L'Âme aux deux patries: Sieben Studien

By Annette Kolb

Project Gutenberg's L'Âme aux deux patries: Sieben Studien, by Annette Kolb

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: L'Âme aux deux patries: Sieben Studien

Author: Annette Kolb

Release Date: May 16, 2014 [EBook #45661]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK L'ÂME AUX DEUX PATRIES: ***




Produced by Jens Sadowski








                        L'ÂME AUX DEUX PATRIES

                            SIEBEN STUDIEN
                                  Von
                             ANNETTE KOLB


Das scheinbar kränkste Volk kann der Gesundheit nahe sein, und ein
scheinbar gesundes kann einen mächtig entwickelten Todeskeim in sich
bergen, den erst die Gefahr an den Tag bringt.

Burckhardt: Cultur der Renaissance, II. Band

                      Verlegt bei Heinrich Jaffe
                             München 1906

Von den folgenden Studien sind drei in der »Neuen Rundschau«,
beziehungsweise der Wiener Wochenschrift »Die Zeit« erschienen.

D. V.




I.


Zwei Stunden von Paris liegt zu Füßen einer hohen Ruine ein altes
Städtchen, das an einem Hügel herumklettert. Und ringsumher einsiedlerische
Wälder, sonnige Gefälle, lauernde Teiche, an deren Rande dunkle Vögel mit
unheimlichen Schritten spazieren gehen; und ringsumher verträumte,
weltentrückte Auen.

Ein sonniger Spätsommertag ging zur Neige, als mein Zug vor diesem
Städtchen hielt, das mir allzu stille Tage zu verkünden schien.

Aber in ein Milieu, in dem es ausschließlich Diplomaten, Abgeordnete,
Direktoren politischer Revuen und Vertreter großer Zeitungen zu sehen gab,
sah ich mich da plötzlich wie hineingeschneit. Mein Tischnachbar war gleich
am ersten Abend ein ganz schief gewachsener und ergrauter, aber sehr
strammer Herr, der mich übrigens gänzlich ignorierte. Dabei sprach er
fortgesetzt, richtete aber seine Worte nur an den Hausherrn. Der Blick
seiner Augen, die wie zwei Sterne leuchteten, war starr wie ein
Scheibenherz. Mit größter Präzision wußte er eine Reihe von Themen so
eindringlich und zugleich so eilig durchzunehmen, als gälte es, innerhalb
der wenigen Stunden, die er hier verbrachte, seine Gedanken für Jahre
hinaus und auf Jahre zurück zusammenzufassen. Es war dem Uneingeweihten
nicht möglich, ihm zu folgen, oft auch nur zu erraten, wovon er sprach.

Nach dem Essen fuhr er im Salon in derselben glänzenden und gedrungenen
Weise zu berichten fort. Seine Augen sahen jetzt aus wie zwei große
Monocles. Die Damen stickten schweigend, oder sprachen leise unter sich.
Vor dem brennenden Kamin lag ein englischer Jagdhund ausgestreckt und
seufzte vor Müdigkeit. Die Lampen warfen milde Scheine auf die
eingelassenen Louis XIII-Spiegel und die laubreichen Tapisserien der Wände.
Durch die hohen Fenster und die schmalen wurmstichigen Türen blies der
Wind. Ich war noch auf keine Stickerei eingerichtet, saß in einer Sofaecke
und hörte den Herren zu; denn ob ich auch ihren Gesprächen nicht viel
entnehmen konnte, interessierte es mich, sie zu betrachten.

Als es 10 Uhr schlug, schnellte der graue Herr empor, empfahl sich den
Damen mit großer Korrektheit, aber auch mit denkbar größter Kürze, und
gleich darauf rollte sein Wagen, der noch den letzten Zug nach Paris
erreichen sollte, in aller Eile davon.

Mich hatte diese Konversation, von der ich nichts verstehen konnte, in
große Aufregung versetzt; und mit der Belletristik oder gar mit Werken der
schönen Beschaulichkeit war es mit einem Schlage vorbei. Ich holte sie so
wenig wie die Stickerei aus meinem Koffer hervor. Denn Zeitungsartikel,
Berichte und Telegramme waren das einzig Spannende für mich geworden.

In dem weitläufigen Garten, der zu dem Hause gehörte, gab es eine Auswahl
von Bänken, Lauben, steinernen Nischen und Terrassen. Steil und verwildert
fiel er die sonnige Felsenwand herab, um sich wie in einem Graben
geheimnisvoll und schattig auszubreiten. Dorthin schleppte ich denn auch
mein neues Steckenpferd: die Zeitungen und politischen Abhandlungen aller
Länder.

Man stand im Zeichen der ersten sonoren Pendelschwingungen der Entente
cordiale mit England einerseits, des rapprochements mit Italien anderseits;
sie und l'Isolement de l'Allemagne bildeten die Parole des Tages. Eines
Nachmittags, -- den Morgen hatte ich in Paris verschwärmt -- saß ich wieder
in einer versteckten Mauernische meiner Gartenwildnis und hielt die letzte
Nummer der »Renaissance latine«. Sie brachte den ungemein schneidigen
Entwurf einer politischen Karte Europas, mit sensationellsten
geographischen Neuerungen. Der Wunsch war darin Vater aller
Voraussetzungen, und Deutschland rückte er kühn bis in die Polargegenden
hinauf, so daß es mit grönländischer Kälte von allen Seiten darauf
einblies.

Ich notierte Titel und Nummer des Blattes und sah verdrießlich zum
feingetönten französischen Himmel empor.

Ach, dachte ich, wie wenig weißt du von Deutschland! -- und dachte dann
hinüber zu uns, unseren Brücken und Häusern, unseren Mondscheinnächten und
Wäldern.

Ach wie viel tausend Meilen lagen auch sie von hier entfernt, und wie wenig
wußten sie dort von den Franzosen!

Und ich wußte es wohl, hier war keine unüberlegte, instinktive und
impulsive Liebhaberei, wie sie England gegenüber oft bei mir im Spiele war,
sondern ich vermochte einfach nicht, die Geschicke jenes Landes mit einem
gleichgültigen oder unbeteiligten Bewußtsein zu erwägen. Von französischen
Naturen in zu mannigfacher Weise verschieden, empfand ich die Franzosen
zugleich als meine Angehörigen, und es schnitt mir oft ins Herz, wie gut
ich sie kannte! Denn leider ist es ja noch immer keine Anmaßung, wenn heute
der Deutsch-Franzose -- und umgekehrt -- sich für den allein Befugten hält,
die Kluft zu messen, die zwei so große Nationen voneinander scheidet, die
unzulängliche Kenntnis voneinander, in der sie leben, wie die Sehnsucht,
die sie zueinander zieht!

Aber noch nie war mir so deutsch zumute gewesen, wie heute morgen, denn
nirgends fühlten sich meine Augen so heimisch, mein Herz so eifersüchtig
wie in Paris!

Nicht die neuen Viertel hinter dem Trocadéro und der Barrière de l'Etoile,
die den neuen Stadtteilen anderer Städte so ähnlich sehen, noch die neuen
Monumente, noch die grands und petits Palais, die in dem Sardanapalischen
Stil gewisser moderner Architekten wohl nur ein minus von
Geschmacklosigkeit aufweisen, sondern das Paris der Früh-Renaissance bis
zum zweiten Empire ist es, das unsere junge und werdende Kultur auf immer
distanziert.

Und doch so jung nicht, als daß sie nicht schon einmal des Sterbens
Bitterkeit, die triste Mühsal gekostet hätte, aus Verwüstung und Schutt
zerfallene Türme wieder aufzurichten. Hoch über den stillen Garten hin
profilierte sich da vor meinem inneren Auge, intakt in ihrem entflohenen
Leben, wie der einbalsamierte Leichnam eines Jünglings, eine deutsche Stadt
in ihrem unterbrochenen Wachstum. Ihr langentschwundener Frühling prangt an
den Marktplätzen, den Pforten und Brücken, den Erkern und Laternen. Er weht
von den Türmen und Brunnen, durch die Häuser und Stuben. Er flutet in den
Kirchen und von den Glasgemälden, und in dem verwitterten Stein umrauscht
er Jungfrauengestalten mit ihrem unbeschreiblichen Gemisch deutscher
Morbidezza und deutscher Lauterkeit.

Ich sah die Marienkirche und atmete wieder ihre berückende Luft. Und vor
den Toren der Stadt jenen anderen Zeugen reinster und raffiniertester
Kunst: das Tuchersche Jagdschloß mit dem verhaltenen Lauschen seiner
Fensternischen und Türen, der holden Strenge seiner Räume, den
verschwiegenen Schwellen, der verträumten Stiege. Denn die ganze Burg in
ihrem herben, heimlichen Reiz ist reich an Widerhall wie ein Vers von
Walther von der Vogelweide, und wir stehen inmitten ihrer Stille wie an
einer Brandung.

Aber scholl da nicht von der Burg hernieder, von Dürers Hause, weithin
durch alle Gassen, Hans Sachsens eherner Ruf: Habt acht! uns dräuen üble
Streich? --

Mir war als könnte ich da nicht länger das Mitgefühl verantworten, das auf
der Fahrt nach Frankreich mich ergriff, als ich von meinem Zuge aus im
Morgengrauen französisch aussehende Häuser auf deutschem Boden sah und
unvermutet alle Trauer, die an dieser verlorenen Erde haftet, mitempfand,
von jener Flut von Trübsal eingeholt, mit ihrem universalen, geisterhaften
Anrecht: jenem geheimnisvoll, zeitlos elementaren Etwas -- der Zeit
bittersten Rest! --, den sie als unser Erbteil zurückläßt! -- Ah, dachte
ich, wann wird der Tag anbrechen, an welchem zwischen Ländern, wie den
unseren, der letzte Schlachtenplan zum letzten Ritterharnisch sich als
Museumsstück gesellen wird, weil unter Nationen, wie den unseren, der
Gedanke in Stücke gerissener oder zerschossener Glieder mit der
menschlichen Würde nicht länger verträglich, geschweige denn rühmlich
erschiene!

Und seufzend hatte ich da in die regnerische Dämmerung hinausgestarrt und
der dilettantischen Betrachtungen noch eine große Menge angestellt. Sie
kosteten mich nichts! Hatte ich doch zur Zeit des Burenkrieges fanatisch zu
den Engländern gehalten, weil nach meinem Empfinden das Fesselnde, ja
Ergreifende der englischen Tapferkeit in ihrer unmilitärischen Kriegführung
lag, und nach meinem Empfinden das moderne und dramatische Moment dieses
Krieges darin beruhte, daß hier die weitaus zivilisiertere, schönere und
fortgeschrittenere Nation sich als die strategisch ungeübtere erweisen
mußte. --

Allein, wie immer bei geschichtlichen Problemen, war es am Ende wieder
Bismarcks gigantische Gestalt, auf die sich meine Mutmaßungen
konzentrierten. Drei Jahre, glaubte Bismarck, seien das äußerste, was sich
in der Politik voraussagen ließe, und: »für drei Jahre haben wir heute
vorgebaut,« meinte er nach einem seiner größten diplomatischen Erfolge der
achtziger Jahre.

Und darum wissen wir heute nicht, wozu er damals sich entschlossen hätte,
welchen Plan er damals entworfen und ausgemeißelt, ob er dem deutschen
Volke nicht einen gleichwertigen _anderen_ Entgelt ersonnen hätte, wenn er
damals schon einer deutschen Kolonialpolitik hätte Rechnung tragen müssen?

Jene Worte am Abend seines Lebens haben in ihrer tiefen Nachdenklichkeit
einen so echt Bismarckischen Klang: »Das westliche Glacis, das wir ihnen
nehmen mußten, was sie uns nie vergessen werden.«

Es ist der Gedanke an unser zuversichtliches Bewußtsein alles dessen, was
er _heute_, angesichts der vielen veränderten Faktoren unternehmen, an die
Initiativen, die ein Mann wie er _heute_ ergreifen würde, der ihn uns so
unersetzlich groß erscheinen läßt. Denn der vorbildliche Geist seines
Wirkens schuf ihn zu einem so großen Lehrer der Menschheit, weit mehr noch
als seine Taten, die das Schicksal und die Zeit ereilen können. Und wer
tiefer in jenen Geist einzudringen suchte, wie könnte der noch zweifeln,
daß ein heutiger Bismarck, gleichviel welcher Nation er angehörte, jene
große Einigungsidee, die einst ein kompaktes Italien und ein kompaktes
Deutschland schuf, in erweitertem Sinne zu vertreten und aktuell zu
gestalten wüßte? Wer könnte zweifeln, daß ein heutiger Bismarck, ob er
unser eigener, oder Cavours, oder Gambettas Landsmann wäre, zum Vorkämpfer
eines föderierten Europas würde?

Eins aber konnte nur Paris in seinem überlegen verführerischen Reiz mich
lehren, dies edle, schimmernde Paris, das herrlich sich vollenden durfte,
wie inmitten einer Welt des Friedens! Nie wieder, schien mir, konnte,
_durfte_ ich umflorten Auges, wie an jenem Morgen, Frankreichs Trauer
bebend nachempfinden und beklagen! Denn nicht um eine Minute hatten wir die
Kultur dieses Landes zurückgeworfen, das als ein unerhörter Feind der
unseren in der Geschichte steht.

Ich war empört in meiner Mauernische aufgesprungen: und nicht länger hielt
es mich da in dem verlassenen Garten. Der Zwiespalt, der mich bewegte, ließ
mir dies Land, mein eigenes, die ganze Welt beengt erscheinen.

Unsichtbare Schatten glitten schon durch das Tageslicht und hielten die
alten Bäume umschlungen. In peinigender Flüchtigkeit und Süße
durchschauerten sie die Luft, und die Psyche längst vergangener Dinge
umhallte mich. Wir waren Brüder! Noch stehen sie überall, die Spuren
unserer einstigen Gemeinschaft, unsere umdüsterten Kathedralen, unsere
alten Minnelieder und Novellen. Und heute sind wir Nationen, die sich schon
lange insgeheim langweilen, _weil gerade in der Reife, zu der unsere
nationalsten Züge und Besonderkeiten gediehen sind, das Bewußtsein unserer
Halbheit und in der Verschmelzung unserer Qualitäten der Keim
vollkommenerer Typen liegt_. Denn ach, wozu sich betören? Von Herzen froh
wird man ja heute nirgends. Kläglich veraltet und vermorscht sind heute
unsere tausendjährigen Familienzwiste, als könnte ihrer Asche allein der
neue Phönix unseres Erdteils entstrahlen: nur einem greater Europe ein
greater England, greater Germany und greater France.




II.


Im Laufe jenes selben Herbstes fuhr ich mit einem der klügsten Männer
Frankreichs von Vendôme nach Paris. Schlösser und Hütten, Riesenwälder,
lichte Pappelgruppen an langweiligen kleinen Flüssen waren an uns
vorübergeflogen, und ich dachte zurück an den verflossenen Abend, an eine
nächtliche Fahrt nach einem wundervollen mittelalterlichen Schloß, und an
ein vollendetes, und wenn ich so sagen darf: _erhebendes_ Diner, denn
Götter hätten hier tafeln können, ohne sich zu schämen.

Nur die Konversation war nicht auf der entsprechenden Höhe gewesen. Die
üblichen Gesprächsthemen in der Provinz: die Jagd, das Automobil und die
religiösen Zustände waren ergiebig und einmütig verhandelt worden; von dem
damals eben erfolgten Besuch des italienischen Königspaares in Paris
gelangten dafür nur einzelne Verstöße beim Empfang in Versailles zu
ausführlicher und höhnischer Erörterung, und der Rest war Schweigen. Nun
hatte ich Paris während der Festlichkeiten gesehen, und nach meinem
Empfinden nahm es sich ja, gerade in diesen Tagen, in der verhältnismäßig
etwas naiven Schmückung der Häuser und Straßen, am wenigsten zu seinen
Gunsten aus. Was sollen auch Fähnchen und provinziale Jubeltransparente auf
einer Place Vendôme viel ausrichten? Vollends am Gala-Abend, im Lichtermeer
der illuminierten Kugel-Girlanden und Triumphbögen schien es, als zöge sich
für den Abend das stolze herrliche Paris hinter einem riesengroßen
funkelnden Kasperltheater zurück.

Ich erzählte meinem Tischnachbarn, daß ich der Einfahrt des Königs von
einem Hause der Champs Elysées aus zugesehen und mich über die
verhältnismäßige Stille in der Avenue gewundert hatte. Er belehrte mich
jedoch: das Demonstrative läge nicht in der Natur der Franzosen. Ein Zufall
hatte aber gewollt, daß mir noch an jenem selben Abend ein ganz anderes
Paris: das der Revolution, auf das grellste und lebhafteste veranschaulicht
wurde.

Einige Stunden nach dem Einzug hatte mich mein Weg durch eine jener
schmalen Gassen geführt, die das Elysée umgrenzen, und ich dachte für den
Augenblick nicht an die Anwesenheit des italienischen Königspaares, als ich
auf die denkbar peinlichste Weise daran erinnert wurde. -- Von einem Strom
von Menschen plötzlich fortgerissen und umringt, gab es für mich kein
Vorwärts noch Zurück. In der Angst, zu fallen, und von dem schrecklichen
Dunst bedrängt, sah ich ratlos umher und erblickte da zu meiner
Verwunderung und Freude in nächster Nähe, friedlich an einen Baum gelehnt
-- einen unbesetzten Stuhl. Rasch darauf springend und so dem Haufen
einigermaßen entzogen, wollte ich hier ruhig warten, bis er sich zerstieb.

Wer die Franzosen nicht für demonstrativ hielt, der wurde nämlich hier
eines anderen belehrt. Weder nach rechts noch nach links sehend, schrien
sie da gerade hinaus, halb betäubt, halb wie die Wilden, nach der Königin.
»Kommen sie bald?« fragte ich beklommen einen wenig anziehenden beschürzten
Vertreter des stärkeren Geschlechts. -- »Sie sind schon vorüber,« gab er
mir zur Antwort.

Dies erklärte nun zwar den disponiblen Stuhl. Warum aber beharrte diese
Menge nach wie vor an der Stelle, belagerte alle Ausgänge und schrie mit
heiserer Stimme: »La reine! nous voulons voir la reine!« Und plötzlich, von
meinem erhöhten Posten auf sie herabsehend, war mir, als erkannte ich sie
genau wieder als jenes selbe kopfscheue, schnell überschäumende Volk, das
unfähig sich zu besinnen, die Köpfe so mancher harmloser, zur Unzeit
geborener Opfer zu höllischen Bildsäulen erhob und in diesen Straßen
wütete. Ich erkannte den furchtbarsten Pöbel innerhalb der kultiviertesten
und feinsten Nation.

Allein ich hütete mich wohl (aus Widerspruchsgeist), bei jenem Diner
irgendwelche zustimmende Kommentare zu liefern: sie hätten allzu bereiten
Erfolg gefunden. Denn an die hundertjährigen Hecken, die das Dornröschen
von der Außenwelt trennten, sah ich mich in diesen Schlössern gemahnt, und
weit genug war ich hier von meinen Pariser Erlebnissen getrennt. Man muß
sie gesehen haben, Frankreichs politische Mumien, im Leben oft so reizende
Menschen! Eine Dame in einem beneidenswerten Perlendiadem äußerte sich, es
sei unbedingt heroisch vom König von Italien, ein so heruntergekommenes
Land wie Frankreich offiziell zu betreten, und fragte mich über den Tisch
herüber, ob wir im Ausland gegenwärtig die Franzosen nicht sehr von oben
herab behandelten?

War es der hohe Saal, die edlen Bilder an den Wänden, der Prunk der
strahlenden Rosen, die aus der Erde emporzublühen schienen, war es der
herrliche Rahmen dieser Tafel, der mich hinriß? Denn wie ein Glockenspiel,
das einmal aufgezogen, ausklingen muß, gerieten da meine eigenen, bisher
noch kaum bestimmten Eindrücke in Schwung. »Ist Ihre Verfassung als
solche,« sagte ich verwundert, »der Grund Ihrer Verstimmung Ihrem eigenen
Lande gegenüber? Aber Ihre große Majorität ist doch nun einmal
republikanisch?«

»Die ganze erste Gesellschaft Frankreichs würden Sie anderer Meinung
finden,« gab mir die Dame zur Antwort.

»Ach,« seufzte ich, »es gibt nur erste Menschen.«

»Nicht, daß ich Gesellschaften nicht anerkenne,« führte ich alsbald und
unter dem allgemeinen Schweigen etwas mühsamer aus, »ich glaube jedoch an
so vieles, so verschiedenes, und an die Berechtigung so mannigfaltiger,
scheinbar entgegengesetzter Anschauungen, weil sie mir vielmehr gemacht
erscheinen, einander zu erfüllen und zu ergänzen, als einander
auszuscheiden.«

Hier trat nun einer der Gäste, derselbe, der jetzt in der Eisenbahn hinter
seinen Zeitungen vergraben, mir gegenüber saß, für mich ein: »Der höhere
Mensch kann nicht aristokratisch genug, er kann nicht demokratisch genug
sein,« sagte er. »England hat diese Wahrheit auch für seine Gesellschaft
praktisch zu verwerten gewußt. Worin beruht die Macht und Würde des
englischen Adels, wenn nicht in seiner demokratischen Affiliation, und
woran ging unser Königtum zugrunde, wenn nicht an seinem Mangel jeder
demokratischen Basis?«

»Es gibt noch Leute, mein Herr,« unterbrach ihn ein vergrämter, früh
verabschiedeter einstiger Diplomat, »welche in der französischen Revolution
den unglücklichsten Augenblick in der Geschichte unseres Volkes erkennen.«

»Doch nur,« rief er, »weil es vor seinem eigenen edlen Freiheitsgedanken
nicht bestand und die eigene Saat mit dem eigenen Blute so unheilvoll
tränkte! Denn während aus jenen Gedanken über das ganze zivilisierte Europa
ein belebender Zug strömte, weilen in ihrer Heimat, an ihrer Quelle selbst,
unversöhnt, unüberzeugt, die Sühnegeister der Gemordeten. Jeden Hauch
veränderter Gesichtspunkte halten sie zürnend von ihren Nachkommen ab, und
nicht das Leben, wie es sich seitdem erhob, nicht das Königtum, wie es sich
seitdem verjüngte, ein altes verstaubtes, ewig überwundenes Königtum,
möchten diese in vergoldeten Kutschen einholen und begrüßen!«

Einen Augenblick war es still in dem glänzenden Saale wie in einem
verzauberten Schloß.

