Briefe einer Deutsch-Französin

By Annette Kolb

Project Gutenberg's Briefe einer Deutsch-Französin, by Annette Kolb

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Title: Briefe einer Deutsch-Französin

Author: Annette Kolb

Release Date: August 10, 2014 [EBook #46550]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINER DEUTSCH-FRANZÖSIN ***




Produced by Jens Sadowski








                            ANNETTE KOLB:
                                Briefe
                       einer Deutsch-Französin


                            Vierte Auflage

                     ERICH REISS VERLAG · BERLIN
                                 1917

Alle Rechte -- besonders das der Übersetzung -- vorbehalten.
Fünfundzwanzig Exemplare der ersten Auflage sind auf Japan abgezogen und
von der Verfasserin gezeichnet. Preis gebunden 50 Mark.




                              Präludium


                                               München, September 1914

Ich denke zurück an die paradiesischen Tage dieses Sommers vor Ausbruch
des Krieges, da keiner noch an ihn glaubte . . . Nie zuvor, erinnert ihr
euch, hing der Sommerhimmel so beschwichtigend und waren unsere Wälder
so in sich versunken. Nie sah man die Schwalben so beseligt um die
Kirchtürme streichen und unsere Wege und Brücken so versonnen stehen.
Und nie standen auch -- erinnert ihr euch? so viel schmucke Häuser
fertig -- Bilder unseres Glückes -- und kletterten blumengeschmückt alle
Hügel hinauf. Und über sie alle hin, erinnert ihr euch, die Mondsichel,
die wie in Verzückung schwebte?

Die Ersten, welche da von der Gefahr dieses Krieges redeten, verhöhnte
man . . . Aber dann trieb uns eine plötzliche Angst in unsere schon
verwandelten Städte zurück. Und dort wuchs schon wie ein ungeheures
Vorspiel jene Unruhe an, die uns alle ins Freie stieß, wie jene Toten,
von denen steht, daß es sie aus ihren Gräbern hervortrieb, in den
Straßen Jerusalems zu wandeln, als der Vorhang des Tempels zerriß. Denn
also schwebte wieder ein Kreuz über unseren Häuptern, und wie jene Toten
litt es uns nicht in der Enge unserer Behausungen. Und junge Frauen, die
sich aus der stummkreisenden Menge schlichen, wähnend, daß sich in der
Verborgenheit der eiserne Ring um ihre Herzen in Tränenströmen lösen
würde, traten alsbald steifen Auges wieder vor ihre Tür. Und wie sich
dann mit dem Verhängnis die Spannung wie ein Nebel hob und jene
todgeweihten Heldenmienen offenbarte, über Nacht zu Antiken gemeißelt!
so daß alle Fremden, die noch auf unserem Territorium weilten, uns
hingerissen ihre Liebe schwuren, bevor sie flohen. Sie erinnern sich
wohl.

Den Zurückgebliebenen aber saßen schon die Augen im Kopfe, mit denen der
Gefangene zu dem kleinen Streifen des unendlichen Himmels emporsieht.
Wer aber da wieder hinaustrat in die Natur, wem es etwa beifiel, sich
auf den Gipfel eines Berges vor der betörten Menschheit zu flüchten, mit
ihrem Haß zerfallen und weil er untüchtig ist zu begreifen, daß zur
Ergänzung, ja, wie Liebende zur Ergänzung geschaffene Nationen sich
hinschlachten sollen; wie ein neuer Philoktet stünde der vor den
verklärten Höhen und den friedlichen Herdenglocken, seiner Qual immer
neu überwiesen. Wie Philoktet mit der schwärenden Fußwunde jede
Betrachtung, die er faßt, was immer er sagt oder vernimmt, mit seinem
Schmerzensgeheul unterbricht, so wird ihm jeder Gedanke zerrissen, jeder
Schlag seines Herzens durch das Bewußtsein dieses grauenhaften Krieges
zerhämmert.




                             Erster Brief


                                                          Oktober 1914

Es ist noch verfrüht (obwohl es weiß Gott nicht unpatriotisch ist),
europäische Worte in unseren plombierten Ländern auszusprechen. Aber
einer muß doch anfangen. Ich will jedoch niemandem Ungelegenheiten
bereiten, ich will auch nicht mißverstanden werden. Und ich will nicht
diskutieren. Das ist heute zu viel verlangt.

Du und ich aber, wir waren einer Sinnesart, und du bist tot. Darum
richte ich meine Worte an dich und klammere mich an deinen Schatten. Und
du, der vielleicht nur mehr Augen für das Unsichtbare hast, du siehst,
wie überschwenglich froh ich mein Nichts von Leben hundertmal veratmet
hätte, um abzuwenden, was heute in der Welt geschieht. Wir waren wohl zu
leicht befunden und unser zu wenige, die wir uns gerne zu Geiseln
geschart und den Gorgonen entgegengeworfen hätten, ihre wütenden
Schritte und auf ihren Häuptern die entsetzlichen Natterngewinde zu
bannen -- die nun entfesselten -- deren giftige Brut überall nistet. Ja,
wo die gütige Erde Saaten und Früchte trug und die friedliche Kornblume
sproßte, dort wogen jetzt sie geschäftig über die verwüsteten Acker und
würgen die Männer dahin, während ihr Gift, wie fernwirkende Geschosse,
die unverschonten Frauen ereilt, die weit weg in den geschützten Städten
die Agonie ihrer Männer vernehmen. So ist jetzt die Welt.

