwarzen wollten aber nichts davon
wissen. Als den »Häuptling« glaubten sie ihn an seinem Schirm zu
erkennen und suchten ihn zu umringen. Er ließ sie ruhig näher kommen
und schickte dann eine Ladung Kugeln unter sie. Zu treffen waren sie
übrigens nicht leicht, denn sobald sie den Feind schußfertig sahen,
lagen sie auch schon auf dem Leib. Am folgenden Morgen schlug Linant
vor, mit einem Teil der Mannschaft überzusetzen und den Eingebornen
ein paar Häuser in Brand zu stecken. Gordon gab es zu, denn es war zu
fürchten, die kampflustigen Gesellen möchten den Dampfer überfallen.
Er selbst blieb zurück. Gegen Mittag hörte er schießen und erblickte
Linant, den er an seinem roten Hemd erkannte. Er konnte auch seine
Mannschaft beobachten, es waren gegen vierzig Mann. Mit einemmale
aber waren sie verschwunden, und sein Fernrohr zeigte ihm ungefähr
dreißig Schwarze, die eiligst flußabwärts liefen. Er vermutete, sie
suchten den Dampfer, und schickte einige Kugeln unter sie. Nach
einiger Zeit erblickt er einen einzelnen Mann von seinen Leuten, der
ohne Waffen daherkam; er sandte alsbald einen Nachen über den Fluß
und ließ ihn holen. Die Eingebornen hätten ihn entwaffnet, erklärte
er, und die andern wären alle tot. Gordon hatte nur noch dreißig Mann
bei sich, und diese waren hilflos vor Angst. Trotzdem beschloß er zu
handeln. Die Station war unbefestigt und es galt Weiber und Kinder
in Sicherheit zu bringen; er mußte sich nach der nächsten Station
durchschlagen. Dies ließen die Eingebornen ruhig geschehen, nur daß
ihr Zauberer von einem Felsen herunterschrie: »Ha ha! ta ta a!« soviel
als »Geschieht euch recht!« Gordon belehrte aber den Hexenmeister
mit einer Kugel, daß es unklug sei, den Feind in Schußweite zu
verwünschen. Leider stellte es sich heraus, daß nicht nur fast die
ganze Mannschaft, sondern Linant selbst dem Überfall erlegen war; und
zwar war dieser offenbar ein Opfer seines roten Hemdes geworden, das
den Schwarzen als begehrenswerte Beute erschien. Er fiel zuerst, von
seiner Mannschaft verlassen, die vor Schrecken zu schießen vergaß;
und als einer dahin und ein anderer dorthin lief, wurden die meisten
durchspeert. Gordon betrauerte Linant um so mehr, als er ihm das
unselige Hemd selbst geschenkt hatte. Aber trotz des empfindlichen
Verlustes kann er die Eingebornen nicht verdammen; er kann es
vielmehr begreifen, wenn sie sagen: »Wir brauchen eure Glasperlen und
euren Kattun nicht -- laßt uns in Frieden.« Und er denkt daran, wie
ernsthaft sie zauberten, ehe sie den Überfall wagten; er sagt sogar,
er hätte eine Ahnung gehabt, daß der Sieg diesmal nicht auf seiner
Seite sein würde.

»Es war ihnen offenbar ernst mit ihrem Beten,« schreibt er, »sie
wußten, daß sie Hilfe nötig hatten, und wendeten sich an den
unbekannten Gott. Denn wenn der Schwarze auch den wahren Gott nicht
kennt, so kennt Gott doch ihn; und Gott ließ sie merken, daß sie
beten müssen, und erhörte ihr Gebet. Rosse werden zum Streittag
bereitet, aber der Sieg kommt vom Herrn.«

Trotzdem er aber so denkt, weiß er, daß die Schwarzen gezüchtigt
werden müssen, was dadurch geschieht, daß er ihnen zweihundert Kühe
und fünfzehnhundert Schafe entführt. Da auch des Häuptlings Tochter
eingefangen wurde, ließ er dem Vater sagen, wenn er versprechen wolle,
sich künftig ruhig zu verhalten, könne er sie wieder haben. Die
Köpfe Linants und seiner Gefährten hatten die Schwarzen an Pfählen
aufgesteckt, die Leiber aber aus Furcht vor Gespenstern begraben.
Es blieb bei diesem einen Überfall, aber noch eine gute Strecke
begleiteten sie Gordon in gehöriger Entfernung am Ufer hin; und mehr
wie einmal konnte er »Balak und Bileam« auf den Anhöhen beobachten,
wie sie ihm von Herzen alles Böse wünschten.

Im September endlich wurde Dufile erreicht, wo der Nil in einem engen
Thal zwischen Hügelreihen fließt; der Fluß, dessen Wassermassen an
mehreren Stellen einem See gleichen, ist dort nur etwa hundert Fuß
breit. ~Alles umsonst!~ war Gordons erster Eindruck, als er nach
unsäglichen Mühen so weit gekommen war. Es hieß: bis hierher und nicht
weiter, die Folafälle waren die Grenze. Doch konnte er sich damit
trösten, daß er die Schifffahrt wenigstens bis dahin als möglich
nachgewiesen hatte, und die errichteten Stationen von bleibendem Wert
waren. Nachdem er sich vierzehn Tage in Dufile aufgehalten hatte,
das er als eine Insel in einem Meer von Riedgras beschreibt, zog er
landeinwärts nach Faschelie, wo er eine Bande Sklavenjäger aushob.
An diesem Ort erreichte ihn ein »kühler« Brief des Khedive. Gordon,
den es ohnehin verlangte, eine Statthalterschaft niederzulegen, die
ihn lediglich zum Entdeckungsreisenden machte, gab alsbald Befehl zu
packen und schickte sich an, eine Depesche abzufertigen, die seine
Rückkehr melden sollte. Als nach wenig Tagen aber ein Brief in anderer
Tonart von Kairo den ersten zu vernichten schien, hatte er nicht
das Herz, sein Amt Knall und Fall niederzulegen. Dahin aber hatte er
sich entschlossen, daß er es einem seiner Untergebenen überlassen
wollte, zum erstenmal den ~Albert Njansa~ zu befahren. Dieses
Zurücktreten von der Ehre, die sein Werk krönte, ist so bezeichnend
für den Mann, daß man ihn selbst darüber hören muß:

  »Ich wünsche einen Beweis zu liefern, wie wenig von den Lobhudeleien
  zu halten ist, die man dem Führer einer Expedition zollt. Hat nicht
  mein Schiffszimmermann das Seine gethan, daß wir die Nuggers so weit
  gebracht haben? Es ist keine Kunst den Njansa zu befahren, wenn
  die Boote zur Stelle sind. Es ist die Arbeit vieler und einer hat
  die Ehre. N. N. schrieb mir neulich und gratulierte mir zu meinen
  Lorbeeren. Da ~muß~ ich ja zeigen, daß es nichts damit ist!«

Am letzten Tag des Jahres kann er schreiben:

  »Endlich ist der Dampfer in Sicht, d. h. die Lastträger, welche die
  einzelnen Teile daherschleppen. Die Arbeit war eine entsetzliche, und
  das ganze Jahr ist eine Last gewesen, die manch sauren Schweißtropfen
  gekostet hat.«

Und Gordon erklärt seiner Schwester, die schönste Entdeckungsreise,
die er sich noch denken könne, wäre der Rückweg in die Heimat.

Ein Ergebnis seines Fleißes in jener Zeit sind seine Nilkarten.

  »Wir haben den Fluß (im halben Zollmaßstab per Meile) von Khartum bis
  Dufile und wieder von Foweira bis Mruli, und ich hoffe, entweder ich
  oder einer meiner Offiziere wird die Strecke von Dufile bis zu den
  Murchisonfällen auch noch aufs Papier bringen.«

Somit blieben drei Lücken: 1) von Kositza nach Mruli, 2) von Foweira
nach den Murchisonfällen und 3) der Albertsee. Trotz seinem Vorhaben,
nicht selbst den See zu befahren, füllte er diese Lücken noch aus. Die
Folafälle bei Dufile, wo der Fluß etwa eine Stunde lang durch tiefe
Schluchten sich stürzt, sind die einzige Strecke des ganzen Nils, die
er nicht zu durchschiffen vermochte.

               [Illustration: Kartenskizze des Sudan.]

Ende Januar 1876 erreichte er Fatiko und Foweira im Lande Unyoro;
dort hörte er, daß Kaba Rega mitsamt seinem Sessel sich nach Massindi
davongemacht hatte. Foweira wurde nach einemfünftägigen Marsche
durch dornenbewachsenes Land erreicht. Von dort ging er nach Mruli,
um dann nach Urondogani vorzudringen. Die kurze Strecke von diesem
Ort bis zum Viktoriasee ist das »einzige Stückchen« Nil, das Gordon
schließlich nicht selbst bereiste.

Im Februar traf er mit seinem Unterbefehlshaber Gessi in Dufile
zusammen. Letzterer machte sich von dort mit zwei Booten nach den Seen
auf den Weg. Er umschiffte den Albert Njansa in neun Tagen und fand
ihn etwa zweihundert Kilometer lang und achtzig breit. Durch einen
Sturm wurde er an eine Insel verschlagen, die voll von Kaba Regas
Truppen war; diese weigerten sich aber mit seinen Leuten anzubinden,
weil sie den weißen Mann für einen Teufel hielten. Gessi errichtete
des Khedive Flagge am See, und die Stämme ergaben sich nacheinander.
Die Schwarzen in jener Gegend waren gekleidet, während in den vorher
durchreisten Nilstrecken die Menschen nackt gingen.

Die nächsten Monate bis zum August waren für Gordon eine Zeit
verhältnismäßiger Ruhe; er reiste zwischen den gewonnenen Stationen
hin und her, und seine Briefe bezeugen es, daß seine Gedanken in
stillen Tagen sich am liebsten den ewigen Dingen zuwenden.

Im September war er wieder auf dem Marsche nach Massindi. Kaba Rega
hatte die meisten seiner Anhänger verloren, während Rionga und ein
anderer Häuptling sich um die Herrschaft stritten. Längere Zeit vorher
hatte Gordon Mannschaft nach Massindi abgefertigt und aus erhaltener
Botschaft konnte er nur schließen, daß dieser Ort von den betreffenden
Truppen besetzt sei. Als er aber in die Nähe kam, fand er, daß seine
Araber ihn betrogen hatten und nie dort waren, obschon der Anführer
seine Meldungen von dorther datierte. Er selbst kam mit einer kleinen
Anzahl und geriet durch diesen Verrat der nichtswürdigen Mannschaft
förmlich in eine Falle.

Die Stämme lauerten ihm von allen Seiten her auf.

  »Ich danke Gott nicht nur mit Worten, sondern aus tiefster Seele,«
  schrieb er, »daß er uns glücklich durchbrachte.«

Er hatte nicht hundert Leute bei sich, und von diesen war ein Drittel
kaum sechzehnjährig. Die Mannschaft, die er nach seinem Befehl in
Massindi wähnte, lag die ganze Zeit auf der faulen Haut in Keroto,
eine Tagereise davon entfernt. Als er hinkam, brach er in einen
»wütenden« Zorn aus, dann aber beruhigte er sich.

  »Als einer, dem selbst Erbarmung widerfahren ist, konnte ich nur
  Gnade vor Recht ergehen lassen,« sagte er. »Sie sind ein erbärmliches
  Volk, was kann man von ihnen erwarten!«

Während der nächsten Wochen errichtete er noch verschiedene Stationen,
von welchen aus der ägyptische Einfluß sich geltend machen sollte. Es
blieb den Besatzungen überlassen, den Kaba Rega in Ordnung zu halten.

Die drei Jahre seiner persönlichen Statthalterschaft am Äquator waren
eine Zeit der Pionierarbeit und der Vorbereitung für weitere drei
Jahre, die nun folgten. Er sollte erst zu dem Kampf gestählt werden,
der ihm bevorstand. Nur durch innerliches Wachstum geht ein Mann wie
Gordon »von Kraft zu Kraft«.

Am 29. Oktober schrieb er von Khartum aus: »Es giebt englische Spatzen
hier; was für eine Freude, sie zu sehen!« Anfangs Dezember war er in
Kairo, und am heiligen Abend des Jahres 1876 begrüßten ihn die Seinen
in der Heimat.




                            Fünftes Buch.

                  Der General-Gouverneur des Sudan.


                      1. Als Ritter ohne Furcht.

»Man wirft mir vor, den Engländern nicht zu trauen,« sagte der
alte Khedive Ismail, als es sich um seine Absetzung handelte,
»habe ich nicht noch immer dem Gordon Pascha vertraut? Der ist ein
ehrlicher Mann, ein guter Landverwalter und kein Diplomat!« Ismail
war darum auch keineswegs damit einverstanden, einen so tüchtigen
Mann zu verlieren. Gordon aber hatte erklärt, daß er nur dann
zurückkehren werde, wenn ihm die gesamte Statthalterschaft der
Sudanländer übertragen würde. Seine drei Jahre am Äquator waren
ja keineswegs verlorene Zeit gewesen, er hatte die Sklavenjagd
in seinem Bezirk geschwächt, wenn nicht unterdrückt, aber von der
Hauptstadt Khartum aus hatte der General-Gouverneur Ismail Jakub
Pascha seinen Bestrebungen stets entgegengearbeitet. Er mußte in
Zukunft ganz freie Hand haben. Daß man ihm so weit entgegenkommen
werde, erwartete er keineswegs, als er sich zu einer Besprechung
nach Kairo begab; der Khedive aber war zu allem bereit. Jakub wurde
beseitigt, und Gordon verließ die Residenz als Oberstatthalter einer
von Südägypten bis zum Äquator, und vom Roten Meer bis Darfur sich
erstreckenden Provinz. Er sollte drei Vakile oder Unterstatthalter
haben, einen im eigentlichen Sudan, einen in Darfur, und einen am
Roten Meere. Als die beiden Hauptzwecke seiner Verwaltung war »die
Vervollkommnung der Verkehrsmittel und eine völlige Unterdrückung
des Sklavenhandels« in Aussicht genommen. Außerdem hieß es im neuen
königlichen Bestallungsschreiben: »An der abessinischen Grenze giebt
es Streitigkeiten; ich trage Ihnen auf, dieselben zu schlichten«.

Am 18. Februar 1877 machte sich Gordon zum zweitenmal nach dem Sudan
auf den Weg, nicht auf sich selbst vertrauend, wohl aber stark in der
Kraft seines Herrn.

  »Ich ziehe allein hinauf mit dem allmächtigen Gott, der mich führen
  und leiten wird; wie gut ist's, sich so völlig auf Ihn zu verlassen
  und nichts zu fürchten, ja und des Gelingens gewiß zu sein!«

Nach des Khedive Erklärung gab es Grenzstreitigkeiten mit
~Abessinien~. Die Lage war kurz die: nach König Theodors Tod
hatte ein gewisser Kasa, unter dem Namen Johannes, sich zum Herrscher
aufgeworfen, allein Johannes war, wie Gordon treffend bemerkte, nur
da König, wo er sich gerade befand, anderwärts galt er nichts. Im
Trüben fischend hatten die Ägypter darauf Bogos annektiert, während
der rechtmäßige Regent, Walad el Michael, von Johannes gefangen
gehalten, aber aus Furcht vor dem allzunah heranrückenden Nachbar
unter der Bedingung freigelassen wurde, daß auch er sich gegen den
gemeinsamen Feind zur Wehre setzen werde. Die Abessinier hatten
zuerst die Oberhand. Walad aber ersah seine Gelegenheit, den Ägyptern
sich anzuschließen und andere abessinische Häuptlinge aufzuwiegeln.
Als nun Johannes sich von Anarchie umgeben sah, schickte er einen
Gesandten nach Kairo und bot das südlich von Bogos gelegene Hamasen
als Friedensopfer an. In Kairo aber nahm man gar keine Notiz von
diesem Botschafter, ja man gestattete dem Pöbel, ihn auf offener
Straße zu beleidigen, dann schickte man ihn zurück! Natürlich war
Johannes voll Ingrimm, und im Bewußtsein, nicht zum besten gehandelt
zu haben, sandte der Khedive nun Gordon als Bevollmächtigten, die
Mißhelligkeiten beizulegen.

In der Wüste zwischen Massaua am Roten Meer und Keren (Senheit)
spricht sich Gordon über seine Lage so aus:

  »Nun ich wieder in dieser weiten Einsamkeit auf meinem Kamel
  bin, überdenke ich meine Lage. Dem Johannes habe ich annehmbare
  Bedingungen geschickt und hoffe, mit seinem einflußreichen General
  Alula in Senheit zusammenzutreffen. Gelingt es mir, die Sache
  abzuwickeln, dann gehe ich alsbald nach Khartum und von dort nach
  kurzem Aufenthalt nach Darfur, das in Aufruhr sein soll, doch glaube
  ich das nicht recht ... Die Wohlgeneigtheit des Khedive ist über
  alle Begriffe. Er hat Zeila, Berbera und Harrar meiner Provinz
  beigefügt. »Was du wirst von mir bitten, will ich dir geben, bis
  an die Hälfte meines Königreichs.« Was aber ist die Kehrseite? Das
  Opfer eines Lebens, das man erst selbst durchkämpfen muß. Sein Leben
  zu sofortigem Tod hingeben, ist nicht das schwerste! Aber ich habe
  den Kampf übernommen und will mein Leben nicht in Anschlag bringen.
  Und es ist mir dabei, als ob ich mit dem Khedive nichts mehr zu
  thun hätte. Gott der Herr muß den Kampf selbst unternehmen, ich
  bin zur Zeit sein Werkzeug. Die Ehre, die der Khedive mir erzeigt,
  hat mich gar nicht, oder richtiger nur sehr wenig bewegt; ich bin
  doch wohl ein bißchen stolz auf das Vertrauen, das er mir schenkt.
  Mancher möchte die große Verantwortung scheuen, aus Furcht, ihr nicht
  gewachsen zu sein; ich habe nicht daran gedacht. Ich weiß gewiß, daß
  mir's gelingen wird, denn ich verlasse mich nicht auf meinen Verstand
  -- Er leitet meine Wege. Sind doch alle zukünftigen Ereignisse für
  einen jeden von uns vorherbestimmt. Des Negers, des Arabers, des
  Beduinen Laufbahn, ihr Zusammentreffen mit mir u. s. w. ist längst
  beschlossen. Wie kann da einer sich viel darauf einbilden, wenn er
  etwas zu stande bringt!« ...

Er hatte eine Zusammenkunft mit Walad, und kam durch Alula zu einem
Einverständnis mit Johannes, der mittlerweile von Menelek, dem König
von Schoa, im Süden bedrängt war; eigentliche Erfolge konnte er aber
nicht abwarten. Seine Anwesenheit in Khartum war dringend notwendig,
denn die Sklavenjäger im Sudan thaten ihr möglichstes, die noch
verstattete Frist auszunützen. Er beeilte sich daher. Schon auf dem
Wege verschaffte er den Leuten Recht, wo er konnte. Die Thatsache,
daß der neue Gouverneur einen jeden anhöre, der etwas zu klagen habe,
ging wie ein Lauffeuer durchs Land. Er mußte zuletzt einen wandernden
Briefkasten einführen, in welchen die Bittsteller ihr Anliegen an ihn
sozusagen zur Post geben konnten. Auch das Unangenehme der Würde eines
»großen Herrn« erfuhr er.

  »Wenn ich absteigen will, so sind gleich acht oder zehn Mann bei der
  Hand, mich vom Kamel zu heben, als ob ich ein Todkranker wäre. Und
  wenn ich eine Zeit lang zu Fuß gehen möchte, so steigt die ganze
  Karawane ab; dann werde ich ärgerlich und sitze wieder auf!«

In ~Khartum~ wurde er gleich einem Könige mit Kanonenschüssen
empfangen und eine feierliche Installierung fand statt. Anstatt aber
eine Thronrede zu halten, sagte er nur: »Mit Gottes Hilfe will ich
die Waage gerecht halten!« und das gefiel den Leuten besser als die
glänzendste Rede, war doch Gerechtigkeit das, was dem armen Lande am
meisten not that. Nach der Feier ließ er Geld an die Armen austeilen:
in drei Tagen hatte er an zwanzigtausend Mark aus seiner eigenen Kasse
verschenkt.

Als Stellvertreter des Khedive hatte er einen überaus stattlichen
Palast mit einem Schwarm von Dienern, die ihn »hüteten wie einen
Klumpen Gold«; das verdroß ihn. Auch hier war es den Leuten etwas
ganz Neues, daß man den Statthalter sprechen konnte, ohne erst eine
Menge von Schranzen zu bestechen. Bald war er so von Hilfesuchenden
belagert, daß er auch hier einen Briefkasten einführen mußte, und
zwar an seiner eigenen Hausthüre, wo jeder sein Begehren schriftlich
einreichen konnte. Das erste, was er abschaffte, war die Peitsche
(Karbatsche), mittels welcher seine Vorgänger regiert hatten.
Gewaltherrschaft war nicht seine Sache. Übrigens war er nicht
allgemein populär; sein Vorgänger Ismail Jakub hatte Verwandte in
Khartum, auch eine zornmütige Schwester, die zur Begrüßung des ihr
verhaßten neuen Statthalters an den Fenstern des Regierungspalastes
die Scheiben einschlug und in den Gemächern die Diwane durchlöcherte!
Auch sein Vakil, Halid Pascha, war von Anfang an widerspenstig. Mit
dem machte Gordon aber kurzen Prozeß, er telegraphierte nach Kairo und
verlangte, daß er entfernt werde; der Wunsch wurde gewährt.

Die Aufgabe, den Sklavenhandel in einem Lande zu unterdrücken,
wo Menschenware seit Jahrhunderten als ein erlaubtes Mittel zum
Reichwerden galt, war in der That eine große; Gordon weiß das und
setzt hinzu:

  »Wie Salomo bitte ich Gott um Weisheit, dies Land zu regieren; und
  nicht nur sie wird er mir geben, sondern alles übrige dazu. Und
  warum? Weil mir an dem übrigen nichts gelegen ist.«

Aber er weiß auch, daß er die Sache nicht übers Knie abbrechen
läßt. Selbst Sklaven sind Besitz, der sich nicht ohne weiteres
antasten läßt. Ihre Freiheit soll mit der Zeit gesichert werden,
und mittlerweile sind's die Sklavenjäger, welche immer neue Zufuhr
bringen, denen er Krieg auf Tod und Leben ankündigt, er, der eine
Mann, kann man sagen, denn sein Militär ist fast wertlos. Sechstausend
türkische Baschi-Bosuks, seine Grenzwächter, beschließt er abzudanken;
denn er sieht, daß sie mit den Händlern unter ~einer~ Decke
stecken. Sechstausend Soldaten aber den Laufpaß geben, in einem Lande,
wo sie sich alsbald wieder als Banditen zusammenrotten können --

  »Wer dürfte es wagen, der nicht den Allmächtigen auf seiner Seite
  hat? Ich will es thun, denn mein Leben achte ich für nichts, ich
  würde nur eine große Last mit der ewigen Ruhe vertauschen ... Ich
  bin an des Khedive Statt hier, mit unumschränkter Gewalt, und weiß
  es jetzt, wie machtlos er in Kairo dem Sklavenhandel gegenüber ist.
  Aber mit Gottes Hilfe will ich's vollbringen und habe das Bewußtsein,
  daß er mich dazu bestimmt hat ... Die Arbeit ist riesengroß, aber das
  ficht mich nicht an ... ich kenne meine Schwäche und verlasse mich
  auf Den, der stark ist. Ich kann nur gradaus meinen Weg gehen, den
  Erfolg überlasse ich Ihm ... Es ist in der That eine Riesenprovinz,
  die ich zu verwalten habe; wie froh bin ich zu wissen, daß Gott
  der Herr Verwalter ist; es ist sein Geschäft, nicht meines. Wenn
  ich unterliege, so ist's sein Wille; gelingt es mir, so gebührt
  Ihm die Ehre. Jedenfalls hat Er mir's gegeben, die Ehre der Welt
  für nichts zu achten, und die Gemeinschaft mit Ihm über alle Dinge
  hochzuschätzen. Möge mir alles mißlingen und ich in den Staub
  gedemütigt werden, wenn nur Er verherrlicht wird. Die hohe Stellung,
  die ich bekleide, will mich manchmal drücken, und ich kann mich nach
  der Zeit sehnen, wo Er mich beiseite legen wird und einen andern Wurm
  dies Werk thun läßt. Ich wollte, die Kampfhitze meines Lebens wäre
  vorüber; aber Er hält mich aufrecht und wird mich davor bewahren, je
  wieder an Irdisches mein Herz zu hängen.«

Wer so denkt, wie kann der anders als große Thaten thun! Ein an Gott
sich haltender Mensch ist immer ein Held.

Wir haben Gordon den Ritter ohne Furcht genannt. Wie ein Recke in
den alten Heldensagen zieht er aus, mit dem starken Arm seines
Gottvertrauens ein Beschützer seiner Herde zu werden, und das Los der
Armen in diesem traurigen Land zu mildern. Eine Armee hat er nicht, er
muß sie sich erst schaffen, und zwar aus erbärmlichem Material, und
einen Hauptsieg erringt er, wie wir sehen werden, ohne Armee. Er soll
die Bahr el Ghasal der Macht Sebehrs, des schwarzen Pascha, entreißen;
er soll einem Lande Frieden bringen und ehrlichen Handel einführen, wo
die Menschen durch Unterdrückung fast vertiert sind und die Religion
in Fanatismus besteht.

Er war noch keine drei Wochen in Khartum, da konnte er bereits seiner
Schwester schreiben:

  »Ich glaube, die Leute haben mich gern; es ist auch schön, daß, wo
  früher täglich zehn bis fünfzehn Menschen durchgepeitscht wurden,
  jetzt dies nicht bei einem mehr vorkommt.«

Damit ist nicht gesagt, daß er nicht strenge Ordnung hielt und Herr
war im Amt. Die erste äußere Wohlthat, die er der Stadt erwies, war
die Errichtung einer Wasserleitung; vorher mußte das Wasser aus
dem Fluß herauf getragen werden. Dabei geriet er mit katholischen
Missionaren in Konflikt, die flüchtigen Sklaven Versteck gewährten.
Als Gordon ihnen sagte, er brauche dieselben zur Arbeit, begegneten
sie ihm mit Anmaßung. Da schrieb er einen Brief an den Papst mit
der Bitte, dieser möge seinen Dienern begreiflich machen, daß
Angelegenheiten der vizeköniglichen Regierung außerhalb ihres
Bereiches lägen. Als der Brief fort war, sagte er den Missionaren, er
habe nach Rom geschrieben, was sie zwar aufbrachte, die gewünschte
Wirkung aber nicht verfehlte.

Ende Mai verließ er Khartum. Es war der Anfang eines fünfmonatlichen
Kamelrittes. Seine Anwesenheit in Darfur war dringend notwendig.
~Darfur~ hat eine in die graue Vorzeit zurückreichende
Geschichte. Es gab längst Sultane von Darfur, ehe es Kurfürsten
von Brandenburg gab. Auch einen alten Handel hat das Land --
Sklavenhandel. Jetzt aber war Darfur in Aufruhr, und die ägyptischen
Besatzungen der Städte Fascher, Darra, Kolkol u. a. von den Rebellen
eingeschlossen. Eine Heeresabteilung war schon im März nach Fascher
geschickt worden, von Erfolgen hatte aber noch nichts verlautet.

  »Ich rechne darauf, im Lauf dieses Jahres meine achttausend Kilometer
  zu reiten,« schreibt Gordon. »Ich bin ganz allein, und das ist mir
  lieb. Ich bin ein Fatalist geworden, wie die Leute es nennen; d. h.
  ich überlasse es dem lieben Gott mir durchzuhelfen. ~Die großartige
  Einsamkeit der Wüste läßt einen fühlen, wie schwach der Mensch ist.
  Alles Gott anheimzustellen giebt allein Kraft~, und ich kann den
  Tod als eine Erlösung erwarten, wenn es sein Wille ist. In meiner
  gegenwärtigen Lage, auf manch langem, heißem Ritt kann ich meine
  Gedanken um so besser ausdenken, weil ich allein bin. Ich gewöhne
  mich nach und nach ans Kamel, es ist ein wunderbares Tier, das weich
  und still geht wie auf Teppichen, recht angenehm.«

Natürlich folgte ihm die statthalterliche Leibgarde von zweihundert
Berittenen. Sein Kamel, ein besonders schnelllaufendes Tier, trug ihn
aber öfters weit voraus, so z. B. ganz gegen seinen Willen wie im
Sturmlauf in die Grenzstadt Fodja, was ihn auf die Vermutung bringt,
daß die Kamele und die Gordons als eigensinnige Geschöpfe verwandter
Rasse sein möchten.

  »Ich habe ein prächtiges Tier, so giebt's keines mehr; es fliegt nur
  so dahin, selbst zur Verwunderung der Araber. Wie ein Blitz fuhr
  ich in die Stadt hinein, und ehe die Besatzung sich recht besinnen
  konnte, wie ich zu empfangen sei, war ich da. Nur ein Araber hatte
  Schritt mit mir gehalten, und der sagte, es wäre der Telegraph! Die
  andern kamen anderthalb Stunden später.«

Gordon hatte im Gedanken an einen der Erwartung der Leute
entsprechenden Einzug seine Marschallsuniform angelegt.

  »Welch tolles Bild,« ruft er scherzend aus, »wenn die goldbetreßte
  Exzellenz so im Sturm anlangt, als wären alle Feinde hinter ihr her!
  Der Mudir war sprachlos!«

Das Land nennt er eine elende, sandige, strauchbewachsene Wüste. Den
Aufruhr schreibt er lediglich schlechter Verwaltung zu. Wo vorher
~ein~ Mann den Weg nach Fascher allein zurücklegen konnte,
genügten bei der jetzigen Unsicherheit kaum zweitausend Mann Militär
von der Art, wie es ihm zu Gebot stand. In Omschanga findet er die
erste Nachricht von der Heeresabteilung vor, mit der er das Land
erobern soll. Die Truppen lagen hier und dort zerstreut, alles in
allem keine dreitausend Mann -- Soldaten von der »unbeschreiblichen«
Sorte, mit denen er schließlich auch nichts ausrichten konnte. Doch
tröstet er sich.

  »Ich denke, ~Gott~ wird mir's ermöglichen, die Stämme zu
  gewinnen, und mit ~seiner~ Hilfe werde ich dann mit den
  Häuptlingen nach Fascher ziehen, die jetzt noch Rebellen sind.«

Wo in der ganzen Weltgeschichte findet sich ein ähnliches Beispiel,
daß ein Feldherr auf seine Feinde rechnet, um mit ihnen Thaten zu
thun! Bei ihm ist das von jeher so gewesen; es ist der Sieg des
Rechts über das Unrecht, des Guten über das Böse. Und wie er in China
öfters mit überwundenen Taipings die Taipings besiegte, so verläßt er
sich mit seinem großartigen Vertrauen auch in Darfur auf die erst zu
überwältigenden aufrührerischen Stämme.

  »Nichts giebt mir größere Kraft,« sagt er, »als für die Leute zu
  beten; und es ist wunderbar: ~wenn ich dann mit einem Häuptling
  zusammenkomme, für den ich vorher gebetet habe, so ist es immer,
  als ob er schon gewonnen wäre~. ~Darauf~ gründe ich meine
  Hoffnung auf einen siegreichen Zug nach Fascher. Truppen habe ich
  lediglich keine, aber der Allerhöchste geht mit mir, und ich
  verlasse mich so viel lieber auf Ihn allein. Solches Vertrauen könnte
  ich ja nicht haben, wenn er mir's nicht gäbe und mich nicht dazu
  ermutigte; ich erachte daher, daß gerade dieses Vertrauen eine Art
  Angeld auf Sieg ist.«

Und bezüglich seines Vorhabens, mit gewonnenen Rebellen nach Fascher
zu ziehen, sagt er weiter:

  »Vielleicht läßt Er's auch nicht gelingen, und Kampf mag bevorstehen.
  Die Herzen der Menschen sind in seiner Hand, und er lenkt sie wie
  er will. Er ~kann~ es aber thun, so es ihm wohlgefällt; und
  wer möchte etwas anderes wünschen, als daß er nach Seiner Weisheit
  alles leite. Die Gefahr für mich dabei ist die, daß es mich aufblasen
  möchte, so er's thut. Aber auch das kann und wird er verhindern.
  Ich mag meine Laufbahn überdenken wie ich will, so finde ich
  nirgends besonderen Verstand, oder Geschicklichkeit, oder Weisheit
  meinerseits. Meine Erfolge bisher waren eigentlich immer, was man
  im gewöhnlichen Leben Glücksschüsse nennt ... Ich bin nichts, gar
  nichts, als einer, der von Gott Almosen empfängt. Ein Sack voll Reis,
  den ein Kamel durch die Wüste schleppt, kann soviel vollbringen als
  ich oft meine, daß ich vollbringe. Aber wie verschieden urteilt die
  Welt!! Ich meinesteils danke Gott, daß Er mich als ein Werkzeug
  benutzt, und freue mich auf die vorbehaltene Ruhe. Und ich kann mich
  freuen mit seiner Freude, wenn den armen Menschen Hilfe wird -- durch
  Ihn, nicht durch mich, obwohl Er sich meiner bedient.«

Und so zog er durch die Wüste als ein unverwundbarer Glaubensheld, der
wie David mit seinem Gott über Mauern springt, der Völker besiegt und
Städte einnimmt und dabei meint, er vollbringe gar nichts, das ihm
selbst zur Ehre gereiche! Er war noch in Fodja, als ihn ein Telegramm
erreichte: man brauche in Kairo sofort eine halbe Million Mark
Einkünfte aus seiner Provinz! Über diese Erwartung seines irdischen
Oberherrn schreibt er in die Heimat:

  »Soviel ist sicher, daß ich vor der Hand in einem Sumpfe bin mit
  dem Sudan, aber wenn ich bedenke, wer als mein Oberschatzmeister,
  mein Heerführer, mein Landverwalter im Regiment sitzt, so wäre
  es merkwürdig, wenn ich darin stecken bliebe. Ja, hätte ich den
  Allmächtigen nicht zur Seite mit seiner Weisheit, ich wüßte mir
  wahrlich keinen Rat!«

Dabei legt er aber nicht die Hände in den Schoß, sondern gürtet auch
in dieser Hinsicht seine Lenden zu dem ungleichen Kampfe.

  »Mit unsäglicher Anstrengung kann es mir gelingen, in zwei bis drei
  Jahren aus diesem Lande eine ordentliche Provinz zu schaffen mit
  einer tüchtigen Armee und regelmäßigen Einkünften, mit hergestelltem
  Frieden und aufblühendem Handel, und vor allem mit unterdrückter
  Sklavenjagd; und dann -- ja dann gehe ich heim und lege mich ins Bett
  und stehe nie auf bis Mittag, und marschiere nie mehr als höchstens
  eine Meile per Tag. Und esse Austern zu Mittag!«

Diese scherzenden Zeilen an seine Schwester beweisen nur, daß er eine
fast unübersteigliche Arbeitslast vor sich sieht.

Während er noch in Omschanga durch seine »Unbeschreiblichen«
hingehalten war -- keine geringe Geduldsprobe für den energischen Mann
-- hatte er Zeit, sich die endlose Schwierigkeit der Sklavenbefreiung
weiter zu überdenken. Die Wüstenstrecken von Darfur und Kordofan
sind von Beduinenstämmen durchzogen, von denen mancher mehrere
tausend Krieger ins Feld stellen kann, die unter ihren kampfgeübten
Scheiks keine verächtliche Macht bilden. Diese Stämme haben von jeher
Streifzüge auf die Neger im Süden unternommen, oder sich Sklaven im
Tauschhandel mit anderen Stämmen verschafft. Zu Gordons Zeit wurden
die Sklaven selten in großen Karawanen, wohl aber von den Händlern in
vielen kleinen Trupps durchs Land getrieben. So begegnete er eines
Tages einem Manne, der sieben schwarze Weiber vor sich hertrieb und
sie samt und sonders für seine Eheweiber ausgab; die Kinder, die
nebenherliefen, nannte er seine Nachkommenschaft. Wer sollte ihm
das widerlegen! Vor der Hand aber war's fast noch mehr das von den
türkischen Grenzsoldaten übers Land gebrachte Elend, das Gordon
Tag und Nacht beschäftigte. Und als die unterdrückten Landbewohner
kamen und ihm demütig ihre Unterwerfung zu Füßen legten, sagte er
ihnen, wie's ihm ums Herz war, daß sie vielmehr erwarten könnten,
er, als Statthalter des Khedive, bäte sie um Verzeihung. Des Khedive
Grenzwächter, die Baschi-Bosuks, dankte er seinem Vorhaben gemäß ab.

  »Ich habe mich auf einen Felsen gestellt und thue was recht ist, ohne
  mich um die Folgen zu kümmern ... Wenn Angestellte ihre Pflicht nicht
  thun, so besinne ich mich keinen Augenblick, sie ihrer Wege gehen zu
  heißen, mag man in Kairo denken was man will. Es ist jedenfalls ein
  großer Vorteil, ganz furchtlos zu sein. Und wenn ich selbst abgesetzt
  würde, so wäre es ja keine Strafe, denn ich opfere mein Leben in
  diesem Land.«

An vierzehn Tagen wartet er auf seine saumselige Mannschaft, ohne nur
zu wissen, wo die Helden sind. Er nennt's ein trostloses Geschäft,
und bei der furchtbaren Hitze in dem jammervollen Land ist's kein
Wunder, wenn er ausruft: »Wollte Gott, ich wäre in der andern Welt!«
Er meint, mehr als andere Menschen hätte er immer wieder durch die
Mangelhaftigkeit seiner Streit- und Arbeitskräfte zu leiden; so sei's
in China gewesen, und so sei's hier. Das unnötige Wartenmüssen ist es,
was dem thatkräftigen Mann so schwer fällt.

  »Aber es ist nicht recht, es hat jeder sein Kreuz zu tragen. Wir
  sind alle Knechte; heute giebt der Herr uns Arbeit, und morgen will
  er, daß wir warten können. Dieses Hinliegen ist mir aber sehr gegen
  die Natur. Und ich kann auch gar nicht sehen, was in diesem Lande
  schließlich zu gewinnen ist!«

Endlich kamen fünfhundert seiner Helden. Fascher hatte er aber bereits
auf seine Weise ohne Schwertstreich gewonnen; die Stämme hatten sich
ihm einer nach dem andern ergeben. Nun machte er sich nach Tuescha
auf den Weg, von wo er eine Garnison von dreihundert mitnehmen will.
In Darra warten weitere zwölfhundert. Auf diese Art kann er ein Heer
von zweitausend Mann zusammenbringen. Unterwegs findet er allerwärts
Arbeit, das aufrührerische Banditenvolk aus seinen Schlupfwinkeln
zu vertreiben. Zuletzt beabsichtigt er, sich auf Schekka zu werfen,
das er die »Höhle von Adullam« nennt, wo Räuber und Mörder hausen,
nämlich die Horden Sebehr Paschas, des großen Sklavenhändlers, unter
dessen Sohn Soliman. Auch diesem gegenüber, der ihm mit elftausend
Mann begegnen kann, rechnet er auf keinen andern, als einen
~innerlichen~ Sieg.

  »Ich bin gar nicht unruhig,« schreibt er, »und hoffe, es wird ohne
  Blutvergießen abgehen.«

Ins Gefecht geriet er nun allerdings; aber nicht sowohl seinen Waffen,
als seinem gewaltigen Geist und seiner demutstarken Seele wurde der
Sieg.

In Tuescha fand er die dreihundertfünfzig Mann Garnison, welchen
seit drei Jahren kein Sold bezahlt worden, beinahe ausgehungert.
Das war nicht sehr ermutigend, aber Gordon war dergleichen gewohnt.
War's ihm doch gegeben, seine glänzendsten Thaten einem Chaos von
Unmöglichkeiten abzugewinnen. Der Aberglaube der Chinesen erblickte
in seiner Hand einen Zauberstab und nannte seine Erfolge Wunder. Wohl
hatte er einen Zauberstab: es war derselbe, mit dem einst Moses aus
dem Felsen Wasser schlug. Die Besatzung von Tuescha war in der That
so erbärmlich, daß er beschloß, ihrer Beihilfe zu entbehren, sie nach
Kordofan zu schicken und mit seinen ursprünglichen Fünfhundert samt
ihren schlechten Steinschloßgewehren weiterzuziehen. Ein Scheik, der
versprochen hatte zu ihm zu stoßen, ließ ihn im Stich, während die
Umgegend voll von kampflustigen Schwarzen war, die recht gut wußten,
daß der General-Gouverneur nur mit einer Handvoll Leute des Weges
komme, und ihn ernstlich bedrohten. Aber zu einem Angriff kam es
nicht. »Gottlob, die Gefahr ist vorüber,« kann er schreiben. Wie groß
sie war, weiß er nicht einmal; aber das weiß er, daß nur wenige es
begreifen können, was es heißt Truppen anführen, in die man keine Spur
von Vertrauen setzt.

  »Ich habe von ganzer Seele um einen Ausweg gebetet; es gab mir
  ordentlich einen Stich ins Herz, wie damals, als ich mich bei
  Massindi (S. 116 f.) verraten fand. Nicht, daß ich den Tod fürchte,
  aber aus Kleinglauben fürchte ich die Folgen meines Todes; das ganze
  Land stünde wieder in Aufruhr. In solcher Lage zu sein, kommt einem
  wirklichen Schmerz gleich, es macht mich in einer Stunde um ein Jahr
  älter ... Auch ist es eine Demütigung. Aber gottlob! es ist vorüber
  ... wohl sage ich mir, daß alles zum guten Ende führen wird, aber
  das macht dergleichen nicht weniger peinlich. Ich glaube, ich habe
  in dieser Hinsicht in meinem Leben mehr gelitten als die meisten
  Menschen. Heute morgen z. B. (nach der überstandenen Gefahr) kam mir
  ein Wild schußgerecht und ich ließ mir meine Flinte reichen. Der
  Kerl, der sie trug, hatte sie mittlerweile zerbrochen; also hätte
  ich in einem Überfall nicht einmal meine Waffe gehabt!«

Die Charakterzeichnung Gordons wäre eine unvollständige, wenn man zu
bemerken vergäße, wie er oft gerade in der schwierigsten Lage auch
eine komische Lichtseite erblickte, deren er gerne Erwähnung that. So
schließt der Brief, der von der vorübergegangenen Gefahr berichtet,
mit folgenden Worten:

  »Wir hatten auch dreißig oder vierzig Esel bei uns. Und wenn einer
  anfing, dann wußte ich, daß sie alle schreien mußten; es war
  ordentlich eine Wohlthat, den vierzigsten endlich zu hören. Da fing
  der erste die Reihe wieder an, und so ging's die Nacht durch! Der
  Darfur-Esel brummt aber nur ganz tief in der Tonleiter; die hohen
  Töne, die sein englischer Bruder aus frohem Herzen ausstößt, kennt er
  offenbar nicht.«

Als Gordon nach Darra kam, gab's auch dort Enttäuschung. Die
Hilfstruppe, auf die er gerechnet hatte, war ihm entgegen gezogen und
hatte den Weg verfehlt!


                        2. In der Räuberhöhle.

Die Leute von Darra waren nicht wenig erstaunt, den Generalgouverneur
in ihrer Mitte zu erblicken; sie wußten sich seit einem halben Jahre
von der Außenwelt abgeschnitten. Die Stämme umher waren im Aufstand;
Harun, der als Anverwandter des gefallenen Sultans von Darfur die
Herrschaft beanspruchte, bedrohte die Stadt, und in Schekka saß
der Sohn Sebehrs mit sechstausend bewaffneten Sklaven. Gegen Harun
schickte Gordon eine ziemlich starke Truppenabteilung, die auch
ins Gefecht geriet und Beute machte, sonst aber keine Heldenthaten
verrichtete. Ein Offizier war damit beauftragt, eine zweite Abteilung
gegen die Stämme zu führen, und Gordon selbst blieb vorläufig in
Darra, um den schlimmsten der Feinde, Soliman, im Auge zu behalten.
Den Einwohnern der Stadt war seine Anwesenheit eine Schutzmauer,
aber sie fanden auch sonst noch Ursache, derselben froh zu sein.
So gab er ihnen z. B. ihre Moschee zurück, die von den Ägyptern in
ein Pulvermagazin verwandelt worden war; freute es ihn doch, wenn
die Muselmänner Gottesdienst hielten, sofern sie es nur redlich
meinten. Das Land weithin war nach dreijähriger Anarchie im Elend der
Hungersnot. Er beschreibt die Kinder als »nur Bäuche mit Gliedmaßen
wie Fühlfäden« -- eine Folge des Grasessens.

Um Solimans habhaft zu werden, tauchten verschiedene Vorschläge auf.
Gordons schwarzer Schreiber z. B. ersann einen Plan, wie man ihn nach
Darra locken könne, um ihn daselbst, sofern er sich nicht ergeben
wolle, zu ermorden. Statt dieses »asiatischen« Einfalls, wie Gordon
sich ausdrückt, kam ihm selbst ein anderer, wie nur ~seine~
Großmut ihn ersinnen konnte: er wollte den Sohn Sebehrs durch
Vertrauen entwaffnen.

  »Es ist mir der gute Gedanke gekommen, den Soliman zum Statthalter
  von Darra zu machen und ihn damit von dem Räubernest Schekka zu
  entfernen. Das wird ihn auch an fernerer Sklavenjagd hindern, denn
  seine sechstausend werden genug zu thun haben, das Land gegen die
  Stämme zu halten.«

Der Plan war nicht ausführbar; dennoch hoffte er Soliman ohne Waffen
zu besiegen. Aus der »Höhle Adullam« erhielt er mittlerweile durch
die Häuptlinge El Nur, Awad und Idris Kenntnis, die zwar Sebehrs
Herrschaft anerkannten, sich aber die Regierung geneigt zu machen
suchten, indem sie dem Statthalter verrieten, was dort vorging. So
wußte er z. B., daß Soliman beständige Verbindung mit seinem Vater
in Kairo unterhielt und daß der Aufruhr in Darfur aus Gehorsam gegen
Sebehr ins Werk gesetzt wurde, als dieser seinen Anhängern sagen ließ,
sie sollten »das jetzt ausführen, was unter dem Baum beschlossen
worden sei.« Der schwarze Pascha regierte selbst als Gefangener noch
das unglückliche Land.

Ehe Sebehr nämlich mit seinen zwei Millionen »Bakschisch« (Trinkgeld)
nach Kairo ging, um die Pascha zu bestechen, hatte er alle
sklavenhandeltreibenden Häuptlinge seines Gebietes unter einem großen
Baum an der Straße zwischen Schekka und Obeid versammelt und ihnen
einen Eid auf den Koran abgenommen, daß sie sich allerorts gegen
die Regierung erheben sollten, wenn er ihnen das Wort sende. Als
nun Gordon nach seiner Arbeit am Äquator die Statthalterschaft des
Sudan übernahm und sich nach kurzem Aufenthalt in Khartum aufmachte,
um die Sklavenhändler in ihrem bis jetzt sichersten Schlupfwinkel zu
bekämpfen, wo die Bande sich um Soliman geschart hatte, da wußte der
alte Menschenräuber, daß es damit seiner Hoffnung ans Leben ging, den
Handel, von dem er seine Macht und seinen Reichtum hatte, je wieder
zur alten Blüte zu bringen. So erging sein Mandat an die Raubgesellen
in Schekka.

El Nur und Idris hatten sich beide mit Hinterlegung einer Strafsumme
aus Schekka fortgemacht. Von ihnen erfuhr Gordon, daß Soliman festsäße
bis nach der Regenzeit und sich in seiner »Höhle« vor einem Überfall
gesichert erachte. Daraus ergab sich indessen keine Ruhezeit für
unseren Helden. Er war noch nicht vierzehn Tage in Darra, als er
schrieb:

  »Heute haben sich sechshundert der Nazagats mit ihrem Scheik zu mir
  geflüchtet.«

Dieser Stamm hatte seinen Wohnsitz in der Nähe von Schekka und war
einer der gewaltigsten im Land, der siebentausend Krieger ins Feld
bringen konnte. Aber infolge der fortwährenden Plünderungen von
Sebehrs Bande fingen sie an, sich zu Gordon zu schlagen; und er hörte,
daß es nur der Anfang einer Einwanderung sei, indem noch andere Stämme
ähnliches beabsichtigten. Sie konnten über Nacht kommen, denn »Gepäck
haben sie keines und reiten wie der Blitz, ohne Bügel.« Der Vorteil
einer solchen Verstärkung war aber ein zweifelhafter -- wo Nahrung
hernehmen für so viele in dem ausgeplünderten Land?

Eine weitere Schwierigkeit, die sich ihm um diese Zeit darbot,
verstattet einen Einblick in die Ratlosigkeit, die ihn angesichts des
von ihm bekämpften Greuelwesens mehr wie einmal befiel. Eine seiner
Streifkolonnen hatte ihm zweihundertundzehn Sklaven in die Stadt
gebracht, ausgehungerte Menschen, die ihn so flehentlich anblickten,
daß ihm die Augen übergingen. Was soll er mit ihnen anfangen? wem
soll er sie überlassen? Selber behalten kann er sie nicht und füttern
kann er sie auch nicht. Selbstverständlich läßt er ihnen für den
Augenblick etwas Durra reichen, denn sie haben seit sechsunddreißig
Stunden nichts gegessen. »Ich wollte heute mein Leben hinlegen,« ruft
er aus, »um das Elend dieser Menschen zu lindern; wie viel mehr muß
Gott sich ihrer erbarmen!« Und immer mehr wird es ihm zur Klarheit,
daß das Schwerste des von ihm unternommenen Kampfes nicht sowohl die
Unterdrückung der Händler selbst sei, als die Versorgung der hilflosen
Sklaven.

Es ist ihm öfters zur Last gelegt worden, daß er selbst Sklaven, als
solche, seinen Truppen einverleibe, ja sie gegebenenfalls sogar kaufe.
Er, der sein Leben für nichts achtete in dem großen Kampf gegen das
Unrecht, konnte es ruhig der Zeit überlassen, sein Thun ins rechte
Licht zu setzen. Er braucht Truppen gegen die Sklavenhändler; woher
soll er sie nehmen? Wenn er es unterläßt, Sklaven zu nehmen und
ihre Eigentümer zu entschädigen, so gehören sie nach wie vor, d. h.
vertragsmäßig noch zwölf Jahre lang ihren jeweiligen Herren. Sie mit
Gewalt frei machen, hieß den Aufruhr verallgemeinern. Es schien ihm
der beste Weg, die Banden bewaffneter Sklaven im Land möglichst unter
seine Disziplin zu bringen. Das Urteil der Leute hatte ihn nie viel
angefochten. Seiner Schwester formuliert er Anklage und Entschuldigung
mit den kurzen Worten:

  »Ich möchte, daß Du es richtig verstehst -- ›Oberst Gordon kauft
  Sklaven an von Regierungs wegen und läßt die Gellaba nach wie vor
  ihr Wesen treiben‹, heißt's in den Zeitungen. Ja, er thut's, denn
  nur mit Hilfe von Sklaven kann er die Sklavenhändler bekämpfen
  und die bewaffneten Banden unter sich bringen. Die Sklaven, die
  ich kaufe, sind längst ihrer Heimat entrissen, ich kann sie nicht
  zurückschicken, selbst wenn ich wollte. Es ist nicht, als ob ich dem
  Handel dadurch Vorschub leistete, nicht einmal indirekt, denn gerade
  dadurch gewinne ich ein Mittel, ihn zu unterdrücken.«

Die Gellaba -- er nennt sie selbst Geier -- sind die kleinen Händler,
welche die Ware im einzelnen den Jägern abkaufen.

  »Wenn wir mit Rußland im Krieg sind,« sagt er, »benutzen wir diesen
  Zeitpunkt nicht, um in Indien Mißstände zu unterdrücken? Ich wäre
  tollkühn, wollte ich mir die kleinen Leute verfeinden, ehe ich mit
  den Hauptsündern fertig bin.«

Er weiß, daß in Schekka an viertausend Sklaven liegen, die ihm in die
Hände fallen werden, sobald er jenes Nest aushebt.

  »Was soll ich mit ihnen anfangen, mit Weibern und Kindern? Ich
  kann sie nicht in ihre Heimat zurückschicken (weithin ins Innere
  von Afrika, selbst wenn er im einzelnen Fall immer wüßte, wo die
  Geraubten zu Hause sind!) ich kann sie nicht erhalten. Ich muß sie
  entweder den Stämmen überlassen, oder meinen Truppen, oder den
  kleinen Händlern. Ich habe keine andere Wahl. Wenn ich sie freigebe,
  so überlaufen sie das Land, und ein herrenloser Sklave ist wie ein
  verlorenes Schaf -- das Eigentum dessen, der ihn findet. Ich muß
  suchen den Ausweg zu ergreifen, der für die armen Sklaven der beste
  ist. Was Europa dazu sagt, ist nicht die Hauptsache: es ist der
  Sklave, der leidet, nicht der Europäer. Das weiß ich wohl, daß wenn
  ich jene viertausend Sklaven den Stämmen oder den Gellaba, oder auch
  meinen Truppen überlasse, man in den nächsten Monaten um so viel mehr
  von Sklaventransport hören wird; aber dann ist wenigstens das damit
  gewonnen, daß die Ärmsten auf die beste Art ihre Bestimmung erreichen
  und nicht hier Hungers sterben.«

Als ihre Bestimmung kann man neben dem Orient überhaupt auch Ägypten
betrachten, wo merkwürdigerweise der Ankauf von Sklaven auch dann noch
gestattet war, als der Handel im Sudan unterdrückt werden sollte.

  »Ich könnte die Verantwortung von mir abwälzen, und die Sache sich
  selbst überlassen -- das hieße die Sklaven dem sichern Elend und dem
  Hungerstod preisgeben. Soll ich ein solcher Feigling sein, aus Furcht
  vor der Meinung des besser unterrichteten Europa? Nein, ich werde
  dem Transport fürs nächste Vorschub leisten. Die Leute sollen in die
  Zeitungen schreiben, was sie wollen. Hier sind die Sklaven, um sie
  her die Geier, und hier bin ich, der eine Mann, der keine Nahrung für
  sie hat und keine Möglichkeit, sie in ihre Heimat zurückzuschicken.
  Hätte ich einen tüchtigen Mann mit starkem Arm, der mir helfen
  könnte, jeden einzelnen Sklaven nach seinem Wunsche zu behandeln --
  es wäre mir lieber. Denn merkwürdigerweise haben selbst diese elenden
  Sklaven noch Wünsche in dieser Hinsicht -- manche vertrauen sich
  lieber den Gellaba an, manche den Stämmen, manche meinen Truppen;
  nach ihrer verwüsteten Heimat verlangen sie indessen nicht zurück,
  denn sie wissen, daß sie dann nur anderen Stämmen zum Opfer fallen
  und wieder Sklaven werden. Ihre Dörfer sind zerstört; es würde
  lange dauern, ehe sie nur wieder auf eine Ernte hoffen könnten....
  Angesichts dieser Thatsachen steht man hilflos dem Erlaß gegenüber,
  daß alle Sklaven nach zwölf Jahren frei sein sollen. Wer will sie
  frei machen? Man könnte gerade so gut erwarten, daß Steine und Bäume
  das Gesetz erfüllen, als daß die Stämme unter sich ihre Sklaven
  aufgeben. Man kann lediglich nichts thun, als sie an der Jagd auf
  neue Sklaven hindern ... Ich habe so wenig Korn hier, daß ich nicht
  weiß, was anfangen. Bei solcher Sorge vergeht einem der hohe Mut.
  Aber das weiß ich, daß ich um keinen Gewinn der Welt die übernommene
  Arbeit jetzt aufgebe; es wäre eine Feigheit ... Ich höre von Fascher,
  daß nach einem Ausfall auf Harun das Volk zu Hunderten Hungers starb
  oder den Pocken erlag -- arme Kinder und Weiber, deren jedes sein
  Leben lieb hat wie wir! Schön war, daß meine Araber ihre Gefangenen
  freiließen -- es seien ihrer zweihundertfünfunddreißig gewesen, die
  Arm in Arm in einer langen Kette davonwankten. Es geschah in der
  Hoffnung, sie vor den Gellabas zu retten, was hoffentlich gelungen
  ist ...

  »Eine Truppe ausgehungerter Menschen ist in meinen Hof eingebrochen,
  ich habe sie fortschicken müssen bis morgen, in der Hoffnung, bis
  dahin etwas Durra aufzutreiben.«

Mittlerweile verhielt sich der von Darra abgesandte Offizier ganz
unthätig, ja Gordon hörte, daß er sich vom Feind habe bestechen
lassen. Kein Wunder, daß Gordon allen Mut verlor, sich auf seine
Truppen zu verlassen. Er beugt sich unter diese Thatsache als unter
eine Fügung Gottes. Dies hindert ihn aber nicht, sich vorzunehmen,
den Mann im Betretungsfalle kriegsrechtlich erschießen zu lassen. Wie
seine Truppen sich ferner verhielten, ergiebt sich aus folgendem.
Die ~Leparden~, ein zahlreicher Stamm, hatten sich gegen
ihn aufgeworfen und die Verbindung zwischen Darra und Tuescha
abgeschnitten. Er beschloß daher, seinen Besuch in der Räuberhöhle
Schekka noch hinauszuschieben und mit einer Abteilung seiner
»Unbeschreiblichen« und einer Anzahl verbündeter Mascharins den
Leparden entgegenzuziehen. Es war eine schlimme Nacht, voll Sturm und
Regen.

  »Ich zog meinen Mantel an und setzte mich unter meinen Schirm und
  wünschte, es wäre Tag. Angenehm war die Lage nicht, aber ich wickelte
  mich ein und konnte schlafen.«

Es war ein Regen, der einem die halbe Kraft aus dem Körper spülte,
sagt Gordon, aber nichtsdestoweniger führt er seine Leute am
folgenden Tage in den Kampf -- den Teil wenigstens, der bei der Hand
war, und das waren ~nicht~ seine »Unbeschreiblichen«, die langsam
hinterdrein kamen. Seine Verbündeten, die Mascharins, waren es, die,
obgleich geringzählig, sich nicht halten ließen und die Leparden, d.
h. ihre einhundertsechzig Mann starke Vorhut, gänzlich aufrieben.
Als seine Truppen herankamen, besetzten sie das gewonnene Lager
des feindlichen Stammes, und während Gordon mit dem Häuptling der
Mascharins Kriegsrat hielt, stürmten die Leparden in zwei Abteilungen
von je dreihundertfünfzig Mann daher. Sie wurden zurückgeworfen, aber
wieder nicht von seinen Truppen, sondern von den tapfern Mascharins,
deren Anführer Ahmed Nurra tödlich verwundet wurde. Seine Helden
hielten das Palissadenwerk von der sichern Seite! Gordon befand sich
in einem Zustand der peinlichsten Entrüstung. Das Einzige, was ihn
zurückhielt, sich selbst unter die anstürmenden Leparden zu werfen,
war der Gedanke, daß seine elenden Truppen dann gar nicht mehr wüßten,
was thun. Aber gründlich verhaßt wurden ihm die Baschi-Bosuks mit
ihrem Waffengeklirr, wenn der Feind nicht da war, und ihrer maßlosen
Feigheit, wo's Ernst galt.

  »Kein Mensch hat eine Vorstellung davon, was meine Offiziere und
  Soldaten für Kerle sind -- ihr bloßer Anblick regt mir die Galle
  auf!«

Der kurze Feldzug endete damit, daß er die Leparden von drei
Wasserstationen abschnitt, so daß nur eine einzige, vierte Quelle
ihnen blieb. Den Feind in jenen Wüstenländern vom Wasser abschneiden,
heißt ihn besiegen. Die Brunnen liegen stundenweit auseinander.

  »Gern hätte ich's den Frauen und Kindern und dem armen Vieh erspart,
  aber ich habe keine andere Wahl, wenn ich den Stamm bewältigen will.«

In der glühenden Hitze kamen sie denn auch bald mit hängenden Zungen
und verdorrten Lippen und baten um Gnade. Gordon nahm ihnen die Speere
ab, ließ sie auf den Koran Treue schwören und schickte sie dann
allesamt an die nächste Quelle.

  »Sie waren einen Tag ohne Wasser, ich kann's nicht ändern. Der Krieg
  ist ein grausames brutales Geschäft. Wie oft lesen wir in den Kriegen
  Israels, dass das Volk ohne Wasser war. Es ging damals nicht anders
  zu als jetzt.... Meine Berittenen fingen einen Scheik ein, er war
  über die Maßen durstig; wie gern hab ich ihm Pardon gewährt und
  ihn mit seinen Leuten ans Wasser geschickt ... er sagte, der Stamm
  sei auseinandergesprengt. Auch des Häuptlings Sohn war dabei, ein
  fünfzehnjähriger Junge, und wie sie gebunden in meinem Zelt hockten,
  sah ich, wie der arme Bursche nach Wasser lechzte. Was für eine
  Freude war's, ihn sich satt trinken zu lassen!«

Aber auch Streitigkeiten mußte er beilegen. Der Zankapfel war oft nur
eine Handvoll Korn, oder ein irdener Topf. Ob solcher Beute gerieten
zwei hintereinander, die verschiedenen Stämmen angehörten, und der
eine erschoß den andern!