»Sehen Sie sich doch die Elemente an der Spitze unserer Verfassung an!«
sagte dann die Dame mit dem Perlendiadem, welche die Place de la Concorde
nie anders als Place Louis XV nannte.

»Bedenken Sie den Spielraum, den wir ihnen gelassen haben,« rief er.
»Bedenken Sie, daß es bei uns zum guten Ton gehört, sich für Politik nicht
zu interessieren! Indes selbst die Herrscherhäuser der anderen Länder ein
so weitgehendes Verständnis für die großen Strömungen an den Tag legten,
welche die Welt Frankreich verdankt, und welchen die ganze erste
Gesellschaft Frankreichs widerstrebt! Eben weil ich ihr Kontingent so hoch
einschätze, erscheint mir diese Gesellschaft in so hohem Grade
verantwortlich für Extreme, die ich mit Ihnen beklage, und als deren
bitterster Ankläger sie sich erhebt. Denn ihre Geschichte, -- und er
deutete auf die Wände, von welchen die Ahnen des Hauses in Harnisch oder
Lockenperücken herniedersahen -- ist nicht mehr wie bisher die ihres
Landes!« --

                   *       *       *       *       *

Immer schneller fuhr der Zug dahin mit seinem gleichmäßig gleitenden
Gerolle, das uns schweigsam macht und die Nachdenklichkeit isoliert und
erhöht. Draußen lag schon Blässe über das Land gebreitet und die Wälder
atmeten herbstliche Klagen. Blässer noch, im langen, regelmäßigen Viereck,
schimmerte da, wie entschlafen, ein künstlicher Teich, und weiter zurück,
fast geisterhaft, das prunkvolle Versailles mit den majestätischen
Senkungen seiner Terrassen.

»An was denken Sie?« fragte mich da plötzlich mein Reisegefährte.

»Wie soll ich das der Reihe nach sagen?« erwiderte ich. »Gedanken können
sehr wohl in Schwärmen auf uns eindringen und ebenso wieder verfliegen.«

»Aber eine Taube in der Hand,« sagte er, »ist besser, als viele auf dem
Dache.«

»Nun, ich dachte an Ihre gestrigen Theorien, und geriet dabei vom
Hundertsten ins Tausendste. Alle Äußerungen nämlich, welche die Geistesart,
den Charakter einer Nation am intensivsten oder am geschlossensten
kundgeben, reizen und fesseln mich zumeist, denn unwillkürlich beziehe ich
auf Deutschland, was immer im Ausland mein Interesse erregt. Allein ich
staune, wie mächtig innerhalb eines kleinen Gebietes der Nationalgeist
benachbarte, verwandte Völker auseinanderhält, wie verschieden er sie
bildete, und daß in einer Welt, die überall so gleich, unter Menschen, die
sich überall so ähnlich sind, hier der Schwerpunkt aller Differenzierungen
liegt.«

»Wußten Sie das nicht?« sagte er.

»Ich zweifle, daß wir es alle zur Genüge wissen. Denn diese
Differenzierungen sind gegenwärtig so weit gediehen, daß drei
hervorragendste europäische Nationen, die Deutschen, Franzosen und
Engländer, die, rein menschlich gesprochen, einander am vollkommensten
ergänzen, tatsächlich außerstand gesetzt sind, einander in ihrer Wesenheit
wirklich zu durchdringen und psychologisch unüberbrückbar fern einander
gegenüberstehen!«

»Wollen Sie Ihre Eindrücke nicht näher bestimmen?« fragte er.

»Zum Beispiel,« sagte ich, »leugnen wir gar nicht, daß es eine bêtise
allemande gibt. Inzwischen wurde ich nun auch mit der fine fleur der
Ihrigen bekannt. Aber Sie glauben nicht, wie weltverschieden die beiden
voneinander sind! Wieviel unbestimmter, breiter, verschwommener die unsere,
wieviel greifbarer, logischer durchgeführt, ich möchte sagen
>abgeschliffener< die Ihre ist, welches Talent sie hat, sich zu veräußern.
Les deux bêtises erkennen sich nicht wieder.«

»Daraus folgt nicht, daß sich die Klugen nicht verständigen könnten.«

»Aber auch da,« sagte ich, »ist mir eines zumeist aufgefallen: die
Schwierigkeit für den Ausländer, sich in seiner Beurteilung der Franzosen
zurechtzufinden, beruht darin, daß er den französischen Geist von der
französischen Kultur nicht genügend unterscheidet. Es fiel mir auf, wie
sehr der Formensinn in allen seinen Äußerungen in Kleidung, Möbel und
Gewerbe, auf allen Gebieten des äußeren Lebens bis hinauf zu den bildenden
Künsten in Frankreich seine eigentliche Heimat hat. Der sichere Instinkt
des Schönen ist da von einer Ära zur anderen Ihr Monopol. Angesichts
gewisser Gärten, Lauben und Fassaden, gewisser Plätze in Paris, war ich von
Bewunderung für die Franzosen hingerissen und verehrte in ihnen die Lehrer
der Welt! Aber trotz jenes großen Stilgefühls, das bei ihnen den Geschmack
zur Kunst erhob und veredelte, trotz jener Gründlichkeit und Vollendung,
jenes strengen Maßes, das ihre Leistungen krönt, ist es nicht seltsam, daß
auf rein ideellem Gebiete, gerade in ihrem Lande das Extreme und Maßlose
sich freier als anderswo entfalten durfte, während in dem rauhen und
vielspältigen Deutschland ein Mann wie Goethe unser Geistesleben adelte.«

-- Ist es nicht seltsam, wie unser Gefühl für Goethe mit uns wächst? Oft
vergeht doch eine lange Zeit, ohne daß wir uns mit ihm beschäftigen, noch
ihn lesen, und plötzlich erfaßt uns dann der Gedanke an ihn wieder mit
einer Macht, die uns durchschauert. --

»Werden Sie mir später auch einige Kritiken gestatten?« begann da mein
Reisegefährte. »Aber Sie sehen zum Fenster hinaus. Sind Sie schon fertig
mit unseren Extremen?«

»Ah,« sagte ich, »Frankreich ist doch wie ein Garten voll Blumen, mit
Schlössern und Gütern besät. Unlängst,« fuhr ich zu ihm gewendet fort, »sah
ich ein Schloß, in dem die Schlafzimmer genau aussahen wie Zellen. Das
einzige, was den strengen Eindruck etwas milderte, waren Büchergestelle,
die den Wänden entlang liefen, aber wohin man auch sah, waren es
ausschließlich Gebet- und Erbauungsbücher. Ich lernte dort eine Verwandte
Mussets kennen, die mir versicherte, einer solchen Verwandtschaft könne sie
sich nur von ganzem Herzen schämen! Flaubert zu lesen habe ihr Gatte ihr
zeitlebens untersagt; es hätte jedoch seines Verbotes nicht bedurft, da sie
gottlob den Schlamm nicht liebe.«

»Aber solche Leute,« rief er, »gibt es doch überall!«

»Der Unterschied, wie gesagt, liegt nur im Grad. Ich hörte in Frankreich
Sonntagspredigten, die bei uns nicht gestattet wären. Eine junge und
reizende laisierte Klosterfrau klagte mir ihre Not mit den Dorfkindern; von
den Volksschullehrern würden sie unterwiesen, nicht darauf acht zu geben,
was ihnen der Pfarrer von der Kanzel herab lehrte, und dieser wiederum male
der Gemeinde die Autoritäten des Landes in den fürchterlichsten Farben.
Tatsächlich habe ich nichts betrüblich Unfrommeres gesehen, als das hiesige
Bauernvolk, wenigstens in der Gegend, von der wir kommen. Dafür traf ich
unter den begüterten Familien nicht einen einzigen Knaben, dessen Erziehung
unter einer anderen Obhut als der eines Abbés stand. Auch diese Sitte wäre
uns zu extrem! Aber ich fürchte,« schloß ich, »derartige Auslassungen sind
nicht der Brauch. Man sagt sich von einem Lande zum anderen in den
Zeitungen unangenehme Dinge, zu einer Aussprache aber pflegt man nicht zu
kommen. Und doch hätten wir so viel voneinander zu gewinnen!«

»Ich finde Sie zumeist mit den deutschen Vorzügen und den französischen
Mängeln beschäftigt.«

»Nein,« rief ich, »denn nichts regt ja, wenigstens meinem Gefühle nach,
unseren patriotischen Eifer so sehr an, als unsere Anerkennung für die
Vorzüge einer anderen, sei es einer fremden oder verwandten Nation! Solche
Empfindungen erregen in mir der unvergleichliche Formensinn, die
bewundernswerte Regsamkeit, welche Paris zu einer der schönsten
Kundgebungen menschlicher Kultur erhob und inmitten so gefahrvoller
Geschicke stets auf seiner Höhe zu erhalten wußte. Und mit ebensolchen
Empfindungen bewundere ich in England den praktischen, nie ins Kleine sich
verlierenden Überblick, das englische Erziehungssystem, die englische
Ästhetik, kurz alles, wodurch dies Volk zur glücklichsten und schönsten
Nation der Welt geworden ist.«

»Aber Ihr Eifer ist ja die reine Utopie!« rief er. »Die Vorzüge der
Franzosen und Engländer sind Ihnen entzogen, weil Sie eben Deutsche sind!«

»Zu welchem Reichtum gerade unser Wesen sich entfalten kann, dafür bürgen
unsere großen Männer.«

»Immer diese großen Männer!« sagte er. »Sie sind noch lange nicht die
Nation! Und Sie vergessen, daß noch keine von ihren eigenen großen
Individuen so unumwundene Aussprüche des Tadels erfuhr, wie die deutsche.«

»Weil niemand besser als diese vollendeten Typen die Tiefe und Fülle
unserer Anlagen erkannte.«

»Aber was nützt es?« sagte er. »Die Deutschen bearbeiten meist nur _eine_
Geisteskraft. Es ist Lichtenberg, wenn ich nicht irre, der ihnen dies
vorwirft. Daher gewisse Rückstände, die sich sonst nicht erklären ließen,
und daher noch heutzutage unter Ihren gebildeten Ständen jene merkwürdigen,
provinzialen, füreinander ungenießbaren, sich argwöhnisch voneinander
abschließenden, sogenannten >Kreise<, über die wir im Ausland lächeln! Was
nützt es, daß sie denken, wenn sie die Kunst des Lebens nicht erlernen?
Durch ihre minder durchdringende, minder ausgeglichene Kultur bleiben sie
der Kritik fremder Nationen ausgesetzt.«

»Ein glücklicheres Ebenmaß,« sagte ich, »könnte diese Kritiker über
schwerer zu beseitigende Mängel hinwegtäuschen. Wir sind noch im Werden.
Das ist auch etwas Schönes.«

»Wir sind alle im Werden!« rief er. »Aber warum unterschätzen Sie jene
Großzügigkeit, die Ihrem gesellschaftlichen Leben fehlt?«

»Bei uns,« sagte ich, »machen sich die klugen Leute nichts aus der
Geselligkeit, weil sie ganz ihrer Arbeit leben.«

»Bei uns arbeiten sie ebenso. Und Sie irren: kluge Leute sind von Natur
nicht einsamer als andere. Aber sie wollen _herrschen_! Die Berechtigung
ihres Einflusses wie ihr Prestige gestehen wir ihnen in weit größerem Maße
zu; die Deutschen dagegen sind hierin viel demokratischer als wir; und dies
ist der Grund, warum ihrem Verkehr nicht selten der Zug und das Interesse
fehlt, das ihrem geistigen Niveau entspräche. Dazu kommt, daß bei ihnen der
Prozentsatz zwar sicher nicht der Reisenden, aber der >Bereisten< ein so
geringer ist. Man kann ja,« fuhr er fort, »den Kosmopolitismus zu weit
treiben; wo aber die unentbehrliche Voraussetzung für denselben: eine wahre
und vererbte Bildung, vorhanden ist, bildet er deren letzten Abschluß und
verleiht unter anderem den Überblick und die Menschenkenntnis der
eigentlichen Leute von Welt. Bei ihnen reisen jedoch die Vermögenden wie
die Windsbraut durch ganz Italien und wieder retour, haben Italien und
nichts von der Welt gesehen, und ein anderes Mal fahren sie mit derselben
Eile nach Paris, sehen mit diebischer Freude alle Cafés chantants und
wissen viel von den Boulevards, aber nichts von den Franzosen!«

»Und Sie sind der Mann,« rief ich, »der mir vorhin meinen utopischen Eifer
vorwarf, als ich sagte, wir hätten soviel voneinander zu lernen! Wer denkt
nun logischer von uns beiden?«

»Sie vergessen nur zu leicht,« sagte er lachend, »daß es auch politische
Gesichtspunkte gibt.«

»Was andere besser verstehen,« sagte ich, »überlasse ich ihnen lieber ganz
und finde es anregender, die Dinge von einer anderen Seite aus, die mir
mehr Übersicht gewähren kann, zu betrachten. Voneinander getrennt stellen
sich mir da, wie die Begriffe, von welchen Sie gestern sprachen, so auch
die hervorragendsten Nationen in ihrem Gesamtbild als mangelhaft dar. Ich
bin für psychologische Eroberungen, und ich sehe nicht ein, warum ich nicht
in hundert Jahren recht haben sollte. Aber hier sind wir ja,« rief ich mit
einem Gefühl großer, plötzlicher Lebensfreude, »in Ihrem schönen Paris!«

Langsam rollte der Zug in die große Halle der Gare St. Lazare.




III.


Alte Leute schütteln die Köpfe über unsere Ruhelosigkeit, weil wir mit
unseren immer beschleunigteren Schnellzügen nicht zufriedener sind, als
unsere Väter zur Zeit der Stellwagen. Aber zu unserer Ehre sei's gesagt:
wir sind um so ruheloser und unzufriedener, je weniger wir die
Zufriedenheit, je mehr wir den Fortschritt erstreben! Ein steigernder
Drang, eine Hast und Ungeduld, wachsenden Flügeln vergleichbar, ist heute
in uns rege: wir durchschneiden die Luft, durchfahren unterirdisch große
Städte mit Windeseile, und größte Schnelligkeit der Bewegung ist uns zur
entsprechendsten Äußerung, ja zur Notwendigkeit geworden, wie der Schatten
des Glücks, nach dem wir jagen. Eine solche Generation bringen heimelige
Postkutschen zur Verzweiflung, und selbst das Geticke der alten Wanduhren
verträgt sie nicht mehr! Sie bringt viel Unrecht und viel Unsinn zutage,
aber sie ist im Grunde nicht schlimmer, sie ist besser als eine andere,
denn sie ist so müde und überreizt zugleich, weil ihr der Frühling in den
Gliedern sitzt.

Zwar stehen uns noch zu viel trübe, regnerische Tage bevor, als daß wir
merken könnten, daß sie länger werden. Aber wenn es stürmischere Zeiten
gegeben hat, als die unsere, so war kaum eine, in der so viel neue, noch
unausgesprochene Gedanken zu reifen, Gegensätze sich zu versöhnen, alte
Vorurteile zu zerfallen strebten.

Kürzlich ging ich an einem Nachmittag die kurze Strecke von der Rue de la
Paix zur Place Vendôme: den weltberühmten Modeläden entstiegen elegante
Frauen mit blassen Zügen und großen sicheren Augen. Die reiche, fast edel
zu nennende Vollendung ihrer ganzen äußerlichen Haltung lieh ihnen einen
Abglanz von Schönheit und Überlegenheit. Sie harrten einen Augenblick, bis
ihr Wagen aus dem Gedränge vorfuhr, und neugierig betrachtete ich ihre
stolz zerstreuten, unbefangenen Blicke. Nichts ist ja psychologisch tiefer
begründet, als jenes Gefühl unendlicher Differenzierung, unendlichen
Entrücktseins von der Not des Lebens und die satten, fast melancholisch
strengen Mienen der Besitzenden.

In jenen Pariser Straßen geht es sich so leicht! Was das Auge dort
fortwährend fesselt, trägt den Schritt so schnell, gedankenvoll dahin!
Geschmeide blitzten mir entgegen, große träumerische Perlen, ein köstlich
strahlender Halsschmuck aus Smaragden, smaragdne Ringe und viele zärtlich
funkelnde Smaragde.

Allein zärtlicher noch und schimmernder: ein Triumph für die ersten
Kürschner und Putzmacher der Welt, war da der Anblick einer schönen
Engländerin mit einem samtnen Gesicht wie eine Primel. Kaum war sie aus dem
Laden ins Freie getreten, als ein Automobil um die Ecke raste und einer der
bekanntesten jungen Männer von Paris: morbid und unverschämt, den Hut vom
Winde etwas zurückgeschoben, aber herrlich und frei wie ein Marmorbild, ihr
entgegenfuhr.

»Es geht sich heute so schön,« sagte da plötzlich dicht neben mir ein
Pariser Freund, »haben Sie Zeit?«

»Aber bleiben wir in diesen Straßen,« sagte ich; »man wird da von dem Leben
ringsumher wie von Wellen so herrlich fortgerissen und überflutet.«

Zwar hörte man vor dem Getöse und Gebrause ringsumher seine eignen Worte
nicht; dann zerstreuten die Schaufenster, hier ein Pelzumhang --
unnachahmliche Mäntel, in die man im Vorübergehen sich hineindachte; dann
wieder unter den vorübereilenden Wagen so manches glänzende, bewegte Bild.
»Ach,« seufzte ich, »mir ist hier oft, als müßte mein Herz brechen vor
Sehnsucht nach Geld!«

»Nach Geld?« rief er erstaunt.

»Ja,« sagte ich, »ich konstatiere an mir selbst eine immer wachsende
Leidenschaft für die Güter dieser Erde, und wie sehr sich unsere
Anforderungen an das Leben mit unseren geistigen Fähigkeiten steigern!«

»Diese lehren uns vielmehr, das Glück in uns zu suchen.«

»Sie scherzen,« rief ich. »Alles was mich hier umgibt, lehrten sie mich
ersehnen.«

Aber hier erlitt unser Gespräch von neuem eine Unterbrechung; denn langsam
kamen uns zwei hinreißende Gestalten entgegen: es war die Dame mit dem
eleganten Primelgesicht, an der Seite ihres Begleiters. Göttliche Schultern
trugen ihr leichtsinniges Haupt und zauberhafte Haare verklärten es. Es lag
etwas halb Zärtliches, halb Spöttisches in ihrer Anmut; zugleich etwas
Siegreiches, ja Unnahbares in ihrer Sorglosigkeit, in ihrer Flüchtigkeit
selbst. Und es war, als zöge sich, wie um die Mondessichel, ein hellerer
Schimmer um die beiden, ein Schein, der sie der Not fehlgeschlagener
Hoffnungen, vergeblicher Wünsche entrückte.

»Folgen wir ihnen!« schlug ich vor, auch als sie gleich darauf im »Ritz«
verschwanden. Es war Teezeit. Wir betraten das schöne Hotel, dessen Art
sich in der Welt wohl schwerlich übertreffen ließe. Die Galerie, in welcher
der Tee genommen wird, der -- wie allerorts in Paris -- verhältnismäßig zu
wünschen übrig läßt, glich um diese Stunde einem Turnierplatz
geschmackvollster und zugleich kühnster Hüte. Man sah die
diszipliniertesten Taillen und die kunstvollsten Teints. Allein weit
entfernt, frivol zu sein, war nach meinem Empfinden der äußere Eindruck
dieser möglichst »hergerichteten« Pariserinnen der eines sehr gründlichen
und strengen, höchst erstrebenswerten Formensinns. Übrigens waren sie nicht
in der Mehrzahl vertreten, sondern alle Sprachen schwirrten hier
durcheinander. Auch unenthusiastische Jünglinge mit fallenden Schultern
hatten sich eingefunden, und stattliche Damen, deren Mundbildung von weitem
den amerikanischen Akzent verriet, mit Physiognomien von faszinierender
Gewöhnlichkeit.

Ich hatte die Eckplätze links am Eingang gewählt, die zugleich einen
Ausblick auf die Treppe gewährten, denn die Menschen, die dort
vorüberkamen, waren als Millionärtypen vielleicht noch charakteristischer.
Ein blasser, schwarzer Herr, mit breiten Schultern, stumpfen Augen und
einem lautlosen Tritt, sah aus wie der Mammon selbst. Die Marchioneß von
A*, eine sehr schön gewesene Dame, mit fliegendem Schleier, fliegendem
Mantel und einem fliegenden blauen Blick, hielt eine Weile unter der Türe
stand, sah mit theatralischer Insolenz um sich her und verschwand. In
unserer Nähe ließ eine Österreicherin, die Frau eines durchreisenden
Diplomaten, immer lauter ihren deutsch-französischen Jargon vernehmen.
Sicher fiel die ihrem Manne durch zu große politische Wißbegierde niemals
lästig! vielmehr war sie von jenem rein gesellschaftlichen Prestige einer
Diplomatenstellung wie ihn die Scribeschen Lustspiele feiern, wie Bismarck
ihn verhöhnt, noch gänzlich erfüllt. Weder jung noch schön, aber von
ansehnlicher Größe, mit ihren großen, konventionellen Zügen, ihrer
kunstvollen Frisur und ihrem erbsenfarbenen Gewand sah sie aus wie der
Genius des »Journal du High Life«. Mit groben aber wohlgepflegten Händen
schwang sie unaufhörlich ein Lorgnon. Es war ihr Degen, ihr Symbol. Denn
auch die Welt in Zeit und Raum sah sie durch ein solch abgrenzendes Glas,
das für sie nur die »Welt des Salons« auffing und spiegelte.