Hat nicht ein jeder im Leben Momente gehabt, über die er nicht hätte
hinauskommen sollen, und ist es doch; zum deutlichen Beweise, daß etwas
im Menschen sein müsse, das alle irdischen Begegnisse überschwebt und
also überschweben _kann_, wenn er sich nicht selbst aufgibt.

Diesen Satz las ich heute. Wer ist man? Und doch gilt es, die Treue an
sich selber zu bewahren, auch wenn es alle Gemeinschaft mit den anderen
kostet. O verlasse mich nicht! Du siehst, wie jetzt die Leute ihre
Fenster schließen. Der Wind, der über die Erde rauscht, ihnen trägt er
nichts zu; jeder weiß, wo er hingehört, und scharf und wie geschliffen
fällt seine Tür ins Schloß. Nur ich bin heimatlos durch diesen Krieg
geworden: Ja -- hätte Gott, der den Arm Abrahams (den zur Opferung des
Sohnes schon erhobenen) zurückhielt, hätte er dem rückwärtigen Lauf des
Höllenrades Einhalt geboten, und angesichts so viel wundervoller
Bereitheit zu sterben sich erbarmt, dann würde freilich auch ich mich
freuen, das Präludium dieses Krieges erlebt zu haben. Denn wer vergäße
je der Gesichter, die er da sah.

Doch vom Tag an, wo das Sengen und Brennen und Schießen und Erstechen
und Niederstoßen und Erwürgen und Bombenwerfen und Minenlegen anging,
von dem Tag an, siehst du, bin ich eine Ausgestoßene; von einer solchen
Welt bin ich geschieden; wie ein Idiot.

Denn ich verstehe ja nicht. Wie ein Idiot erschrecke ich vor den
Menschen und fürchte mich seitdem. Sonst so städtisch, treibt es mich
seitdem in schlafende Dörfer, in unbegangene Wälder hinein, als gebe es
noch eine Flucht, und als sei die Tatsache dieses Krieges nicht längst
ins Weglose eingetragen und brütete nicht über das verlassenste Moor.
Selbst die reinen Linien der Berge sind von ihm durchfurcht, von
grauenvollem Wissen ist der Mond umhaucht; keine Alm steht mehr in ihrer
Unschuld da. Was ihn erst unglaubhaft erscheinen ließ, das gemahnt jetzt
alles an ihn. Auf keinen Tisch, keine Türklinke können wir die Hand
unvoreingenommen legen, wie eine bittere Hefe ist er in unser Brot
gebacken, und selbst im Traume nagt das dumpfe Wissen um ihn. Wie leicht
dünkt mir dagegen dein Schlaf! und du selbst wie bevorzugt, wie
unaussprechlich vornehm, daß du diesen Zusammenbruch, Europas
unsterbliche Blamage, nicht mehr erlebtest.




                            Zweiter Brief


Komm ich bitte dich! Unterhalten wir uns über die Gedankenlosigkeit der
Menschen. Weißt du noch, wie wir einmal den Fluß entlang vor deiner
Wohnung auf und nieder gingen? Die Sträucher waren schon aufgeblüht. Wir
sprachen über Zeitungen, und du schlugst plötzlich mit deinem Stock auf
das Pflaster und riefest: »Die Menschen sind zu borniert! Man möchte
sich manchmal schämen, daß man zu ihnen gehört.«

Daß aber die Dummheit _solche_ Triumphe feiern, und ihre Fanfare mit
einem solchen Geschmetter dreinfahren würde, nein, das glaubten wir
nicht. Auch wenn wir es sagten. -- Und dennoch sahen wir die Völker
Europas gutwillig in einen Haß ausbrechen, den sie Tags zuvor entrüstet
von sich wiesen. Denn ach! es stand geschrieben -- und in der Politik
wie in allem wird der Nachdenkliche gar bald zum Fatalisten -- es stand
geschrieben, und in jedem Staate wiederholte sich dasselbe fürchterliche
Schauspiel, daß nicht die besten Köpfe bestimmen durften. Und so wurde
die Intelligenz Europas von ein paar Leuten unterjocht, welche teils auf
diesen Krieg hinarbeiteten, teils ihn nicht zu hindern verstanden und
ihn so gemeinsam verschuldeten; sie aber durften sich ruhigen Sinnes auf
die Straße begeben, von der Volkswut verschont, welche schon anfing,
unschuldige Menschen über die Grenzen zu jagen.

Und alsbald geschah es, daß dort, wie auf einen Wink des Antichristen
hin, schwarze Drachenfelsen die sonnenumwobenen Auen verstellten und
sich als finstere Kulissen entlang zogen; und daß ein kranker Wind sich
erhob und Scharen Unglücklicher wie müde Spreu hinüberwirbelte; sie
wußten nicht wie; so schnell! Eben noch als Freunde sich am Halse
liegend, mitleidig angestarrt -- aber ein neuer Windstoß, und sie waren
schon geächtet, und ehe sie die Straße überschritten, ihres Lebens nicht
mehr gewiß, verängstet und verflucht.