  »Ich ließ die Stammesangehörigen des Getöteten vortreten und auch den
  Gefangenen; und dann fragte ich sie, ob ich ihn erschießen sollte,
  oder ob sie ihn haben wollten, damit er für die Hinterbliebenen des
  Ermordeten arbeite. Und ich war froh, zu finden, daß sie auf den
  letztgenannten Vorschlag eingingen. Der Mann war vorher schon der
  Sklave eines der Soldaten (das Wort ist mir entschlüpft, ich wollte
  ihn nicht so nennen!) ich habe ihn daher nur einem andern Herrn
  gegeben. Das Entsetzen der Leute war unbeschreiblich, als ich mich
  mit meinem Gewehr vor den schwarzen Mörder stellte und den Hahn
  spannte -- es war gar nicht geladen. Ich wußte auch, daß sie seinen
  Tod nicht verlangen würden, denn selbst in diesen armen wilden
  Menschenherzen wohnt Gutes. Sie glaubten aber fest, ich würde ihn
  erschießen, wenn sie nicht um sein Leben einkämen, und so thaten
  sie's einstimmig.«

Die Leparden hielten nicht lange Frieden, kaum länger als bis ihr
Durst gestillt war, und dann entführten sie Gordons Verbündeten eine
Anzahl Sklaven, wofür er ihnen tausend Stück Vieh wegnahm und einen
weiteren Teil des Stammes entwaffnete. Er rückte durchs Lepardenland
nach Duggam vor, wo ein Gemisch von Stämmen hauste. Die Leparden
gingen nach Gebel Heres zurück; er zog ihnen nach und hörte, daß
Harun sie unterstützte, indem er ihnen vierzig Berittene nach Gebel
Heres zur Verstärkung geschickt habe, während er selbst das Land
weiter nördlich verwüstete. Seinem Truppenteil, den er in jener
Gegend vorfand, kann Gordon das gewohnte Lob gänzlicher Untüchtigkeit
ausstellen. Eine ganze Menge Fragen hinsichtlich eingebrachter Sklaven
harrten seiner Erledigung.

  »Ich wollte, die Gesellschaft zur Unterdrückung der Sklaverei wäre
  hier,« ruft er nicht ohne Ironie, »und sagte mir, was ich thun soll!«

Während er seine erbärmlichen Streitkräfte beklagt, gab's Meuterei;
sein Leben war nicht sicher in ihrer Mitte. Fascher war so nahe,
daß man seine Wachtfeuer von der Stadt aus sehen mußte; dort waren
achttausend Mann ihm dienstpflichtiger Truppen eingesperrt -- oder
sollten doch dort sein. Er machte sich auf den Weg, um ihnen das
Gewehr zu visitieren, und erreichte mit etlichen hundert Mann die
Stadt gegen Abend nach einem »schmählichen Ritt« durch Sumpfland. Man
hatte keine Ahnung von seinem Kommen und war »angenehm überrascht«.
In der Stadt selbst waren viermal so viel Truppen, als er bei sich
hatte, und zehnmal so viel kampierten unter Hassan Pascha Helmi
drei Tagmärsche entfernt; aber von diesem Militär war nicht der
geringste Versuch gemacht worden, sich nach Darra oder sonst wohin
durchzuschlagen, während der Feind noch vor kurzem bis in die Nähe von
Fascher Streifzüge unternommen hatte. Hassan Pascha, der die Besatzung
befehligte, hatte sich schon vor Wochen in aller Gemütsruhe mit dem
Hauptteil der Truppen davon gemacht. Gordon verschrieb sich den Mann.
Mittlerweile konnte er von einem anderen seiner Offiziere folgenden
Streich erzählen.

  »Ein Muezzin oder Gebetsrufer in der Stadt war gewohnt, die
  Gebetsstunde nah bei der Stelle auszurufen, wo jetzt mein Zelt steht.
  Mein Oberstlieutenant hieß ihn schweigen, weil es mich störte; zum
  Glück erfuhr mein schwarzer Schreiber die Sache. Es lag nichts
  anderes zu Grunde als der Wunsch, den Fanatismus der Leute gegen mich
  aufzustacheln. Ich schenkte dem Ausrufer 40 Mark, meinen gefälligen
  Freund, den Oberstlieutenant, aber schickte ich nach Kedaref in die
  Verbannung, wo er Zeit finden wird, ähnliche Pläne auszuhecken. Ich
  besinne mich nie einen Augenblick, solche Kerle zu züchtigen. Der
  Gebetsrufer schreit jetzt noch einmal so laut, eben während ich dies
  schreibe.... Ich gebe mir alle Mühe, jenen anderen Tapfern, der sich
  bestechen ließ, um den Feind nicht anzugreifen, und mich neunzehn
  Tage in Darra hinhielt, seiner Thaten zu überführen; aber die Zeugen
  sind nicht besser als er selber, so wird mir nichts übrig bleiben,
  als meine despotische Gewalt in Anwendung zu bringen. Er nahm
  viertausend Mark in Geld, den Wert von tausend Mark in Straußenfedern
  und zehn Kamelladungen Durra als Geschenk hin, um den Stamm nicht
  anzugreifen.... Sebehrs Sohn ist jetzt bereit, sich mir anzuschließen
  in der Hoffnung, das Land um so besser zu plündern; und Harun
  plündert auf seine Rechnung im Norden. Ich sitze mitten zwischen
  diesen beiden, und um mich her sind die Stämme, die jenem feindlich
  sind und teilweise auch mir feindlich, während sie dem Harun günstig
  sind und von mir erwarten, daß ich ihnen gegen Sebehrs Sohn beistehe
  -- das nennt man einen dreiseitigen Zweikampf.«

Es war in der That eine unerquickliche Lage, die täglich schwieriger
wurde. Von den drei Feinden, mit denen er im Zweikampf stand, wäre
der selbstgekrönte Sultan ohne Zweifel am leichtesten zu unterwerfen
gewesen, wenn er ihn nur im offenen Felde hätte stellen können; aber
abgesehen von seinem Mangel an tüchtiger Mannschaft, war er anderwärts
zu sehr in Anspruch genommen, und Hassan Pascha mit seinen fünftausend
Unthätigen hatte nicht den Mut, ohne die Gegenwart Gordons den Angriff
zu wagen.

Es waren die eingebornen Stämme, die dem Feldherrn so hinderlich
waren. Manche in nächster Nähe verhielten sich noch feindlich, und
die entfernteren thaten ihr Bestes, die von ihm zur Ruhe gebrachten
wieder aufzustacheln. Außerdem wurde sein Schreiber krank und für
alle Einzelheiten der Verwaltung mußte er selbst einstehen. Wegen
jeder Kleinigkeit drängten sich die Leute unangemeldet in des
Generalgouverneurs Zelt und meinten, er könne sich ihrer nicht schnell
genug annehmen. Erteilte er aber einen Befehl, so erfüllte man
denselben im Leichenschritt. Seine Diener waren nicht besser als seine
Soldaten. »Ich erledige täglich einen Berg von Geschäften,« schreibt
er, trotz der furchtbaren Hitze, die so sengt und brennt, daß er »alle
vierzehn Tage eine neue Haut im Gesicht hat.« Und wenn er von einem
Ausritt müde heimkommt, so findet er Skorpione in seinem Zelt, oder
dasselbe von einem Sturmwind umgeblasen, während seine Diener dabei
sitzen, als ob es sich von selbst wieder aufrichten müsse. Dann ist er
wohl manchmal niedergeschlagen und meint, es helfe alles nichts, er
müsse dieses verzweifelte Land sich selbst überlassen, aber sein hoher
Mut gewinnt auch in solcher Lage die Oberhand und er sieht durch den
Wolkenhimmel doch wieder die Sonne scheinen.

Er hatte sein Hauptaugenmerk zur Zeit auf Harun gerichtet, denn
der Verdacht war ihm gekommen, ob Hassan mit seinen fünftausend
nicht ähnlichen Verrat treibe, wie jener andere, der sich hatte
bestechen lassen. Und obschon es fast täglich Unternehmungen gegen
die feindlichen Stämme oder Streifzüge auf höchstnötigen Proviant zu
leiten gab, so traf er doch energische Vorbereitungen, einer etwaigen
Krisis zuvorzukommen. Da hieß es mit einemmal, der »Sultan« sei
verschwunden und niemand wisse wohin. Somit hatte er neben verlorener
Mühe vorläufig das Nachsehen.

Während er so sein Bestes thut, der kleinen wie der großen
Mühseligkeiten Herr zu werden, kommt ihm die Nachricht, daß sein
schlimmster Feind ausgebrochen ist und sich anschickt, Darra zu
belagern. Gordon weiß, daß Soliman sechstausend bewaffnete Sklaven mit
sich führt, während er selbst zwar seine »unbeschreiblichen« Helden
hat, sich aber nicht im geringsten auf sie verlassen kann, -- eine
Wendung der Dinge, vor der alle bisherigen Schwierigkeiten erblaßten.
Gordons Genie aber erweist sich nie glänzender als in einer Lage, die
völlig hilflos erscheint. Da gürtet sich der Held zum Einzelkampf und
erringt einen Sieg, der durch Waffen allein nicht zu gewinnen wäre.
Schrieben wir einen Roman, es ließe sich nichts Romantischeres denken,
als solche Siege über große Bedrängnis; da es sich aber um Thatsachen
handelt, so ist es eben die großartige Kindeseinfalt des heroischen
Mannes, die stets mitten ins Feuer geht, den Umstand vergessend, daß
er einer ist gegen viele. Gordon verlor keinen Augenblick. Seine
Armee und alles zurücklassend, bestieg er sein Kamel und ritt allein
und unbewaffnet nach Darra. Von diesem gewaltigen Ritt, eine der
wunderbarsten Leistungen in seiner ganzen wunderbaren Laufbahn, lassen
wir ihn selbst an seine Schwester berichten. Es ist hierbei nur zu
bemerken, was übrigens von allen seinen Briefen gilt, daß er stets
frisch nach der That schrieb und nicht im entfernteren daran dachte,
daß je ein größerer Leserkreis an seinen Berichten sich erfreuen würde.

  »Etwa um vier Uhr nachmittags erreichte ich Darra, lang vor meinem
  Gefolge, nachdem ich in anderthalb Tagen 140 Kilometer zurückgelegt
  hatte. Etwa zwei Stunden vor Darra geriet ich in einen Schwarm von
  Fliegen, die mich und mein Kamel so quälten, daß wir mit immer
  größerer Eile vorwärts drängten. Ich denke mir, die Königin des
  Geschmeißes muß darunter gewesen sein. Wenigstens dreihundert
  umschwärmten den Kopf des Kamels und ich ritt einfach in einer
  Wolke. So hatte ich doch wenigstens ein Gefolge von Fliegen, wenn
  sonst keines. Die Leute in Darra waren sprachlos, ich überfiel
  sie wie ein Blitz aus heiterm Himmel. Als sie sich erholt hatten,
  feuerten sie eine Salve ab. Mein armes Gefolge! wo das war, wußte
  kein Mensch. Denke Dir Deinen Bruder, einen einzelnen, staubigen,
  sonnverbrannten Menschen auf seinem Kamel und über und über mit
  Fliegen bedeckt, wie er so ganz unerwartet im Divan erscheint. Die
  Leute starrten mich an wie gelähmt. Zu essen gab's nicht viel nach
  meinem langen Ritt, aber eine ruhige Nacht, in der ich alles Elend
  vergessen konnte. Bei Tagesgrauen stand ich auf, zog die goldene
  Uniform an, die der Khedive mir geschenkt hatte, und ging hinaus, um
  meine Truppen zu besichtigen. Darnach bestieg ich mein Pferd, und
  mit einem Geleit von ~meinen~ Räubern von Baschi-Bosuks ritt
  ich hinaus in das Lager der anderen Räuber, das ich in einer halben
  Stunde erreichte. Der Sohn Sebehrs kam mir entgegen -- ein ganz
  hübscher Junge, etwa zwanzigjährig -- und ich ritt mit ihm durch das
  Räuberlager. Ich schätzte, es waren ihrer dreitausend, Männer und
  Burschen, die er bei sich hatte. Ich ritt mit ihm bis an sein Zelt;
  dort waren die Häuptlinge versammelt und nicht wenig überrascht,
  mich in ihrer Mitte zu sehen. Ich ließ mir ein Glas Wasser geben
  und kehrte dann zurück, indem ich den Sohn Sebehrs einlud, mich mit
  seinen Angehörigen in meinem Divan zu besuchen. Sie kamen denn auch
  richtig und hockten im Halbkreis um mich her, während ich ihnen in
  gewähltem Arabisch meine Meinung beibrachte: erstens, daß ich wohl
  wüßte, daß sie neuen Aufruhr gegen die Regierung im Schild führten,
  und zweitens, daß sie mir glauben dürften, daß ich lediglich dazu
  gekommen sei, sie zu entwaffnen und zu vernichten. Diesen Bescheid
  nahmen sie stillschweigend entgegen und entfernten sich dann, um
  sich's zu überlegen. Es dauerte nicht lange, so erhielt ich ein
  Schreiben mit der Zusicherung ihrer Unterwerfung und dankte Gott
  dafür! Rings umher haben sie das Land verwüstet, und ich konnte es
  nicht ändern. Mich dauern nur die armen Leute, die es traf, darunter
  die mir Verbündeten, die mit mir nach Wadar (gegen die Leparden)
  zogen und ihr Eigentum unbeschützt zurückließen. Was für Jammer
  überall! Aber der Allerhöchste sieht es, und er kann helfen. Ich
  kann's nicht. Die verblümten Gesichter der Schurken, als sie meine
  Anklagen vernahmen, und die merkwürdige Gebärdensprache bei meinem
  ungenügenden Arabisch hättest Du mit ansehen sollen! Es ist noch
  keine drei Tage her, daß Sebehrs Sohn seine Pistole dreimal auf
  meinen Kavaß (eine Art Polizeisoldat) abfeuerte, weil der Ärmste
  krank war und ihm nicht entgegenkommen konnte ... Du hättest sein
  Gesicht sehen sollen und seine Versicherungen der Treue mit anhören,
  als ich ihm dies vorrückte. Schließlich habe ich ihm verziehen.
  Maduppa Bey hat mir seither erzählt, daß der Sohn Sebehrs sich nach
  der Unterredung mit mir hingelegt und kein Wort gesprochen hätte,
  so daß die Araber meinten, ich hätte ihn mit Kaffee vergiftet! ...
  Man sieht ihm an, daß er ein verwöhntes Kind ist, dem die Rute nicht
  schaden würde. Ich habe mir Mühe gegeben, freundlich mit ihm zu
  reden, aber er wirft mir nur wütende Blicke zu. Armer Junge! er wird
  noch manch bittere Erfahrung machen müssen, ehe er die Nichtigkeit
  des Irdischen erkennt; bisher war er Herr inmitten einer kriechenden
  Schar von Sklaven, konnte thun was er wollte, Leute umbringen, wann
  es ihm einfiel, und soll nun auf einmal ~nichts~ sein! Indessen
  -- ›fahret mir säuberlich mit dem Knaben Absalom‹ -- ich will suchen,
  nach diesem Wort zu handeln. Es ist ein zierlicher Bursche in einer
  Jockei-Jacke von blauem Sammet. Die ganze Sippschaft kam bis an die
  Zähne bewaffnet, als sie sich in meinem Divan einstellten.«

Nachdem Gordon Soliman und seiner Horde den Standpunkt klargemacht,
beschloß er, die »Höhle Adullam« auszufegen, und sandte eine Abteilung
seiner Truppen ab, um Schekka zu besetzen. Im feindlichen Lager
war man übrigens keineswegs ~einer~ Meinung: ein Teil der
Sklavenjäger war für Unterwerfung, der andere für Krieg. Soliman
selber war in einem Zustand unbändigster Wut, und wenn er nur die
Scheiks zu gemeinsamem Handeln hätte bringen können, so wäre ein neuer
Aufstand erfolgt. Die Leute waren aber moralisch überwältigt: einer
nach dem andern erklärte dem Generalgouverneur seine Unterwerfung, und
dem Sohne Sebehrs blieb zuletzt nichts übrig, als sich Gordons Befehl
zu fügen, der ihn nach Schekka zurückkehren hieß. Er wolle das thun,
sagte der Bursche, wenn Gordon ihm zuerst Feierkleider schenke nach
dem herkömmlichen Brauch und als Beweis, daß er mit ihm zufrieden sei.
»Ich habe keine Feierkleider,« erwiderte jener und fügte hinzu, daß
sein Betragen ein viel zu anmaßendes sei; er wisse ja nicht einmal,
was sich des Khedive Statthalter gegenüber schicke, der ihn -- einen
eingebildeten Jungen -- mit ganz unverdienter Milde behandle. Das war
dem Sohne Sebehrs eine bittere Pille, aber er mußte sie schlucken.
Von Schekka aus sandte er dann einen Brief, in dem er sich Gordons
getreuen Sohn nannte und eine Statthalterschaft begehrte. Darauf wurde
ihm die Antwort, daß ehe er in Kairo gewesen sei, um sich dem Khedive
persönlich zu unterwerfen oder sonst eine nicht mißzuverstehende Probe
der Treue abgelegt habe, der General-Gouverneur ihm keinen Posten
anvertrauen werde, und wenn es ihn sein Leben koste. Diesen Bescheid
schickte ihm Gordon durch die Scheiks. Ehe diese sich verabschiedeten,
fragte Gordon einen derselben, ob er Kinder habe; der Mann bejahte
es. »Nun,« rief Gordon, »sagen Sie selber, ob eine Tracht Schläge dem
Burschen nicht heilsam wäre!« Und der Scheik gab es zu.

Während er so mit den Sklavenhändlern fertig wurde, hörte er, daß
sein schwarzer Schreiber, dem er bis dahin vollkommen getraut hatte,
ebensowenig »bakschischfest« war, als die meisten seiner Untergebenen:
er hatte sechstausend Mark Bestechungsgelder angenommen. Dergleichen
Erfahrungen waren Gordon ein wahrer Schmerz. Dann kam ein Eilbote
von Fascher, wo er doch über fünftausend Mann Militär wußte, mit der
Nachricht, daß ein panischer Schrecken die Stadt befallen habe; Harun
hatte nämlich von weither von sich hören lassen. Da verlor Gordon ob
solcher bodenloser Feigheit die Geduld. Er ließ ihnen zurücksagen,
sie sollten nicht sterben vor Angst, die Sklavenhändler würden ihnen
demnächst zu Hilfe kommen.

In der zweiten Septemberwoche machte er sich selber nach Schekka auf
den Weg. Als Soliman von seinem Kommen hörte, lud er ihn ein, in
seinem Hause abzusteigen, was Gordon auch ohne weiteres annahm. Er und
die anderen Raubgesellen empfingen ihn mit aller Unterwürfigkeit, ja
sie kamen ihm wie ihrem König entgegen. Sebehrs Sohn war sogar ganz
bescheiden und trug diesmal keine Sammetjacke; seinen Wunsch nach
einer Statthalterschaft konnte er jedoch nicht unterdrücken. Gordon
ließ sich aber nicht durch Unterthänigkeit bestechen, sondern erklärte
dem Bittsteller, er müsse vor allen Dingen Vertrauen zu verdienen
suchen. Doch war er persönlich freundlich gegen diesen »Absalom«, wie
er ihn nannte, und schenkte ihm sogar sein eigenes Gewehr.

Übrigens blieb er nur zwei Tage in dem Räubernest, und das war gut,
denn er hatte keine Schutzwache bei sich, und, wie sich später
herausstellte, wurde während seiner Anwesenheit Kriegsrat gehalten, ob
es thunlich und ratsam sei, sich an ihm zu vergreifen! Daß es nicht
geschah, ist ein Wunder, das sich nur damit erklären läßt, daß seine
vollständige Gleichgültigkeit gegen persönliche Gefahr wie lähmend auf
seine Feinde wirkte; es war die Großartigkeit seines Wesens, die sie
entwaffnete. Und wie Daniel aus der Löwengrube, so ging er aus dem
Nest der Sklavenräuber hervor.

Es war auf dem Weg nach Schekka, daß er folgenden Brief schrieb:

  »Weiterhin im Land hausen noch an sechstausend Sklavenhändler,
  die sich wohl ergeben werden, nun ich den Sohn Sebehrs und seine
  Häuptlinge überwältigt habe. Es ist nicht zu sagen, wie groß die
  Schwierigkeit ist, mit all diesen bewaffneten Horden das Rechte zu
  treffen. Ich trenne sie in einzelne Haufen und hoffe sie so mit der
  Zeit zu bewältigen. Man kann sie doch nicht alle totschießen! Haben
  sie nicht auch ihre Rechte, die man berücksichtigen muß? Hatten die
  Pflanzer (in Amerika) keine Rechte? Hat nicht selbst unsere Regierung
  einst Sklavenhandel gestattet? Ich hätte viel darum gegeben, Sie und
  die Herren von der Gesellschaft zur Unterdrückung des Sklavenhandels
  in jenen drei Tagen in Darra zu haben, als man nicht wußte, ob
  die Sklavenhändler sich zur Wehre setzen würden oder nicht. Eine
  schlechtbefestigte Stadt, eine feige Besatzung, unter der nicht einer
  war, der nicht vor Angst zitterte; und auf der andern Seite eine
  handfeste entschlossene Bande, die sich aufs Kriegshandwerk versteht,
  gut schießen kann und zwei Feldstücke bei sich hat. Ich hätte gern
  gehört, was Sie und die anderen dazu gesagt hätten! Ich sage dies
  nicht, um mich zu rühmen, denn Gott weiß, wie groß meine Sorge war
  -- nicht um ~mein~ Leben, denn ich bin längst dem abgestorben,
  was einem das Leben lieb macht, den Annehmlichkeiten und der Ehre
  und Pracht dieser Welt -- sondern meiner armen Schafe wegen hier
  in Darfur und anderwärts. Ihr sagt dies und das und handelt nicht
  darnach; ihr gebt Beiträge und meint, ihr habt eure Pflicht gethan;
  ihr lobt einander u. s. w. Es ist auch natürlich. Gott hat euch Dinge
  gegeben, die euch an diese Welt binden, ihr habt Frauen und Kinder.
  Ich habe keine und bin frei -- gottlob. Verstehen Sie mich recht:
  wo es mir nötig erscheint, da kaufe ich Sklaven und ich hindere es
  nicht, wenn gefangene Sklaven nach Ägypten verbracht werden; und
  im Punkte der dienstpflichtigen Sklaven will ich Freiheit haben,
  das zu thun, was mir recht scheint und was Gott selbst in seiner
  Barmherzigkeit mir nahe legt; aber den Sklavenjägern will ich das
  Genick brechen, und wenn es mich mein Leben kostet. Ich kaufe Sklaven
  für meine Armee und mache sie zu Soldaten gegen ihren Willen, damit
  sie mir helfen die Sklavenjagd unterdrücken. Ich thue dies am hellen
  Tag aller Welt gegenüber, und trotz all euren Beschlüssen. Meint ihr,
  es würde mir das Herz brechen, meiner Würden entsetzt zu werden? ich
  würde mich zurücksehnen nach der entsetzlichen Ermüdung des ewigen
  Kamelreitens, nach all dem Elend, das ich mit ansehen muß, nach der
  Hitze, und nach der Plackerei meines persönlichen Lebens? Stellt
  euch einmal meine Reisen vor in diesen sieben Monaten! Tausende von
  Kilometer zu Kamel, und es wird so fortgehen, wenigstens noch ein
  Jahr lang. Sie finden es nur hie und da nötig, sich auf Gott zu
  verlassen -- ich fortwährend, Tag und Nacht. Ich will damit sagen,
  daß Sie nur hie und da eine schwere Prüfung haben -- etwa wenn Ihnen
  ein Kind krank ist -- die Sie erkennen läßt, wie völlig schwach und
  hilflos Sie sind. Ich bin fortwährend in solcher Lage. Der Körper
  lehnt sich dagegen auf -- es ist oft mehr als man tragen kann.

  Zeigen Sie mir den Mann -- und ich will mir von ihm helfen lassen
  -- der Geld, Ruhm, Ehre verachtet, dem es einerlei ist, ob er je
  seine Heimat wieder sieht, der sich allein auf Gott verläßt als die
  Quelle alles Guten und den Machthaber über alles Böse, einen, der bei
  gesundem Körper und mit thatkräftigem Geist dem Tod entgegensieht,
  der ihn einst von allem erlösen wird. -- Sie sagen, Sie wissen
  keinen? nun dann lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe wahrlich genug an
  meinem Leben zu tragen und brauche keine weitere Last.

  »Auf einen Unterschied zwischen hier und Amerika muß ich Sie
  aufmerksam machen: man hört hier nie davon, daß Eigentümer ihre
  Sklaven zu harter Feldarbeit benutzen. Sie sind entweder Dienstboten
  oder im Truppendienst der Händler; es sind meist muntere flinke
  Kerle, gewandt wie Antilopen, auch wieder wild und schonungslos,
  ein Schrecken dieser Länder, und mit einem Prestige weit über das
  Militär der Regierung hinaus. Sie sind die Stärke der Sklavenhändler.
  -- In Kedaref sollen sich ein paar Griechen niedergelassen haben,
  die eine Menge Sklaven auf Plantagen beschäftigen. Ich habe vor, sie
  aufzugreifen. Kurz, der Zustand der Neger hier ist weit besser, als
  er je in Westindien war, und ich behaupte, daß die Leute hier nicht
  so herzlos sind, als einst die Pflanzer mit all ihrer Bildung und
  ihrem Christentum.

  »Ihre Ansicht über den Mohammedanismus teile ich nicht. Nach meiner
  Ansicht giebt es Muselmänner, die christlicher sind als manche
  Christen. Wir alle sind mehr oder weniger Heiden. Haben Sie je das
  Buch gelesen »Das moderne Christentum ein zivilisiertes Heidentum«?
  Ich war dieser Ansicht lange, ehe ich es las. Ich mag einen rechten
  Muselmann wohl leiden; er schämt sich seines Gottes nicht und sein
  Privatleben ist ein ziemlich reines; allerdings erlaubt er sich
  viele Weiber, auf der anderen Seite aber begnügt er sich mit seinen
  eigenen. Kann man das immer von den Christen sagen?

  »Was geht mich das Ministerium des Äußeren an, oder ich das
  Ministerium? Ich brauche seine Hilfe nicht; es wäre unrecht gegen
  den Khedive, wollte ich sie annehmen. Außerdem »derer ist mehr, die
  bei mir sind, denn derer, die bei ihnen sind.« Ich brauche keine
  Helfer außer dem Allmächtigen ... Nein, mein Lieber -- richten Sie
  Ihr Leben in Wahrheit nach dem Christentum ein, dann erst wird es
  Sie befriedigen. Das Christentum der meisten Leute ist ein schales,
  kraftloses Ding und führt zu gar nichts. Ein gutes Mittagessen ist
  ihnen wichtiger; es giebt nur einige wenige, die Gott dazu antreibt,
  sich wirklich um ihre schwarzen Brüder zu kümmern. ›Ach die armen
  Sklaven!‹ und ›darf ich Ihnen noch ein Stückchen Salm anbieten?‹
  heißt es da in einem Atem.«

Mitte September zog er nach Obeid, weil sein Diener das feuchte Klima
bei Schekka nicht ertragen konnte. Da kam es ihm vor, als erhielte
seine Karawane einen ungewöhnlichen Zuwachs und es dauerte nicht
lange, so entdeckte er den Sachverhalt -- etwa achtzig Männer und
Weiber und Kinder in Ketten. Natürlich packte er den Sklavenhändler;
es war einer jener Geier. Und da hieß es denn, es sei dessen eigene
Familie! Hätte Gordon sie befreit, so wären sie liegen geblieben und
Hungers gestorben. So blieb nichts übrig, als einem Sklaventransport
den oberstatthalterlichen Schutz zu gewähren! nur daß den armen
Geschöpfen die Ketten abgenommen wurden.

Diese Reise scheint besonders ermüdend gewesen zu sein.

  »Keine Sonntage für mich,« schreibt er, »es ist Last und Hitze jeden
  Tag, ob ich auf meinem Kamel bin oder im Zelt.«

Und überall Sklaven; manche kauft er, andere, die in der Glut fast
verdursten, schickt er ans Wasser. Ihr Elend bekümmert ihn, und er
hätte sein Leben gelassen, nicht ~einmal~, sondern wieder und
wieder, um den Handel mit Menschenware von der Erde zu vertilgen. Und
doch weiß es niemand besser als er, daß er nichts thun kann, als neue
Einfuhr möglichst verhindern. Daß er mit dem Räubernest in Schekka
fertig geworden war, leuchtete wie ein Stern am Horizont seines Lebens
und gab ihm die Hoffnung, daß bessere Tage kommen würden.

Ende September gelangte er nach Obeid und war vierzehn Tage später in
Khartum. Der Ruhm seines Siegeszugs war vor ihm hergegangen. Die Leute
konnten sich nicht genug über seine Kühnheit wundern; solcher Mut,
solche Willenskraft, solche unwiderstehliche Energie war den schlaffen
Menschen in diesem schlaffen Land unfaßlich. Und die Geschwindigkeit,
mit der er seine riesengroße Provinz bereiste, wäre jedem andern als
eine Unmöglichkeit erschienen. Seine Beamten fühlten sich ordentlich
ihrer Trägheit nicht mehr sicher. »Der Pascha kommt!« war ihnen ein
Schreckschuß, der besser wirkte, als Aussicht auf die Peitsche. So
beherrschte der freundliche, wohlwollende Mann mit seinem felsenfesten
Willen das Land.


      3. Weitere Kämpfe und der Aufstand in der Bahr el Ghasal.

Am 14. Oktober 1877 war Gordon nach Khartum zurückgekehrt und schon
am 23. begab er sich auf eine neue Reise. Die Arbeitslast, die er
vorfand, hatte er in einer Woche bewältigt. Er sei nur noch ein
Schatten seiner selbst, schreibt er; und jene Woche nennt sogar er
eine harte Zeit. Auf Schritt und Tritt belagerten ihn die Leute mit
Bittschriften, ihn mit Geschrei verfolgend. Sich ihrer mit Gewalt
entledigen, das brachte er nicht über sich.

  »Ich lasse sie eben schreien, denn wie kann ich jedem seinen
  Willen thun oder jeden Gefangenen frei geben? Hätte ich nicht
  meinen Gott zum Trost,« fährt er fort, »und das Bewußtsein, daß Er
  Generalgouverneur ist, wie sollte ich's weiter führen?«

Nachdem er seine Regierungsgeschäfte in Khartum erledigt und einen
Mörder hatte hinrichten lassen, machte er sich über Berber nach Hellal
auf den Weg, um daselbst mit Walad el Michael zu verhandeln. Die Reise
den Nil hinunter war die erste wirkliche Ruhezeit, die ihm seit dem
Vorfrühling 1874 im Sudan zu teil wurde. Und während er so mit stillem
Gemüt den Nil hinabsegelt, spricht er sich brieflich über seinen
Beruf aus. Sein englischer Biograph bemerkt hierzu, man höre da zum
erstenmal ein Wort von ihm, das für Selbstüberhebung gelten könnte.

  »Wie köstlich war die Ruhe heute auf dem Nilboot. Voriges Jahr um
  diese Zeit war ich auf meiner Heimreise vom Äquator her. Wieviel
  ist seither geschehen, bei Dir, bei mir, und in Europa! Mir ist so
  wohl zu Mut. Wenn ein Stern seine Höhe erreicht, so sagt man: er
  kulminiert; nun, mir ist auch, als ob ich kulminiert hätte -- ich
  möchte weiter und höher hinauf. Doch weiß ich, daß ich hier bin, so
  lange es Gottes Wille ist; mit diesem Bewußtsein fuße ich wie auf
  einem Felsen und bin zufrieden. Mancher andere möchte wohl auch hoch
  steigen, aber ohne die damit verbundene Last; mir macht umgekehrt die
  Last die Ehre lieb und ich danke Gott dafür. Er hat mir's gelingen
  lassen, und wenn's auch kein sehr glänzender Erfolg ist, so ist's ein
  handgreiflicher, der bleibenden Wert hat. ~Jene Stelle im Propheten
  Jesaia habe ich mir zugeeignet, und soweit es in meiner Macht steht,
  suche ich sie zu bewahrheiten.~«

Er meinte die Stelle Jesaia 19, 20:

  »Welcher wird ein Zeichen und Zeugnis sein dem Herrn Zebaoth in
  Ägyptenland. Denn sie werden zum Herrn schreien vor den Beleidigern;
  so wird er ihnen senden einen Heiland und Meister, der sie errette.«

Warum aber soll das Selbstüberhebung sein? Ist es nicht vielmehr
die Rede eines Menschen, der mit Paulus sagen kann: »Ich habe mehr
gearbeitet denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die
mit mir ist?«

In Berber wurde zu seiner Ankunft die Stadt festlich erleuchtet,
und der Generalgouverneur, »der Beklagenswerte, mußte zwei Stunden
umherlaufen und den Leuten zulieb ihre trüb brennenden Ampeln
bewundern -- ein wahres Opfer!« Darein fügte er sich, die acht oder
zehn Hofschranzen aber, mit denen man ihn umgab, hieß er ihrer Wege
gehen. Sich bewachen lassen, war nicht seine Art. Auch in Berber
war an Arbeit kein Mangel -- Bittschriften, Briefe, Telegramme zu
Dutzenden. Im ganzen Land meinten die Leute, er sei nur dazu da,
ihre Privatangelegenheiten zu erledigen. Von fünfzig Stunden her
telegraphiert einer, es sei ihm ein Sklave entlaufen; ein anderer, er
habe Händel mit seiner Frau und ein Nachbar hätte sich drein gelegt
-- als ob es nirgends Bezirksgouverneure gäbe. Jenem flüchtigen
Sklaven wird der Generalgouverneur nicht nachgegangen sein, auch jene
Ehehändel nicht geschlichtet haben; Spital und Gefängnis aber ließ er
nicht unbesucht.

Auf der Weiterreise nach Dongola mußte er sich über schlechte
Kamele beklagen, die Ruhe und Stille der Wüste mit ihren klaren
taulosen Nächten war ihm indessen eine wahre Erquickung nach der
langen Kampfzeit und nach der feuchten Hitze in Darfur. In Meraui,
dem angeblich südlichsten Grenzpunkt altägyptischer Zivilisation,
erreichte er den Fluß wieder. Hier hatten die Leute seit Jahren keinen
Statthalter zu Gesicht bekommen und verfolgten ihn mit Klaggeschrei.
In Dongola hörte er, daß Walad el Michael Senheit bedrohe, und Gordon
hatte keine Truppen. Auch ein Telegramm vom Khedive fand er vor, in
welchem seine Anwesenheit in Kairo begehrt wurde. Er machte sich daher
nach Ägypten auf den Weg, aber schon nach einer Tagreise bestürmten
ihn Telegramme vom Sudan mit der Nachricht eines abessinischen
Einfalls. Ras Arya, ein Heerführer des Johannes, bedrohte Sennaar
und Fazolie, südlich von Khartum. Es schien ihm unglaublich; aber
in Khartum war auch nicht ein Mensch, auf den er sich nötigenfalls
hätte verlassen können; so eilte er denn nach Dongola zurück und von
dort durch die Bajuda-Wüste in fünftägigem Ritt nach Khartum. Es war
blinder Lärm gewesen; man hatte ein paar abessinische Grenzmänner
gesehen und sie auch zurückgeworfen.

Drei Tage hielt er sich in Khartum auf, dann bestieg er abermals
sein Kamel, um über Abu Haras, Kedaref und Kassala nun doch erst den
Walad el Michael aufzusuchen, ehe er nach Kairo ging. Gordon hätte
gewünscht, den König Johannes zu einem Einverständnis mit Walad zu
bringen, wonach der König dem unruhigen Häuptling Hamasen überließe,
das überdies sein angestammtes Erbe war, allein Johannes war ein
Starrkopf. Walad war für die Ägypter ein böser Grenznachbar; man war
seiner nie sicher. Das einfachste wäre gewesen, ihn dem abessinischen
König in die Hände zu liefern, aber selbst ägyptische Politik hätte
nach dem Vorausgegangenen dies für schmählich gehalten. Man hoffte,
Gordon würde es zu stande bringen, die ägyptische Ehre mit möglichstem
Gewinn zu retten. Somit war er denn auf dem Wege nach Senheit, wo
Walad lag.

Unterwegs fand er wie gewöhnlich Ursache, sich über sein Gefolge zu
beschweren; er hatte es zu eilig für seine gemächlichen Araber, und wo
sie konnten, erwiesen sie sich hinderlich.

In Kassala sah er den Heiligen, Scherief Seid Hakim, einen Abkömmling
Mohammeds, mit dem er schon einmal zusammengetroffen war, und der
sich damals in seiner Würde verletzt fand, weil sein unwissender
europäischer Gast sich neben ihn auf den Ehrendivan setzte. Diesmal
war der Heilige etwas herablassender und ließ sich sogar eine
Zwanzigpfundnote (400 Mark) schenken. Als Gegengeschenk that er Gordon
die Ehre an, ihn zu bitten, sich zum Turban zu bekehren und ein
Muselmann zu werden. Er war nicht der erste, der dem Generalgouverneur
diese Bitte vortrug!

Als er Senheit erreichte, fand er, daß Walad sich in seinem Lager zu
Hellal befand, und mußte zwei hohe Berge übersteigen, um dasselbe zu
erreichen. Es war ein ähnliches Unternehmen wie sein Besuch in der
Räuberhöhle zu Schekka.

  »Die Leute in Senheit waren so furchtsam, daß ich beschloß, mich
  in Gottes Hand zu stellen und hierher zu reiten. Der Weg über zwei
  Berge war über alle Beschreibung; den zweiten zu übersteigen war eine
  entsetzliche Arbeit. Walad el Michael und seine Banditen lagen auf
  einem hohen Berg. Er hat volle siebentausend Mann bei sich, die alle
  bewehrt sind. Sie standen in Reih und Glied, um mich zu empfangen,
  und sein Sohn kam mir entgegen. Michael, hieß es, sei krank, oder gab
  vor es zu sein. Darnach begrüßte mich ein Trupp Priester mit heiligen
  Bildern. Michael empfing mich liegend -- er habe ein böses Knie;
  aber die Leute zu Senheit sagen, es wäre nicht wahr. Dann führte man
  mich in mein Zelt, und ich muß sagen, ich gedachte der Löwengrube.
  Wir waren miteinander in einer zehn Fuß hohen Umzäunung eingesperrt.
  Ich wurde zornig, denn ich sah wohl, was meine Leute (zehn Soldaten)
  davon hielten. Ich wandte mich an den Dolmetscher und sagte ihm, daß
  wenn Michael vorhabe, mich als Gefangenen zu betrachten, es ihm frei
  stünde, daß er es aber würde büßen müssen. Das war Kleinglaube von
  mir, dies zu sagen! Der Dolmetscher und Michaels Sohn waren indessen
  so überaus höflich und voller Entschuldigungen, daß ich vorläufig
  wohl noch kein Gefangener bin. Ich erläuterte meine Bemerkung dahin,
  daß wenn es in Senheit bekannt würde, wie man mich hier logiere,
  man dort allerdings für meine Sicherheit fürchten müßte, und der
  Telegraph würde solches nach Kairo melden.«

Die Nacht verlief ungestört, abgesehen von quälenden Flöhen, welches
Ungeziefer in jenen Himmelsstrichen nur in hoher Bergluft gedeiht. In
der Morgenfrühe sammelten sich die Priester um des Gastes Gefängnis
her und sangen ihre Hymnen -- »wahrscheinlich um den bösen Geist zu
bannen,« meinte Gordon. In einem späteren Brief heißt es übrigens:

  »Die Priester (in Abessinien) versammeln sich morgens um drei Uhr und
  singen eine Stunde lang in eigentümlich melodischer Weise davidische
  Psalmen. Es hat für den aus dem Schlaf erwachenden Hörer etwas tief
  Ergreifendes.«

Am folgenden Tag hatte er eine Unterredung mit Walad und machte ihm
den Vorschlag, beim König von Abessinien um Pardon einzukommen. Der
»Patient« wies dies energisch von sich und meinte im Gegenteil,
die ägyptische Regierung thäte wohl daran, ihm weitere Distrikte
(zum Plündern) zu überlassen; auch erklärte er sich bereit, die
abessinische Stadt Adowa zu überfallen. Zwar wußte Gordon, daß er den
listigen Verbündeten auf diese Weise leicht dem Johannes in die Hände
spielen könnte, aber Verrat war nicht seine Sache, und er brachte
Walad durch eine beträchtliche Geldsumme fürs nächste zur Ruhe.

  »Wie verhaßt mir diese Abessinier sind,« schreibt er, »den Walad
  mitgerechnet; sie haben auch gar nichts Anziehendes. Ihr Christentum
  ist ein totes; und was ihre Zivilisation betrifft, so sind sie nicht
  viel besser als die Stämme am Äquator. Wäre es nicht der europäischen
  Regierungen wegen, ich kümmerte mich nicht um diesen Johannes.
  Meine Beduinen von Darfur und hier herum sind andere Leute. Manche
  der jüngeren Leute haben eine Haltung, die man ordentlich beneiden
  möchte. Ich könnte nie durch mein Äußeres imponieren, aber diese
  jungen Ismaels sind lauter Prinzen.«

Den König Johannes nennt er anderswo »einen richtigen Pharisäer«,
und sagt von ihm, er führe eine Sprache wie das alte Testament,
abends betrinke er sich und am frühen Morgen singe er Psalmen; wenn
er in England wäre, ginge er zu den Methodisten und hätte eine
Bibel so groß wie ein Handkoffer. Gordon war offenbar froh, den
Abessiniern den Rücken kehren zu können und begab sich nach Massaua
am Roten Meer, um dort eine Antwort von Ras Barin, dem abessinischen
Grenzgeneral, abzuwarten. Er hatte nämlich dem Könige den Vorschlag
gemacht, wenigstens Walad el Michaels Truppen Pardon zu gewähren,
damit sie sich nach Abessinien flüchten könnten, wenn er sich etwa
zu einem Angriff genötigt sehen sollte. Die Antwort aber blieb aus.
Johannes lag zu Feld gegen Menelek, den König von Schoa, und so wenig
umfangreich das Land ist, wußte niemand genau zu sagen, wo das wäre.
Gordon wartete eine Zeit lang und trat dann über Suakim und Berber
den Rückweg nach Khartum an. Unterwegs erhielt er einen zweiten
Befehl vom Khedive, sich in Kairo einzufinden, um an Finanzberatungen
teilzunehmen. Der bloße Gedanke daran war ihm verhaßt; überdies meinte
er, nach seinem Nomadenleben im Sudan sei er weniger als je dazu
geeignet, an höfischem Leben Gefallen zu finden. Es war Ende Dezember;
über sechstausend Kilometer Wüstenritt lagen hinter ihm in diesem
Jahr, und leider hatte er unterlassen, die Binde um Brust und Hüfte
zu tragen, die beim Kamelreiten der fortwährenden Erschütterung wegen
nötig ist. Die schlimmen Folgen zeigten sich nun.

  »Ich habe mir das Herz oder die Lungen verrüttelt und habe ein
  Gefühl in der Brust als ob alles verrenkt wäre ... Wahrlich, obwohl
  ich lieber hier bin, als sonstwo auf der Welt, es wäre besser tot
  sein, als dies Leben führen. Ich habe meinem Schreiber mit der Bitte
  Entsetzen verursacht, mich zu begraben wo ich sterbe und jeden Araber
  einen Stein auf mein Grab werfen zu lassen, damit ich doch auch
  ein Denkmal hätte. Es ist sonderbar, so gute Fatalisten die Leute
  hier sind, eine solche Anspielung ist ihnen doch ein Greuel; sie
  meinen, es hieße den Tod mit Namen rufen, obschon sie zugeben, daß es
  vorherbestimmt ist, wann einer sterben soll.«

Gordon begab sich nach Kairo. Mit Dampf und Segel ging's nilabwärts
und die Residenz wurde anfangs März erreicht. Der Khedive hatte seinem
Oberstatthalter eine Aufforderung zur Hoftafel entgegentelegraphiert,
aber der Zug hatte Verspätung, und als Gordon den vizeköniglichen
Palast erreichte, fand sich's, daß die Hoheit anderthalb Stunden auf
ihren Gast gewartet hatte. Staubig wie er war, mußte Gordon sich
zu Tisch setzen, und alle Auszeichnung wurde ihm zu teil. Er wurde
aufgefordert, als Präsident der Finanzkommission zu figurieren. Sein
Platz bei der Tafel war zur Rechten des Khedive, und sein Quartier
war ein Palast, in dem sonst nur fürstliche Gäste untergebracht
werden. Aber die Pracht seiner Umgebung und die glänzende Bedienung
waren für Gordon verlorene Liebesmüh.

  »Meine Leute wissen sich nicht zu helfen vor Verwunderung, und ich
  auch nicht. Ich wollte, ich wäre wieder glücklich auf meinem Kamel.«

Einem Engländer, der ihn besuchte, erklärte er, er komme sich vor
wie eine Fliege in diesem großen Haus. Und seiner Schwester schrieb
er, es sei die helle Quälerei; er lege sich um acht Uhr schlafen,
das sei noch das beste, denn er gehe abends nicht in Gesellschaft.
Ismail hoffte, Gordon werde ihm aus seiner bedrängten Lage helfen.
»Ich kenne keinen, zu dem ich größeres Vertrauen hätte,« schrieb
der Khedive, allein die Geldangelegenheiten Ägyptens sind in den
Händen europäischer Kapitalisten; englische und französische
Koupon-Abschneider hatten mitzureden; wie hätte der ehrliche Gordon
da mit seinem Rat durchdringen können, der kurz und gut der war, die
Zinsen der europäischen Anleihen von 7 auf 4 Prozent herabzusetzen!?
Kein Wunder, daß er die ganze Bande von Diplomaten und Juden
gegen sich hatte, die in Kairo mitregieren. Nein, Gordon war kein
Finanzrat[10] und war froh, wieder seine Wege zu gehen.

  »Ich verließ Kairo wie ein gewöhnlicher Sterblicher, ohne Extrazug,
  und bezahlte mein Billet. Die Sonne, die so glanzvoll aufging, hatte
  einen ganz bescheidenen Untergang ... Die Last ist groß -- ich
  wünsche, die Zeit der Ruhe wäre da; aber die kommt nicht, bis ich
  ~sein~ Werk vollbracht habe. Hier bin ich -- sende mich!«

Die Reise ging über Suez, Aden, Zeila nach Harrar; er wollte den Raouf
Pascha, der als grausamer Tyrann dort schaltete, abermals seines Amtes
entsetzen; es war derselbe, dem er vier Jahre vorher eine Züchtigung
hatte zu teil werden lassen. In Harrar blieb er nur so lang als nötig
war, um Ordnung zu schaffen; dann kehrte er nach Zeila zurück, wo er
nach »achttägigem fürchterlichem Marsch« am 9. Mai 1878 anlangte.
Müde wie er war, ging's alsbald weiter nach Massaua und Berber. Ihn
verlangte nach Khartum zurück, wo ein Berg von Arbeit seiner harrte.
Das Volk freute sich seiner Rückkehr und treulose Beamte zitterten;
nicht weniger als acht seiner hochgestellten Untergebenen entsetzte
er ihren Würden. Aber nur zu gut wußte er, daß er mit eingefleischter
Veruntreuung im ungleichen Kampf stand, weil Ägypten wie die Türkei
im Regierungswesen von oben bis unten durch und durch faul ist; und
Menschenkraft, selbst die eines Gordon, reicht da nicht aus, auf die
Dauer zu bessern.

Die erste Nachricht von außen, die ihn in Khartum erreichte, war die,
daß Walad el Michael in Abessinien eingefallen sei und sich des Ras
Bariu bemächtigt habe. Somit waren Gordons Briefe an Johannes jetzt in
Walads Hand, was dem Schreiber übrigens kein großer Kummer war. Walad
wußte nun, wessen er sich zu versehen hatte, und daß Gordon, obschon
er sich von ihm lossagte, bei Johannes um sein Leben eingekommen war.

Die zweite ungleich bedenklichere Nachricht war ein erneuter und
verstärkter Aufstand der Sklavenjäger. Soliman hatte sich in die Bahr
el Ghasal zurückgezogen, wo die ganze Bande der aus ihren Nestern
verjagten Sklavenhändler sich zur letzten verzweifelten Gegenwehr um
ihn scharte. Während Gordon den Menschenhandel im Norden im Schach
hielt und die Verbindungen der Räuber mit ihren Märkten abschnitt,
erhob sich Soliman im Süden, und seine Horden überfluteten die Bahr el
Ghasal.

  »Ich habe den ganzen Besitz der Sebehrfamilie konfisziert,« schrieb
  Gordon, als er dies vernommen, »und sende eine Truppenabteilung gegen
  den Sohn.«

Diese Unterwerfung persönlich zu leiten war ihm schon deshalb nicht
möglich, weil durch Anhäufung des Ssett in den Flüssen und Seen die
Verbindung der Bahr el Ghasal mit Khartum oft monatelang abgeschnitten
ist. Der Generalgouverneur durfte seine Provinz auf eine solche
Möglichkeit hin nicht verlassen. Aber außerdem war eine Zeit der
Schwierigkeiten angebrochen, der selbst seine Energie oft manchmal
erliegen wollte. Die Paschas in Ägypten arbeiteten ihm geradezu
entgegen.

  »Ich stehe so ziemlich mit ganz Kairo auf dem Kriegsfuß, und Dornen
  sind mein Teil. Aber diese Arbeit ist mir nun einmal übertragen, ich
  will sie durchführen, und Gott wird mich von allem Übel erlösen. Wenn
  man sich von den irdischen Dingen nur immer innerlich frei halten und
  sie dem göttlichen Walten überlassen könnte, wie viel leichter wäre
  dann alles! Ich verzweifle nicht, aber wenn ich sehe, daß trotz aller
  Anstrengung kein wirklicher Fortschritt erreicht wird, dann überfällt
  mich ein Überdruß und ich wollte ich wäre daheim ... Seit die
  einsamen Kamelritte hinter mir liegen, habe ich keine erquicklichen
  Gedanken mehr ... Die fortwährenden Händel sind sehr niederdrückend
  und täglich möchte ich rufen: Wie lang, Herr, wie lang! Ich habe nie
  einen ruhigen Tag ... Aber so schwer es auf mir liegt, so ist es doch
  besser hier arbeiten, als anderwärts ein nutzloses Leben führen.«

Man sieht hieraus und aus ähnlichen Stellen, daß selbst ein
Glaubensheld wie Gordon seine Stunden hat, wo er innerlich gebrochen
ist und wie David und Hiob und andere Gottesknechte zu Zeiten meint,
daß das Böse siegen werde. Auch körperlich hatte er zu leiden.

  »Ich war mehrere Tage recht unwohl und so allein in meinem großen
  einsamen Haus. Und dann schleppte ich mich von einem Zimmer ins
  andere, weil die Gedanken mir keine Ruhe ließen. Bei all dem habe
  ich den großen Trost, mich nie vor dem Tod zu fürchten.« Und einige
  Wochen später: »Gottlob ich bin fast wieder wohl, aber ich war zwei
  Tage recht elend. Die ganze Stadt ist krank dieses Jahr. Aber so
  krank ich war (und zwar gleichzeitig mit meiner Dienerschaft --
  alles lag darnieder), war es mir doch lieb, in meinem großen Haus
  allein zu sein und niemand zur Last zu fallen ... Ich glaube, mein
  armer Kopf hat nie mehr nutzlose Arbeit vollbracht als in jenen
  beiden Nächten. Bittschriften verfolgten mich und wenn ich meinte sie
  erledigt zu haben, so waren sie von neuem da; es war entsetzlich.«
  Und hieran knüpft er die nicht leicht zu beantwortende Frage an
  seine Schwester: »Was möchtest du lieber, nach einem kampflosen
  Leben die ewige Seligkeit in geringerem Maße erreichen, oder durch
  ein Heer von Prüfungen hier durch müssen, um die ewige Seligkeit in
  größerem Umfang zu gewinnen? Merke, die ewige Seligkeit, als eine
  vollständige, in beiden Fällen! Ich weiß nicht, was ich wählen würde,
  ich möchte lieber nicht wählen, obschon ich ein abgehärteter Mann
  bin, denn dies Leben ist eine ~fürchterliche~ Schule.«

Unter den äußeren Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, war
der trostlose Zustand der Finanzen nicht die geringste: das Volk war
über und über besteuert, aber mehr als zwei Drittel der Schatzung
ging nie ein. Die Steuereinnehmer waren wie die weiland römischen
Zöllner, die nebenher ihre eigenen Geschäfte machten. Gebt uns ein
Sechstel als »Bakschisch«, sagten sie den Leuten, dann stellen wir
euch ein Zeugnis aus, daß ihr nicht mehr zahlen könnt. Als Gordon
die Verwaltung antrat, fand er, daß es vorher allgemein üblich war,
den Gouverneur zu bestechen, um z.B. eine Stelle zu erhalten, und
zwar so, daß ein Bewerber zwölftausend Mark »Bakschisch« für eine
Anstellung zahlte, die ihm kaum mehr als ein Drittel dieser Summe
an Jahresgehalt eintrug. Natürlich lag der Schluß nahe, daß die
Beamten auf ganz andere Einkünfte als ihren Gehalt ihr Augenmerk
richteten. Gordons Wachsamkeit legte manchem das Handwerk; das System
war aber so eingerissen, daß er sich anfänglich der ihm zukommenden
»Bakschisch«-Gelder gar nicht erwehren konnte; er legte sie in die
Verwaltungskasse. Aber Ägypten selber betrachtete das abhängige
Land nur als eine Geldquelle, und nicht zufrieden mit rechtmäßigen
Einkünften, wie z. B. dem Ertrag des Elfenbeins, war es unter den
ägyptischen Paschas ganz üblich, ihr eigenes Defizit aus dem Sudan zu
decken. Selbst der Khedive telegraphierte seinem Statthalter Gordon,
so oft er sich in Geldverlegenheit befand.

  »Ich bin hinter den Büchern gewesen,« schreibt dieser, »und habe
  einen guten Streich geführt. Die Finanzverwaltung von Kairo
  telegraphierte um eine halbe Million Mark, die der Sudan dorthin
  schulde. Ich habe die (alten) Abrechnungen nachgesehen und finde, das
  umgekehrt Kairo dem Sudan hundertachtzigtausend Mark schuldet!«

Er ließ sich nie dran kriegen, von keinem Vizekönig und keinem
Minister. Im ersten Jahr seiner Verwaltung fand er ein Defizit von
über fünf Millionen Mark in seinen Finanzen, im zweiten Jahr hatte
er's auf eine Million heruntergebracht, und mit der Zeit hoffte er der
Schulden ganz Herr zu werden und rechtmäßige Überschüsse nach Kairo zu
schicken. Er hatte oft Ebbe in der Kasse und dabei die fortwährenden
Schwierigkeiten mit dem Sklavenhandel -- »wahrlich, man ist hier nicht
auf Rosen gebettet!« rief er aus.

Denn bei aller übrigen Not hatte er ein wachsames Auge auf die
Sklavenwirtschaft. Im Juli z. B. meldete er:

  »Wir haben in diesen zwei Monaten zwölf Sklaventransporte abgefangen;
  auch ist mir ein Brief von einem Händler in der Bahr el Ghasal in die
  Hände gefallen, worin dieser seinen Abnehmern schreibt, er habe eine
  Menge Sklaven bereit, wisse aber nicht, wie sie landabwärts bringen.
  Er wird sich wundern, die Antwort von ~mir~ zu erhalten ... So
  weit es in meiner Macht steht, soll dieser Handel aufhören.«

Einige Wochen später wurde von seinen Leuten eine Karawane von
neunzig Sklaven aufgefangen, die Überbleibsel von einer viermal
größeren Anzahl, die über achthundert Kilometer weit durch die Wüste
hergeschleppt worden waren; die wenigsten davon waren über sechzehn
Jahre alt, die meisten ganz junge Kinder.

  »Es fällt mir schwer, die Händler nicht nach Verdienst zu züchtigen
  (ihm selbst waren ja die Hände über ein gewisses Maß hinaus
  gebunden); aber ich darf nicht vergessen, daß Gott es zuläßt, und ich
  muß nach dem Gesetz handeln. Ich thue mein Bestes, und fürs übrige
  ist Er Generalgouverneur.«

In der Bahr el Ghasal waren, wie bereits gemeldet, die Sklavenjäger in
erneutem Aufstand, und zwar abermals infolge eines geheimen Aufruhrs
Sebehrs, jener Geißel Zentral-Afrikas, von welchem der ganze Greuel
ausging. Der schwarze Pascha hoffte seiner Gefangenschaft in Kairo
dadurch ledig zu werden, daß man ihn als den einen Mann, der die Bahr
el Ghasal zu beschwichtigen vermöchte, nach dem Sitz des von ihm
selbst hervorgerufenen Aufruhrs schicken würde. Sein Sohn Soliman
war sein Stellvertreter. Und daß er so rechnete, war keineswegs
weit vom Ziel geschossen; Gordon erlebte es in den nächsten Monaten,
daß rücksichtlich des Sudaner Budgets Nubar Pascha ihm von Kairo
aus den Vorschlag machte, ihm den Sebehr als eine Art Finanzbeirat
zu schicken. Derselbe hoffte den Sudan so zur Blüte zu bringen, daß
Ägypten in kurzer Zeit auf eine halbe Million Mark Einkünfte von
dorther werde rechnen können. Gordon meldete zurück: ja, eine halbe
Million aus Sklaventransporten, er begehre solcher Hilfe nicht.

Der Umfang des Aufstandes war anfänglich weder in Kairo noch
in Khartum bekannt; später stellte es sich heraus, daß die
Hauptsklavenhändler die Provinzen des Sudan von vornherein unter
sich verlost hatten und sich mit der Hoffnung trugen, ihre Fahnen
auf den Mauern Kairos wehen zu lassen. Keineswegs ein unmöglicher
Traum! Auch als jener Aufstand unterdrückt war, erklärte es Gordon
als seine Meinung, daß irgend ein entschlossener Anführer den Sudan
gegen Ägypten aufwiegeln könne, wie das ja auch durch den Mahdi
seither geschehen ist. Es sind nicht nur die Sklavenjäger, die das
Brandmaterial in jenen unglücklichen Ländereien ausmachen, obschon
diese an sich zu jener Zeit mächtig genug waren, um Ägypten in Atem
zu erhalten, ein weiterer Zündstoff ist in den arabischen Stämmen
vorhanden, die vor Hunderten von Jahren übers Rote Meer herüberkamen
und sich im Innern von Afrika festsetzten. Diese Araber sind
kriegstüchtige Leute, stolz auf ihre Abkunft und nach moslemischen
Begriffen von sittlicher Lebensart. Diese sind es hauptsächlich, die
sich dem Mahdi anschlossen, um die verhaßten Ägypter zu vertreiben,
und sie waren es, die in jenem Aufstand Solimans Horden verdoppelten
und verdreifachten. Fürs übrige stehen sie den Negern näher als den
Ägyptern; sie selbst aber treiben Sklavenhandel, und Solimans Banditen
waren zum Teil Angehörige dieser Stämme. »Unser ist das Land,« war der
Schlachtruf jener Araber, »wir brauchen keinen Effendina (Khedive)
hier!« »Wären Sebehr und seine Leute nicht so verruchte Sklavenjäger,«
schrieb Gordon, »und hätten sie sich nicht solch furchtbare
Grausamkeiten zu schulden kommen lassen, es wäre für den Sudan
vielleicht besser gewesen, die Aufrührer hätten ihren Zweck erreicht.
Und -- fügte er fernsichtig bei, -- wenn England und Frankreich sich
nicht besser vorsehen und für eine gerechte Verwaltung sorgen, so ist
ein Sichlosreißen des Sudan von Ägypten nur noch eine Frage der Zeit.«

Gordon verlor keinen Augenblick, den Aufruhr zu dämpfen, und da
er nicht selbst den Rebellen entgegenziehen konnte, so entsandte
er ~Gessi~, seine rechte Hand, einen tüchtigen Soldaten, der
uns schon vom Äquator her bekannt ist und den Gordon bei dieser
Gelegenheit folgendermaßen beschreibt:

  »Romulus Gessi, Italiener, neunundvierzig Jahre alt; kurz, von
  gedrungener Gestalt; ein kaltblütiger, entschlossener Mann, und in
  praktischen Dingen ein geborenes Genie.«

Auf seinem Wege nilaufwärts stieß dieser tapfere Soldat auf reichliche
Beweise, daß die ägyptischen Beamten eigenen Gewinnes halber mit den
Händlern unter ~einer~ Decke steckten. Nicht nur begegneten ihm
bei jeder Wendung mit Menschenware beladene Boote, sondern sogar
Dampfer, die unter der Flagge der Regierung dem Sklaventransport
Vorschub leisteten. Auf einem der Boote fand er an dreihundert
Schwarze und unter diesen einige Lastträger, die als freie Menschen
mit Ladungen von Elfenbein und Getreide nach Lado gekommen waren.
Ibrahim Fansi aber, der dortige Statthalter, bemächtigte sich ihrer
und verschiffte sie auf seine Rechnung in die Sklaverei. Zum Glück
begegneten sie einem handfesten Befreier. Gessi war auf dem Wege nach
den Äquatorialdistrikten, um auf den verschiedenen Stationen seine
Streitmacht zu vervollständigen. Auf dem Rückwege landete er seine
Mannschaft in Gaba Schambil, aber erst mit Anfang September konnte
er durch das überschwemmte Land westwärts ziehen und infolge der
Regenzeit mußte er wochenlang in Rumbehk am Bahr el Rohl bleiben. Dort
erreichte ihn die Nachricht, daß der Sohn Sebehrs sich zum Herrn der
Bahr el Ghasal aufgeworfen habe, daß er in Dem Idris die ägyptische
Besatzung überfallen und vernichtet habe, wodurch ein beträchtlicher
Vorrat von Kriegsbedarf in seine Hände gefallen sei. Die Häuptlinge
der Araber in der Umgegend wandten sich ihm auf diesen Erfolg hin
massenweise zu, und solche, die es nicht thaten, metzelte er nieder.
Weiber und Kinder erlagen entweder seiner Grausamkeit oder wurden
in die Sklaverei geschickt. Rings umher hatte er die Leute ihrer
Kornvorräte beraubt, so daß sie zu Hunderten Hungers starben.