»Rom ist delicios,« hörten wir sie sagen -- »c'est autre chose que la
Suède! Ganz die große Welt! -- In der Saison komme ich einfach nicht zu
Atem; die Unmasse von Engagements, déjeuners, dîners und die vielen jours
. . .« sie suchte dies in bedauerndem Tone vorzubringen, aber es gelang ihr
nicht. Dabei hatte sie durch ihr Lorgnon jemanden von der »großen Welt«
erblickt, der auf sie lossteuerte: »Sie hier, cher Comte?«

Es war alles so ergötzlich! Der Pariser Freund und ich, wir sahen einander
lächelnd an: »Ihre zwei Göttergestalten scheinen sich in die oberen
Stockwerke verloren zu haben,« bemerkte er. Indeß kam die Marchioness von
A* mit Bekannten wieder. Sie kam in Begleitung einer außerordentlich
reizvollen, melancholischen Dame, einem hypereleganten, unwahrscheinlich
schönen Mädchen, und einem nicht mehr jungen Mann von wortkargem und
gebieterischem Wesen. Was Lebensstellung und Gewohnheiten anbelangte,
gehörte er zweifellos zu den Großen dieser Erde. Sein großes weißes Gesicht
trug zugleich den Stempel der Oberflächlichkeit und einer gewissen
Leidenschaft. Aus seinem stahlgrauen, etwas starren Blick sprach nicht etwa
eine sehr machtvolle oder reiche Individualität, aber deren ungehemmte und
machtvolle Entfaltung.

Plötzlich war alle meine Munterkeit dahin: den Tee, von dem ich mir noch
eben eine Tasse eingeschenkt, schob ich mit Widerwillen von mir. Bisher,
wie im Schauspiel, meinem eigenen Bewußtsein gänzlich entfallen, war ich
mir plötzlich meiner selbst aufs heftigste bewußt! --

Keine Paläste mit unschätzbaren Tapisserien und alten Bildern, keine
Reichtümer und keinerlei Macht war mein eigen! Über das blaue Meer hin,
nach Indien oder Griechenland, wo gerade die Erde am schönsten blühte, nach
London, unter Menschen, deren Pracht gerade am lachendsten sich entfaltete,
wohin er nur wollte, setzte der Mann dort herrschend seinen Fuß. -- »Kein
Ersatz,« dachte ich, »ist dem Menschen beschieden! Nicht die eine Sache zum
Trost, weil ihm die andere verwehrt ist. Nie darf er den Kelch verhaßter,
tödlicher Entsagung von sich schleudern!«

Wir standen wieder im Freien, diesmal den Tuilerien zugekehrt. Grau und
vornehm ragte die Säule von Vendôme, aber nicht länger zog es mich hin zu
den Herrlichkeiten der Rue de la Paix.

»Ich begreife Sie nicht,« sagte der Pariser Freund, »ist es denn möglich,
daß Ihnen solche Leute imponieren!«

»Ich nehme sie ja nicht persönlich,« sagte ich. »Aber die Ermöglichung
einer sehr raffinierten Existenz imponiert mir allerdings: I believe in
surroundings! Wenn ein kunstvoller Rahmen ein wertloses Bild nicht zu heben
vermag, so wird eine schlechte Holzleiste die Wirkung eines Kunstwerkes
sehr wohl beeinträchtigen können. Und weil sich um die gewöhnlichsten
Menschen oft die herrlichsten Rahmen ziehen, so brauchen wir deshalb den
Wert dieser letzteren nicht zu verkennen. Das Leben ist zu schön geworden!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Hier galt es jedoch, schweigend und mit Bedacht, von Automobilen wie von
feindlichen Kanonen umsaust, die Rue de Rivoli an der Mündung der Rue
Castiglione zu überschreiten.

Nach dem Gewoge der Straßen schienen die Tuilerien so weit und still.
Schweigend gingen wir eine Zeitlang weiter.

»Und morgen geht's dahin!« seufzte ich. »München wird Ihnen jetzt zu still
erscheinen?«

»Nicht das Zurückkehren, das Nichtfortkönnen von einem Ort fällt uns heute
so schwer.« Und im stillen durchbebte mich schon im voraus die Sehnsucht,
die mich in der Ferne ergreifen würde, an den Ort zurückzukehren, an dem
ich jetzt stand. Alles lag in jenen entzückend feinen, mattsilbernen Tönen
der zärtlichen Pariser Luft, die so leicht und optimistisch schimmert und
selbst den kahlen Bäumen ihre Düsterkeit benimmt. In hoher kalter Grazie
dem grauen Louvre zugewandt, stand eine nackte steinerne Nymphe.

Mit Statuen aber geht es uns häufig wie mit der Musik: was im Museum wohl
zurückstände, im Konzertsaal uns kritisch ließe, kann unter freiem Himmel
hinreißen und rühren. Unwillkürlich waren wir stehen geblieben.

»Wie der menschliche Körper durch die griechische Kunst, so hat sich
seitdem das menschliche Leben selbst zu einem Ideal gestaltet.«

»Zum mindesten ein vorgreifender Glaube,« meinte er.

»Wie jeder Glaube,« sagte ich.




IV.


So machen wir auf Reisen unsere schnurrigsten Erfahrungen. Gilt es jedoch
die Ansichten vorzubringen, die sich da ganz von selbst für uns ergeben, so
dünken sie uns gar zu einleuchtend und elementar, um noch erwähnt zu
werden. Aber das langweiligste ist, daß wir mit solchen Ansichten, obwohl
sie längst unausgesprochen da sind, immer noch als Vorläufer erscheinen,
und daß es immer noch keine Gemeinplätze sind; denn sie stehen noch immer
nicht in den Zeitungen, diesen Feldern des Überdrusses, diesen mit wenigen
Ausnahmen so träg geschäftigen Wiederkäuern zu oft gesagter oder
überwundener Dinge!

Oft sind es aber ganz kleine Dinge, die uns mit der Artung einer Nation
unversehens in Berührung bringen, wie ein plötzlicher Augenaufschlag, oder
der Schatten eines Lächelns uns plötzlich neue Einblicke in das Wesen eines
Menschen gewähren kann.

Zwei Pariser Episoden bleiben mir deshalb stets lebhaft in der Erinnerung.

Eines Nachmittags ging ich den Quai d'Orsay entlang und einem matten
winterlichen Sonnenuntergang entgegen.

Ich hielt einen Strauß der wundervollsten Blumen. Besonders prangte da eine
ganz erstaunliche Rose, mit der man immer wieder sich befassen mußte. Sonst
war ich eigentlich eher verstimmt. Ich kam gerade von einem déjeuner, das
mir zwar, so lange es dauerte, sehr animiert und glänzend schien, bis ich
nachträglich merkte, daß es mich gelangweilt, daß all die unnützen Dinge,
die ich vernommen oder selbst gesagt, ja selbst all die schönen saillies
und mots d'esprits mich zuletzt verdrossen hatten. Gott, und mein Nachbar
erst, wie sich der verpuffte! Es glitzerte und flickerte, jedoch das
Wässerlein war seicht, und war kein Fischlein darin.

Vielleicht ist die »Gemütlichkeit« dasjenige, was wir bei den Franzosen, ob
hoch oder niedrig, am öftesten vermissen. Und sie ist es, welche der
médiocrité allemande vor der médiocrité française, den »kleinen Leuten« vor
den »petites gens« den großen Vorzug verleiht. Bei den Franzosen hingegen
schlägt sich das Interessante ganz auf seiten der Individuen und gedeiht
sozusagen auf Kosten der Masse.

Ich steuerte indeß dem Quartier de la Madeleine zu und verfehlte dort wie
gewöhnlich meinen Weg. Der Zeitpunkt, den ich für eine Verabredung in der
Rue Montalivet getroffen hatte, war längst vorüber, und immer irrte und
eilte ich noch durch ein ganzes Strickwerk kleiner Gassen, als ein Mann,
der seinem rußigen Aussehen nach Lokomotivführer oder Tunnelarbeiter sein
mochte, plötzlich wie aus dem Erdboden vor mir stand. Indem ich nun im
Sturmschritt an ihm vorüberging, sah ich ihn stutzen, und mit einem leisen,
halbunterdrückten Ausruf des Entzückens auf meine Blumen starren. Einem
Impulse folgend hatte ich da auch schon die Wunderrose, die mir nicht
gehörte, hervorgezogen, wandte mich im Gehen schnell noch einmal um, warf
sie ihm in einem Bogen zu und eilte weiter. Auch wäre mir der kleine und so
flüchtige Vorgang kaum im Gedächtnis haften geblieben, hätte er da nicht
etwas wie ein Freudenlichtlein in mir angesteckt. Denn es hätte kein Mann
von Welt, kein Fürst den Sinn dieser zugeworfenen Rose mit bereiterem Takte
erfassen, noch mir zarter dafür danken können, als dieser zerlumpte junge
Mensch in seinem Kittel; und ich werde ihn nie vergessen, niemals, den edel
aufleuchtenden, emporgerichteten Blick, als er die Rose auffing.

Das speziell Französische dieser Szene beruhte in der Unmittelbarkeit, mit
welcher hier eine ganze Reihe von Nuancen blitzschnell und regenbogenartig
sich ergaben.

Ein paar Tage darauf ging ich abends wieder die Rue St. Honoré hinauf,
wieder auf dem Weg zur Rue Montalivet, und war noch viel müder und
verstimmter als das erste Mal. Denn ich hatte in Paris kein Glück, und
konnte mich doch nicht davon losreißen. Statt daß aber auf französischem
Boden die französische Seite meines Wesens in Schwung gerät, geht es mir
gerade umgekehrt; unter Franzosen wird mir so deutsch zumute; Deutschland
klingt und rauscht in Frankreich durch mein Herz; wie in ein Wetterhäuschen
zieht sich Marianne tief zurück, und einsam wie eine Schildwache rückt
Michel vor.

Wie ferne, dachte ich, sind die Franzosen selbst mir, der ich schon
mittewegs zu ihnen stehe! Und im Lichte unserer immer beschleunigenden
Verkehrsmittel wollte mir die gute alte Zeit, je weiter sie zurücklag, nur
um so schlimmer, und jede, die verflossen, als abgetan erscheinen; denn
Lloyddampfer, Blitzzüge und Automobile waren im letzten Grunde
Friedensmaschinen, während die idyllischen Postkutschen, in ihrer
Unfähigkeit einen Kontakt zwischen den Ländern aufrecht zu erhalten,
Nationen und Staaten eines Stammes bis zur Unkenntlichkeit sich entfremden
ließen!

Tief in Gedanken ging ich also meines Wegs, und merkte nicht, daß die
Straßen immer leerer wurden. Mit seiner Dinerstunde nämlich läßt der
Pariser, ob Kapitalist oder Concierge, nicht gerne spaßen, und zwischen
acht und neun Uhr ist Paris am stillsten. -- Zu meinem tiefen Schrecken sah
ich jetzt plötzlich meinen Weg durch einen Arm, den unter der Türe eines
finsteren Hauses ein Mann vor mir ausstreckte, gesperrt. »Donnez-moi de
l'argent!« sagte er auffahrend, »ou achetez-moi du pain, parce que j'ai
faim.« Er hielt sich im Dunkeln und ich unterschied nur seine Größe und den
gerade ausgestreckten Arm. Ohne eine Miene zu verziehen, als hätte ich ihn
nicht vernommen, als sei ich eine wandelnde Uhr und mein Gang nur ein
Pendelwerk, ging ich an ihm vorüber. Aber an der Bewegung meines rechten
Armes konnte der Mann, wenn er mir nachkam, sehen, daß ich in die Tasche
griff. Immer im selben Takte weitergehend, fingerte ich mit der rechten
Hand, was ich an kleiner Münze spüren oder greifen konnte, hervor, und an
der Ecke der Rue de l'Elysée, drehte ich mich um. Der Mann war mir in
einiger Entfernung mitten auf der Straße gefolgt, blieb nun auch stehen und
wartete. Aber etwas Furchtbares und Verzweifeltes in der Haltung dieses
Menschen veranlaßte mich, ihm in meinem besten Salonschritt näher zu
treten, und es vollzog sich auf einmal etwas, wie eine szenische Wandlung.
Denn nicht wie einem Bettler und nicht wie in einer feuchten, glitschigen
Straße, im dürftigen Laternenschein, sondern wie auf Teppichen und unter
Kronleuchtern schritt ich auf ihn zu, und händigte ihm die elenden Sous wie
einen Brückenzoll mit einer vagen Geste ein. Der Mann machte rasch Kehrt,
und ich verfiel wieder in meine vorige Gangweise, als hätte nichts ihr
Tempo unterbrochen. Plötzlich aber, wie von einem Schlage, verdunkelte sich
mein Blick. Denn ich wurde mir bewußt, wie sehr diese Begegnung durch den
Stempel des Stolzes, den jener Unglückliche seinem kläglichen Geständnis
verlieh, mich entzückte und begeisterte!

Und Michel trat zurück und ließ Mariannen vortreten. Herrliche Kinder!
dachte ich, diese Franzosen. Aus ihren Herzen brach er hervor, jener
Gedanke tiefinnerster, reinmenschlicher Gleichheit, über dessen Adel uns
nichts hinwegtäuschen darf.

Aber Kinder hatte ich sie genannt! Und wüßten sie es doch endlich über dem
Rheine drüben, in welchem Sinne die Franzosen Kinder sind. Oder sind die
Deutschen, die keine Kinder sind, zu naiv, um es zu lernen? Denn hier liegt
der wahre Grund zu all den kontinuierlichen und unerfreulichen Gegensätzen,
die einer wahren inneren Annäherung der beiden Nationen, und wenn sie
beiderseits noch so sehnlich empfunden wäre, immer wieder im Wege liegt!

In einem Zeitalter, wie dem unseren, in unserem so klein gewordenen Europa
weiß sich der Franzose das deutsche Gemüt noch immer nicht zurechtzulegen,
der Deutsche den Franzosen noch immer nicht zu behandeln! Denn für die
Mobilität, die Akuität -- ich muß bezeichnenderweise lauter Fremdwörter
gebrauchen! -- der französischen Empfindungsweise, zeigt der Deutsche wenig
Sinn. Der Franzose, der auf »Nuancen« eingerichtet ist, harrt indeß
vergebens, daß der andere, dem sie ganz entgangen sind, darauf eingeht, und
fühlt sich von ihm verletzt. Der andere borgt sich dafür bei ihm das Wort:
sensibel, denn mit der sensibilité, dieser Monnaie courante des Gemüts,
führt er nicht Haus.

Kurz: für ihr _Gefühlsleben_ finden die beiden Völker nicht den adäquaten
Austausch. Denn wahrlich, nicht der _Geist_ der zwei Nationen ist es, der
sie auseinanderhält! Der Idealismus, der geistige Ausblick des Deutschen
ist vielmehr sein mächtigster Anziehungspunkt für den Franzosen. Frankreich
hat sich mit Begeisterung deutscher Musik, mit Sehnsucht dem Einfluß
Goethes zugewandt. Denn diese »wankelmütigen« Leute, sie stehen vor sich
selbst und vor aller Welt als die Nation généreuse. Und in der Anerkennung
unserer eigenen Vorzüge legten sie ein Verständnis und eine rückhaltslose
und geniale Großherzigkeit zutage, vor der länger zurückzustehen uns weder
zum Lobe noch zum Nutzen gereichen könnte.

Hören wir einen so leidenschaftlichen Sohn seines Landes wie Maurice
Barrès, mit welch unendlich zarten und tiefen Worten er seine Betrachtungen
über Goethes Iphigenie beschließt.

»Peut-être n'est il pas permis, -- permis, ce mot si vague rend seul ma
peur un peu mystérieuse, -- que nous produisions au dehors nos pensées les
plus intimes; peut-être devons-nous protéger, voiler nos réserves, de
crainte qu'une source, dont nous avons écarté les branches, ne se dessèche
au soleil. Mais je dois reconnaître mes obligations. La destinée qui oppose
mon pays à l'Allemagne, n'a pourtant pas permis, que je demeurasse
insensible à l'horizon d'outre-Rhin: J'aime la Grecque Germanisée.«

Fand jemals eine Huldigung, in ihrer scheuen Zurückhaltung, einen so
wundervollen Ausdruck? Ich kenne mir nichts Edleres als jenes Geständnis,
das sich einem so französischen Herzen entrang: »_J'aime la Grecque
Germanisée_.«

Aber Deutschland und Frankreich scheinen mir oft dahinzuleben, wie ein sehr
männlicher Mann neben einer sehr feinen Frau, die _ihn_ schon durchschaute,
die _er_ noch nicht verstand. Gerade diesem Manne aber hat der Mangel an
Übung und Verausgabungstalent seines Empfindungsvermögens manchen Nachteil
gebracht, und manch unfreundliche Reflexe zugezogen. Wenn ihm aber der
Neid, wenn seiner Sprache das Monopol des Wortes »schadenfroh« zum
Hauptvorwurfe werden konnte, so hat er dafür ein Wort, das im Widerspruch
zu jenem anderen steht und es an Kraft weit überbietet, das Wort, das in
keiner Sprache seinesgleichen findet und einen Zug, der viel deutscher noch
ist, als sein Neid, und das ist: seine Treue. Treu aber sind die Deutschen
sich selbst, nur indem sie streben.

Zwar ist von vielen Seiten behauptet worden, seit ihrem großen Siege seien
sie in ihren sympathischen Eigenschaften weniger gefördert worden, als im
Verhältnis die Franzosen seit ihrer großen Niederlage. Nichts scheint mir
zweckloser, als darüber Worte zu verlieren, denn Glück wie Unglück liegen
hinter uns. Jede Nation hat heute die Tafeln ihrer Siege und ihrer
Niederlagen, und der Haß ist zwischen ihnen etwas Künstliches geworden. Die
Schwelle eines neuen Zeitalters ist schon überschritten, und eine neue
Stunde hat für uns geschlagen. Fluch träfe das stumpfe Auge und die
verbrecherische Hand, die den Zeiger wieder zurückstellte.




V.


Ein sommerlicher Sonnenuntergang in München lebte heute in meiner
Erinnerung auf. Von der Terrasse zur Friedenssäule hatte ich auf die Isar
herabgesehen, die unter dem verklärten Gewölk so leuchtend und blau
dahinfloß, so deutsch mit dem verträumten Gebüsch ihrer weiten Sandbänke,
und zugleich so sagenhaft schön in ihrer ewigen Frische, als eile sie nach
dem Meere, Galateens Muschelboot zu umspielen.

Und München erschien mir da wie eine jener herrlichen mittelalterlichen
Schlaguhren, mit ihrem kunstvollen Aufbau von Säulen, Gehäusen und
Vertiefungen. Zeiger und Figuren treten immer in gleicher Schönheit,
gleicher Bedeutsamkeit hervor, und das Zifferblatt ist von erlesener
Pracht. Aber etwas in den goldenen Speichen der Räder ist zertrümmert oder
gehemmt, und die Zeit verhallt hier in zu tiefen, zu lauschenden Klängen.
Und dieses Echo, diese Beschaulichkeit ist es, die wir nicht immer
ertragen, denn gerade das Unveränderliche und Unverbrüchliche in uns
erheischt ein schnelleres Tempo unseres äußeren Lebens.

Aber wie uns in dem trüben, und zugleich schon grellen Lichte
spätwinterlicher Tage Bilder des Südens bewegen, so umwehten mich jetzt,
inmitten der weiten Regungslosigkeit und Leere, die Bilder bewegterer
Städte. Von den lauen Winden zu mir herübergetragen, durchschauerte mich
das silberne Paris, und lächelnd wie eine verschleierte Schöne, die Place
de la Concorde. Ein anderer Sonnenuntergang flammte da auf, und überflutete
die weiten Champs Elysées, den surrenden Wagenstrom mit seinem gedämpften,
prunkenden Gerausch, und all die strahlenden oder trügerischen, oder
schnöden Silhouetten des Glücks, die er vorbeiträgt. Was immer sie quälen
mag, stets sind es Schattenbilder selbstverständlichen Genusses, die sie
uns malen. Wie die weithin leuchtende Front der zwei Paläste am Eingang der
Rue Royale, so trägt hier die _Fassade_ des Lebens den Stempel jenes Maßes
und jener Disziplin, die wahren Formensinn kennzeichnet. Wenn andernorts
Leichtsinn und Ungefähr an Äußerlichkeiten haften, so ist es hier das Auge,
das zumeist sich heimisch fühlt und inmitten der Verwirrung ganz vermag
sich auszuleben.

Allein hier riß mich das brutale Gellen einer Trambahnglocke aus der Ferne
in die Wirklichkeit zurück. Mit furchtbarem Gepolter lärmte der umfängliche
Kasten einher, und eine Dame im Reformkleid wandelte mir entgegen. Heiß und
öde dehnten sich die Häuserreihen wieder vor mir hin, und jede Straße fand
von neuem Muße, mit ihrer Physiognomie, ihrer Atmosphäre mich zu bedrängen.
Denn ach! inmitten der seelischen Abgeschiedenheit, die München an
Wintermorgen wie an Juliabenden oft bis an den Rand wie einen
Schmerzensbecher füllt, war mir, als ob der Strom des Lebens sich hier zu
einem See besänftigte, sich weitete, und als ahne er hier nichts von seinen
reißenden Stellen, deren Hast und Getöse allen Schmerz der Besinnung so
weit überrauscht!

Und wie ein Riese schien da die Sehnsucht den Weg mir zu vertreten und mich
zu würgen, als müßte sie aus meinen Augen hervorbrechen beim Anblick der
hoch dahinziehenden Vögel: zur englischen Küste trugen sie meinen Geist im
Fluge hin, und die Lust zu wandern kam wieder über mich.