Und zugleich fing es im ganzen Erdteil wie in einem Bienenkorb zu
wimmeln und sich zu regen an von geschäftig sich drängenden,
unübersehbaren Schwärmen, aus den verlorensten Tälern aufgeflogen, und
alle in ihrem künstlichen Haß zu den künstlichen Felsen hingetrieben,
aus deren Schacht nunmehr heißes Blut ächzend hervorbrach, zu Bächen, zu
Strömen qualvoll unversiegbar anschwellend, doch stets so, o Gott! daß
die Schmerzensrufe der einen mit ihrem weithallenden Echo des Jammers
zugleich den Vorteil des anderen bedeuteten.




                            Dritter Brief


Daß in dieser Zeit, in der die Taten reden müssen, noch so viel zu sagen
bleibt, ist niederdrückender als Alles. Wer soll es mit dem Schutt
aufnehmen, der sich von neuem häuft? Seit ich denken lernte, nannte ich
die Geschichte meiner beiden Vaterländer den Roman, um den das Schicksal
unseres Kontinents sich drehe. Wird man mir eher glauben als zuvor?

Wir sind am Ende des ersten Bandes angelangt, wo noch einmal alles
verschüttet und zurückgeworfen liegt. Bis man an den zweiten gehen kann,
sind wir, die heute keine Kinder mehr sind, ermattet oder dahin. Das
Wirrsal ist zu groß. Ich ersticke. Es ist zu spät. Lasciate . . .

Allein die Hand verdiente zu verdorren, die heute zu kämpfen abließe,
wenn auch vergebens. Wer denkt, liegt heute erst recht im Graben: aber
nur von dem Schritt vor Schritt und unablässig Vorgedachten wird
endlich, unter tausend Opfern, und über unsere Leiber hin, die Masse
fortbewegt. Doch die Gemüter sind noch so, daß die ruhigen Worte die
gewagtesten sind. Niemand trägt heute in Europa freieren Gewissens sein
geteiltes und zerhämmertes Herz, und nur allzu billig fiele mir der
Beweis, daß meine geteilte Liebe eine verdoppelte und keine verminderte
ist. Nie aber glaube ich erging noch die Forderung so gebieterisch an
das Gewissen derer, die nicht im Felde stehen, sich auf die Unze genau
zu ihrem Blute zu bekennen; nur so behaupten auch sie in ihrer
Bedrängnis die ihnen zugedachten Posten. Es wäre gemein zu fordern, daß
einer, der seiner Abstammung nach in gleichem Maße zwei Nationen
angehört, heute die eine oder die andere verleugne. Heute nicht! Vor all
dem vergossenen Blute erhebt sich heute die Stimme des Blutes lauter als
alles. Wie es heute in einem Halbfranzosen Deutschlands aussieht, das
weiß kein Deutscher und kein Franzose, das kann nur sein Echo finden in
der Qual eines Halb-Germanen in Frankreich. Denn wie die eingestürzten
Häuser unserer Grenzorte, die, wechselseitig umstritten, von den Kugeln
beider Gegner zerschossen liegen, so sind wir in uns selber
zusammengestürzt.

Du weißt: ich hatte mich von meinen deutschen Landsleuten dadurch
vielfach unterschieden, daß ich immer so stolz darauf war, ihnen
anzugehören, und daß ich im Ausland mit der aufgezogenen Fahne meines
Deutschtums so begeistert herumging. Aber du hast auch gehört, wie
unermüdlich ich ihnen zurief: Die Verschmelzung Eurer Wesensart mit der
Eurer westlichen Brüder ist für das Heil Europas unerläßlich und die
Stunde für eine Anleihe ihrer Qualitäten hat geschlagen. Denn nicht eher
seid Ihr die Berufenen. Jawohl! Ich weiß es schon, Ihr seid gründlicher,
männlicher, Euer Geist ist weiter ausgebuchtet. Aber Ihr seid die
politisch Ungeschulten, die Unpolitischen par excellence. Ihr versteht
es nicht, mit den Franzosen auszukommen, was noch alle anderen Nationen
fertig brachten. Es ist gar nicht so schwer. Nur sachte! rief ich ihnen
voll Besorgnis zu. Nicht so schnell! Um Gottes willen was macht Ihr da!
_Falsch_!

Leute wie ich, die zu ihrer Qual (denn in keinem Lande sind sie ganz
daheim) eine Versöhnung der deutschen und französischen Elemente
verkörpern, waren sicherlich vor allen anderen befugt, ihre Meinung
abzugeben. Die Kluft war ja so groß geworden, daß außer uns, die Mitte
Weges standen, nur ganz Wenige sie überschauen konnten. Doch wer achtete
unser? -- sie wußten es besser, hier wie drüben; und da alles
fehlschlug, zog man es vor, die Franzosen für erledigte, die Deutschen
für vernichtbare Leute zu halten. Nichts von all dem! -- Indessen
glauben sie's noch immer! Ach und mir dünkt, es ist gerade genug für ein
Menschenherz, seinen Jammer und seine Sorge um die Not _eines_ Volkes in
unseren Tagen zu bewältigen. Aber Leute wie wir werden auch noch am Tage
des Sieges sich verkriechen müssen. Denn immer wird es Jerusalem und
seine Kinder sein, um die sie weinen werden. Ach _wir_ sind es, die
hätten sterben sollen!