Soliman hatte sechstausend Mann, und es verlautete, er beabsichtige
einen Überfall auf Rumbehk; Gessi hatte nur dreihundert reguläre
Truppen mit zwei Feldstücken und etwa siebenhundert schlechtbewaffnete
Irreguläre. Er erwartete noch bis dreihundert Mann Verstärkung
und machte sich alsbald daran, Rumbehk zu befestigen. Seine von
Gordon erwartete Hilfe blieb aber aus, weil sein Schreiben an den
Generalgouverneur fünf Monate lang nach Khartum unterwegs war!
Hilfe von den benachbarten Bezirksstatthaltern erhielt er nicht.
An Beamten scheint die Provinz keinen Mangel gelitten zu haben.
In Dem Idris hatte sich eine »fabelhafte Anzahl« derselben die
Langeweile mit Tricktrackspielen vertrieben, während Jussuf Bey,
der Bezirksgouverneur, ein ruchloses Leben führte, worin seine
Untergebenen, sämtlich seine Neffen und Vettern, ihn nach Kräften
unterstützten. Ägyptische Wirtschaft! Am 17. November verließ Gessi
seine feste Stellung, und das war der Anfang eines Kriegs- und
Siegesmarsches, das Ergebnis einer Energie, wie sie nur aus Gordons
Schule hervorgehen konnte. Unaufhaltsam durch das Land der Ströme
vorwärtsdringend und auf Flößen übersetzend -- einmal inmitten von
Krokodilen -- verschanzte er sich in dem am gleichnamigen Fluß
gelegenen Dorfe Wau. Dort kamen ihm die Eingebornen Hilfe suchend von
allen Seiten entgegen. Über zehntausend Menschen hatte Soliman aus
den Dörfern der Bahr el Ghasal geraubt. Ein Araberhäuptling schloß
sich ihm mit siebenhundert Bewaffneten an und nun warf er sich auf
Dem Idris, welche Stadt er befestigte, eines Überfalls von Soliman
gewärtig.

Der Sohn Sebehrs aber hatte sich überraschen lassen; bei dem
überschwemmten Lande wähnte er Gessi noch in weiter Ferne und war
selbst im Begriff, in seine Höhle zu Schekka zurückzukehren. Als
ihm aber die Nachricht von der Nähe des Feindes kam, sammelte er
rasch seine Streitkräfte, über zehntausend Mann, und warf sich auf
Dem Idris. So sicher war er seiner Sache, daß er schon die Stricke
in Bereitschaft hielt, um Gessi und seine Handvoll Leute zu binden.
Viermal kam es zum Angriff, und viermal wurde er zurückgeschlagen, das
erstemal am 27. Dezember, wobei er tausend Tote und fünf Standarten
zurückließ. Aus Mangel an Munition konnte Gessi den zurückgeworfenen
Feind nicht verfolgen. Dieser machte vierzehn Tage später einen
neuen Angriff und wurde abermals zurückgeschlagen. Soliman und seine
Häuptlinge hatten sich vorher im Kriegsrat mit einem Eidschwur auf
den Koran zu Sieg oder Tod verbündet. Durch Überläufer wußte Gessi
davon und verband sich seinerseits mit seinen Leuten, ihr Leben so
teuer als möglich zu verkaufen. So wenig Kriegsbedarf hatte Gessi,
daß er nach dem ersten Angriff die Kugeln des Feindes sammeln und
wieder gießen lassen mußte. Er sah aber, daß den schwarzen Soldaten
der Sklavenhändler der Mut gebrach, daß die Araber mit gezückten
Schwertern hinter ihnen standen und den Zagenden den Garaus machten.
Am folgenden Morgen kam es zum dritten Angriff und sieben Stunden
lang wütete der Kampf. Endlich wichen die Horden Solimans. Dieser
war in verzweifelter Wut von seinem Pferd gesprungen und weigerte
sich zu fliehen; wenn der Tod ihn nicht finde, wolle er ihn suchen,
schrie er, aber seine Leute schleppten ihn mit Gewalt davon. Abermals
nach vierzehn Tagen, in der Nacht des 28. Januar 1879, stürmte der
Feind heran. Eine von Solimans Bomben setzte ein Strohdach in Brand,
und das Lager stand in Flammen. Gessi war dadurch gezwungen, den
Kampf im offenen Feld zu wagen, aber nach drei Stunden hatte er die
Sklavenhändler in die Flucht geschlagen.

Im März erhielt er Zufuhr von Pulver und Blei und konnte es wagen, den
Feind in seiner Verschanzung anzugreifen. Solimans Lager bestand aus
einem Verhau von Baumstämmen, im Zentrum war eine feste Verschanzung,
die sechs- bis achttausend Mann deckte, und darum her standen statt
der Zelte Reisighütten. Eine Rakete der Angreifenden fiel ins Lager,
und im Augenblick brannte alles lichterloh. Die Rebellen suchten mit
verzweifelten Anstrengungen des Feuers Herr zu werden, aber bald
stand auch die äußere Einpfählung in Flammen, und den Banditen blieb
keine Wahl als einen Ausfall zu machen. Sie wurden auf ihr brennendes
Lager zurückgeworfen und retteten sich zuletzt in wilder Flucht. Ihr
Verlust war ein beträchtlicher. Die Nacht senkte sich auf Gessis müde
Schar, die seit dreizehn Stunden der Nahrung ermangelte. Am andern
Morgen bemächtigten sie sich des halbverbrannten Lagers; verkohlte
Leichen bedeckten die Stätte und weithin lagen die auf der Flucht
Umgekommenen. Mangel an Schießbedarf verhinderte Gessi abermals,
seinen Sieg auszubeuten. Der Statthalter von Schekka, als der nächste,
der Zufuhr hätte verschaffen können, ließ ihn im Stich, und als die
Pocken in Dem Idris ausbrachen, war seine Lage in der That eine
traurige.

Während der tapfere Italiener den Sohn Sebehrs auf diese Weise im
Schach hielt, war Gordon, wie wir gesehen haben, an der Arbeit
in Khartum. Der Anfang 1879 brachte ihm nicht weniger als drei
Einladungen nach Kairo; er umging sie mit der Antwort, daß der
Zeitpunkt ein kritischer und eine Folgeleistung für ihn mit der
Niederlegung seines Amtes gleichbedeutend sei. Während er täglich
seine wirkliche Rückberufung erwartete, erhielt er die Nachricht vom
Fall seines Gegners, des Nubar Pascha selbst. Gordon hatte dem Gessi
deshalb keine Verstärkung schicken können, weil Nubar ihm das Militär
verweigert hatte. Es war bei dieser Gelegenheit, daß dieser ihm statt
eines dringend nötigen Regiments Soldaten den Sebehr anbot! Gordons
Sorge um Gessi nahm täglich zu, und wiederholt telegraphierte er dem
Khedive um Genehmigung eines Zuges seinerseits nach Kordofan und
Darfur. Mitte März machte er sich dann nach Schekka auf den Weg.

Den Zweck seines die Unterstützung Gessis bezweckenden Unternehmens
beschreibt Gordon folgendermaßen:

  »Erstens galt es, die Anhänger des Sohnes Sebehrs in Kordofan zu
  verhindern, den Sklavenhändlern Hilfe zuzuführen; zweitens, dem
  Feind den Rückzug abzuschneiden und Sebehrs Horden zu verhindern, in
  Darfur einzufallen und sich daselbst mit dem angeblichen Sultan zu
  vereinigen, der im Hügelland noch sein aufrührerisches Wesen trieb;
  und drittens, Gessi moralischen Beistand zu gewähren sowie ihm den
  nötigen Kriegsbedarf zukommen zu lassen.«

In größter Eile drang Gordon vorwärts nach Schekka. Durch Gluthitze
bei Tag und empfindliche Kälte bei Nacht, über sandige Strecken und
verdorrtes Gras trug sein Kamel ihn durch die wasserlose Wüste. Der
Weg ging über Obeid, wo die Leute »sauer sahen, weil er Handel und
Gewerbe durch Unterdrückung der Sklavenjagd beeinträchtigte.« Da und
dort faßte er unterwegs Sklavenkarawanen ab, konnte die Händler aber
nur durchpeitschen und ihnen die verbotene Ware abnehmen.

  Persönlich hatte er »keinen sehnlicheren Wunsch, als sie zu
  erschießen,« -- es war lediglich das Gesetz,[11] das ihn daran
  verhinderte.

Auf einem nächtlichen Ritt in jener Zeit aber sah er einen Ausweg, den
Greuel besser als bisher zu unterdrücken.

  »Von gestern abend halb sieben bis halb vier diesen Morgen habe ich
  auf meinem Kamel gesessen. Und auf diesem langen Ritt zeigte sich mir
  eine Möglichkeit den Sklavenhandel zu vernichten, dadurch nämlich: 1)
  ~wer im Lande Darfur wohnt, muß eine Aufenthaltskarte haben~; 2)
  ~niemand darf das Land betreten oder es verlassen ohne Paß für sich
  und sein Gefolge~. Auf diese Weise kann niemand im Land verweilen,
  ohne seine Erwerbsquelle nachzuweisen, und niemand kann ohne
  Kenntnisnahme der Regierung darin umherreisen. Ein Zuwiderhandeln
  dieser Verordnung wird mit Gefängnis oder durch Beschlagnahme des
  Besitzes der Schuldigen bestraft.«

Er berichtete dies der Schwester als einen guten Nachtgedanken, den
er aber nicht seinem eigenen klugen Kopf zuschrieb, denn es steht
in Klammern daneben: »So aber jemand unter euch Weisheit mangelt,
der bitte von Gott, der da giebt einfältiglich jedermann, und
rückt es niemand auf.« Allerdings sieht er nur zu bald ein, daß
sein Nachtgedanke zwar theoretisch gut, aber praktisch unausführbar
ist; denn wer sollte der Paßanwendung Nachdruck verleihen? Am 8.
April erreichte er Schekka, »diese Sündenhöhle.« »Das Entsetzen der
Sklavenhändler« -- es waren ihrer mehrere hundert beisammen -- »war
groß«.

Am Tage vorher hatte ihn die Nachricht von Gessis Erfolgen erreicht,
dem um diese Zeit auch die ersehnte Verstärkung geworden war. Während
Gordon in Schekka dem Greuel den Boden sozusagen unter den Füßen
wegzog, errang Gessi in der Bahr el Ghasal neue Siege. Die armen
Schwarzen wußten sich nicht zu fassen vor Glück! Ein Dorf ums andere
wurde ihnen zurückerobert, und ihre grausamen Unterdrücker fanden die
verdiente Strafe. Mehr als zehntausend jener Unglücklichen schenkte er
ihre Heimat wieder. Einmal brachten seine Späher ihm acht Sklavenjäger
ins Lager und mit ihnen achtundzwanzig zusammengekoppelte Kinder. Er
ließ die Schurken sofort erschießen. Ein paar Tage später hängte er
eine ganze Reihe derselben im Wald auf. Kein Tag verging, daß nicht
ein Negerhäuptling kam und sich ihm mit Dankesthränen zu Füßen warf;
jetzt endlich konnten sie's glauben, daß es eine Regierung gebe, der
es obliege, sie zu schützen.

Am 1. Mai verließ er Dem Idris und suchte den Sohn Sebehrs in seinem
eigenen Nest auf, das seinen Namen trug -- Dem (d. h. Stadt) Soliman.
Der Überfall war in Plan und Ausführung ein so glänzender, daß der
junge Bandit ums Haar in seine Hände gefallen wäre. Die Stadt wurde
erobert, und die reichen Vorräte kamen Gessis Truppen sehr zu statten.
Der Sohn Sebehrs aber war zu einem andern Sklavenjäger, einem der
mächtigsten Rebellen, Namens Rabi, entkommen. Mit sechshundert Mann
machte sich Gessi auf den Weg, ihn zu verfolgen. Durch das verwüstete
Land, das nach Rache gegen den Feind schrie, drängte der Rächer.
Der Hunger folgte ihm auf den Fersen, zog vor ihm her, er achtete
es nicht. Er erreichte ein Dorf, das noch die Spuren der vor kurzem
verschwundenen Einwohner trug; es war spät am Abend, er fand Obdach
vor dem strömenden Regen, aber nicht eine Handvoll Durra. Da ging
seinen Leuten der Mut aus. Mit Tagesanbruch rief er sie zusammen
und sagte ihnen, daß er keine Nahrung für sie habe, daß aber der
Feind nicht weit sei, und was sie ihm abjagen könnten, gehöre
ihnen. Da feuerte der Hunger die Mannschaft an und weiter ging's im
Sturmschritt. Sie kamen an Gräbern vorüber und scheuchten Raubvögel
von ihrem Fraß auf, fanden unbeerdigte Leichen und frische Fußstapfen,
dann Häuser und ein ausgestorbenes Dorf. Da stürzte ihnen ein weißes
Weib mit aufgelöstem Haar und fast ohne Kleidung entgegen, sie
trug ein Kind an der Brust, und ihr abgehärmtes Gesicht sprach von
Schrecken und Jammer. Mit strömenden Thränen sank sie dem Anführer zu
Füßen. Ihr Mann, ein ägyptischer Offizier, war bei dem Überfall von
Dem Idris niedergemetzelt und sie als Beute entführt worden. Von ihr
erfuhr Gessi auch, daß der Feind nicht weit war.

In den Häusern gab's wenigstens genug Durra, die ausgehungerten
Soldaten zu sättigen. In der folgenden Nacht lagerten sie in einem
dichten Wald; Kundschafter wurden ausgeschickt. Die brachten nach
zwei Stunden Nachricht von weithin leuchtenden Wachtfeuern. Gessi
hielt dafür, daß er auf eine Sklavenkarawane gestoßen sei, denn die
Hauptbande vermutete er in einem noch entfernteren Dorfe. Er teilte
seine Mannschaft in der Absicht, die Karawane zu umgehen und sich
zuerst der Rebellen zu versichern; aber die eine Abteilung verfehlte
ihren Weg und kam mit Sklavenhändlern ins Gemenge. Schüsse fielen,
und in wenig Augenblicken war die Bande auseinandergesprengt. Einige
Händler fielen ihnen in die Hände, und diesen wurden nun dieselben
Ketten angelegt, unter denen eben noch ihre Opfer geseufzt hatten.
Ihr Anführer war Abu Snep, einer der berüchtigtsten Sklavenhändler in
der ganzen Bahr el Ghasal. Aber der Rebellenhaufe hatte die Schüsse
vernommen, und plötzlich -- es war noch dunkle Nacht -- erleuchtete
eine Feuersbrunst den Himmel; die flüchtigen Banditen hatten das Dorf
angezündet, und als Gessi es in der Morgenfrühe erreichte, fand er
einen rauchenden Trümmerhaufen. Nirgends eine Menschenseele, nur ein
kleines Sklavenbübchen, das sich in der Verwirrung versteckt hatte.
Das Kind berichtete, daß Soliman selbst keine vierundzwanzig Stunden
vorher im Dorf gelagert hatte.

In der folgenden Nacht stellten sich sieben Männer in Gessis
absichtlich nicht erleuchtetem Verhau ein, seine Truppen für die Bande
Rabis haltend, die sie in der Nähe wußten; sie sagten, sie seien vom
~Sultan Idris~ entsandt, der alsbald hinterdrein käme und Rabi
möchte ihn zum Anschluß erwarten. Gessi schickte durch einen der
sieben die Antwort, daß er den Sultan da und da zu sehen hoffe. Die
anderen sechs wurden zu Gast gebeten und sahen sich in kurzem als
Gefangene.

Gessis Plan war alsbald entworfen; er beabsichtigte sich Rabis zu
versichern und dann den nachkommenden Sultan Idris zu empfangen. In
größter Eile ging's vorwärts. Mit Tagesanbruch überfiel er jenen in
seinem Lager, vernichtete seine Horde, bemächtigte sich aller seiner
Vorräte und seiner Flagge, und nur der Häuptling selber entkam durch
die Schnelligkeit seines Pferdes. Dann, in der Richtung zurückfallend,
wo er seinen »Verbündeten« wußte, ließ er sein Zelt aufschlagen und
Rabis Standarte daneben pflanzen. Seine Leute legte er im Umkreis in
Hinterhalt; darnach schickte er ein halb Dutzend Schwarzer aus, die
wie von ungefähr dem Sultan in die Hände gerieten. Wem sie gehörten?
war die Frage. Dem Rabi, lautete die Antwort, und sie wären auf der
Jagd. Da sandte Idris sie zurück, um seine Ankunft binnen einer Stunde
zu melden. Ein plötzlicher Sturmwind und Regenguß trieb ihn und seine
Leute vorwärts, und Schutz suchend, lief die Bande im Durcheinander in
die Falle. Da krachte ein Signalschuß und Musketenfeuer knatterte um
sie her. So groß war ihre Verwirrung, daß nicht einer die Gegenwehr
versuchte. Idris und etliche seiner Araber waren die einzigen, die
entkamen, und das nur, weil sie sich im Wetter unter einen Baum
geflüchtet hatten und dadurch etwas zurückgeblieben waren. Reiche
Beute fiel in Gessis Hand. Er kehrte nach Dem Soliman zurück, das er
vor neun Tagen verlassen hatte, seine Rückkehr glich einem Triumphzug.
Die Sklavenhändler in der Umgegend schienen in alle Winde zerstreut.
Das Volk hatte sich erhoben und die Flüchtigen mit Pfeil und Speer
verfolgt. Die gefangenen Anführer brachte Gessi in Ketten mit sich,
während die besiegte Mannschaft Lasten von erbeutetem Elfenbein hinter
ihm herschleppte. In Dem Soliman fanden die Rächer eine wohlverdiente
Ruhe.

Indessen hatte Gordon in Schekka mit den fast unbezwingbaren
Schwierigkeiten seiner Verwaltung ritterlich weiter gekämpft.
Auch um diese Zeit schrieb man ihm wieder von Kairo und begehrte
zweihundertundvierzigtausend Mark aus dem Sudan. Er meldete zurück:
»Wenn die zerlumpten Truppen hier Kleidung und Löhnung haben, dann
kann man wieder davon reden.«

In Darfur fand er die alte Mißwirtschaft: »Ich verzweifle am
ägyptischen Regiment!«[12] Immer wieder ist's ihm sonnenklar, daß das
Hauptelend des Landes von der Gewinnsucht der Beamten ausgeht.

  »Ich habe dem Khedive telegraphiert, den Sohn des Sultans Ibrahim
  herzuschicken (der in Kairo festgehalten wurde) und mit ihm die
  rechtmäßige Sultansfamilie hier wieder einzusetzen, denn mit diesem
  Diebspersonal von Beamten ist eine gerechte Regierung unmöglich....
  Mich kennen die Leute von Darfur und haben Vertrauen zu mir ... ich
  werde dann dem Harun, der noch immer seine Ansprüche behauptet,
  schreiben, daß es ihn nichts nützt, länger gegen Ägypten und den
  rechtmäßigen Sultan aufkommen zu wollen, daß ich ihn angreifen
  könnte, daß das aber nur neues Elend übers Land bringen würde und ich
  ihn deshalb auffordere, mir zu helfen, Land und Leute für den jungen
  Sultan zu gewinnen.«

Es war immer wieder Gordons Politik, mit Großmut den Feind zu
gewinnen, dem geschlagenen Feinde voran zum nächsten Siege zu eilen
und den noch gegen ihn ankämpfenden aufzufordern, ~ihm zu helfen, zu
thun, was recht ist~! Oft ist ihm diese wunderbare Taktik gelungen,
manchmal auch nicht. Harun wollte nichts davon wissen. Wir werden
später sehen, wie gerade an dieser hochherzigen Gewohnheit Gordons,
Feinde zu seinen Mitarbeitern zu machen, die ihm entgegentretende
Politik ihre Handhabe fand, ihn dem Verderben zu überlassen. Seine
Großmut war oft zu gut für die Welt und darum ihr unverständlich;
Krämerseelen nannten ihn einen Enthusiasten. Ja, es war der göttliche
Enthusiasmus, der den Sünder für seine Sünde züchtigt, ihn selbst aber
wieder aufrichtet, der den Saulus zu Boden schlägt und im Paulus sein
Rüstzeug gewinnt.

Und wieder der Sklavenhandel:

  »Gott ist mein Zeuge, wenn ich diesen Greuel vernichten könnte, ich
  ließe mich heute nacht noch erschießen; dies beweist wenigstens mein
  heißes Verlangen, aber ich mag kämpfen wie ich will, ich sehe wenig
  Hoffnung, dieses Übel zu bewältigen.«

In Stunden des Kleinmuts war ihm in dieser Zeit der erste Gedanke
gekommen, sein Amt als Generalgouverneur niederzulegen, weil er
fühlte, daß er das Land nicht so regieren konnte, wie es seinem
eigenen Herzen genügte. Daran knüpfte sich für ihn die Frage: soll
er, wenn er die glänzendere Würde niederlegt, sich nach Darfur
zurückziehen und sein Leben dort opfern? Durch dauernde Anwesenheit in
jenem Land, in dem das ganze Greuelwesen wurzelt, könnte er vielleicht
das ersehnte Ziel erreichen. Manch einer (besonders wenn die Frage ihm
nicht selbst gilt) möchte hier sagen, das ist ja ein schöner Beruf,
für den man gern sterben könnte! Es ist auch nicht der Tod, den Gordon
fürchtet, sondern die »lange Kreuzigung in diesem fürchterlichen
Land.« Seine Körperkräfte sind geschwächt und der physische Mut
gebricht ihm, solch ein Kreuz auf sich zu nehmen.

  »In den Tod gehen, ja, aber ach! es wäre ein langes, langes
  Hinsterben, und ich vermag es nicht!«

Mittlerweile ist er rüstig wie immer, wenigstens das Beste zu thun,
was in seiner Kraft steht.

  »Diesen Abend wurden sieben eingefangene Händler mit dreiundzwanzig
  Sklaven vor mich gebracht; das Elend dieser letzteren war unsäglich
  -- es waren Kinder von kaum drei Jahren darunter, die durch diese
  Wüste hergetrieben worden sind, vor der es mir auf meinem Kamel
  bangt ... Ich höre, daß andere auf dem Weg sind, und manche von den
  armen Weibern haben nicht einen Fetzen, um sich zu decken. Wir haben
  in diesen neun Monaten wenigstens zweitausend abgefangen, und das
  ist wohl nicht der fünfte Teil der Karawanen, die hier durch sind.
  Und wie viele sind unterwegs umgekommen? ... Ich habe mit einigen
  Häuptlingen gesprochen, es ist trostlos zu hören, daß mehr als ein
  Drittel der Bewohner dieses Landes in die Sklaverei geschleppt worden
  ist ... Ich höre, daß Kalaka in großer Aufregung ist, seit mein
  Kommen in Aussicht steht. Ein Sklavenhändler dort soll einen Mann
  erschossen haben; ich werde ihn dafür erschießen lassen, wenn ich
  hinkomme. Ich werde wohl eine beträchtliche Anzahl dort wegfangen.
  Sie wissen sich nicht zu helfen, kein Schlupfwinkel ist mehr übrig,
  denn die Beduinen helfen mit.«

Diese notgedrungenen Freunde fingen eine Menge Händler weg, und
die Sklaven liefen umher wie herrenlose Schafe, wurden auch immer
wieder von Händlern aufgeschnappt, die sie gern als ihr Eigentum
betrachteten. Die aufgegriffenen Sklavenhändler züchtigte Gordon stets
nach dem -- zwar ungenügenden -- Gesetz; er ließ sie durchpeitschen
und setzte sie, wo er konnte, hinter Schloß und Riegel.

Ehe er Schekka verließ, um nach Kalaka weiter zu ziehen, hörte er
noch von Gessis namhaften Erfolgen. Die Straße nach Kalaka trug
überall Spuren, daß die Händler des Weges gezogen waren. An manchen
Orten bleichten Schädel und Menschenskelette zu Hunderten; hier
und dort lagen die Schädel aufgehäuft, ein grauenhaftes Denkmal
des entsetzlichen Handels. Wie viele Tausende von armen Schwarzen
mochten da vorbeigetrieben worden sein! Man fragt sich, wohin
sie nur alle geschleppt werden? Ein Teil wird als Dienstsklaven
verwendet, besonders in den Küstenländern des Roten Meeres; die
ganze mohammedanische Welt aber ist, teils offenkundig, teils
heimlich, eine Empfangsstätte für Sklaven, meist Weiber und Kinder.
Das Haremswesen verschlingt alljährlich eine große Anzahl. Im Blick
auf dieses Endziel des schändlichen Handels möchte man fast sagen:
es ist ein Glück, daß die meisten unterwegs erliegen! In Kalaka hob
er ein ganzes Nest von Händlern aus und wenigstens tausend Sklaven,
welch letztere er den eingebornen Stämmen überlassen mußte. Und
weiter ging's durch die Wüste nach Darra, nach Fascher und Kobeh an
der obersten Grenze des Landes. Was für Reisen! Er sagte einmal in
jener Zeit: nur kraft seines Kamels sei er einigermaßen Herr im Land.
Auf dem Weg nach Kolkol an der äußersten Nordwestgrenze wurde er
mit seiner Schar von etwa hundertundfünfzig Banditen überfallen und
mehrere Stunden lang ging es ihm mit seinen Leuten »hinderlich«, wie
er sagte; aber schließlich zogen die Räuber, die »seine Kamele und
seine Sachen« wollten, den kürzeren. In Kolkol angekommen, hatte er
die Länge und Breite der ägyptischen Herrschaft durchreist. Er faßt
seine Eindrücke in die Worte zusammen: »Das Elend dieser verkommenen
Länder ist unsäglich -- die Regierung selbst hat sie in eine Wüstenei
verwandelt.« Kolkol nannte er ein Gefängnis; es hatte seit zwei Jahren
niemand den Weg dahin gefunden. Die Garnison war in entsetzlichem
Zustand. Aus diesem verlassenen Nest sandte er eine ganze Bande
hilfloser Besatzung nach Khartum, vierhundert Araber mit Weibern und
Kindern. Von dieser äußersten Grenze des Elends trat er den Rückweg
nach Khartum an, zunächst über Fascher, Omschanga und Tuescha. Während
seiner kurzen Abwesenheit hatten sich die Banditen wieder in Schekka
gesammelt und von dort sich ins Innere des Landes geschlagen. Obschon
er auf diesem Zuge mehrere tausend Sklaven weggefangen und viele
Händler bestraft hatte, so stand der greuliche Betrieb doch alsbald
wieder in Blüte.

  »Es ist anzunehmen, daß in diesen zwei Jahren allwöchentlich etwa 600
  Sklaven hier durch sind! Während meiner Amtszeit! Habe ich da Ursache
  stolz zu sein?«

Bei dem vorhandenen Wassermangel war das Elend der Ärmsten oft über
alle Beschreibung; und meist konnte er mit den Befreiten nichts
anfangen, als sie den Eingebornen überlassen. So ging's auch mit ein
paar hundert Sklaven, die er in und um Tuescha aufgegriffen hatte. Er
ließ sie vor sich kommen und sagte ihnen, daß er keine Möglichkeit
hätte, sie in ihre Heimat zurückzuschaffen, daß sie aber jetzt frei
wären. Sie waren alle damit einverstanden, sich den Leuten dort
anzuschließen. Drei schwarze Weiber wurden vor ihn gebracht, um über
die Händler ausgefragt zu werden, und als Beweis, daß selbst im
größten Elend die Eitelkeit oft oben auf ist, erzählt er, daß eine
derselben sorgfältig eine Ecke des schmutzigen Fetzens aufknöpfte, den
sie als Kleidungsstück um sich gewickelt hatte, und etliche Glasperlen
daraus zum Vorschein brachte; die hing sie sich um den Hals und guckte
dann um so zufriedener in die Welt. Aber von anderen, besonders von
einem kaum vierjährigen Bübchen sagt er, daß das Lachen ein Ding sei,
das ihn nie ankäme, die Bitterkeit seines jungen Lebens sei zu groß!

In Tuescha sah er Gessi wieder, der ihm um Jahre gealtert schien;
vielleicht konnte Gessi dasselbe von ihm sagen. Wie wir gesehen
haben, hatte Gessi dem Räubervolk in der Bahr el Ghasal tüchtige
Schläge versetzt und nebenbei reiche Ladungen an Elfenbein erobert.
Nur Soliman selbst war ihm bis jetzt noch immer entkommen; doch waren
seine Tage gezählt! Gordon belohnte den heldenmütigen Italiener,
indem er ihn zum Pascha der Osmanlie zweiter Klasse ernannte und
ihm vierzigtausend Mark dazu schenkte. Während er selbst nach
Khartum zurückkehrte, wandte sich der neue Pascha wieder seinem
Kampfgebiet zu. Schon nach wenigen Tagen brachte ein Überläufer
ihm die Nachricht, daß Soliman im Schild führe, sich mit Harun zu
vereinigen. Alsbald machte er sich auf, dies zu verhindern. Der Sohn
Sebehrs versuchte sein Heil in der Flucht in der Richtung von Gebel
Marah, einem schwierigen und wenig bekannten Hügelland. Neunhundert
seines Gesindels waren mit ihm: Rabi mit siebenhundert entrann auf
andern Wegen. Gessi, der seine Streitkräfte noch nicht zusammengezogen
hatte, konnte mit nur zweihundertundneunzig Mann zur Verfolgung sich
aufmachen; aber diese waren wohlbewaffnet und durch die unlängst
errungenen Siege innerlich gehoben. Durch einen mit bewundernswerter
Kühnheit ausgeführten Eilmarsch überraschte er Soliman und die Seinen
in einem Dorf Namens Gara zu früher Morgenstunde im Schlaf. Drei Tage
und drei Nächte hatte der unaufhaltsame Pascha sich und seiner Schar
kaum Ruhe gegönnt und dem Feind auf Querpfaden den Weg abgeschnitten.
Wie manches friedliche Dorf hatte die ruchlose Horde Solimans auf
ähnliche Weise zur Nachtzeit überfallen! Wie manche Wohnstätte hatten
sie mit Feuer verwüstet und die nichts ahnenden Bewohner mit sich
geschleppt! Das Blut war in Strömen geflossen, und viele Tausende von
Menschen waren durch sie dem Elend der Sklaverei verfallen. Jetzt war
die Stunde der Rache gekommen.

Mit seiner geringen Streitmacht wagte Gessi es nicht, das Dorf zu
umstellen. Er wagte es nicht einmal, sie dem Feind zu zeigen, sondern
hielt sie im Wald zurück, um jenen über die Anzahl zu täuschen. Dem
Soliman gab er zehn Minuten Bedenkzeit, die Waffen zu strecken; ergebe
er sich in der kurzen Frist nicht, so habe er keine Gnade zu erwarten.
Die schlaftrunkene Bande glaubte sich von Gessis ganzer Streitkraft
umringt und ergab sich im Schrecken der Überraschung. Einige der
Sklavenhändler hatten sich beim ersten Alarm in den Wald geflüchtet,
die meisten aber, unter ihnen Soliman selbst, gehorchten dem Befehl
und legten ihre Waffen nieder. Als der Sohn Sebehrs entdeckte, mit
wie wenig Leuten Gessi ihn überwältigt hatte, erfaßte ihn ein wilder
Ingrimm. »War das eure ganze Anzahl?« schrie er. »Sie genügte!«
entgegnete ihm Gessi kaltblütig. Da brach jener in Zornesthränen aus
-- »wäre mein Vater hier gewesen, wir wären nie erlegen! Es sind
ihrer nur dreihundert, und ihr (seine Häuptlinge) meintet, es wären
dreitausend!«

Den Tag über ließ Gessi sie im Dorf bewachen und sie verhielten sich
ruhig; als es aber dunkel wurde, schien Leben über sie zu kommen,
und er vermutete, daß Botschaft zwischen ihnen und ihren entlaufenen
Gefährten hin- und hergehe. Sie planten ein Entkommen in der Nacht,
in der Hoffnung, ihren Verbündeten Abdulgassin zu erreichen, der mit
seiner Bande nicht allzuweit entfernt war. Gessi entdeckte die Pferde
seiner Gefangenen, die gesattelt bereit standen. »Nun,« schrieb er,
»sah ich, daß die Zeit gekommen war, diese Schurken ein für allemal
unschädlich zu machen.« Er traf eine Auswahl. Ihren bewaffneten
Sklaven war er erbötig Leben und Freiheit zu schenken, wenn sie zu
ihren Stämmen zurückkehren wollten. Dazu waren sie mehr als bereit
und er ließ sie unter dem Geleite seiner Mannschaft ziehen. Die
kleineren Sklavenhändler, etwa hundertfünfzig an der Zahl, machte
er zu Gefangenen. Die Haupträdelsführer aber, d. h. Soliman und zehn
andere, wurden erschossen. Dazu hatte er Gordons Vollmacht. Zwei Jahre
vorher in der »Höhle Adullam« hatte dieser sie gewarnt, daß sie die
Sklavenjagd mit ihrem Leben würden büßen müssen, sofern sie nicht
davon abließen. Sie hatten die Warnung in den Wind geschlagen, und nun
war das Maß ihrer Bosheit voll. Keiner zeigte Reue. Dem Sohn Sebehrs
schien der Mut zu entfallen, denn er sank vor dem Schuß zu Boden; ein
anderer vergoß Thränen; die übrigen aber gingen ohne Spur von Rührung
in den Tod. Auf diese Nachricht versprengte der Schrecken Abdulgassins
Horde und auch Rabi mit den Seinen floh.

Damit war der Sklavenhandel für den Augenblick aufs Haupt geschlagen,
und da die Eingebornen sich nun auch allerwärts gegen ihre
Bedrücker erhoben, so fanden die flüchtigen Händler nirgends einen
Schlupfwinkel. Abdulgassin, die Hyäne dieses Landes, der ganze Dörfer
entvölkert hatte, wurde später eingefangen und erschossen. Rabi entkam
-- wohin wußte niemand. Nun war Friede und eine Zeit der Ruhe kam über
die gequälten Neger, die sich in ihren Heimstätten wieder ansiedeln
konnten; sie wußten ihrer Freude kein Ende, schrieb Gessi.

So wurde die Macht Sebehrs in seinem Sohne gebrochen, aber noch war
er selber unbestraft. Der schwarze Pascha war ein König gewesen, der
mächtigste aller Sklavenhändler in der Welt. Weithin, bis ins Innere
von Afrika hinein, hatte er seine festen Plätze und Raubhöhlen;
ganze Länder hatte er verwüstet, wo vorher die schwarzen Stämme in
verhältnismäßigem Wohlstand ihr Naturleben führten. Mit fürstlichem
Glanz hatte der greuliche Menschenräuber im Lande geherrscht; aus
einem Strom von Thränen und Blut war sein Reichtum gewonnen worden,
und nun war der Strom versiegt. Ihm selbst schien der verdiente Lohn
zu werden; denn unter dem Nachlaß seines Sohnes fanden sich Briefe
von seiner Hand, die ihn als den Anstifter des ganzen Aufstandes
verrieten. Er wurde in Kairo vor Gericht gestellt und zum Tode
verurteilt. »Es wird ihm nichts geschehen,« sagte Gordon, als er's
vernahm; und so war es! Er blieb nicht nur am Leben, sondern wurde
sogar eines Gnadengehaltes für würdig erachtet. Warum? muß ein Rätsel
bleiben. Der abgesetzte König der Sklavenhändler wurde nach wie
vor in Kairo festgehalten und hat seine zweitausend Mark monatlich
aus der vizeköniglichen Kasse bezogen! Die verkehrte Schwäche, die
ihm das Leben schenkte, hat viel dazu beigetragen, daß Gordons und
Gessis glänzende Erfolge den greulichen Menschenhandel im Sudan zwar
zu unterdrücken, aber nicht auszurotten vermochten. Sebehr war und
blieb eine Macht der Finsternis, und die Schlußszene von Gordons
Lebensdrama, die tieftragische, ist zweifelsohne mit sein Werk.


                   4. Als Gesandter in Abessinien.

Auf dem Rückweg nach Khartum erfuhr Gordon in Fodja, daß Gessi den
Soliman und seine Genossen überwältigt und erschossen hatte. Er
selbst hatte dem Sklavenhandel in Darfur mehr wie einen empfindlichen
Schlag versetzt. Zwar war er zu der Überzeugung gekommen, daß eine
völlige Vernichtung des Unwesens ein Ding der Unmöglichkeit war,
insolange nämlich als die ägyptische Regierung nicht von Grund aus
eine andere würde; aber für den Augenblick lag der Greuel am Boden
und das gequälte Land atmete auf. In Fodja erreichte ihn auch die
zweite Nachricht, daß die seit Monaten drohende Umwälzung in Kairo
stattgefunden und daß Ismail zu Gunsten seines Sohnes Thewfik
abgedankt hatte. Es lag ihm ob, den Regierungsantritt des neuen
Khedive in den Sudanländern zu verkündigen.

  »Es ließ mich kühl,« sagte Gordon, »ich telegraphierte an die
  verschiedenen Unterstatthalter und quittierte dem Cherif Pascha den
  Empfang der Anzeige -- damit begnügte ich mich.«

Ismails Glückswechsel ließ ihn übrigens nicht kalt, er nahm
aufrichtigen Anteil an seiner Demütigung, obschon er seine Politik
öfters beklagt, ja getadelt hatte. Die Veränderungen in Kairo, welche
mit dem neuen Khedive die dem Sklavenhandel freundlichen Pascha wieder
ans Ruder brachten, bestärkten ihn aber ohne Zweifel in seinem bereits
gefaßten Vorsatz, sein Amt niederzulegen. Er hatte das übernommene
Werk vollbracht, so weit es ihm möglich schien; die Würde an sich
hatte keinen Reiz für ihn. Mit diesen Gedanken kehrte er nach Khartum
zurück.

Um diese Zeit erhielt er einen Brief von seinem alten Freunde, dem
Gouverneur Li in China, folgenden Inhalts:

»Sehr freute es mich von Ihnen zu hören. Es sind vierzehn Jahre, seit
wir uns trennten, und wenn ich Ihnen auch bisher nicht geschrieben
habe, so spreche ich doch oft von Ihnen und gedenke Ihrer mit
großer Teilnahme. Die Wohlthaten, die Sie China erwiesen haben,
verschwanden nicht mit Ihrer Person, sondern sind jetzt noch in den
Gegenden fühlbar, in denen Sie eine so wichtige und thatkräftige
Rolle spielten. Das Volk segnet Sie um des Friedens und des Gedeihens
willen, dessen es sich seither erfreute. Ihre Erfolge in Ägypten
sind durch die Welt erschollen; ich lese oft in den Zeitungen von
Ihrem edlen Werk am obern Nil. Sie sind ein Mann, der sich stets zu
helfen weiß, in was für Lagen Sie sich auch befinden. Ich hoffe, daß
Ihnen ein langes Leben geschenkt werde, denn Sie verbreiten Segen
um sich her, wohin auch immer Ihr Beruf Sie führt. Ich lasse es mir
ernstlich angelegen sein, mein Volk auf eine höhere Stufe zu bringen
und dieses Land mit andern Ländern innerhalb der »vier Meere« in einem
Bruderbündnis zu vereinigen. Ich beantworte Ihre Fragen: -- Kwoh Sung
Ling hat sich vom öffentlichen Leben zurückgezogen und erfreut sich
der Ruhe. Jang Ta Jen ist schon lang gestorben. Dem Sohn des Na Wang
geht es gut, er ist Regimentsoberst mit fünfhundert Leuten unter ihm.
Die Pataschau-Brücke, die Sie teilweise zerstörten, ist bald nach
Ihrer Abreise wieder aufgebaut worden und ist in recht gutem Zustand.
-- Kwoh Ta Jen, der chinesische Minister, schrieb mir, daß er die
Freude hatte, Sie in London zu sehen. Ich wollte, ich wäre auch dabei
gewesen; aber die Pflichten dieses Lebens führen die verschiedenen
Menschen in verschiedene Teile der Welt und es ist eine weise
Einrichtung der Vorsehung, daß wir nicht alle am selben Orte sind.
Ihnen Glück und Segen wünschend meinen Gruß.«

An diesem Brief des alten Chinesen kann man nur seine Freude haben;
steht es doch nicht bloß ~zwischen~ den Zeilen zu lesen, daß
Gordons Werk dort ein bleibendes war.

Gordon verließ Khartum Ende Juli und erreichte Kairo am 23. August.
Acht Tage später begab er sich als außerordentlicher Gesandter zum
König von Abessinien. Thewfik setzte offenbar Vertrauen in ihn,
obschon er halb und halb gefürchtet hatte, daß Gordon beabsichtige,
sich als Sultan im Sudan aufzuwerfen. »Das würde unser einem aber doch
nicht passen,« meinte Gordon. Seine abessinische Reise bezog sich auf
die alten Wirren. Mit ihm ging sein schwarzer Schreiber Berzati Bey,
der in seinem Dienst stand seit er jenen anderen der Bestechlichkeit
wegen entlassen hatte und dem er nachrühmte, daß er die unschätzbare
Eigenschaft besessen habe, es ihn wissen zu lassen, wenn er
anderer Meinung war als er. Dieser Berzati stammte aus einer alten
muselmännischen, in Khartum ansässigen Familie. Als Schüler eines
namhaften Gelehrten dieser Stadt erlangte er eine tüchtige Bildung.
Die Geschichte des Landes kannte er von Grund aus und verstand sich
auf verschiedene Geheimschriften. »Er war in diesen drei Jahren mein
bester Freund,« sagt Gordon, »obwohl wir manchmal hintereinander
gerieten. Ich verdanke ihm viel; denn ob er zwar ein guter Patriot und
fester Muselman war, riet er mir doch stets ehrlich zum Besten des
Volkes .... Er hat übrigens seine Last -- vier Weiber; hat mancher
doch an ~einer~ genug. Ein paar Männer wie Berzati Bey könnten
Ägypten aufhelfen; aber solche sind selten. Spötter nennen ihn den
›schwarzen Gnomen.‹«

Die Abessinier hatten das Grenzland Bogos inne. Am 11. September 1879
machte sich Gordon von Massaua zu einer Zusammenkunft mit dem in Gura
lagernden Alula auf den Weg. Unterwegs schrieb Gordon:

  »Wir sind einer Karawane begegnet, die von Gura kommt ... Sie brachte
  die Bestätigung der Nachricht, daß Alula auf des Königs Befehl den
  Walad el Michael und alle seine Offiziere gefangen genommen habe, und
  daß Walads Sohn, Metfin, erschlagen sei. In Massaua traf mich die
  Kunde, daß Abdulgassin, der letzte der Anführer von Sebehrs Banditen,
  eingefangen und auf meinen Befehl erschossen worden sei. Er war
  jener Schurke, der einen Negerknaben umbrachte und in dessen Blut
  seine Flagge tauchte. (Bei der Einnahme von Dem Idris, um den Himmel
  günstig zu stimmen!) So giebt's immer mehr Lücken in meiner Fürbitte
  für die Feinde. Sebehrs Anführer und Walads Sohn, sie waren alle in
  mein Gebet eingeschlossen. Ich gestehe, ich bin dieses Leben müde, es
  wäre mir kein Kummer, wenn Walads Bande mir unterwegs auflauerte.«

Wie charakteristisch ist dieser Brief für den Schreiber! Als Soldat
giebt er den Schurken ihren verdienten Lohn, er läßt sie erschießen;
als Christ hat er es nie unterlassen, sie mit Namen in seiner Fürbitte
vor Gott zu bringen!

Gordon litt auf dieser Reise viel von der Hitze. Er nennt sich einen
Hiob voll Schwären. Aber wenn auch der Körper schwach ist, seine
Aufgabe führt er durch und entwirft sich seine Pläne auf dem Ritt
durch die Wüste.

  »Ich bin entschlossen, entweder mit oder ohne des Königs Hilfe mit
  Walad und seinen Leuten fertig zu werden und dann mit Johannes selbst
  ins reine zu kommen.«

Unter Hilfe verstand er nicht Waffen, sondern ein Versprechen, daß
Walads Truppen, wenn sie Bogos räumten, eine Zuflucht gewährt werde.
Wo Barmherzigkeit am Platze war, unterließ er es gewiß nicht, darauf
hinzuarbeiten! Er erreichte Gura halbtot von seinem Wüstenritt und
vernahm, daß Alulas Lager auf einem steilen Berg sich befand, und weil
sein Lasttier erschöpft war, so erstieg er die Höhe mühsam zu Fuß. Er
fand den abessinischen Befehlshaber in einem niedern, langen Gezelt
von Baumzweigen, an dessen oberem Ende Alula auf einem Diwan saß, wie
eine Mumie in weiße Tücher gewickelt, die nur die Nase sichtbar ließen.

  »Feierliche Stille herrschte; und alle Anwesenden waren gleich ihm
  vermummt, als ob meine Nähe sie vergiften könnte. Die Figur auf dem
  Diwan regte sich nicht, und war wirklich so eingewickelt, daß mich
  ein Verlangen ankam, dem Mann nach dem Puls zu fühlen. Der Mensch muß
  krank sein, dachte ich. Durchaus nicht -- es war Freund Alula!«

Und Gordon sah, als Alula nach einiger Zeit die weiße Hülle etwas
fallen ließ, daß er ein ganz kräftiger, sogar hübscher junger Mann
von etwa dreißig Jahren war. Auch den andern schien nach und nach die
Furcht vor Gift zu vergehen. Gordon fand die Audienz aber tödlich
langweilig, denn Alula schien ihm durch Schweigen imponieren zu
wollen. Nach langer Pause gestattete er ihm zu rauchen, was eine
besondere Vergünstigung war, indem der König einen Befehl erlassen
hatte, allen Rauchern die Nase abzuschneiden. Gordon lehnte es ab
und betrachtete sich einstweilen die Priester, die den Hofstaat
vervollständigten. Viel erreicht wurde bei dieser Gelegenheit darum
nicht, weil Alula vorläufig nur den einen Zweck verfolgte, dem
Gesandten mit wenig Höflichkeit zu begegnen. Ägypten hatte Abessinien
schlecht behandelt, Gordon wußte sich daher über den unmanierlichen
Empfang zu trösten.

 »Bei der nächsten Audienz aber werde ich meinen sudanischen
 Thronsessel mitbringen, sowie einen geeigneten Sitz für den schwarzen
 Gnomen.«

Als Alula jedoch verlangte, daß der Gesandte am Fuße des Berges
kampiere und täglich zu ihm hinaufklettere, schlug ihm Gordon dies
rundweg ab; das wisse er im voraus, daß er in diesem Falle dann stets
schlechter Laune zur Audienz kommen würde, was den Verhandlungen
gewiß schädlich wäre. Alula gab dies zu und ließ ihm ein Zelt neben
sich aufschlagen. Als ägyptischer Gesandter war Gordon in der
Feldmarschallsuniform. Die Audienzen führten zu dem Beschluß, daß
Gordon zum König Johannes selbst reisen sollte und daß Alula bis auf
weiteres sich der Feindseligkeiten zu enthalten versprach.

Der König befand sich in Debra Tabor bei Gondar, zwölf Tagereisen von
Gura entfernt. Aber geduldig wie immer, wenn's Arbeit gab, machte
Gordon sich auf den Weg durch ein entsetzliches Land und über die
steilsten Berge »über die Kruste des Erdballs hinschleichend.« Bei
Adowa kam er an der Bergeinöde vorüber, in der Walad el Michael
festgehalten wurde.

  »Die Abessinier setzen ihre Staatsgefangenen nämlich auf
  unzugängliche Berge, die Amba genannt werden. Es giebt deren drei
  verschiedene Arten: erstens solche, die so steil sind, daß der
  Gefangene in einem Korb durch einen Flaschenzug hinaufgeschafft wird;
  zweitens, andere, die durch einen einzigen Fußweg zugänglich sind;
  und drittens solche, deren Höhe auf zwei oder drei Wegen erreicht
  werden kann. Auf diesen Amba befindet sich kultivierbares Feld und
  auch Wasser. Ein Gefangener kann da existieren und in Vergessenheit
  seine Sünden bereuen, bis eine neue Revolution ihn vielleicht auf den
  Thron setzt.«

Unterwegs vernahm Gordon, daß ein aufrührerischer Häuptling ihn zu
überfallen gedenke, aber trotzdem gelangte er ungefährdet nach Debra
Tabor. Der König selbst gab zu, daß er auf den denkbar schlechtesten
Wegen zu ihm geführt worden war. Gordon schloß daraus, daß Alula
den Gesandten auf diese liebenswürdige Weise von der Unwegsamkeit
des Landes zu überzeugen hoffte, damit dieser Ägypten von etwaigen
Kriegsgedanken zu heilen vermöchte.

Als er den abessinischen Hof erreichte, wurde er alsbald vorgelassen.
Der König saß auf seinem Thron, neben ihm stand Ras Arya, sein Vater,
der Itagé oder Hohepriester, und ein Stuhl war für den Gesandten
hingestellt. Da ertönten Kanonenschüsse, »das ist Ihnen zu Ehren,«
erklärte der König und bedeutete ihm alsbald, er sei entlassen. Ein
paar erbärmliche, halbfertige Hütten waren das Gesandtschaftsquartier.
Bei Tagesanbruch erscholl das Psalmensingen, das Gordon in Alulas
Lager früher schon vernommen hatte.

Von dieser Audienz hat außerdem folgendes verlautet. Der König saß auf
seinem Thronsessel, und der für den Gesandten bestimmte Stuhl stand
auf niederer Stufe in ziemlicher Entfernung; Gordon hatte den Stuhl
genommen und sich in die Nähe des Königs gesetzt, um ihm begreiflich
zu machen, daß er als Ägyptens Vertreter von der abessinischen
Majestät nicht allzu geringschätzig zu behandeln sei. Da fuhr der
König ihn an: »Wissen Sie nicht, Gordon Pascha, daß ich Sie dafür auf
der Stelle hinrichten lassen kann?« »Gewiß,« sagte Gordon, »ich bin
auch bereit dazu, wenn es des Königs Wille ist.« »Was -- bereit zu
sterben?« rief Johannes entsetzt. »Ich bin immer bereit,« entgegnete
der Pascha ruhig; »der König würde mir durch einen gewaltsamen Tod
sogar einen Dienst erweisen, den meine Religion mir selbst nicht
gestattet, indem ich dadurch von aller Not erlöst würde, welche die
Zukunft mir noch bringen kann.« Da erblaßte Johannes vor Entsetzen.
»Dann hat meine Gewalt keine Schrecken für Sie?!« stammelte er.
»Durchaus keine,« war die kurze Antwort. Worauf der König: »Sie sind
entlassen!«

Die Verhandlungen waren ganz unbefriedigender Natur und mitten darin
erklärte Johannes, er müsse sie abbrechen und Gesundbrunnen trinken,
»ganz +à la mode+,« sagt Gordon; »der Brunnen sprudelt durch
ein Bambusrohr in einer alten Hütte.« Auch dort wurde nichts weiter
erreicht. Johannes hatte vielerlei Begehren: Bogos, Massaua und andere
Städte, dann einen Abuna[13] (Erzbischof) und zwanzig bis vierzig
Millionen Mark, wollte aber seinerseits lediglich nichts einräumen.
Gordon versprach den Abuna, indem er seinen Privateinfluß geltend
machen wolle, aber Bogos und sonstige Ländereien werde Ägypten nicht
abtreten. Er wahrte die ihm anvertrauten Interessen und betrachtete
sich lediglich als des Khedive Sendboten. Johannes glaubte ihm in
persönlicher Weise beikommen zu können. »Sie sind ein Engländer und
ein Christ,« sagte er, worauf ihm Gordon rasch entgegnete: »Hier
bin ich ein Ägypter und Muselmann.« Als der Gesandte seine Bitten
zu Gunsten der Soldaten vorbrachte, wurde Johannes zornig und hieß
ihn seiner Wege gehen. Einen Brief an den Khedive werde er ihm
nachschicken.

Und so begab sich Gordon auf den Rückweg. Der Brief wurde ihm auch
nachgesandt; er lautete folgendermaßen: »Ich habe das Schreiben
erhalten, das Sie mir durch ~jenen Menschen~ sandten; ich will
keinen geheimen Frieden mit Ihnen schließen. Wollen Sie Frieden, so
wenden Sie sich an die Sultane von Europa.« Auf dem Rückweg wurde
Gordon, sei es mit, sei es ohne des Königs besonderen Befehl, von
dessen Vater mit hundert und zwanzig Abessiniern überfallen und
gefangen genommen. Mehrere Tage lang wurde er im Lande hin- und
hergeschleppt und mußte sich viel Widerwärtigkeiten gefallen lassen.
Geld erwies sich als den Schlüssel, der ihn schließlich durchließ; es
kostete ihn achtundzwanzigtausend Mark, Massaua zu erreichen.

  »Das durchgemachte Elend lasse ich unbeschrieben,« sagt Gordon,
  »Gottlob, es ist vorüber. Zwischen zwei Abessiniern zu schlafen, ist
  kein Vergnügen, und so verbrachte ich meine letzte Nacht in diesem
  Land.«

Den König Johannes schildert Gordon als einen grausamen,
halbverrückten Menschen.

So endete diese ganz nutzlose Mission, und Gordon kehrte nach
Ägypten zurück. Auch in diesem Jahre (1879) lagen über dreitausend
Kilometer Kamelritt hinter ihm und zwölfhundert hatte er in
Abessinien auf Maultieren zurückgelegt. In den drei Jahren seiner
Oberstatthalterschaft beliefen sich seine Kamelreisen auf etwa
vierzehntausend Kilometer. Abgesehen von den Schwierigkeiten, dem
neuen Khedive zu dienen, war es Zeit, daß er sein Amt niederlegte; der
britische Konsulatsarzt in Kairo fand seine Nervenkraft erschöpft und
ihn auch sonst leidend; die körperliche Übermüdung, die vielen Sorgen
und die ungenügende Nahrung der letzten drei Jahre hatten selbst
einer eisernen Gesundheit, wie der seinigen zugesetzt. Er sollte
nach England zurückkehren und ruhen. Der Abschied von Kairo war kein
angenehmer; es gab noch Verhandlungen mit den Pascha, denen er stets
die Wahrheit sagte. Aber er konnte Ägypten nicht anders machen als es
war; einem der Pascha schickte er zu guterletzt noch telegraphisch
das Wort: »Mene Mene Tekel Upharsin«, und dann schiffte er sich nach
England ein. Mochten die Pascha denken was sie wollten, die Wünsche
von Tausenden geleiteten ihn. Im Sudan blieb er dem Volk in dankbarer
Erinnerung als ~der gute~ Pascha. So lang er da war, waltete
Gerechtigkeit im Land; als er fort war, wußten es die Unterdrückten
nur zu gut, was sie an ihm verloren hatten.




                            Sechstes Buch.

                            Zwischenzeit.


Gordon sollte in England der Ruhe pflegen. Das war leichter gesagt,
als gethan. Energischen Naturen ist oft nichts eine größere Last als
das Nichtsthun. Gordons Erholungszeit war eine kurze. England empfing
seinen Helden mit Genugthuung, die Presse sprach von ihm als dem
»ungekrönten König«. Man wußte von seinem heroischen Kampf gegen den
Sklavenhandel, man bewunderte den unscheinbaren bescheidenen Mann,
der waffenlos das Werk einer Armee vollbracht, den Held von Gottes
Gnaden; man ärgerte sich über den Khedive, der seinen besten Diener
so wenig zu schätzen wußte, und man sagte sich, daß wenn ausländische
Einflüsse sich nicht geltend machten, der Sklavenhandel alsbald aufs
neue erblühen werde, da Gordon Afrika den Rücken gewandt habe. Daß
nicht viele Jahre vergingen, ehe das Land in schlimmerer Lage war als
vorher, ist eine bekannte Thatsache.

Im Grunde aber kannte England seinen Helden doch nicht; erst seit
es ihn verloren, hat das Land ihn wirklich schätzen lernen. Daß
man seiner in englischen Diensten nicht zu bedürfen schien, ist
erklärlich, wenn man bedenkt, was für ein Mann er war. Seine Stärke
lag in dem Glauben, der Berge versetzt; höheren Orts mochte er als
eine Art Fanatiker gelten, der nicht überall zu brauchen war: Paule,
du rasest! Auch bei seiner diesmaligen Anwesenheit in England ging
Gordon geflissentlich allen Ehren aus dem Wege; mit wahrer Kriegslist
soll er die Leute umgangen haben, die ihn gern eingeladen und zum
großen Mann gemacht hätten. Er verbrachte mehrere Wochen mit den
Seinen und zog sich dann (im Winter 1880) nach Lausanne zurück. Einen
Sohn seines kurz vorher verstorbenen Bruders nahm er mit sich.

Ein englischer Geistlicher, der ihn daselbst kennen lernte, beschreibt
ihn folgendermaßen: »Der Fremde war von nur mittlerer Größe und
wohl gebaut; sein Gesicht von tiefen Linien durchfurcht; seine
schöne breite Stirn und ein sehr entschlossener Mund schienen auf
ungewöhnlichen Ernst des Denkens, sowie auf praktischen Verstand zu
deuten. Er schien beides, sanft und stark; eine gewisse Weichheit
lag in seiner wohllautenden kraftvollen Stimme und sprach aus seinen
ausdrucksvollen blauen Augen. Nach einiger Zeit redete er mich an,
und da ich leidend war, so erbot er sich mir zur Begleitung auf
kurzen Spaziergängen. Unsere Unterhaltung wandte sich bald auf Dinge
des Glaubens, und die Unmittelbarkeit, die Einfachheit und der tiefe
Ernst, mit dem er sich darüber aussprach, machte einen großen Eindruck
auf mich.« Mehrere Tage vergingen und sein neuer Freund erfuhr zwar
seinen Namen, hatte aber keine Ahnung, daß er es mit dem Gordon Chinas
und des Sudans zu thun habe. Weder sein Gespräch, noch sein Aussehen
verriet es. Als der Geistliche eines Tages in sein Zimmer trat, fand
er ihn über arabischen Dokumenten. »Das sind Todesurteile,« sagte
Gordon aufsehend. »Todesurteile! ei, wer sind Sie denn?« rief der
Geistliche fast entsetzt. »Wissen Sie das nicht?« entgegnete er ruhig;
»ich war Generalgouverneur vom Sudan, und bin es noch dem Namen nach;
indem ich nun diese Schriftstücke unterzeichne, ist's damit zu Ende.«
Gordon stand damals in seinem achtundvierzigsten Jahr.

Nach London zurückgekehrt bot sich ihm neue Arbeit an. Die
Leute trauten ihren Ohren nicht, als sie hörten, der gewesene
Generalgouverneur vom Sudan hätte die Stelle eines Privatsekretärs
unter dem neuernannten Generalgouverneur von Indien, Lord Ripon,
angenommen. Daß er damit sozusagen vom Herrn zum Diener wurde, das
war, sofern es Gordon betraf, nicht das Erstaunliche, denn er schätzte
eine Stellung überhaupt nur, insoweit sie ihm einen Wirkungskreis bot,
Gutes zu schaffen; aber es war ein verfehlter Schritt, und bald genug
sollte er das selbst einsehen.

  »In einer schwachen Stunde,« schrieb er, »hatte ich die Stelle
  angenommen. Aber kaum war ich in Bombay gelandet, so sah ich auch,
  daß ich auf einem solchen unverantwortlichen Posten nicht hoffen
  konnte, einen guten Zweck zu erreichen. Überdies war es mir alsbald
  klar, daß meine Ansichten mit denen der übrigen Beamten durchaus
  nicht harmonierten, und so legte ich die Stelle nieder ... Es war
  besser, die Sache rasch vom Zaun zu brechen, noch ehe ich von
  Staatsgeheimnissen Kenntnis erhielt, die mich unter diesen Umständen
  nichts angingen. Ich hätte ja freilich ein paar Monate bleiben können
  und dann einen bösen Finger oder sonst was kriegen, was meinen
  Abschied motiviert hätte. Aber die übernommene Arbeit war mir eine so
  verhaßte, daß es besser war, sie sofort niederzulegen, um so mehr,
  als das Urteil der Welt mir ganz gleichgültig ist ... Es gehört mit
  zu den Geheimnissen der Vorsehung, daß wir Menschen manchmal (in
  gutem Glauben) Schritte thun und sie alsbald bereuen; so ging es mir,
  indem ich diese Stelle annahm.«

Die wahre Erklärung ist die, daß ihm klar wurde, er werde sich nie mit
einer Verwaltung einigen können, die dem reichen Indien große Schätze
entzieht, ja fürstliche Gehälter für englische Beamten, während über
Millionen Hindu ein übers anderemal Hungersnot hereinbricht. Mit
derlei Regierungsresultaten konnte er »durchaus nicht harmonieren«.
Er hat übrigens mit dem ihm eigenen Humor folgendes als Grund seines
Rücktritts angegeben: »Wie kann ich einen Posten bekleiden, auf dem
fortwährend Toilette zu machen ist -- Frack zu Festessen, Frack zu
Soireen, Frack zu Bällen, Frack und Orden, Orden und Frack -- kein
Wunder, daß ich davonlief!«

Er beschäftigte sich als nächstes mit dem Gedanken, sich nach Sansibar
einzuschiffen, um den dortigen Sultan zu einem Unternehmen gegen die
Sklavenhändler zu bewegen, als ihm eine Aufforderung von seinen alten
Freunden in China zuging, sie zu besuchen. Das Telegramm lautete:
»Bitte, kommen Sie und urteilen Sie selbst. Es ist eine Gelegenheit
Gutes zu thun, die benutzt werden sollte. Arbeit, Stellung,
Bedingungen lassen sich gewiß zu Ihrer Befriedigung ordnen, wenn Sie
hier sind. Nehmen Sie sechs Monate Urlaub und kommen Sie!« Die Antwort
des »ungekrönten Königs« war seiner würdig:

  »Gordon kommt mit erster Gelegenheit nach Shanghai -- Bedingungen
  ihm gleichgültig.«

Seine Regierung zögerte mit dem Urlaub, da man nicht recht wußte,
was zu Grunde lag. Hierauf erklärte er dem Kriegsministerium seinen
Wunsch, aus englischen Diensten entlassen zu werden, und schiffte
sich nach Hongkong ein. Er wußte selbst nicht, was er in China etwa
für Arbeit finden würde -- es war eine Zeit drohender Feindseligkeiten
zwischen den Chinesen und Russen -- das aber wußte er und hatte
es auch seiner Eingabe beigefügt, daß er Friede und nicht Krieg
zu befürworten gedachte. Endlich gewährte man ihm den gewünschten
Urlaub und gab ihm sein Entlassungsgesuch zurück. In Petersburg
war die Aufregung nicht gering, als es bekannt wurde, daß der
»Chinesen-Gordon« nach China unterwegs sei. ~Der~ Mann war ja
eine bedenkliche Verstärkung des Feindes.