Ich gedachte der Woche, die ich in London einsam verschwelgte, und zu
welcher Lust sich mein Alleinsein steigerte, angesichts der Gestalten, die
uns, lebenden Statuen gleich, zu Hunderten dort begegnen. In welcher
Stimmung ich da eines Nachts aus dem Theater fuhr, und wie mich fror in der
warmen Sommernacht, weil angesichts so vieler, vollendet schöner
Erscheinungen, derselbe Gedanke wie angesichts der Elgin Marbles mich
bewegte: welch edles Ding ist doch der Mensch. Wie müde und erregt zugleich
ich dann das leere Haus betrat, in dem ich wohnte und wie ich da mit
geschlossenen Augen und verschränkten Armen noch lange unten verweilte,
ganz in London versunken; von dem Sausen und Brausen des unendlichen, nie
lärmenden London berauscht. Ja wie ich mitten in der Nacht entzückt
erwachte, die stolzen Bilder zu atmen, die London entströmten. Zwar
schwebte mir gerade in Frankreich, gerade in England -- Deutschlands
geistiges Bild so gerne vor Augen! So tags zuvor bei englischen Freunden
auf dem Lande, als ich in der großen Halle mit mir allein zurückblieb, weil
mir schien, als wüßte ich in letzter Zeit, durch neue Eindrücke und die
Meinungen und Ansichten anderer von allen Seiten abgelenkt, oft nicht mehr,
was ich selber dachte.

Nun aber flutete das Licht des alabastermilden englischen Himmels so
beschaulich durch die weitgeöffneten Tore, und die Bäume vor dem Eingang
breiteten wie schützend ihre gewaltige Ruhe über diese Erde, diesen Rasen,
und über das unaufhörlich holde Gurren und Geflatter der Turteltauben!

Aber wie hoch in der stillen Luft das Laub der Bäume erst leis erzitterte,
und dann in Aufruhr blieb, so wurden meine erst leis sich schwingenden
Gedanken von allen Himmelsrichtungen aufgescheucht, bis sie im Sturme hin
und wieder fortgetragen, wie Blätter mein Bewußtsein umwirbelten. Ich
konnte sie nicht erhaschen, die eigene Verwirrung, den eigenen Zwiespalt
nicht begreifen, noch jenes tiefe Echo heimatlicher Erde, das deutschem
Geiste aus angelsächsischem Boden entgegenhallt; als würden jene Worte
wieder zu ihm hingetragen, mit welchen Shakespeares verbannte Könige dies
Land betraten:

   Ich grüße mit der Hand dich, teure Erde,
   -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
   -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
   -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
   So weinend, lächelnd, grüß ich dich, mein Land
   Und schmeichle dir mit königlichen Händen.

Aber Shakespeare selbst, der in seiner ausgeprägt englischen Eigenart uns
so nahe stand, wie glich er diesem Boden, auf welchem geschlossenste
Äußerungen unserer Rasse, so heimisch und fremd zugleich, uns
entgegentreten!

An diesem Faden weiterspinnend, war es dann ein anderer wichtiger Punkt,
der zumeist mich fesselte. Die Identität unserer geistigen Stellungnahme zu
den Griechen: Walter Pater, in seiner Auffassung und Fühlung zur Antike mit
unseren Rhode und Burckhardt, als eines Geistes Kind.

Von unseren inneren Analogien aber versank ich staunend in die Betrachtung
unserer äußerlich so starken Verschiedenheiten. -- Allein von allen Dingen
sah und erfaßte ich da nur ihr Suchen, Fließen, Streben nach einem gleichen
Ziele. Und nichts, was die Vorzüge der Engländer, Deutschen und Franzosen
länger auseinanderhielt und voneinander abschloß, wollte mir da noch den
Eindruck von etwas Verheißungsvollem, noch Ganzem, noch Befriedigendem
gewähren.

Mein Alleinsein wurde indeß von einem der Gäste unterbrochen, einem
gewichtigen Parlamentarier und Anhänger Chamberlains, der in die Halle
trat. Zwar war gerade er es, dessen politisches Credo: »We are the first
nation« aus allen seinen Beweisführungen mit unfehlbarer Sicherheit
hervorging.

»What are you doing?« sagte er.

»I was thinking against protectionism« sagte ich. Und da er mich verwundert
ansah: »Because we have so many things to agree on and to exchange!« Und da
er mich anstarrte: »because if you are the first nation, then we are the
first people.«

»Oh! is that so?« sagte er.

Doch als ich ihm nun meine Gedanken auseinandersetzen wollte, da standen
mir die Worte, die den Stein des Weisen, den ich doch schon zu halten
glaubte, fassen sollten, nicht zu Gebote, sondern die Flammen, die im Kamin
mit ihrem laut- und ruhelosen Rhythmus loderten, schienen in elementarerem
Bezug zu meinen Träumen, als ich selbst. -- --

Warum aber weckte ich den Nachhall so vergessener Dinge? Lag an der
Wirklichkeit, lag in der Gegenwart stets ein Etwas, das des Reizes tief
entbehrte, oder ihn verhüllte, da Augenblicke, die wir zu genießen uns nur
flüchtig bewußt wurden, als wir sie erlebten, sich verklären, wenn sie wie
abgeflossene Wellen längst verrauschten? Selbst die fiebernde Öde dieses
Münchner Sommertages, täuschte mich seine spleenartige Wirkung nicht?

Still schwebte schon der Mond am klaren Himmel über die Parkanlagen, die
Straßen und Plätze. Von den dunklen Baumgruppen hob sich der
Hildebrand'sche Brunnen wie ein Götterzeichen ab, die immer neuen Strahlen
seiner Lebensfülle milde wie der Mond ergießend. Immer neu sind dem Auge
die kühnen, reichen Schweifungen des Beckens, in welchem das Wasser unter
der überströmenden Schale, frei wie eine Flut sich ausbreitet und bewegt.
Und immer neu blicken von dem mächtigen Sockel, wie durch rieselnde
Schleier, überlebensgroße, marmorne Häupter. Aber das edel gesenkte Antlitz
des Athleten, die weit getrennten Gruppen und das Quellen aus all den
herrlichen Nischen, sie alle ertönen in übermächtiger Einheit zu einem
rauschenden Akkord, aus welchem Münchens eigenste Seele in ihrer hohen
Intellektualität und ihren reichen Gründen, echt wie der frische Strahl des
Wasserstaubes, uns entgegenhaucht.




VI.


An einem Spätnovembermorgen sah ich zum ersten Male die Straßen von Berlin
unter einem regnerischen Himmel tropfnaß und düster vor mir liegen, und
musterte mit enttäuschten, übernächtigen Augen ihre graue, geradlinige
Nüchternheit.

Auf meiner Fahrt vom Anhalter Bahnhof zum Potsdamer Platz war es zugleich
das einzige Mal, daß ich in Berlin dazu kam, mich über Berlin zu besinnen.
Ich weiß nicht, welch verzehrende Neugierde dort alsbald von mir Besitz
ergriff und mich in eine Art von Gummiball verwandelte, der ohne Unterlaß
von einem Ende Berlins zum anderen flog.

Die meisten Dinge natürlich sah ich nur im Fluge.

Im Fluge machte ich dort übrigens eine, wenigstens für mich, endgültige
Erfahrung: wie sehr nämlich die Wirkung, welche die Plastik auf den
künstlerischen Laien ausübt, eine von der Malerei nicht nur verschiedene,
sondern ihr entgegengesetzte ist. Allerdings haben wir bis jetzt nur
Glyptotheken, welche organisatorische Probleme auf siegreiche Weise lösen.
Vergleichen wir aber den Zustand von Beglückung und Rast, den wir im
Pergamon finden, mit der Nervosität, dem Unbehagen, das uns bei längerem
Verweilen in einer Bildergalerie befällt, so will uns dabei der Maler von
allen Künstlern als der glücklichste erscheinen, weil von allen Kunstwerken
Bilder am rückhaltlosesten zu einer Charakteristik ihres Schöpfers, im
vollsten Sinne zu »Individualitäten« sich gestalten. Je bedeutender zwar,
desto bestimmter natürlich, desto mehr Aufmerksamkeit und Spielraum
beanspruchend, auch nach außen hin, desto mehr Perspektive gebietend. Wer
hätte im Louvre nicht die fast schmerzliche Empfindung einer Gioconda, fast
hätte ich gesagt eines Lionardo, der hier in einem licht- und luftlosen
Kerker gefangen liegt? -- Ich für meinen Teil kann nicht an den Giorgione
im Kaiser Friedrich-Museum denken, ohne daß mir ein kaum einen Meter davon
entferntes Bild durch seine schreiende Unverträglichkeit mit dem Giorgione
dazwischenfährt. Aber scheinen nicht alle Wände dieses selben Saales von
laut aufbegehrenden und unzufriedenen Leuten erfüllt, deren Heterogenität
uns peinigt und verfolgt, und die alle zusammen das große Tizianbild
umlärmen? Auf meinem Wege zu den Botticellis fesselte mich ein Gemälde
durch den klangvollen, durchdringenden Reiz des Kolorits. Als ich aber auf
dem Rückwege an diesem Bilde wieder vorbeiging, zog sich bei seinem Anblick
-- ich übertreibe nicht -- wie ein eiserner Ring um meine Schläfen, von
nahezu unerträglicher Erschöpfung und Qual. Wahrlich! dachte ich, die Musik
ist eine stillere Kunst als die Malerei.

Um aber auf Berlin zurückzukommen: als am siebenten Tage der Zweck meines
Aufenthaltes erreicht schien, reiste ich am nächsten Morgen wieder ab. Zwar
wurde mir von allen Seiten, und überall auf Grund meines außerordentlichen
Behagens an Berlin lebhaft davon abgeraten. Aber hierüber schien mir, mußte
ich doch selbst am besten Bescheid wissen, und packte unbeirrt meine
Sachen. Zwar fand ich Berlin nicht mehr so häßlich, wie bei meiner Ankunft,
eine »jolie laide« vielmehr, mit sehr grandiosen und fesselnden
Einzelheiten.

Am Morgen meiner Abreise fuhr ich in einer offenen Droschke und bei dichtem
Nebel noch einmal um den Schloßplatz, durch die Linden, die Wilhelmstraße,
Leipziger- und Friedrichstraße, und dachte: »Berlin ist doch die
uneleganteste und zugleich imposanteste Stadt, die ich je gesehen habe: als
Großstadt diskutabel, aber spannend wie keine andere.« Deutlich war jetzt
der Wunsch in mir aufgestiegen, es besser kennen zu lernen und bald
wiederzusehen, als mir der bedenklich vorgerückte Zeiger einer Riesenuhr
ins Auge fiel, und zugleich an einer Straßenecke ein Zeichen trübseliger
Vorbedeutung, das, wie meiner harrend, stille stand. Nicht länger spendete
ich da mehr nach rechts und nach links halb gleichgültige, halb neugierige
Blicke des Abschieds. Was konnte es an diesem Morgen Verdrießlicheres für
mich geben, als meinen Zug zu versäumen, nachdem ich eigens deshalb so früh
aufgestanden war? Besorgt trieb ich den Kutscher zur Eile an, stürmte zehn
Minuten später die Treppen des Bahnhofs hinauf, lief zum Gepäckschalter,
flog durch den Perron. Kaum war ich eingestiegen, als der Zug sich in
Bewegung setzte, und ich in meiner glücklich eroberten Waggonecke zufrieden
einschlief.

Und dann kam das Erwachen, -- das eine unvermittelte und grenzenlose
Deprimiertheit wie mit dumpfen Stößen begleitete. Draußen starrte ein
totes, träges, grelles Mittaglicht wie ein Abglanz des riesenhaften und
unerhörten Katzenjammers, der mich bedrückte. Es war doch gestern so gut
wie ausgemacht, daß ich um diese Stunde nach Charlottenburg fahren und dann
in ein Konzert gehen würde. Und abends wollte ich die Oper von Nicolai
hören. Warum in aller Welt war ich denn fortgefahren? Ich konnte den Grund
nicht finden. Es mußte irrtümlich geschehen sein, weil ich nicht wußte, daß
ich noch bleiben wollte. Ich wußte nur, was ich _jetzt_ vergebens wollte!
Mit welchem Ungestüm ich die Lokomotive an das andere Ende des Zuges
wünschte, und daß sie mich wieder nach Berlin zurückbrächte!

Und ich erwachte ganz.

Eine dumpfe, trübe Hitze erfüllte den Waggon. Ich stand auf, um das Fenster
einen Augenblick zu öffnen. Aber mein Gegenüber, ein mächtiger,
breitschulteriger Herr, sah mir, ohne sich zu rühren, mit so unsäglicher
Empörung zu, daß ich seinen Einspruch nicht provozieren mochte, weil der
Gedanke, ihn auch noch sprechen zu hören, unerträglich war. O, wie mußte
der seinen Enkelkindern imponieren und seiner Schwiegertochter auf die
Nerven gehen! Und ich sank zurück. Aber die Reue, der leidenschaftliche
Ärger über meine unbedachte und sinnlose Übereilung, brach mit der Gewalt
jener unvorhergesehenen Stürme über mich herein, wie sie über Nacht, zur
Zeit der Äquinoktien sich entfesseln, Kamine wegreißen, und Steine und
Ziegeln von den Dächern schleudern. Wie verträumt rauschte der Zug durch
das winterliche Land, während ich unbeweglich und gramerfüllt in meiner
Ecke saß. »Komm,« sagte ich zu mir selbst, »dies ist alles nur die Reaktion
irgend einer ganz abnormen Übermüdung.« -- Meine Hände lagen mutlos
ineinander, meine Arme waren wie mit Gewichten behängt, an meinem Herzen
hing ein großer Stein, und ein anderer saß mir am Kopfe wie ein Helm. Es
war lächerlich. Es konnte nicht sein. »Trink eine Tasse Kaffee,« schlug ich
vor. »Sieh nur, wie müde du bist!« fuhr ich ermunternd zu mir fort, als ich
im Speisewagen mit zitternden Knien und mit aufgestützten Armen vor meinem
Tischchen saß, und das öde Licht, das durch die angehauchten Scheiben fiel,
meine Bitterkeit noch erhöhte. Warum hatte ich nur so eilig Reißaus
genommen? Es lohnte sich doch wahrlich, Berlin besser kennen zu lernen!
Warum aber denn _jetzt_ eine so ungestüme und überspannte Betrübnis? -- Es
wurde mir immer heißer, immer fiebernder zumute, und der Kaffeegeruch
machte mich vollends untröstlich. Ich kehrte also wieder auf meinen Platz
zurück, zog den Vorhang zu, den Hut tiefer ins Gesicht, und wie nach dem
Sturme der Regen einsetzt, so drängten da die ungeheuerlichen Wolken, die
mein Gemüt umlagerten, leise, langsam und unaufhörlich, nach Art der
Landregen sich zu lösen. Es war viel besser, daß ich mir's eingestand: Der
vorschnelle Abschied von Berlin machte mir eben Beschwerden. Aber wie? Was
lag mir dort so sehr am Herzen?

Ich habe jedoch schon öfters erfahren, daß persönliche Momente für unsere
Abneigung oder unsere Vorliebe für einen Ort, keine oder nur eine relative
Rolle spielen. Und ich kann mir nicht helfen: meine Eindrücke großer Städte
verdichten sich zu einem gewiß anthropomorphistischen Bilde, wie es uns in
der Karikatur etwa die Münchner Bavaria entgegenhält. Eine Stadt oder eine
Landschaft aufzusuchen, um dort Erinnerungen nachzuhängen, stelle ich mir
deshalb als ein höchst unerfreuliches Experiment von ganz besonders öder
und ausgeblasener Wirkung vor. Denn der Dämon eines Ortes ist viel zu stark
für die einzelne Psyche!

Daß ich mich aber durch jenen einen proletarischen Zug in der Physiognomie
der Jolie Laide in meinen wirklichen Eindrücken so hatte täuschen lassen,
und während die Schärfe ihrer intellektuellen »Aura« mich hinriß, immer
noch der Meinung war, daß sie mich abstieß? -- Seit einer Woche ganz von
ihr eingenommen, und mit ihr beschäftigt, wollte ich alles kennen lernen,
und mir nichts entgehen lassen, jeder Einladung Folge leisten, auch wenn
sie mit einer anderen in Kollision geriet, um dann, wenn auch nur für einen
Akt, schnell noch ein entlegenes Theater zu besuchen. Zwischendrin aber,
sobald ich allein war, in der Droschke, der Hochbahn, oder während einer
musikalischen Soiree, zog ich unverzüglich, wie aus einer geistigen
Schublade, die Schlußseiten eines literarischen Produktes hervor (mit
dessen Umarbeitung ich vor meiner Abreise fertig werden mußte),
korrigierte, glättete und feilte daran herum, suchte fortgesetzt nach neuen
Satzstellungen und Worten, und fand niemals Zeit, mich auf mich selber zu
besinnen.

So war ich in meinem Element, und glücklich gewesen, ohne es zu wissen.
Denn die Wagschale des eigenen Ichs, aller Gewichte persönlicher Bezugnahme
ledig, war seltsam erleichtert aufgestiegen.

Ich merkte nicht, wie sehr mich hier alles Nüchterne oder Geschmacklose
verdroß, welche Genugtuung mir alles Schöne, Hervorragende oder Bedeutende
gewährte. Ich wußte erst, nachdem ich Berlin verließ, mit welch
nationalster Anteilnahme ich es betrachtete!

Wie leicht beschlich mich sonst inmitten einer neuen Umgebung ein Gefühl
der Isolierung, kalt und leise wie ein Gift! Nichts wirft uns ja so sehr
auf uns selbst zurück, als das Gefühl oder das Bewußtsein, oder die Idee
unrichtig taxiert, sei es nun, überschätzt oder verkannt zu werden. Diesen
Berlinern aber, die mir ungewohnter, in mancher Hinsicht vielleicht auch
fremder waren, als Londoner oder Pariser, schien ich eine längst bekannte
Nummer, und so half alles zusammen, daß ich mir selbst gänzlich in
Vergessenheit geriet.

Allein derselbe Schwung, der mein Auffassungsvermögen mit so ungewohnter
Schärfe nach außen wandte, währenddem er mein Bewußtsein gewissermaßen
suspendierte, stürzte mich zuletzt, so unwahrscheinlich dies auch klingen
mag, vor lauter Elastizität blindlings in diesen Zug.

Das Spiel war zu Ende, und der Gummiball lag im Graben.




VII.

Rufford Abbey.


Ich hatte für den August 1899 eine Einladung nach Rufford Abbey erhalten.

Rufford Abbey in Nottinghamshire ist einer der ältesten Herrensitze in
England. Eigentum der Zisterzienser bis zu Heinrich VIII., der ihn einem
Earl von Shrewsbury verlieh, blieb er inmitten höchst wechselvoller
Schicksale ein bevorzugter Aufenthalt der Könige von England, besonders
Karls II. Auch heute noch wird jener traditionelle Verkehr durch Eduard
VII. besonders lebhaft rege gehalten.

Hatten schon die Berichte von Ruffords Ländereien und historischen
Schätzen, vom langen Saale, mit seinen elf nach Westen sehenden Fenstern,
der Halle mit der Minnesängergalerie, Straffords berühmtem Porträt usw,
meine Erwartungen sehr hoch gestimmt, so vollends die Geistergeschichten,
die über dieses Schloß im Umlauf sind. Die Aussicht auf eine Bekanntschaft
mit ihnen wollte mich mit gespannter, aber durchaus heiterer Neugierde
erfüllen. Steht doch selbst der Leichtgläubigste solchen Dingen skeptisch
gegenüber, weil er fühlt, daß sein Leben alles Gespenstige so siegreich
ausscheidet, wie das Licht die Finsternis; und darum macht es ihm Spaß,
wenn er von jenen leeren Schemen -- zu welchen er zwar selbst über Nacht
gehören kann -- wie von etwas »Wirklichem« Kunde erhält.

Schlaflos war ich die Nacht hindurch via Ostende gefahren. Draußen graute
kaum merklich der Tag über ein baumloses, flaches, unsäglich trübes Land.
Hie und da streckte eine Windmühle wie verzweifelt ihre bretternen Arme aus
und erhöhte noch den Eindruck von Verlassenheit und Öde. Fast lautlos fuhr
jetzt der Zug die trauernde Ebene dahin. Und in jenem unendlichen,
schattenhaften Grau, das den Himmel und die weite Erdfläche erfüllte,
wollte endlich auch mein Bewußtsein ruhen und versinken.

Aber kaum eine Minute lang!

Denn als ich erwachte, lag nach wie vor matte, unklare Dämmerung über das
Land gebreitet, und zugleich rief meine erschrocken ausgestreckte Hand ein
anderes Bild in mir wach, das unvergeßlich, ich wußte es wohl! zwischen mir
und der Außenwelt in jenem Augenblick entstanden war.

Aber welcher Unhold hatte mich da so unvermittelt und so willenlos über
eine so fremde Schwelle geführt?

Durch ein hoch und ohne Sims in der Mauer angebrachtes Fenster schien das
Abendlicht unsäglich bange in ein schmales, verließartiges Zimmer schräg
herein; und ich sah in einem hohen Lehnstuhl, der aber nicht entfernt bis
zu dem Fenster reichte, die Umrisse einer zarten und kostbar gekleideten,
aber schon sehr alten Frau: -- zwei langgedrehte seidne Locken, deren Enden
sich ätherisch lösten, umschimmerten ihre klaren Züge; ihre reizende Hand
hing ernst und traurig herab, und den Blick hielt sie gespannt,
erwartungsvoll auf mich gerichtet! Als ich aber, seltsam zu ihr hingezogen,
nähertrat und in der sinkenden Dämmerung sie zu erkennen suchte, da
zerfiel, zersetzte, _zerfetzte_ sich ihr Angesicht vor meinen Augen zu dem
eines grauen, unnennbaren Gespenstes, und schaudernd streckte ich die Hand
aus um den furchtbaren Anblick von mir abzuwehren. --

Ein herrlicher Tag strahlte über das blaue Meer und Englands teure Küste.

Wer ahnt es heute nicht, in unseren so stark differenzierten Ländern, jenes
wachsende, peinvoll sehnsüchtige Bewußtsein unendlichen Einsseins
verwandter Rassen? -- Von meinem Zuge aus sah ich Englands berückendes, in
seiner Fülle so gedämpftes Licht, und mit halb verträumten, halb beglückten
Augen starrte ich in diese auf den ersten Blick so schlichte, in ihrem Reiz
so mächtige Natur. Denn London hatte eine Lebensfreude in mir
hervorgerufen, wie ich sie noch nie empfunden!