                            Vierter Brief


Wie schwer fällt heute ein Wort, zu leicht entschlüpft, auf uns zurück!
In einer Zeit, in der um ein Für und Wider Städte in Brand aufgehen, hat
sich jede Art von Leichtsinn verwirkt. Um eines Wortes willen verbringe
ich gefolterte Nächte, und merkwürdige Ernüchterungen stellen sich ein,
du weißt . . . und mein Herz ist selbst die unbeirrbare, die
eifersüchtige und immer schwankende Wage.

Wie neulich: ich hatte mich für den Abend angezogen und Kerzen vor dem
Spiegel angesteckt, als sei nichts geschehen: Die Frau, zu der ich dann
fuhr, hatte ihren Tisch mit Tulpen geschmückt, und es war wie früher,
und als hätten wir vergessen.

Aber später, vorm Kamine, im mattbeleuchteten, schattenvollen Raume
kamen wir um so leidenschaftlicher auf den Krieg zurück, als wir zuvor
nicht von ihm gesprochen hatten. Und einer von den Herren, ein Chirurg
und Sammler, einer jener kontemplativen Süddeutschen, die
unüberwindliche romanische Sympathien hegen, äußerte sich da voll
Ingrimm über die neue Manier der Franzosen, uns wider jede bessere
Einsicht Barbaren zu nennen, nach allem, was gerade wir auf allen
geistigen Gebieten leisteten. Konnte das ihr Ernst sein? was ging da nur
in ihnen vor? und sich plötzlich an mich wendend: Ob ich das wüßte?
fragte er.

Nun hatte ich mir aber fest vorgenommen, nur zuzuhören, wenn solche
Themen zur Sprache kommen sollten, denn meine Gesinnung lasse ich mir
nicht verdächtigen; es ist aber heute so leicht, mißverstanden zu
werden, wenn man nicht ganz genau dasselbe sagt und meint, was der
andere sagt und meint. Es lag jedoch im Unterton seiner Frage eine so
naive und rührende Besorgtheit, daß ich, meines Vorsatzes vergessend,
emporschnellte und ausrief: »Ja, ich weiß es genau!«

Und ob ich es weiß!

Jene überragenden geistigen Leistungen sind es ja gerade, welche zuerst
das Mißverständnis verschuldeten. Wie bei einem sehr selbstbewußten
Menschen, mag er noch so schüchterne Seiten an sich haben, niemals
Schüchternheit als der Grund für seine Handlungsweise angenommen wird,
so hatte der anerkannt gedankenvolle Deutsche keinen Kredit auf seine
Ungeschicktheit. Kein Wunder! denn am Tage, an dem Deutschland mächtig
geworden war und er in Szene trat, an diesem späten Tag zeigte er sich
schon so vielfach ausgereift und von einer scheinbar so unbegrenzten
Fülle der Gesichtspunkte, daß man sich von dem Neuling irgendwie
überflügelt sah und er allsogleich, zu allererst von den Franzosen, sehr
ernst genommen wurde. Nachträglich wird ja jetzt sattsam hervorgehoben,
daß er des politischen Instinkts ermangle. Es ist kein Kunststück mehr,
es zu entdecken! -- a priori aber wurde bei Leuten, die noch dazu
unverweilt einen Bismarck auszuspielen hatten, auf alles andere eher
geraten, und man dachte, dieser Mangel, der vom Kleinsten und
Persönlichen ins Allgemeinste und Kolossalische ging, müßte unbedingt
etwas anderes sein, als was er ist, nämlich die Achillesferse des
Deutschen und das Geheimnis seiner Unbeliebtheit. Als er der Sieger
wurde, hätte er sich vor allen Territorien ein paar _Qualitäten_, die
der Besiegte vor ihm voraus hatte, aneignen sollen, um seinem Triumph
die dauernde Weihe und Unanfechtbarkeit zu geben. Es wären da solche
Dinge zu requirieren gewesen wie das Talent der entgegenkommenden Form,
die Ziehharmonika der demi-mots und »l'Art de ne pas froisser«, eine
Kunst, die wir verschmähten, weil wir sie nicht meisterten, die aber von
größerem Werte für uns gewesen wäre als alle Milliarden, denn sie hätte
uns die Franzosen selber erworben. Was half alles Gold unseres Gefühls,
da wir es für sie nicht zu münzen verstanden? So ergab sich das ewig
selbe Spiel, daß der Deutsche ihrer Eigenliebe nicht schonte und sie
dafür mit häßlichem Gekreische sich seinen zu muskulösen Griffen
entwanden. So wurde er endlich »der Barbar«, nur weil er nie der
Gescheitere war . . .