In China traf Gordon mit seinem alten Kampfgenossen, dem Staatsmann
Li, zusammen und ließ sich die Sachlage von ihm erklären. Da schien
es ihm abermals das allein Richtige, seine Stellung als englischer
Offizier niederzulegen, um zu Rat und That freie Hand zu haben. Er
telegraphierte nach London:

  »Nach Unterredung mit Li-Hung-Tschang wünscht derselbe mein
  Hierbleiben. Ich kann China in dieser Krisis nicht im Stich lassen
  und wünsche Freiheit, nach Gutdünken zu handeln. Ich bitte daher mein
  Abschiedsgesuch zu gewähren.«

Sein Aufenthalt in China war zwar ein kurzer, aber lang genug,
um nicht nur jenem Land, sondern einem ganzen Weltteil einen
unschätzbaren Dienst zu leisten; denn ihm ist es zu verdanken, daß
ein Völkerkrieg zwischen Rußland und China nicht zum Ausbruch kam. Er
war ein Militärgenie, wie es wenige giebt; er hatte es aber längst
gelernt, kriegerische Ehren für nichts zu achten, und freute sich,
einen Einfluß zu besitzen, der einem großen Land den Frieden erhielt.
Er hinterließ außerdem den Chinesen allerlei guten Rat; man hatte dort
nicht vergessen, was man diesem Manne verdankte, und hörte ihn gern.
An Li hatte er jetzt seine Freude. Dieser hatte seit der Taipingszeit
Gordons gute Meinung gerechtfertigt und sich als einen der tüchtigsten
Berater der Regierung im blumigen Land erwiesen. Und was China seither
an Fortschritt erreicht hat, ist sein Werk. Als er den Mann wieder
sah, von dem er so viel gelernt hatte, fiel er ihm um den Hals und
küßte ihn. Der stets siegreiche General ist seither aus dem Kampf
dieser Welt in den »großen Frieden« hinübergegangen, in China aber
ist sein Einfluß, wie Li in jenem Brief sagte, mit seiner Person nicht
verschwunden.




                           Siebentes Buch.

                           Bei den Basuto.


Im Winter 1881 finden wir Gordon wieder in England. Die
Zeitungsschreiber fingen an sich zu wundern, was man wohl als nächstes
von ihm hören werde. Das Kriegsministerium hatte auch sein zweites
Entlassungsgesuch nicht angenommen. Er hätte am liebsten schon damals
einen langgehegten Plan ausgeführt und sich im heiligen Lande eine
Zeit der Ruhe gegönnt, aber noch lagen andere Dinge dazwischen. Es
war das Jahr der irischen Wirren. Er machte einen Besuch auf der
Schwesterinsel und fand, daß die niederen Volksschichten daselbst --
aus was für Ursache war ihm gleichgültig -- elender und verkommener
sind als die Armen irgend eines andern ihm bekannten Landes. Der
hoffnungslose Zustand Irlands schnitt ihm ins Herz. Mit seiner
gewohnten Freimütigkeit veröffentlichte er seine Ansichten in der
Times, die von dem Gedanken ausgingen, daß eine Nation, die s. Z.
vierhundert Millionen Mark für die westindischen Neger erübrigen
konnte, ein ähnliches für die Irländer zu thun im stande sein dürfte.
Seine an sich höchst beachtenswerten Vorschläge waren aber viel zu
opferwillig, als daß sie den maßgebenden Kreisen eingeleuchtet hätten.
In gewohnter Weise leerte er seinen eigenen Beutel in Irland und mußte
sich von einem Bekannten in Dublin zur Rückreise nach London aushelfen
lassen.

Um diese Zeit erreichte eine Todesnachricht England, die ihn tief
betrübte: am 30. April 1881 war Romulus ~Gessi~ im französischen
Spital zu Suez nach längerem Leiden gestorben. Der tapfere Italiener
war ein Opfer des Landes geworden, für das er mit Gordon sein Leben
eingesetzt hatte. Kehren wir für einen Augenblick in die Bahr el
Ghasal zurück. Nachdem Gessi dort den Sklavenhändlern den Garaus
gemacht hatte, blieb er daselbst als Statthalter. Nun das Greuelwesen
unterdrückt war, konnte er das fruchtbare Land einen Garten nennen.
Die Schwarzen hielten sich zu ihm und Land und Leute schienen sich
von dem Jammer zu erholen. Gordons Nachfolger in Khartum aber, kein
anderer als jener berüchtigte Rauf, den Gordon früher wegen Tyrannei
zweimal gezüchtigt hatte und in welchem die ägyptische Regierung
ihren Ersatzmann zu erblicken schien, als sie Gordon verlor, machte
es ihm unmöglich, in seiner Stellung zu verbleiben. Am 25. September
1880 legte er sie nieder, als gerade ein Dampfer die Reise nilabwärts
unternahm. Lassen wir ihn das entsetzliche Ende selbst erzählen:

»Zu spät sah ich meine Thorheit ein. Die Grasverstopfungen im Nil
hatten sich aufs neue angehäuft, und das Boot war der schweren Arbeit,
sich durch den Ssett zu ringen, nicht gewachsen. Die Maschine war
eine schwache, nur vierzig Pferdekraft, und durch die Nachlässigkeit
des Kapitäns war sowohl der Holzvorrat als die Zahl der Matrosen
viel zu gering. Die vorhandene Nahrung war für fünfundzwanzig Tage
berechnet, wir waren drei Monate unterwegs; fünfhundertsechzig Seelen
waren an Bord, und obgleich wir Tag und Nacht arbeiteten, war an kein
Vorwärtskommen zu denken. Die Nahrung ging zu Ende. Meine Soldaten
wurden mutlos; weithin nichts als Sümpfe, und Hungersnot in der
schrecklichsten Lage war unser Los. Es waren einige Sklavenhändler
an Bord, die ich sehr gegen ihren Willen nach Khartum mitnahm; diese
verbreiteten die Nachricht, daß ich sechzig Säcke voll Korn versteckt
hielte; ich konnte die Soldaten nur heißen, das Schiff durchsuchen
und essen was sie fänden. Dann behaupteten die Händler, ich hätte
das Korn (vor der Abfahrt) verkauft; Drohungen wurden laut, und von
da an ging ich nur mit geladener Pistole umher. Die Hungersnot nahm
zu. Zuerst wurden die Lederüberzüge der Betten gegessen und dann
das Schuhwerk. Im Fluß fand sich hie und da eine nahrungshaltige
Pflanze, aber leider in geringer Menge. Und zuletzt nährten sich die
Lebendigen von den Toten. Was mich am Leben erhielt, war zuweilen
ein Fisch, den meine Diener mit einem gebogenen Draht fingen. Ein
Nugger begleitete uns, und so lange der Besitzer desselben Nahrung
hatte, teilte er sie großmütig mit mir. Gern wären wir zurückgekehrt,
aber vor uns und hinter uns hatte der Wind die entsetzlichen Massen
zusammengetrieben, und weithin war durch heftigen Regen das Land ein
See. Das Holz gebrach und wir verbrannten ein Boot. Der Tod lichtete
unsere Reihen täglich; zuerst starben die Kinder, dann die Weiber. Der
Truppenbefehlshaber schloß sich in seine Kajüte ein und erwartete sein
Schicksal. Niemand wollte mehr arbeiten; nur der Kapitän, zwei Heizer,
vier Matrosen und der Steuermann unterstützten mich noch. Langsam
brachten wir das Schiff vorwärts, aber es war wenig genug, was wir mit
ausgehungertem Körper leisten konnten. Soweit das Auge reichte, saß
das Boot wie in einer dichten Wiese fest. Überall um uns her lagen die
Toten; niemand rührte einen Finger, die Leichen zu entfernen. Die Luft
war verpestet und das Wasser auch. Aasvögel waren unsere Gäste. Von
den fünfhundertfünfzig Seelen, welche die Reise antraten, waren nach
zwei Monaten noch hundert übrig -- hundert Skelette, nicht menschliche
Körper. Am letzten Tag des Jahres machte ich mein Testament und
legte es auf den Tisch in meiner Kajüte. Nach zwei Tagen hörte ich
Schüsse, es war ein Signal des Dampfers »Bordeen« von Khartum.
Unsere Abreise dorthin war telegraphisch gemeldet worden; aber der
Generalgouverneur besann sich lang, bis er uns Hilfe entgegenschickte.
Der »Bordeen« hatte eine tüchtige Maschine und schleppte uns bald
durch den Ssett. Auf dem uns erlösenden Dampfer fanden wir eine Bande
von Sklavenhändlern, die landaufwärts wollten, um aufs neue ihre
Menschenjagd zu beginnen: neues Elend, Raub, Mord und Qualen jeder Art
erwartete die armen Stämme, die kaum angefangen hatten, aufzuatmen.
Um ein bißchen Elfenbein zu erlangen, sollte wieder Blut in Strömen
fließen. An einer Station fanden wir eine Herde gestohlener Ochsen
und tausend Sklaven. Die Händler, die sich wie Heuschrecken von allen
Seiten her einfanden, kauften die Armen und trieben sie vor sich her.«

Gordon wußte nur zu gut, daß menschlich geredet sowohl er als Gessi
vergeblich gearbeitet hatte. Auf seinem Weg nach Mauritius kehrte er
in Suez ein und besuchte das Grab seines Kampfgenossen.

Gordons nächster Aufenthaltsort nämlich war die Insel Mauritius; er
begab sich dahin als Ingenieur-Kommandant. Einer seiner Mitoffiziere
war zu dem Posten ausersehen, fand sich aber aus Familienrücksichten
bewogen, einen Ersatzmann zu suchen, was nicht gegen die englische
Militäreinrichtung verstößt. Jeder andere hätte sich mit der auf diese
Weise übernommenen Stelle einer schönen Geldentschädigung erfreut.
Gordon machte hiervon eine Ausnahme; ihm genügte es, einem andern
einen Gefallen zu erweisen. Die zehn Monate, die er auf der schönen
Insel verbrachte, waren äußerlich eine stille und friedliche Zeit für
ihn. Berufsmäßig machte er verschiedene Vorlagen zur Beherrschung des
indischen Ozeans. Er besuchte die Seyschellen, deren Schönheit ihn so
entzückte, daß er schrieb: »Ich habe den Ort gefunden, wo einst der
Paradiesgarten war!« Seines Erachtens sind diese Inseln die Überreste
eines versunkenen Landes. Im März 1882 wurde er Generalmajor, und im
folgenden Monat begab er sich ans Kap.

Die Verbindung zwischen der Insel Mauritius und der Kapstadt ist
keine sehr rege, aufs nächste Passagierboot hätte er wochenlang
warten müssen, das paßte nicht in Gordons Plan, er benutzte deshalb
ein kleines Frachtsegelschiff, das zufällig in Mauritius vor Anker
lag. Von dieser Reise, die einen vollen Monat in Anspruch nahm,
liegt ein hübscher Bericht vor. Der Kapitän, ein Schotte, führte ein
Tagebuch, in welchem allerlei Charakteristisches über Gordon seine
Stelle fand. So z. B. war Gordon, der sich auf vier Uhr nachmittags
angesagt hatte, erst um Mitternacht erschienen; er habe erfahren,
sagte er, daß man ihm in der Stadt ein Abschiedsfest zugedacht
hatte, er hasse dergleichen, habe daher am Morgen einen heimlichen
Ausflug aufs Land unternommen und sei erst bei Nacht und Nebel
zurückgekehrt. Am andern Vormittag war der zur Abfahrt sich richtende
Schoner nichtsdestoweniger von Gordons Freunden umlagert, die ihn
nicht fortließen, ohne ihm Lebewohl zu wünschen, und zwar waren diese
»Freunde« keineswegs nur seine Mitoffiziere oder Notabilitäten
der Stadt, vielmehr Arme, denen er gewohntermaßen Gutes gethan,
und Kinder! Unter den Kleinen, die ihm da ihre Anhänglichkeit
bekundeten, war ein Büblein, das Gordon der Schiffsmannschaft
als »mein Lieblingsschäfchen« vorführte. Das Bübchen brachte dem
berühmten Mann als Abschiedsgabe zwei Flaschen Wein, die Gordon mit
dem freundlichsten Lächeln von der Welt annahm, aber nicht selbst
trank; er soll selten ein Glas Wein getrunken haben. Kindern und
großen Kindern, d. h. Eingebornen, hat er allem nach seine beste Liebe
zugewandt. Der Generalgouverneur von Sudan hat sich mehr denn einmal
unter seine Schwarzen auf den Boden gesetzt und mit Thränen in den
Augen angehört, was sie ihm aus ihrem Leben erzählten. Kein Wunder,
hatte er solche Macht über sie! Einer englischen Dame, die er einst
in ihrer Kinderstube traf, sagte er: »Sie können wohl nichts im Leben
schwer nehmen mit diesen kleinen Geschöpfen um Sie her.« Man fragt
unwillkürlich, warum ging dieser Mann ~allein~ durchs Leben? Die
Gattin des Kapitäns auf jener Reise, die ihren Mann auf seinen Fahrten
begleitete, wagte eines Tages die Frage an ihren Gast, warum er sich
denn nicht verheiratet habe. Gordon schwieg ein paar Augenblicke,
dann sagte er langsam: »Ich habe nie eine kennen gelernt, die aus
Liebe zu mir bereit gewesen wäre, die Annehmlichkeiten des heimischen
Herdes und vielleicht liebe Verwandte zu verlassen, um mich dahin
zu begleiten, wohin die Pflicht mich ruft, vielleicht mit raschem
Entschluß ans Ende der Welt, eine, die bereit gewesen wäre, Gefahren
und Schwierigkeiten mit mir zu teilen, vielleicht mich zu stärken in
Stunden der Not. Solch eine habe ich nie kennen gelernt, und nur eine
solche könnte mein Weib sein!«

Darauf ist nichts weiter zu sagen.

Gordon litt sehr an Seekrankheit auf dieser Reise, und wollte
mehrmals ans Land gesetzt sein. Der Kapitän schreibt darüber in sein
Tagebuch: »Wie viel verschiedene Arten von Mut muß es doch geben!«
Ihn wunderte, daß den tapfern Gordon, doch gewiß ein mutvoller Mann
sondergleichen, die Seekrankheit so anfocht. Nach überstandenem Jammer
war es aber wieder Gordon, welcher aller Herzen auf dem Schiff gewann,
der kranken Matrosen wartete (es gab allerlei Krankheit an Bord)
ihnen vorlas und Stückchen aus seinem Leben erzählte. Dem Kapitän
gestand er eines Tags, tausend Mark sei zur Zeit sein ganzer irdischer
Besitz, und diese Summe hatte er dem Schotten angeboten, wenn er den
Kurs ändere und ihn ans Land setze. Unter seiner »fahrenden Habe«
befand sich eine Kiste, über deren Inhalt der Kapitän und seine Frau
vergeblich sich den Kopf zerbrachen: sie war voll Holz »vom Baum der
Erkenntnis des Guten und Bösen«, wie Gordon gelegentlich versicherte;
auf den Seychellen-Inseln wachse nämlich ein merkwürdiger Baum,
der sonst auf der ganzen Welt nicht anzutreffen sei, das müsse der
Baum des Paradieses sein. Die Stücke Holz, die er mit sich führte,
schätzte Gordon darum über alles! Diese zuversichtliche Idee wird
seinem »wahren Gottesdienst« keinen Eintrag gethan haben. Die
Schiffsmannschaft, die an jener Kiste ungläubig vorüberging, sah
Gordon auch mit seiner Bibel auf Deck, oft stundenlang in Gedanken
versunken, den Blick wie träumend aufs weite Meer geheftet. In solchen
Stunden wird das in ihm gewachsen sein, was ihn zum mutvollen Mann und
Helden von Khartum gemacht hat.

Das südafrikanische Stück seiner Laufbahn ist als ein fruchtloses
bezeichnet worden, aber mit Unrecht; es sind nicht immer die äußeren
Erfolge, die den Wert einer Sache ausmachen. Der selbständige und
selten großmütige Charakter des Mannes tritt nie klarer zu Tag, als in
diesen kurzen Monaten seines sogenannten Mißlingens.

Es ist bekannt, daß die Engländer seit einer Reihe von Jahren sich
sowohl mit den Boeren als auch mit den Eingebornen von Südafrika
überworfen hatten; verschiedene Kriege sind die Folge gewesen. Es
war besonders einer derselben, der Gordons Interesse erregte. Schon
im Frühjahr 1881 telegraphierte er an den Minister des Kaplandes:
»Der ›Chinesen-Gordon‹ bietet seine Dienste auf zwei Jahre an, um
Basutoland zu beruhigen,« d. h. den Krieg zu beendigen und die Basuto
im Wege der Verwaltung zu friedlichen Verhältnissen zurückzubringen.
Dieses Anerbieten blieb vorläufig unbeantwortet. Ein Jahr vorher
hatte die Regierung ihm die Befehlshaberschaft der Kaptruppen mit
einem Gehalt von dreißigtausend Mark angeboten, welchen Posten er
als einen rein militärischen abgelehnt hatte. Im Frühjahr 1882 nun,
als die Lage im Basutoland zu einer ernsten sich gestaltet hatte,
sprach man ihm telegraphisch den Wunsch aus, sein Anerbieten annehmen
zu wollen. Lediglich im Gedanken, daß er Gutes wirken könnte,
war er alsbald bereit, sich den Basuto zu widmen, und setzte mit
charakteristischer Selbstlosigkeit seinen Gehalt auf etwa die Hälfte
der angebotenen Summe herunter, »weil die Verhältnisse des Kaplandes
mehr nicht rechtfertigten!« Als er aber nach seiner unerquicklichen
Segelschiffreise die Kapstadt betrat, übertrug man ihm gerade jenen
Oberbefehlshaberposten über die Kolonialtruppen, den er zwei Jahre
vorher von England aus abgelehnt hatte, während er doch gekommen war,
sich der Basutofrage anzunehmen. Es scheint, daß ein anderer damit
beschäftigt war, die Angelegenheiten der Basuto zu verwalten oder
mißzuverwalten, und daß die Regierung den Mut nicht hatte, jenen
andern zu entfernen. Gordon ließ sich's in der Hoffnung gefallen, daß
die Umstände ihm den Weg bahnen würden. Es dauerte auch nicht lange,
so gestaltete sich die Grenzlage zu einer so drohenden, daß man ihn
beauftragte, sich durch eigene Anschauung hinsichtlich der Überfälle
der Boeren und der Unruhen im Basutoland zu orientieren. Das war im
Juni.

Die Basuto sind ein interessanter Zweig der Kafferrasse, und zwar
der volkreichste und vorgeschrittenste, letzteres aus dem einfachen
Grund, weil das Christentum bei ihnen Eingang gefunden hat. Vor etwa
fünfzig Jahren hatte der Stamm einen Oberhäuptling Namens Moschesch,
auch »Herr des Berges« genannt, weil er einen Berg mit einer kleinen
Festung versehen hatte, die ihm und seinen Getreuen als Zuflucht
im Krieg dienen sollte. Die andern Stämme und selbst seine eigenen
Häuptlinge verwickelten ihn oft in Kämpfe; er selbst aber, obschon
tapfer und furchtlos, war ein friedliebender Mann. Er hatte von
+Dr.+ Moffat und anderen Missionaren gehört, die in benachbarten
Gegenden und besonders unter den Korannas arbeiteten, welcher Stamm,
von Natur ein kriegerischer, sich neuerdings friedlich verhielt.
Da schickte er dem Häuptling der Korannas eine Anzahl Ochsen zum
Geschenk mit der Bitte, ihm dafür »einen Beter zu senden, der die
Basuto in der Religion unterrichten könne, welche die Leute friedlich
stimme.« Evangelische Missionare aus Paris, die nicht lange vorher in
Südafrika angekommen waren und einen Wirkungskreis suchten, hörten
davon und besetzten das neue Arbeitsfeld. Moschesch empfing sie mit
Freuden und bestimmte selbst den Platz für ihre erste Station, am Fuß
seines Festungsberges. Moschesch lebte bis 1870. Vor seinem Scheiden
glaubte er Anzeichen einer besseren Zukunft für sein Land und Volk zu
erblicken. Eins seiner letzten Worte an die Missionare war: »Lasset
mich zu meinem Vater gehen, ich bin schon ganz bereit dazu!« Sein
letzter Wille lautete: »Laßt die Missionare nicht müde werden, mein
Volk zu unterrichten, besonders aber meine Söhne.«[14]

Schon vorher hatten sich die Basuto im Pitso (jährliche
Volksversammlung) mit Begeisterung für »unsere Mutter die Königin
von England erklärt.« Man kann es nur bedauern, daß die britische
Kolonialpolitik dieses Volk gegen seinen Willen von der Kapstadt
aus regiert haben will. Sie hatten sich freiwillig der englischen
Regierung unterstellt unter Vorbehalt ihrer Rechte. Sie entrichteten
eine Kraalsteuer und waren es zufrieden, daß britische Beamten im
Land weilten. Indem aber ihr Wohlstand wuchs und ihre Zahl zunahm,
verdoppelte und verdreifachte sich die Steuer; anstatt nun den
Ertrag derselben zum Besten des Landes zu verwenden, bereicherte
derselbe vertragswidrig den Säckel der Kapregierung. Aber das allein
war's nicht, was die Basuto aufbrachte. Bekanntlich sind vor etwa
zwanzig Jahren ergiebige Diamantenfelder in Südafrika entdeckt
worden. Die Basuto strömten herzu, um als Taglöhner in den Gruben
zu arbeiten; statt in Geld bestand ihre Löhnung aber in Flinten
und Schießbedarf, ohne Zweifel ausgediente Militärwaffen, welche
die Eigentümer der Felder billig gekauft hatten. Die Kapregierung
wußte um diese Waffenverbreitung, ja sie hatte dieselbe genehmigt.
Auf diese Weise erlangten die Basuto beträchtlichen Kriegsbedarf.
Nach zehn oder zwölf Jahren entdeckte die Kapregierung das Mißliche
dieser Sache und erließ ein Entwaffnungsgesetz, die Basuto sollten
die Waffen ausliefern, welche sie durch ihrer Hände Arbeit und mit
dem Vorwissen der Regierung redlich erworben hatten! Es war eine
Ungerechtigkeit sondergleichen, und die Basuto verweigerten den
Gehorsam. So verwickelte sich die Kapregierung in einen Krieg, an
dem sie allein die Schuld trug und in welchem sie einen Vorteil
fürs nächste nicht erringen konnte. Das war die Sachlage, als sie
Gordon berief, der wie überall so auch hier mit seinem gerechten Sinn
alsbald auf den Grund sah. Er verfaßte einen Bericht, in welchem er
es unumwunden als seine Meinung erklärte, daß die Basuto weniger zu
tadeln wären als die Kapregierung; diese habe vor allen Dingen ihr
Unrecht gut zu machen und dann erst könne sie die Basuto zum Frieden
mahnen; übrigens liege der Hauptfehler darin, daß man die Basuto gegen
ihren Willen der unmittelbaren Regierung Englands entzogen und sie
der mittelbaren der Kapregierung unterstellt habe. Er schlug vor,
diesen Fehler dadurch gut zu machen, daß man die Basuto-Häuptlinge
zusammenberufe und die Bedingungen ihrer Unterwerfung unter die
Kapregierung mit ihnen berate. Außerdem riet er dringend, die loyale
Gesinnung der Basuto dadurch zu ehren, daß man ihnen das Bewußtsein
der unmittelbaren Verbindung mit England zu erhalten suche, indem
man einen Bevollmächtigten der britischen Krone in Basutoland wohnen
lasse. Man gab ihm keine Antwort.

Die Mißhelligkeiten zogen sich hin, aber Gordons wärmste Teilnahme war
auf Seite der »feindlichen« Eingebornen, wie aus folgender Depesche
ersichtlich ist:

  »Es ist mir unmöglich, gegen Stämme zu kämpfen, gegen die
  meines Erachtens ungerecht verfahren wird. Der Sekretär für die
  Angelegenheiten der Eingebornen hat das Unrecht zugestanden, aber
  ein solches Zugeständnis allein genügt meinem Gewissen nicht.«

Es kann hiernach nicht wunder nehmen, daß Gordon nach wenigen
Monaten seine Stelle niederlegte. Ehe er jedoch vollständig mit der
Kapregierung brach, wurde er aufgefordert, als ~Privatmann~ nach
Basutoland zu gehen und mit dem Häuptling Masupha zu verhandeln. Er
nahm die Sendung an und ging allein und unbewaffnet. Daß er unversehrt
zurückkam, ist ein Wunder; denn während Gordon als Friedensbote bei
den Basuto verweilte, benutzte ein Kapminister die Gelegenheit,
einen andern Häuptling gegen Masupha aufzuhetzen. Es ist lediglich
Gordons persönlichem Einfluß zuzuschreiben, mit dem er stets das volle
Vertrauen der Eingebornen zu gewinnen wußte, daß er aus dieser Lage
unversehrt hervorging. Masupha sah, daß sein Gast an diesem Verrat
keinen Anteil hatte, und ließ es ihn nur mit verdoppelter Hochachtung
entgelten. Wenn solche Dinge in Südafrika seitens der Regierung
vorfallen, dann kann man sich nur mit Gordon auf Seite der Eingebornen
schlagen. Daß er daraufhin seinen Abschied einsandte und bei seiner
Abreise nach England die Kapstadt links liegen ließ, ist nicht mehr,
als von ihm zu erwarten war.

Als Beweis, wie wichtig es ihm erschien, die Basuto auf
freundschaftlichem Wege bei ihrer Loyalität zu erhalten, bot er sich
selbst an und war willens, sich zwei Jahre lang um den geringen Gehalt
von sechstausend Mark bei dem Häuptling Masupha niederzulassen. Es war
ein Opfer der Uneigennützigkeit, dessen man jedoch entbehren zu können
glaubte. Zum Schluß noch seine Abschiedsrede an die Basuto, die ihn
durchaus als den gebornen Beherrscher von Eingebornen, ja als einen
Hirten der schwarzen Herde kennzeichnet:

  »Als ein Freund der Basuto bin ich hier; ich habe mich als ihr Freund
  erwiesen, denn als man mich als Feind schicken wollte, um sie zu
  bekämpfen, weigerte ich mich zu kommen. Nun ich aber hier bin, möchte
  ich den Basuto Gutes thun. Die Basuto sind zum Rechten geneigt. Ich
  frage den Häuptling und sein Volk: Wie kann Basutoland für die Basuto
  erhalten bleiben? Und ich sage, daß die (britische) Regierung es
  wohl meint mit dem Land. Die Königin wünscht nicht, daß die Kolonie
  den Basuto ihr Land nehme; aber sowohl die Kolonie, als die Königin
  fürchten, daß die Basuto von den Boeren aufgegessen werden, wenn sie
  sich von ihnen zurückzieht. Ich mag die Boeren gut leiden, sie sind
  tapfer und wollen unabhängig sein; als sie kämpften, war es für ihre
  Freiheit. England hätte sie schlagen können, aber es wäre unrecht
  gewesen. Was aber glauben die Basuto, daß den Boeren lieber ist --
  die Basuto oder ihr Land? Ihr Land meine ich wohl. Wenn nun die
  Kolonie dieses Land sich selbst überließe, so hätten die Basuto bald
  Not mit den Boeren und es gäbe Krieg. Ich blicke zehn Jahre voraus
  und sehe boerische Anpflanzungen hier: das gefällt mir nicht, es
  gefällt der Kolonie nicht, und der Königin nicht, und dem Basuto gar
  nicht. Deshalb sage ich zu den Basuto: haltet euch an die Regierung.
  Sagen die Basuto: Wir sind stark und können uns wehren und brauchen
  niemand über uns, und wollen keine Steuern zahlen, so antworte ich:
  mir persönlich ist es einerlei, ob sie Steuern zahlen oder nicht. Ich
  kann sie nicht dazu zwingen. Aber mein Herz ist betrübt, wenn ich
  an die Basuto denke. Ich sehe die Boeren hier, wie sie das Land an
  sich reißen. Ich versetze mich in Masuphas Lage und frage mich: was
  ist das Beste für mein Land und mein Volk. Ich weiß wohl, daß es in
  Basutoland Leute giebt mit zwei Zungen. Ich aber denke, daß einer mit
  ~einer~ Zunge die Wahrheit spricht. Ich glaube, daß Gott euch
  zu Christen gemacht hat. Ihr seid Schafe unseres Herrn Jesu und Er
  hat euch lieb. Wenn die Boeren euch aus eurem Lande verdrängen, so
  ist es mir kein Verlust und kann uns allen gleichgültig sein, sobald
  wir einmal begraben sind. Darin aber wünsche ich, daß die Basuto mir
  folgen. Habt alle nur ~eine~ Zunge. Ich kann mich nicht schwarz
  machen; ich kann den Masupha und sein Volk nicht zwingen zu thun,
  was mir gut scheint, ich überlasse es dem Herrn Jesus, der alles
  recht macht. Das ist's, was ich euch sagen wollte: thut, was euch
  gut dünkt, aber überlegt es wohl, und bittet Jesus um Rat.«




                             Achtes Buch.

                         Gordons Christentum.


Eine Zeit der Ruhe war endlich für Gordon gekommen: er verbrachte sie
nicht »im Bett bis Mittag« und dann mit »Austernessen«, wie er's im
Sudan einmal scherzweise als sein Ideal hingestellt hatte, sondern er
nahm seine Bibel und seine Meßinstrumente und ging nach Jerusalem, um
die Topographie der heiligen Stätten zu erforschen. Und zwar that er
dies ebenso sehr mit dem geschulten Auge des Ingenieurs, als mit dem
gläubigen Herzen des Christen. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen
waren originell, wie alles an diesem Mann. Seinen eigentümlichen
Ideen über Dinge, die er in Jerusalem gesehen, kann zwar nicht jeder
folgen; sie sind zum Teil absonderlich; der lebendige Glaube aber, der
dabei sein Herz erfüllt, ist ein leuchtendes Vorbild für uns alle.
Der Bischof von Derry sagt schön: »Gordon ist zwar kein berufsmäßiger
Theologe, aber er ist etwas viel Besseres; und ich meinesteils würde
mich scheuen, einen zu kritisieren, an dem ich in jeder Hinsicht nur
hinaufsehen kann, selbst wenn ich seiner Beweisführung nicht immer
vernunftmäßig beizutreten im stande bin. Er ist uns allen ein Vorbild
des Glaubens an den lebendigen Gott.«

Vier Punkte waren es hauptsächlich, die Gordon beschäftigten; erstens
der wirkliche Ort der Kreuzigung; zweitens die Grenzlinie zwischen
den Stämmen Benjamin und Juda; drittens die Frage, wo die Hebroniter
wohnten, und viertens die Lage des Gartens Eden. Wie einer von Gordons
englischen Biographen treffend bemerkt, ist's der gläubige Christ
und der Mann vom Sappeur-Korps, den wir hier in einer eigentümlichen
Verschmelzung von Mystizismus und mathematischem Vermessungstrieb
begegnen; für den einsichtsvollen Kritiker ist es interessant, Gordons
originellen, wenn gleich etwas seltsamen Gedanken zu folgen. Wir
begnügen uns mit nachgehendem von mehr allgemeinem Wert.

Gordon hat in Palästina fleißig mit der Feder hantiert und im Laufe
eines Jahres mehrere Tausend Briefseiten nach England geschickt.
Etliche seiner Freunde, insbesondere jener Geistliche, den er in
Lausanne kennen gelernt hatte, stellten dann aus diesen Briefen ein
Büchlein: »Betrachtungen in Palästina« (London 1884) zusammen, das
mit seinem Wissen und Willen bald nach seiner Abreise nach Khartum
veröffentlicht wurde. Die Herausgabe des kleinen Buches war eine Art
Vermächtnis, denn es ist bekannt geworden, daß Gordon die letzte
Reise nach Khartum mit dem bestimmten Vorgefühl antrat, er werde
England nicht wieder sehen. Von dem Büchlein hoffte er, es möchte
»manchen Gläubigen zu neuen Gedanken anregen und dazu beitragen,
daß Gottes Wohnungmachen in uns mit mehr Klarheit erfaßt werde.
Das ist das große Geheimnis (Ps. 25). Er schuf uns, um ein Haus --
einen Tempel -- zu haben, in dem Er wohnen kann. Ohne uns ist er
wohnungslos. Er bedarf unser, und wie sehr bedürfen wir seiner! Es ist
mir ein Trost in meiner Schwachheit hier (in Khartum 3. März 1884)
zu wissen, daß Er alles leitet, und es ist die reinste Meuterei, im
Herzen oder gar mit der That gegen Seine Führung sich aufzulehnen.
Möge Sein Name verherrlicht werden; möge dieses arme Volk hier
gesegnet und getröstet werden; möge ich selbst gedemütigt werden,
damit ich die Gegenwart Seines Geistes in meinem Herzen um so gewisser
erfahren darf! Das ist mein ernstliches Gebet.«

Gordon ging weiter als die meisten Christen, die sozusagen damit
zufrieden sind, daß Christus für sie genug gethan hat. Er suchte
Wachstum und fand die Heiligung in der Gemeinschaft mit Gott in
und durch Jesus. Daher erkannte er in den Sakramenten den von Gott
verordneten Weg, dieses große Ziel zu erreichen. Nicht, daß er in
der heiligen Taufe und im heiligen Abendmahl den ~einzigen~ Weg
erblickte, auf dem Gottes Gnade dem Sünder zu teil werden kann, aber
er verkündet ihren hohen Wert als wesentliche Bestandteile des Heiles
und des christlichen Glaubenslebens. Ihm steht es fest, daß jeder
Christ, Mann, Weib oder Kind, zur Priesterschaft Gottes berufen ist,
und daß die Glieder der wahren Gemeinde selbst vor den Engeln durch
die Gegenwart des heiligen Geistes ausgezeichnet sind, ja, daß sie wie
beim Pfingstfeste des heiligen Geistes voll werden können.

Was die nachfolgende Übersetzung von Gordons Ansicht über die
Sakramente anlangt, so machen wir nochmals darauf aufmerksam, daß
wir es mit einem Teil der aus seinen Briefen zusammengestellten
»Betrachtungen« zu thun haben, also mit seinen eigenen von Freunden
zusammengetragenen Worten. Er ist daher nicht gerade für die
Zusammenstellung verantwortlich, doch hat er von Khartum aus die
ihm mitgeteilten Korrekturbogen gebilligt. Aus diesem Grund ist das
Nachstehende auch nicht als eine erschöpfende Betrachtung anzusehen,
wohl aber sind es tiefe Gedanken, die für den deutschen Leser um so
merkwürdiger sind, als weder die Wiedergeburt in der heiligen Taufe,
noch die wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Jesu Christi im
heiligen Abendmahl im allgemeinen von den englischen Christen geglaubt
wird.


                          Die heilige Taufe.

Die Taufe geht dem heiligen Abendmahl voraus; ihr Vorbild muß daher
auch in der Geschichte der ersten Menschen dem Essen der verbotenen
Frucht voraus gehen.

Das Essen des Leibes und Blutes (Brot und Wein) im Sakrament dient
zur Ernährung und Belebung des neuen Menschen. Es bedingt sichtbare
Gestalt und äußerliche Handlung. Es schließt ein die Handlung eines
Wiedergeborenen. Die Taufe wird Wiedergeburt genannt. Sie ist das
Siegel der Einverleibung in den Leib Christi, die Kirche; sie wird
auch ein Begrabenwerden und Auferstehen genannt, ein Ablegen des
fleischlichen Leibes (Kol. 2, 11-12).

Adams Geschichte besteht aus Geschaffenwerden, Essen, Tod. Die
heilenden Sakramente, Taufe und Abendmahl, sind die Fortsetzung dieser
Geschichte. Nach dem Genuß der verbotenen Frucht war der Mensch tot in
Übertretung und Sünde, von Gott getrennt und daher der innewohnenden
Gegenwart des heiligen Geistes verlustig. Die Taufe ist das Sakrament,
das den toten Menschen belebt -- seine Auferweckung; der Genuß des
Abendmahls erhält ihn am Leben.

Durch das verbotene Essen verfiel der Mensch dem Tode; die Taufe
erweckt ihn aus dem Tode und das heilige Abendmahl nährt ihn vom Baum
des Lebens.

In der Taufe wird ein Element -- Wasser -- eine materielle Substanz
mit des Menschen Leib in äußerliche Berührung gebracht; im Abendmahl
werden die Elemente, Brot und Wein, in des Menschen Leib aufgenommen.

Im Essen liegt die Verbindung des heiligen Abendmahls mit dem Baum der
Erkenntnis des Guten und Bösen.

Im Wasser liegt die Verbindung der Taufe mit einem vorsündlichen
Ereignis, und dieses Ereignis ist die Schöpfung. Die Geschichte
des Menschen ist Geschaffenwerden, Essen, Tod; Auferstehung oder
Neuschaffung oder Wiedergeburt, Essen und ewiges Leben. In der
Schöpfung müssen wir daher die Erklärung der Taufe suchen. »Im Anfang
schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüst und leer und der
Geist Gottes schwebete auf den Wassern.«

Durch das Wort Gottes wurde die Erde aus den Wassern gerufen. Das ist
die Schöpfung, und wie des Menschen Leib aus Erde gemacht ist, so darf
man sagen, daß er aus den Wassern hervorgerufen worden ist durch das
Wort Gottes, durch den heiligen Geist.

Hierin liegt die Analogie zwischen der Schöpfung, dem Ruf ins Leben,
und der Taufe. Die Erde war tot sozusagen bis sie ins Leben gerufen
wurde. So ist der Mensch tot sozusagen bis er wiedergeboren wird.
Der Zustand der Erde vor der Schöpfung war ein ~toter~. Der
fleischliche Mensch ist ~tot~. Der Zustand der Erde vor der
Schöpfung war gleich dem Zustand des Menschen, als der Engel ihn aus
dem Garten trieb.

Was Gottes Wort durch den heiligen Geist an der Erde vollbrachte, als
es wüste, leer und finster auf der Tiefe war, das muß am fleischlichen
Menschen vollbracht werden, ehe er leben kann. Durch den Ruf Christi
und die Arbeit des Geistes kommt er zur Erkenntnis, daß er in einem
Zustand der Sünde und Finsternis tot ist; und das äußere Zeichen
solcher Erkenntnis ist, daß er getauft, bildlich untergetaucht wird
ins Wasser, das seine Rückkehr ins Nichtssein bedeutet und somit die
Neuschaffung ermöglicht.

Und wie die Erde einst mit Wasser bedeckt und tot war, so bedeckt die
Taufe den Menschen bildlich mit Wasser, um seinen Tod anzudeuten, um
öffentlich zu bezeugen, daß er den Tod als seinen Lohn anerkennt; und
wie die Erde als eine neue Schöpfung aus dem Wasser hervorging, so ist
der Mensch nach der Taufe eine neue Kreatur und dazu geschickt, vom
Baum des Lebens im heiligen Abendmahl sich zu nähren.

Ich sage damit nicht, daß die Taufe als äußerliche Handlung den
Menschen vom Tod errettet, wie ich auch nicht sage, daß das Abendmahl
einem andern als dem gläubigen Empfänger ein Genuß zum Leben ist. Die
Taufe ist ein Auferstehen vom Tod, und das Abendmahl ist ein Genuß
zum ewigen Leben. Die Taufe an sich macht den Menschen nicht zum
Christen. Wer nicht vorher ein Christ ist, der wird es nicht durch
die Taufhandlung. Nach Röm. 4, 10. 11 war die Beschneidung das Siegel
eines Bundes, dem Abraham durch den Glauben schon angehörte; ebenso
ist die Taufe das Siegel eines bereits bestehenden Bundes, welcher ist
ein Bund des Glaubens und des Innewohnens des heiligen Geistes.

Und wie der Gläubige im Abendmahl des Leibes und Blutes Christi
teilhaftig wird, so wird der Gläubige in der Taufe aus dem Tod
erweckt, er empfängt im Wasserbad die Vergebung der Sünde und die
Einwohnung des heiligen Geistes, der schon an ihm gearbeitet hat; denn
wie könnte er glauben, wenn der heilige Geist seine Seele nicht in den
Stand setzte, zu bekennen, daß Jesus der Herr ist!

Ich hebe es noch einmal hervor, daß 1) in der heiligen Taufe das
Element des Wassers mit dem Körper in äußerliche Berührung gebracht
wird; daß 2) im heiligen Abendmahl Brot und Wein in den Körper
aufgenommen werden; daß 3) das heilige Abendmahl in dem ersten Essen
(der verbotenen Frucht) sein Gegen- und Vorbild hat und daß es 4)
höchst wahrscheinlich ist, daß das andere Sakrament, die Taufe, in
analoger Weise auf ein vorsündliches Ereignis sich bezieht. Mir ist
schon lange der Gedanke gegeben worden, daß das dritte Kapitel des
Evangeliums Johannes so zu verstehen ist, daß zwischen der natürlichen
und der neuen Geburt ein Sterben liegt. Nikodemus verstand das nicht
(V. 4), so klar es scheint. Er meinte, daß das Fleisch geheilt und für
den Himmel geschickt gemacht werden könnte. Es war ihm unverständlich,
daß der natürliche Mensch, weil getrennt von Gott, wirklich tot ist.
Die Taufe ist also ein offenes Bekenntnis, daß der natürliche Mensch
hoffnungslos schlecht und tot ist und nichts Gutes zu thun vermag; und
daß sie bildlich ein Begrabenwerden des natürlichen Menschen und eine
Neuschaffung oder Auferstehung vom Tod enthält. Im Abendmahl verkünden
wir Christi Tod; die Taufe verkündet, daß der Mensch im natürlichen
Zustand tot ist und vom Tod erstehen muß. Ein neugeborenes Kind ist
tot in Gottes Augen, die Eltern aber, die es im Glauben zur Taufe
bringen, empfangen (an seiner Statt) die Verheißung.

Ich kann nicht umhin, dafür zu halten, daß beide, die Taufe und
das heilige Abendmahl, mit des Menschen Leib zu thun haben, denn
die Elemente in beiden Fällen sind von dem Leib nicht zu trennen.
Die Elemente werden in der Taufe äußerlich, im Abendmahl innerlich
angewandt.

Der aber ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, auch ist das
nicht eine Beschneidung, die auswendig im Fleische geschieht (Röm.
2, 28. 29). Und ebenso bei der Taufe: der Mensch ist nicht darum ein
Christ, weil er getauft ist. Kann einer nicht glauben ohne getauft
zu sein, und kann in diesem Fall sein Nichtgetauftsein nicht als
Getauftsein angesehen werden? Es giebt viele Stellen in der Schrift,
die es klar zeigen, daß die Taufe an sich ohne Glaube kein nütze ist;
und daraus erkennen wir, warum viele, die getauft sind, den heiligen
Geist nicht haben.

Meiner Meinung nach hätten sich die Ausleger, welche über Taufe und
Abendmahl geschrieben haben, manchen Irrweg gespart, wenn sie die
drei ersten Kapitel des ersten Buches Mose besser erwogen hätten. Mir
hat es seit Jahren Gedanken gemacht, was von der Taufe zu halten ist,
doch ist es mir schon vor etlichen Jahren klar geworden, daß zwischen
zwei Geburten ein Tod liegen muß (Joh. 3). Ich halte dafür, daß im
Taufwasser die Sündenschuld zurückbleibt, so wie natürliches Wasser
die Unreinigkeit der Gegenstände zurückbehält, die darin gewaschen
werden. Es scheint mir aber nicht, daß der heilige Geist das Wasser
in anderer Weise als Träger benutzt, als indem er es wirksam macht,
die Sünde abzuwaschen. Als Jesus (der, obgleich ohne Sünde, sich
als Mensch der Taufe unterzog) aus dem Wasser heraufstieg, kam der
heilige Geist über ihn. Gott ist aber nicht an die Taufe gebunden,
denn Johannes war voll des heiligen Geistes von Mutterleibe an, und
Kornelius hatte den heiligen Geist empfangen vor der Taufe. Die
Gläubigen gehen als Kinder Adams ins Taufwasser und gehen als Kinder
Gottes daraus hervor.

Die Unterlassung der Taufe in gewissen Fällen anlangend, so fiel
der heilige Geist auf Kornelius, ehe er getauft war (Apostelgesch.
10, 44). Mag auch jemand das Wasser wehren, daß dieser nicht
getauft werde? Als Petrus und Johannes hinunter nach Samaria gingen
(Apostelgesch. 8, 15-16), fanden sie, daß auf des Philippus Predigt
hin die Leute glaubten und sich taufen ließen, sie empfingen den
heiligen Geist aber erst durch der Apostel Handauflegung.

Aus diesen beiden Stellen ersehen wir, daß der heilige Geist nicht
notwendigerweise mit der Taufe dem Täufling gegeben wurde, daß er aber
auch nicht dem gläubigen Ungetauften versagt war. Paulus beschnitt
Timotheus um der Juden willen (Apostelgesch. 16, 3). Die Beschneidung
ist nichts und die Vorhaut ist nichts, sondern Gottes Gebot halten
(1 Kor. 7, 19). Um der Juden willen beschneidet Paulus zwar den
Timotheus, den Titus aber (Gal. 2, 3) will er nicht beschneiden.
Dies zeigt, daß er nach der jedesmal von Gott ihm gegebenen Einsicht
handelte. Indem er den Timotheus beschnitt, fügte er sich dem Urteil
der Juden, gegen welches zu verstoßen er sich gewissermaßen fürchtete;
oder warum hätte er sonst diesen jüdischen Gebrauch vollzogen? Wenn
ich sage, daß er fürchtete, den Juden Anstoß zu geben, so meine ich
damit, daß Gott ihm die Einsicht verlieh, daß es, um weiser Absichten
willen und zur Vermeidung der Uneinigkeit recht sei, sich zu fügen.
Ich glaube daher, daß wir z. B. gerechtfertigt wären, die Taufe bis
auf weiteres zu unterlassen, wo der öffentliche Fanatismus sich
dagegen auflehnt. Denn die Taufe macht einen nicht zum Christen,
so wenig wie die Beschneidung einen zum Juden macht. Das bildliche
Ausziehen des Fleisches durch die äußerliche Taufe ist nicht mehr
nütze, als das bildliche Abthun der Unreinigkeit des Fleisches durch
die äußerliche Beschneidung.

Wie bereitwillig gewährte Paulus dem Kerkermeister die Taufe
(Apostelgesch. 16, 33). In derselben Stunde der Nacht, als dieser
ihm die Striemen abwusch, verkündete ihm Paulus das Wort des Herrn
und taufte ihn alsbald. Der Kerkermeister wusch des Apostels
Striemen, und der Apostel wäscht ihm im Wasserbad die Sünden ab. Die
Apostelgeschichte ist in erster Linie ein Missionslehrbuch; warum
sind wir denn so vorsichtig mit der Taufe unter den Heiden? Fehlt uns
selber der rechte Glaube? Paulus taufte in jener Nacht nicht nur den
Kerkermeister, sondern alle, die in seinem Hause waren. Zu Philippi,
der Hauptstadt des Landes (Apostelgesch. 16, 12), war das Gefängnis
gewiß groß und es waren ohne Zweifel viel Leute in des Kerkermeisters
Haus. Da drängt sich einem wohl die Frage auf, ob der Kerkermeister
und alle, die in seinem Hause waren, alle die Katechismusfragen
unserer heutigen Missionare hätten beantworten können!

Was hat der Mensch durch jenes erste verbotene Essen verloren? (Ich
brauche nicht gern das Wort »Sündenfall« -- die Schrift nennt es
nicht so.) Er verlor den heiligen Geist. Was gewinnt der Mensch im
andern Essen? Er gewinnt den heiligen Geist. Es ist von Wert hierüber
nachzudenken.

Der Verlust des heiligen Geistes ist Trennung von Gott, Tod; so sind
wir in Gottes Augen von Natur tot, und wenn wir in das Taufwasser
untergetaucht werden, so bekennen wir uns bildlich tot bei dem
Begräbnis im Wasser.

Adam, der erste Mensch, entstieg dem Wasser der ersten Schöpfung. Er
sündigte, das ganze menschliche Geschlecht war in ihm und starb in
ihm, somit sind wir alle tot in den Augen Christi und verfallen damit
der Gemeinstatt aller, dem Grab, dem Orte der Toten. Wir bekennen, daß
wir beim Hineingehen ins Wasser der Taufe dasselbe sind, was Adam war.
Wir gehen mit dem neuen Adam, Christus, als neue Kreatur aus der Taufe
hervor. In ihm sind wir nicht länger tot; wir leben. Unser Hervorgehen
aus der Taufe ist unser Auferstehen, und in Ihm erhalten wir (was wir
vorher verloren hatten) den heiligen Geist, welcher unser Leben ist.

In Adam sind alle Menschen geschaffen, sie sterben mit ihm, werden
zu Staub und gelangen an einen Ort, aus welchem sie alle kamen. Was
ist der Sammelplatz aller Menschen? -- Das Grab. Christus aber, der
zweite Adam, versammelt uns aus dem Grab in ihm selber, in der neuen
Geburt. Indem wir im Taufwasser untertauchen, verbildlichen wir
unsern Zustand; und indem wir uns so bildlich ins Grab des Wassers
legen, können wir daraus als neuer Mensch zu Christus gesammelt
werden. (Im Griechischen steht das Wort [Greek: synagôgê] [Sammlung],
gebraucht von dem Sammeln der Wasser ebenso wie [Joh. 11, 52] für das
~Zusammenbringen~ der Kinder Gottes, die zerstreut waren.) Die
Taufe besagt im Bild, daß wir im Taufwasser in den ersten Zustand 1
Mos. 1 zurückkehren, und im neuen Adam, Christus, gehen wir daraus
hervor. Wir kosten vom Baum des Lebens. Wir gelangen zur Auferstehung,
die sich im 22. Kapitel der Offenbarung abspiegelt, wo von einem Strom
die Rede ist und vom Baum (Holz) des Lebens, von Gott und dem Lamme.

Ehe der heilige Geist in uns erneut wird (es ist auf dieses Wort zu
achten, denn es deutet an, daß der Mensch ihn einmal besessen und dann
verloren hat), müssen wir im Bild begraben werden, müssen unsern Tod
und unsern hoffnungslosen Zustand erkennen. Denn wie das Salböl nicht
aus das Fleisch gegossen werden kann, so kann der Fleischlichgesinnte
den heiligen Geist nicht empfangen. Fleischlichgesinntsein ist eine
Feindschaft wider Gott und kann den heiligen Geist nicht empfangen
(Röm. 8, 7 und 9, ein gar ernstes Wort!).

In der Taufe wird der natürliche Leib in der Erwartung gesäet, daß
der geistliche Leib auferstehe. In der Taufe bekennen wir uns zur
Notwendigkeit solchen Säens; wir bekennen, daß wir in natürlichem
Zustand zu nichts nütze sind als (mit dem verweslichen Körper) gesäet
und begraben zu werden.

Der erste Adam wurde ins Leben gerufen und starb und ist bildlich
in der Taufe begraben. Der zweite oder letzte Adam, Christus, ist
der lebendigmachende Geist (der Herr vom Himmel), der von den Toten
auferweckt.

  Die Taufe ist eine Auferstehung aus der Verwesung.
  Die Taufe ist eine Auferstehung aus der Unehre.
  Die Taufe ist eine Auferstehung aus der Schwachheit.

  (1 Kor. 15.)

Wir ersehen hieraus, daß die Taufe eine wichtige Sache ist. Denn die
wahre Taufe, sei es bei unmündigen Kindern durch ihre Stellvertreter,
die Paten, so diese gläubig sind, sei es bei Erwachsenen, ist der
Bedeutung nach ~nichts anderes als ein Bekenntnis, daß das Fleisch
nichts Gutes zu vollbringen vermag~. Und mir scheint, daß diese
Ansicht eine Stütze für die Kindertaufe ist, denn es handelt sich
darum, etwas das tot ist und das sich nicht selbst helfen kann zu
begraben. Ein kleines Kind ist tot hinsichtlich des eigenen Willens u.
s. w.; indem es nun bildlich durch seine gläubigen Stellvertreter in
der Taufe begraben wird, ergiebt sich hieraus die Hoffnung, daß es in
Christo auferstehen wird -- ja unser Glaube an Gott kann nicht anders
als dies glauben.

Wenn es sich um einen Erwachsenen handelt, der von seiner
fleischlichen Natur frei werden möchte, an Christus glaubt und
getauft wird, so glaube ich, daß ein solcher den heiligen Geist in
seinem ~Leibe~ empfängt. Die Elemente des Segens, dessen er in
seinem ~Leibe~ teilhaftig wird, sind in dem einen Falle Brot und
Wein, in dem andern ist es Wasser, in welchem er den fleischlichen
~Leib~ ablegt. In beiden Sakramenten sind die Elemente stofflich,
und beide sind geheiligt für den Leib durch den heiligen Geist:
das eine zur Erhaltung des neuen Lebens in Christo, das andere zur
Auferstehung von den Toten in Christo, welcher ist der neue Adam.

War nicht das Essen der verbotenen Frucht ein Zerreißen der Einheit
mit Gott und, infolge davon, die Bildung einer Einheit mit dem Satan?
Und was ist der Glaube anderes als eine Fähigkeit, die unmittelbar
aus der Gegenwart des heiligen Geistes kommt? »Niemand kann Christus
einen Herrn heißen, ohne durch den heiligen Geist,« auch andere
Stellen beweisen dies. Der Glaube ist eine unmittelbare Wirkung der
Einwohnung des heiligen Geistes. Da kann kein Glaube sein, wo der
heilige Geist nicht seine Wohnung hat. Einer der sagt, er glaube an
Christus, aber nicht an die Gegenwart des heiligen Geistes in ihm
selber, ist entweder ein Lügner und Ungläubiger, oder er macht Gott
zum Lügner.

Daraus folgere ich, daß jedes Wort, jede That, jeder Gedanke, der
nicht aus der Gemeinschaft mit Christus durch den heiligen Geist
entspringt, genau dasselbe ist, was das Essen der verbotenen Frucht
war. Andererseits ist jedes Wort, jede That, jeder Gedanke, der durch
den heiligen Geist in der Gemeinschaft mit Christus wurzelt, ein Essen
vom Baum des Lebens.

Ferner, gleichwie das Essen der verbotenen Frucht sowohl durch Wort
oder Gedanken, als durch die That geschehen kann (im verbotenen Essen
im Paradies gipfelten Gedanke und Wort in der That), so kann das
Essen von dem Baum des Lebens, Christus, auch durch Wort und Gedanke
geschehen, ist aber wesentlich eine That. Das Einssein mit Christus
durch die Einwohnung des heiligen Geistes ist das A und O alles
Lebens, und diese Anschauung empfiehlt sich selbst unserer Vernunft.
Das Ergebnis dieses Einsseins ist ein Fruchtbringen. Es bedarf keiner
Anstrengung; wenn wir das Einssein suchen und pflegen, so müssen die
Früchte des heiligen Geistes die natürliche Folge sein.

Nur durch den heiligen Geist ist Leben oder Gemeinschaft mit Christo
möglich. Die Erlösung oder die Wohlthat des Sühnopfers unseres Herrn
kann nur dann von uns erfaßt werden oder uns zu gute kommen, wenn der
heilige Geist in uns wohnt. »Wer aber Christi Geist nicht hat, der
ist nicht sein.« Röm. 8, 9. Wer das nicht hat, was die Gemeinschaft
ausmacht, kann nicht mit Christo vereinigt sein. Und es ist klar, daß
die Ausgießung des heiligen Geistes erst die Folge von Christi Leiden
war; er konnte nicht eher herkommen, als bis Christus aufgefahren war.
Nach Christi Himmelfahrt kam der heilige Geist hernieder, nicht vorher.

Wie mancher bekümmerten Seele wäre es ein unaussprechlicher Segen
zu wissen, daß der einzige Weg, um heilig oder Christus ähnlich zu
werden, der ist, die Gegenwart des heiligen Geistes in uns zu suchen
und zu pflegen. Die Früchte leugnen, welche der heilige Geist bringt,
hieße die Gottheit des heiligen Geistes leugnen. Wenn ich daran denke,
wie lange ich in der Irre ging und wie nutzlos ich mich abmühte am
alten Menschen zu flicken, so kann ich nicht genug Nachdruck hierauf
legen. Menschlich geredet, was für ein Segen wäre es für mich gewesen,
wenn einer mir mit dem Wort zu Hilfe gekommen wäre (es steht übrigens
deutlich genug in der Bibel): ›~Suche du des heiligen Geistes in
dir selbst gewiß zu werden und kümmere dich sonst um nichts!~‹ Wer
an Christum glaubt, der hat Gott den heiligen Geist lebendig in sich.
Diese Wahrheit im täglichen Leben zu pflegen ist alles was wir nötig
haben, und Er nährt uns durch die Schrift. Alles übrige kommt dann von
selbst.


Über die Verbindung zwischen dem Sündenfall und dem heiligen Abendmahl.

In einem jüdischen Schulbuch fand ich die Geschichte des sog.
Sündenfalles ausgelassen, und als ich einen Rabbiner darüber
fragte, sagte er mir, daß die Juden dieselbe nicht als etwas
Wirkliches anerkennen, sondern alle ihre Gebrechen aufs goldene
Kalb zurückführen. Das ist begreiflich, denn sie meinen, sie können
durchs Gesetz gerecht werden, indem sie aber das goldene Kalb als
den Grund ihres Sündenfalles ansehen, ist ihnen der Sündenfall ein
jüdisch-nationales Ereignis.

Betrachten wir den Sündenfall.

Der Baum des Erkenntnisses des Guten und Bösen war ein Baum, an dem
man lernen konnte, was gut und was böse ist. Indem der Mensch von
diesem Baum aß, wurde er wie Gott, denn Gott der Herr sprach: Siehe
Adam ist geworden wie unser einer und weiß, was gut und böse ist.

Auch ist zu bemerken, daß das Verbot, von dem Baum zu essen, gegeben
wurde, ~ehe~ das Weib aus Adams Rippe gebaut war; so daß Eva
~im~ Garten erschaffen wurde und Adam ~außerhalb~ desselben.
Und ~Adam~ wurde aus dem Garten getrieben; der Eva geschieht
dabei keine besondere Erwähnung. Dem Weib wurde kein Grund angegeben.
Zu Adam sprach Gott: »dieweil du gegessen hast.« Die Strafe des
Essens, der Tod, »du mußt sterben,« muß in Beziehung gebracht werden
zu dem Worte »weil du gegessen hast, verflucht ist der Acker, bis daß
du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde
und sollst zu Erde werden.«

Eph. 2, 2. »In welchen (Sünden) ihr weiland gehandelt habt, nach dem
Lauf dieser Welt, nach dem Fürsten, der in der Luft herrschet, nämlich
nach dem Geist, der zu dieser Zeit sein Werk hat in den Kindern des
Unglaubens.« Der Fürst, der in der Luft herrschet, der Satan, hat also
sein Werk in den Kindern des Unglaubens (Ungehorsams), und er begann
dieses Werk im Menschen, als der Mensch im Ungehorsam gegen Gott von
der verbotenen Frucht aß.

Wir dürfen annehmen, daß wenn Gott dem Menschen mit einer einzigen
Ausnahme alles gewährte, eben diese Ausnahme ihren Grund in dem
dem Menschen drohenden Schaden hatte. Hätte Eva nicht von dem, was
verboten war, gegessen, dann hätte der Geist des Ungehorsams, Satan,
sein Werk in ihr nicht beginnen können. Und wir mögen es betrachten
wie wir wollen, so viel ist klar, daß sie durch die Thatsache ihres
Essens dem Satan die Thür öffnete und er in ihrem Herzen Eingang fand.

1 Kor. 10, 20 zeigt, daß den Götzen opfern einer Gemeinschaft mit
den Teufeln gleichkommt: »was die Heiden opfern, das opfern sie den
Teufeln und nicht Gott. Nun will ich nicht, daß ihr in der Teufel
Gemeinschaft sein sollt«.

Der gesegnete Kelch aber ist die Gemeinschaft oder das
Teilhaftigwerden des Blutes Christi. Das Brot, das wir brechen, ist
die Gemeinschaft oder das Teilhaftigwerden des Leibes Christi, 1 Kor.
10, 16.