Aber noch am selben Nachmittag fuhr ich weiter, und von Ollerton aus in
einem flügelleichten Wagen durch herrliche umzäunte Wälder schnell dahin.
Es ging ein Rufen, Schlagen, Wehen, wie von Tieresstolz über Boden und
Gezweig. Unter dem hohen Farren huschte und raschelte es, und ein winziger
Hase, vor Schreck gelähmt, hockte mitten am Weg. Ich lachte über diesen
Anblick auf. Meine lautlose Fahrt, das herrliche Gespann, der lebenflutende
Wald ließen nur freudige Eindrücke zu. Zuletzt flogen die Pferde eine weite
Allee im hellen Abendlicht entlang, und in einer Mulde, von einem weiten
Waldesring umschlossen, und keinem unbefugten Auge sichtbar, lag Rufford
Abbey ein riesengroßer, schweigsamer und strenger Bau; -- hinter einer
breiten kurzen Brücke trat zuerst der niedere Teil des ehemaligen Konvents
hervor, dann unter steinernen wappentragenden Löwen der offene Eingang in
der gedämpften gemütlichen Pracht seiner kostbar ausgeschlagenen Wände. An
Rüstungen und Waffen, an der Minnesängergalerie vorbei, eilte ich in den
Rittersaal. Meine Stimmung war so hoch, daß ich nicht wider sie an konnte:
in einem solchen Rahmen lang entbehrte Freunde wieder zu begrüßen, war ein
Erlebnis.

                   *       *       *       *       *

Zufällig wurde noch am selben Abend bei Tisch von den Gespenstern Ruffords
gesprochen, ein Thema, das in Gegenwart der Eigentümer gewöhnlich vermieden
wird. Aber ich war hierin, wie überhaupt in allem, noch sehr wenig
eingeweiht und erfuhr also auf mein neugieriges Fragen hin, daß es über
Ruffords Geschichte viele, zum Teil von den Besitzern selbst verfaßte
Bücher und Urkunden gab, die samt und sonders unter Ruffords Kriegsdaten,
Erbschaftsprozessen und Mordtaten, -- meist in demselben trocknen
sachlichen Tone, -- auch Ruffords Gespenster zur Erwähnung brachte. Dies
rief nun unverzüglich meine eigenen Erinnerungen wieder wach. Mir hätten
»rief ich«, diese Geister wohl ganz besondere Ehren zugedacht, da mir ja
einer schon bis übers Meer entgegenfuhr. Und lebhaft schilderte ich das
seltsame Gemach, seine eigentümliche Lage, und das Gesicht, das ich am
Morgen dieses Tages erlebte, hielt aber betroffen mitten in meiner
Erzählung inne, als ich die plötzliche Stille und die überraschten,
gespannten Mienen rings um mich her bemerkte.

                   *       *       *       *       *

Ich wohnte im ersten Stockwerk nach Osten. Ein breiter Korridor trennte
mich von den westlichen, sogenannten Stuartzimmern. Nach Norden hin lag
wieder eine Flucht wahrhaft königlicher, zurzeit leerstehender Gemächer.

Ach die Pracht der Möbel, der Gobelins und Kamine war es nicht allein! In
Nationalmuseen sieht man vereinzelt, wie ausgestopft, solche Stücke. Aber
überall das Zusammentönen und -leben dieser stillen Truhen, dieser alten
Teppiche und Seidenvorhänge, und überall an den Säulen und Himmelbetten,
und an den Angeln der schlanken Fachkästen und Stühle das kunstvoll so rein
und naiv gewundene oder skulptierte Holz! Wo an den niederen Wänden der
Raum nicht von den Wappen mit den ausgehauenen Löwen ausgefüllt, oder
köstliche Schreine eingelassen sind, ziehen sich durch jene Zimmer hindurch
früh mittelalterliche Gobelins: lange Prozessionen schreiten da einher,
Könige, Bischöfe und Heilige, edle Jungfrauen blicken rührend und ernst,
und hinter dem Stuartbett, heute wie damals, eine geheimnisvoll schöne,
eine große, weinende Gestalt!

Ich ging von Zimmer zu Zimmer mit einem der Gäste, der mich als Führer auf
meinem Rundgang begleitete. Aber fast hatten wir einander vergessen. Denn
wie in sehnsüchtiger Abendröte atmete und verweilte hier noch die weite
Vergangenheit.

Und nun betraten wir die Plattform eines breiten, turmförmigen Vorbaus, der
den Übergang bildet zwischen dem Schloß und der noch älteren Abtei. Von da
aus führt ein langer, schmaler Gang zu den jetzigen Privatgemächern
Ruffords, die ziemlich entfernt über der Kapelle und dem ehemaligen
Refektorium liegen. »Noch ein Zimmer muß ich Ihnen zeigen,« sagte jetzt
mein Führer und deutete auf die Wand. Eine Eckmauer höhlte sich hier in
verschiedenen Windungen und Stufen, und führte plötzlich zu einer
Versenkung und einer Türe. Wir traten ein. Zwischen den Quadern verborgen
hineingebaut, hing da wie ein Lift ein hohes, schmales Gelaß. Schwermütig
fiel das Licht durch ein hoch und ohne Sims in der Mauer angebrachtes
Fenster, und ein hoher Lehnstuhl, der aber nicht entfernt bis zu dem
Fenster reichte, stand davor. Zu genau war mir schon der Anblick, die
unheimliche Lage dieser Kammer und ihre bange Atmosphäre bekannt! --

Indes erfüllte es mich mit unbeschreiblicher Genugtuung, daß die teilweise
Bestätigung eines gespenstigen Traumes mich nicht ängstigte, um so mehr,
als die Inhaber der Stuartzimmer sich über die fiebernden und schlaflosen
Nächte, die sie in Rufford verbrachten, unumwunden äußerten. Dabei wußte
man von diesen Räumen, sowie von dem anstoßenden Prunksaal, den der König,
damals noch Prinz von Wales, bewohnen sollte, gar nichts Schauerliches zu
berichten. Ich hingegen wohnte auf der Ostseite nicht nur ganz allein,
sondern meine Türe führte direkt in ein großes, in gelbem Damast und Silber
ausgeschlagenes Paradezimmer, das für die »schwersten Gespensterfälle«
notorisch ist.

_Unter sich_ nämlich pflegen die Gäste in Rufford Abbey solche Geschichten
ohne Ende auszutauschen. Nur mußte es mich befremden, wenn von erwarteten
Besuchern die Rede war, immer wieder Namen zu hören, die mit den
haarsträubendsten Erlebnissen verflochten waren. Aber dies läge an dem
unglaublich großen Reiz dieses Hauses, erklärte man mir. Ich sei noch zu
sehr Neuling, würde ihn aber noch erfahren.

                   *       *       *       *       *

Nach einigen Tagen reisten die Inhaber der »Stuart-rooms«, ein Ehepaar aus
der französischen Schweiz, zu meiner Erleichterung ab. Denn Monsieur und
Madame de X. waren drückend, fast unmenschlich konventionell, und in allen
Dingen von der Mode so eingenommen und genarrt, daß sie zu ganz
eigentümlichen Ideenassoziationen und Bildern den Anklang gaben: den grell
beleuchteten Kursaal eines großen Badeortes, einen Dampfschiffsalon I.
Klasse und derlei. Und dann genierte es mich, zu fühlen, wie sehr es sie
genierte, nicht herauszubringen, was es denn puncto Mode für eine
Bewandtnis mit mir habe?

Allein infolge dieser Abreise stand nun der ganze obere Teil des rechten
Schloßflügels leer, und meine Freunde forderten mich wiederholt und
dringend auf, in ein anderes, bewohnteres Stockwerk umzuziehen; ich
weigerte mich aber auf das entschiedenste, denn jetzt gefiel es mir hier
erst recht! -- Doppelt reizvoll und anheimelnd zwar, wirkte gerade in
diesen Gemächern der Kontrast hypermoderner Existenzen! Nun beruhigten und
erhellten keine herumliegenden Reisetaschen, keine neuesten Hüte und
Hutschachteln mehr die düstere Atmosphäre, die wie ein schwerer Himmel über
diesen Räumen hing, jetzt war alles so schauerlich und schön!

Allein ich besaß für Geister offenbar doch keine Attraktion. Denn weder
»das Mädchen«, noch »der Mönch« noch der »cuddling-ghost«, noch die »alte
Dame«, die mich doch kennen mußte, bemühten sich zu mir!

                   *       *       *       *       *

Da -- eines Nachts -- fuhr ich aus tiefem Schlafe plötzlich empor, warf
mich mit einem Satze blindlings gegen die Ausgangstüre, drehte blitzschnell
das Licht auf und stürzte dann zu Boden. Verwundert sah ich in dem hell
erleuchteten Raume um mich her. Was war geschehen? Ich konnte mich auf
nichts besinnen, und fühlte doch meinen Blick umtrauert, wie ein vom Nebel
umdüstertes Licht. Warum? Nur ein Gedanke: Licht zu schaffen hatte ja in
mir gelebt! Aber welch höllisches Entsetzen hatte mich dann niedergeworfen
und jagte mich jetzt von neuem, bevor ich es faßte? -- Ach! jenes Licht,
ich hatte es entfachen _müssen_, damit ich die Erschütterung ertrug, die
mir jetzt das Bewußtsein brachte: Ich war nicht erwacht, ich war geweckt
worden!

                   *       *       *       *       *

Erst als Tageshelle mein Zimmer erfüllte, löschte ich und trat ans Fenster.
Wohin man von dem Schloß aus blickte, das diese weiten Parkländer, diese
offenen Haine und Äcker beherrschte, erstreckte sich unübersehbar ein
alter, heilig gehaltener Boden, dehnten sich Wälder, die kein fremder Fuß
je betrat, und im nächsten Umkreis Plane mit zauberhaften Bäumen,
Terrassen, die nur ein tiefes Schönheitsbedürfnis so ins Leben rufen und
erhalten konnte; und rechts dem Flüßchen entlang, die schattige und stets
geheimnisvolle Straße, das niedere Tor, das alle Verlassenheit und Poesie
der Erde zu atmen scheint, und den weiten Rosengarten einfriedet! Und von
hier bis zu jenem Tore drang unaufhörlich und hold der Turteltauben matter
Ruf. -- Aber diese Mauern, -- dieses Zimmer, -- diese Flucht qualerfüllter,
leerer Gemächer im Morgenschein! Nein! die Frühluft, die jetzt so froh zu
mir hereindrang, verscheuchte nicht, wie ich es hoffte, die Grauen dieser
Nacht. Wohl aber lehrte mich dieser zärtlich silberne Morgenhimmel mit
seinen frohlockenden Wölkchen, daß ich den Mut nicht finden konnte, ja daß
ein unheimlich seltsamer Widerwille mich erfüllte, meine untatsächlichen
Erlebnisse zu bekennen, als hafte etwas Totenhaftes an mir selbst, weil ich
sie erfuhr! Keine Worte, die vor dem hellen Tage nicht zerflössen, konnten
mir für das trostlos Bezuglose solcher Eindrücke zu Gebote stehen. Und ich
mußte alleine damit fertig werden. -- Aber das Licht, das nunmehr die ganze
Nacht hindurch in meinem Zimmer brannte, sowie die Furcht vor einem
Erwachen, wie ich mit Bestimmtheit glaubte, es in seiner Unnatur ein
zweites Mal nicht zu ertragen, hielten Nacht für Nacht meine Wachheit rege.
Und ich saß aufrecht und horchte! -- Gerührt vernahm ich das Rauschen der
Bäume, oder wenn ein Nachtvogel sich bewegte! Und ich horchte entsetzt --
wie ein Scheinlebender -- auf den unhörbaren Lärm, auf die feindselige
Luft, und durch alle Ritzen und Gänge hindurch die zerrüttete Ruh! Welcher
Sinn war in mir erwacht, für die finsteren Flammen lechzend wie das Leben
reißender Tiere, vom Leben Verstoßener? Für dies Wehen wie von
Schmerzensfaltern, der schweren Raupe des Verbrechens entflattert!

Und es schien, als dürsteten sie, mich zu erreichen! Als richte sich ihr
Sturm gegen eine verwundbare oder gefahrvolle Stelle, einer Bresche in
meinem innersten Selbst.

Dabei hing es oft an einem Haar, daß ich über all dies nur _lachte_ und daß
ein ängstigender Wahnkreis mich wieder freigab, wie die beengende Schlucht
den Bach zur Ebene entrinnen läßt.

So drehte ich auch eines Nachts das Licht ungeduldig wieder zu und lag, vor
Müdigkeit wie eine Schnecke zusammengerollt, ganz jenem angenehmen Gefühl
des raschen Versinkens und der Sicherheit anheimgegeben, das uns umfängt,
wenn der Schlaf, wie ein Riese, unser Bewußtsein davonträgt.

Allein, wie eine Beute ließ er jäh mich fallen! -- In der Schnelligkeit,
mit der ich nach dem Lichte auffuhr und ans Fenster stürzte, hatte ich
Decken und Tücher mit fortgerissen; mein Blut, wie in Flucht geschlagen,
hämmerte in meinen Schläfen, als dränge es, den Augenhöhlen zu entströmen,
und in dem glänzenden Gemache, wie in einer Zelle eingemauert, fühlte ich
mich von der Nacht, die beglückt da draußen flutete, geschieden. Und wie
gemartert umklammerte ich meine Knie, zu einer anderen Welt unwiderstehlich
hingezogen!

                   *       *       *       *       *

Nach Verlauf einer Woche wurden Heimat und Vergangenheit, das eigne Leben
ferne und undeutlich. Aber wer schilderte zugleich den Widerwillen vor
einem solchen Zustand und vor jener wachsenden Bangigkeit, die auch bei
Tage, unter freiem Himmel, nicht mehr von mir wich, die mir das Herz
zusammenschnürte wegen nichts, weil ein Vogel zu nahe vorüberflog, beim
Öffnen eines Gatters draußen im Walde, oder wenn ich die grauen Mauern
Ruffords, die auf düsteren Gedanken wie auf Pfeilern zu ruhen schienen, von
weitem, unversehens vor mir sah.

Oft verbarg ich mich nun tagsüber in dem langen Saal, ganz der
verwunschenen Stimmung hingegeben, die von Norden her eine gewaltige Front
finsterer Bäume über die Beauvais-Tapisserien und die Wände ergoß, und
zwischen einem Watteau und einem Greuze schlief ich in einer
Mauervertiefung am Fenster ein.

                   *       *       *       *       *

Das Wetter blieb den ganzen August hindurch heiter und schön. Vor der
Ostfront des Hauses verbrachten wir einen großen Teil des Tages in
Korbstühlen, unter paradiesischen Bäumen, lasen, nahmen Tee, sprachen oder
schwiegen uns aus und rührten uns oft stundenlang nicht von der Stelle.

Eines Nachmittags saßen wir wieder so tief in unseren Korbstühlen
vergraben, daß wir einander kaum sahen. Und willkommen war es mir! Denn
meine Sinne, nach außen hin, ja mir selbst entfremdet, zogen sich, wie die
Fühlhörner einer Schnecke, in ein dunkles Gehäuse immer mehr zurück.

Tod und Leben, sie konnten ja nur _einer_ Welt gehören! Wie Raum und Zeit,
war unsere Trennung von dem Geisterreiche einzig durch die
unübersteigliche, aber illusorische Schranke unserer Sinne bedingt. --
Schaudernd sah ich zu einer gewissen Fensterreihe empor und gedachte der
vergangenen Nacht und der Gedanken, welche da auf mich eindrangen, bis ich,
unfähig, mein Alleinsein länger zu ertragen, nach einem anderen Teil des
Schlosses fliehen wollte, aber alsbald die Türe wieder zuwarf, wie vor
einem Sturm, als sei das Dunkel dieser Gänge eine wilde Flut, vor deren
Toben der hellere Raum meines Zimmers noch einzig mich beschützte! -- Zum
Greifen nahe war ich in dieser letzten Nacht bis zu des Todes Schranken
lauschend vorgetreten. Denn des Todes Sicherheit entsendet einen Lockruf,
vor welchem des Lebens unsicheres Licht in dunkler Müdigkeit erschauert.

Aber ich lebte ja! Um mich her war der Tag! Aus undurchdringlich seligem
Gezweige drang der süße Ruf der Turteltauben durch die laue Luft! Wie
sicher fühlte ich mich hier unten, inmitten der anderen, in dem still
verweilenden Sommerlicht! Und ermüdet schloß ich die Augen, in dem
schwindligen Doppelleben, das ich jetzt führte, versonnen, wie der an
steilem Bergesabhang Träumende.

                   *       *       *       *       *

Als ich erwachte, war ich allein. Die Blumen, die in hohen Rabatten nach
Art der Klostergärten alle Mauern des Schlosses umwuchsen, umschlossen sie
jetzt wie entseelt, mit einem fahlen Ring. Im unteren Stockwerk und links
über der Kapelle waren schon alle Fenster beleuchtet, der Schatten einer
Zofe huschte geschäftig vorüber und der Prozeß des Ankleidens schien
überall in Schwung. Ich eilte nun über den Vorplatz, Gänge und Stiegen
hinauf; aber im Laufen fühlte ich die Angst gleich einem Riesenschatten
wieder dicht an meiner Seite, als habe sie es gar nötig, mich in mein
Zimmer zu begleiten. Zum ersten Male versagte dort das Licht; wie ein
entlegener und vergessener Raum lag es in der Dunkelheit vor mir. In dem
verlöschenden Tagesschein, der durch das Fenster fiel, sah ich jetzt die
Draperien des Bettes heruntergerissen, und daß der Balken, der sie hielt,
schräg an der Mauer herabhing. Halb tastete, halb suchte ich nach den
Kerzen, fand aber nichts mehr zur Hand, und wandte mich erschrocken der
Türe zu, um das Zimmer wieder zu verlassen; allein sie widerstand und die
Klinke war von außen gehalten. Noch ehe ich mich besinnen konnte, drang
jedoch ein Schrei durch die Türe zu mir und zugleich hing die Klinke wieder
locker in meiner Hand.

Auf den Gang hinausstürzend sah ich einen Diener, der wie besessen nach der
Richtung der Freitreppe rannte. (Offenbar hatte der mich für einen Geist
gehalten.) Flugs holte ich ihn ein, und zwang ihn, mich zu erkennen. Als
hätte ich ihn erwartet, nahm ich dann den Brief, den er mir entgegenhielt.
Er enthielt eine Menge Gründe für meinen, ohne mein Wissen, schleunigst
vollzogenen Umzug. Aber ich las ihn nicht zu Ende! Ob diese Gründe wahr
oder erfunden, oder auch nur wahrscheinlich waren, kümmerte mich nicht.
Nach meinem neuen Zimmer, das in einem anderen Stockwerk, nach einer
anderen Himmelsrichtung lag, flog ich mehr, als ich ging. Dort standen
wohlgeordnet alle meine Sachen; die Kerzen brannten vor dem hohen Spiegel
und das Kleid, das ich für den Abend anziehen wollte, lag ausgebreitet auf
dem Bett. Eine Grille zirpte vor dem Fenster, der warme Rasen duftete so
sommerlich herein. Wie schön war alles, was atmete, war diese Erde, war
dies Leben! Und wie am Tage meiner Ankunft, als ich im hellen Abendlicht
durch die Wälder nach Rufford fuhr, war es da wieder nur ein Bild, das mein
Geist begierig greifen und erfassen wollte: des Lebens, der Natur ewig
tröstliches Erstehen.

Und doch sind es die schauerlichen Nächte in jenem anderen Zimmer, deren
Erinnerung ich heute nicht vermissen möchte.




TORSO


Gedanken, Meinungen und Überzeugungen drängen nach Äußerung, lange bevor
wir noch wissen, welchen Ausdruck wir ihnen verleihen, in welche Form wir
sie bringen können. Den einen treiben sie zur Gestaltung, zur Ausführung
oder zur Tat, den minder Glücklichen zwingen sie zur Schrift.

Leopardi nennt die so verbreitete Meinung von der Seltenheit der Originale
einen großen Irrtum, denn bei näherer Betrachtung erweise sich fast ein
jeder als ein ganz einziges, noch nie dagewesenes Exemplar! Einem solchen
Begriff der Originalität fehlt freilich jedes Prestige. Aber tatsächlich
ist es mit den geistigen Physiognomien der Menschen, wie mit den
äußerlichen. Könnten wir jene mit den Augen sehen, wir würden da genau
dieselbe Mannigfaltigkeit, aber auch dieselben Mißverhältnisse wahrnehmen,
wie an den sichtbaren Gestalten; nur daß sich auf geistigem Gebiete der
Wahn so bemerkbar macht, als sei hier eine Unterschiebung der eigenen
Identität durch eine schönere oder bedeutendere leichter möglich, die
Gesetze der Unveränderlichkeit leichter zu täuschen oder zu umgehen, als in
der körperlichen Welt. Wie wenige sind denn wirklich schöne oder vollendete
Typen! Und wie viele gleichen jenen Bruchstücken antiker Statuen, deren
Wirkung durch einen ergänzten Kopf, eine fremde Bewegung verdorben oder
gestört wird, statt daß sie bleiben, was sie sind, nämlich meist _ohne_
Kopf und Fuß, aber echt.

                   *       *       *       *       *

Marie stand mit fünf Jahren eines Morgens unter einem Baum, dessen Laub im
Winde rauschte, und den blauen Himmel durchblicken ließ. »Das Leben ist
schön!« dachte sie.

Da flog ein Blatt von den Zweigen herab in ihre Hand, und während sie seine
groben Adern und Fasern langsam auseinanderriß, wurde sie unsäglich
verstimmt. Nicht der froh bewegte Wipfel in der Höhe, das einzelne
langweilige Ding in ihren Händen, war die Wirklichkeit! --

Der Grundakkord ihres Wesens schlug da zum erstenmal an ihr Bewußtsein an;
denn es gibt nichts Neues im Menschen. Das fin mot eines Ich's ist ein
Motiv, und was hinzutritt, sind Amplifikationen.