Aber der Arzt schüttelte den Kopf. »Das Mißverständnis liegt doch
tiefer,« meinte er. »Ich bin auf wissenschaftlichen Kongressen des
öfteren mit Franzosen zusammengekommen: sie haben eine geniale Art, die
Dinge mit Elan aufzugreifen, aber wo es ein wirkliches Einfühlen gilt,
nein, da lassen sie aus.«

»Einfühlung?« rief ich, »nachdem man sich seit vier Jahrzehnten zum
beiderseitigen Nachteil systematisch entfremdet hat? Und doch brannte
man drüben insgeheim auf diese Einfühlung. Wir hätten es merken sollen:
für die Potenz des deutschen Geistes war man von einer hin und wieder
deutlich hervorbrechenden Liebe, ja Verliebtheit beseelt gewesen, die
endlich in eine ungeheure und ungeheuerliche Enttäuschung umschlug. Wie
mag das werden, wenn wir uns in der Folge noch mehr gegeneinander
abschließen -- sind wir doch schon hier wie dort vielfach über alle
Begriffe langweilig geworden: die Franzosen so anämisch, wir so
verknöchert! Selbst unsere Musik ist eine Hagestolzmusik geworden.
Selbst unsere heutigen Meister schwelgen im schon Erworbenen; neue
Quellen flossen ihnen nicht! Wir verarmten, wir alterten beide.«

»Sie hat recht,« sagte einer.

Aber die anderen fielen unverzüglich über die deutschen Diplomaten her.
Das war mir jedoch zu billig. Jetzt, da die Diplomatie mitten im
Konkurse steht, ist auch nicht der Moment, mit ihr ins Gericht zu gehen.
Die Diplomatien wären bis auf weiteres quitt. Solange es ein Deutschland
gibt, so lange wird es außerdem stets eine Auslese staatsmännischer, so
gut wie anderer Talente hervorbringen. Nur haben diese eine Not, sich
bei uns durchzusetzen, welche aufs engste mit den Fehlern unserer
Tugenden zusammenhängt. Sie werden bei uns so lange untergeordnet (was
gewiß sehr disziplinarisch ist), bis nur die Allertüchtigsten unter
diesen Tüchtigsten am Tage, an dem sie endlich durchdringen, ihre
Spannkraft noch nicht verloren haben.

Ach, ich sage dir: es überkam mich ein so ödes Gefühl, während ich
sprach, weil doch die Anzeichen fehlen, daß wir die richtige Lehre aus
der furchtbaren Prüfung dieses Krieges ziehen: nicht bei jenen Deutschen
sicherlich, welche als ein selbstbewußtes und auf seine Rechte
eifersüchtiges Volk aus dem heldenhaft bestandenen Kampf zurückkommen
werden, wohl aber bei den zu Hause Gebliebenen, die sich vielfach eine
merkwürdige Begriffsverwirrung und die krassesten Fehlschlüsse
gestatten. So hegten sie noch vorgestern für die Person eines
Botschafters gemeinhin eine komisch naive Ehrfürchtigkeit, und wer sich
abfällige Meinungen über die Fähigkeiten eines so hochgestellten Herrn
gestattete, der wurde als ein ganz unverschämter Niemand
zurechtgewiesen.

Weil man indes erleben mußte, daß gewisse ausländische Posten, was das
Resultat anging, ebensogut vom Dornröschen hätten besetzt sein können,
so möchten sie jetzt am liebsten das Amt eines Botschafters mit dem
Botschafter, das Kind mit dem Bade ausschütten. Man sollte es für eine
Albernheit halten, gewisse umlaufende Äußerungen aufzugreifen, welche
darin gipfeln, unsere Diplomaten würden bei den Friedensverhandlungen
überhaupt nicht mitzureden haben. Es sprechen aber so nicht nur ein paar
Geheimräte von der Sorte, welche schon Bismarck als hoffnungslos
bezeichnete, ein paar Exzellenzen und ihre würdigen Damen, sondern eine
ganze all-weise Partei.

In einem solchen, in sich gefestigten, mit der inneren Verwaltung des
Reiches aufs engste zusammenhängenden Kreis wohnte ich kürzlich einem
großen Gekicher bei, als ein junger Mann, auf Befragen, was er zu werden
gedenke, erwiderte: »Diplomat«. Indem man ihn so von vornherein zur
Operettenfigur stempelte, glaubte man das Problem spielend gelöst zu
haben. Auf solche Weise bescheiden sich aber viele, sehr namhafte
Personen, viel zu unschuldsvoll in Dingen der äußeren Politik, um auf
die Abwehr gewisser, sehr gefahrvoller Mißstände bedacht zu sein, so daß
die den Schein des Rechtes für sich haben, welche behaupten, es seien
keine Geschäfte mit uns zu machen. Aber wenn sie die Kraft finden, die
Entsetzlichkeit des Krieges über seine welthistorische Bedeutung zu
vernachlässigen, muß man von diesen rigorosen Geistern nicht verlangen,
daß sie auch imstande seien, die Bürden, die Strapazen und Forderungen
von Energie zu begreifen, welche der _Frieden_ auferlegt? Und wenn sie
auf die ewige Wiederkehr des Krieges schwören und alles in sich auf ihn
vorbereiten, müssen sie sich dann nicht auf die welthistorischen Rechte
des _Friedens_ gleichermaßen erziehen, selbst wenn diese Erziehung nur
die Bescheidenheit bedeutete, die im Verhandeln und sich Verständigen
liegt?