Das Trinken vom Kelch des Herrn ist die Anteilnahme an des Herrn
Tisch; und das Trinken von der Teufel Kelch ist die Anteilnahme
an der Teufel Tisch. Durch dieses ganze Kapitel zieht sich die
Gegenüberstellung von zweierlei Essen, von zweierlei Opfern, und von
zweierlei Folgen solchen Essens (d. i. solcher Anteilnahme), von
zwei Genossenschaften, zwei Gemeinschaften, welche in der Thatsache
von zweierlei Essen und den Folgen solchen Essens gipfeln, nämlich
die Gemeinschaft mit dem Wesen, an dessen Tisch der Mensch sozusagen
sich setzt, welche Gemeinschaft ein Teilhaftigwerden der Eigenschaften
dieses Wesens bedeutet.

Mögen wir nun über die Bedeutung der Worte streiten wie wir wollen,
so läßt sich's nicht hinwegerklären, daß nach Joh. 6, 56 Christus in
~dem~ Menschen wohnet, der sein Fleisch ißt und sein Blut trinkt;
und nach dem 53. Vers dieses Kapitels haben wir kein Leben in uns,
so wir das nicht thun. Darnach ist es klar, daß dieses Essen sein
Wohnungmachen in uns bedeutet; während nach 1 Kor. 10 ebenfalls klar
ist, daß solche, die den Teufeln opfern (oder mit ihnen Gemeinschaft
haben, was nach V. 20 dasselbe ist), auch den Teufeln in sich Wohnung
verstatten. Nun kann darüber kein Zweifel sein, daß Evas Essen
vom verbotenen Baum eine Gemeinschaft mit dem Teufel war, erstens
darum, weil der Satan wirklich mit ihr verkehrte, zweitens weil es
nicht eine Gemeinschaft mit Gott war, und drittens weil es im Geist
des Ungehorsams geschah. Dabei lasse ich alle Opfer des mosaischen
Ceremonialgesetzes außer Frage und beschäftige mich nur mit dem
Sündenfall und der Wiederherstellung des Zustandes vor dem Fall, in
welcher der Hauptpunkt das Sakrament ist, durch welches wir des Herrn
Tod verkünden, bis daß Er kommt.

Wir glauben, daß Brot und Wein kraft göttlicher Einsetzung die
werkzeugliche Ursache des geheimnisvollen Teilhaftigwerdens Christi
ist, wodurch Er ganz unser wird und wir so eng mit ihm verbunden
werden, als sein Fleisch ~sein~ Fleisch und sein Blut ~sein~
Blut ist. Durch Brot und Wein, durch das Essen und Trinken seines
Leibes und Blutes, d. h. durch die thatsächliche Handlung solcher
Nießung wird das feste Band geknüpft. Dabei glauben wir nicht, daß das
Brot Fleisch wird und der Wein Blut, so wenig als die verbotene Frucht
verwandelt worden ist.

Ich denke, es steht fest, daß der Fürst, der in der Luft herrschet,
darum Eingang in uns fand und in den Kindern des Unglaubens sein Werk
hat, weil Eva und Adam von der verbotenen Frucht aßen. Sie traten
aus der Gemeinschaft mit Gott und wurden der Gegenwart des heiligen
Geistes verlustig, durch den wir Gemeinschaft mit Gott haben. Dies
führt zur Wiederherstellung in Christo, wenn er uns die Gemeinschaft
mit dem heiligen Geist wiederherstellt, »die Verheißung des Vaters«
und ein Unterpfand des Erbes. Nach Rom. 8, 11 wird der Geist des,
der Jesum von den Toten auferwecket hat, unsere sterblichen Leiber
lebendig machen durch den Geist, der in uns wohnet. Ich denke mir, daß
der heilige Geist zuerst mit der Seele in Gemeinschaft ist, und daß
Er dann durch die erweckte Seele den sterblichen Leib auferweckt. Da
der heilige Geist nur in geistiger Weise an der Seele arbeiten kann,
die geistiger Natur ist, so fragen wir, auf welche Weise kann der Leib
erfaßt werden, der durch eine thatsächliche Handlung (durch Essen)
der Gewalt des Bösen anheimfiel? Ich beantworte diese Frage mit aller
Vorsicht, aber es erscheint mir sowohl vernunft- als schriftgemäß,
daß er durch dasselbe Mittel auch wieder geheilt wird, das den Fall
bewirkte und dem Teufel den Zugang verstattete, nämlich ~durch
Essen~.

Das Sakrament von des Herrn Nachtmahl steht in enger Verbindung mit
der Auferstehung des Leibes. »Wer mein Fleisch isset und trinket mein
Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am jüngsten Tage
auferwecken.« Und wir wissen, daß, so wir würdig zu seinem Sakrament
kommen, wir seinen Leib in unsern Leib und sein Blut in unser Blut
empfangen zur Reinigung von aller Sünde. Wäre es denkbar, daß unsere
Leiber je umkommen könnten, nachdem sie einer so engen Gemeinschaft
mit der Gottheit teilhaftig geworden sind, als das Essen seines Leibes
und das Trinken seines Blutes in sich schließt?

Wir müssen annehmen, daß der Leib beim Sündenfall in vorzüglichem Maße
thätig war, denn er genoß thatsächlich, was verboten war, und hier bei
diesem zweiten Essen ist ebenfalls der Leib in demselben Maße thätig.
Beim ersten Essen brachte der Leib die Seele zum Opfer (denn der Seele
konnte es an sich nichts verschlagen, ob gegessen wurde oder nicht);
beim zweiten Essen bringt die Seele den Leib zum Opfer. Beim ersten
Essen trug der Leib den Sieg davon; beim zweiten Essen bleibt der
Seele der Sieg.

Warum sind wir alle so tot? Warum wird unser Fleisch nicht belebt?
Viele unter uns sind wahre, ernste Christen. Warum sind sie so
trübselig? Sie haben die Barmherzigkeit Gottes in Christo erfahren,
aber es ist, als ob die Seele bei ihnen an einen Leichnam gefesselt
wäre -- an ihren Leib. Sie glauben oder hoffen, daß sie ihrer
Seligkeit gewiß sind, aber sie werden dieser Gewißheit nicht froh.
Warum schleppen sie den toten Leib mit sich herum? Er atmet den Geruch
des Verderbens aus, er ist träge und beschwerlich. Kann er nicht zum
Leben gebracht werden? Wahrlich ich glaube, ~der Grund des Übels
liegt in der Mißachtung des heiligen Abendmahls~. Wenn er auch
ein toter Leib ist, so kann er doch essen; und wenn die Seele durch
den heiligen Geist zum Leben erweckt ist, warum sollte sie den toten
Leichnam nicht zu bewegen suchen, den Leib und das Blut Christi in
sich aufzunehmen, woraus ihm Leben zu teil werden wird. Es mag zuerst
nur ein schwaches Fünklein sein, ja es mag scheinen, als ob er nur um
so mehr Verwesung von sich ausscheide, aber er wird bald voll Leben
sein und dieses Leben wird das ewige Leben sein. Er wird den Tod nicht
schauen, sondern die Auferstehung des Lebens.

Was für Vorbereitung ist nötig um zu essen? Ich meine, wenn ~ein~
Baum mit einem Zaun zu umgeben ist, so ist es der Baum der Erkenntnis
des Guten und Bösen, denn dieser Baum existiert noch immer. Aber
hüten wir uns, den Baum des Lebens einhegen zu wollen! Gott selbst
hat uns den Weg dazu in Christo bereitet. Es ist gar nichts nötig
als das eine: »Ich bin krank; ich möchte gesund werden; ich hasse
und verabscheue mich selbst; ich habe nur schwache Hoffnung, daß es
mir Segen bringen wird, aber ich will Ihm vertrauen, und zu seinem
Gedächtnis will ich thun, was Er mich thun heißt.« Kann jemand am
Erfolg zweifeln? In Summa -- nichts ist nötig als erstens Kranksein,
zweitens Verlangen nach Gesundheit und drittens Gehorsam gegen des
Herrn Gebot.

Ich glaube, die meisten geben das erste und das zweite zu. Warum nicht
auch das dritte? Es ist so gar wenig, und wie unendlich ist der Segen.
Zweifelst du, so laß mich dich an die verbotene Frucht erinnern; wie
gering schien die Übertretung, und die Folgen waren derartige, daß der
allmächtige Gott selbst ins Fleisch kommen und den Tod leiden mußte,
um den Schaden zu heilen.


           Du solltst nicht davon essen. -- Nehmet, esset.

Was für Anstrengungen machen die Menschen, um körperliche Leiden
zu heilen, was für Summen läßt man es sich kosten. Welche
Krankheitsdiagnosen werden gemacht und doch -- selbst die wirksamsten
Arzneien können das sichere unausbleibliche Ende nur um ein kurzes
hinausschieben. Wahrlich, wenn man es sich so angelegen sein läßt,
körperliche Leiden zu untersuchen, wie viel mehr sollte man die
Ursache und das Heilmittel der geistlichen Krankheit erforschen. Denn
daß wir geistlich krank und nicht so sind, wie wir sein sollten, daran
zweifelt wohl keiner.

Wenn im natürlichen Leben ein Gift in den menschlichen Körper geraten
ist und ihn mit seiner schädlichen Wirkung durchdringt, so muß in
denselben Körper ein Gegengift aufgenommen werden, um mit seinen
heilenden Kräften jene bösen Folgen zu vernichten.

Einer, der vergiftet ist, fragt nicht lange, auf welche Weise das
Gegengift wirkt; er versteht die gute Wirkung des Gegengiftes
vielleicht so wenig, als er die schädliche Wirkung des Giftes zu
erklären weiß; er weiß nur, daß er leidet und geheilt werden möchte.
Er nimmt das Gegengift in gutem Glauben; vielleicht hat er auch das
Gift sozusagen in gutem Glauben genommen, denn im allgemeinen sucht
der Mensch sich nicht selbst zu vergiften. Der Mensch sucht auch nie
das Böse, weil es böse ist; er sucht vielmehr etwas (vermeintlich)
Gutes im Bösen. Es genügt dem Menschen also zu wissen, daß er
geistlich vergiftet ist, um Heilung zu begehren.

Ist es ein Zufall, daß das erste Gebot Gottes, das Er dem Menschen
gab, und eines der letzten Gebote Christi an seine Jünger, und durch
sie an die ganze Welt, beides von einem Essen handelt? Gott sprach:
»~Du sollst nicht davon essen~« -- Jesus spricht: »~Nehmet,
esset, das ist mein Leib!~«

Eine wirkliche Substanz (Brot) soll in den vergifteten Körper
aufgenommen werden, und zwar nach dem ~Gebot~ des Herrn, und sie
ist der Träger, durch welchen Christus dem vergifteten Körper seine
göttlichen Eigenschaften mitteilt; gerade so, wie die ~verbotene~
Frucht der Träger war, durch welchen der Teufel dem Körper seine bösen
Eigenschaften mitteilte und ihn vergiftete.

Der Mensch aß in völliger Unwissenheit hinsichtlich der Folgen des
Essens von der verbotenen Frucht, denn er konnte nicht wissen,
~was~ der Tod sei; ebenso kann der Mensch in völliger Unwissenheit
hinsichtlich der Folgen vom Brot des Sakraments essen.

In jenem Fall aß er im Vertrauen auf sich selbst und im Mißtrauen
gegen Gott und in Gemeinschaft mit dem Teufel.

In diesem Fall soll er im Vertrauen auf Gott und im Mißtrauen gegen
sich selbst essen und in Gemeinschaft mit Gott.

Der Welt ist dieses wie jenes eine Thorheit, aber es ist Weisheit bei
Gott.

Wir sagten vorhin, der Mensch sucht nie Böses, weil er böse ist,
sondern er sucht (vermeintlich) Gutes im Bösen. Eva suchte Gutes in
der verbotenen Frucht, aber sie suchte es im Vertrauen auf sich selbst
und im Mißtrauen gegen Gott.

Ein kleines Kind kann verstehen, daß es ein Heilmittel braucht,
wenn es krank ist, und nimmt selbst eine widrige Arznei von seiner
Mutter, weil es ihr vertraut. Der Mensch kann deshalb das sakramentale
Gegengift verstehen, wenn er weiß, daß er geistlich vergiftet ist;
aber der höchste Verstand kann weder ergründen die Tiefe des ersten
Bundes mit Satan, noch die des zweiten Bundes mit Christus.

Ich frage nun, ~was ist nötig, damit der Mensch esse von diesem
Sakrament~? Nichts, als daß er seine geistliche Krankheit erkenne
und geheilt werden möchte. Die meisten Menschen wissen es auch wohl,
daß sie krank sind, und wären auch gern gesund.

Warum wird das Gegengift im Sakrament so vernachlässigt? weil es so
einfach ist, darum hält es die Welt für Thorheit und des Herrn Tisch
ist verachtet. (Mal. 1, 7.)

Zum Schluß noch die Frage: ist nicht das Abendmahl des Herrn das
einzige aus der sichtbaren Kirche, was auch im Himmel bleiben wird?
(Luk. 22, 18.) Es ist wesentlich das Hochzeitsmahl der Kirche; es ist
das äußerliche Pfand des gegenseitigen Einwohnens des Menschen in Gott
und Gottes im Menschen. (Offenb. 3, 20.)

                  *       *       *       *       *

Mit solchen Gedanken beschäftigte sich Gordon während jenes Ruhejahres
im heiligen Land. Im Juli schrieb er seinem Freund: »Es ist ein Gefühl
der Ermattung über mich gekommen, ~nicht der Unzufriedenheit~,
aber ein Verlangen, die Bürde abzuwerfen. Ich glaube, daß es gut für
mich ist, hier zu sein, sonst wäre ich ja nicht hier, und Gott schenkt
mir tröstliche Gedanken, aber der Körper ermattet, und es scheint
mir ein selbstsüchtiges Leben. Doch sind alle Forschungen, die ich
hier mache, interessant, und mein gottgeschenkter Glaube verhindert
mich, es für ein nutzloses Leben zu halten.« Es ist die Energie des
Mannes, die hier zum Vorschein kommt; er will nicht nur glauben, er
will seinen Glauben auch bethätigen. Bei den Londoner Maiversammlungen
1885 hat Missionar Hall aus Jaffa einer großen Versammlung unter
atemloser Stille von seinem acht Monate langen Umgang mit Gordon
erzählt. In den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft sagte Gordon zu ihm:
»Ich habe keine rechte Ruhe, ich bin in dieses Land gekommen, um eine
Zeit lang in der Stille zu sein, mich mehr mit dem Wort Gottes zu
beschädigen und nebenher die heiligen Stätten zu untersuchen. Aber
es befriedigt mich nicht; ich bin unruhig, ich muß etwas für Gott
thun. Glauben Sie, wenn ich nach Jaffa käme, daß ich dort Arbeit
finden könnte?« Die Folge der bejahenden Antwort des Missionars
war, daß Gordon sich in Jaffa einmietete. »Eines Tages,« erzählte
Hall, »erhielt ich ein Schreiben von dem Komitee des Inhalts, daß
ein Missionshaus in Nablus (Sichem) errichtet werden sollte und daß
Baupläne einzusenden seien. Ich schrieb an den Missionar Fallscheer
in Nablus, worauf dieser mich in Jaffa besuchte und es beklagte, daß
er nichts vom Baufach verstehe. In Jaffa gebe es keinen Baumeister,
und sich bei einem Baumeister in Jerusalem Rats zu holen, sei eine
kostspielige Sache. Ich gab das zu und entgegnete: »Es ist eben ein
Mann hier, der sich aufs Planzeichnen versteht; ich weiß zwar nicht,
ob man ihn damit belästigen darf -- wir wollen es aber versuchen.«
Und so begaben wir uns in Gordons Wohnung. Wir hatten uns nicht den
günstigsten Augenblick gewählt, denn es war vormittags, welche Zeit
Gordon der Betrachtung des Wortes Gottes widmete. Wir fanden ihn in
Hemdärmeln an seinem Tisch sitzen. Er erkundigte sich nach unserm
Begehren. »Wir möchten Ihren Rat holen wegen eines Missionshauses,
das in Nablus gebaut werden soll,« sagte ich, und um unserm Bedürfnis
nach Bauplänen näher zu kommen, fügte ich dies und jenes hinzu. Da
unterbrach er mich: ›Ich weiß, was Sie wollen -- Sie brauchen nicht so
vorsichtig mit mir zu reden; Sie möchten einen Beitrag haben.‹ Darauf
erwiderte ich, daß wir keinen Beitrag von ihm wollten, wohl aber etwas
Besseres als Geld, nämlich die Baupläne, wenn er sie uns entwerfen
wolle. ›Baupläne,‹ rief er, ›ei gern!‹ und nahm sofort Papier und
Bleistift zur Hand, notierte sich wie viel Zimmer nötig seien, was
für Fenster und Thüren, was die Lage des Bauplatzes sei u. s. w. Noch
am Abend desselben Tages brachte er uns die schönsten Pläne, die man
sich denken konnte. Am andern Tage bestellten wir Handwerksleute,
und Gordon machte einen Kostenüberschlag für jeden. Das Missionshaus
steht jetzt in Nablus. Einige Zeit später sagte ich ihm, daß ich
mich fast gefürchtet hätte, ihn um die Baupläne zu bitten. ›Meinen
Sie, ich hätte Ihre Bitte übel genommen,‹ sagte er. ›Wozu bin ich
denn nach Jaffa gekommen, habe ich Ihnen nicht gesagt, daß, wenn Sie
mir etwas für das Reich Gottes zu thun geben könnten, Sie mir einen
Dienst erweisen würden? Ich war nicht recht mit mir zufrieden, weil
ich mich ins heilige Land zurückgezogen hatte, anstatt mit meinen
Kräften mich in Gottes Arbeit zu stellen.‹ In diesem Sinn hatte er
die Pläne entworfen.« Missionar Hall fügte dem bei, daß er von Gordon
mehr Aufschluß über geistliche Dinge erhalten habe, als sonst von
irgend einem Menschen, mit dem er je in seinem Leben zu thun gehabt.
Gordon fand auch sonst in Jaffa Arbeit von der Art, wie er sie in
Gravesend gefunden hatte. Ein bekannter schottischer Geistlicher, der
kürzlich in Palästina reiste, kam mit einem armen Dragoman zusammen,
der ihm nicht genug davon sagen konnte, wie Gordon ihn und seine Frau
in Krankheit besucht und in Ermangelung eines Stuhles sich mit seinem
neuen Testament auf den Boden gesetzt habe, um ihnen von Christus
zu erzählen. Dabei hatte er ausfindig gemacht, daß sie eine große
Doktorrechnung hätten, und diese in aller Stille bezahlt. In Jerusalem
und den Dörfern umher habe er den Armen viel Gutes gethan, und diese
trauerten um ihn, wie um ihren Vater.

Überall wo Gordon hinkam, dasselbe Urteil über ihn! Er aber sagt: »Wie
wenig Christus-ähnliche Menschen giebt es doch -- wer unter uns ist
Ihm gleich? Keiner, bis alles von uns genommen ist; dann erst können
wir werden wie Er und eins sein mit Ihm. ›Selig sind die geistlich
Armen, denn das Himmelreich ist ihr,‹ heißt es; und nur die Armen ohne
Geld und ohne Ansehen im vollen Sinne des Wortes können durch die
dunkle Grabesthüre zu der Ruhe eingehen, die uns behalten ist .... Ich
wollte, daß alle die Gewißheit des ewigen Lebens hätten! Es ist ja
gerade, ~weil~ wir arm und unwert sind, daß wir Eingang finden.
So lange wir uns für besser halten als andere, sind wir weit vom
Himmelreich entfernt. Wir müssen den Gedanken fahren lassen, daß wir
im geringsten bei Gott etwas zu gut haben könnten, wir sind ja ~alle
und nur~ seine Schuldner. Nach Ephes. 2, 10 sind wir zu guten
Werken geschaffen, in denen wir wandeln sollen. Wenn uns Gott also
vorher dazu bereitet hat, daß wir dies oder jenes Gute vollbringen,
wo bleibt da noch Ehre für uns?« Nicht genug kann er es betonen, daß
man alles, im großen wie im kleinen, Gott anheimstellen soll; es gäbe
nicht so viel unzufriedene Gesichter in der Welt, meint er, wenn die
Leute das lernten. Der Glaube, daß Gott im Regiment sitzt, sei ihm
sein lebenlang eine unversiegbare Quelle der Kraft gewesen, die ihn
nicht nur für die Gegenwart und Zukunft stark mache, sondern die ihm
selbst das Vergangene zurecht bringe. Das sei es ja, was der Herr
von uns haben möchte, daß wir ›seine Freunde‹ seien, und nicht seine
Knechte. Und wenn Er uns in eine schmerzliche Lage geraten lasse, so
geschehe dies darum, damit wir Ihn um so besser kennen lernten und
an uns selber erführen, wie stark Er ist, zu helfen. Gordons völlige
Gleichgültigkeit gegen das Urteil der Menschen ist die Kehrseite
dieser Gotteszuversicht, und Menschenlob nennt er eine Trennungswand
zwischen der Seele und ihrem Gott (Joh. 12, 43).

Aus einem Briefe vom 4. Juli 1876:

»Das menschliche Leben ist eine Rückreise zu unserm Urquell, Gott,
der sich uns als die ewige Wahrheit, Liebe, Weisheit und Allmacht
offenbart hat. Als Begriffe erkennen wir diese seine Eigenschaften
bereitwillig an; das ist aber kein Herzensglaube. Wir stoßen auf
Widersprüche, wir sind blind. Er öffnet uns die Augen nach und nach,
und hilft uns durch manches sogenannte Unglück ihn immer besser kennen
lernen. Er offenbart sich verschiedenen Menschen in verschiedener
Weise, aber das Endziel aller ist, ~Ihn zu erkennen~. So wie der
Mensch in diese Welt geboren ist, hängt ein Schleier vor seinen Augen,
der ihm Gott verhüllt. Dem in der Christenheit aufwachsenden Menschen
tritt Gott in beidem, im geschriebenen und im Mensch gewordenen Wort
nahe, aber wenn er dies auch mit seinem Verstand erfaßt, so ist in
diesem Leben doch vieles unverständlich, und der Schleier bleibt. Jede
schmerzliche Erfahrung aber und jede Prüfung macht einen Riß in die
Hülle und er ~sieht~ dann, was er vorher nur als toten Buchstaben
geglaubt hatte ... Ein Samenkorn göttlichen Wesens ist in unser Herz
gelegt; und dieses Gottgeborene in uns sollte dem Ausgang des Kampfes
zwischen Fleisch und Geist ruhig entgegensehen können. So oft der
Geist über das Fleisch Herr wird, so oft giebt es einen weiteren Riß
in der Hülle und wir erkennen Gott immer besser. Wenn dem Fleisch der
Sieg bleibt, so verdichtet sich der Schleier. Zuletzt aber, wenn das
Unausbleibliche, der Tod eintritt, dann reißt der Schleier mitten
entzwei und das völlige Schauen beginnt. Das Fleisch ist überwunden,
der Geist aber lebt.«

Geben wir noch ein Schlußwort Gordons. Es ist ein Wort, das er vor
einer Reihe von Jahren geschrieben hat, er hätte es in jenen letzten
Monaten schreiben können, als er von seinem Volk verlassen, mit seinem
nie wankenden Heldenmut in Khartum eingeschlossen war:

»Die Welt ist ein weites Gefängnis mit grausamen Hütern. Einsam und
verlassen sitzen wir in unseren Zellen und warten auf Erlösung. An den
Wassern der irdischen Freude und vollen Genüge weilen wir -- so denkt
das Fleisch und der Irdischgesinnte; aber es sind die Wasser zu Babel
voll Jammer für unsere Seele, und wir sitzen und weinen, wenn wir der
Heimat gedenken, von der ein so schmaler Strom, der Tod, uns trennt.

»Unsere Harfen hängen an den Weiden, und unsere Widersacher heißen uns
fröhlich sein, wir sollen ihnen ein Lied singen, als wären wir daheim.
Wie aber sollen wir des Lammes Lied singen im fremden Lande, die wir
in der Wildnis sind, wo niemand uns kennt?

»O wären wir doch daheim, wo die Gottlosen aufhören mit ihrem Toben,
und ~die~ ruhen, die viele Mühe gehabt haben; wo der Kampf zu
Ende ist und die heiße Arbeit vorüber, wo die Krone des Lebens uns
werden wird; wo wir Ihn schauen werden, der all unsere Not kannte,
der unser Elend mit uns trug, der unserer müden Seele Trost gab. Und
siehe, es ist kein neuer Freund, es ist der alte!

»Bist du müde? Er war es auch. Bist du betrübt? Er war es auch.
Findest du dich in deiner Liebe unverstanden und begegnet man dir mit
Kälte? Ihm ging es nicht besser.

»In Seinem großen Erbarmen hat Er sich unter all Seine Brüder
erniedrigt. Wie müde, wie einsam, wie betrübt war Er auf dieser Erde;
ein Mann der Schmerzen, der Leid trug mit Geschrei und Thränen. Und
sollten wir über unser Elend murren, das doch bald vorüber ist? Bringt
nicht jeder Tag uns der Heimat näher? Kein dunkler Fluß, sondern
zerteilte Wasser liegen vor uns; und der Welt bleibt ihr Lohn. Sie ist
Erde, und wir schütteln ihren Staub von den Füßen.

»Ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe, selig sind
die Toten, die in dem Herrn sterben. Ja der Geist spricht, daß sie
ruhen von ihrer Arbeit -- ruhen von Trübsal, von Mühe und Last, von
Herzweh, Thränen, Hunger, von all dem Jammer seufzender Seelen, die
hier im Gefängnis, ohne Frieden sind, von Krieg und Kriegsgeschrei und
allem Hader.

»Es ist eine lange, mühselige Reise, aber schon sehen wir das Ziel.
Die Meilenzeiger unserer Jahre fliegen dahin, und für die Last jedes
Tages wird uns die Kraft gegeben, die uns not ist (5 Mos. 33, 25.
englische Übersetzung). Wer weiß wie nahe das Ende, wie bald der
Pilger daheim sein wird im schönen Lande, wo Ströme lebendigen Wassers
fließen, wo keine Not mehr sein wird, noch Leid, noch Schmerzen, und
wo er ewig ruhen darf bei seinem himmlischen Freund.

»Der Sand verrinnt -- Tag und Nacht, Nacht und Tag -- schüttle du
nicht das Glas. Trage deine Last, leide wie Er litt.«




                            Neuntes Buch.

                               Khartum.


                            1. Der Mahdi.

Während Gordon sein stilles Jahr in Palästina verlebte, gelangte man
daheim zur Erkenntnis, daß der Zustand in den Armenquartieren der
reichen »City« ein Schandfleck für England sei. Es war das Jahr,
in dem »der bittere Notschrei Londons« in allen Ohren wiederklang.
Es wurden Untersuchungen eingeleitet, und die Enthüllungen, die
es gab, entsetzten die feine Welt. Wohl war es teilweise ein
Sensationsinteresse, es lag ein gewisser Kitzel darin, die sogenannten
untersten Schichten aufzuwühlen, aber man fing doch ernstlich an, auf
Besserung der Zustände zu drängen. Es wurden Komitees ernannt und
Sitzungen gehalten, auch in der Folge mancherlei gethan. Ob das Los
der Armen seither ein merklich gebessertes ist, bleibe dahingestellt;
dergleichen wird wohl weniger durch Komitees, als durch einzelne
Menschen erreicht, denen die Liebe gegeben ist, unter den Elenden zu
leben. Es giebt solche, aber ihrer sind wenig. Der Notschrei drang
bis ins heilige Land, und Gordon lieh ihm ein williges Ohr; ja er
fing an, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob es in Whitechapel
und Spitalfields nicht eine ähnliche Arbeit für ihn gebe, wie s. Z.
zu Gravesend, ob ein Leben der Samariterliebe im Herzen von London
nicht die Lösung für seine Zukunft wäre, die ihn nur um so völliger in
Anspruch nehmen würde, als der Jammer in jenen Höhlen der krassesten
Armut und Verkommenheit weit über dem steht, was in der kleinen
Themsestadt zu finden ist, deren Gassenjungen seine »Prinzen« waren.

Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Während Gordon sich in Gedanken
mit seinen armen Brüdern und Schwestern in der englischen Hauptstadt
beschäftigte und die Aussicht ihm eine liebe wurde, sich dieser
»Innern Mission« zu widmen, brachte anderswo ein König ganz andere
Pläne zu Papier und versah sich des Träumers in Palästina, als des
Mannes, der sie ihm verwirklichen sollte.

Es war der König von Belgien, der in Gordon den Mann erblickte,
welcher als Stanleys Nachfolger die Hoffnungen des »freien
Kongostaats« ihrem Ziel entgegen führen sollte. Wahrscheinlich
hat Stanley selbst auf Gordon hingewiesen; und dieser war zu
allem bereit, was dazu dienen konnte, dem Sklavenhandel im Innern
von Afrika entgegen zu arbeiten und den umnachteten Weltteil den
Einflüssen christlicher Zivilisation zu erschließen. Der Plan war kein
geringerer, als vom Kongo aus dem Njamnjamlande und den Gebieten
der Rituellen beizukommen und auf diese Weise die verschiedensten
Negerstämme zu einem Bund gegen die Sklavenwirtschaft im Sudan zu
vereinigen. Es war gegen Ende des Jahres 1883, daß die belgische
Aufforderung Gordon erreichte. Schon drei Jahre vorher, als er sein
Amt im Sudan niederlegte, hatte er bei Gelegenheit einer Audienz in
Brüssel seine Bereitwilligkeit ausgesprochen, dem König in dieser
Sache zu dienen, wenn es sich so fügen sollte, daß man seiner
bedürfe. Und als dieser ihn nun an sein Versprechen mit dem Bemerken
erinnerte, daß der Zeitpunkt gekommen sei, der unter Gordons Leitung
zu den schönsten Hoffnungen am Kongo berechtige, war es die gewohnte
Schlagfertigkeit des Mannes, die stehenden Fußes die palästinischen
Studien abbrach und die Pläne hinsichtlich der Armen Londons auf
eine künftige Zeit verschob. Er wartete nicht einmal ein richtiges
Passagierboot ab, sondern verließ Jaffa bei erster bester Gelegenheit
mit einem Frachtschiff, das ihn um ein kleines mit samt der Ladung
auf den Meeresboden gebettet hätte. Am letzten Abend des Jahres 1883
erreichte er Genua und nahm den Schnellzug durch die Neujahrsnacht
nach Brüssel. Es war der Anfang des für ihn so verhängnisvollen Jahres
1884, aber noch ahnte er nicht, daß Khartum sein Ziel war. Er gedachte
der Kongo-Arbeit, die seiner harrte, und seine Seele war stille zu
Gott.

  »Ich war allein in meinem Koupé,« schrieb er den Freunden in Jaffa,
  »und habe auch ~an euch alle gedacht~!«

Und die Freunde in Jaffa wußten, was er damit sagen wollte. Sie
gehörten mit zu der Liste von etlichen hundert ihm Nahestehender,
deren er vor Gott gedachte. Wer diese Liste hätte durchsehen können
-- ein König hier, ein alter Netzstricker dort, die seine Fürbitte
brauchten!

Der belgische König war entzückt, einen so trefflichen
Bevollmächtigten gewonnen zu haben, und Gordon ging nach England, um
sich von den Seinen zu verabschieden. Sein Entlassungsgesuch aus dem
englischen Dienst hatte er eingesandt. Noch vor Ende Januar wollte
er wieder in Brüssel sein, um von dort die Reise nach dem Kongo
anzutreten. Wie ganz anders sollte es kommen!

Daß im Sudan alles drunter und drüber ging, wußte er. Kein Jahr war
vergangen, nachdem er seine Statthalterschaft niedergelegt hatte,
da kamen Hilferufe genug von Khartum her, welche den guten Pascha
zurückverlangten, der allein im stande war, dem geknechteten Volk
eine Schutzmauer gegen seine Unterdrücker zu sein. Der Sklavenhandel
war neu aufgeblüht und von Ägypten war keine Rettung zu erwarten. Die
englische Bevormundung der ägyptischen Frage, die sich kurzer Hand als
eine Koupon-Politik bezeichnen läßt, hatte nicht viel Gutes erreicht;
und sowohl die englischen als die ägyptischen Minister waren viel zu
sehr von dem Arabi-Aufstand in Anspruch genommen, als daß man Zeit
gehabt hätte, im Sudan zum Rechten zu sehen. Dort war unter Gordons
Nachfolger in der Statthalterschaft, jenem berüchtigten Rauf Pascha,
eine böse Zeit angebrochen. Die Erpressung seitens der Beamten war
ärger denn je, und als im Mahdi ein angeblicher Befreier sich erhob,
war der Zündstoff im Lande in einer Weise angehäuft, daß der Aufruhr
wild empor loderte.

Wie es mit der Gelderpressung durch übermäßige Besteuerung aussah,
beschrieb der Times-Korrespondent Power, den Gordon in Khartum
vorfand, und der einer der drei Engländer war (Gordon und Stewart die
beiden andern), die des Landes Märtyrer wurden.

»Wenn die Leute hier ihre Acker bebauen wollen,« lautete der Bericht,
»so müssen sie eine Steuer zahlen; und um Wasser aus dem Nil auf
ihre Äcker zu leiten, ohne welches das Land nutzlos ist, müssen sie
eine zweite Steuer zahlen. Wenn das Korn dann geerntet ist, kommt
die dritte Steuer, ehe sie es verkaufen dürfen. Ist die Ernte gut,
so wird die Steuer verdoppelt, damit neben der Regierungskasse
der Privatbeutel des Pascha nicht zu kurz komme. Lassen die Leute
unter diesen Umständen den Ackerbau liegen, dann kriegen sie die
Karbatsche aus guter Rhinozeroshaut. Wenn der Bauer für Weib oder
Kind ein armseliges Kleidungsstück kauft oder seine Lotterfalle von
Haus wetterfest zu machen sich getraut, dann heißt's, er müsse Geld
versteckt haben, das noch nicht besteuert sei. Kurz, die Leute müssen
zahlen und zahlen und wieder zahlen, ob sie wollen oder nicht, ob sie
können oder nicht; und wer nicht arbeitet, wird bis aufs Blut gequält,
bis er mithilft, die Beamten zu bereichern. Wer ein Boot auf dem Nil
hat, muß achtzig Mark zahlen, wenn er nicht unter ägyptischer Flagge
fährt, und die Erlaubnis, die Flagge zu führen, kostet ebenfalls
achtzig Mark. Dies ist's, was in erster Linie am Aufruhr schuld ist,
nicht der Mahdi; und ich wünsche aus tiefster Seele, daß jeder Ägypter
aus dem Land gejagt werde. Die Zustände der Sklavenwirtschaft, so
beklagenswert sie sind, sind immerhin noch besser, als solch ein
Regiment ägyptischer Blutsauger.«

Zwischen dem Mahdi des Sudan und jenem Schulmeisterkönig des großen
Friedens in China ist eine gewisse Ähnlichkeit unverkennbar; der
Aufstand war beidemal der eines falschen Propheten, welcher eine
himmlische Sendung vorgiebt, um ein im Elend verkommenes Volk für
seine Zwecke zu gewinnen. Beiden gelang es in erstaunlicher Weise, mit
ihren Horden das Land zu verheeren und Träume einer goldenen Zukunft
auszustreuen.

Der Mahdi wollte nichts Geringeres sein, als der Messias der
moslemitischen Völker.

Die zum Islam »Bekehrten« sind in Zentral-Afrika nach Millionen zu
rechnen, und mit der Lehre Mohammeds hatte sich in jenen Ländern
auch die Erwartung verbreitet, daß in der Fülle der Zeit ein Mahdi,
d. h. Führer, erscheinen werde, dem es vorbehalten sei, das Werk des
Propheten mit Schwerteskraft zu vollenden, um die Gottlosigkeit von
der Erde zu vertilgen, das unschuldig vergossene Blut der Imams zu
rächen und ein Reich der Gerechtigkeit aufzurichten.

Es hat zu verschiedenen Zeiten Mahdi gegeben, und der, dem es
neuerdings gelang, die Messiashoffnungen seiner Glaubensgenossen zu
seinen Gunsten auszubeuten und die unterdrückten Stämme bis zu seinem
im Sommer 1885 erfolgten Tode um sich zu scharen, war ein Eingeborner
der Provinz Dongola, ein noch nicht vierzigjähriger Mann von hoher
geschmeidiger Gestalt, schwarzem Bart und hellbrauner Gesichtsfarbe.
Er hieß Mohammed Achmet und war der Sohn eines Schiffszimmermanns
Namens Abdallah. Mohammed war der jüngere von mehreren Brüdern
und wurde in seiner Jugend gleich diesen zum väterlichen Handwerk
angehalten. Eine Abneigung dagegen machte sich jedoch früh bei ihm
bemerkbar; er zog sich gern von den Menschen zurück und beschäftigte
sich stundenlang mit dem Koran. Als junger Mensch entlief er der
Heimat infolge einer Tracht Prügel; ging nach Khartum und schloß sich
der »Medressu« oder freien Schule eines Fakir an, der zu Hoghali,
einem Dorfe östlich von Khartum, dem Lehrwesen oblag. Diese Schule
gehörte zum Grab des Scheik Hoghali, des hochverehrten Schutzheiligen
von Khartum; und der Hüter des Schreins, obschon er für die freie
Schule aufkommt und die Armen speist, erfreut sich einer schönen
Einnahme seitens der andächtigen Wallfahrer. Er giebt vor, ein
Abkömmling des ursprünglichen Hoghali und durch diesen Mohammeds
selbst zu sein. Hier also ließ Mohammed Achmet sich nieder und
befleißigte sich des Studiums der Religion. Nach einiger Zeit begab
er sich nach Berber und besuchte die Schule des Scheik Ghubusch,
der ebenfalls eines Heiligenschreins wartete. Im Jahr 1870 schloß
er sich einem andern Fakir an, dem Scheik Nur el Daim (das ewige
Licht). Dieser fand ihn soweit vorgerückt in der Religion, daß er ihn
selbst zum Scheik oder Fakir bestellte, worauf der neue Lehrer sich
auf die Insel Abba im Weißen Nil zurückzog. Dort lebte er eine Zeit
lang in beschaulicher Stille, indem er sich in einer Höhle verbarg
und stundenlang den Namen Gottes hersagte, viel fastete und Weihrauch
verbrannte. Bald stand er im Geruch absonderlicher Heiligkeit; es
sammelten sich Derwische um ihn, er wurde reich und heiratete eine
Menge Weiber, die er sich umsichtigerweise unter den Töchtern der
angesehensten Scheiks erwählte. Allerdings soll der wahre Moslem mit
vier Weibern sich begnügen, und der kluge Heilige that dies auch,
indem er, so oft er aufs neue Hochzeit hielt, eine der überzähligen
älteren Gattinnen der Ehre seines Harems verlustig erklärte.

Im Frühjahr 1881 schrieb er an alle übrigen Fakire und offenbarte sich
ihnen als den vom Propheten verheißenen Mahdi: er habe göttlichen
Befehl erhalten, den Islam zu erneuern, derselbe müsse die Religion
der Welt werden, ~ein~ Gesetz, ~eine~ Freiheit müsse die
Gläubigen verbinden, und wer nicht gesonnen sei ihn anzuerkennen,
sei er Christ, Heide oder Mohammedaner, müsse von der Erde vertilgt
werden. Dieses Manifest richtete er u. a. auch an Mohammed Saleh,
den gelehrten und einflußreichen Fakir von Dongola, indem er ihn
aufforderte, mit seinen Derwischen in Abba zu ihm zu stoßen. Dieser
aber benachrichtigte die Regierung von dem Vorhaben Mohammed Achmets
und fügte als sein Privaturteil die Anmerkung bei, der Mensch müsse
geistig gestört sein. Auch die Ulema von Khartum erklärten sich gegen
ihn, ebenso wurde er in Kairo und Konstantinopel verworfen und als
falscher Prophet gebrandmarkt. Gleichwohl fand der Mahdi Anhänger
genug; ihm schlossen sich alle an, die das ägyptische Regiment
haßten, vorab die Sklavenhändler, die wohl wußten, daß sie unter einem
Aufruhrregiment ihr Raubwesen nur um so besser würden treiben können.
Ja Gordon war der Ansicht, daß Sebehr von Anfang an die Hand mit im
Spiel hatte, daß er den Mahdi, wenn er ihn nicht förmlich anstiftete,
so doch jedenfalls bestärkte, alles, um durch Aufruhr und Anarchie
in den Sudanländern seine Freilassung und Rücksendung zu erzwingen.
Jedenfalls gehörte ein Verwandter Sebehrs von Anfang an zu des Mahdi
Helfershelfern.

So viel ist sicher, daß der Glaube an die wahre Mission des Mahdi
rasch um sich griff. Rauf Pascha konnte das bedenkliche Wachstum
seiner Macht kaum unbeachtet lassen und schickte einen Botschafter
nach der Insel Abba. »Als ich dieselbe erreichte,« berichtete dieser,
»empfing mich Mohammed Achmet inmitten von mehreren Hunderten seiner
Getreuen; in der Rechten hielt jeder ein Schwert. Der Mahdi saß auf
einem erhöhten Thron, mit dem Stab des Propheten in der Hand. Auf
meine Frage, was er beabsichtige, beschrieb er mir seine angebliche
Sendung. Ich erwiderte ihm, daß wir alle so gut Muselmänner wären,
als er selber. Das bestritt er, weil wir den Christen gestatteten,
auf ihre Weise Gottesdienst zu halten, und weil unsere Regierung
Steuern erhebe. Ich riet ihm, seine Pläne ruhen zu lassen, denn er
könne doch nichts gegen eine Regierung ausrichten, die über Truppen
und Schießbedarf und Dampfer verfüge. Darauf entgegnete er: ›Wenn eure
Soldaten auf uns schießen, so werden ihre Kugeln uns nicht treffen;
und wenn ihr mit euren Dampfern kommt, so werden diese untergehen.‹«

Die Kriegs- und Eroberungszüge des Mahdi während der Jahre 1881-83 zu
verfolgen würde zu weit führen. Es genüge zu sagen, daß eine Provinz
nach der andern, eine Stadt nach der andern ihm zufiel. Es war die
Zeit der Arabi-Wirren in Ägypten; man war dort kaum in der Lage, sich
viel um den Mahdi zu kümmern. Die wichtige Stadt Obeid ergab sich ihm
im Anfang des Jahres 1883.

Erst nachdem Arabi mit Hilfe der Engländer nach Ceylon verschifft war,
konnte man sich ägyptischerseits gegen den Mahdi wenden. Derselbe
hatte verkündigt, daß er mit der Zeit auch berufen sei, Kairo und
Konstantinopel zu seiner Sendung zu bekehren. Was die Statthalter
im Sudan bisher gegen ihn unternommen hatten, war meist mißglückt
und schon im August 1882 hatte Khartum in Belagerungszustand erklärt
werden müssen. In diesem Jahr wurde das ägyptische Militär der Provinz
unter die Anführerschaft des englischen Obersten Hicks gestellt,
der mit noch andern Briten und verschiedenen sonstigen Europäern,
darunter auch ein Deutscher, Major von Seckendorff, in des Khedive
Dienste trat; denn da der Mahdi an alle wahren Moslemin appellierte,
so hielt man es für geraten, ihm mit nichtmohammedanischen Kräften
entgegenzutreten. Hicks Pascha war ein tüchtiger Offizier, der in
Indien gedient hatte. Nach verschiedenen erfolgreichen Voroperationen
verließ Hicks Khartum im September 1883 an der Spitze von zehntausend
Mann mit der Absicht, den Mahdi aus Obeid zu vertreiben. Es war der
unglücklichste Kriegszug, der je unternommen wurde. Ob und inwieweit
Hicks der Unvorsichtigkeit zu beschuldigen war, ist nicht zu sagen,
denn die näheren Einzelheiten der furchtbaren Katastrophe werden wohl
nie ans Tageslicht treten. Das einzige, was verlautete, waren die
Worte eines Zeitungskorrespondenten: »Wir wagen kein Geringes, indem
wir unsere Verbindungslinien verlassen und über dreihundert Kilometer
weit in ein unbekanntes Land vordringen. Die Brücke hinter uns ist
sozusagen abgebrochen. Der Feind zieht sich vor uns zurück und das
Land ist ausgeplündert. Wassermangel ist unsere große Sorge; die
Kamele halten's nicht aus.« Und Schweigen umhüllte die Unternehmung,
bis nach Wochen die Schreckensnachricht in Khartum einlief, daß Hicks
Pascha mit seinen Zehntausend bis auf den letzten Mann aufgerieben
sei. Der Mahdi hatte sie in eine wasserlose Wüste gelockt. Es soll
eine dreitägige Schlacht stattgefunden, Hicks selber, als einer der
letzten, seinen Tod gefunden haben. Gordon war der Ansicht, daß die
Armee großenteils verdurstet sei. So viel ist sicher, daß nicht
~ein~ Europäer entkam und daß die ägyptischen Truppen bis auf
wenige Mann aufgerieben wurden; oder wahrscheinlich richtiger -- denn
es war ägyptisches Militär von der »unbeschreiblichen« Sorte -- was
von den Truppen überblieb, schloß sich dem Mahdi an. Es war eine
Niederlage wie im Teutoburger Wald, und ein Schrei des Entsetzens
hallte durch England. Der 1., 2. und 3. November 1883 ist das
mutmaßliche Datum der verhängnisvollen Schlacht.

Nach dieser Unglückspost waren noch zwei Engländer im Sudan: der
bereits erwähnte Times-Korrespondent Power und Oberst Coëtlogon,
der krank in Khartum zurückgeblieben war, als Hicks den unseligen
Marsch unternahm. Die Folgen des Sieges für den Mahdi waren kaum zu
überschätzen. Darfur war für den Khedive verloren; was an Provinzen
oder Stämmen bis jetzt noch loyal war, ging zu den Rebellen über. Ein
panischer Schrecken hatte das Land befallen; er machte sich in Kairo
geltend, und im fernen England erlitten die ägyptischen Papiere aufs
neue eine bedenkliche Baisse.

Ägypten wird nicht in Kairo, sondern in London regiert. Das Kabinet
Gladstone hatte sich bis jetzt geweigert, dem Mahdi mit englischer
Macht zu begegnen, und als nach Hicks Niederlage der Sudan einem
unentwirrbaren Knäuel von Schwierigkeiten glich, erging seitens des
britischen Ministeriums der einem Befehl gleichkommende gute Rat nach
Kairo, die Sudan-Provinzen fahren zu lassen. Sir Evelyn Baring, der
englische Agent in Ägypten, sollte den Khedive dahin beeinflussen, daß
eine feste Stellung auf der Suakimlinie vorläufig das Beste wäre. Wenn
der Mahdi erst einmal diese Linie überschritten hätte, dann wäre es
den Friedensministern an der Themse immerhin noch früh genug gewesen,
ihm mit Heeresmacht zu begegnen. Die englischen Interessen in Ägypten
freilich mußten sicher gestellt werden; der Kontre-Admiral Hewett im
Roten Meer und Baker Pascha zu Land sollten dieselben wahren.

Die Macht des Mahdi wuchs unterdessen lawinenartig, und nicht nur
in Ägypten wurde die Meinung laut, daß eine Räumungspolitik nicht
das Beste wäre. Daß des Khedive Grenztruppen den fanatischen Horden
des falschen Propheten gewachsen sein würden, glaubte niemand;
englisches oder türkisches Militär allein konnte sein Vordringen
hindern. Aber auf englische Truppen sollte nicht gerechnet werden,
und was die Türken beträfe, meinten die Ratgeber, wie sollte man es
dem Beherrscher der Gläubigen selbst zumuten, einen heiligen Krieg
mit Waffen zu unterdrücken? Denn daß es ein heiliger Krieg sei, das
glaubten Tausende; und die Begeisterung in den Sudanländern nahm
überhand, nun der längstverheißene Befreier gekommen schien. Die
plötzliche Machtentfaltung des Mahdi hatte den Unterdrückten Thür
und Thor geöffnet; er sprach von Freiheit und das seufzende Land
erhob sich gegen das Joch der verhaßten Ägypter. Gordon hatte dies
vorausgesehen. Hatte er nicht vor Jahren gesagt, daß ein beherzter
Anführer jederzeit die Sudan-Völker zu einem gewaltigen Aufstand
würde vereinigen können? Er hatte damals auch gesagt, daß gewisse
Leute schlafen würden, bis es zu spät sei. Es waren nicht nur die
Sklavenhändler, sondern vielmehr noch die zahllosen bewaffneten
Araberstämme, in denen Gordon das Brandmaterial erblickte. Ein
Anführer war erschienen, und allem nach einer, dem es an Mut nicht
fehlte.

In England also war beschlossen worden, die Sudan-Provinzen zu räumen;
welche Anarchie alsdann daselbst herrschen würde, das fragte man sich
vorläufig nicht. Ein lebhafter Depeschen-Wechsel zwischen London
und Kairo fand statt. In Ägypten nämlich stieß die Räumungspolitik
auf Widerstand. Das Ministerium Cherif erklärte, die Verwaltung des
Sudan sei ihnen von der Pforte anvertraut, und die Räumung lasse
sich deshalb nicht so ohne weiteres vollziehen. Cherif Pascha fügte
seinerseits hinzu: »Wir haben Tausende von getreuen Unterthanen im
Sudan, und nichts auf der Welt soll mich dazu bringen, diese Leute dem
Mahdi zu überantworten. Ich bin überzeugt, daß ich recht habe; die
Zukunft wird zwischen mir und dem Kabinet Gladstone in dieser Sache
richten.«

Damit legte das Ministerium Cherif sein Amt nieder und ein
neues Kabinet unter Nubar Pascha trat ans Ruder. Als man diesem
glückwünschend die Meinung aussprach, daß das neue Ministerium
im Hinblick auf die vorhandene Krisis ein von der Klugheit
zusammengerufenes zu sein scheine, entgegnete er trocken, dem sei
ohne Zweifel so, das Wort Minister werde in Ägypten zur Zeit nur
leider von dem lateinischen Wort +minus+ hergeleitet, das weniger
als nichts bedeute. So viel war aber sicher, daß, obschon das neue
Ministerium bereit war, sich seine Aufgabe von England diktieren zu
lassen, damit noch keineswegs Mittel und Wege gefunden waren, die
ägyptischen Besatzungen, um die es sich handelte, aus den dem Aufruhr
überladenen Sudanländern zurückzuziehen. An Vorschlägen fehlte es
nicht, aber der eine war so unausführbar wie der andere.

Zwischen Dongola und Gondokoro standen etwa zwanzigtausend Mann
ägyptischer Truppen mit Weib und Kind, und in allen Bezirken gab's
Beamte, die das Brot der Regierung aßen und deren Lage täglich
kritischer wurde. Unter den verschiedenen Garnisonsplätzen war Khartum
selbst der Hauptort, dessen elftausend ägyptische Unterthanen einen
Hilferuf nach dem andern ergehen ließen -- inständige Bitten, einen
Rückzug ins Werk zu setzen. Khartum war damals schon wie eine von
allem Verkehr abgeschnittene Insel; jene elftausend Menschen hätten
sich unmöglich selbst nach Ägypten durchschlagen können. Das Land
umher war dem Mahdi zugefallen, und fürs übrige benutzten die zum
Feind sich schlagenden Stämme gern die Gelegenheit, den Ägyptern alle
bisherige Unterdrückung mit Zinsen heimzugeben. Daß damit manchem sein
verdienter Lohn geworden, unterliegt keinem Zweifel; aber, wie es
immer geht, leiden mit einem Schuldigen zehn Unschuldige.

Übrigens war nicht einmal das Nubar-Ministerium bereit, Khartum ohne
weiteres fahren zu lassen; man hoffte diese Stadt für den Khedive
halten zu können, selbst wenn man das Land dem Mahdi überließe --
eine thörichte Hoffnung, welche die Schritte für den Rückzug der
Besatzungen so lange verzögerte, bis es zu spät war.

Daß England eine Verantwortung in der Sache hatte, liegt auf der
Hand; die Räumungspolitik war britischer guter Rat; und es gab in
England Leute genug, die sich für die Besatzungen ereiferten und es
für schmählich erklärten, diese im Stich zu lassen. In jenen Tagen
sprach Gladstone selbst das Wort aus: »Darin sind wir alle einig,
daß Maßregeln getroffen werden müssen, um den sichern Rückzug der
Besatzungen zu ermöglichen.« Die einzige Maßregel, zu welcher das
britische Kabinet sich bis dahin aber verstehen konnte, war die
Grenzverteidigung unter Baker Pascha, ein klägliches Auskunftsmittel
angesichts der Sachlage. Denn auch im östlichen Sudan griff der
Aufruhr mit Riesenschritten um sich. Die Küstendistrikte des Roten
Meeres fielen nacheinander der Rebellion anheim, während die
Besatzungen von Suakim, Tokar, Trinkitat und Sinkat täglich in
schlimmere Not gerieten. Jede Post brachte bedenklichere Nachrichten.
Das englische Volk wurde ungeduldig und erklärte, die britische Ehre
stehe auf dem Spiel. Da fiel wie ein Blitzstrahl eines Morgens die
Nachricht ins Land -- ~Gordon geht nach Khartum~!


                 2. Der Kriegsheld als Friedensbote.

Noch während Gordon in Jaffa weilte, waren Stimmen in England laut
geworden, daß er der Mann sei, der allein im stande wäre, der Lage im
Sudan Herr zu werden. Auf Engelrat könne man zwar heutzutage nicht
warten, meinte eine dieser Stimmen, allein es wäre wünschenswert,
daß die öffentliche Meinung zu Gladstone spreche: »So sende nun
hin gen Joppen und laß herrufen einen Gordon, mit dem Zunamen der
Chinese; der wird dir sagen, was du thun sollst.« Und als Gordon nach
seiner Brüsseler Audienz in der ersten Januarwoche 1884 in England
eintraf und es bestimmt schien, daß er nach wenigen Tagen nach dem
Kongo abreisen werde, da ging ein Sturm durch die Zeitungen, daß man
diesen Mann verlieren könne; er habe sich zwar dem König von Belgien
verbindlich gemacht, allein das sei kein Hindernis, König Leopold
werde jedenfalls zurücktreten, wenn England seines Sohnes bedürfe. Auf
diesen Wink der Presse hin antwortete die Regierung vorläufig damit,
daß sie es nicht für nötig fand, Gordon aus dem englischen Dienste
zu entlassen, wenn er als Bevollmächtigter des Königs von Belgien an
den Kongo gehen sollte; fürs übrige ließ man ihn am 16. Januar nach
Brüssel abreisen. Keine zwölf Stunden aber vergingen, da berief man
ihn telegraphisch zurück, und frühmorgens am 18. war er wieder in
London. Außer den Ministern wußte kein Mensch davon. Nachmittags um 3
Uhr hatte er Audienz, die er selbst folgendermaßen beschrieb:

  »Wolseley (der bekannte General) brachte mich ins Ministerium und
  ließ mich im Vorzimmer warten; dann kam er zurück und sagte: ›Es ist
  beschlossen, den Sudan zu räumen, und England will für die künftige
  Regierung der Sudanländer keinerlei Gewähr leisten. Wollen Sie
  gehen?‹ ›Ja,‹ sagte ich. Da hieß er mich eintreten, und ich sah die
  Minister. ›Hat Wolseley Ihnen unsere Wünsche mitgeteilt?‹ fragten
  sie. ›Ja,‹ entgegnete ich, ›England will für die künftige Regierung
  des Sudans keine Gewähr bieten, und ich soll gehen und das Land
  räumen.‹ -- ›Das ist's,‹ sagten sie; ›wie bald können Sie gehen?‹ --
  ›Sofort,‹ entgegnete ich und reiste am selben Abend ab.«

Das war eine frohe Stunde am andern Morgen, als es hieß: »Gordon
ist nach Khartum abgereist!« Die Zeitungen überboten einander mit
Glückwünschen, und wie die Times sagte, war es unmöglich, das Gefühl
der Erleichterung zu beschreiben, welches das Land auf und nieder
bei der Nachricht erfüllte, daß Gordon es übernommen habe, als
Friedensbote nach dem Sudan zu gehen. Mit diesen Worten ist auch
die diesem übertragene eigenartige Mission charakterisiert. Die
englische Regierung, die keine Truppen senden wollte, um dem Mahdi
zu begegnen, war wissentlich oder unwissentlich von dem allgemeinen
Glauben angesteckt, daß Gordon an sich ein Heer sei, und so schickte
man ihn, um durch seinen persönlichen Einfluß ein Ziel zu erreichen,
wozu man sonst Armeen und Millionen braucht. Nicht um einen Krieg zu
führen, zog der Held aus, sondern um auf seine Weise den Sudan aus dem
Aufruhr zu retten; er sollte den ägyptischen Unterthanen den Rückzug
ermöglichen, mit dem Mahdi unterhandeln und das Land sozusagen an
die Sudanesen zurückgeben. Es lag etwas so Romantisches in diesem
Ausziehen eines für viele, daß das Herz des Volkes davon ergriffen
wurde und die Wünsche aller ihn begleiteten. Gordon selbst soll gesagt
haben: »Ich soll dem Hund den Schwanz abschneiden, und ich will es
thun, es mag kosten was es will.« Einen einzigen Kampfgenossen hatte
er, Oberst Stewart, den er sich zum Begleiter ausgebeten hatte,
derselbe, der früher schon von Regierungswegen im Sudan gewesen war.

Nur wer Gordon nicht kannte, mochte sich wundern, wie er so schnell
zur Abreise bereit sein konnte; der Leser aber versteht es wohl jetzt,
daß dieser Mann allezeit und in allen Lagen reisefertig war. Auf Erden
angewachsen war er nirgend und seine persönliche Ausrüstung kümmerte
ihn wenig. Es hat ihn an jenem Nachmittag des 18. Januar einer
gefragt: »Haben Sie denn auch alles, was Sie brauchen?« Die Antwort
lautete: »Ich habe, was ich immer habe, dieser Anzug ist gut genug.
Ich gehe wie ich bin.« »Ja, aber haben Sie auch Reisegeld?« »Das hätte
ich beinahe vergessen. Der König von Belgien hat mir vierhundert Mark
geliehen; die muß er wieder haben, und ohne Geld kann ich natürlich
nicht fort.« Als man ihm aber vierzigtausend Mark mitgeben wollte,
meinte er, das brauche er nicht, viertausend thäten es auch.

Daß es keine leichte Mission war, die er übernommen, daß Gefahren
aller Art vor ihm lagen, wußte niemand besser als Gordon selbst, aber
das focht ihn nicht an. Sein letztes Wort auf englischer Erde war ein
Telegramm an seinen Freund, jenen Geistlichen, welchen er in Lausanne
kennen gelernt hatte:

 »Ich gehe nach Khartum; wenn er mit mir geht, ist alles wohl.«

Der Telegraphist hatte er und nicht Er gesetzt; aber der Empfänger
dieser Botschaft sagte mit Recht, daß in diesen kurzen Worten Gordons
Lebensgeschichte niedergelegt sei. Gordon ging allein und nicht
allein; »der Herr der Heerscharen geht mit mir,« schrieb er unterwegs.

Unterwegs, an Bord der Tanjore, zwischen Brindisi und Port Said,
brachte er den Zweck seiner Sendung im Licht des ministeriellen
Auftrags zu Papier, in welchem Schriftstücke er betonte, daß es
seitens des englischen Kabinets ausgemacht sei, für die künftige
Regierung des Sudan keinerlei Gewähr zu leisten, daß England es
aber unternommen habe, dem Land seine Unabhängigkeit zurückzugeben
und ägyptische Unterdrückung nicht länger zu dulden; daß bei dieser
Absicht sein Auftrag darin bestehe, einen sicheren Rückzug der
Garnisonen und anderer ägyptischen Unterthanen zu bewerkstelligen und
daß die Art und Weise dieses Rückzuges von den Umständen abhängen
werde. Nachdem er damit seine Mission gekennzeichnet hatte, zeigte
er weiter, wie sich dieselbe am besten ausführen lasse. Er schlug
vor, daß man das Land den Erben der verschiedenen Sultane übergeben
könne, die vor der ägyptischen Eroberung die Sudan-Provinzen
beherrschten, und daß es diesen überlassen bleiben müsse, den Mahdi
anzuerkennen oder nicht. Ferner machte er darauf aufmerksam, daß die
Rückzugskolonnen eines Angriffs seitens des Mahdi wohl gewärtig sein
müßten, in welchem Fall er voraussetzte, daß die Regierung es billigen
würde, wenn er zu den Waffen griffe.

Es war Gordons Absicht, sich direkt durch den Suezkanal nach Suakim
zu begeben und von dort durch die Wüste und über Berber nach Khartum
zu gelangen. Er glaubte seiner Sendung als Friedensbote an das
unglückliche Land besser genügen zu können, wenn er direkt hinkomme,
ohne sich erst mit Ägypten ins Einvernehmen zu setzen. Als er aber
in Port Said eintraf, war Sir E. Baring mit noch anderen von Kairo
gekommen, um ihn aufzufordern, sich dahin zu begeben. Auch war die
Nachricht angelangt, daß die Suakim-Route nun vollständig in den
Händen der Rebellen und somit abgeschnitten sei. Er fügte sich den
Umständen und hielt sich zwei Tage in Kairo auf. Großer Freundlichkeit
seitens des Khedive hatte er sich nicht versehen, denn mit seiner
Meinung über dessen Politik hatte er nie und nirgend hinter dem Berg
gehalten; trotzdem sprach jener ihm seine volle Befriedigung darüber
aus, daß er die Beruhigung des Sudan übernommen habe, und verlieh ihm
zu diesem Zweck seine alte Oberstatthalterwürde. Allerdings war dies
unter den vorliegenden Umständen mehr Form als Inhalt; des Khedive
Firman aber beauftragte ihn nicht nur mit der Räumung des Landes,
sondern mit der Reorganisation desselben, wenn es möglich wäre, die
Provinzen der Anarchie zu entreißen. Gordon ging also einerseits als
englischer Friedensbote nach Khartum, andererseits aber kehrte er in
diese Hauptstadt als der Generalgouverneur der Provinz zurück, um sie
so lange zu halten, bis man den Sudan sich selbst überlassen könne.
Es lag kein Widerspruch in dieser doppelten Sendung, war doch der
Zweck beider derselbe. Die englische Regierung billigte die Haltung
des Khedive, und Sir E. Baring versicherte Gordon, daß der völlige
Beistand beider, der englischen wie der ägyptischen, Behörden zu Kairo
ihm gewiß sei.