Schon ein Jahr darauf lernte Marie im Kloster die Langeweile kennen, zu der
sie neigte, wie ein anderer zu Gichtschmerzen oder Rheumatismen, und die
sie anwehen konnte, plötzlich, unvermittelt wie ein Wind, der um die Ecke
fährt.

In ihrem Kloster blies sie durch das ganze Haus, um alle Mauern, und durch
den ganzen Garten, die Stelle ausgenommen, an der eine reizende Brücke über
den Wildbach bog, Libellen unklösterlich schwirrten, und die Bäume
parkähnlich zusammenstanden. Aber alles andere war häßlich. Zwei hohe
plumpe Berge versperrten wie Riesentore nach Norden hin die Welt, und die
Monatsrosen standen meist verwelkt und verweht, um ein mächtiges Kreuz vor
dem Haus. Alles, was sie sah, mußte sie zugleich empfinden, doch ohne auch
nur entfernt die Fähigkeit zu haben, sich dies zum Bewußtsein zu führen.
Wie schmerzlich schien ihr im Frühjahr das Licht, wenn die Furchen der
Berge so rauh aus dem Schnee hervorstachen, und die grünenden Bäume im
Scheine eines regnerischen Tages fröstelten. Ach wie öde der Ackergeruch im
Winter, die Stoppeln und Maulwurfhügel auf dem Felde, der schwere, fette
Flug der Raben!

Zu ihrer Unterhaltung verfiel sie da auf ein höchst seltsames
Gedankenspiel: sie setzte sich abseits, stützte die Arme auf, schloß die
Augen und dachte mit immer beschleunigterem Tempo und eingezogenem Atem:
»Ich bin Ich.« An diesem Gedanken konnte sie nämlich, wie an einem Seil,
immer dunklere Schlünde hinab gleiten, bis sie ein Schwindel erfaßte, und
ihr Ich ihrem Bewußtsein entsank.

Wie sie das zusammenbrachte, wurde ihr später selbst ein Rätsel: ihr Geist
hatte damals eine jongleurartige Geschwindigkeit, als sei er transparenter
und zugleich schärfer gewesen, lösbarer von ihr? -- sie wußte es nicht.
Aber sie fand es »spannend« sich selbst zu jagen, bis zu einer Wurzel, die
sie nicht mehr war. -- »Ich bin gefangen!« dachte sie da wohl. »Auch nicht
für eine Stunde kann ich jemals von mir fort, und wenn mir andere Menschen
noch so sehr gefallen werden, kann ich sie nie sein!«

Aber einmal, als ihr diese geistige Rutschpartie besonders gut gelungen
war, faßte sie ein Entsetzen, als hätte sie sich verloren, als hinge das
Seil ihrer Identität in der Luft, -- als harrten ihrer Gespenster in den
Tiefen, in die sie geraten war, -- und mühsam, wie ein Ertrinkender, so
rang sie seufzend zur Oberfläche ihres Bewußtseins zurück.

Ein Instinkt riet ihr jedoch, dies unheimliche Spiel zu lassen und die
Fähigkeit verlor sich auf diese Weise sehr rasch. Dafür fingen andere
Probleme, deren Lösung sie keinen Augenblick gewachsen war, an sie zu
quälen.

Starb eine Klosterfrau, und wurde es den Zöglingen freigestellt, sie auf
der Bahre noch einmal zu sehen, so ließ Marie alles liegen und stehen, und
marschierte zwei Schuhe hoch, allen voran. Dann starrte sie forschend in
das fahle Gesicht, dem der Geist schon zu lange entschwunden war, und das
ausdruckslos, ja sinnlos vor ihr lag. Und nichts schien ihr gerade auf das
Klosterleben ein so trauriges Licht zu werfen, als der Tod.

Aber es kamen immer mehr Dinge, die ihr mißfielen.

Eines Sonntags fand sie in einem Bilderbuch eine Palmengruppe abgebildet,
einen sprungbereiten Tiger, und ein Mädchen, das mit tödlich entsetzter
Miene sich vor ihm zu verbergen suchte, aber vergebens, denn er hatte sie
schon fast erreicht und mußte sie unfehlbar zerreißen.

Empört und außer sich, rannte Marie im Zimmer umher. Sie blickte zu den
gemalten Inschriften auf, die an den Wänden hingen, und die ihr so gut
gefielen: »Siehe, so sehr hat Gott die Welt geliebt. . . .« »Er aber liebt
die Seinen bis in den Tod . . .« »Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört
. . .« Über ihren Schrank breitete ein Pelikan seine Flügel aus mit einem
ähnlichen gefühlvollen Spruch. Wie reimte sich dies? -- Und sie verbiß sich
von neuem in das schreckliche Bild. -- Wie konnte Gott dies ertragen, wenn
wir sein Ebenbild waren und seine Kinder?

Ein anderes Mal hatte die Feuerglocke wegen eines in der Nähe brennenden
Anwesens wohl eine Stunde hindurch geläutet. Endlich kam, fliegenden
Schrittes eine Klosterfrau den Gang heraufgeeilt, und sagte: »Gottlob
Kinder, es ist kein Menschenleben zugrunde gegangen: nur 16 Kühe sind
verbrannt.«

In der Nacht sah Marie die Tiere heulend durch die Flammen jagen und fuhr
erschrocken aus ihren Träumen empor. Sie schlief nahe am Fenster, und der
Wildbach rauschte mit düsterem Schwalle, ewig stöhnend, schwarze Klagen
herauf. Was war dies für eine Welt, in der die Kinder ihre Eltern begruben,
und der Herr der Schöpfung zur Beute eines niedrigen Tieres entehrt werden
durfte? Schöne Menschen, die sie kannte oder gesehen hatte, und die
schwerlich je in Kollision mit einem Tiger oder einem Boa constrictor
kommen würden, schwebten ihr vor Augen. Allein gewisse _Möglichkeiten_
genügten, um da ihren Weltschmerz zu einem unerhörten Fortissimo zu
steigern. Es gab ja kein Entrinnen aus einer solchen Welt, keinen Tod,
keine Bewußtlosigkeit mehr für unsere unsterblichen Seelen! »O wie ist
das?« dachte sie erschrocken: »Ich kann Gott nicht lieben!«

Am nächsten Morgen waren Geschenke für sie angekommen, und sie bezeigte
eine solche Gier, sie alsbald in Empfang zu nehmen, daß die Oberin sie
zurechtwies: »Du genußsüchtiges Kind,« sagte sie streng. Marie hörte dies
Wort zum erstenmal, und vernahm es mit Interesse. In der Tat: Warum haßte
sie nichts so sehr auf der Welt, als den Schmerz? Warum ging sie stets mit
abgewandtem Gesicht den unteren Gang entlang, wo die Apostel der Reihe nach
in schlecht gemalten Bildern hingen, mit Kreuz, Nägel und Stricken, all den
furchtbaren Zutaten ihres Sterbens? Warum erfaßte sie jede Freude mit so
peinvoller Hast, und entbehrte sie mit solcher Heftigkeit? und warum waren
selbst ihre schwärzesten Stimmungen so seicht, wie Wolken, die ein leichter
Windstoß wieder vertreibt?

Aber ihre Grübeleien brachten ihr nur Überdruß und sie war froh, sich ihrer
zu entschlagen. So fing sie mit acht Jahren an zu schwärmen, und wenn
Orgelklänge und Weihrauchdüfte die Kirche erfüllten, dachte sie nur mehr an
Rosa Flatz, Paula Baselli, Irene Angermaier und Livia Gelmini.

Es gibt Wesen, die in früher, unwahrscheinlicher Vollendung ins Leben
hineinleuchten, gleich jenen vereinzelten Tagen inmitten langer
Regenzeiten, an denen das Licht so zärtlich, das Laub so golden, der
feuchte Blick der Sonne so kristallen leuchtet! Aber tags darauf haben
Regen und Wind ihre trüben Lieder wieder aufgenommen . . . Flatz war von
hohem Wuchs, hatte goldenes Haar und den Kopf einer Sirene. Da sie fast
schon erwachsen war, wagte Marie nur im Winter, wenn die Zöglinge
schweigend spazieren gehen mußten, sich zu ihr zu gesellen, ergriff ihre
Hand und sah stillbeglückt von der Seite zu ihr auf. Kein Frost konnte die
liebliche Röte dieser Wangen beeinträchtigen, so schön und blühend war ihr
Flaum. Aber sie blühte so königlich! Wo sie ging, war kein Winter, heftige
Rosensträuche blühten an allen Wegen, und an den Frühling gemahnte selbst
ihr sicherer, zerstreuter Blick.

Baselli hatte einen zu tiefen Teint und ungeschmeidiges Haar. Aber der
Schnitt war rein wie der eines Ägineten, und ihr stolzer Blick flammte in
unbewußter oder in Zaum gehaltener Trauer. Marie hielt sich gern in ihrem
Umkreis, um die edlen Augenhöhlen, die köstliche Zeichnung ihrer Lippen in
der Nähe zu sehen, und wie über einen heiligen Wald schwärmte ihr inneres
Auge über sie hin.

Aber Irene Angermaier war die schönste! mit braunem, weichfließendem Haar,
ruhig und müd wie eine Nymphea im Mondlicht. Sie lehnte in ihrer harten
Schulbank mit jener überlegenen Grazie, welche die Menge anjubelt, und vor
der die Maler knien. In prunkvoll ausgeschlagener Gondel, in Palästen hätte
sie ruhen sollen; ein Antlitz für Perlen und unschätzbare Schleier, ein
Wesen, zu schön um zu leben, zu leicht, um im Grabe zu ruhen.

Gelmini war aus Salurn, und melodisch wie ein Glockenspiel. Ihre Achseln
schienen wie mit Blütenfäden an ihren Körper gefügt, und an der Art, wie
sie den Arm nach der Stiegenrampe ausstreckte, und an ihrem Gang konnte
Marie sich nimmer satt sehen. So schritt wohl Julia, als Romeo sie zum
erstenmal erblickte. Und wenn Livia: »il gallo, la primavera, la catena«
sagte, dann schwärmte Maries Herz, wie ein bunter Schmetterling in der
Sonne. Mit Livien, die erst neun Jahre alt war, hätte sie verkehren können,
aber sie gefiel ihr zu gut, und wo sie bewunderte, zerfloß sie in
Verehrung. In Wirklichkeit wollte sie weder von Puppen, noch von
Freundinnen etwas wissen, und mit Vertraulichkeiten war ihr nicht gedient.
Sondern sie wollte höhere Wesen, die sie ihrer enthoben. Und angesichts
jener vier reizvollen Gestalten, die sie so früh verlieren, und sterben
oder scheiden sehen mußte, war sie vielmehr einem Zustand, als Gefühlen
hingegeben. Sie sprach nie mit ihnen und suchte nie von ihnen beachtet zu
werden, nur in der Nähe, im selben Zimmer mußten sie sein; sie mußte sie
alle vier sehen können, wenn sie den Kopf wandte, dann war ihr Kloster ein
gar schöner, gewählter und träumerischer Ort.

Mit ihnen schwand alle Poesie aus Maries klösterlichem Leben; sie stak von
neuem in Grübeleien, wie in ödem, verwirrendem Sande, langweilte sich und
sehnte sich fort. Zudem wurden alle ihre Bücher, die sie gerne
reglementswidrig in ihrer Schublade aufgeschlagen hielt, der Reihe nach
konfisziert, und ehe sie sich versah, stand sie als Verkörperung der
Insubordination von allen Zöglingen abseits. Alljährlich feierte man in
ihrem Kloster das sogenannte »Königsfest«, bei dem sich das ganze Pensionat
in einen Hofstaat umwandelte, und jeder Zögling, von der Königin herab zu
den Köchen und Kaminkehrern, je nach Verdienst, seine Charge erhielt. Die
ersten Jahre stand Marie als Page, in Korkziehlocken und Goldreif, einen
ganzen Tag hindurch stumm, doch voll Entzücken in der Königin Dienst. Es
war Irene Angermaier, in Silbergaze und königlicher Krone. Aber später
wurde ihr dies reizende Fest verleidet: In einem schief aufgesetzten, viel
zu kleinen Schäferinnenhut und einem zu engen grünen Tarlatankleid (denn es
hatte als ehemalige Balltoilette eine Taille, und sie noch lange nicht)
spazierte sie als »königliche Lectrice« mit einem Riesenbuch, allein und
tödlich verlegen, hinter den Landgräfinnen einher, und wenn im cortège die
Reihe an sie kam, tanzte der »Bouffon« in seiner roten Schellenkappe vor
ihr her und verkündete ihre Streiche. Nun pflog sie zwar über die
Weltordnung allerlei Separatanschauungen, doch für das Maß ihrer eigenen
Missetaten fehlte ihr jedes persönliche Gutdünken, und sie schämte sich
über Gebühr.

Aber dafür war die freie, herrliche Welt der Tummelplatz aller Freiheiten,
und ihr Herz schlug hoch, als die schweren Klosterriegel auf immer hinter
ihr zufielen.

                   *       *       *       *       *

Das Leben präludiert meist anders, als es verläuft. In der Tat: so
unglaublich es ihr selber erschien: einen Monat später durchschwärmte sie,
frei wie ein Waldestier, eine Mondnacht um die andere in den Bergen und
kampierte am offenen Feuer, wie ein Zigeuner. Was hätte sie gesagt, die
würdige Mère Supérieure, die ihre Uhr nach den Hühnern richtete? -- Da hing
Maries Disziplin, am hohen Klostergiebel, als leeres Fähnchen
zurückgeblieben.

Folgendes müssen wir Maries eigenen Aufzeichnungen entnehmen.

»Es war zur Sommerszeit in den bayrischen Bergen, als uns vier Kinder die
Wanderlust zum erstenmal ergriff. Aber der Tag ließ uns nicht weit genug
gelangen; so rüsteten wir uns sorglich auf einen längeren Streifzug aus.
Daß uns gerade nur soviel Geld bewilligt wurde, um 24 Stunden
fernzubleiben, kümmerte uns nicht.

Erst als der späte Nachmittag golden verglühte, traten wir vor. Bald
rauschte dann im Mondlicht der Fluß uns zur Seite, und schneeweiß zog sich
die Straße den schwarzen bewaldeten Felsen entlang. Jeder Stein, der im
Flusse die Wellen zurückwarf, die Kiesel am Wegesrand, ja das zertretene
Gras am Ufer schienen verklärt, und die Mulden der Berge in Schleier
gehüllt. Und wenn sich in dem mondlichen Schweigen der Schrei eines Tieres
entrang, durchzitterte ein ewiges Glück dies schimmernde Tal.

Immer leichter trugen uns unsere Schritte voran! Immer eifriger berieten
wir die Möglichkeiten einer einstigen großen Erbschaft, und in der großen
Bergesstille schallte unser lautes Gelächter.

Als die Lichter der »Fall« vom anderen Ufer herüberleuchteten, hielten wir
Rat: denn aller Spaß wäre zu Ende gewesen, hätte unserem Auftreten etwas
von dem hohen Ansehen gefehlt, von dem wir selbst so sehr überzeugt waren.
So betraten wir, stets fremde Sprachen untereinander führend, das alte
Gasthaus, bestellten ein wohl ausgeklügeltes, sehr zimperliches, aber sehr
billiges Essen, gaben dann vor, einer Wette halber, die Nacht in keinem
Hause verbringen zu dürfen, und griffen, mitten in der Nacht, mit großer
Eile nach unseren Stöcken. Der Eindruck war nach Wunsch: die paar Reisenden
und das Personal standen neugierig an der Türe, eine alte Dame protegierte,
die Wirtin bewunderte uns, der Förster zog seine Pfeife weg und wies uns
den Weg, und von freundlichen Zurufen verfolgt, von der alten Dame gewarnt,
drangen wir fröhlich in den Wald, und weiter hinein in die Riß. Den Tag
verschliefen wir auf Almen oder Bergeshauben. Kamen Stürme, so äfften wir
sie. Von den Felsen geschützt, apostrophierten wir das finster fliegende,
grandiose Gewölk, und begrüßten die Donnerschläge mit dröhnendem Gelächter.

In der Folge dehnten wir unsere Touren immer stattlicher aus. An einem
Herbsttag kamen wir vom Achensee und wollten über den Schildenstein zurück.
Die Alm war geschlossen. Da liefen wir in der Dämmerung den Kanten des
Blauberges entlang, drangen durch das Fenster in eine leere Hütte und
machten uns Feuer. Aber draußen lockte die Nacht, lockten die im Monde
getauchten Tiefen des Achentales und der silberne See. Unbeweglich wie
Berggeister saßen wir, in unsere Mäntel gehüllt, vor unserer Alm. War es
Ahnung oder Müdigkeit, die uns verstummen ließ? Die Welt mit ihrem Spiel
riesiger Schatten, schimmernder Lüfte und frohlockender Höhen atmete
Gesang, aber die Leier unserer Freuden schwebte zerrissen über uns.

Bald standen wir wie ein Häuflein, das ohne den Führer trübe zerfällt. Der
große Zauber jener Wanderungen hing an einem romantischen, 19jährigen,
höchst merkwürdigen Wesen, in dem kein Raum war für Pandorens Trug. Reinste
Vernunft gebot hier jeder Unruhe, und die Erkenntnis überstrahlte den
Wunsch. Aber nie vorher hatte sich so hohe Weisheit mit solcher Grazie
umkleidet, und die Taue eines so unschuldigen Lebens gelockert. In dieser
fast morbiden Erscheinung, mit dem unbeschreiblichen Relief ihrer bangen
Umrisse, blieb alle Schwäche ausgeschieden, war alles Schönheitssinn und
Stil. Zuletzt sind Linien, die uns fesseln, solche, an die wir uns nicht
gewöhnen, und stete Neugier erregte diese schmale, ernste Stirne mit den
hochgezogenen Brauen, die fast leichtsinnige Anmut des kleinen Ovals, das
eitel gesteckte Gold der Haare, und dabei die männliche Zurückhaltung in
den durchdringenden Augen. So glich die Mischung ihrer psychischen Elemente
der Stimmung eines herrlichen, aber zu zarten Instrumentes. Und so ließen
sich ihre Anforderungen an ein Leben, an das sie nicht glaubte, nicht
herabdrücken, und mit allen Fasern zog sie sich von ihm zurück.

»La mort est bête« sagte Gambetta. Aber der Tod überblickt Zusammenhänge
und das Leben ist befangen. In unserer Erscheinung wähnen wir unser Wesen
erschöpft, währenddem die Grundlagen neuer Individualitäten schon in uns
dämmern, neue Lebensformen unserer harren mögen.

Allein einzig ist der Mensch als Kunstwerk! Und mit Grauen erfahren wir,
daß es Wesen gibt, die, köstlichen Schalen gleich, einmal zerschlagen, der
Natur nicht wieder gelingen.«

                   *       *       *       *       *

Wie der Seekranke vom Schiff im ersten Morgengrauen nach der Küste späht,
so sehnt man sich oft nach dem Tode -- man weiß, daß man den Gang und die
Richtung seines Schiffes nicht verändern kann.

Nietzsche. Nachgelassene Werke.

Ob wir wollen oder nicht, wir werden am Ende alle katholisch.

Moltke.

Als Marie heranwuchs, wurde ihr der Ernst so widerwärtig, wie früher das
Leiden. Von den beiden Philosophen, von welchen der eine die Welt ewig
beweinenswert, der andere sie ewig komisch fand, hatte nur der letztere
ihren Beifall. Denn wer sich über eine Welt, gegen die er nichts vermochte,
Sorgen machte, der war in ihren Augen ein Narr. Man lebt nicht lange, also
lebe man, ohne zu denken. Allein ihren Theorien zum Trotz, erhoben sich die
Gedanken wie ein brennender Wüstenwind in ihrem kindlichen Gehirn. Da faßte
sie eine tiefe Abneigung zu Menschen ihrer Art. Mädchen ihres Alters umging
sie in weitem Bogen, aber das Zusammensein mit schönen verwöhnten Frauen,
im Kreise weltgewandter Männer, wurde ihr Paradies. So geriet sie sehr früh
in eine Clique welterfahrener, mächtiger und verfeinerter Leute, die sich
täglich sahen, in deren Intimität, die keine war, das Herz fast keine Rolle
spielte, sondern mehr das Behagen, und deren Denkprozeß bei oft
interessanter Begabung ein geringer blieb. Aber gerade dies fand sie
bezaubernd. Das Leben war es wohl wert, zur Kunst erhoben, erheitert zu
werden, und die Sorglosen waren die Lieblinge, die Nachdenklichen nur die
Frondiener der Götter.

_Jene_ also waren die überlegeneren und vollkommeneren Menschen. Ach und
das ferne, freundliche Mitgefühl, mit dem sie eine eben ereignete große
Katastrophe, einen Brand, ein Eisenbahnunglück besprachen, vollends die
Art, mit der sie dann das Thema wieder fallen ließen, entzückte, ja
betäubte Marie. Und die Ironie, mit der sie gesprächsweise die
Erbärmlichkeiten des Lebens streiften, -- nur streiften! schien ihr das non
plus ultra seelischer Eleganz.

Diese siegreichen Typen schieden in ihren Augen alle entwürdigenden
Grausamkeiten, alle Häßlichkeiten aus, alles, was sie haßte, woran sie
nicht erinnert werden wollte, und keine verzehrenden, keine erniedrigenden
Schmerzen, gelangten je zu diesen lachenden Höhen.

Und es lag ihr so sehr am Leben! Es schien ihr so kostbar, so
begehrenswert. Sie liebte, ja in dem höher potenzierten Menschen
vergötterte sie es; aber die Freude war das Gesetz, nach dem er wandeln
sollte.