Ach! ich rede zu dir, als ob ich die Lebenden nur anrufen könnte, indem
ich sie verlasse. Zuerst glaubte ich, daß ich hinüberriefe in dein
Reich, und nun rufe ich doch nur in das Leben zurück.

Aber von diesen Dingen spreche ich zu dir ein anderes Mal; heute will
ich dir sagen, wie es gekommen ist, daß ich seit jenem Abend nur mehr an
dich allein, du Abgeschiedener, meine Worte richten darf, nur dich
allein mehr habe, du Entschwundener.

Als wir aufbrachen, war die Nacht tief vorgerückt und die Kohlen im
Kamin waren zusammengesunken. Der Arzt begleitete mich nach Hause. Zwar
hatte ich einen weiten Weg, aber es litt mich in keinem Wagen, und so
gingen wir zu Fuß. Die Luft roch schon nach Schnee. In ihrer
Versunkenheit und Stille nahmen die Straßen kein Ende, und die Häuser
hatten schon etwas von der Bedrücktheit ihrer Bewohner an sich,
besonders die Fenster. Aber wenn auch unfroh, so standen sie doch
ungefährdet, nirgends zerklüftet, nirgends zu rohen Trümmerhaufen
zusammengestürzt. Ruhig und dumpf schlug die Stunde von den unbedrohten
Türmen.

In jedem Feldbrief stand jetzt zu lesen, wie glücklich man sich schätzen
müsse, den Krieg nicht im eigenen Lande zu haben, und wohl dem, hieß es
unaufhörlich, wohl dem!, der ihn auf dem Boden des Feindes führen dürfe.

Aber ich glaube es schon. Ich vergegenwärtige es mir zu gut! Sie waren
mir nur zu lebhaft vor Augen, die Verwüstungen. Mein Blut, in dem
Strudel der Dinge mitgerissen, trug ja in sich das Wissen um die
Erbitterung derjenigen, welche die sonst so unverletzliche
vaterländische Scholle plötzlich von fremden Menschenmassen übertreten,
beherrscht und aufgerissen sahen. Es war ja meine Not, daß meine
Phantasie sich da zu heftig engagierte.

Ach, ich sage dir, es war die Nacht und ihre Einsamkeit, es war die
Stille! Gewiß, es war die Ferne, und sie trug die Schuld, daß mir da nur
die liebenswürdigen und nur die schönen und nur die edlen Eigenschaften
des verwandten Volkes vorschwebten, so daß ich zu ihm, hingerissen, mit
ihm mich über die Verheerungen betrübte, die es auf seinem Boden
erduldete. Und meine Liebe zu ihm beteuernd, schrie ich triumphierend in
die Nacht hinaus: Paris gehöre den Franzosen, und auch andere Völker
hätten ihre Genien.

Aber das Geständnis meines Zwiespaltes hatte keine befreiende, sondern
nur eine noch entnervendere Wirkung auf mein Inneres zur Folge, und in
die Einsamkeit meiner vier Wände zurückgekehrt, glaubte ich, von dem
Ansturm zu verschiedener Empfindungen durchwühlt, nicht mehr, daß der
Schlag eines einzigen Herzens ihnen standhalten könne. Und ich fing im
Finsteren zu ächzen und laut zu reden an und teilte mir selber
angelegentlich die Dinge, die ich dachte, mit, als wüßte ich sie noch
nicht, als sei, von mir losgelöst, noch einer, ein Schatten da, der die
Einsamkeit des Zimmers noch verschärfte, ein listiges Etwas, das sich
seltsam hier angezogen fühlte und neugierig zusah, wie hier ein
Lebendiger, seiner eigenen Identität entsetzt, gleich ihm kein Selbst,
nur eine abgetrennte Halbheit hatte und, wie von sich selber weggerückt,
menschenunwürdig in einer Ecke kauerte. Denn so entrangen sich mir jetzt
in abgerissenen Sätzen Klagen, Flüche, Verwünschungen und
Selbstbeschuldigungen. Denn trug nicht jeder irgendwie schuld an dem,
was sich so widersinnig noch ereignete, da er es noch erlebte?

Zwar meldete sich die Vernunft inmitten des Zusammenbruches, und sie
verdammte dies Aufgebot von Leidenschaft. War ich dasselbe Wesen, das
stets so überschwenglich Deutschlands geistigen Himmel pries? Es war
mein Minnesang gewesen! Und konnte ich leugnen, daß ich in den Pariser
Straßen mit derselben Heftigkeit wie vorhin ausgerufen hatte: ohne das
Deutschtum stürzte die Welt zusammen? Und jetzt, in der Stunde seiner
schwärzesten Bedrängnis und seiner größten Heroismen, wollten die Saiten
meiner Leier zerspringen? Trieb ich nur Humbug mit den heiligsten
Gefühlen? Doch was sie auch sprach und diktierte, wurde von dem
Widerwillen überboten, der mir plötzlich den Turnus des Lebens selbst
zum Ekel werden ließ. Dem an die Dunkelheit gewöhnten Auge schienen
jetzt, hoch aufgerichtet, die Kissen zu Häupten des Bettes. Aber der
Schlaf war nur ein schlechtes und verseuchtes Palliativ geworden, und
die Bande rissen beim Erwachen nur um so schlimmer von unserem wunden
Bewußtsein los. Frierend, den Mantel zusammengeschlagen, rührte ich mich
nicht.