Ehe Gordon die ägyptische Hauptstadt verließ, empfahl er die
Wiederernennung eines Sultans von Darfur als ein Stück richtiger
Taktik gegenüber dem Mahdi. Infolge dieses Rates wurde Emir Abdel
Schakur, der rechtmäßige Erbe, vom Khedive als Beherrscher der Provinz
anerkannt, die seinem Vater vor Jahren entrissen worden war. Der junge
in Ägypten aufgewachsene Sultan verließ Kairo unter Gordons Schutz,
entpuppte sich unterwegs aber als ein unfähiger Weichling. Am 26.
Januar wurde die Reise nach Khartum angetreten. Der Weg sollte über
Assuan nach Wady Halfa gehen, von wo aus Gordon durch die nubische
Wüste nach Abu Hamed zu ziehen gedachte, um von da aus Khartum mit
einem Nilboot zu erreichen.

Ob Gordon aber die bedrängte Stadt je sehen werde, das wurde nicht
nur in England, sondern alsbald durch die ganze Welt zur Tagesfrage;
der Held auf seinem Ritt durch die Wüste war ein Gegenstand der
lebhafteren Teilnahme. Wußte man doch, daß der Feind in allen
Richtungen streifte, daß aufrührerische Scheiks mit ihren Stämmen den
Friedensboten stündlich überfallen konnten. Es war eine Wüstenstrecke
von vierhundert Kilometer, die der furchtlose Gordon mit seinem
Geleitsmann Stewart und einem geringen Gefolge von nicht zehn Mann
auf raschen Kamelen zu durcheilen gedachte. Khartum war von Kairo aus
benachrichtigt worden, daß Gordon in drei Wochen daselbst einzutreffen
gedenke. »Es ist erstaunlich,« rief der junge Power, der ihn dort
sehnlichst erwartete; »es hat noch nie einer diese Reise unter einem
Monat gemacht. Gordon aber mit Schwert und Bibel fährt wie ein Wirbel
durchs Land.«

Kein Feind belästigte ihn, der alte Zauber zog vor ihm her, oder wie
er es nannte, ihn geleitete die Wolke bei Tag, die Feuersäule bei
Nacht, und er war sicher in Feindesland. Eine friedliche Begegnung
hatte er auf dem halben Wege, nämlich den letzten Flüchtling von
Khartum, dem es gelang Kairo zu erreichen; es war dies ein Deutscher,
Namens Bohndorff, der mit +Dr.+ Junker im Njamnjamlande
wissenschaftliches Forschungen obgelegen hatte, bis es fast zu spät
war zu entkommen. Sie waren alte Bekannte; Gordon hatte mit diesem
Deutschen früher schon am Weißen Nil verkehrt. Bohndorff beschrieb
die Begegnung: eine Staubwolke am Horizont und ein sich daraus
loslösender Reitertrupp, der Anführer voraus, und man erkannte von
weitem den ernsten Eifer, der ihn seinem Ziele entgegentrug. Von
Bohndorff erfuhr Gordon, wie es in Khartum stehe, daß außer den beiden
Engländern Power und Coëtlogon nur ein Europäer noch dort sei, nämlich
der österreichische Konsul Hansal, welche Bemerkung übrigens eine
Anzahl ansässiger Griechen außer acht ließ. An sechzigtausend Seelen,
worunter zahlreiche Flüchtlinge aus der Umgegend, wären in der Stadt
-- ein Bild der Sorge und Niedergeschlagenheit -- doch werde die Ruhe
aufrecht erhalten, und Oberst Coëtlogon lasse sich die Befestigung
angelegen sein.

Wenn man in England und anderwärts um Gordon sorgte, so war dies
nicht ohne Grund, denn die Nachrichten aus dem östlichen Sudan
waren nichts weniger als beruhigend. Am 4. Februar erlitt Baker
Pascha mit seinen vierthalbtausend Ägyptern und etlichen englischen
Offizieren eine gründliche Niederlage bei Trinkitat, als er einen
Versuch machte, Tokar und Sinkat zu entsetzen. Er hatte sein Bestes
gethan, die erbärmliche Mannschaft, welche ihm zu Gebote stand,
einen zusammengeworfenen Haufen ägyptischer Gendarmerie, türkischer
Baschi-Bosuks und Schwarzer aus dem Sudan, annähernd kriegstüchtig zu
machen; aber gleich beim ersten Zusammenstoß mit des Mahdi Heerführer,
Osman Digna, überfiel die Helden eine Todesangst, und sie machten
nicht einmal den Versuch Stand zu halten. Die einen schossen ihre
Flinten ab und schrieen um Gnade, während die anderen ihre Waffen von
sich warfen und in wilder Flucht davon stürzten. An hundert Offiziere,
darunter die Mehrzahl der englischen Offiziere, kamen um, und nur ein
kleiner Teil der Truppen gelangte nach der Uferstadt Trinkitat zurück,
von wo sie ausgezogen waren. Baker selbst kam nur wie durch ein Wunder
davon, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, seine flüchtigen
Helden zum Stehen zu bringen.

Osman Digna war der Mann, diesen Sieg auszubeuten. Man erwartete,
daß er sich auf Suakim werfen werde. Ringsumher hatte er die Stämme
gewonnen, und selbst in dieser Hafenstadt brachte der Schrecken viele
dazu, sich für den Mahdi zu erklären. Sinkat fiel; die Besatzung hatte
sich gehalten, bis der letzte Hund verzehrt war. Man schlachtete die
Pferde; noch ein Sack voll Korn war übrig, und der tapfere Kommandant
Thewsik Bey hatte erklärt, daß wenn bis zum achten Februar keine Hilfe
komme, er den letzten verzweifelten Ausfall machen müsse, um einen
besseren Tod zu finden, als das Verhungern innerhalb der Mauern. Er
erfuhr nichts von Baker Paschas Niederlage, und nachdem auch sein
letzter Hilferuf ungehört verhallt war, vernahm die Welt, daß die
Belagerung von Sinkat mit einem todesmutigen Ausfall der Besatzung
geendet habe, der ägyptischen Truppen ein weit rühmlicheres Zeugnis
ausstellte, als man seither zu hören gewohnt war.

Das war Wasser auf die Mühle der Opposition in England; es gab eine
heiße Debatte im Parlament. Gladstone erklärte, man sei deshalb der
Besatzung von Sinkat nicht zu Hilfe gekommen, weil man nichts thun
wolle, was irgendwie von Folgen für jene anderen Besatzungen sein
könne, die Gordon zu retten versuche. Es sei geboten, sich ruhig zu
verhalten. Angesichts dieser Erklärung jedoch und unter dem Drucke der
öffentlichen Meinung wurde der britische General Graham, zur Zeit in
Kairo, damit beauftragt, Tokar zu entsetzen. Noch ehe derselbe aber
mit seiner Mannschaft in Trinkitat gelandet war, hatte Tokar sich
ergeben, und die Besatzung war zum Feind übergegangen. Der Fall von
Kassala wurde als das nächste erwartet, und auch die Ufer-Distrikte
um Massaua her schienen dem Mahdi zuzufallen; es blieb nichts übrig,
als die Araber unter Osman Digna bei Suakim zu erwarten und von dort
zurückzuwerfen.

Osman Digna war ein tüchtiger Soldat; er war Sklavenhändler gewesen
und jetzt die rechte Hand des falschen Propheten. Dieser hatte ihn auf
dem Sklavenmarkt zu Obeid kennen gelernt und mit großem Scharfblick
seine Brauchbarkeit erkannt; er hatte ihn für seine Pläne gewonnen,
worauf er ihm den Ost-Sudan übertrug, damit er dort Land und Leute
für seine angebliche Mission gewinne. Mit siegreichen Waffen hatte
Osman Digna des Propheten Werk seither ausgerichtet; jetzt aber galt
es einem englischen General und englischen Linientruppen stand zu
halten; er erlitt seine erste Niederlage und wurde ins Innere des
Landes zurückgeworfen. Keineswegs aber streckte er die Waffen, und so
spann sich ein englischer Separatkrieg im Ost-Sudan hin, während die
Räumung des Landes auf friedlichem Weg ins Werk gesetzt werden sollte!
Osman Digna bekämpfte man, den Mahdi wollte man nicht bekämpfen, und
die Parteien stritten sich im Parlament.

Und Gordon? Er wußte von all dem nichts. In felsenfestem Vertrauen
eilte er durch die Wüste, unbesorgt um seine eigene Sicherheit,
während man auf Kanzeln und Rednerbühnen seiner gedachte, während viel
tausend Herzen ihm ein Engelgeleit in den Gefahren wünschten, die ihn
umgaben. Gefahren? Er sah sie nicht! Einem Scheik, der ihm quer kam,
sagte er: »Wenn ihr Frieden wollt, ich bringe ihn; sucht ihr Krieg,
so bin ich bereit.« Und der verzagenden Khartumer Garnison meldete er
telegraphisch seine Nähe mit den Worten: »Ihr seid Männer und nicht
Weiber. Seid guten Muts, ich komme.«


                          3. Gordon im Land.

War schon in England die Befriedigung eine allgemeine gewesen, als
Gordon nach Khartum sich auf den Weg machte, so war's noch ein
anderes in Ägypten. Eine Begeisterung sondergleichen erfüllte Land
und Leute bei seinem Kommen. Man wußte dort ungleich besser, was
man an ihm hatte, als daheim in England. Die Thaten seiner früheren
Statthalterschaft waren auf aller Lippen; man sprach von ihm als einem
Unüberwindlichen, dessen bloße Gegenwart Wunder wirken werde in dem
zerrütteten Land. Des Mahdi Kriegsheer werde in nichts zerstieben wie
Dunst vor der Sonne, rief das Volk, und des guten Pascha feste Hand
werde alle Wunden heilen, die jener geschlagen. »Ich gehe, um die
Ehre Ägyptens zu retten,« war Gordons letztes Wort an Nubar; daß er
Englands Ehre in seiner Hand trug, wußte er nicht minder. Auf jenem
Wüstenritt nach Abu Hamed durchstritt er im Geist die Kämpfe, die es
zu liefern geben würde, und hätte er nur verwirklichen können, was
sein hoher Sinn und sein unbefangenes Auge als das richtige erkannten,
hätte man ihm nur freie Hand gelassen, es ließe sich wohl ein anderes
Lied singen von der Heldenzeit in Khartum. Als die glitzernde
Sandwüste hinter ihm lag, wußte er, was er zu thun habe, und stand
gegürtet zur Schlacht.

Er brauchte nicht weit vorzudringen, um Beweise zu finden, daß
ägyptische Beamtenwirtschaft des Mahdi Handlangerin war; diesen
hielt er übrigens für weniger stark als die Sage ging. So fand er
die Eisenbahnarbeiter zu Assuan in größter Armut, weil ihre Löhnung
seit Monaten im Rückstand blieb; der Hunger hatte da dem Propheten
Glauben verschafft, und Gordon telegraphierte alsbald an Sir E.
Baring, er solle den Leuten ohne weiteren Verzug ihr Geld schicken.
Ebenso entdeckte er, daß der Aufstand zwischen Suakim und Kassala
lediglich der Habsucht zweier Paschas zuzuschreiben war. Diese
waren mit den Scheiks des Hadendoa-Stammes eins geworden, ihnen für
Truppentransporte sieben Thaler für jedes Kamel zu geben; als die
Hadendoas aber etwa zehntausend Mann durch die Wüste befördert hatten,
erhielten sie je einen Thaler, während die übrigen sechs ganz ohne
Zweifel im Privatbeutel der Pascha stecken blieben. Da erhob sich
der Stamm, schloß sich Osman Digna an, und das Resultat war Bakers
Niederlage.

Als erste Abschlagszahlung in der Räumungspolitik hatte Gordon schon
von Korosko aus an Nubar Pascha telegraphiert:

  »Eine Anzahl Weiber und Kinder sind nach Ägypten auf dem Weg; suchen
  Sie einen menschenfreundlichen Mann, daß er sich ihrer annehme.«

Und nachdem er in Abu Hamed an die englische Regierung berichtet und
darauf hingewiesen hatte, daß es so unpraktisch wie unrecht wäre, den
Sudan sich selbst zu überlassen, ehe man von geordneten Verhältnissen
daselbst reden könne, bestieg er ein Nilboot und erreichte Berber am
11. Februar.

Hier erließ er seine Proklamationen. Den Einwohnern der Stadt Berber
sagte er, daß er gekommen sei, Frieden zu bringen, ja Freiheit von
aller Unterdrückung, daß er bereit sei ihnen zu helfen, Ruhe und
Ordnung herzustellen, und daß er ihnen zeigen wolle, wie das Land sich
künftighin selber regieren könne. Alle vorenthaltenen Rechte sollten
ihnen wieder werden; er habe nur den einen Wunsch, Gerechtigkeit
walten zu lassen und Blutvergießen zu verhindern. Alle rückständigen
Steuern bis zum Ende des Jahres 1883 seien gestrichen und alle Steuern
des laufenden Jahres auf die Hälfte reduziert. Der Sudan gehörte nicht
fremden Erpressern, sondern von jetzt ab den Kindern des Landes. Der
beste Beweis, daß man ihm glaubte, liegt wohl darin, daß etliche
hundert Leute sich um Ämter bei ihm meldeten; von großer Freude
erfüllt illuminierten sie ihm zu Ehren ihre Stadt. Der englischen
Regierung, die ihn gewarnt hatte, sich ja nicht in unnötige Gefahr
zu begeben, konnte er hierauf erwidern, es habe keine Not, die Leute
wären im Gegenteil froh und dankbar, von einer Oberherrschaft befreit
zu werden, die ihnen nur Elend gebracht habe. Er hielt sich nur wenige
Tage in Berber auf, aber es genügte, um seinen alten Einfluß geltend
zu machen und ihm das volle Vertrauen der Stadt zu sichern. Und nun
gar die Weiterreise nach Khartum! In englischen Zeitungen war die
Besorgnis oben auf, wie sich Gordon durch die aufrührerischen Stämme
durchschlagen werde; der Weg durch die Wüste sei nichts gewesen gegen
die weit größere Gefahr der Nilreise, lägen doch die schwarzbraunen
Feinde im Hinterhalt an beiden Ufern des Flusses, ihre Speere seien
lang und ihre Hinterlist groß. Nichts dergleichen! Sie bildeten
Spalier am Fluß hin für den Befreier des Landes, der sich auch gar
nicht scheute, unter ihnen umher zu gehen. Sie kannten ihn alle. Und
je weiter er vordrang, um so größer die Begeisterung; das Volk empfing
seinen Retter mit Frohlocken, gleich einem Schutzengel, der eine Weile
entschwunden war und nun zurückkommt aus der unbekannten Welt des
Friedens, nach der man sich sehnt.

Auch in Khartum wußte man, wessen man sich zu ihm zu versehen habe.
Sein Manifest war ihm vorausgeeilt. Es lautete folgendermaßen:

  »Vernehmet, daß ich gekommen bin, das Land aus der Not zu befreien,
  in die es geraten ist, Ruhe herzustellen und Blutvergießen der
  Moslems zu verhindern, den Einwohnern einen geordneten Wohlstand zu
  sichern, Weib und Kind ihnen zu schützen und all der Ungerechtigkeit
  und Unterdrückung zu steuern, die an diesem Aufruhr schuld sind.

  »Ich habe aus diesem Grund alle rückständigen Steuern vergangener
  Jahre erlassen und habe die Steuern des laufenden Jahres, sowie
  alle unter Rauf Pascha eingeführte Besteuerung auf die Hälfte
  herabgesetzt. Ich will euch vor Ungerechtigkeit schützen, damit der
  Ackerbau und Handel erblühe und Wohlstand gedeihe. Ich gebe euch das
  Recht zurück, die Sklaven, die in eurem Dienste sind, zu behalten,
  und weder die Regierung noch sonst jemand wird es euch künftighin
  wehren. Haltet Frieden; gebt euch nicht dem Verderben hin und bleibt
  fern von des Teufels Weg. Benachrichtigt alle Einwohner von der guten
  Kunde, auf daß sie den Weg der Gerechtigkeit betreten und vom Bösen
  sich abwenden.

  »Wer mich sehen will, der komme und fürchte nichts.

   ~Gordon~
   Generalgouverneur des Sudan.«

In Khartum herrschte nur Freude, in England aber gab's böses Blut, als
diese Proklamation bekannt wurde. Was, der will den Leuten im Sudan
erlauben ihre Sklaven zu behalten, anstatt ihnen von der Freiheit der
christlichen Zivilisation zu sagen, die alle frei macht! Der Sturm,
der bei dieser Erklärung in gewissen Kreisen losbrach, lieferte den
ersten Beweis davon, daß England seinen Gordon noch nicht kannte.
Unbegreiflicher Mensch dieser Gordon, glaubt der, mit schlechten
Mitteln könne man Gutes thun? England, das in aller Welt sich als den
Befreier von Sklavenketten rühme, sei durch solche Haltung geschändet.
Die wenigsten Leute hatten die kühle Überlegung, Gordons Urteil zu
verstehen.

 »Was für tolles Zeug!« rief er aus, als ihm die Nachricht von dem
 Entsetzen kam, das sein Manifest in England hervorgerufen. »Ist es
 nicht offenkundig erklärt worden, daß der Sudan geräumt werde und die
 Sudanesen sich selbst überlassen bleiben sollten? Wenn das Volk aber
 hier seinen Willen hat, so hält es Sklaven. Was hätte es genutzt,
 die Leute an den kraftlosen Vertrag von 1877 zu erinnern, wenn man
 sie sich selbst überlassen will? Und ist nicht der ~eine~ Zweck
 meiner Sendung der, die Garnisonen und andere ägyptische Flüchtlinge
 womöglich ohne Blutvergießen aus dem Land zu bringen? Was ich den
 Leuten über die Sklaven gesagt habe, war nicht mehr und nicht weniger
 als eine Plattheit!«

Und anderswo erinnert er seine Ankläger daran, daß er während
der Jahre seiner Kämpfe mit den Sklavenjägern nicht einen Finger
geregt habe, die Sklaven im Hausstand, d. h. die ~leibeigenen
Dienstboten~, zu befreien, während er doch mehr wie einmal sein
Leben einsetzte, der Sklaven~jagd~ das Genick zu brechen. Gordon
hat immer dafür gehalten, daß es ein Unrecht an den Leuten wäre,
ihnen zwangsweise und ohne Vergütung die hergebrachten Dienstsklaven
zu nehmen, und es war ein zu klar denkender Kopf, um sich über die
Zukunft des Landes, das er räumen sollte, auch nur einen Augenblick
einer Täuschung hinzugeben. Die harmlose Ansicht, daß der sich
selbst überlassene Sudanese keine Sklaven halten werde, konnte ihn
nicht beeinflussen, und nur ein Fanatiker hätte nach Khartum gehen
können und sagen: »Hier bin ich und bringe euch im Namen zweier
Nationen eure Unabhängigkeit zurück. Das Land sei künftighin euch
überlassen, lebt darin nach eurem herkömmlichen Brauch. Haltet Frieden
miteinander und Gott schenke euch Gedeihen, aber daß ihr euch nicht
untersteht, eure Dienstboten als Sklaven zu betrachten« -- wenn doch
der altherkömmliche Brauch den dienenden Stand leibeigen macht! Der
bemittelte Sudanese hält Sklaven wie die Juden und Römer im Altertum.
Gordon wußte das; vielleicht dachte er auch daran, daß Paulus dem
Philemon seinen entlaufenen Sklaven zurückschickte. Hoffentlich denkt
niemand, man wolle hiermit der Sklaverei das Wort reden; es soll nur
der sentimentale Eifer damit ins Licht gestellt werden, der sich
berufen fand, Gordon unbesehen zu verdammen.

Am 18. Februar erreichte er Khartum. Als er durch die Straßen ging,
drängten sich die Leute zu Hunderten um ihn; alle wollten ihm die Hand
küssen. Einige freudetolle Weiber gingen so weit, ihm die Füße küssen
zu wollen, und zweimal lag der Generalgouverneur am Boden, ehe er
sich's versah. Er hatte nur wenige Worte gesprochen, aber es waren
Worte voll goldener Hoffnung: »Ich bin ohne Soldaten, aber mit Gott zu
euch gekommen, um der Not dieses Landes zu steuern,« sagte er. »Ich
will nicht mit Waffen, sondern durch Gerechtigkeit hier kämpfen. Die
Zeit der Baschi-Bosuks ist vorüber.«

Das war ein Jubel! Kein Wunder, daß Power schon nach wenig Tagen
schreiben konnte: »Gordon hat aller Herzen gewonnen. Er ist Diktator
hier; der Mahdi gilt nichts mehr. Es ist erstaunlich, den Einfluß
dieses einen Mannes über Tausende zu sehen. Mütter bringen ihm ihre
kranken Kinder, daß er sie anrühre.« Wo er sich blicken ließ, rief
das Volk: Sultan! Vater! Retter! und wer etwas zu klagen hatte, dem
lieh er sein Ohr. Noch ehe die Sonne unterging, die seinen Einzug
beleuchtete, ließ er alle Rechnungsbücher der ägyptischen Regierung,
alle Peitschen und Marterwerkzeuge auf dem freien Platz vor seinem
Palast aufhäufen und anzünden; es war das Autodafé der Unterdrückung,
lachend und weinend tanzten die Leute um dasselbe her. Er besuchte
das Gefängnis und ließ alle Ketten fallen; Hunderte schmachteten
da, Männer, Weiber und Kinder, Schuldige und Unschuldige -- er gab
ihnen allen die Freiheit. Ein alter Scheik wurde aus einem Tragbett
vor ihn gebracht; der Ex-Statthalter Hussein Pascha Cherif hatte den
Ärmsten bastonnieren lassen, bis seine Füße nur noch unförmliche
Massen blutenden Fleisches waren. Gordon sagte nicht viel, aber er
telegraphierte alsbald nach Kairo und forderte, daß jenem Hussein
tausend Mark von seinem Gehalt abgezogen würden, die dem Opfer
seiner Grausamkeit zu gut kommen sollten. Dann ließ er das Gefängnis
anzünden, und weit in die Nacht hinein verkündeten die Flammen, daß es
mit solcher Tyrannei auf immer vorbei sei.

So that der weise Mann was er konnte, um die Mithilfe des Volkes für
die große Arbeit zu gewinnen, die er übernommen hatte. Er öffnete die
Thore der Stadt und erklärte den Markt frei, der bisher nur durch
»Bakschisch« den Händlern offen stand. Und gleich vom ersten Tag an
sahen die Leute die ihnen von früher in angenehmer Erinnerung stehende
Brieflade wieder, welche an der Hauptthüre des Regierungspalastes zu
dem Zweck angebracht war, daß jeder, auch der geringste, mit dem
Oberstatthalter verkehren könne, so er es begehre. Als nach einiger
Zeit Oberst Coëtlogon Khartum verließ, um seinen Weg nach Ägypten und
England zurückzufinden, gab Gordon ihm die Versicherung mit, daß die
Zurückbleibenden in der Stadt so sicher wären wie ein Spaziergänger
im Kensington Park. Was den jungen Power betrifft, so hat sich dieser
so für Gordon begeistert, daß er sich für Khartum entschied, so lang
Gordon bleibe. »Er vollbringt Wunder hier,« meldete er der Times.

Militärische Änderungen anlangend, so hatte Gordon bestimmt, daß
die eingeborenen Truppen in Khartum verbleiben, während die weiße
Mannschaft nach Fort Omderman auf der anderen Seite des Weißen Nils
sich zurückziehen sollte, wo sie mit ihren Familien und den andern
auf »Reisegelegenheit« wartenden Ägyptern bleiben würden, bis man
sie nilabwärts schaffen könnte. Einen Neger, der sich unter Bazaine
in Mexiko das Kreuz der Ehrenlegion erworben hatte, ernannte er zum
Truppenbefehlshaber, was allgemeine Befriedigung hervorrief. Seinen
Geleitsmann, den Oberst Stewart, ließ er den Weißen Nil hinauf
dampfen, damit er rekognosziere und Gordons Proklamation auch dort
bekannt mache. Auf der ersten Strecke, etwa sieben Stunden weit,
schien das Land ruhig; dann erreichte er ein aufrührerisches Dorf,
wo die Leute übrigens froh waren zu hören, daß er Frieden bringe.
Es lagen etwa fünfhundert Mann bewaffnete Rebellen in demselben. In
einem Dorf weiterhin fand sich ein Scheik, der kurz zuvor vom Mahdi
zum Bezirksstatthalter ernannt worden war, damit er die Gegend für
den Propheten gewinne. Andere Scheiks, mit denen Stewart verkehrte,
erklärten ihm, daß ihnen nichts übrig bleibe, als sich dem Mahdi
anzuschließen, wenn ihnen nicht von einer tüchtigen Regierung Schutz
würde. Ganz Gordons Ansicht, die er bis zuletzt festhielt; den Sudan
sich selbst überlassen, ehe der Mahdi aufs Haupt geschlagen ist, heißt
nichts anders, als die Leute zwingen, ihn anzuerkennen.

Der Mahdi saß zur Zeit noch in Obeid, etwa dreihundert Kilometer von
Khartum entfernt. Dort hingen ihm die Araberstämme an, deren jeder
sechs- bis achttausend Berittene ins Feld bringen konnte. Seine Macht
war zwar allem nach überschätzt worden, aber Gordon verlor keine Zeit,
es der englischen Regierung nahe zu legen, daß sein Einfluß, oder
vielmehr die Furcht vor ihm, das Land regiere, und daß es dringend
geboten sei, ihm entgegenzutreten; eine geringe Abteilung indischer
Truppen nach Wady Halfa zu beordern, würde vorläufig genügen. Man nahm
seinen Rat nicht an!

Gordons Friedensbotschaft war nun allerdings von bester Wirkung
gewesen, allein diese Wirkung erstreckte sich nicht weit über Khartum
hinaus, und selbst in dieser Stadt wurde ein Nachlassen der guten
Stimmung fühlbar, wie aus einer Proklamation hervorgeht, die Gordon
schon Ende Februar erließ, worin er strengere Maßregeln ankündigte
und solchen, die im geheimen die Rebellen begünstigten, anzeigte, daß
er ein Auge auf sie habe. Viele Stämme um Khartum her, und wiederum
zwischen dieser Stadt und Berber und Dongola, waren aufrührerisch und
mehr oder weniger eine wachsende Quelle der Sorge für ihn; während die
Bevölkerung zwischen Suakim und Kassala teils in offenem Aufruhr war,
teils den Lauf der Dinge abwartete, um an den Sieger sich zu halten.
Es war ihm klar, daß Khartum selber früher oder später keine andere
Wahl haben würde. Khartum würde sich halten, so lange er dort sei,
was aber, wenn er die Besatzungen zurückgezogen und das Land geräumt
habe? Er würde die Anarchie zurücklassen und nichts würde dem Volk
übrig bleiben, als den Mahdi anzuerkennen. Er betonte es in seinen
Depeschen immer schärfer, daß England die Verpflichtung obliege, dem
Volk die Möglichkeit einer Regierung an die Hand zu geben, die sich
werde behaupten können; es müsse dies ein Mann sein, der dem falschen
Propheten gewachsen sei, einer der Einfluß im Land habe, der die
persönliche Macht besäße, sich als Herrscher geltend zu machen, der
das Volk zusammenhalten würde, selbst wenn er es durch Furcht regiere.
Es galt zwischen zwei Übeln zu wählen, und der Mahdi war für das Land
von zwei Machthabern weitaus der schlimmere. In der Art und Weise,
wie das Volk ihm selber zugefallen war, hatte Gordon erkannt, daß es
sich nach einem kraftvollen Herrscher sehne und einem solchen sich
mit Freuden ergeben würde; er sah sich vergebens nach einem solchen
um, unter den Scheiks und kleinen Sultanen war keiner, der Manns genug
gewesen wäre, sich nur einen Tag zu halten. Er blickte weiter und sah
nur einen, der im stande wäre in die Bresche zu treten, und Gordon
schlug ihn vor -- ~es war sein Todfeind Sebehr Rachama~.


                        4. Im Stich gelassen.

Wenn eine Bombe aus blauem Himmel in die englische Welt gefallen
wäre, es hätte kein größeres Erstaunen verursacht, als die über Kairo
in London eingelaufene Nachricht, daß Gordon als beste Lösung der
Frage, wie der Sudan zu Ruhe und Ordnung zurückzubringen sei, der
britischen Regierung vorgeschlagen habe, den alten Sklavenhändler
Sebehr ins Land zu setzen, damit er es gegen den Mahdi halte. Gordons
Rat, dessen Ausführung er bis zuletzt für den richtigen, weil einzig
möglichen Ausweg hielt, ging dahin, daß England dem schwarzen Pascha
einen moralischen Halt gewähren sollte -- wie es beim Amir von
Afghanistan geschieht -- und dazu auf zwei Jahre einen jährlichen
Beitrag von zwei Millionen Mark. Zwar könne man den Türken das Land
überlassen, aber diese müßten dann noch ganz anders unterstützt
werden, abgesehen davon, daß man damit wieder eine Fremdherrschaft
aufrichte. Sebehr sei der eine Mann aus den Sudanländern selbst, der
dem Mahdi gewachsen sei; dieser könne dann immerhin als »Papst« sich
geltend machen, wenn jener als Sultan die weltliche Herrschaft in
fester Hand halte. Die Sudanesen würden ihn als ihren Landsmann mit
Freuden anerkennen und seiner Überlegenheit sich fügen, wodurch eine
einigermaßen ordnungsmäßige Regierung möglich werde, während sonst
alles in Anarchie versinke. Was die Sklavenjagd betreffe, so sei sie
einst schlimm genug unter dem schwarzen Pascha gewesen, sie würde aber
zehnmal schlimmer werden unter dem Mahdi; Sebehr sei also auch in
diesem Stück das geringere Übel von zweien. Fürs übrige wollte Gordon
den Sebehr teilweise durch Vertrauen gewonnen haben. Sebehr sollte
die ihm zugedachte Würde unter der Bedingung annehmen, daß er als
Beherrscher des Sudans kein Sklavenjäger sein werde, und Gordon wollte
es selbst übernehmen, daß diese Bedingung darum jenem nicht allzuviel
freie Wahl ließe, weil er, Gordon, die eigentlichen Jagdreviere
am Äquator seine eigene Sorge hätte sein lassen, indem er dort im
Auftrag des Königs von Belgien den Kongostaat weiter ausgestaltet und
die hilflosen Negerstämme um sich gesammelt hätte. Es war die alte
Politik Gordons, wo anderes fehlschlug, durch seine Feinde selbst das
gesteckte Ziel zu erreichen; diese Politik mag den wenigsten Leuten
einleuchten, man kann aber nur daran erinnern, daß es in Gordons
Leben an Belegen nicht fehlt, wie gerade diese Taktik zu glänzenden
Erfolgen geführt hat. Gordon war der letzte, der Sebehrs früheres
Leben guthieß, und besser als sonst jemand kannte er die Geschichte
verübter Greuel, die dieser zu verantworten hatte, ja, die er durch
den Tod seines Sohnes und seine eigene zehnjährige Gefangenschaft
hatte büßen müssen; dies aber hinderte ihn nicht, die politische
Tüchtigkeit des Mannes anzuerkennen, und da seine Energie, seine
Umsicht und sein Organisationsvermögen jetzt zu Besserem zu gebrauchen
waren als zu Aufwiegelungen und Sklavenrazzien, so riet er, diese
Eigenschaften zum Besten des Landes zu verwenden. Daß Sebehr ihn als
seinen Züchtiger haßte und unter Umständen mit eigener Hand erstochen
hätte, das kümmerte ihn keinen Augenblick, ja er ging so weit, den
Vorschlag zu machen, er und Sebehr miteinander wollten die gewünschte
Ordnung im Sudan aufrichten und miteinander würde es ihnen gelingen.
Nur ein Mann wie Gordon konnte auf solche Pläne geraten, und hätte
man ihm freie Hand gelassen, er hätte sie sicherlich ausgeführt! Daß
die überklugen Diplomaten, die seinen Antrag im Kabinettsrat mit der
Lupe der Staatswissenschaft untersuchten, sich nicht mit ihm einigen
konnten, ist begreiflich; man kann sie auch aus Gründen der Theorie
nicht tadeln, man kann aber darauf hinweisen, daß ihre Klugheit in
der Folge zu Schanden geworden ist. Freilich hätte auch Gordon eine
Täuschung erleben können, wenn man ihm Sebehr bewilligt haben würde,
aber selbst dann hätten die Resultate kaum so sein können, wie sie
jetzt geworden sind. Welche Ströme Blutes sind nicht geflossen, seit
die staatsmännische Vorsicht ihr Verdikt gesprochen hat, und wie sehr
ist der Sudan zur Zeit ein Chaos der Anarchie und Sklavenräuberei!

Der schwarze Pascha war hiernach der Punkt, wo die Meinungen
auseinandergingen, und von da ab entwickelte sich die Haltung der
englischen Politik, welche Gordon im Stich ließ.

Wie wenig Gordon bei seinen Ratschlägen der Blindheit beschuldigt
werden kann, geht aus seinem Hinweis hervor, daß die von ihm
befürwortete Ernennung Sebehrs zum Beherrscher des Sudan die reinste
Ironie des Schicksals wäre. Hatte doch Sebehr von jeher gegen die
ägyptische Regierung agiert und Aufstände angezettelt, um seine
Rücksendung zu erzwingen.

In Gordons Tagebüchern vom September und Oktober heißt es:

  »Hätte man uns den Sebehr Pascha geschickt, als ich es beantragte,
  so wäre Berber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gefallen, und man
  stünde jetzt mit einer Regierung im Sudan dem Mahdi gegenüber. Man
  hielt für gut, es wegen seiner Vorgeschichte als Sklavenhändler zu
  verweigern. Angenommen, der Grund sei ein triftiger, so ist er in
  solange trotzdem ein ganz thörichter, als wir keine Schritte thun,
  den Sklavenhandel künftighin in diesen Ländern zu hindern. Es kommt
  einfach darauf hinaus: Ich schicke den A. nicht hin, weil er das
  und das thun könnte, aber ich lasse den B. dort, der ebenfalls so
  handelt.«

  »Ich bin nicht dafür, den Sudan zu halten, es ist ein ganz nutzloses
  Land, das wir nicht verwalten könnten, und die Ägypter nach den
  neuesten Ereignissen noch weniger. Ich suche nur den Weg, ~wie
  man sich mit Ehren und mit möglichst geringen Unkosten daraus
  zurückziehen kann~ (wir dürfen nicht vergessen, daß wir an all
  diesem Wirrsal schuld sind) ... es ist für mich lediglich die Frage,
  sich mit ~Anstand zurückzuziehen~. Sebehr würde die Schaggyeh
  (einen Beduinen-Stamm) und die Khartumer beruhigen und er würde mit
  dem Mahdi ins reine kommen. Dann könnten wir das Land verlassen ...
  Soviel ist sicher, daß ihr nur mit Hilfe Sebehrs (oder der Türken)
  vor dem November 85 auf Rückzug rechnen könnt!! Die Türken wären
  unter den jetzigen Umständen die beste, wenn auch kostspieligste
  Lösung. ~Die könnten den Sudan halten~; gebt ihnen vierzig
  Millionen. Nach den Türken ist Sebehr mit zehn Millionen das Beste;
  er würde den Sudan ~eine Zeit lang~ halten. In beiden Fällen
  giebt's hier Sklavenhandel. Aber Ägypten wäre gesichert und ihr
  könntet bis Januar 85 hier fertig sein. Ist euch keiner dieser
  Auswege recht, dann seid darauf gefaßt, daß es hier noch gerade genug
  Plackerei geben und euer Feldzug schließlich ~ein völlig zweck- und
  glanzloser sein wird~.«

Hat je ein Prophet den Ausgang eines Unternehmens bestimmter
vorhergesagt?

Unterm 8. November heißt es in dem Tagebuch weiter:

  »Es liegt auf der Hand, daß wenn Sebehr mit euch käme und in quasi
  unabhängiger Stellung zum Regenten ernannt würde ... ihm die Leute
  massenhaft zufielen, die den Mahdi und seine Derwische herzlich satt
  haben, sich aber an ihn halten müssen, weil ihr das Land räumen
  wollt; sogar unsere Anhänger werfen wir dem Mahdi in die Arme.
  Sebehrs Einsetzung würde euch auch die Arbeit in der Sennar-Gegend
  sparen ... Mit den Booten, die ihr habt, hätte er die Nil-Verbindung
  bald hergestellt. Und was den Sklavenhandel betrifft, so ist der
  Mahdi zehnmal schlimmer als Sebehr, auf den man durch Hilfsgelder
  einwirken könnte, daß er in Schranken bliebe. Sebehr wäre für uns
  eine Art Vermittelung zwischen dem Davonlaufen und der fortwährenden
  Gegenwart von Truppen im Land. Der Mahdi wäre nie im stand, das Volk
  gegen Sebehr aufzuhetzen. Nur weil man den Leuten keinen Mittelpunkt
  bietet, ~müssen~ sie sich an jenen halten. Hätte man den Sebehr
  kommen lassen, der Mahdi hätte lange nicht so viel Anhang; und wäre
  er hier gewesen, so wäre Berber nicht gefallen.«

Wir haben vorgegriffen, doch ist aus diesen Mitteilungen ersichtlich,
daß Gordons Vorschlag keine plötzliche Eingebung, keine Unüberlegtheit
war; es war vielmehr ein Gedanke, der durch jede neue Erfahrung bei
ihm sich vertiefte. Es folgt hier eine frühere Depesche an Sir E.
Baring, den Vertreter Englands in Kairo, die in gedrängten Sätzen
Gordons Ansicht in der Sebehrfrage klar und eingehend darlegt.


  Khartum, den 8. März 1884.

  »Die Ernennung Sebehrs ist gleichbedeutend mit der Möglichkeit
  des Rückzugs der ägyptischen Angestellten von Khartum, sowie der
  Besatzungen von Sennar und Kassala.

  Ich sehe keine andere Möglichkeit, dies ins Werk zu setzen, als eben
  durch ihn, der als ein Eingeborner dieses Landes ein Mittelpunkt für
  die Bessergesinnten werden wird, die sich um so eher ihm anschließen
  werden, weil sie wissen, daß er sich hier in seiner Heimat
  niederlassen wird.

  Ich bin nicht der Ansicht, daß die Thatsache, dem Sebehr auf
  zwei Jahre Hilfsgelder zu bewilligen, mit der Räumungspolitik
  unverträglich wäre.

  Was das Halten von Sklaven betrifft, so könnten wir es auch dann
  nicht unterdrücken, wenn wir selbst im Sudan blieben. Ich habe immer
  gesagt, daß der Vertrag vom Jahre 1877 unausführbar ist, also würde
  Sebehrs Ernennung in dieser Hinsicht durchaus keinen Unterschied
  machen.

  Mit der Sklavenjagd hätte es nach Räumung der Bahr el Ghasal und der
  Äquator-Provinzen von selbst ein Ende.

  Sollte Sebehr nach Ablauf von zwei Jahren und nachdem er Hilfsgelder
  eingesteckt hat, sich jener Gegenden zu bemächtigen suchen, so
  könnten wir leicht von Suakim her einen Druck auf ihn ausüben,
  welcher Ort nach wie vor in unserer Hand bliebe.

  Ich halte dafür, daß Sebehr mit dem Sudan selbst und mit der
  Befestigung seiner Stellung zu viel zu thun haben wird, als daß ihm
  Zeit bliebe, sich um jene Gegenden zu kümmern.

  Was die Sicherheit Ägyptens betrifft, so war Sebehr lange genug in
  Kairo, um unsere Macht kennen gelernt zu haben; er würde es sich
  nicht leicht beikommen lassen, etwas gegen Ägypten zu unternehmen.
  Ich glaube im Gegenteil, daß er Handelsvorteile in einem Bündnis
  suchen würde, denn er ist ein geborener Krämer.

  Das Zurückziehen der Besatzungen anlangend, so habe ich bis jetzt
  nur das erreicht, daß die Invaliden, die Witwen und Kinder der in
  Kordofan Gebliebenen flußabwärts geschickt werden.

  Nach heutigem Bericht ist Sennar ruhig.

  Auch Kassala wird sich infolge von Grahams Sieg ohne Mühe halten,
  aber die Verbindung ist abgeschnitten, sowie auch die Verbindung mit
  Sennar.

  Es wird unmöglich sein, der Straße nach Kassala und Sennar Herr zu
  werden oder die ägyptischen Truppen von hier weg zu befördern, wenn
  Sebehr nicht kommt. Sein Kommen würde die ganze Sachlage ändern.

  Die Äquator-Provinzen und die Bahr el Ghasal sind soweit sicher, aber
  ich kann die dortigen Besatzungen nicht zurückziehen, ehe der Nil
  steigt, was in zwei Monaten zu erwarten ist.

  Dongola und Berber sind ruhig, aber ich fürchte, daß der Weg zwischen
  Berber und Khartum nicht lange mehr offen sein wird, denn auf der
  ganzen Strecke treiben des Mahdi Anhänger ihr Wesen.

  Am Blauen Nil ist eine Besatzung von tausend Mann von den Rebellen
  eingeschlossen, doch fehlt es ihnen nicht an Proviant; ehe der Nil
  steigt, kann ich ihnen nicht zu Hilfe kommen.

  Auch Darfur, soweit ich Nachricht habe, ist ruhig; der neueingesetzte
  Sultan läßt sich hoffentlich angelegen sein, Anhang unter den Stämmen
  zu gewinnen.

  Es ist ganz unmöglich, einen andern Mann als Sebehr mit Erfolg hier
  einsetzen zu wollen. Kein anderer hat soviel Einfluß wie er. Hussein
  Pascha Khalifa könnte nur mit Dongola und Berber fertig werden.

  Wird Sebehr nicht hierher geschickt, dann fehlt alle Aussicht, die
  Besatzung zu retten; das fällt schwer ins Gewicht zu seinen Gunsten.

  Auch ist es unmöglich, das Land zwischen Sebehr und anderen
  Häuptlingen zu teilen; keiner der andern könnte sich auch nur einen
  Tag gegen die Helfershelfer des Mahdi halten; auch Hussein Pascha
  Khalifa würde fallen.

  Die Häuptlinge weigern sich, gemeinsame Sache zu machen; Loyale und
  Rebellen stehen einander gegenüber.

  Es ist durchaus nicht zu fürchten, daß Sebehr sich je mit dem Mahdi
  unter eine Decke stecken werde. Sebehr wird hier weit größere
  Macht besitzen als der Mahdi und wird sich nicht scheuen, ihm dies
  begreiflich zu machen.

  Der Mahdi ist mit dem Papst zu vergleichen, Sebehr aber würde Sultan
  sein; da ist keine Gefahr, daß die zwei sich einigen.

  Sebehr ist dem Mahdi fünfzigmal gewachsen. Er ist auch aus guter
  Familie (ein direkter Abkömmling der Abassiden), genießt Ansehen und
  würde die Sultanwürde gut bekleiden; der Mahdi ist von all dem das
  Gegenteil und ein Fanatiker dazu.

  Ich zweifle gar nicht, daß Sebehr, dem die Stämme verhaßt sind, die
  Aufruhrsaat gesäet hat und zwar in der Hoffnung, daß man ihn dann
  hier nötig haben würde, um Ordnung zu schaffen.

  Es ist die Ironie des Schicksals, die ihm seinen Wunsch erfüllt, wenn
  er hierher geschickt wird.«

Gordon predigte mit dieser klaren Auseinandersetzung tauben Ohren, die
Minister im fernen England und außer Zusammenhang mit Land und Leuten,
erklärten Sebehrs Ernennung für eine Unmöglichkeit; die öffentliche
Meinung würde sich dagegen auflehnen, hieß es. Und als Berber von
den Rebellen bedroht wurde, zog man sich auf den Standpunkt der
Friedenspolitik zurück und verweigerte eine Truppensendung.

Schon im März 1884 war die Lage Khartums eine bedenkliche geworden.
Etliche Kilometer nördlich von der Stadt befindet sich das kleine
Halfaja, woselbst eine Truppenabteilung von achthundert Mann,
welche Gordon mit Waffen versehen hatte, von viertausend Rebellen
eingeschlossen war. Der Ort liegt am Fluß, aber neuerdings war auch
die Schiffahrt abgeschnitten. Die Besatzung hielt mutig aus und
Gordon beschloß, ihr zu Hilfe zu kommen. Die Rebellen wurden täglich
kühner und waren der Stadt selbst schon so nahe gerückt, daß ihre
Kugeln den Palast erreichten. Es schien, als ob man sich auf die
Verteidigung Khartums beschränken müsse, allein der Versuch, jene
Getreuen zu entsetzen, sollte gemacht werden. Gordon hatte drei
Dampfer kriegstüchtig gemacht und mit Geschütz versehen; mit diesen
und zwölftausend Mann zog er aus. Nach zwei Tagen hatte er mit
Verlust von zwei Mann die Belagerten entsetzt, und mit der Besatzung
von Halfaja, ihren Kamelen und Pferden und einem beträchtlichen
Vorrat von Kriegsbedarf kehrte er nach Khartum zurück. Der Jubel in
der Stadt soll keine Grenzen gekannt haben, aber nur zu bald stand
der öffentlichen Freude die Unglückspost gegenüber, daß Schendi den
Rebellen erlegen und Berber bedroht sei. Die Khartumer selbst erlebten
auf ihren Sieg eine böse Niederlage. Denn als die Rebellen fortfuhren,
sich in der Nähe der Stadt zu postieren und den Palast zu beschießen,
beschloß Gordon einen zweiten Ausfall, den er den ägyptischen Truppen
unter ihren eigenen Offizieren übertrug. Er selbst beobachtete die
Bewegungen vom Dach des Palastes aus. Die feindliche Linie erstreckte
sich mehrere Kilometer weit am Blauen Nil hin. Die Ägypter drangen
stetig vor und der Feind zog sich hinter die Dünen zurück, die,
teilweise mit Bäumen und Strauchwerk bewachsen, eine natürliche
Schutzwehr bilden. Es schien, als ob die Rebellen den Kampf weigern
wollten, und die andern rückten ihnen nach, ihre Anführer voraus,
bis diese wie von einem plötzlichen Schrecken ergriffen unversehens
kehrt machten und auf ihre eigene Mannschaft eindrangen. Es entstand
Unordnung; in die gebrochenen Reihen stürzten sich die berittenen
Rebellen und die Flucht der Ägypter war die Folge. Ein Rebell
durchrannte mit seinem Speere sieben Flüchtlinge in sieben Minunten.
Das fürchterlichste Gemetzel zog sich bis in die Nähe von Khartum. Es
war in jeder Hinsicht eine schimpfliche Niederlage. Die überbleibende
Mannschaft aber war laut in der Anklage gegen ihre beiden Anführer,
welche den ganzen Reißaus ins Werk gesetzt hatten. Es wurden sogar
Beweise beigebracht, daß einer derselben einen Kanonier zu Boden
schlug, der sein Geschütz gegen den Feind richten wollte. Sieben
Stunden nach dem Gefecht lagen noch Verwundete umher; zum Glück waren
es nur zwanzig, denn die Araber machten den Verwundeten den Garaus wo
sie konnten. Oberst Stewart holte sie heim mit einem der Dampfer und
brachte sie ins Lazaret. Weithin lagen die Erschlagenen, zweihundert
an der Zahl, während der Feind nur vier Mann eingebüßt hatte.

Den beiden Anführern wurde übrigens ihr Lohn zu teil; die Leute
brandmarkten sie einstimmig als Verräter, welche absichtlich
gegen ihre Mannschaft kehrt gemacht hatten, um für den Feind eine
Öffnung zu gewinnen. Beide Pascha, Said und Hassan, wurden vor ein
Kriegsgericht gestellt und erschossen. In Hassans Wohnung fand sich
ein beträchtlicher Waffenvorrat vor, und es ergab sich überdies, daß
beide den Truppen ihre Löhnung vorenthalten und selbst eingesteckt
hatten. Sie hatten es offenbar darauf abgesehen, früher oder später
zum Feinde überzugehen. Die Stimmung Khartums litt übrigens nicht
durch diese Niederlage. Die Bevölkerung war voll guter Zuversicht zu
ihrem Statthalter und es fehlte nicht an handgreiflichen Beweisen
der Opferwilligkeit. Ein wohlhabender Araber bot Gordon ein
unverzinsliches Darlehen von siebentausend Thaler an, ein anderer war
erbötig, zweihundert Mann auf eigene Kosten zu bewaffnen. Die Stadt
war bereit, sich an Gordon zu halten, der sie seinerseits nicht im
Stich lassen würde. Die Rebellen schickten täglich ihre Grüße über die
Mauern und schienen es besonders auf den Regierungspalast abgesehen zu
haben, der nach kurzer Zeit mit Kugeln gespickt war. Den Statthalter
selbst, der viele Stunden auf seinem Dach verbrachte, traf keine;
sie fielen zu seiner Rechten, sie fielen zu seiner Linken, er selbst
schien gefeit wie früher.

Dem falschen Propheten hatte Gordon anbieten lassen, er wolle ihn zum
Sultan von Kordofan ernennen, wenn er zu unterhandeln bereit sei.
»Ich bin der Mahdi,« lautete die großartige Antwort. Drei bewaffnete
Derwische erschienen eines Tages vor Khartum und begehrten Audienz.
Sie wurden vor Gordon gebracht. Ihr Auftrag war, die Feierkleider
zurückzubringen, die dieser dem Mahdi als Friedensgeschenk übersandt
hatte. Darauf produzierte sie ein Derwischgewand, das Gordon anlegen
sollte, um sich damit als Muselman und Anhänger des Propheten Mohammed
Achmet, des Mahdi, zu bekennen. Es läßt sich denken, daß jener mit
nicht allzuviel Zeremonie für die zugedachte Ehre sich bedankt hat.
Von Stund an war es klar, daß von einer Räumung des Landes keine
Rede sein konnte, wenn nicht der Mahdi wie einst Pharao mit Gewalt,
im gegenwärtigen Falle mit Waffengewalt, belehrt wurde, daß er diese
Leute müsse ziehen lassen. Auf britische Truppen aber war nicht
zu rechnen und Gordon sah, daß ihm nichts weiter übrig blieb, als
selbst zu handeln; auch war er rasch entschlossen und erließ an alle
ägyptischen Truppen, welche durch die Wüste nordwärts zogen, den
telegraphischen Befehl zurückzukehren.

Es läßt sich hier passender Weise Gordons Ansicht über den Abfall vom
Glauben einschalten. Vorausgeschickt sei die Bemerkung, daß der Mahdi
nicht alle Europäer in diesem Stück so fest fand wie unsern Helden.
Als Obeid in die Hände des falschen Propheten fiel, soll nur einer
der dortigen römischen Missionspriester Treue gehalten haben, alle
andern mitsamt den Nonnen trieb die Angst dem Mohammedanismus in die
Arme. Die letzteren gingen sogar noch weiter, und traten mit dortigen
Griechen in ein nominelles Ehebündnis, um sich vor Gewalt zu schützen.
Da wird der Papst einen schönen Lärm schlagen, meinte Gordon, das ist
ja eine Union der katholischen Kirchen. Es ist übrigens nicht dieser
Scherz, worauf wir hinweisen wollten, sondern auf folgende Stelle in
seinem Septembertagebuch:

  »Was die an den Mahdi und an verschiedene Araber-Häuptlinge
  geschriebenen Briefe anlangt, so gebe ich zu, daß sie scharf waren,
  aber es ist keine Kleinigkeit, wenn ein Europäer aus Furcht vor dem
  Tod seinem Glauben abschwört; es war nicht so vor alters, und sollte
  auch heute nicht so leicht von statten gehen, wie das Vertauschen
  eines Rockes mit einem andern. Wenn der christliche Glaube auf
  Einbildung beruht, dann werft ihn immerhin ab; aber es ist niedrig
  und ehrlos das zu thun, um sein Leben zu retten, wenn man ihn für
  den wahren Glauben hält. Was kann stärker sein als diese Worte: ›Wer
  mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen
  vor meinem himmlischen Vater!‹ Die alten Märtyrer betrachteten solche
  als ihre Feinde, die sie davon abzuhalten suchten, ihren Glauben frei
  zu bekennen. Und was für Männer hatten wir in England zur Zeit der
  Glaubensverfolgungen, als die Reformation sich Bahn brach, und damals
  galt es nicht um das, um was es hier gilt; es handelte sich dort nur
  um die Messe, während es sich hier um unsern Herrn und sein Leiden
  handelt.... In politischer wie moralischer Hinsicht ist es besser für
  uns, nichts mit den abtrünnigen Europäern im arabischen Feldlager zu
  thun zu haben. Verrat führt nie zu gutem Ende, und mag es uns gehen
  wie es will, so ist es besser wir fallen mit reinen Händen ..... Mit
  Ehren zu erliegen, ist besser als ein Sieg mit Unehren, und auch die
  Ulema in der Stadt sind dieser Meinung. Sie wollen nichts mit Verrat
  zu thun haben.«

Wo im obigen Punkte stehen, hatte Gordon angemerkt, wenn die
Tagebücher je gedruckt würden, sei es vielleicht gut, die ganze Stelle
zu unterdrücken, denn kein Mensch habe das Recht, einen andern zu
richten.

Es mag eine schwere Zeit inneren Kampfes für Gordon gewesen sein, als
es ihm aus den englischen Depeschen immer klarer wurde, daß man ihm
nicht nur die Hilfe Sebehrs verweigerte, sondern überhaupt gesonnen
war, ihn sich selbst zu überlassen -- Krieg sollte vermieden werden;
und das Schlimmste war noch, daß die Hälfte der abgesandten Depeschen
ihn gar nicht erreichte. Es fehlte nicht an dringenden Vorstellungen
seinerseits, und wochenlang schien Schweigen die Antwort zu sein. Wohl
war er mit dem Gedanken ausgezogen, daß er als ein Friedensapostel
kraft seines persönlichen Einflusses die ihm übertragene Mission
erfüllen solle. Daß seine Regierung ihm aber gegebenen Falls unter die
Arme greifen, daß sie ihn mindestens nicht im Stich lassen würde, das
sollte keiner Vorversprechungen bedurft haben! Gordon hatte wieder und
wieder erklärt, daß es ganz unmöglich wäre, die ägyptische Besatzung
von Khartum zurückzuziehen, ohne die Stadt dem Mahdi zu überantworten
und, was noch schlimmer wäre, die ägyptischen Besatzungen von Kassala,
Sennar, Berber, Dongola und weiterhin in der Bahr el Ghasal ihrem
Schicksal zu überlassen; dies aber erschien ihm als eine Feigheit,
zu der er die Hand nicht bieten wollte. Was den Aufstand an sich
betrifft, so war Gordon der Ansicht, daß es zu jener Zeit noch
nicht tausend Mann englischer Truppen bedurft hätte, um gründlich
aufzuräumen. Und als es klar war, daß englisches Militär zu diesem
Zweck nicht vorhanden sei, kam er um die Erlaubnis ein, an die Türken
zu appellieren; auch dies wurde ihm verweigert. Es war um diese Zeit,
im März, daß der verlassene Held in einer eigentümlichen Depesche der
englischen Regierung wie den ägyptischen Behörden seinen Dank für
alle bisherige Beihilfe aussprach und die Erklärung beifügte, die
betreffenden Machthaber hätten alles gethan, was von ihnen zu erwarten
sei. Gordons englischer Biograph, Hake, macht darauf aufmerksam, daß
diese Worte, so satirisch sie auf den ersten Blick erscheinen, auch
nicht die Spur von Hohn enthalten, daß sich vielmehr die einfache
und männliche Haltung des Mannes darin auspräge, von Stund an die
Verantwortung der Lage auf ~seine~ Schultern zu nehmen als einer,
der sich gezwungen sieht, der Übermacht der Umstände nach bestem
Ermessen in eigener Kraft entgegen zu treten. In der Freiheit des
Handelns aber lag die eine Hoffnung, die Tausende zu retten, deren
Ankerpunkt er war. Es liegt etwas unendlich Rührendes darin, daß
Gordon sich, abgesehen von seinem Pflichtgefühl überhaupt, für die
ägyptischen Besatzungen aufopferte, für Menschen, die er im besten
Fall immer nur als »Schafe« kennen gelernt hatte und von denen er
nie viel Gutes sagen konnte. Diese Thatsache ist nicht der geringste
Edelstein in der Krone des unvergleichlichen Mannes. Ein schönes
Streiflicht hiezu giebt uns sein Tagebuch unterm 27. Oktober:

  »Nicht weil ich dieses Volk hochachte, befürworte ich es, ihnen
  zu helfen, sondern weil sie ein so kraftloses, selbstsüchtiges
  Geschlecht sind, und weil dies die Frage unserer Pflicht ihnen
  gegenüber nicht beeinflussen kann. Die Erlösung der Menschen hätte
  nicht stattgefunden, käme unser Verdienst dabei in Betracht.« Und
  anderswo: »es ist ja gerade, ~weil~ wir so unwert sind, daß der
  Herr uns erlöst hat.«

Selbst im eigenen Lager war Gordon vor Verrat nicht sicher, und die
Wohlgesinnten waren ein verzagtes Volk. Hake vergleicht ihn treffend
mit dem kühnen Schiffsführer, der mit fester Hand ans Steuer tritt,
um, so es möglich ist, die ihm anvertrauten Seelen in der Sturmnot
zu retten. Ein Segel am Horizont war in Sicht gewesen, ja die eigene
englische Flagge, aber trotz seiner Notsignale beharrte der ferne
Segler auf seiner Bahn. Man hatte ihm nur zurücksignalisiert: »Ihr
habt Boote und könnt euch davonmachen; laßt das Schiff sinken, es
ist doch nicht zu retten.« Nicht so der Tapfere; trug sein Schiff
doch kostbare Dinge, Schätze, die er nicht gering achtete, als da
sind die Ehre des Mannes und die des Volkes, dem er angehört, und
Gerechtigkeit, ja Erbarmung gegen die Hilflosen, die an ihn sich
halten. Ist sein Schiff anderen nicht so viel wert, daß sie es retten,
so will er thun was er kann, und lieber mit versinken, als ehrlos
davongehen. Er ruft sein Schiffsvolk zusammen und sagt ihnen: »Selbst
ist der Mann!« Er heißt sie die nutzlose Notflagge einziehen und zeigt
ihnen, wie das lecke Schiff noch flott zu halten ist. Er beseelt sie
mit einem Heldenmut und die Verzagenden legen Hand an, seiner Führung
vertrauend. Wohl hätten sie Rettungsboote, sagt er ihnen, aber nicht
für alle, und wer die eigene Haut retten wolle, der könne es immerhin
versuchen. Die Sturmflut steigt, Wellen türmen sich auf Wellen, und
zwischen den Wogen gähnt das Grab. Das ferne Segel, die ihm teure
Flagge verschwindet am Horizont. Wohl kostet es ihn bitteren Schmerz,
doch wächst der Mut ihm mit der Not. Noch ist es Tag, er will thun,
was er kann als Schiffsherr und Steuermann; und kommt die Nacht, so
ist Gott über ihm und ist auch dann noch da, wenn kein Polarstern mehr
leuchtet.

Und Gordon blieb in Khartum, als englische Saumseligkeit sich
zurückzog. Wer will es ihm verargen, daß die Haltung der Regierung,
auf die er sich verlassen hatte, ihn mit Entrüstung erfüllte? Mit
nackten Worten meldete er derselben, daß, möchten sie thun, was sie
verantworten könnten, er nie und nimmer eine Besatzung verlassen
werde, die an ihn sich klammere, daß er allen und jeden Versuch machen
werde sie zu retten, ob solche Versuche auf den Leisten der Diplomatie
paßten oder nicht. Die Khartumer hätten ihm ihr Geld geliehen, er
hätte sie veranlaßt ihr Getreide billig zu verkaufen, er könne sein
Schicksal von dem ihren nicht trennen.