Aber ach! die Freunde ihrer Wahl, in deren Oberflächlichkeit sie schwelgte,
deren Lächeln sie beruhigte, an deren Leichtsinn sie ihr Gemüt sonnte, wie
ein Kranker am Mittagsscheine, sie hinderten ja nicht, daß ihre Gegensätze
bestanden. Ihr Genuß löschte keine Qual, war nur ein Kontrast, -- kein
Ersatz, -- nur ein Widerspruch mehr! Empfindungen von solcher
Mannigfaltigkeit konnten sie da überwältigen, und der Andrang ihrer
Gedanken im Verhältnis zu ihren noch kaum entwickelten Fähigkeiten sich so
mächtig steigern, daß vor innerer Erregung ihre Zähne zusammenschlugen, und
ein lauerndes Angstgefühl sie immer deutlicher beschlich.

Zu ihren Freunden hatte sie indeß eigentümlich Stellung genommen: zu jung,
um noch zu zählen, störte sie niemanden; die Frauen litten sie gern, ja die
schönste von ihnen zog sie zu den Zusammenkünften, die täglich bei ihr
stattfanden, und hielt sie wie eine Art von Pagen. In der Tat hatte Marie
der Schönheit gegenüber eine huldigende Art, ein Gefühl des Ausgefülltseins
und Verlorengehens, ein Stillstehen ihres Selbst zu einem Atom, das nicht
Schwärmerei war, sondern Glück.

Eines Tages hatte sie sich verspätet, die Besucher waren fort und ihre
Freundin allein.

Durch das alte, gemalte Scheibenfenster umwob sie der goldene Staub der
sinkenden Frühlingssonne. Sie lag, den Kopf zurückgeworfen, ausgestreckt,
und rauchte eine Zigarette. Nichts dächte man, was in diesem Anblick
klassische Erinnerungen weckte. Was hielt nun Marie vor einer der schönsten
Gestalten ihrer Zeit, unbeweglich, wie geblendet, an der Schwelle zurück?
Sie sah Helden verbluten, Troja im Schutt, und Hektor erschlagen, und wie
von einem plötzlichen Scheine entrückt, faßte sie das ewige Relief dieses
flüchtigen Lebens.

Aber der Mensch war ihr, was dem Künstler die Kunst, und ihr Wohlgefallen
war ein Meer der Ruhe. Und dieser eine göttliche Funke in ihr schuf ihr
Beziehungen, baute ihr Brücken, die luftig funkelten wie Regenbogen.

Allein nicht nur vergessen und sich verlieren wollte sie, sondern die Art
ihrer Salon-Olympier sich aneignen und nachahmen. Stets schwärmend, haßte
sie Exaltation, und Kälte des Herzens war in ihren Augen Weisheit.

Es ist ja eine Tatsache, daß nicht die Eigenschaften selbst, sondern ihr
Reflex es ist, der uns besticht, und nicht der Wert, den man besitzt,
sondern den man verausgabt. Hierin beruht der Reiz gewisser typischer
Genußmenschen. Sie erwecken Illusionen, weil wir ihnen mehr zugute halten,
als sie veräußern, manchmal mit Recht, und manchmal nicht. Es sind die
Reichen, die kein dunkler Stachel der Entbehrung hindert, ihre
Empfindsamkeit ohne Rest auszuleben, und von denen geschrieben steht, daß
sie das Himmelreich so schwer erlangen, denn »es leidet Gewalt«.

Und doch konnte sie nicht umhin, das Leiden als einen Mißstand, die
Entsagung nicht als eine Bestimmung des Menschen zu betrachten, und wenn
sie glückliche Naturen so sehr liebte, so war es, weil sie ihre
Berechtigung anerkannte. Dieser Glaube saß ihr im Blute, er wuchs und
lebte, er zehrte an ihr. In ihrer eigenen Zerrissenheit erblickte sie einen
untergeordneten Zustand, weil sie fühlte, wie dies Übergreifen ihrer
Individualität nichts anderes aus ihr schuf, als einen heiseren Mißton, der
jede Saite erzittern ließ, der keinen Klang ausschied und keinen
unvermischt behielt. Die Röte stieg ihr dann wohl auf, wenn sie der eigenen
Maßlosigkeit gedachte, ihres übertriebenen Gebahrens, noch vor einer
Stunde, als sie in Voltaires Geschichte Karls XII. von Peter dem Großen
las, der seine Kosaken so unentwegt, nach Tausenden rädern ließ. Gleich
einem scheugewordenen Tiere war sie da mit dem Kopf gegen die Wand
gestoßen, wie um eine solche Tatsache aus ihrem Bewußtsein zu löschen. Denn
aller Jammer, der solche Greuel deckt, war da vor ihren Blicken
aufgestiegen, und ungestüme Todessehnsucht ergriff sie vor dem Bilde einer
so schmerzbefleckten Welt.

                   *       *       *       *       *

Bei solcher Gemütsart mag es eigentümlich erscheinen, daß sie die Religion
so ganz abseits ließ. Allein sie war ihr durch das Kloster zu sehr
entfremdet worden. Das Breittreten großer Mysterien hatte nur ihren
Widerwillen, später ihre Gleichgültigkeit hervorgerufen, und weiter ging
das Senkblei ihrer Messungen nicht. Es ging ihr wie so vielen. Daß wir
einem Glauben, in dessen tiefste Geheimnisse wir als kleine Kinder
eingeweiht werden, eines Tages ungeduldig den Rücken kehren, ist ja
ungefähr das Naheliegendste, was es gibt und erfordert spottwenig Geist.
Und wie tief drang jener Rat Goethes in Wilhelm Meister, den Knaben die
Mysterien des Neuen Testamentes bis zum Jünglingsalter vorzuenthalten, um
der notwendigen Verstümmelung ihrer Eindrücke vorzubeugen? Christus wählte
reife Männer zu seinen Zuhörern, und wie summarisch verstanden ihn selbst
die! Mußten doch Jahrtausende die Blüte seiner Worte zeitigen und die
winterliche Hülle von ihnen lösen!

Jene Verstümmelung ihrer Eindrücke nun hatte Marie erfahren. Christus war
ihr ein furchtbares Rätsel geworden, eine unverständliche Gestalt, der
Widersprüche voll, der Umrisse bar, zu der sie keine Fühlung gewinnen
konnte und die sie bedrückte.

Und jene dunkle, unbestimmte Furcht umzingelte sie immer näher mit
unruhigen, peinigenden Schatten. Bald mied, bald erforschte sie im Spiegel
ihre scheuen, trostlosen Blicke. In den Dissonanzen ihres Innern sah sie
keine Lösung, keine Lichtung für einen Strahl des Gleichgewichts, und wie
der Sturm auf schwarzem Geball, so jagte das Gespenst des Wahnsinns auf dem
Getürme ihrer Gedanken und Empfindungen, die ungeschieden ineinander
wogten; wie ein im Stimmen begriffenes Orchester, in dem Violinen, Hörner
und Baßgeigen die unzusammenhängendsten Läufe und Motive wirr
ineinandertönen. Nur indem sie stets zu den heiteren Seiten des Daseins
flüchtete, glaubte sie Ruhe und Rettung zu finden, und glich so einem in
Brand Gesteckten, der vor der Flamme davonläuft und sie dadurch nur
entfacht. Sie las grundsätzlich keine ernsten Bücher mehr und ging nie in
ein Konzert. Einzig französische Musik vermochte sie zu zerstreuen. Ihr
entströmten, wie Wohlgerüche aus unnachahmlicher Phiole die Kundgebungen
nationalster Grazie und Form, und sie schlürfte den Tau französischen
Geistes, wie durchsickert von seiner Vollendung. Denn sie liebte feste
Umrisse, und der Zauber einer Rasse lag für sie in deren Geschlossenheit,
aber das Feine gewährte ihr mehr Befriedigung als das Große, weil sich in
ihm das Wohlgefallen ohne Stachel erschöpfte. So abhold sie jedoch dem
Leben gegenüber jeder Gründlichkeit war, in der Kunst verletzte sie die
Oberflächlichkeit, ja sie erschien ihr gemein. Und hierin allein mochte sie
es nicht mit ihren Freunden halten, deren Stellungnahme gewissen Dingen
gegenüber sie verdroß. Denn sie fühlte die gänzliche Bezuglosigkeit der
Frivolität zu allen höheren Gebieten. Aber hier wie da gelangten nur
flüchtige und heftige Stimmungen bei ihr zu Atem und es lag etwas
Chaotisches in der Gleichzeitigkeit ihrer oft ganz entgegengesetzten
Empfindungen.

Übrigens mußte sie doch bald einsehen, daß ihr alles nichts half. Sie
mochte ihre Freunde noch so sehr bewundern, die Ansichten des einen, den
Tonfall und das blasierte Lachen eines anderen, die Persiflage eines
dritten nachahmen, schwärmen und kopieren, kopieren und schwärmen, sie
wurde ihnen nicht ähnlich. Zwar wollte auch sie zu denen gehören, welche
ihre Herzen abrichten, ihre Eindrücke assimilieren, nicht ihnen nachhängen
-- ja, aber sie stürmte nicht, wie ihre Freunde, in die weite Welt! Für sie
segelte kein Schiff auf die herrlich freien, hohen Wogen des Lebens, sie
stand am Gestade, und der Gedanke an ein ruhiges gleichförmiges Dasein
erfüllte sie mit Verzweiflung.

Denn das Element, die Atmosphäre, in der ihre Seele lebte, war die Welt der
Eindrücke; wo diese fehlten, stagnierte ihr Inneres wie ein Sumpf, und ihre
Züge wurden stumpf und leblos vor den Augen derer, die entweder kein Gefühl
oder kein Interesse in ihr erweckten.

                   *       *       *       *       *

Ein einziger in jener Gesellschaft, die ihr El Dorado war, hatte sie
durchschaut. -- Er trug seiner romantischen Erscheinung halber den
Spitznamen Alfred de Musset. Sein Gesicht war en face gesehen schön und
zauberhaft jung, das Profil niederträchtig, die Gestalt bei äußerlicher
Eleganz von schlechter Rasse, die Hände unsympathisch. Seine Begabung, in
ihrer Art ungewöhnlich, war à fleur de peau. Dabei gehörte er zu jenen
Menschen, welche den Geist der anderen auf das lebhafteste anregen und in
Schwung versetzen. In seiner Gegenwart beherrschte sich die schüchterne
Marie vollkommen. Sie drückte sich frei und unbefangen aus, und die Worte
standen ihr für alle ihre Einfälle zu Gebot. Dies erhöhte nur ihre
Gereiztheit, denn genau so, wie sie sich im Zwiegespräch mit ihm zeigte,
wäre sie gern vor ihren anderen Freunden erschienen, die nur beiläufig auf
sie achteten und die ihr so gut gefielen. Sie glaubte sich an ihm rächen zu
müssen, indem sie es ihm ins Gesicht sagte, und ihm alles vorwarf, was ihr
an ihm mißfiel: von seinem Profil bis zu seinem dekadenten, mehr in die
Tiefe als in die Breite gehenden Verstand. Er ließ sie reden, -- ihr aber
schien ihr eigenes merkwürdiges Verfahren höchst angebracht und loyal, und
indem sie ihm ihre Antipathie gestand, ja klagte, glaubte sie den so
anregenden Verkehr mit ihm aufrechthalten und nach Wunsch gestalten zu
können.

Aber die Nachwirkung blieb stets dieselbe, der Abscheu vor ihm steigerte
sich ins Unerträgliche, ja ins Ungeheuerliche, und genau so ehrlich, so
akut, wie sich sehr junge Leute verlieben, war sie in ihn verhaßt.

Eines Tages brachte er ihr die schweren, verträumten Lieder Debussys auf
Gedichte Beaudelaires, und von der Schönheit, der schwülen Atmosphäre
dieser Musik halb gehoben, halb betäubt, sprach sie sich da so manche Last
so leicht vom Herzen: ihre Scheu vor tiefen Problemen, und die heimliche
Qual großer Musik. Und wie von fernem Ufer sah sie ihn da aus der Tiefe
ihrer Verlassenheit an und lächelte ihm zu, weil er ihr vom Hauche des
Frühlings umweht erschien wie ein blühender Zweig.

Er aber sagte ihr tröstliche, schmeichelhafte Dinge, für welche sie,
aufatmend, naiv genug war, ihm zu danken; denn er wollte einen Einfluß über
sie gewinnen, nicht aber sie erfreuen. In demselben Tone weiterredend,
änderte er da auf der Stelle seine Taktik; ohne daß sie seine Absicht
merkte, entstellte, verzerrte er das Bild, das er noch eben von ihr malte.
Sie horchte entsetzt und sah nicht, daß er es war, der sich nun rächte. Ihr
war, als stürzten die Balken eines Gerüstes über sie zusammen, als hörte
sie den endlichen Schlag einer lang lauernden, elenden Stunde, den Wehruf
finsterer Vögel.

»Den Wahnsinn, dem Sie verfallen sind, ahnen Sie ja längst,« sagte er. --
Aber ein mutigeres, stärkeres Wesen schien da plötzlich in ihr zu
erstarken, sie von seinen Drohungen freizusprechen, zu beschützen. Dieselbe
Fähigkeit aus dem Stegreif zu erfassen, zu überblicken, sich auszudrücken,
verlieh er ihr auch jetzt; doch als er lächelnd, mit begütigenden Worten,
Abschied von ihr nehmen wollte, hielt sie ihn schnell zurück: »dies Haus
gaben Sie mir ein Recht Ihnen zu verbieten,« flüsterte sie; und wie
Liebende in ihrer ersten Umarmung, so war sie durch die definitive Trennung
von ihm an das Ziel ihrer Wünsche gelangt, und Haß und Widerwille waren
erloschen.

Es gibt Momente, in welchen der Mensch den Charakter seines Lebenslaufes so
klar und nüchtern erschaut, daß, Maeterlincks kühner Hypothese gemäß, die
Zukunft mit der Klarheit der Vergangenheit an ihn herantritt. Warum
erkannte da Marie gerade jetzt, als sie dem Manne nachblickte, daß auf
Jahre hinaus Alles, was sich ihr bieten, sich verkehrt zu ihr stellen
mußte, und daß sie alle Früchte verdorren sehen, oder zur Unzeit brechen
würde?

                   *       *       *       *       *

Indessen stand das Haus, in dem alle Freuden ihres Lebens blühten,
unversehens leer, ihre Freunde zogen fort, und ihr Zaubergarten versank.
Ach, auf so winzige Veranlassungen hin konnte dort die Schale ihres Glückes
überströmen, denn mächtiger als in allen Mandelblüten des Südens, als in
allen Fliederbüschen des Nordens rauschte der Frühling in ihrem Herzen. Sie
sah nun zu den verödeten Fenstern empor, und litt umso mehr, als sie nicht
leiden wollte, nicht fliehen, an toter Stätte nicht vergessen konnte.

Daß unser Leben zwar lange nicht so spannend, aber in seinem eigentümlichen
Verlauf unwahrscheinlicher ist, als der kühnste Roman, diese Bemerkung ist
ja nicht mehr neu. Aber was uns in unsere Bahn lenkt, tritt in der Regel
nicht ominös, sondern leicht und mit nichtssagender Miene in unseren Weg.
Die Wendepunkte des Lebens liegen im Tal, im aussichtslosen Dickicht und
Gestrüpp. Maries Fingerzeig kam von New York, in Gestalt eines jungen,
reichen und verwöhnten Mädchens. Es war eine jener zu rasch erfolgten
atemlosen und überhitzten Kulturen, ohne Verweilen, ohne Gemütlichkeit und
ohne Humor. Ihr Geist war stärker als ihre Individualität. Sie kampierte
auf einer weißen, großartigen Wolke, und schien mit ihrem stets in die
Ferne gerichteten Blicke, über ideelle und allgemeine Interessen das
Einzelne und Persönliche aus den Augen verloren zu haben. Dabei aber war
dieser »spiralähnlichen« Begabung ein ausgesprochener Stich ins Erhabene zu
eigen. Und wie sich sehr hervorragende psychische Veranlagungen oder
Eigenschaften häufig in einer körperlichen Linie widerspiegeln und nach
sichtbarer Gestaltung drängen, so verriet sich die hohe Unterscheidungsgabe
dieses zu farblosen und abstrakten Geistes in einer eigentümlichen Hoheit
der Haltung und der Gestalt, in einer unvergleichlich edlen Kurve ihrer
Achseln, und man lache nicht, in dem idealen Glanz ihrer träumerischen
Flechten. Äußerlichkeiten waren es denn auch, die Marie mit ihr versöhnten.

»In jeder Menschenseele wohnt das Bedürfnis, sich groß zu machen, und auch
das Bedürfnis, sich klein zu machen.« Marie, die Verherrlichungen ihrer
eigenen Person mit fast kindischer Freude entgegennahm, trieb eine gewisse
Bescheidenheit wiederum so weit, daß es ihr unmöglich wurde, ein ihr
dargebrachtes Gefühl sich wirklich vorzustellen, noch zu begreifen.
Entweder suchte sie den Grund dafür in irgend einer Lücke, einer
untergeordneten Beschaffenheit des Betreffenden, oder sie fand überhaupt
nicht den Mut, daran zu glauben. So verwirrte sie jetzt die entschiedene
Gunst, die ihr von der jungen Fremden zu teil wurde, um so mehr, als sie
viel zu unerfahren war, um sie richtig zu taxieren. Die wenigen Tage ihres
Aufenthaltes gestalteten sich übrigens für Marie auf die denkbar
angenehmste Weise. Sie kam zum erstenmal mit den berühmtesten Leuten ihrer
Zeit zusammen, und saß stumm, doch hoch erregt, mittags mit ihnen zu Gaste
und abends im Theater. Zwischendrin allerdings wurde sie von Honorien,
ihrer neuen Freundin, in Zwiegespräche hineingezogen, die ihr gar nicht
entsprachen. Hohen, übersichtlichen Besprechungen war Marie nicht
gewachsen, und selbst wo sie diese zu verfolgen vermochte, geschah es mit
Widerstreben. Denn philosophische und künstlerische Probleme schienen ihr
zu so gewohnheitsmäßiger Erörterung nicht geeignet, Honoria aber besprach
nie Alltägliches, selten und nur von ferne Personalien. Bei aller
Herzlichkeit lag etwas so Unnahbares, Unpersönliches in ihrem Wesen, etwas
so Indirektes und Ferngerücktes in ihrem Blick, daß Marie immer den
Eindruck hatte, als sähe sie jene nicht selbst, sondern statt ihrer ein
Schemen, das ihr gefiel.

Am Morgen der Abreise ging Marie zu ihr. Es war ein lauer Sommertag, die
Bayreuther Festspiele eben zu Ende. Honoria empfing sie mit offenen Armen,
und schickte den Wagen fort, um die Strecke zur Bahn zu Fuß mit ihr
zurückzulegen. Alsbald war denn auch eines jener Gespräche im Gange, die
Marie so sehr langweilten. Sie seufzte und sah zerstreut auf die staubigen
Bäume, zum weichen, herbstlichen Himmel empor. »Gott sei Dank,« dachte sie,
»sie geht.«

Aber schon am folgenden Morgen kam ein fingerdicker, im Eisenbahncoupé
geschriebener, französischer Brief, der nichts weniger enthielt, als die
Fortsetzung der allzu umfassenden Philosopheme, welche Honoria auf dem Weg
zur Bahn entworfen hatte. Nicht einen Augenblick länger jedoch wollte Marie
eine solche Komödie aufrechthalten. Das »Du« ignorierend, das in jenem
Briefe geführt wurde, schilderte sie sich selbst so, wie sie war, mit ihrem
wirklichen mit ihrem prinzipiellen Mangel an Interessen, und die gänzlich
verschiedene Richtung, welcher sie ihrer Natur nach angehörte. Somit galt
ihr diese Episode als beendet, und sie war nicht wenig überrascht, als
Honoria, welche die Dinge von oben nahm, sie in einem noch dickeren Briefe
eine Spartanerin nannte und nunmehr den Verkehr so rege gestaltete, als
lebten die beiden Mädchen in benachbarten Städten, nicht in getrennten
Erdteilen. Marie wurde der Gegenstand fortwährender Sendungen und
Geschenke. Bald kamen persische Lieder in köstlichem Pergamenteinband,
mystische und philosophische Werke, eingerahmte Gravuren in hohen Kisten,
und sie hatte vollauf zu tun, um nur die Zeitschriften zu durchsehen, auf
die sie sich mit einemmal abonniert sah, und sich von all den Büchern in
Kenntnis zu setzen, die ihr bald direkt, bald durch Buchhandlungen zukamen.
-- Sie tat es denn auch mehr aus Erkenntlichkeit, denn aus Neigung.

So verging ein Jahr. Da erhielt sie in den letzten Septembertagen
unerwartet einen Brief mit dem Homburger Stempel. Honoria war infolge einer
durch Überanstrengung erfolgten Krankheit zur Erholung dorthin befohlen
worden, und sollte nach beendeter Kur schleunigst nach dem Süden. Da ihr
der Umweg zu Marie nicht gestattet war, bat sie nun dringend um ihren
Besuch. Marie sah diesem Wiedersehen mit Interesse entgegen; besonders
freute sie sich auf das Treiben eines so berühmten Kurortes und ließ sich
durch die Jahreszeit in ihren Erwartungen nicht wesentlich beeinträchtigen,
denn in Homburg, wollte sie wissen, gab es das ganze Jahr hindurch schöne
oder interessante Leute.