Und wie aufgehaltenes, zum Stocken gebrachtes Blut, das seinen Lauf
erzwang, so quollen da jetzt mit der Schwere des Blutes stoßweise jene
Tränen hervor, die so anders sind als die um unser persönliches Leid;
sie, die einem Frühlingsschauer gleich das Herz erleichtern. Was sind
wir Einzelne? Was unser Kummer? Ist nicht selbst unser bißchen Liebesnot
noch Glück? Jene anderen Tränen aber, welche stoßweise und mit der
Schwere des Blutes hervorbrechen, weil sie mit dem Todesschweiß
unzähliger Jünglinge gespensterhaft verklebt sind wie mit der
versteckten Qual ganzer Generationen von Frauen und den schon steigenden
Schatten ihrer Schwermut, wer sie erfuhr, ja, wer immer sich heute von
der Strömung nicht einfach überfluten ließ, der Frevler, der sich umsah
nach der Gomorrha unserer Zeit, mußte der nicht versteinern wie die Frau
des Lot?

So kam ein neuer Tag. So dämmerte ein nüchterner und winterlicher
Morgen. Wieder ließ mich die Vernunft hart an und verabscheute mein
gestriges Verhalten. Zwei Zungen hingen mir ja nicht an, um die zwei
Dinge, um die es sich handelte, zugleich zu sagen. So war Lüge, was
immer ich sprach.

Ich kann dir die Öde jenes Morgens nicht schildern. Draußen hingen
Fahnen übernächtig und durchnäßt von den Dächern herab ob irgendeines
Sieges. Da entglitt mir die Treue wieder, die mich doch beseelte, und
über das Gefühl für das Nächstliegende gebot ich nicht. Nichts von
Vernunft mehr! Nur die fürchterliche Schwüle irrsinnigen Wissens. Es war
die Hölle. Ich riß das Fenster auf. Das harte Pflaster der Straße ward
da zur einzigen Lockung.

Warum ist es dein Bild gewesen, das mich da umgab und aus dem
umdunkelten Zimmer bis hart an meine Knie hinrückte? Ein Ansturm
klingender Sphären, ein erhobener Stab, und der beschwingte Schatten
deiner Hände über eine bessere Welt. Dies alles umflatterte mich wie
Himmelsvögel und entschwand, und es blieb nur der eiserne Vorhang
trauernd herabgelassen vor dem Imperium unseres Gedankens und unserer
Musik. Aber nur dich allein, dem in der Fülle des Lichts jenseits des
eisernen Vorhanges Gebliebenen, ich durfte nur dich und nicht die
Menschen, die mit mir leben, zu Vertrauten dessen machen, was ich heute
dachte. Es war nicht billig. Ich mußte die eigenen Rückschläge scheuen.
Und es ging nicht an, ihnen gegenüber meine Worte immer wieder
zurückzunehmen, um dann das Widerrufene neu festzuhalten.




                            Fünfter Brief


Meine Briefe an dich haben eine lange Unterbrechung erhalten, ich bin
inzwischen in Dresden gewesen und habe dort in einem eher spärlich und
zumeist mit Damen besetzten Saale einen Vortrag gehalten. Nichts wäre
also leichter gewesen, als ihn totzuschweigen. Aber die Journalisten
telegraphierten bis nach Istrien, in alle Grenzlande hinein und hinaus
zu den Neutralen, was ich gesagt hatte. So wissen es jetzt alle. Kein
Wunder, daß ich zufrieden bin.

Dennoch hätte ich nicht gedacht, daß ich eine Genugtuung darin finden
würde, von den meisten Zeitungen beschimpft zu werden. Überraschungen,
die man sich selber bereitet, sind nie ganz langweilig. Ich hatte mich
für bescheidener gehalten.

Aber lasse dir den ganzen Hergang erzählen, bevor ich ihn selbst in
allen seinen Zusammenhängen vergesse, _ihretwegen_ lasse sie dir
erzählen. Denn ich liebe nichts so sehr an den Dingen, als wenn sie den
Charakter der Fügung an sich tragen, der sie ihrer sonstigen
Unwichtigkeit enthebt, man kann nicht gleich sagen, wie weit.

Im vorigen Frühjahr, mitten im Frieden, also im goldenen Zeitalter noch,
forderte mich die Dresdener Literarische Gesellschaft zu einem Vortrag
für den kommenden Winter auf. Gezeichnet Major Nicolai. Eine solche
Einladung war mir neu. Aber der Januar 1915 lag ja in so weiter Ferne!
Ich sagte also provisorisch zu.