  »Soweit ich die Lage beurteilen kann,« telegraphierte er am 5. Mai
  an Sir E. Baring, der für ihn die englische Regierung vertrat, »ist
  sie einfach die: Sie erklären es als Ihre Absicht, weder Khartum
  noch Berber mit Truppen zu Hilfe zu kommen, und Sie verweigern mir
  Sebehr. Ich betrachte mich unter diesen Umständen frei, zu handeln
  wie die Lage gebietet. So lange es möglich ist, werde ich hier
  feststehen, und wenn ich den Aufruhr unterdrücken kann, werde ich
  es thun. Vermag ich es nicht, dann ziehe ich mich an den Äquator
  zurück und ~überlasse Ihnen den unauslöschlichen Schimpf, die
  Besatzungen von Sennar, Kassala, Berber und Dongola im Stich gelassen
  zu haben, mit der Gewißheit obendrein, daß Sie den Mahdi früher oder
  später doch noch werden vernichten müssen -- und dann unter größeren
  Schwierigkeiten als jetzt -- wenn Sie anders Ägypten nicht auch
  fahren lassen wollen.~«

Dieses Telegramm war sozusagen Gordons letzter Hilferuf an die
englischen Minister; er verhallte ungehört. Die Stimme des Volkes
zwar erhob sich und wollte den Helden nicht verlassen sehen. Auch im
Parlament kam die Sache wieder und wieder zur Sprache. Lord Granville
erklärte, daß wenn Gordon sich verlassen fühle, es nur deshalb
sein könne, weil die englischen Telegramme ihn nicht erreichten;
und Gladstone gab die keiner Auslegung bedürfende Erklärung ab,
daß es Gordon jederzeit frei stünde, seinen Auftrag niederzulegen
und nach England zurückzukehren! Die öffentliche Meinung in jenen
Tagen glich einer wogenden See; Gordons Telegramm konnte nichts
anderes als Teilnahme hervorrufen. In einer Versammlung englischer
Bürger wurde einstimmig erklärt: »Wir verwerfen die Politik, die im
Begriff ist, Gordon im Stich zu lassen, als eine unwürdige und das
Land entehrende.« Und sowohl in dieser Versammlung als anderwärts
wurde darauf hingewiesen, daß Gordons eigenartige Mission selbst den
Ministern gegenüber von der Voraussetzung nicht zu trennen wäre, daß
er nach seiner Einsicht handeln müsse, und daß man ihm, als er die
Sendung übernahm, zu verstehen gegeben hätte, Unterstützung würde
ihm nötigenfalls werden. Es seien leere Versprechungen gewesen; er
habe um Geldmittel telegraphiert, man habe sie ihm verweigert; er
habe nachgewiesen, daß Sebehr die beste Lösung der Frage sei, man sei
ihm entgegengetreten; er habe um Truppen nachgesucht, man habe ihn
benachrichtigt: er dürfe nicht darauf rechnen.

Selbst Privatpersonen erklärten sich bereit, für die Regierung
in die Bresche zu treten. Eine wohlhabende Dame bot in der Times
hunderttausend Mark an, in der Hoffnung, daß durch freiwillige
Beiträge eine genügende Summe zusammenkommen würde; anderthalb
Millionen Mark wurden gezeichnet, eine Schar Freiwilliger sollte
ausziehen, um England die Schande zu ersparen, den Helden und seine
beiden opferwilligen Gefährten umkommen zu lassen, es wurde nicht
genehmigt. Der Horizont wurde täglich dunkler. Dringende Mahnrufe
ergingen an die Regierung von dem belagerten Berber; man könne nicht
helfen, hieß es. Hilfe thue dort in sechzehn Stunden not, und ein
Zuzug brauche ebenso viele Wochen. Daher unterblieb er. Das letzte,
was man von Berber hörte, war die Botschaft, daß Hussein Khalifa
die Stadt nur noch mit der Hoffnung halte, daß englischer Entsatz
auf dem Wege sei; und als sich die Hoffnung als eine leere erwies,
hieß es auch dort: Wir sind verlassen, wenn Gott uns nicht hilft.
Von Kairo war Nachricht nach London gekommen, daß in Berber ein
panischer Schrecken den Rebellen in die Hände arbeite, und wenn die
telegraphische Verbindung nach Khartum noch einmal benutzt werden
solle, dann sei keine Zeit zu verlieren.

Und Berber fiel, unter Greuelszenen, wie sie den Sudan-Krieg
kennzeichnen. Es war das Vorspiel für Khartum. Es war die Brandglocke.
Noch wäre es Zeit gewesen, um dort zu löschen, allein man schlief
ruhig weiter, ob nicht ein Regenguß vom Himmel, oder sonst was zu
Hilfe käme und eigene Anstrengung ersparte. Und Schweigen fiel auf
die verlassene Stadt. Depeschen blieben aus, man wußte nicht mehr
wie es dort ging. Fünf Monate lang keine Nachricht oder doch nur
unzuverlässige Gerüchte. Doch das wußte, wer es wissen wollte -- sein
vergangenes Leben bürgte dafür -- daß Gordon die Pflicht für sein Volk
wie ein Held erfüllte. Hatten die Seinen ihn verlassen, so war Gott
mit ihm, und er wagte den Kampf.


                     5. Mannhaft auf dem Posten.

Gordon verlor keine Zeit, die Verteidigung Khartums ins Werk zu
setzen. Seine erste Sorge war der Proviant. Es ergab sich, daß die
Stadt eine fünfmonatliche Belagerung würde aushalten können. Den Armen
wurde eine tägliche Ration bewilligt. Der leeren Kasse half er durch
Papiergeld auf, und es beweist das Vertrauen der Leute, daß ihnen sein
Wort für Zahlung galt. Auf diese Weise hielt er sein unzuverlässiges
Militär zusammen und verhinderte wenigstens um jene Zeit das
Desertieren. Um die Stadt her legte er Sprengminen, und in Erwartung
der unbeschuhten Füße etwaiger Sturmläufer war der Boden weithin mit
Glasscherben und zu ähnlichen Zwecken angefertigten Stachelnüssen
bestreut, nämlich mit eisernen Nüssen, die, wie sie auch fallen, eine
oder mehrere ihrer Spitzen nach oben kehren. Zwischen den Minen waren
Drahtangeln angebracht, um den anlaufenden Feind zu Fall zu bringen.
Gordon war entschlossen, sich und die Stadt so teuer als möglich zu
verkaufen. An Schießbedarf fehlte es glücklicherweise nicht. Auch ließ
die Gesundheit der Stadt nichts zu wünschen übrig, und der Nil war im
Steigen; letzteres war ein Hauptfaktor in Gordons Berechnung, welcher
sich bei dem Angriff auf die Rebellen hauptsächlich auf seine Dampfer
verließ.

Keine Woche verging, ehe er die Scharte der Dünen-Niederlage
auswetzte, und zwar eben durch einen der Dampfer, der mit einer
Kruppkanone unter den Rebellen aufräumte. Es war Gordons Genie,
das aus gewöhnlichen Nilbooten Kriegsschiffe schuf, die ihrem
Zweck vollkommen genügten. Manchen heißen Arbeitstag verwandte
er selbst darauf, diese Schiffe mit Eisenplatten und mehrfach
übereinandergelegten Holzdielen zu panzern und zum Spießrutenlaufen
zwischen den von den Rebellen besetzten Ufern kugelfest zu machen.
Seine Dampfer begleiteten sechs Barken, auf denen er zwanzig Fuß hohe
Türme errichtete, die seine Schützen trugen. Die Flotte muß einen
seltsamen Anblick gewährt haben, Gordon war aber offenbar stolz auf
ihre Tüchtigkeit.

Saati Bey war Flottenführer. Fast täglich wagte das kleine Geschwader
den Ausfall aus der blockierten Stadt und kehrte öfters mit Beute
-- Vieh und Getreide -- zurück, was nicht mit Geld aufzuwiegen war.
Überhaupt konnte Gordon nur auf die Schiffe rechnen, wie aus seiner
nicht ohne bitteren Humor abgefaßten Notiz hervorgeht:

 »Unsere Dampfer halten sich prächtig; das ist ein Vorteil zu Wasser,
 daß die Mannschaft nicht davonlaufen kann, sondern wohl oder übel
 stand halten muß!«

Es fehlte auch nicht an kleinen Gefechten, wodurch wenigstens das
erreicht wurde, daß man sich die Rebellen auf Armslänge vom Leibe
hielt; einen Angriff auf die Stadt selbst wagten dieselben nicht
mehr, nachdem sie mit den Sprengminen Bekanntschaft gemacht hatten.
Als Berber gefallen war, schlossen sich an den Mahdi auch die
Schaggyeh-Beduinen an, die das Land nordwärts von Khartum inne hatten.
Damit war die Isolierung der Stadt eine vollständige.

Die Spannung in England nahm mit den Sommermonaten zu. Bei dem
Ausbleiben aller glaubwürdigen Nachrichten malte man sich die Lage der
Stadt noch schlimmer aus, als sie damals in Wirklichkeit war; man sah
sie dem hohläugigen Hunger einerseits, den fanatischen Horden des
Mahdi andererseits in die Arme fallen, man sah den heroischen Gordon
mit seinen tapferen Gefährten, wie sie, von aller Welt verlassen,
den sinkenden Mut von Tausenden aufrecht erhielten, obschon ihnen
selbst kein Hoffnungsstern leuchtete. Und als endlich verlautete, der
Regierung habe das Gewissen geschlagen und Entsatzungstruppen würden
abgehen, da hielt mancher dafür, wie es sich ja leider auch als wahr
erwiesen hat, daß das Ministerium der Verspätungsmaßregeln auch hier
wieder mit dem guten Willen hinterdrein kommen werde.

Am 29. September, nach fünfmonatelangem Schweigen brachte die Times
Nachrichten von Khartum. Die Aufzeichnungen Powers[15] waren am Abend
vorher angelangt, und das englische Volk las mit klopfendem Herzen,
wie es den drei Söhnen Englands in der belagerten Nilstadt erging;
hatte man doch die Hoffnung aufgegeben, je wieder Beruhigendes von
ihnen zu vernehmen. Die hier folgenden Notizen zeigen mit der Kürze
von Depeschen, wie Gordon, Stewart und Power zwischen dem ersten Mai
und letzten Juli mannhaft auf ihrem Posten standen und Khartum bis
dahin gehalten hatten.

»1. Mai. -- Der befehlende Offizier der Sappeurs legte eine Sprengmine
mit achtundsiebzig Pfund Pulver, trat aber unglücklicherweise selbst
darauf und wurde mit sechs seiner Leute zerschmettert.

»3. Mai. -- Ein Mann berichtet von einer englischen Armee in Berber.

»6. Mai. -- Energischer Angriff seitens der Araber auf die
Befestigungen am Blauen Nil; die Minen, die wir bei Buri legten,
brachten ihnen große Verluste.

»7. Mai. -- Starker Angriff von einem gegenüberliegenden Dorf;
neun Minen explodierten und wir hörten nachher, daß es die
Rebellen einhundertundfünfzehn Tote kostete. Die Araber schossen
ununterbrochen. Oberst Stewart vertrieb sie mit zwei prächtigen Salven
aus einem vor dem Palast aufgestellten Kruppschen Zwanzigpfünder
aus ihrer wichtigsten Stellung. Während der Nacht brachen sie
Schießscharten in die Mauern, aber am 9. verjagten wir sie, nachdem
sie das Dorf drei Tage innegehabt hatten.

»25. Mai. -- Oberst Stewart, durch eine feindliche Kugel verwundet,
während er eine Mitrailleuse vor dem Palast leitete, ist jetzt wieder
hergestellt.

»26. Mai. -- Bei einem Manöver auf dem Weißen Nil schoß Saati Bey eine
Bombe in ein arabisches Pulvermagazin. Gewaltige Explosion, an sechzig
Bomben platzten.

»Während der Monate Mai und Juni tägliche Dampferexpeditionen unter
Saati Bey. Unsere Verluste unerheblich. Viel Vieh eingebracht.

»25. Juni. -- Cuzzi, der englische Konsul von Berber, der bei den
Rebellen ist, brachte unsern Linien Bericht vom Fall Berbers. Er ist
auf dem Weg nach Kordofan.

»30. Juni. -- Saati Bey hat den Rebellen vierzig Ardeb Korn abgejagt,
und zweihundert Araber sind dabei gefallen.

»10. Juli. -- Saati Bey machte einen Angriff auf Gatareeb, nachdem er
Kalkala und drei andere Dörfer in Brand gesteckt hatte; er und drei
seiner Offiziere fielen. Saatis Verlust ist keine Kleinigkeit.

»29. Juli. -- Wir haben die Rebellen aus Buri am Blauen Nil verjagt;
es hat sie viel Tote gekostet, uns ziemlich Munition und achtzig
Gewehre eingetragen. Die Dampfer rückten bis El-Efan vor, säuberten
dreizehn Schanzen und zerschmetterten zwei Kanonen. Die ganze
Belagerung bisher hat uns keine siebenhundert Mann gekostet.

»31. Juli. -- Mit dem heutigen schließt der fünfte Monat der
Belagerung. Gestern schickte ich über Kassala einen übersichtlichen
Bericht über unsere Lage und die hauptsächlichsten Ereignisse seit dem
25. März. Bis 23. April ging wöchentlich mehrmals Nachricht ab; nach
diesem Datum war's unmöglich Botschaft nach Berber zu bringen. Wir
sind jetzt seit fünf Monaten eng belagert, die arabischen Geschosse
erreichen den Palast von allen Seiten.

»Seit 17. März ist kein Tag ohne Beschießung vergangen, trotzdem
berechnen sich unsere Toten von Anfang an höchstens auf siebenhundert.
Verwundungen, die im ganzen leicht sind, gab's viele. Seit die Stadt
eingeschlossen ist, läßt General Gordon den Armen Zwieback und Korn
verabreichen, und bis jetzt hat niemand ernstlich Not gelitten. Aber
Teuerung herrscht, und die Lebensmittel sind enorm im Preis gestiegen;
Fleisch, wenn man's überhaupt kriegen kann, kostet acht oder neun
Schilling per Ober. Die Klassen, die sich nicht unterstützen lassen
können, leiden am meisten.

»Mit der Nachricht, die uns vorgestern erreichte, ist unsere letzte
Hoffnung dahin, daß unsere Regierung uns zu Hilfe kommen werde. Wir
haben noch Mundvorrat auf zwei Monate, und dann bleibt uns nicht
übrig als zu fallen. Mit den Truppen, die uns zu Gebot stehen, und
den vielen Weibern und Kindern ist es ganz unmöglich daran zu denken,
sich durch die Araber durchzuschlagen. Wir haben nicht genug Dampfer,
um alle fortzuschaffen, und nur mit Hilfe der Dampfer können wir den
Rebellen begegnen.

»Ein berittener Araber genügt, um zweihundert von unserer Mannschaft
in die Flucht zu schlagen. Als Saati Bey fiel, hatten ihrer acht mit
Speeren zweihundert der unsern angegriffen, deren jeder sein Gewehr
trug. Die Kerle nahmen sofort Reißaus und kümmerten sich nicht darum,
daß Saati und sein Vakil erschlagen wurde. Ein schwarzer Offizier hieb
drei jener Araber zusammen, und die anderen fünf genügten, die ganze
Truppe der unsern davonzujagen. Ein Berittener, der dazu kam, sprengte
durch die flüchtige Schar und schlug sieben zu Boden. Oberst Stewart,
der keine Waffen trug, kam wie durch ein Wunder davon; die Araber
hatten ihn nicht gesehen. Was kann man mit solchen Truppen anfangen?
Die Neger sind die einzigen, auf die wir uns verlassen können.

»Der Ausfall der schwarzen Mannschaft unter Mehemet Ali Pascha am
28. dieses war glänzend; die Araber müssen schwere Verluste gehabt
haben. General Gordon hat es den Soldaten verboten, die Köpfe der
erschlagenen Rebellen einzubringen, die Zahl läßt sich daher nur
mutmaßen. Wir eroberten bei dieser Gelegenheit sechzehn Bomben,
ziemlich viel Kartätschen und Patronen, eine schöne Anzahl Gewehre, an
zweihundert Lanzen, sechzig Schwerter und einige Pferde. Wir hatten
vier Tote und etliche Leichtverwundete. Dieser Sieg hat uns die
Rebellen eine Zeit lang vom Hals geschafft, die unsere Linien bei Buri
am Blauen Nil unablässig, selbst nachts, beschossen.

»Den folgenden Tag, am 29. dieses, rückte unser Geschwader, d. h. fünf
Kriegsdampfer und vier mit Türmchen und Geschütz versehene Barken,
nach Giraffa am Blauen Nil vor. Ich ging mit. Wir säuberten dreizehn
kleine Forts, stießen aber bei Giraffa auf zwei beträchtlichere
Verschanzungen -- Erdwälle mit starken Palissaden aus Palmstämmen.
Die eine trug zwei Kanonen. Wir beschossen diese Verschanzungen acht
Stunden lang, bis wir die beiden Kanonen mit unserem Kruppschen
Zwanzigpfünder endlich zum Schweigen brachten. Die Gewehre der
Araber knatterten unaufhörlich; unsere Panzerboote aber können einen
Kugelregen aushalten, und so hatten wir nur drei Tote bei zwölf oder
dreizehn Verwundeten. Gegen Abend verjagten wir die Rebellen, die
ziemlich zahlreich waren.

»In etwa drei Tagen beabsichtigt General Gordon zwei Dampfer gegen
Sennar zu schicken. Wir hoffen, daß sie den Dampfer »Mehemet Ali«
wieder kapern, den die Rebellen dem Saleh Bey neulich abjagten.
General Gordon ist wohl auf, und Oberst Stewarts Wunde ist wieder
heil. Auch ich bin wohl und guter Dinge.«

Man atmete auf in England bei dieser Nachricht und war stolz auf
die drei Tapferen, die sich so rühmlich hielten. Und ob der Freude
vergaß man im ersten Augenblick, wie lange die Botschaft unterwegs
war! »~Wir haben noch Mundvorrat auf zwei Monate und dann bleibt
uns nichts übrig, als zu fallen~,« so schrieb man am 31. Juli in
Khartum, und am 29. September wiederhallten diese Worte in England.
Noch ein Tag fehlte an der gesteckten Frist. Wie stand es jetzt um
Khartum?

Am 30. Juli schrieb Gordon an Sir E. Baring:

  »Besten Dank für Ihre guten Wünsche. Der Nil ist jetzt hoch, und wir
  hoffen, in wenigen Tagen offene Route nach Sennar zu haben. Unsere
  Verluste bis jetzt sind nicht ernstlicher Art. Stewart war leicht
  verwundet, ist aber wieder hergestellt. Seien Sie überzeugt, daß
  wir diese Gefechte nicht suchen, aber wir haben keine andere Wahl,
  denn der Rückzug wäre nur dann möglich, wenn wir die Zivilbeamten
  und ihre Familien im Stich ließen, wogegen die allgemeine Stimmung
  der Truppen sich auflehnt. Ich habe keinen Rat zu geben. Wenn wir
  Sennar entsetzen und den Blauen Nil säubern können, wären wir stark
  genug, Berber zurückzuerobern, d. h. wenn Dongola sich halten kann.
  Nicht ein Pfund von Ihren Hilfsgeldern ist hier angelangt; es ist
  dem Feind in Berber in die Hände gefallen. Und ich mißgönne es
  den Arabern nicht, denn es ist doch nur ein Teil von dem, was die
  ägyptischen Pascha dem Land erpreßt haben. Es sollten vier Millionen
  Mark nach Kassala geschickt werden; man muß diesen Besatzungen
  wenigstens mit Geld zu Hilfe kommen. Khartum kostet zehntausend Mark
  per Tag. Wenn der Weg nach Berber frei wird, werde ich Stewart mit
  dem Tagebuch hinschicken, d. h. wenn er einwilligt. Das dürfen Sie
  glauben, wenn es irgend eine Möglichkeit gäbe, dieses erbärmliche
  Scharmützeln einzustellen, so würde ich sie ergreifen, denn mir ist
  der ganze Krieg verhaßt. Die Leute sind dagegen, daß ich die Stadt
  verlasse, aus Furcht, daß alles noch schlimmer würde, wenn mir
  etwas zustieße; so sitze ich immer auf Sohlen, wenn die Mannschaft
  draußen ist. Wenn ich irgend jemand hier ans Ruder stellen könnte,
  so würde ich es thun, aber es ist niemand da; alle tüchtigen Kräfte
  zogen mit Hicks aus und sind geblieben. Als Beweis, wie gut die
  Araber schießen, hat der eine Dampfer neunhundertundsiebzig und der
  andere achthundertundsechzig Verletzungen im Rumpf. Seit unserer
  Niederlage am 16. März haben wir nur etwa dreißig Tote und fünfzig
  oder sechzig Verwundete gehabt, was sehr wenig ist. Wir haben wohl
  eine halbe Million Patronen verschossen. Die Leute halten sich
  im ganzen gut ... Es mag taktlos klingen, aber wenn wir je davon
  kommen, so geben Sie dem Stewart einen Orden, aber nur mir nicht.
  Ersparen Sie mir die Unannehmlichkeit es abzulehnen, aber ich hasse
  solches Zeug. ~Wenn~ wir davonkommen, so ist es lediglich durch
  Gebetserhörung und nicht aus eigener Kraft; fürs übrige ist's dann
  eine Genugthuung, hier gewesen zu sein, so trostlos es manchmal ist.
  Stewarts Tagebuch ist sehr ausführlich. Ich will nur hoffen, daß es
  Sie erreicht, wenn ich's schicken kann. Landminen werden künftig
  unsere beste Verteidigung sein; wir haben die Außenwerke damit
  bedeckt, bis jetzt haben sie allen Angriff abgehalten und tüchtig
  aufgeräumt ... Wir haben einen Khartum-Orden von drei Graden --
  Silber mit Vergoldung, Silber und Zinn -- eingeführt, eine Granate
  mit der Umschrift »die Belagerung von Khartum«. Sogar Frauen und
  Schulkinder haben ihn schon erhalten; ich bin daher sehr populär bei
  den schwarzen Damen. Wir haben Papiergeld im Wert von einer halben
  Million Mark in Umlauf gesetzt, und von Kaufleuten habe ich eine
  Million geliehen, beides auf ~Ihren~ Kredit hin! Auch habe ich
  einhundertundsechzigtausend Mark Papiergeld nach Sennar geschickt.
  Was die Steuern betrifft, so zahlt man uns nur in Blei, woraus Sie
  abnehmen mögen, daß Sie eine schöne Rechnung hier zusammenkriegen.
  Die Truppen und die Leute im ganzen sind gutes Muts ... Ich glaube,
  daß eine schreckliche Hungersnot durchs ganze Land das Finale sein
  wird. Ein Spion brachte gestern die Nachricht, die ›Königin von
  England‹ sei in Korosko -- vielleicht ist es ein Schiff. Sieben Mann,
  ich mitgerechnet, sind die ganze Verstärkung, deren der Sudan seit
  der Hicks-Niederlage sich rühmen kann! während wir euch sechshundert
  Mann Militär und zweitausend Mann Zivil zugeschickt haben -- wir
  lachen manchmal darüber. Ich werde Khartum nicht verlassen, ehe ich
  jemand an meine Stelle setzen kann. Wenn die Europäer, die hier sind,
  suchen wollen, den Äquator zu erreichen, so will ich ihnen mit den
  Dampfern dazu behilflich sein; aber nach all dem, was hinter uns
  liegt, kann ich die Leute nicht im Stich lassen. -- Ich habe Ihnen ja
  gesagt, daß der Weg über Wady Halfa am rechten Nilufer hin der beste
  wäre; hätte Berber sich gehalten, so wäre es eine Vergnügungsfahrt.
  Eine andere Möglichkeit wäre, von Senheit nach Kassala und von da
  nach Abu Haraz am Blauen Nil; jedenfalls sicher bis Kassala, aber ich
  fürchte, es ist ~zu spät~. Wir müssen uns selber durchhelfen, so
  gut wir können. Wenn Gott uns seinen Segen dazu giebt, so wird uns
  der Sieg; wenn es nicht sein Wille ist, so ist es auch recht ...

  »Warum benutzen Sie die Geheimschrift? Ist ganz unnötig, die Araber
  haben ja keine Dolmetscher. Sie sagen, es sei Ihr Ziel, den Sudan zu
  räumen; gut, aber die Araber haben auch ein Wort dreinzureden, ehe
  sie die Ägypter ziehen lassen. Es wird alles zum besten dienen. Ich
  wiederhole zum Schluß, wir verteidigen uns so lang wir können, und
  ich lasse Khartum nicht im Stich. Noch hoffe ich, wenn ich auch bis
  jetzt kein Wie sehe, daß Gott uns einen Ausweg zeigen wird.«
 #/

 In einer Nachschrift heißt es:

 /#
  »Sie fragen in Ihrem Telegramm vom 5. Mai: warum ich darauf bestehe,
  hier zu bleiben, wenn doch England sich zurückziehe? Antwort: ich
  bleibe hier, weil die Araber uns eingeschlossen haben und niemand
  durchlassen. Überdies würden mich die Leute festhalten, wenn ich
  ihnen nicht vorher zu einer Regierung verhälfe oder sie mitnähme, was
  nicht möglich ist. Niemand verließe das Land lieber als ich, wenn es
  sein könnte.«

Im Laufe des August schreibt er an einen Offizier der königlichen
Marine zu Massaua:

  ».... Eine ganze Reihe kleiner Gefechte mit den Arabern, die wir
  gottlob zurückgeschlagen haben. Der Weg nach Sennar ist jetzt offen,
  und wir haben im Augenblick nichts von den Arabern zu befürchten.
  Wir beabsichtigen morgen einen Angriff und wollen einen Ausfall auf
  Berber machen; Stewart und die beiden Konsuln (der Engländer Power
  und der Franzose Herbin) wollen den Versuch wagen, nach Dongola
  zu entkommen. Wir würden Berber zerstören und wieder auf unser
  Piratennest zurückfallen ... Ich denke, wir halten Khartum in alle
  Ewigkeit, wir sind dem Mahdi gewachsen. Hat er Reiterei, so haben wir
  Dampfer. Wir sind sehr bös auf euch zu sprechen, denn seit dem 29.
  März hat kein Sterbenswort von der Außenwelt uns erreicht. Ich habe
  schon zweitausendachthundert Mark für einen Spion hingelegt, und ihr
  habt dem armen Teufel zwanzig Thaler gegeben (wenigstens behauptet
  er das), um von Massaua nach Khartum zurückzugelangen. Ich habe ihm
  vierhundert Mark draufgelegt ... Wir haben wieder Mundvorrat auf fünf
  Monate und hoffen noch mehr wegzufangen ... Unser Vaterland spielt
  keine sehr edle Rolle, weder Ägypten noch dem Sudan gegenüber. Ich
  wollte, ich hätte ein paar von euren Artilleristen hier, denn unsere
  Kanonade ist erbärmlich. Meine Empfehlung an die Offiziere.«

  Und weiter am 26.: »Ich schrieb Ihnen vorgestern, daß wir einen
  Ausfall auf die Araber machen wollten. Es ist uns gottlob gelungen,
  das feindliche Lager einzunehmen. Der arabische Befehlshaber ist
  gefallen (+R. I. P.+). Unsere Verluste noch unbekannt. Der
  Sieg hat uns auf drei Seiten, wenigstens in nächster Nähe, Luft
  verschafft. Übrigens können die Araber ihre Niederlage teilweise den
  Deserteuren zuschreiben, die im Augenblick des Angriffs in ziemlich
  großer Anzahl zu uns überliefen. Meine Flotte hat sich glänzend
  gehalten, worauf meine Freunde von der königl. britischen Marine
  stolz sein können ... Wir und die hiesigen Truppen haben wenigstens
  ~ein~ Band, das uns zusammenhält; sie wissen, daß sie in die
  Sklaverei verkauft werden, wenn die Stadt fällt, und wir wissen,
  daß wir nur durch eine Verleugnung unseres Herrn unser Leben retten
  könnten. Und ich glaube, uns ist diese Alternative noch verhaßter
  als den Soldaten jene. So Gott will, wollen wir den Sieg erringen
  ohne Hilfe von außen. Spione von Kordofan melden, daß der Mahdi mit
  sechsundzwanzig Kanonen auf Khartum loszieht. Das ist nicht mehr
  als ich erwartete; ich habe von Anfang an gedacht, daß es hier zur
  Entscheidung kommen wird. Will's Gott, ist der Erfolg nicht auf
  seiner Seite; wir haben gethan, was wir konnten, um Khartum wohl zu
  befestigen. Mißglückt es ihm, dann ist es auch mit ihm zu Ende.«

Daß Gordons tapferer Mut aufrecht blieb, ergiebt sich aus diesen
Briefen. Sie zeigen auch, daß er sich entschlossen hatte, seine
beiden Gefährten Stewart und Power ziehen zu lassen und allein
zurückzubleiben; es hatte dies einen doppelten Grund. Zum ersten war
Gordon wohl schon damals zur Gewißheit gelangt, daß es einen harten
Kampf ums Leben gelten würde, und er wollte seinen Waffengefährten
Gelegenheit geben, dem fast sichern Tod zu entgehen; zum andern aber
hoffte er, durch ihre Berichte die saumselige Regierung zum Handeln zu
bringen. Denn daß man in London zu einem Entschluß in dieser Richtung
gekommen war, davon hatte er damals noch keine Kenntnis. Warum er sich
seinen Gefährten nicht anschloß, bedarf keiner weiteren Erklärung.
Er blieb zurück in reinster Selbstaufopferung. Daß er sich solchen
Edelsinn nicht selbst beimaß, erhöht nur die Größe seines Handelns. Er
selbst spricht sich in seiner Weise so darüber aus:

  »Was man auch sagen mag über unser hiesiges Aushalten, es ist bares
  Geschwätz, wir hatten ja keine andere Wahl; und wenn man wissen
  will, warum ich mich nicht mit Stewart aus dem Staub gemacht habe, so
  ist die Antwort einfach die, daß die Leute hier nicht so dumm gewesen
  wären, mich gehen zu lassen, also was hat sich's da mit Großthaten
  und Selbstaufopferung!«

Dennoch war's ein vollkommenes Opfer in jeder Hinsicht, ja ein
Opfer im eigentlichsten Sinn, und Gordon wußte das! Während seines
Aufenthaltes in Jerusalem hatte er hinsichtlich der englischen
Beamtenwirtschaft in Ägypten geschrieben: »Mir ist, als ob dies
Unrecht nur mit Blut zu sühnen wäre.« Und im März schrieb er von
Khartum: »Wolle Gott diese Sünde nicht an unserem Volk heimsuchen,
möge die Strafe auf mich fallen, geborgen in Christo. Das ist meine
Bitte! Und möge Er sich des Volkes hier erbarmen, ihnen Friede
schenken.« Übrigens konnte Gordon nur ~hoffen~, daß der Dampfer
»Abbas« die kleine Schar sicher durch die feindlichen Linien tragen
würde, er weigerte sich daher ihre Abreise anzubefehlen; er setzte
ihnen auseinander, daß sie durch ihr Bleiben die Lage von Khartum
nicht zu bessern vermöchten, während sie möglicherweise durch ihr
Gehen der belagerten Stadt einen großen Dienst erweisen könnten. Beide
Genossen entschlossen sich unter der Bedingung zu gehen, daß Gordon
ihnen nicht nachsagen würde, sie hätten ihn in der Not verlassen. Es
war ein Wettstreit der Großmut. Stewart wollte absolut nicht ohne den
direkten Befehl seines Vorgesetzten gehen. »Nein,« sagte dieser, »zwar
fürchte ich die Verantwortlichkeit nicht, aber ich will Sie nicht in
eine mögliche Gefahr schicken, die ich nicht mit Ihnen teile.« Bei
der Abreise von London hatte er den ihn an den Bahnhof begleitenden
Freunden gesagt:

  »So viel ist sicher, daß wo er in Gefahr sein wird, ich sie teilen
  werde; und wo ich in Gefahr gerate, wird er nicht weit davon sein.«

Aber alles war so ganz anders gegangen, als man es damals hoffte
und erwartete, und die Kampfgenossen trennten sich. Gordon that zu
ihrer Sicherheit, was er konnte, indem sein Geschwader ihnen über
Berber hinaus das Geleite gab; auch ermahnte er sie, sich in der
Mitte des Stromes zu halten und wegen Holzbedarf nur an einsamen
Orten zu landen. Am 10. September verließ seine Mannschaft die Stadt
und kehrte nach einem Siege über die Rebellen dahin zurück, während
der Dampfer »Abbas« Stewart und Power mit noch etwa vierzig anderen
stromabwärts trug.

Schon anfangs Oktober gelangte die Unglückspost nach England, daß
der »Abbas« im Nil gestrandet und seine Mannschaft dem Feind in die
Hände gefallen sei. Man hoffte eine Zeit lang, Stewart sei mit dem
Leben davon gekommen, aber nach wenigen Wochen war's auch mit dieser
Hoffnung zu Ende. Monate vergingen jedoch, ehe man die Einzelheiten
mit Gewißheit erfuhr, und zwar durch den Heizer des Dampfers, der aus
der arabischen Gefangenschaft entkam und folgendes berichtete:

Nachdem das Geschwader Berber bombardiert hatte, kehrte die kleine
Flotte nach Khartum zurück, und der »Abbas« setzte seine Reise fort,
gelangte auch sicher bis über Abu Hamed. Am 18. September aber stieß
der Dampfer auf den Grund. Es war in des Scheik Wad Gamrs Land,
und man hatte seit einiger Zeit bemerkt, daß die Leute auf beiden
Seiten landeinwärts den Hügeln zu liefen. Als es sich ergab, daß der
»Abbas« festsaß, wurde ein Rettungsboot mit dem Nötigsten beladen
und als Landungsplatz eine nahe Insel in Aussicht genommen; das Boot
ging viermal hin und her. Darnach vernagelte Oberst Stewart selbst
die Kanonen und ließ sie über Bord werfen; ebenso die Kisten mit
Schießbedarf. Die Eingeborenen hatten sich mittlerweile in großer
Anzahl auf dem rechten Ufer versammelt und schrieen: »Gebt uns Frieden
und Korn!« »Friede,« riefen die Gestrandeten zurück. Soliman Wad Gamr,
der Scheik, war in einem kleinen Haus in der Nähe; auch er fand sich
am Ufer ein und rief den Schiffbrüchigen zu, sie sollten nur furchtlos
herüber kommen, die Soldaten müßten aber ihre Waffen niederlegen,
sonst würden seine Leute sich fürchten. Und nachdem Oberst Stewart
mit seinen Gefährten beraten hatte, setzte er mit den beiden Konsuln
(Power und Herbin) und einigen andern über und betrat das Haus eines
blinden Fakirs Namens Etman, um daselbst mit dem Scheik über den
Ankauf von Kamelen zu unterhandeln. Er gedachte den Weg nach Dongola
durch die Wüste fortzusetzen. Außer Stewart, der einen Revolver trug,
hatte niemand Waffen. Und während er und seine Begleiter mit dem
Scheik verhandelten, beschäftigten sich die übrigen mit der Landung.
Es dauerte nicht lange, da bemerkten diese, daß Soliman aus dem Hause
stürzte und seinen Stammesangehörigen, die in einem Haufen beisammen
standen, mit einem Wassereimer, den er hin und her schwenkte, ein
Zeichen gab. Da warfen sich diese mit ihren Speeren teils auf die
Mannschaft am Ufer, teils auf das Haus. Der Heizer versteckte sich mit
einigen anderen und wurde später gefangen genommen. Oberst Stewart
und seine Gefährten aber wurden unbarmherzig niedergemacht und ihre
Leichen in den Fluß geworfen. Dann teilten sich die Mörder in die
Beute. Es war selbst nach arabischen Begriffen ein schändlicher
Verrat. Stewarts Tagebuch über den bisherigen Verlauf der Belagerung
Khartums, das Gordon als einen Schatz bezeichnete, wurde mit allen
übrigen Schriftstücken, Briefen u. s. w., die der »Abbas« trug, dem
Mahdi ausgeliefert.

Gordons »Tagebücher« beginnen mit dem Tag, an dem er sich von seinen
Gefährten trennte. Die vier ersten sind an Stewart gerichtet, die
beiden letzten an den befehlenden General des Entsatzheeres. Es
sind diese Tagebücher einfach die niedergeschriebenen Gedanken
eines Menschen, der niemand mehr hat, gegen den er sich aussprechen
kann. Er bespricht darin die Sachlage von allen Seiten, keinen
möglichen Einwurf läßt er unbeantwortet; er bringt die militärische
Stellung zu Papier und arbeitet die zu verfolgende Taktik aus. Er
macht Aufzeichnungen der täglichen Nebendinge, die nicht selten
humoristischer Art sind -- z. B. seine Gewohnheit, schwarze Überläufer
mit den Spiegeln im Palast Bekanntschaft machen zu lassen, damit die
Leute sich doch auch einmal selbst zu Gesicht bekämen. Die Tagebücher
sind daher umfangreich, obschon sie nur einen Zeitraum von drei
Monaten umschließen. Er stellt darin auch das Verfahren der Regierung
in ein helles Licht, aber er thut es mit der Ruhe eines Menschen,
der sich in einer höheren Hand weiß, als in der der irdischen
Machthaber und dem Ausgang, so oder so, ohne viel Aufregung entgegen
sieht. Nichts steht deutlicher in diesen Aufzeichnungen, als daß der
Schreiber bis zuletzt an dem seltenen Gottvertrauen festhielt, das
manche nur als Fatalismus zu belächeln wissen, das er selbst aber
treffend dahin kennzeichnet:

  »Wenn das Buch unseres Geschickes einmal aufgeschlagen ist, dann ist
  Ergebung unsere Pflicht, in der Zuversicht, daß uns alles zum besten
  dienen soll. So lang dieses Buch noch mit Siegeln versiegelt ist,
  ist es etwas anderes. Und es kann mir niemand nachsagen, daß ich
  mit diesem Glauben die Hände in den Schoß legte und alles über mich
  ergehen ließ.«

Es war sein Gottvertrauen und nichts anderes, das ihn dazu befähigte,
die Gefährten ziehen zu lassen und allein weiterzukämpfen, und wie
er überhaupt immer mehr an alles andere als sich selbst dachte,
so erwähnte er dieses Alleinseins mit keinem Wort. Wohl mag er's
empfunden haben! Wenn er aber schreibt: »Eine Maus hat jetzt bei Tisch
Stewarts Platz eingenommen, sie scheint sich nicht zu fürchten, denn
sie holt sich kecklich aus meinem Teller, was ihr gefällt,« so meinen
wir, er hätte nicht leicht mit wenig Worten mehr sagen können.

Ja, Gordon war allein, aber die Stadt will er halten, ob Hilfe noch
komme.


                          6. Menschenhilfe.

Es war in der ersten Augustwoche 1884, als Gladstone, dem Drängen des
Volkes nachgebend, sich anschickte, eine Entsatz-Expedition ins Werk
zu setzen; bisher war standhaft erklärt worden, die Notwendigkeit
zu militärischen Operationen liege nicht vor. Das Kriegsministerium
that sein Möglichstes, die verlorene Zeit nachzuholen. Am letzten
August verließ der erwählte Heerführer, Lord Wolseley, London unter
den Zurufen und Glückwünschen einer Menge Volks, die sich am Bahnhof
versammelt hatte.

Wolseleys Instruktionen sind beachtenswert. Es gelte, Gordon zu
retten, sagte die Regierung, ihrer Politik getreu bleibend, daß der
Sudan England nichts angehe. Das Entsatzheer solle sich daher aller
und jeder offensiven Operationen enthalten. Der Auftrag erstreckte
sich nicht auf die Besatzungen von Kassala und Sennar, noch weniger
auf die Bahr el Ghasal oder die Äquator-Provinzen. Die Regierung
setzte sogar Zweifel darein, daß es sich als nötig erweisen werde, bis
Khartum vorzurücken; jedenfalls sollten die britischen Operationen
möglichst beschränkt werden. Einigermaßen in Widerspruch mit dieser
Vorschrift folgte die weitere Anordnung, daß, nachdem ein sicherer
Rückzug für General Gordon und Oberst Stewart, sowie für die
ägyptischen Truppen und Zivilbeamten in Khartum gewonnen sei, General
Wolseley Vorkehrungen treffen solle, um dem Sudan, insbesondere
aber der Stadt Khartum, eine geordnete Regierung für die Zukunft zu
sichern. Bezeichnender Weise erhielt dieser Sudan-Entsatzzug den Namen
»Expedition zur Rettung Gordons«.

Der Held in Khartum erfuhr davon auf eigentümliche Weise. Er erzählt
in seinem Novembertagebuch, daß eine Post ihn erreicht habe. Die
Briefe waren in alte Zeitungen gewickelt, darunter war der »Standard«
vom 1. September, und »nicht mit Gold aufzuwiegen,« sagt Gordon,
»waren wir doch seit dem 24. Februar ohne alle und jede Nachricht!«
Dieses Zeitungsblatt aber beschreibt die Abreise Lord Wolseleys, um
Gordon zu befreien. »Nichts dergleichen,« erklärt Gordon, »sondern um
die eingeschlossenen Truppen zu entsetzen!« Anderswo spricht er sich
so aus:

  »Nicht energisch genug kann ich es ablehnen, daß dieser Zug
  meinetwegen ins Werk gesetzt wird. Es geschieht lediglich, ~um
  die Ehre Englands zu retten~, um die Besatzungen und andere aus
  einer Lage zu befreien, in welche die englische Politik in Ägypten
  sie gebracht hat. Ich unternahm den ersten Zug zum Entsatz, was
  jetzt kommt, ist der zweite. Was mich betrifft, so könnte ich mich
  ja jederzeit davon machen, wenn das alles wäre. Überlegt euch aber
  einmal, was es auf sich hätte, wenn die erste Expedition davon liefe
  und ihre Dampfer in des Mahdi Hände fallen ließe, wäre das nicht eine
  böse Vorarbeit für die zweite Expedition, welche Englands Ehre retten
  will, indem sie die Besatzungen befreit? ~Beide~ Expeditionen
  gelten der Ehre Englands, das liegt auf der Hand. Ich bin gekommen,
  um die Besatzungen zu retten und es ist mir nicht gelungen. Nun
  kommt Earle (der mit Wolseley kam); hoffen wir, es gelingt ihm. Zu
  ~meiner~ Befreiung kommt er aber nicht! Mit dem Entsatz der
  Garnison, das gab von Anfang an jeder zu, stand unsere nationale
  Ehre auf dem Spiel. Wenn Earle nun das gewünschte Resultat erreicht,
  so verpflichtet er sich die »nationale Ehre«, die ihn hoffentlich
  auch belohnen wird; mich geht das nichts an, ich bin höchstens zu
  tadeln, daß es mir nicht gelungen ist. Jedenfalls bin ich nicht das
  ~gerettete Lamm~ und wills's nicht sein.«

Gordon baute überhaupt nicht auf die Erfolge des Feldzugs, der vier
Monate früher hätte unternommen werden sollen. Es ist auch nicht
leicht zu erklären, warum man sich im April nicht zu den Maßregeln
verstehen konnte, die man im August doch ergriff!

  »Die Möglichkeit liegt natürlich auf der Hand,« schrieb Gordon, »daß
  Khartum der Expedition noch vor der Nase weggeschnappt wird; man wird
  gerade noch dazu kommen, d. h. zu spät. Vielleicht hält man es dann
  für nötig, die Stadt zurückzuerobern, aber das wäre ganz nutzlose
  Mühe und würde auf beiden Seiten nur unnötig viel Blut kosten. Wenn
  es so weit kommt, dann kann das Entsatzheer nichts besseres thun,
  als den Schwanz einziehen und ganz still wieder umkehren. Denn wenn
  Khartum einmal gefallen ist, dann ist die Sonne untergegangen und
  die Leute werden sich nicht viel um die Planeten (d. h. die andern
  Garnisonsstädte) kümmern.«

Der Leser weiß, daß, wie Gordon ahnte, Wolseleys Truppen »gerade noch
dazu kamen«; man weiß auch, daß sie unverrichteter Dinge umgekehrt
sind. Und zwar trifft Offiziere und Mannschaft kein Tadel; manch
Tapferer hat sein Leben gelassen, und die Geldopfer berechnen sich
nach Millionen. Der Fehler war der, daß es von Anfang an ~zu
spät~ war.

Von Kairo nach Assiut wurden die Truppen per Bahn befördert und von
dort per Nildampfer nach Assuan, wo die Schwierigkeiten der Expedition
ihren Anfang nahmen. Ende September trafen die Flußboote von England
dort ein, mit welchen man die Mannschaft und den Kriegsbedarf nach
Dongola zu verbringen beabsichtigte, und vierhundert kanadische
Bootsleute waren ihrer besonderen Tüchtigkeit halber auf Wolseleys
Wunsch dazu verschrieben worden. Die Boote durch die Nilschnellen
oberhalb Wady Halfa zu bringen, bot fast unübersteigliche Hindernisse
und die Beförderung durch die Wüste mit Kamelen nicht minder; und
als die Truppen endlich in Dongola angelangt waren, lag schon eine
Riesenarbeit hinter ihnen, obgleich sie vom Feinde selbst noch nichts
gesehen hatten.

Dongola wurde anfangs November erreicht, und am 14. dieses Monats
erhielt Wolseley Nachricht von Gordon vom 4., die ihm abermals zu
wissen that, daß keine Zeit zu verlieren sei. Er benachrichtigt den
britischen Heerführer, daß in Metammeh fünf Dampfer mit neun Kanonen
seiner Befehle harren. Mit andern Worten, sobald er hört, daß der
Hilfszug im Anmarsch ist, kommt er selbst seinen angeblichen Rettern
zu Hilfe!

  »~Noch vierzig Tage können wir aushalten~,« berichtet er,
  »darnach wird's schwer sein ... Der Mahdi ist etwa acht Meilen von
  hier ... Sennar ist ruhig, und man weiß dort, daß Ihr kommt ...«

Wolseley that sein möglichstes, das Vorrücken zu beschleunigen,
auch bedurfte es kaum seiner packenden Proklamation, die Truppen
anzufeuern. Daß Gordon die Stadt bis zu ihrem Kommen halte, das war
Offizieren wie Gemeinen genug. Durch den Mudir von Dongola hörte man
ferner aus der belagerten Stadt, daß, als der Bote Khartum verließ,
dreißig Barken voll Korn vom Blauen Nil eingebracht worden seien,
und daß die Leute all ihre Hoffnung auf Gordon setzten; daß sogar
aus des Mahdi Lager Überläufer zu ihm kämen; daß er seinen Bedarf
an Schießpulver selbst fabriziere, daß er zwölf Dampfer auf dem
Fluß habe, und daß das Volk anfange, sein Regiment dem des Mahdi
vorzuziehen. Was letztere Behauptung und die Nachricht von Überläufern
aus des Mahdis Lager betrifft, so erklärt Gordon in seinem Tagebuch
dies damit, daß es überall an Nahrung gebreche und der Glaube im
Umlauf sei, in Khartum leide man nicht Mangel; der Bauch regiere die
Welt.

So viel war sicher, daß der Mahdi Obeid verlassen und bei Omderman
angesichts der belagerten Stadt seine Stellung genommen hatte. Es war
der 21. Oktober, das Neujahr der Moslem, als Gordon das Geschick der
Abbas, den Tod Stewarts und Powers erfuhr; es bekümmerte ihn tief.
Nach Omderman aber, woher ihm die Nachricht gekommen, telegraphierte
er: »Ich lasse dem Mahdi sagen, daß es mir nichts ausmacht und wenn
er mir den Untergang von zwanzigtausend Dampfern wie die Abbas, den
Tod von zwanzigtausend Offizieren wie Stewart Pascha meldet. Ich hoffe
den englischen Entsatzzug bald hier zu sehen, wenn der Mahdi mir aber
zu wissen thut, daß die Engländer den Schwierigkeiten erlegen sind, so
ist mir auch das einerlei. ~Ich~ bin hier wie Eisen!«

Der Mahdi machte einen Angriff auf die Stadt. Gordon begegnete
ihm mit seinen Dampfern und achthundert Schwarzen; es kostete
einen achtstündigen heißen Kampf, aber es gelang ihm, die Araber
zurückzuwerfen und sie durch seine Sprengminen aus ihrer Stellung
zu vertreiben. Der geschlagene Mahdi hat hierauf für gut gehalten,
sein Angesicht eine Zeit lang zu verbergen und sich in eine Höhle
zurückzuziehen. In dieser weissagte er, man werde sich sechzig Tage
lang ruhig verhalten, darnach aber werde das Blut in Strömen fließen.
Diese »Weissagung« ist so ziemlich auf den Tag in Erfüllung gegangen.

Weihnachten und Neujahr ging vorüber, da schien es endlich Ernst
werden zu wollen. Das englische Heer rückte in zwei Kolonnen, die
eine unter Earle, die andere unter Sir Herbert Stewart durch die
Bajuda-Wüste vor. Das Ziel Stewarts waren die Gakdul-Brunnen, die
auch erreicht wurden; hier wurde eine feste Stellung gewonnen. Am 15.
Januar 1885 bewegte sich der Zug weiter nach den Abu Klea-Quellen,
etwa hundertundzwanzig Kilometer von Metammeh und Shendi am Nil. Dort
kam es zur Schlacht. Hoffnungsvoll waren die Truppen vorgerückt;
einzelne Araber, auf die sie unterwegs stießen, rissen des Mahdi
Abzeichen von ihren Gewändern und erklärten, sie würden den falschen
Propheten nie anerkannt haben, hätten sie gewußt, daß die Engländer
kämen. Bei Abu Klea war der Feind zehntausend Mann stark. Die
englische Kolonne zählte nicht viel über tausend. Es gab eine heiße
Arbeit, aber den Briten blieb der Sieg; doch kostete er schwere
Opfer. Sir Herbert Stewart selbst wurde tödlich verwundet; neun
andere Offiziere fielen, darunter etliche der tapfersten, die England
aufzuweisen hatte, außerdem gab es an Toten fünfundsechzig Gemeine,
und fünfundachtzig Verwundete. Über tausend Araber bedeckten das
Schlachtfeld. Unter Sir Charles Wilson, dem nach Stewarts Verwundung
der Oberbefehl zufiel, erreichte die britische Abteilung den Nil,
wo Gordons Dampfer der Befreier mit der frappanten Meldung harrten:
»Alles wohl in Khartum; wir können uns noch jahrelang halten! -- C.
G. G. 29. Dez. 84.« Hart auf die Siegesbotschaft von Abu Klea trug
der Telegraph diese Kunde nach England, und alle Welt jubelte, daß
die Hilfe doch nicht zu spät gekommen sei, daß der tapfere Held sich
gehalten habe, und daß seine eigenen Dampfer in wenigen Tagen die
englischen Landsleute ihm zuführen würden. Daß Gordons Meldung darauf
abgesehen war, den Feind zu täuschen, daß sie das gerade Gegenteil
von dem bedeuteten, was ihr Wortlaut besagte, das mutmaßte man vor
übergroßer Freude nicht.

Und doch war es so! Schon am 14. Dezember hatte ein Geheimbote die
(ebenfalls für den Feind bestimmte) Nachricht gebracht: »Alles
wohl in Khartum.« Aber eben derselbe Bote brachte dem britischen
Oberbefehlshaber eine Privatmeldung ganz anderer Art:

  »Wir sind auf drei Seiten belagert -- bei Omderman, Halfaja und Hoggi
  Ali droht Angriff. Kampf ununterbrochen Tag und Nacht. Der Feind
  kann uns nur aushungern. Haltet eure Truppen zusammen, der Feind ist
  zahlreich. Bringt möglichst viel Truppen. Noch halten wir Omderman
  und die Verschanzung gegenüber.

  Der Mahdi hat Erdwälle in Schußweite von Omderman aufwerfen lassen;
  er selbst aber bleibt außerhalb der Schußweite.

  Vor ungefähr vier Wochen haben des Mahdi Truppen Omderman angegriffen
  und einen Dampfer außer stand gesetzt. Wir haben dafür eine der
  feindlichen Kanonen demontiert.

  Drei Tage später haben sie uns wieder auf der Südseite angegriffen;
  wir haben sie zurückgeworfen.

  Saleh Bey und Slaten Bey sind gefangen in des Mahdi Lager.

  Unsere Truppen hier leiden Mangel. Was noch an Proviant da ist, ist
  wenig; etwas Korn und Zwieback.

  Kommt sobald wie möglich; am besten über Metammeh oder Berber. Rückt
  auf diesen beiden Linien vor. Versichert euch der Stadt Berber, ehe
  ihr vorrückt. Hütet euch, den Feind euch im Rücken zu lassen, und
  wenn ihr Berber habt, dann laßt mich's wissen.

  Haltet den Feind möglichst in Unwissenheit über eure Bewegungen.

  In Khartum giebt's weder Butter noch Datteln und sehr wenig Fleisch,
  alle Lebensmittel sehr teuer.«

Das klang anders, als »wir können noch jahrelang aushalten!«
Aber diese Meldung wurde nicht nach England telegraphiert;
oder, wahrscheinlich richtiger, man hielt für gut, sie in den
Regierungsbureaus zurückzuhalten. Wie ein Donnerschlag aus klarem
Himmel fiel daher am 5. Februar 1885 die Botschaft ins Land: Khartum
ist gefallen!

Sir Charles Wilson war in guter Zuversicht mit zwei von Gordons
eigenen Dampfern von Metammeh abgefahren. Er erreichte das Ziel am 28.
Januar, zwei Tage zu spät; des Mahdi Geschütze begrüßten ihn bei der
Ankunft, er konnte sich nur wieder zurückziehen -- am 26. war Khartum
gefallen!


                      7. Getreu bis in den Tod.

Wer vermag es, die letzten drei Monate in ihrem ganzen Ernst sich
zu vergegenwärtigen, der nicht selbst als Augenzeuge mit in der
eingeschlossenen Stadt war! Das Bild wird sich erst dann völlig
entrollen, die Schlußszene von Gordons Leben wird erst dann mit voller
Klarheit beleuchtet sein, wenn die Bücher aufgethan werden, in denen
aller Menschen Thun verzeichnet steht. Einigermaßen aber sind wir,
weil im Besitz seiner Aufzeichnungen, dennoch wie Augenzeugen.

Kehren wir zu der Zeit zurück, da er mit einem Heldensinn und einer
Großmut, die ihresgleichen sucht, die Gefährten ziehen ließ, um, wenn
möglich, ihr Leben zu retten und allein, der einzige seines Volkes, in
der unseligen Stadt zurückzubleiben. Wie oft hatte Gordon es früher
ausgesprochen, daß er bereit wäre, sein Leben hinzugeben für seine
»armen Schafe«, die Schwarzen im Sudan. Es war nicht bloße Redensart.
Er hat es gethan, sofern ein Mensch für andere sich opfern kann. Es
liegt ein merkwürdiger Brief von ihm vor, den er an die Freunde in
Jaffa richtete, als Khartum ernstlich bedroht war und er nicht wußte,
wie bald die Übermacht von außen, oder der Verrat von innen die Stadt
dem Feind überliefern würde.

  »Es ist eine Lage, in des man seine Hoffnung nur noch auf Gott setzen
  kann,« schreibt er. »Zwar sollte dies uns genügen, aber wer nicht
  selbst in der Lage war, kann kaum verstehen was es heißt: ›Wir wissen
  nicht, was wir thun sollen, unsere Augen sehen nach dir‹ (2 Chron.
  20, 12). Der Aufruhr an sich wäre nichts, wenn wir nur ordentliche
  Truppen hätten, aber die haben wir nicht, und ich muß mich daher ganz
  auf Gott verlassen. Es klingt sonderbar, so zu schreiben, als ob Er
  nicht genug wäre! Es ist meine Menschennatur, die so schwach ist,
  daß der Mangel mich -- zwar nicht immer, aber manchmal -- bedrückt.
  Was für veränderliche Geschöpfe sind wir doch und voll Widerspruch;
  halb Fleisch, halb Geist. Und doch arbeitet Gott an uns und will uns
  zu Bausteinen machen für seinen Tempel. Ich kann Ihnen nicht sagen,
  wie ich zwischen zwei Seiten hin und herschwanke. ›Ist meine Hand
  verkürzt?‹ heißt's auf der einen, und ›schlechterdings kein Ausweg
  aus dieser Lage!‹ auf der andern. Es ist ein fortwährender Kampf.
  Ich werde Ruhe finden im Grab. Denkt nicht, daß ich Euer vergesse;
  denn als Hiob für seine Freunde bat, da wandte der Herr sein
  Gefängnis (Hiob 42, 10). Lassen Sie Ihre Kinder für mich beten, denn
  bei Menschen ist keine Hilfe. Wie wunderbar ist das Zurichten der
  Bausteine, und wie ungern lassen wir uns behauen! Aber dennoch habe
  ich es gewagt, vor Ihn zu treten, und habe es von Ihm begehrt, die
  Sünden dieser auf mich zu legen, in Christo. Gott mit Euch. Habt Dank
  für Eure Fürbitte.«

Von allem, was wir über Gordon wissen -- und wie reich sind die
Zeugnisse -- ist dieser Brief wohl das Wunderbarste, etwas, das uns
tief ins Herz greift. Wie treu ist der Mann, der sein Leben einsetzt,
der mit der ganzen Bürde eines hilflosen Volkes auf seinen Schultern,
mit der Bitte vor seinen Herrn tritt, ihre Sünden auf ihn zu legen!
Wenn es wahr ist, daß er schließlich durch Verrat fiel, so fehlt nur,
daß er hinzugesetzt hätte: ~sie wissen nicht, was sie thun~!

Noch hatte er das Volk auf seiner Seite, das in ihm seine Schutzmauer
erblickte; aber der Hunger kam, und der Zweifel that sein Werk, wie
aus seinen Worten hervorgeht: »die Leute mußten uns für Lügner
halten.« Die Engländer kommen, war lange der Trost; aber sie verzogen
und kamen nicht. Und dem Volk sank der Mut.

  »Während ihr eßt und trinkt und sicher in euren Betten schlaft,«
  schreibt er, »wache ich mit meinen Leuten Tag und Nacht, ob es uns
  gelingen möchte, uns gegen den falschen Propheten zu halten.«

Und wenn selbst seine Leute schliefen, so wachte er. In der Mitte der
Stadt hatte er sich einen Turm errichtet, von dem er das Land weithin
übersah. Wenn der Tag graute und andere wachen konnten, dann ruhte
er. Den Tag über kämpfte er den Kampf mit dem Nahrungsmangel und dem
Kleinmut in der Stadt; und wenn die Nacht sich senkte, bestieg er
seinen Turm und hielt die Wache, allein unter dem Sternenhimmel mit
seinem Gott um den Sieg ringend, die Hilfe erflehend, die versagt
schien. Wer kann es ermessen, wie die Heldenseele in mancher langen
Nacht im Kampf für »dies Volk« sich erschöpfte und immer wieder zum
Anlauf bereit stand, wie oft auch ein neuer Tag heraufstieg und keine
Rettung brachte!

Nichts tritt in den Tagebüchern klarer zu Tag, als daß Gordon, so
völlig er auch das Ende in eine höhere Hand legte, alles that, was
in seiner Macht stand, daß er die ihm anvertraute Stadt Schritt
um Schritt verteidigte. Nichts unterließ er, was er thun konnte;
sein Auge war überall, und sein heroischer Mut war sozusagen
täglich neu. Es war eine Zähigkeit in der Natur dieses Mannes, die
um so erstaunlicher ist, als er's nicht genug betonen kann, daß
Menschenhilfe kein nütze ist. Bis auf den letzten Blutstropfen ringt
er um das Geschick der Stadt, und doch geht sein Glaube von dem
Gedanken aus, daß eben dieses Geschick vorherbestimmt ist. Für den
einsichtsvollen Leser liegt hier durchaus kein Widerspruch vor. Er
erkennt es als seine Pflicht zu ringen, bis das ihm noch verborgene
Geschick sich erfüllt. Oder um abermals an sein Wort zu erinnern:
»~Wenn das Buch der Dinge, die sich ereignen sollen, einmal
aufgeschlagen ist, dann ist Ergebung für uns das Richtige; vorher
ist es etwas anderes. Und es kann niemand sagen, daß ich bei diesem
Glauben die Hände in den Schoß gelegt habe.~«

Seine Ergebung in den Willen Gottes, wenn die Ereignisse einmal
erfüllt sind, hindert ihn z. B. auch durchaus nicht daran, in seinen
Aufzeichnungen der englischen Regierung ihren Anteil an der Schuld
recht gründlich unter die Augen zu halten.