Honoria, die ihr einige Tage später auf dem Frankfurter Perron
entgegeneilte, erschien ihr noch höheren, noch edleren Wuchses als vordem.
Trotz der großen Modernität ihrer Kleidung war die Zeichnung ihres Kopfes,
die Linien ihrer Gestalt erhebend wie ein antiker Fries. Ihr Anblick rührte
die leicht bewegte Marie. Sie freute sich, den heißen, staubigen Zug zu
verlassen, und die letzte Strecke in dem offenen Wagen zurückzulegen, der
vor dem Bahnhof in der Sonne wartete, durch Frankfurt, das sie nicht
kannte, und in der frischen schimmernden Luft nach Homburg zu fahren, und
sie freute sich, daß sie gekommen war. Allein schon unterwegs empfand sie
die alte Ungemütlichkeit, die alten Strapazen dieses Verkehrs. Honoria
schien in ihrem Element, wenn ihre Gedanken gleichsam in der Luft hingen;
Marie hingegen war gänzlich real, und ihr Idealismus galt dem Leben. -- O
wie erschrak sie über den Anblick, den ihr Homburg gewährte! Von Massen
welkenden Laubes bedrückt, starrten die leeren Alleen, starrten verödete
Gärten und Villen. Honoria rühmte ihr die große, wohltuende Stille des
sonst so geräuschvollen Ortes. Die Villa, welche sie ganz allein mit ihrer
Gesellschafterin und einer Kammerfrau bewohnte, war die Dependance des
einzigen Hotels, das wahrscheinlich ihr zu Ehren noch nicht geschlossen
war. Marie erblaßte. Ihr Herz sank. Sie _haßte_ das ausschließliche
Zusammensein mit Damen! Sie sah keine Anregung, keinen Sinn in einem
einschichtigen Verkehr und er langweilte sie auf die Dauer zu Tränen. Ein
Leben, das auf ein Weilchen das Ideal eines geistig und gesellig
überanstrengten Menschen sein mochte, war nur ein Alp für das
zerstreuungssüchtige Mädchen.

Honoria lag des Morgens meist mit schon ganz erschöpften Zügen zu Bett;
hatte vor Tagesanbruch ihre Korrespondenz erledigt und Emersons Essays oder
die Briefe des hl. Paulus gelesen. Sobald sie aufgestanden war, ging sie
unverzüglich an eine aus Gefälligkeit unternommene Übersetzung, und Stunden
hindurch drang der hartnäckige Lärm der Schreibmaschine durch die stillen
Zimmer. Vor dem öden Klippklapp floh Marie ins Freie und strich durch die
toten Straßen Homburgs oder verlor sich in einer Anwandlung von Schwermut
in den großen Park. Früh am Nachmittag harrte dann die leichtgeschirrte
Viktoria und Marie freute sich der langen Fahrten durch den goldenen Taunus
und die endlosen Wälder. Aber als der Oktober seinem Ende zuneigte, litt
sie bei dem Anblick des sterbenden Laubs, der finster welkenden Natur. Ihr
war, als fielen ihr die gelben Blätter aufs Herz, und ihr Auge lechzte nach
einem grünen Zweig, nach einem blühenden Fleck inmitten des ungeheuren
Grabes, das sich bereitete. Sie begriff die Schönheit des Herbstes,
Honoriens Freude daran nicht. Was der Augenblick verhieß, nicht was er bot,
nicht der Sonne zärtliches Verweilen, ihren Scheidegruß vernahm sie allein.
Und wenn der Wagen in der Dämmerung durch einen Dom welker seufzender Bäume
fuhr, so umlauerten sie, wie einst die Elfen des Erlkönigs Sohn, des
Verfalles grausame Schatten, und entwanden ihr das Herz.

Zuhause kam dann der lange Abend mit Shakespeares und Brownings Gedichten;
aber sie fing an alle Bücher zu hassen. Wohl konnte sich ihr Blick flüchtig
beleben, wenn Honoria duftend und geschmückt, gleich einer hellen Wolke,
ihrem Zimmer entschwebte, sonst aber saß sie oft stundenlang mit ihrer
Stickerei still am Fenster, und nach den einfältigsten Bemerkungen mußte
die sonst so Gesprächige ringen. Gern folgte sie Honoriens Aufforderung zu
musizieren. Allein die Töne brachten das Echo ihrer Langeweile mit
quälender Steigerung zu ihrem Bewußtsein, und schlaff und zerstreut endete
ihr Spiel.

Um diese Zeit hörte Marie, die sonst alle Wagner-Opern kannte, in Frankfurt
zum erstenmal den Rienzi, und obwohl Aufführung wie Besetzung zu den
minderen gehörten, so war sie von dem Drang, dem titanischen Gären, ja
gerade von dem Unvermögen dieses Werkes heftig ergriffen. Hier war Ikarus,
dessen ewiger Mut sich Flügel über Welten hin, Flügel, die _nicht_ brachen,
schmieden sollte.

Mächtig angeregt fuhr sie im offenen Wagen durch das mondumhauchte Land und
weiße schlafende Dörfer nach Homburg zurück, und Wagners Schaffen wie eines
Wunders gedenkend, lehnte sie den Kopf weit im Wagen zurück, und verlor
sich in der stillen bethlehemischen Pracht. Vergessen und verweht schien
ihre Schwermut, die doch schon tags darauf, gleich einem Nebel ihr Gemüt
von neuem umschleierte. Besonders auf die Schreibmaschine wurde sie zuletzt
erbittert und als diese eines Morgens wieder so geschäftig das stille
Stockwerk durchdrang, fing Marie in einem Paroxysmus von Langeweile in
ihrem Zimmer stürmisch zu weinen an. Das Leben war so reich: so mannigfach
und schön! Es gingen auf der Welt so typische, reizende Menschen einher!
Ach! warum lebte sie von ihnen getrennt! Wer war für des Lebens Genüsse
königlicher geartet? Mochte sie zeitlebens entbehren, bis in alle Fibern
blieb sie verwöhnt!

Und obwohl nur mehr drei Tage ihres Bleibens waren, schien ihr gerade der
heutige nicht mehr erträglich. Rasch zu Honoria tretend: »Ich kann heute
keine gelben Bäume sehen und fahre nach Frankfurt,« sagte sie lachend, und
drückte ihr den Arm. Sie sah noch Honoriens überraschten, aber so
freundlichen Blick, dann stürmte sie die Treppe hinab und zur Bahn, der
Schreibmaschine und Homburg davon!

Wie ein Füllen, das sich auf freiem Rasen tummelt, so behaglich war es
Marie am selben Nachmittag auf der bewegten im lieblichsten Lichte
getauchten Zeil. Die üppigen Töchter der Stadt, die mit ihren Müttern
erwartungsvoll einherzogen, die eiligen Geschäftsleute, die Müßigen und die
Lebensfrohen, die gemeinen, die aufgeputzten oder die sympathischen Leute,
alle schufen ihr Kurzweil, und wie ein Kind in Bilderbüchern, war sie ganz
in den Anblick der vielen Spaziergänger versunken; überall von dem
Zauberkreis eines selben Lebens gebannt, ruhte, sich selber verlierend,
ihre gehaltlose Seele, die dem Mann ohne Schatten glich, von der Einsamkeit
aus.

Sie hatte die Stadt der Kreuz und Quere nach durchstreift, an Brücken,
stillen Plätzen und verlornen Straßen geweilt, und schon erblaßte der
Himmel. Gänzlich ihrer Stimmung hingegeben, war ihr Bewußtsein wie umflort,
von der Atmosphäre des alten und des neuen Frankfurt durchdrungen, und von
der sterbenslauen Luft, in der ein Klang lag ewiger Ermattung, von ewiger
Vergänglichkeit.

In einer kleinen, verträumten Sackgasse machte sie Halt, um ihren Weg zur
Bahn zu erfragen; und von einem entstellten Profil Richard Wagners, das
dort in der Auslage eines Musikladens prangte, wandte Marie, die ungern
Häßliches sah, im Vorübereilen den Blick.

Allein ihre Stunde war gekommen.

Den Abend verbrachte sie mit Honorien in aufgeräumtester Laune, erzählte,
was sie gesehen, gehört, gegessen hatte, und unterbrach die Browningsche
Lektüre mit allerlei Späßen.

Dies war ihre vorletzte Nacht in Homburg, und entmutigt schlief sie ein.
Wann endlich würde sich ihr Leben bewegter gestalten? -- Sie gedachte der
vergnügten kleinen Konditorsfrau in Frankfurt, an die sie heute so viele
Fragen gestellt, die über ihren schmucken Laden nicht hinausdachte und
inmitten ihrer Glasglocken, ihrer Schokoladekrapfen und Schaumrollen ein
Dasein lebte, vor welchem Marie erschauerte.

Aber was hatte sie denn selbst von ihrem klein bißchen Bildung, als daß sie
für die Alltäglichkeit auf immer verdorben, auf immer beunruhigt blieb.
Heiß schoß ihr das Blut zu Kopfe: was wußte sie denn? -- und was sollte sie
von Honorien halten, die über ihre Theorien zu leben verlernte?

Es war finster und still in ihrem Zimmer, als Marie erwachte. Sie besann
sich nicht sogleich, was dies wilde Klopfen ihres Herzens verursacht, was
sie geweckt, was sie gesehen hatte. Dann stürzte sie ans Fenster und riß es
auf. Östlich dämmerte ein heller Streifen durch die Nacht, allein den Tag
in ihrem Herzen begrüßte sie mit einer Flut immer neu hervorbrechender
Tränen, daß ihr Gesicht erblindete wie eine Scheibe unter dem Regen.

Jenes selbe Profil, von welchem sie gestern im Vorübereilen den Blick
abwandte, hatte sie verherrlicht, zwei Schritte vor sich, mit unbewegtem,
gerade ausschauendem Auge gesehen. Aber es war ein vergöttlichtes Auge,
weltenstrahlend, weltenspiegelnd und von unvergeßlicher Größe; ein
individuelles und doch gänzlich entrücktes Auge! Es waren die ewigen Augen
Wagnerscher Werke.

Wie ein Erdboden durch plötzliche Erschütterung, so hatte ihre Gesinnung
durch ein so ungeahntes Bild eine Umgestaltung erfahren. Es war seltsam, es
war spaßhaft genug und sie wußte, welchen Hohn die Tatsache gerade in ihrem
Herzen finden, sie verfolgen würde! Hier war sie: ein junges, bis ins Mark
vergnügungssüchtiges Mädchen, das nichts mehr zur Ruhe bringen, in dem
nichts den einen brennenden Wunsch mehr betäuben konnte: die Wahrheit zu
suchen.

Denn sie wußte in dieser stillsten Stunde ihres Lebens, daß Unwissenheit es
war, die jenen Gram in ihr erzeugte, weil _Gedanken_ hinter jenen unruhigen
Schatten ruhten, die sie schreckten, und daß nichts sie retten konnte, als
ein hellerer Kreis des Wissens, der sie schützend umschloß, als ein Glaube,
um den sie selber rang.

Tags darauf verließ sie Homburg.

Golden flogen im Nachmittagscheine Brücken, Felder und Wiesen vor ihrem
Zuge vorbei, aber vor dem Glanz einer stillen, sonnenerfüllten Welt, schloß
sie bekümmert die Augen; denn immer schwerer wurde da wieder, auf der
langen Fahrt, ihr einsam entschlossenes Herz. Sie sah sich wie vor einem
Berg, den nur Geübte und Wetterkundige, mit einem Arsenal von Werkzeugen
wohlausgerüstet, zu besteigen wagen und denen sie nun barfuß und alleine
folgen wollte.

Was sie erstrebte, war ja zu schwer: Nichts was Gleichgewicht und Disziplin
des Geistes betraf, lag in ihr vorbereitet noch vererbt, und zu einem
systematischen Denken war sie weder veranlagt noch geschult. Kein Pegasus,
die traurigste aller Rossinanten stand ihr zu Gebote. Aber weniger
glücklich als der an Illusionen reichste Don Quichote, verglich sie
unerbittlichen, fast feindlichen Auges ihre Unzulänglichkeit mit ihrem
Wagnis. -- Was hatte ihr stumpfes kindisches Gehirn mit jenen Rätseln zu
schaffen, die es von jeher mühten? Nun war sie erwacht. Mit weitgeöffneten
Augen, die nicht sahen.

                   *       *       *       *       *

Als sie bei ihrer Ankunft in München Glucks Oper »Iphigenie in Tauris« auf
dem Zettel sah, ging sie noch selben Abends hinein. Es war eine der letzten
Vorstellungen, die unter Levis eminenter Leitung und einer Besetzung
alternder aber trefflicher Leute dort stattfanden, und Marie atmete freier
in der Atmosphäre dieses edlen Werks.

   »Die Ruhe kehret mir zurück.
   So sollte meine Qual Euch Ihr Götter ermüden.«

Es war Orestens erhabenes Lied, und in prachtvoller Wiedergabe, die eherne
Begleitung des Orchesters.

In diesem Augenblick kulminierte das musikalische Empfindungsvermögen, die
Genialität des Dirigenten. Nicht so sehr »gestaltend« stand er dem
Meisterwerke gegenüber, als daß seinem unvergleichlich künstlerischen
Impuls, seiner in höchster Passivität so wundervollen Ergriffenheit die
höchsten, tief umhülltesten Regionen sich erschlossen. -- So stand er
unbeweglich, mit gesenktem Stabe, nur verklärten Auges sein Orchester
bannend. Aber der Hauch von Ewigkeit, der über den friedensvollen Fall der
Baßtöne gebreitet liegt, riß Marie mit fort. Kein anderes Kunstwerk sollte
wieder jene selbe überwältigende Wirkung in ihr hervorrufen, zu der sie
jetzt ihr abnorm gesteigerter Gemütszustand befähigte. Sie verlor das
Gesicht. Der Wunsch, den sie so früh gehegt, er war ihr erfüllt, die
Müdigkeit, die sie so früh empfunden, sie war von ihr genommen, und sich
selbst, der eigenen Dürftigkeit, der eigenen Torheit, allen Schranken des
Persönlichen weit enthoben, behielt sie nur das Bewußtsein eines strömenden
Glücks.

                   *       *       *       *       *

So waren denn die Würfel gefallen. Ihr Drang nach Erkenntnis war stärker
als ihr Sträuben, als ihre Trägheit und ihr Unvermögen.

Stundenlang saß sie nun, meist ganz vergebens, -- über einer einzigen Seite
Kants. Aber gerade bei ihm, dem sie ein so lückenhaftes Verständnis
entgegenbrachte, durfte sie, zum Atome sich erkennend, ruhn, -- wenn sie
die Schwingen ewiger Begriffe auf Augenblicke streiften. Denn Marie hatte
Geist, doch keine Geisteskraft, niemanden, der ihr half, noch sie belehrte!
Nur einem Menschen, dessen Überlegenheit ihr nach allen Seiten hin
entsprach, hätte sie sich ohne Reue anvertrauen können, und einen solchen
Freund zu haben war ihr nicht vergönnt. So mußten denn die Bücher ihre
Freunde, ihre Lehrer werden. Und schon hatte sie erkannt, daß hervorragende
Anlagen nur eine gefährliche Mitgift sind, wenn gerade sie einen
versöhnenden Ausgleich innerer und äußerer Widersprüche erschweren. Sie
hatte erkannt, daß nicht das Leben, für welches wir geschaffen _wären_, in
die Wage fällt, daß nicht wir selbst, sondern unser Geschick das Gegebene
ist, und daß sie nicht dem Knechte gleichen durfte, der mit seinem einen
Talent verzagte und es vergrub.

Am schwersten ließ sie sich's mit Schopenhauer werden, der den jugendlichen
Leser terrorisiert. Und wer war sie, daß sie es wagte, ohnmächtig,
verzweifelnd, so lange gegen ihn anzustürmen, bis ihre innerste Überzeugung
sich wieder von ihm losriß, von seinem großartigen Gedankenring gefördert
und belehrt, ihm nicht länger unterworfen war?

Wagner aber lehrte ihr, wie mit jener Philosophie zu verfahren sei: Die
schroff eingehemmte Theorie der Willensverneinung lenkte er versöhnend zu
Parsifals ergreifender Erkenntnis, und Schopenhauers elementare Lehre der
Liebe veredelten und krönten Tristan und Isolde.

Einen heißen einsamen Sommer verbrachte sie mit Platos Büchern und unter
Tränen las sie das herrliche Symposion. Hier war ein Ziel und göttliches
Verweilen, der Harmonien stiller seliger Hauch, und wie vom hohen Berg
herab, lag da die Welt, -- beschaulich, -- unbegehrt, -- zu ihren Füßen.

Aber sie war schön, diese Welt! Feierlich und groß! -- Und alles in ihr
erhielt Sinn, Leben und Bestand durch Bezüge. Und in Bezügen lag ein
Schwerpunkt selbst der größten Geister.

Der Erwerb des einen wird da dem anderen Besitz; Steigbügel für den
Kommenden. Allein die Schranke war die Bedingung des menschlichen Gehirns,
und die Grenze des intellektuellen Vermögens durch die menschliche Natur
scharf abgesteckt.

Marie versank in immer tieferes Nachdenken.

Nein: _Allumfassende_ Vollkommenheit war nirgends. --

Da erstand vor ihrem inneren Auge, wie im Morgengrauen deutlich erkennbar
-- die universellste, übergreifendste Gestalt, die keine Irrtümer und keine
Lücken in sich aufwies! Vielmehr auf unnennbar geheimnisvolle Weise alle
Widersprüche in sich aufhob, weil ihr nichts fremd war und nichts entzogen,
was tausendfach die Menschen scheidet und vereinsamt. Ja, es war ein
Mensch. Aber Himmel und Erde waren der Schlüssel zu ihm, und er erfüllte
die Welt. Allumfassendes, schweigendes Begreifen entströmte seinem Auge. Es
war ein Gott. Seine Züge aber! Die größten Denker und Meister aller Zeiten
hatten sie ihr entschleiert, weil alle menschlichen Heroen zu seinen
Kommentaren wurden, und ihre unbeschreibliche Bewandtnis zur Erläuterung!
-- Keine Philosophie keine Äußerung auf dem Gebiete des menschlichen
Geistes, ja des Geistreichen, des Witzigen, des Profanen -- keine Kunst,
die nicht zu ihm gravitierte. Der Gedanke war so groß, daß sie erschauerte.
Und von der überschwänglichen Tragweite jenes schlichttönenden Ausspruches:
»In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen« war sie da wie von unendlichen
Schallwellen fortgerissen und durchleuchtet.

Nur eines trennte ihn von uns -- das Übel, das allen Gram erzeugt. Eines
mußte er uns entnehmen. Eines war göttergleich im Prinzip von ihm
ausgeschieden: _die Qual_.

Marie mochte ihre Gedanken nicht länger ertragen. Sie ging hinab in die
Straße, den starren Häuserreihen entlang, der heißen verödeten Stadt. Aber
das Licht, der Anblick des leeren, weißlichen Himmels erweckte Erinnerungen
und Leid. Zum Stachel war ihr da der taube Glanz des Tages, und jene
»Geister der Luft«, die den Menschen jagen und ihm das Himmelslicht
versteinern. Atemringend muß er es ertragen.

Nicht daß es sie jetzt nach Mitteilsamkeit drängte, nein, auszuruhen, zu
vergessen, sich zu freuen. Schönheit, Gebärde, Sprache, die Form eines
Auges, die Bewegung eines Arms, die alles war ein Organismus, der sie
umfriedete. Dann wurde es still in der dumpfen Werkstatt, und Gedanken
feierten. Der Reiz der Nähe löste den gezogenen Blick von ihren Augen, und
ihr Geist erkannte rastend seine Heimat.

Denn es war ihr _Geist_, der in der Welt der Körper, der in _dieser_ Welt
sein Element erkannte!

Allein in der Einsamkeit, die sie also bedräute, umschloß sie jetzt
deutlich wie Felsenzacken gegen das Sonnenlicht der Ring ihrer Gedanken.

Nicht länger von der Welt barer Vorkommnisse aus den Fugen gerissen,
erkannte sie die tröstliche Bedingtheit alles Elends. Erkenntnis sollte
_nicht_ den Pflock des Leidens tiefer in uns treiben! Alles war Folge, und
selbst Geschehnisse nicht unentrinnbar.

So weit, so anders erblickte sie die verlorenen Tore ihres Glaubens wieder.
Was immer das Dogma vom Geiste löste, erschien ihr da als ungeheuerster
Verrat. Nicht als Dualität, als Organismus erfaßte sie den Menschen und
seine Apotheose, nicht seine Trennung als sein Endziel. Ihrem
weltabgewandten und entsagungsvollen, aber stets verheißungsvollen Bildern
zugekehrten Auge wollte die unendliche Elastizität jenes Glaubens als sein
tiefinnerstes Geheimnis sich erschließen; des Paradoxalsten,
Bedeutungsvollsten eingedenk und psychologisch tiefst Begründeten, was der
Mensch zutage förderte: als das »Maß aller Dinge« stellt er den Abstand
zwischen ihm und der Gottheit, Prometheus, die seligen Götter und den
allgewaltigen Zeus! Quellen und Haine belebt er mit übermenschlichen Wesen,
scheu verehrend, was er selber schuf. Ahnung war es, die ihn die eigenen
Ideale, das eigne Ziel so fern erkennen und den Olymp erträumen ließ!
Solche Träume, mußten sie nicht das Sehnen eines Gottes nötigen, zu
tausendfacher Befreiung den Menschen zu erlösen?

Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.




Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [p. 4]:
   ... Steine leuchteten, war starr wie ein Scheibenherz. ...
   ... Sterne leuchteten, war starr wie ein Scheibenherz. ...

   [p. 26]:
   ... Dazu kommt, das bei ihnen der Prozentsatz ...
   ... Dazu kommt, daß bei ihnen der Prozentsatz ...

   [p. 27]:
   ... in hundert Jahren recht haben sollte. »Aber ...
   ... in hundert Jahren recht haben sollte. Aber ...

   [p. 47]:
   ... lo leuchtend und blau dahinfloß, so deutsch mit ...
   ... so leuchtend und blau dahinfloß, so deutsch mit ...

   [p. 49]:
   ... zu einem See besänftiget, sich weitete, und als ...
   ... zu einem See besänftigte, sich weitete, und als ...

   [p. 52]:
   ... to exchange!« Und da er mich anstarrte: because ...
   ... to exchange!« Und da er mich anstarrte: »because ...

   [p. 112]:
   ... Neigung ...
   ... Neigung. ...






End of the Project Gutenberg EBook of L'Âme aux deux patries: Sieben Studien, by 
Annette Kolb

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK L'ÂME AUX DEUX PATRIES: ***

***** This file should be named 45661-8.txt or 45661-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/4/5/6/6/45661/

Produced by Jens Sadowski

Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License available with this file or online at
  www.gutenberg.org/license.


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.