  »Wenn ich nicht dächte, daß alles vorherbestimmt und zwar zum besten
  bestimmt ist, so könnte ich ganze Oktavbände voll Zorn loslassen, so
  oft ich auf dieses Thema komme. Ich sehe gar nicht ein, warum ich die
  Stadt auf halbe Rationen setzen soll, nur um die Belagerung um so
  viel zu verlängern; wenn ich es thäte, so hätten wir eine Katastrophe
  noch vor der Zeit, wo eine solche bei ganzen Rationen zu erwarten
  ist. Ich wäre ja ein Engel (unnötig zu bemerken, daß ich das nicht
  bin), wenn ich nicht bitterbös auf unsere Regierung zu sprechen
  wäre. Ich will suchen mich über diese Sudan-Wirtschaft und all diese
  unentschlossene Politik zu beruhigen; aber wenn mir meine schönen
  schwarzen Soldaten draufgehen, so möchte ich doch den sehen, der beim
  Gedanken an unsere Machthaber den hellen Zorn unterdrücken könnte!«

Der gutmütige Ausfall auf seine Schaf-Soldaten thut seiner Gesinnung
in diesem Stücke jedenfalls keinen Eintrag. Die Politik der Engländer,
sagte er, lasse sich kurz dahin zusammenfassen: sie weigerten sich,
den Ägyptern in der Sudan-Frage zu helfen, sie verboten den Ägyptern,
sich selbst zu helfen, und sie wollten nichts davon hören, daß
andere ihnen helfen. Er bestritt keineswegs das Recht der englischen
Regierung nach ihrer Einsicht zu handeln, das aber warf er ihr vor,
daß sie selber nicht wußte, was sie wollte, als es an der Zeit war, ja
oder nein zu sagen. Hören wir ihn in seinem Oktober-Tagebuch:

  »Was der gegenwärtige Hilfszug an Menschenleben und Geldopfern kosten
  kann, ist nicht zu ermessen und wird vollständig zwecklos sein; die
  Unschlüssigkeit unserer Regierung ist an allem schuld. Hätte man von
  Anfang an gesagt: ›Es geht uns nichts an und wir regen keinen Finger,
  wenn die Besatzungen im Sudan umkommen‹, hätte man nichts gethan um
  Tokar zu entsetzen, hätte man mir nichts von Entsatz telegraphiert
  (s. Telegramm vom 5. Mai, Suakim, und vom 29. April, Massaua), statt
  dessen vielmehr die drei Worte: ~Hilf dir selber!~ dann könnte
  kein Mensch sich beschweren. (Gordon fügt in Parenthese bei, daß,
  während einerseits Baring im Namen der Regierung telegraphierte,
  daß britische Truppen zum Entsatz Berbers ~nicht~ bewilligt
  würden, der englische General Graham andererseits Befehl erhielt,
  den Osman Digna anzugreifen.) Aber die Regierung wollte das nicht
  sagen, daß sie die Besatzungen im Stich zu lassen gesonnen sei, und
  darum unterblieb das ›Hilf dir selber‹. Das ist's, was uns die Hände
  gebunden hat. Hätte ich die Flucht ergriffen, so wäre ich selbst
  unserer Regierung gegenüber ein Deserteur gewesen; andererseits
  freilich hat mein Bleiben den gegenwärtigen Hilfszug nötig gemacht.
  Baring meldete mir klar und deutlich den Befehl, nicht ohne spezielle
  Erlaubnis der Regierung an den Äquator zu gehen. (Wenn Gordon sich
  nämlich hatte retten wollen, so wäre das sein Ausweg gewesen.) Ich
  rechte durchaus nicht darüber mit der Regierung, daß sie den Sudan
  hat fahren lassen. Es ist ein erbärmliches Land und nicht wert, daß
  man es halte; aber das sage ich: die Regierung hätte im März den Mut
  haben sollen zu sagen: ›Hilf dir selber!‹ Damals hätte ich es thun
  können; jetzt bin ich Ehren halber an dies Volk gebunden, nachdem
  sechs Monate in unnützem Widerstand hingegangen sind ... Ich sage
  dies, weil niemand die Geld- und Menschenopfer dieses Hilfszugs
  mehr beklagt als ich, und niemand kann die Schwierigkeiten besser
  ermessen als ich; nach allem aber was hinter uns liegt und dank der
  Unschlüssigkeit unserer Regierung haben wir keine andere Wahl. Es
  handelt sich für uns jetzt darum, wie wir mit unserer Ehre und mit
  möglichst geringen Opfern am besten davon kommen. Gebt das Land den
  Türken, das ist die einzige Lösung der Frage. Hoffentlich denkt
  niemand, daß ich aus Eigensinn Schwierigkeiten mache; wollte Gott,
  ich wäre glücklich fort von hier, wo ich seit Februar keine ruhige
  Stunde gehabt habe! ... Bis vor kurzem waren wir völlig im dunkeln,
  ob die Regierung die Besatzungen im Stich lassen will oder nicht.
  Hätte ich meinen Posten verlassen, so hätte man mich als Deserteur
  darum zur Verantwortung ziehen können, weil ich die Dampfer und
  Kriegsvorräte in des Mahdi Hand hätte fallen lassen. Denn wenn ich
  Reißaus nehme, so dauerte es keine fünf Tage und der Mahdi wäre hier
  ... Ich wiederhole, die englische Regierung wäre, sofern es mich
  betrifft, aller Verantwortung ledig, hätte man mir nur den Entschluß
  übermittelt: ›Hilf dir selber, wir lassen die Besatzungen im Stich.‹
  Dann hätte ich gewußt, woran ich bin, hätte den Leuten sagen können,
  daß auf Hilfe nicht zu rechnen ist, und hätte keine sechs Wochen
  gebraucht, um den Äquator zu erreichen. Und ich hätte das in Ehren
  thun können; denn sobald es einmal feststand, daß man uns im Stich
  ließ, mußte mein Hierbleiben darauf hinauslaufen, daß ich mit den
  Khartumern eingeschlossen würde, was ihre Lage nicht bessern konnte,
  im Gegenteil den Mahdi nur um so mehr aufbringen mußte.«

Wir geben diese Stellen gern ausführlich, weil die Anklage damit am
besten widerlegt ist, die hin und wieder gegen Gordon laut geworden,
er habe sich die Folgen seines Bleibens selbst zuzuschreiben.

Weiter sagt er:

  »Hätte ich einen Versuch gemacht mich zu retten, so hätten die Leute
  hier etwa so geurteilt: ›Sie sind zu uns gekommen, und wir vertrauten
  Ihnen; wären Sie nicht gekommen, so hätte wohl mancher von uns sein
  Heil in der Flucht versucht, so aber verließen wir uns darauf,
  was Sie für uns thun würden. Wir haben seit Monaten Entbehrung
  über Entbehrung gelitten, um die Stadt zu halten. Wären Sie nicht
  gekommen, so hätten wir uns dem Mahdi ergeben; jetzt aber, nach
  unserm langen Widerstand, haben wir keine Barmherzigkeit von ihm zu
  erwarten, und er wird das vergossene Blut bitter an uns rächen. Sie
  haben unser Geld entlehnt und uns versprochen, es solle uns sicher
  wieder gegeben werden; wenn Sie uns verlassen, so ist alles verloren.
  Es ist Ihre Pflicht und Schuldigkeit, bei uns zu verharren und unser
  Los zu teilen. Wenn die englische Regierung uns im Stich läßt, so
  ist das kein Grund, daß Sie uns im Stich lassen, nachdem wir uns
  all die Zeit her an Sie gehalten haben.‹ ›Und darum,‹ fügt Gordon
  mit Nachdruck hinzu, ›~erkläre ich ein für allemal, daß ich den
  Sudan nicht verlasse, bis jeder sich hat retten können, der's nötig
  hat~, bis eine Regierung hier aufgerichtet ist, die mich meiner
  Pflicht entbindet. Und wenn jetzt ein Befehl kommt, der mich gehen
  heißt, ~so werde ich nicht gehorchen, sondern bleibe hier und falle
  mit der Stadt und teile ihre Not~.‹«

Er giebt anderswo zu:

  »Ich fürchte, ich bin ein allzu selbständiger Offizier, aber so bin
  ich und kann's nicht ändern. Ich habe nicht einmal Verstecken mit
  meinen Vorgesetzten gespielt! Wenn ich die Regierung wäre, würde ich
  so einen, wie ich bin, nie anstellen; denn ich bin unverbesserlich.«

Aber er sagt auch:

  »Ich bin mit dem Auftrag abgesandt worden, den Sudan zu räumen, und
  nicht um Reißaus zu nehmen und die Besatzungen im Stich zu lassen.«

Mit andern Worten, zu einem ehrlosen Auftrag hätte er sich nicht
bereit finden lassen, und nachdem er einmal abgesandt war, will er
die Hand zu einer Ehrlosigkeit nicht bieten. Sehr richtig macht er
auch darauf aufmerksam, daß, wenn die Regierung mit ihrer langen
Saumseligkeit recht hatte, es dann auch recht gewesen wäre, dabei zu
verharren.

  »Das ist mir ein Rätsel,« sagt er, »wenn es jetzt wohl gethan ist,
  uns zu Hilfe zu kommen: warum war's nicht recht, das früher zu thun?
  Es ist ganz schön von den Schwierigkeiten der Regierung zu reden,
  aber das läßt sich nicht leicht wegerklären, daß eine stille Hoffnung
  im Hintergrund war, ein Zuhilfekommen könnte durch unsern Fall
  erspart werden! Was mich persönlich angeht, so will ich niemanden
  Vorwürfe machen; aber es ist mir nicht sehr darum zu thun, mit
  Verehrung von Leuten zu reden, seien sie wer sie wollen, die sich
  mit solchen Hintergedanken abgeben können ... Ich weiß in der ganzen
  Weltgeschichte kein Beispiel von ähnlicher Handlungsweise, wenn ich
  nicht etwa auf David mit Uria dem Hethiter Bezug nehmen will, und da
  war eine Eva im Spiel -- eine Entschuldigung, die im vorliegenden
  Fall meines Wissens nicht existiert. Ich wiederhole, ich habe nichts
  dagegen einzuwenden, wenn man den Besatzungen nicht helfen will, ich
  verdamme nur die Unschlüssigkeit. Man hatte nicht den Mut ehrlich zu
  sagen: wir lassen euch im Stich; man verhinderte es, daß ich an den
  Äquator ging, mit dem stillen Vorsatz, mir nicht zu Hilfe zu kommen,
  und -- soll ich sagen mit der Hoffnung? ... (›März, April u. s. w.
  ~sechs Monate~! hält er noch immer aus?‹) ja, das ist's, was ich
  der Regierung vorwerfe.«

Es ist schwer, den Machthaber in London ein gerechteres Zeugnis über
ihr Verhalten zum Sudan auszustellen, als Gordon es hier thut, und der
Leser hat hoffentlich genug Beweise davon in diesem Buch, daß Gordon
nicht aus persönlichen Rücksichten so redet; für sich selbst begehrt
er nichts; er will heute sein Leben hingeben, wenn es sein muß, aber
schwarz will er nicht weiß nennen und Unehre nicht für Ehre gelten
lassen, und er wird nur gegen die bitter, die solches von ihm zu
erwarten scheinen. Er ist sich selbst treu geblieben, und das kostete
ihn sein Leben. Daß er nie wieder nach England zurückkehren und keinen
Heller Entschädigung annehmen werde, spricht er mehr denn einmal in
seinen Tagebüchern aus. Er hätte diesen Entschluß ohne Zweifel auch
ausgeführt.

Daß des Mahdi Machtentfaltung auf den Fanatismus des Volks
zurückzuführen sei, giebt Gordon nicht zu; er sagt vielmehr, seiner
Erfahrung nach gebe es selbst in jenen fanatischen Ländern heutzutage
nicht viel reinen Fanatismus mehr. Es handle sich bei den meisten
Leuten vielmehr lediglich um den irdischen Besitz; es sei eher eine
Art Kommunismus unter der Flagge der Religion. Und Gordons alter Humor
macht sich geltend, als er erfährt, daß nicht einmal der Mahdi ein
ehrlicher Fanatiker, sondern ein »Humbug« sei. Ein aus dem feindlichen
Lager entronnener Grieche erzählte ihm nämlich, daß der Mahdi Pfeffer
unter den Fingernägeln habe, damit ihm Thränen zu Gebot stünden, wenn
er Audienz gebe. Auch begnüge er sich, wo er gesehen werde, mit ein
paar Körnlein Durra, in den verborgenen Räumen seiner Wohnung aber
lebe er herrlich und in Freuden und versage sich selbst geistige
Getränke nicht.

  »Ich muß gestehen,« sagt Gordon, »seit ich das weiß, habe ich
  allen Geschmack am Mahdi verloren; bis jetzt konnte man sich doch
  wenigstens damit trösten, daß man es mit einem anständigen Fanatiker
  zu thun habe, der an seine Sendung glaubt. Wenn einer sich aber
  mit Pfeffer unter den Fingernägeln abgiebt, so ist's wirklich eine
  Demütigung, sich ihm ergeben zu sollen! ...«

Da übrigens Thränen doch im allgemeinen als ein Beweis der
Aufrichtigkeit gelten, so setzte Gordon hinzu, das Rezept lasse sich
vielleicht auch Staatsministern empfehlen.

Unter den Mohammedanern seiner nächsten Umgebung, nämlich seinen
Dienstboten, machte er ähnliche Entdeckungen.

  »Wenn sie nicht mit Essen beschäftigt sind, dann sind sie am Beten;
  und wenn sie nicht beten, dann schlafen sie oder sind krank. Man
  hat wirklich Mühe, sie in den Zwischenpausen zu kriegen; es ist
  schlechterdings nichts mit ihnen anzufangen, wenn sie auf eine dieser
  vier Festungen sich zurückziehen, essen, beten, schlafen oder krank
  sein, und sie wissen es. Man wäre ja ein Bengel, wenn man sie daraus
  verjagen wollte (was ich übrigens doch manchmal thue). Es gilt einen
  Befehl abzufertigen, man sieht sich nach seinem Diener um, und der
  Mensch hält seine Andacht. Ich muß sagen, es ist ein prächtiges
  Land, um einen Geduld zu lehren! Es ist auch höchst seltsam, aber so
  oft ich Ursache habe aufgebracht zu sein, was wohl täglich mehrmals
  vorkommt, ist die ganze Dienerschaft mit ihren Gebetsverrichtungen
  beschäftigt. Ihre Religion folgt sozusagen der Tonleiter meiner
  Stimmungen. Sowie ich guter Laune bin, sind sie Heiden.«

Gordons natürliches hitziges Temperament machte sich bis zuletzt
geltend; aber seine Zornausbrüche sind von so viel Gutmütigkeit
erfüllt, daß ihnen der Stachel genommen ist. Wie er selbst einmal
bemerkte, schienen ihn die Leute gerade dann am liebsten zu haben,
wenn ihm, wie das Sprichwort sagt, der Gaul durchging. So ereignete
es sich zwei Monate vor dem Ende, daß eines Abends spät durch drei
Sklaven die Nachricht nach Omderman gebracht wurde, die Araber
gedächten am folgenden Morgen einen Angriff zu machen. Es wurde
nach Khartum gemeldet, aber der Telegraphist meinte, es wäre auch
am andern Morgen noch Zeit, dem Generalgouverneur die Depesche
vorzulegen. In der Frühe wurde Gordon durch ein heftiges Schießen bei
Omderman geweckt, die Araber hatten in der That einen bedeutenden
Angriff gemacht, und Gordons Dampfer mußten erst noch geheizt werden.
Es folgten mehrere Stunden, die, wie er sagte, ihn um Jahre älter
machten -- es war das heißeste Gefecht, das die Belagerten bis
dahin ausgehalten hatten. Als Gordon vernahm, daß der Telegraphist
eine Hauptschuld trug, dem es oft genug eingeschärft worden war, zu
jeder Stunde Gordon nötigenfalls zu wecken, bestrafte ihn dieser mit
ein paar tüchtigen Ohrfeigen, die ihn aber alsbald reuten und ihn
veranlaßten, dem Geohrfeigten fünf Thaler zu schenken. Er dürfe ihn
totschlagen, erwiderte der Telegraphist, ein schwarzbrauner Jüngling,
denn er sei ja sein Vater! Ein andermal handelte es sich darum, einen
neugebauten Dampfer zu taufen. Die Leute wollten ihn »Gordon« nennen,
was er mit dem Bemerken ablehnte, es sei keine Gefahr vorhanden, daß
die Stadt ihn je vergessen werde, habe er doch die meisten von ihnen
auf alle mögliche Weise seinen Zorn schon fühlen lassen; sie sollten
den Dampfer lieber »Sebehr« heißen!

Daß Gordon durch die ganze schwere Belagerungszeit dem Ausgange
ruhig entgegen sah, wissen wir; daß es nicht ohne viel innerliches
Leiden abging, spiegelt sich wieder und wieder in den Tagebüchern ab.
Merkwürdig ist folgende Stelle:

  »Oft, seit wir eingeschlossen sind, haben wir die Frage aufgeworfen,
  ob es wirklich unmännlich ist, sich zu fürchten, wie die Welt sagt.
  Ich sage offen, daß ich fortwährend in Furcht schwebe und zwar recht
  gründlich. Ich fürchte die möglichen Folgen der Gefechte. Todesfurcht
  ist's nicht, die habe ich gottlob ja längst überwunden; aber ich
  fürchte Niederlagen und was sie bringen. Man spricht von ruhigen
  Leuten, die sich durch nichts anfechten lassen -- es giebt keine, d.
  h. es giebt Leute, die es äußerlich nicht zeigen, was sie innerlich
  fühlen. Daraus folgere ich, daß ein Heerführer nicht in vertrautem
  Umgang mit seinen Offizieren leben soll, denn sie beobachten ihn mit
  Luchsaugen und nichts ist ansteckender als Furcht. Mich hat es schon
  fuchswild gemacht, wenn ich etwa vor Besorgnis nicht essen konnte und
  dann merkte, daß es meinen Tischgenossen ebenso ging.«

Wenn Gordon auch nicht Furcht im gewöhnlichen Sinn, so doch Besorgnis
in reichlichem Maße kannte, so ist's kein Wunder. Er hat es öfters
ausgesprochen, daß es eine Art Verhängnis in seinem Leben war, in all
seinen Kriegsunternehmungen es mit mehr oder weniger wertlosen Truppen
zu thun zu haben. Das Jahr in Khartum setzte auch in dieser Hinsicht
seinem Leben die Krone auf; und was die Zivilverwaltung betrifft, so
stand es damit nicht besser. Wenn etwas geschehen sollte, so mußte er
selbst darnach sehen, und die Last eines jeden Departements lag auf
seiner Schulter.

  »Einen jeden Befehl, und wo sich's doch um das Interesse der Leute
  selbst handelt, muß ich zwei-, dreimal wiederholen. Ich kann wahrlich
  sagen, ich bin des Lebens müde; Tag und Nacht, Nacht und Tag ist's
  ~eine~ fortdauernde Plage.«

Von den Baschi-Bosuks, die ihm ja von jeher ein Dorn im Auge waren,
kann er zuletzt nur noch sagen, er werde sie in Watte einwickeln und
aufheben; all seine übrigen Ägypter, die Offiziere nicht ausgenommen,
ist er bereit, den heranziehenden Engländern zu schenken in der
Hoffnung, daß er sie dann nie wieder sehen möchte. Nachdem der
»Abbas« seine Gefährten davon getragen hatte, war nicht ein Mensch
in der Stadt, auf den er sich verlassen konnte; er nennt es eine
peinliche Lage. Der österreichische Konsul Hansal war zwar noch da;
als Gordon aber hörte, derselbe beabsichtige sich mit seinen sieben
Frauenspersonen zum Mahdi zu schlagen, hatte er nur die eine Antwort:
»Ich hoffe, er wird es thun!«

Noch am 3. Dezember entwirft Gordon ein Programm, wie zu helfen
sei, und wenn auch von zweifelhafter Moral, so wäre es doch für die
Engländer der kürzeste Weg aus der Patsche:

  »Die britische Entsatz-Expedition kommt, um britische Unterthanen aus
  der Not zu retten, ~lediglich aus diesem Grunde~; man findet,
  daß einer dieser Unterthanen hier Befehlshaber ist; man rettet ihn,
  und ehe er sich retten läßt, setzt er, an der Genehmigung des Khedive
  nicht zweifelnd, Sebehr als seinen Nachfolger ein, dem es zufällig
  verstattet worden war, sich als Privatmann in Familienangelegenheiten
  nach Khartum zu begeben. Wer kann da der britischen Regierung einen
  Vorwurf machen -- kein Mensch. Sie hat den Sebehr nicht eingesetzt,
  und des Thewfik Regierung geht sie nichts an; man ist nur gekommen,
  um die eigenen Unterthanen zu retten, und Gordon ist der Mann, der
  die Ernennung Sebehrs zu verantworten hat! Nicht einmal Thewfik
  hat eine Verantwortung in der Sache, denn Gordon hat es auf seine
  eigene Verantwortung hin gethan! Ist das nicht ein prächtiger Plan?
  Denn erstens reinigt er die britische Regierung von aller Schuld,
  zweitens legt er mir die Schuld auf, und in dem Wetter, das über
  mich ergehen wird, werde ich so gründlich übergossen werden, daß
  man -- ich will nicht schimpfen, noch die Monate zählen -- sagen
  wir, daß man den bisherigen Verzug dabei ganz übersehen wird. Ja man
  wird am Ende gar die Regierung noch tadeln, einem solchen Subjekt
  von britischem Unterthan überhaupt zu Hilfe gekommen zu sein. Das
  Ministerium kann sich dann ins Fäustchen lachen, und die Fabel bleibt
  aufrecht erhalten, daß der Sudan oder Ägypten uns nichts angeht.
  Der Gegenpartei wird's der reine Verdruß sein, wenn die Regierung
  auf eine so anständige Weise aus ihrer Patsche kommt, während
  die Gesellschaft zur Unterdrückung des Sklavenhandels und alle
  Tugendhelden in Europa die Schalen ihres Zorns über mich ausgießen.
  Und ich entgehe auf diese Weise allen Ehren und Belohnungen, denn man
  wird höhern Orts nur zu gern die Gelegenheit ergreifen und sagen:
  ›Nach solch niederträchtiger Handlungsweise kann man den Mann ja
  nimmer anstellen,‹ als ob sie nicht wüßten, daß er »Belohnungen«
  so wie so nicht annähme! Es kann mir überhaupt gleichgültig sein,
  was über mich gesagt wird, denn da ich nicht wieder nach England
  zurückkehren will, so kann viel in die Zeitungen geschrieben werden,
  was ich nicht sehe. Es ist in jeder Hinsicht ein vorzügliches
  Programm!«

Und weiter meint er, er wisse wohl, was über ihn gesagt werden würde,
jedenfalls ~einen~ wisse er, der ausrufen werde:

  »Mein lieber Gordon, wie kann man so handeln -- ~wären~ Sie doch
  lieber gestorben, ehe Sie sich so weit vom Pfad der Rechtlichkeit
  verirrten!«

»Vergnügte Weihnachten!« setzte er trocken hinzu.

Am Tag, da er dies schreibt, berichtet er von drei Schlachten, während
die Stadt fortwährend beschossen wird; und abends nach sieben fingen
die Araber noch einmal an, weil die Zinkenisten in der Stadt das
›Salaam Effendina‹ (das ägyptische ›Heil unserm Fürsten, Heil!‹)
aufspielten. Am 5. Dezember beschließt er einen Ausfall, um dem Fort
Omderman zu Hilfe zu kommen, das in bedrohter Lage war.

  »Ich habe nun fast alle Hoffnung aufgegeben, die Stadt zu retten,«
  sagte er, »dieser Ausfall ist ein letzter Versuch, um die Verbindung
  mit Fort Omderman wieder herzustellen.« Am folgenden Tage schrieb
  er: »Ich habe den Gedanken aufgegeben, eine Landung bei Omderman
  zu bewerkstelligen, wir haben keine Möglichkeit es zu thun.« Am
  7. Dezember: »Heute der zweihundertundsiebzigste Tag unseres
  Eingeschlossenseins. Die Araber haben von ihren Kanonen bei Guba acht
  Bomben abgeschossen, eine fiel in der Nähe des Palastes, richtete
  aber keinen Schaden an.«

Daß Gordon am zweihundertundsiebzigsten Tag seiner hoffnungslosen
Verteidigung der Stadt nicht leichten Herzens sein konnte, bedarf
gewiß nicht des Nachweises; dennoch kann er seine Belagerungsnotizen
an jenem Tag mit dem Satz unterbrechen:

  »Mein Truthahn hat eines seiner Weiber umgebracht, Grund unbekannt;
  wahrscheinlich geheime Korrespondenz mit dem Mahdi, oder sonst eine
  Haremstreulosigkeit.«

Es war Gordons Art und Weise, einen unliebsamen Gegenstand mit einem
Gewaltsprung zu verlassen, als ob er einen Scherz machen müßte, um der
Sorge Herr zu werden. Gold aber wird durchs Feuer bewährt; auch Gordon
mußte hindurch. Was mag er innerlich gelitten haben im Blick auf die
ihn umgebende Not einerseits, in Gedanken an seine Landsleute und ihr
Verhalten andererseits! »~Der Allmächtige hilft mir durch!~«
schreibt Gordon. Hätte dies tapfere Herz nur gewußt, wie England, ja,
wie die ganze weite Welt in jenen Tagen um ihn sorgte -- aber es war
ihm versagt. Er stand im Feuer in großer Einsamkeit, der Allmächtige
allein war bei ihm.

Die Belagerung stand nun im zehnten Monat, und nicht nur sah man
der Erschöpfung der Lebensmittel entgegen, sondern, was fast noch
schlimmer war, auch der Schießbedarf ging auf die Neige. Zwar wurde
unter Gordons Aufsicht Pulver bereitet und sein Arsenal lieferte
täglich mehrere tausend Patronen -- der Verbrauch aber war zu groß. Am
11. Dezember bringt sein Tagebuch die Notiz:

  »Ich habe der ganzen Besatzung Extralöhnung für einen Monat gegeben,
  nachdem sie bereits solche für drei Monate erhalten hat; ja ich würde
  nicht zögern, ihnen zwei Millionen Mark zu bewilligen, wenn ich
  dächte, es hielte die Stadt.«

Das sind inhaltsschwere Worte, nur noch mit Geld oder
Geldversprechungen war seine Mannschaft bei der Fahne zu halten!

Am 14. Dezember schließen die Tagebücher folgendermaßen -- es ist
Gordons letzte Botschaft an seine Landsleute:

  »Die Araber haben heute früh zwei Bomben auf den Palast abgefeuert.
  Vorrat: 546 Ardeb Durra und 83525 Oke Zwieback! Halb elf Uhr -- die
  Dampfer sind bei Omderman mit den Arabern im Gefecht, und ich sitze
  auf Kohlen. Halb zwölf Uhr -- die Dampfer sind zurück; den Bordeen
  traf eine Bombe in die Batterie; nur ein Mann der Unsrigen verwundet.
  Morgen soll der Bordeen mit diesem Tagebuch abgehen. Hätte ~ich~
  zweihundert Mann vom Entsatzzug zu befehligen, mehr sind nicht nötig,
  so würde ich gerade unterhalb Halfaja die Araber angreifen und dann
  nach Khartum vorrücken. Ich würde mich dann mit dem Nord-Fort in
  Verbindung setzen und weiteres Handeln von den Umständen bestimmen
  lassen. ~Das merkt euch~, wenn der Entsatz, und ich verlange
  nicht mehr als zweihundert Mann, nicht in zehn Tagen hier ist, kann
  ~die Stadt fallen~; und ich habe gethan, was ich konnte, für die
  Ehre unseres Landes. Lebt wohl.

   C. G. Gordon.«

Er hat die Stadt nicht zehn, sondern noch dreimal zehn Tage gehalten;
aber was nach dem 14. Dezember geschehen, wird schwerlich je in
völlig authentischer Weise bekannt werden. Ohne Zweifel hat er bis
zum letzten Tag seine Notizen niedergeschrieben, aber sein siebentes
Tagebuch ist entweder in die Hand des Mahdi geraten oder in der
allgemeinen Zerstörung zu Grunde gegangen.

Gordon wußte wohl, daß die Besatzung zum äußersten gebracht war.
Allerlei Anzettelungen in der Stadt und geheime Unterhandlungen mit
dem Mahdi nahmen überhand. Es ist bemerkenswert, daß Gordon, selbst
eine redliche Seele wie wenige, sein Leben lang immer wieder die
Erfahrung machen mußte, daß andere ihn im Stich ließen oder gar
mit Treubruch ihm begegneten. Es bringt ihn zu dem Geständnis, daß
der Mensch von Natur ein trügerisches Geschöpf sei. Psalm 116, 11
lautet in der englischen Übersetzung: ›Ich sprach in meiner Eile
(Übereilung): alle Menschen sind Lügner‹; das hätte der Psalmist auch
mit Bedacht sagen können, schrieb Gordon im September 1884. Ob die
Stadt durch direkten Verrat fiel, wie man in der ersten Zeit nach
der Katastrophe allgemein annahm, ist nicht klar erwiesen, so viel
nur ist gewiß, daß die ausgehungerte Besatzung zur Übergabe bereit
war, daß Gordon also allein stand in der großen Not. Der Mahdi war
durch Überläufer aufs genaueste von allem unterrichtet, und es war
seine Absicht, die Stadt zuletzt ohne Schwertstreich durch Hunger zu
bezwingen.

Gordons Tagebuch unterm 14. Dezember enthielt die letzte bestimmte
Nachricht über Khartum. Die Lage der Stadt war schon damals eine
äußerst kritische, »sie kann in zehn Tagen fallen,« schrieb er. Den
noch vorhandenen Mundvorrat giebt er an jenem Tage auf 83525 Oke
Zwieback und 546 Ardeb Durra an. Nach seinen fast wöchentlichen
Angaben der Vorräte läßt sich berechnen, daß bei Einschränkung der
Durra-Rationen die Verabreichung des Zwiebacks an die Truppen bis zum
14. Dezember nicht geschmälert worden war, und daß der an diesem Tag
erwähnte Vorrat allein durch den Bedarf der Truppen in etwa achtzehn
Tagen erschöpft sein würde. Aber schon am 22. November hatte Gordon
den Armen der Stadt 9600 Pfund Zwieback verabreichen müssen. Er
bemerkte dabei: »Ich bin entschlossen, daß wenn die Stadt fällt, der
Mahdi blitzwenig hier zu essen finden soll.« Es unterliegt kaum einem
Zweifel, daß es von da ab nötig war, den ärmeren Einwohnern Rationen
zu bewilligen, und selbst bei größter Sparsamkeit mußte der Vorrat mit
dem 1. Januar 1885 so ziemlich auf der Neige sein.

Man versetze sich in die Lage der von allen Seiten eingeschlossenen
Stadt an jenem 14. Dezember, dem 277sten Tag ihrer Not! Es war
fast auf die Stunde zu berechnen, wie lang die letzten ärmlichen
Nahrungsmittel noch ausreichen konnten, schon jetzt ist Hunger die
tägliche Losung, Entkräftung der Mannschaft und drohender Verrat
sein Gefolge. Keine Nachricht vom Entsatzheer, wie ängstlich man
desselben auch harrt, und täglich schwächer wird die Hoffnung, daß es
rechtzeitig eintreffe, täglich geringer wird der Mut der Mannschaft
und täglich giebt's Überläufer zum Feind.

In all dieser Not, wie ein Fels in der Brandung, steht ~ein~
Mann, äußerlich wohl auch geschwächt, aber innerlich mit stets
wachsendem Mut, mit seinem alten Gottvertrauen, seinem kindlichen
Glauben, die ~eine~ Zuversicht des erliegenden Volks --
~ein~ Mann voll unbesiegbarer Widerstandskraft, allezeit
wachsam, allezeit erfinderisch, voll Hingabe seiner selbst, voll
Mitleid für ›dies Volk‹. »Ich halte aus,« kann er sagen, »aber die
Haare sind mir grau geworden vor übergroßer Sorge und Anstrengung.«
Wie nah ist die Hilfe -- er weiß es nicht. Bis fast zuletzt konnte er
sich retten -- er thut es nicht. Er steht auf seinem Posten, getreu
bis in den Tod.

Etwa am 6. Januar erließ Gordon eine Verkündigung, in welcher er es
den Einwohnern freistellte, zum Mahdi zu gehen. Dieser Erlaubnis wurde
massenhaft Folge geleistet. Der hochherzige Gordon schrieb selbst an
den Mahdi und forderte ihn auf, diesen armen Moslem Schutz und Nahrung
zu gewähren, wie er selbst es seit neun Monaten gethan habe. Es ist
berechnet worden, daß von den im September gezählten 34000 Einwohnern
nur etwa 14000 zurückblieben. Den sinkenden Mut der Besatzung suchte
Gordon durch tägliche Ansprachen zu beleben, er verwies immer wieder
auf den nahenden Entsatzzug, er lobte seine Truppen, daß sie bisher
ausgehalten, und selbst diese armen Menschen mußten sich an seinem
eigenen unerschütterlichen Entschluß aufrichten, die Stadt nicht zu
übergeben.

Am 13. Januar fiel Fort Omderman, ein schwerer Schlag für die
eingeschlossene Besatzung, die ihres Außenwerks auf der Westseite
des Weißen Nils damit verlustig ging; auch konnten die Araber durch
Errichten von Batterien den Weißen Nil jetzt gänzlich für Gordons
Dampfer schließen, während ihre eigene Position durch die gewonnene
Flußverbindung zwischen dem Dorf und Lager Omderman ungleich verstärkt
war. Am 18. Januar, nachdem die feindlichen Außenwerke bist fast an
die Stadt vorgeschoben waren, machten die Belagerten einen Ausfall
und ein verzweifelter Kampf fand statt. Von der Besatzung fielen etwa
zweihundert, und obgleich des Mahdi Verluste beträchtlich gewesen
sein sollen, so ist doch nicht ersichtlich, daß ein Vorteil für die
Belagerten errungen wurde. Nach der Rückkehr der Besatzung in die
Stadt hielt Gordon eine Anrede an die erschöpfte Mannschaft. Er lobte
ihren tapfern Widerstand und redete ihnen eindringlich zu, den Mut
nicht fallen zu lassen, Hilfe sei nahe, die Engländer könnten täglich
kommen und dann sei alles gut! Wie erschöpft mag er selbst gewesen
sein, der große Held, von dem gesagt wurde, daß er um diese Zeit nie
mehr schlief!

Die Zustände innerhalb Khartums waren verzweifelte; alle Esel, Hunde,
Katzen, Ratten waren aufgezehrt, eine kleine Quantität Gummi wurde
täglich an die Truppen verabreicht, und aus der zerriebenen Holzfaser
einer Palmenart wurde Brot bereitet. Gordon berief die namhaftesten
Einwohner mehrmals zum Kriegsrat und ordnete an, daß die Stadt aufs
gründlichste nach Nahrung durchsucht wurde; das Ergebnis war aber ein
geringes, nur vier Ardeb Durra in der ganzen Stadt, und diese wurden
für die Truppen beschlagnahmt.

Mittlerweile gelangte die Nachricht von der Niederlage der Kerntruppen
des Mahdi bei Abu Klea ins feindliche Lager und rief Bestürzung und
Zorn unter den Arabern hervor; auch ist gesagt worden, daß bei dieser
Gelegenheit Unzufriedenheit mit des Mahdi Regiment laut geworden sei.
Die Rebellen verlangten stürmisch einen Angriff auf die Stadt. Das
war am 20. Januar. Am 22. folgte die weitere Nachricht, daß die von
Abu Klea vordringenden Engländer den Nil bei Metammeh erreicht hätten
(wo Gordons Dampfer auf sie warteten), man schloß hieraus, daß dieser
Ort in ihren Händen sei, daß somit nichts am Vorrücken sie hindere,
und dies bestimmte den Mahdi zu einem sofortigen Angriff, ehe die
englische Hilfe Khartum erreichen könne. In Khartum selbst war ein
unklares Gerücht von der Schlacht bei Abu Klea und der Ankunft der
Engländer bei Metammeh laut geworden. Wie nah war die Erlösung, der
Lohn für alle Treue, die ruhmvolle Rechtfertigung des ausharrenden
Heldenmuts!

Es sollte anders kommen. Gordons schwarze Truppen standen unter dem
Befehl von Farragh Pascha, einem freigelassenen Sklaven, der seine
Erhebung Gordon verdankte, und dieser ist's, den die Anklage traf, die
Stadt durch Verrat dem Mahdi überliefert zu haben. Wohl möglich, daß
es sich so verhält, nachgewiesen ist es nicht; nur so viel ist gewiß,
daß der Mahdi mit ihm unterhandelte, ihm Bedingungen zur Übergabe
machte. Es ist bekannt geworden, daß Gordon am 23. einen stürmischen
Auftritt mit Farragh Pascha hatte; ein den Fall Khartums überlebender
Augenzeuge erklärte als die Ursache desselben, daß Gordon ein Fort
am Weißen Nil, das unter Farraghs Befehl stand, ungenügend besetzt
gefunden habe. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Farragh bei dieser
Gelegenheit einen Vorschlag fallen ließ, die Stadt zu übergeben.
Gordon soll ihm mit einer Ohrfeige geantwortet und Farragh den Palast
in hohem Zorn verlassen haben.

Am folgenden Tag berief Gordon abermals einen Kriegsrat. Höchst
wahrscheinlich kamen Farraghs Vorschläge bei dieser Gelegenheit
zur Sprache, und die Meinung, daß die Stadt nicht länger zu halten
sei, scheint die Oberhand gewonnen zu haben. Gordon aber erklärte,
~er~ werde sie halten. Am 25. war Gordon leicht erkrankt, es
war ein Sonntag, er zeigte sich nicht öffentlich, doch hatte er
verschiedene Unterredungen mit namhaften Leuten der Stadt. Er war
sich offenbar über das nahe Ende klar. Es ist gesagt worden, daß er
gegen Abend an Bord der »Ismailia« nach der Insel Tuti übergefahren
sei, um eine Mißhelligkeit der dortigen Besatzung beizulegen. Dadurch
entstand das Gerücht, daß er im letzten Augenblick an Bord seines
Dampfers entkommen sei. Der Umstand aber, daß beide Dampfer den
Siegern in die Hände fielen, ja daß die Ismailia vom Mahdi zu seinem
Einzug in Khartum benutzt wurde, sowie die genaue, von verschiedenen
Zeugen bekräftigte Nachricht von Gordons Tod machte es unmöglich,
jenem Gerücht lange Glauben zu schenken, ganz abgesehen davon, daß
Gordon nicht der Mann war, sich im letzten Augenblick zu retten. »Mit
Gottes Hilfe gedenke ich nicht lebend in ihre Hand zu fallen, somit
bleibt nur der Tod,« hatte er einige Wochen zuvor in sein Tagebuch
geschrieben. Wenn er an jenem Abend nach Tuti überfuhr, dann kehrte er
zu einer späten Stunde in seinen Palast nach Khartum zurück.

In der Nacht vom 25. auf den 26. Januar verließen viele ausgehungerte
Soldaten ihre Posten auf den Wällen, um Nahrung in der Stadt zu
suchen, während andere vom langen Fasten zu schwach waren, für sie
einzutreten. Es wurde dies in der Stadt bekannt, und eine Anzahl der
erschreckten Einwohner bewaffnete sich und ihre Sklaven, um auf den
Wällen Dienst zu thun. Dies war nichts ungewöhnliches, nur daß in
dieser Nacht mehr Freiwillige als zuvor sich einfanden. So nahte der
verhängnisvolle 26. Vor Tagesgrauen geschah der feindliche Überfall.
Das Bourré-Thor am äußersten Ostende der Verteidigungslinie am Blauen
Nil und das Mesalamieh-Thor auf der Westseite gegen den Weißen
Nil waren die Hauptpunkte des Angriffs. An jenem Posten hielt die
Besatzung stand, am Mesalamieh-Thor hingegen gelang es den Arabern
in die Festungswerke einzudringen. Ob Verrat in dieser Stunde im
Werk war, ist nur zu mutmaßen, sicher ist, daß es der ausgehungerten
Mannschaft an aller Widerstandskraft gebrach. Die Feinde füllten den
Graben mit Stroh- und Reisigbündeln u. s. w. und erstiegen den Wall.

Oberst Kitchener vom Entsatzzug, ein durch langen Aufenthalt im Sudan
mit den Arabern und der arabischen Sprache wohlvertrauter Offizier,
dessen Zusammenstellung der spärlichen Berichte obiges entnommen ist,
hält dafür, daß Khartum infolge des plötzlichen Angriffs fiel, als die
hungernde Besatzung zu erschöpft war, um sich hinreichend zur Wehre
setzen zu können.

Nachdem die Araber in die Stadt eingedrungen waren, stürmten sie
tobend und mordend durch die Straßen, jeden niedermachend, der ihnen
in den Weg kam, was den Schrecken der Überfallenen nur erhöhte und
den letzten Versuch Widerstand zu leisten lahmte. Als der Morgen
gespensterbleich am fernen Horizont graute, stand die mordende
Horde in nächster Nähe des Palastes. Jetzt waren sie siegesgewiß.
Das gellende Geschrei, mit welchem die Streiter des Halbmonds dies
bekundeten, weckte Gordon aus dem kurzen Schlaf, den die frühe
Morgenstunde ihm gebracht hatte. Seit Monaten hatte er sich keine
Nachtruhe gegönnt, er der Wächter und Hüter der ihm anvertrauten
Stadt. Welch ein Weckruf! er wird ihm nicht unerwartet gekommen sein.
Er erhob sich, zum letztenmal nahm er eine Waffe zur Hand, er wußte,
daß er sie bald niederlegen werde, der lange Kampf war zu Ende. Gordon
verließ den Regierungspalast mit etlichen seiner Leute und machte den
Versuch, das Arsenal im katholischen Missionshaus zu erreichen; diesen
Ort hatte er längst für den letzten Kampf ausersehen und hergerichtet.

Mit großer Ruhe und den Seinen etwas voraus nahte Gordon der
kleinen Kirche. Das kurze Zwielicht der Wüste wich dem aufdämmernden
Tag, über den hohen Palmen am Blauen Nil erglühte der Osthimmel
im Morgenrot. Noch hingen die Schatten der verhängnisvollen Nacht
über der verlorenen Stadt. Verworrenes Geschrei erscholl auf allen
Seiten von erbarmungslosen Siegern und hilflos Besiegten. Das Schwert
des Islam war aus der Scheide. Auf dem freien Platz zwischen dem
Regierungspalast und der kleinen Missionskirche stand Gordon mit
seiner Schar, als eine Bande von Arabern aus der nächsten Straße
hereinstürzte. Einen kurzen Augenblick standen beide einander
gegenüber, dann krachte ein Musketenfeuer, der aufgehende Tag
erzitterte, und Gordon fiel zum Tod getroffen.

Die Wüste breitete ihr Schweigen über seine sterbliche Hülle, nichts
weiter hat verlautet. Des Mahdi Horden plünderten und mordeten in
der Stadt, das Blut der Besiegten floß in Strömen, und als der
entsetzlichen Arbeit Einhalt geschah, und die Stadt aus hundert Wunden
blutend, den Blick wieder erhob, war ihr Held, ihr Märtyrer, ja selbst
sein Leichnam, ihr entrückt.

Die denkwürdige Belagerung von Khartum währte 317 Tage; nie war einer
erliegenden Besatzung die Hilfe so nahe, und kein Kriegsheld ging je
in einen schönern Tod.


                       8. Die Krone der Ehren.

Gordon wußte, daß er in den Tod ging, er schrieb verschiedene
Abschiedsbriefe, die ihre Bestimmung erreichten; es sind die Worte
eines, der das dunkle Thal schon vor sich sieht. Seiner Schwester
schrieb er:

  »Gott der Herr regiert, und da Er zu Seiner Ehre und unserem Besten
  regiert, so geschehe Sein Wille. Ich hin ganz zufrieden und kann mit
  Lawrence[16] sagen, ich habe versucht, meine Pflicht zu thun ....
  Wenn Gott es einem Menschen geschenkt hat, viel im Umgang mit Ihm zu
  leben, so kann der Tod für einen solchen nichts Schmerzliches sein;
  ja, was ist der Tod für den gläubigen Christen!«

Es steht wohl auf jeder Seite der Lebensgeschichte dieses Mannes
geschrieben, daß er seinem Gott vertraute -- in seltener Weise
vertraute. Sollte es Leser geben, die fragen, was hat ein Mann wie
Gordon nun vor anderen voraus, hat er nicht in schmählicher Weise, von
Freunden verlassen, von Feindeshand fallen müssen, und der Gott, dem
er vertraute, hat ihm ~nicht~ geholfen? so giebt Gordon selbst
die Antwort darauf in den tiefrührenden Worten an seine Schwester:

  »Du darfst nicht vergessen, daß unser Herr niemand versprochen hat,
  ihn das Glück und den Frieden in diesem Leben finden zu lassen.
  Er hat uns im Gegenteil Trübsal verheißen. Wenn es also ein übles
  Ende nimmt nach dem Fleisch, so ist Er dennoch treu. Was Er thut,
  geschieht in Liebe, und Sein Erbarmen ist über mir. Mein Teil ist
  Ergebung in Seinen Willen, wie dunkel derselbe auch sei.«

Einem fernerstehenden Freund schrieb er:

  »Alles vorbei. Ich erwarte die Katastrophe innerhalb zehn Tagen. Es
  wäre nicht so gegangen, hätten unsere Leute besser dafür gesorgt, mir
  Nachricht zukommen zu lassen. Lebt alle wohl. -- C. G. Gordon.«

Dem Sir Charles Wilson, der ihm mit einem Teil der Entsatz-Mannschaft
die erste Hilfe bringen sollte, schrieb er, er hoffe, daß nach Gottes
Willen die Engländer rechtzeitig kommen könnten, um ihn und andere
zu retten, aber er fürchte, sie würden zu spät kommen; er wisse, daß
Verrat im Anschlag sei, und er könne es nicht hindern. Noch jetzt
stünde es in seiner Macht sich zu flüchten, aber das wolle er nicht;
er werde auf seinem Posten bleiben und nicht zuletzt noch davonlaufen.
Gefangen nehmen lassen werde er sich nicht; also bleibe der Tod.

Und so starb der Held. Die heiße Schlacht war verloren er aber war
dennoch ein Sieger, einer von denen, die gekrönt werden nach dem
Kampf. Daß die unverwelkliche Krone ihm wurde, wer könnte daran
zweifeln! Aber auch eine irdische Krone der Ehren ist ihm behalten,
wie wenigen seines Geschlechts, in der Bewunderung, ja, in der Liebe
von Tausenden, die um ihn trauern wie um einen nahestehenden Freund.
Nicht nur England, die weite Welt erkannte den Verlust. Wie mit
leuchtenden Buchstaben stand es auf einmal vor aller Augen, dieser
Mann war ein Held in unserm Jahrhundert, wie sonst nur Sage und Sang
aus längst vergangenen Zeiten uns von Helden berichten, und er ist
tot! Die Kunde traf England ins Herz. Wer an jenem 5. Februar, der die
Nachricht brachte -- den »schwarzen Donnerstag« hat man ihn seither
genannt -- durch die Straßen von London ging, der konnte auf allen
Gesichtern lesen, daß Trauer auf das Land gefallen war. Seit der
indischen Meuterei hat nichts das Land in ähnlicher Weise erschüttert,
wie der Fall von Khartum. Es war, als handelte es sich für jeden um
einen persönlichen Verlust. Hoch und nieder, reich und arm hatten nur
die eine Klage: Gordon ist tot! Kein König ist je so betrauert worden.
England wußte es jetzt, was es an ihm verlor, und viele Tausende
schlugen dabei an ihre Brust. Was einer seiner Landsleute aussprach,
als es sich um ein Gordon-Denkmal handelte, war die Stimmung des
Volkes seinen Führern gegenüber:

     Ein Denkmal unserm Gordon -- gut!
   So lang im Nil sich spiegelt Nacht und Tag,
   Der in Khartum sich färbte rot mit Blut,
   Sei nicht vergessen, wie der Held erlag.

     Ja, richtet ihm ein Denkmal auf,
   Und wenn in Marmorstein sein Ruhm erblüht,
   Schreibt auch als Denkschrift das Bekenntnis drauf:
   »Aus Dankbarkeit das Volk, das ihn verriet!«

Nur erwähnt sei die Thatsache, daß am Abend des Tages, der ganz
England mit Trauer erfüllte, einer am andern Morgen erschienenen
Zeitungsnotiz zufolge Gladstone die komische Oper mit seiner
Anwesenheit beehrte! Wie zu erwarten stand, hielt dieser Minister dem
gefallenen Helden Englands einen glänzenden Nachruf im Parlament;
als er aber mit einem namhaften Beitrag dem projektierten Denkmal
beitreten wollte, da lehnten sich Stimmen aus allen Volksklassen
in der Tagespresse dagegen auf. Was das Denkmal für eine Gestalt
annehmen solle, ob die eines Spitals in Port Said, oder in England
-- im Gedanken an Gordons »Prinzen« -- die eines Rettungshauses
für verwahrloste Knaben, darüber ist viel verhandelt worden. Ein
Ehrendenkmal von Stein ist äußerst bezeichnender Weise erst lang
nachher zu stand gekommen. Gordon braucht keines. Am 10. Mai 1886
wurde eine Anstalt unter dem Namen »+The ›Gordon‹ Boys Home+«
eröffnet, in welcher verwahrloste Jungen im allgemeinen, wenn
auch nicht ohne Ausnahme für den Soldatenstand erzogen werden.
Schon im Herbst 1885 wurde ein Anfang dazu gemacht, die nötigen
Mittel flossen aber nur spärlich. Wäre eine ungenannte Dame nicht
mit der schönen Summe von hunderttausend Mark zu Hilfe gekommen,
welche Gabe sie bei der Eröffnung verdoppelt hat, die Anstalt wäre
vielleicht noch heute nicht eröffnet! Wie Gordons Bruder, Sir
Henry Gordon, übrigens treffend bemerkt hat, bestehen in England
bereits gegen fünfhundert derartige Rettungshäuser, und es hätte
dem bescheidenen und praktischen Sinn Gordons mehr entsprochen, die
Zinsen des eingegangenen Kapitals in unmittelbarer Weise für arme
Kinder zu verwenden, wenn man sie in bereits bestehenden Anstalten
untergebracht, oder sonst für ihr Fortkommen gesorgt hätte, wie Gordon
selbst in Gravesend gethan, als eine neue Anstalt zu errichten,
deren bloße Gründung die gezeichneten Mittel verschlingen mußte.
-- Vom englischen Parlament sind auf Wunsch der Königin Viktoria
vierhunderttausend Mark bewilligt worden, die Gordons verwitweten
Schwestern und Schwägerinnen, nach deren Tod aber seinen zahlreichen
Nichten und Neffen zu gut kommen sollen. Für diese Bestimmung diente
sein vor der Abreise nach Khartum verfaßtes Testament als Richtschnur.
Nicht als ob ~er~ viel zu hinterlassen gehabt hätte, nur den Wert
seines Offizierspatents, etwa zwölftausend Mark. Er konnte ja nie
Geld in der Hand behalten, so lang es Hilfsbedürftige gab, und wenn
er gerade bei Kasse war, so war eine ›milde Gabe‹ von zwei oder mehr
tausend Mark nichts ungewöhnliches bei ihm.

Die Lebensgeschichte eines solchen Mannes ist ein Saatkorn im Acker
der Zeit; es wird aufgehen und Frucht bringen, und von Gordon gilt das
Wort: er redet noch, wiewohl er gestorben ist. Die Schönheit eines
solchen Lebens wird von allen anerkannt, selbst von denen, die am
wenigsten die Kraft besitzen, das darin gegebene Vorbild nachzuahmen.
Viele aber werden sich daran aufrichten und suchen, an ihrem Teil
etwas von der Kraft zu gewinnen, die Gordon stark machte. Im Kampf
stehen wir alle. Helden im großen Sinn können nicht alle sein; aber
die Selbstaufopferung, die Demut, die kerngesunde Aufrichtigkeit
des Mannes können auch andere erreichen. Das Wunderbare bei Gordon
war, daß der natürliche Mannesmut seines Wesens mit der christlichen
Demut eins wurde und ihn zum idealen Menschen gestaltete. Es ist ein
Beweis, daß das Christentum die natürliche Eigenart des Menschen
nicht vernichtet, sondern sie veredelt und zu ihrer schönsten Blüte
bringt. Und bei Gordon hat sich dies so völlig bewährt, daß ihm nicht
leicht ein ebenbürtiger Charakter an die Seite zu stellen ist. Wir
blicken auf und nieder in der Geschichte der Völker, wo finden wir
einen, in dem jede Gestalt der Selbstsucht so völlig unterdrückt war,
der in all seinem Denken und Thun nur um andere sorgte? wo einen,
der es sich so ernstlich angelegen sein ließ, sein Leben nach dem
Willen Gottes in der Nachfolge Christi zu gestalten? wo einen, der den
seltenen Mut in solchem Maße besaß, sich um Menschenurteil nicht zu
kümmern, wo es mit der Stimme des Gewissens oder dem Wort der Schrift
im Widerspruch steht? Reichtum, Ehre, die Würde hoher Stellung,
alles galt ihm nichts, oder doch nur so viel als er glaubte, dadurch
Gelegenheit zu finden, Gutes zu vollbringen. Von dem Verlangen, sich
einen guten Namen zu machen, das sonst auch vortrefflichen Menschen
selbst dann noch anhängt, wenn gröbere Gebrechen überwunden sind, war
er völlig frei. Sein einziger Ehrgeiz, wenn man es so nennen kann,
war der Wunsch, seinem Gott zu dienen und seinen Mitmenschen Gutes
zu thun. Und wie viel ließe sich von seinen anderen Eigenschaften
sagen, seinem unerschöpflichen Humor, seinem frischen Sinn, seiner
unendlichen Thatkraft, seinen Mut, seiner Tapferkeit, seiner
Menschenfreundlichkeit, seiner hochherzigen Treue! Ja, es ließe sich
das ganze Register menschlicher Tugenden aufzählen, und man hätte nur
wenige Gebrechen seines Wesens dagegen zu stellen, obschon er selbst
der erste war, sich mit Paulus unter den Sündern den vornehmsten zu
nennen.

Es war nicht möglich, die Lebensgeschichte dieses Mannes zu schreiben,
ohne hervorzuheben, welch rückhaltlose Bewunderung er verdient.
Gordon selbst sagte einmal, und gewiß mit voller Aufrichtigkeit:
Lieber tot sein, als gelobt werden! Die edelsten Handlungen seines
Lebens hat er so angesehen, als ob sie sich von selbst verstünden;
sie waren auch nichts anderes, als die natürliche Frucht seines vom
Christentum durchdrungenen Wesens, und in diesem Sinn allerdings
selbstverständlich. Es ist gesagt worden, daß Gordon ein idealer
Mensch gewesen sei, der nicht recht ins neunzehnte Jahrhundert paßte;
wenn dem so wäre, dann müßte man das Jahrhundert bedauern und die
Menschen, die darin leben. So viel ist sicher, Gordon war einer von
den wenigen, die den Mut haben, ihr Ideal in allen Dingen, in jeder
Lage zur Geltung zu bringen, d. h. so zu leben, wie er es mit seinem
innersten und besten Wesen als gut erkannte. Gäbe es doch viele
Idealisten in diesem Sinn!

Es gehört mit zu den Rätseln des Lebens, warum Menschen wie Gordon
oft in der Fülle ihrer Kraft abgerufen werden. Er war fast auf den
Tag zweiundfünfzig Jahre alt; wie viel hätte er noch hier thun können
beides zur Ehre Gottes und zum Besten seiner Mitmenschen! Aber, wie
Staupitz einst zu Luther sagte, es braucht der Herr auch in der andern
Welt tüchtige Leute, und wenn Er hier Arbeit für solche hat, nicht
minder dort. Der Himmel ist nicht nur ein Land der Harfen und Kronen
und des Ruhens von allem Jammer der Zeitlichkeit; wohl das, aber
er ist auch ein Land des völligeren Gottdienens, wo es, um mit den
Worten des Gleichnisses zu reden, Städte zu verwalten giebt, was diese
nun sein mögen. Und als Gordon aus dem Kampf seines Lebens in die
Wohnungen des Friedens einging, wird er wohl die Stimme seines Herrn
vernommen haben, die zu ihm sagte:

»=Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu
gewesen, ich will dich über viel setzen. Gehe ein zu deines Herrn
Freude.=«

                            [Illustration]


Fußnoten:

[1] englische Meilen = 45 Kilometer.

[2] Die Sohnestreue des Mannes giebt sich öfter kund. Ein Missionar,
der ihn im Sudan kennen lernte, sagt unter anderem: »Es ist seine Art,
rasch von einem Gegenstande zum andern überzugehen. Mitten im Gespräch
unterbrach er mich z. B. mit der Frage: Haben Sie an Ihre Mutter
geschrieben? Und auf meine bejahende Antwort fuhr er fort: Das ist
recht; lassen Sie nur immer Ihre Mutter wissen, wie's Ihnen geht. Wie
lieb hat meine Mutter mich gehabt!«

[3] Schon vor Sebastopol hatte Gordon hievon einen Beweis gegeben.
Er kam einmal dazu, wie ein Korporal seine Leute zum Aufwerfen einer
Schanze mitten in den Kugelregen schickte, während er selbst gedeckt
stand. Gordon sprang ohne ein Wort zu sagen hinzu und legte mit den
Soldaten selbst Hand an. »Man muß die Leute nie etwas thun heißen,
wovor man sich selbst scheut,« belehrte er nach vollbrachter Arbeit den
Korporal.

[4] »+Soldier of fortune+« sagte die Times -- »Held von Gottes Gnaden«
wäre richtiger.

[5] Von Heinrich +IV.+ zur Belohnung für ausgezeichnete Kriegsdienste
gestiftet und so benannt, weil die Ritter als Sinnbild ihrer geistigen
Reinigung vor der Aufnahme ein Bad nehmen mußten.

[6] »Die ihn angeschmiert haben,« sagte ein Armer, »haben's selber am
meisten bereut, wenn sie merkten wie gut er war; und erst recht leid
mußte es ihnen thun, als sie hörten, er sei tot!«

[7] Obschon ein Kriegsheld wie wenige, so war er's doch keineswegs
aus Liebe zum Krieg. Er selbst sagt: »Die Leute irren sich, wenn sie
meinen, ein Krieg sei etwas Glorreiches. Es ist nichts anders als
organisierter Totschlag, Plünderung, Grausamkeit. Und es sind nicht die
Soldaten, auf die die schlimmste Last fällt, sondern Frauen und Kinder
und alte Leute. Man mag's betrachten wie man will, so ist der Krieg ein
rohes, grausames Handwerk.«

[8] Diese etwas eigentümliche Begrüßungsformel beschreibt der englische
Afrikareisende Petherick folgendermaßen: »Der Häuptling ergriff meine
rechte Hand und spuckte herzhaft hinein; dann blickte er mir ernsthaft
ins Gesicht und wiederholte die Zeremonie mit aller Umständlichkeit.
Im ersten Augenblicke stand ich verblüfft, dann erfaßte mich ein
wütendes Verlangen, den Menschen durchzuprügeln; er guckte mich aber so
leutselig an, daß ich statt der ihm zugedachten Züchtigung mich damit
begnügte, ihm seinen Gruß mit gleicher Münze heimzugeben, und zwar mit
reichlichen Zinsen. Da überkam ihn eine gewaltige Freude: ich müsse ein
großer Häuptling sein! sagte er zu seinem Hofstaat.«

[9] Sir Samuel Baker erzählt in seinem Buch »Ismailia«, daß der Thron
der Könige von Unyoro aus einem sehr kleinen und alten, aus Holz und
Kupfer verfertigten Stuhl besteht, der seit Generationen von König auf
König übergeht und als ein Talisman gilt. Gelänge es einem Feind, des
Stuhles habhaft zu werden, so würde der König so lange aller Autorität
verlustig sein, als der kostbare Sessel nicht wieder zurückerobert
würde. Der König und sein Sitz sind deshalb fast unzertrennlich; wo er
hingeht nimmt er ihn mit.

[10] Als Streiflicht hierzu dient folgendes: Gordon schreibt auf dem
Weg nach Kairo anläßlich der von ihm nicht gebilligten Anstellung
eines jener europäischen ›Mitregenten‹: -- »Ich habe meinen Gehalt von
hundertzwanzigtausend Mark auf die Hälfte herabgesetzt; ich habe genug
mit sechzigtausend Mark, und die andern sechzigtausend können dem Land
das wieder ersetzen, was diese Anstellung kostet. Aber ich fürchte,
ich thue dies mehr aus Zorn als in Liebe ... Je älter man wird, um so
besser lernt man so an seinen Nebenmenschen handeln, als wären sie
leblose Gegenstände, d. h. für sie thun was man kann, ohne sich im
geringsten darum zu kümmern, ob sie es einem Dank wissen oder nicht. So
handelt Gott gegen uns. Er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Dank findet er selten; im Gegenteil, er wird selbst meist vergessen.«

[11] Der ungenügende Zustand des Gesetzes ergiebt sich aus folgender
Mitteilung Gordons: »Ich besitze vier Erlasse, 1. einen persönlichen
Befehl des Khedive, alle Sklavenhändler mit dem Tod zu bestrafen; 2.
den Vertrag (zwischen der englischen und ägyptischen Regierung, zur
Unterdrückung des Sklavenhandels, Alexandrien 4. August 1877), welcher
Sklavenjagd als Raub, beziehentlich als Raubmord kennzeichnet; 3. eine
gleichzeitige Verordnung des Khedive, welche dieses Verbrechen mit
Gefängnis von fünf Monaten bis zu fünf Jahren bestraft haben will;
4. ein Telegramm des Nubar Pascha folgenden Wortlauts: >Der An- und
Verkauf von Sklaven in Ägypten ist gesetzlich gestattet‹«!

[12] Mit welcher Klarheit Gordon in die Zukunft sah, ergiebt sich
aus diesem im April 1879 geschriebenen Satz: »Wenn die Befreiung
der Sklaven i. J. 1884 im eigentlichen Ägypten stattfindet, und die
Regierung in ihrem gegenwärtigen System verharrt, dann ist ein Aufstand
hier (im Sudan) zu erwarten; unsere (die englische) Neuerung aber
schläft ruhig weiter, bis es zu spät ist, und dann handelt man +à
l'improviste+.«

[13] Die abessinische Kirche erhält seit Jahrhunderten ihren Abuna
von der koptischen Kirche in Alexandrien; durch die Mißhelligkeiten
zwischen den Regierungen entbehrte Abessinien zur Zeit dieses
Würdenträgers und der König hatte niemand, der ihm seine Feinde
exkommunizierte.

[14] Leider hat in letzter Zeit der Branntweinhandel im Basutoland
Eingang gefunden mit traurigen Folgen für die Eingebornen. Nicht
ernstlich genug kann es den europäischen Regierungen, die in Afrika
Einfluß gewinnen, ans Herz gelegt werden, diesem verderblichen Handel
möglichst zu steuern. Das ist doch der geringste »Schutz,« den die
europäischen Machthaber den unwissenden Eingebornen Afrikas angedeihen
lassen können!

[15] Gordons Aufzeichnungen, oder richtiger Stewarts Tagebuch aus
dieser Zeit, das, wie Gordon in seinen »Tagebüchern« bemerkt, auch
als ~sein~ Tagebuch anzusehen sei, ist, wie späterhin ersichtlich,
dem Mahdi in die Hände gefallen, weshalb über diese fünf Monate nur
spärliche Berichte vorliegen.

[16] Sir Henry Lawrence, der in Indien vorzügliche Dienste leistete
und während der Meuterei bei der Verteidigung von Laknau fiel -- ein
tüchtiger Soldat und demütiger Christ. Er hatte den Wunsch geäußert,
daß man ihm keine andere Grabschrift setzen möge als: »Hier liegt Henry
Lawrence, der versucht hat, seine Pflicht zu thun.«





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GORDON ***


    

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without further opportunities to fix the problem.

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or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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