Sehr erfreut war die Antwort. Und welches Thema gedachte ich zu wählen?

Ich nannte Irland, aufs Geratewohl.

Irland war wie eine große, leere Urne, in die man viel hineinlegen
konnte, wenn es wirklich dazu kommen sollte. Im übrigen hatte es ja gute
Weile.

So kam der Sommer. Es kam der Krieg. Und jene Tage innerster Abkehr und
Zerfallenheit, da sich der einzelne einer Abgegrenztheit überwiesen sah,
unentrinnbar wie die des Sarges, da er sehen mußte, wie er dem
Untergange standhielt und ein imaginärer Halt noch der sicherste schien.

In jenen selben Tagen kam ein Brief, um mich an den vergessenen Vortrag
zu erinnern.

Blieb es bei Irland?

Nein.

In Anbetracht der Ereignisse sei ein anderes Thema gewiß vorzuziehen,
schrieb der Major Nicolai. Und hatte ich meine Wahl getroffen?

Aber ich hatte keine Ahnung und stellte eine Bedenkfrist, indessen
rückte der Major ins Feld. Es war ein anderer Herr, der sich eine Weile
später nach meinen Beschlüssen erkundigte. Dieser setzte nach Art der
neuen Besen gleich viel geschäftiger ein und bedeutete mir, daß zwar in
Anbetracht des Krieges die meisten Vorträge in diesem Winter ausfielen,
er aber . . . ich aber . . . _mein_ Vortrag aber . . . und es folgte
wieder die ergebenste Frage nach meinem Thema.

Ich hatte mich jetzt besonnen und schrieb zurück, daß es besser wäre,
wenn er unterbliebe; denn wenn ich spräche, so könnte ich nur von dem
Konflikt derjenigen reden, welche außerstande seien, sich in die
Tatsache des gegenwärtigen Krieges zu finden. Sonst hätte ich auf der
Welt nichts zu sagen, was von genügendem Interesse wäre.

Jetzt erst kam Tempo in die Unterhandlung.

Wie interessant! schrieb der stellvertretende Herr.

Allerdings müsse er mich darauf aufmerksam machen, daß nicht über
Politik geredet werden dürfe. In Dresden schon gar. Überhaupt die
Dresdener! . . . Jedoch . . . Jedoch der stellvertretende Herr wollte
nicht auf mich verzichten.

Über Politik wollte ich nicht sprechen, jedoch mein Thema eigne sich
nicht.

Ihm persönlich sage es außerordentlich zu, versicherte er.

Da wollte ich die Sache noch einmal berufen und verlangte mehr Geld.

In Kriegszeiten! erwiderte er bestürzt . . . Niemand, erhielte da ein
höheres Honorar. Wenn ich auf meiner Forderung bestünde, sähe er sich zu
seinem größten Bedauern gezwungen -- er hoffe, es würde nicht dazu
kommen -- einen Ersatz zu suchen.

Aber da wurde ich nicht ohne Schrecken inne welche Strecke ich
mittlerweile gelaufen und wie entschlossen, wie erpicht ich schon war,
den Vortrag zu wagen.

Es sei ja nicht des Geldes wegen, schrieb ich postwendend, und vom
Moment an, wo keine Zurücksetzung vorläge . . . Kurz, ich nahm, wie man
sagt, meine Truppen etwas zurück.

Noch am selben Tage fuhr ich ins Gebirge.

Es verweilte dort die Sonne über einem noch unbeschneiten Berg, dessen
braune Hänge etwas von den Reflexen und dem warmen Hauch des Sommers
zurückhielten, und das Auge vergaß hier des Winters ganz und gar.
Sommerlich lockte da auch die beschienene Bank auf der Höhe, die ich
bestieg.

Tief unten, zu meiner Linken, lag jetzt im kalten Schatten das Dorf.

Also in Gottes Namen! dachte ich und zog ein kleines Heft und einen
Bleistift hervor.

Allein es war, als hätte ein unsichtbarer Regisseur auf diesen
Augenblick gepaßt, um ein Signal zu geben. Denn gleichzeitig und wie auf
ein Stichwort hin wurde da unten ein großes Scheunentor aufgestoßen, und
wie aus einer Kulisse brach ein Rudel zufriedener Schafe ins Freie
hervor, ergoß seine wolligen Massen schnell über die Straße, die Brücke
hin, und fing an, den sonnigen Berg zu erklettern.

Auf dieser Sommerstation arbeitete ich nun darauf los, apostrophierte
die einsame Landschaft und baute, so gut ich es wußte, langsam und
hartnäckig meine Worte auf. In dem altväterischen Gasthaus unten waren
zwei ostpreußische Offiziere mit schlecht verheilten Wunden zur Nachkur
angekommen. Der eine hatte Jaurès sprechen gehört, der andere hatte
selbst Vorträge halten müssen; beide wählte ich eines Abends zu meinem
Auditorium und las ihnen den meinen vor; sie fanden ihn unmöglich in
allen Punkten und sagten es unverblümt. Es gelang ihnen sogar unverweilt
eine Parodie desselben; die Gelegenheit schien einer Sonderbestellung
von Kaffee und Kuchen durchaus würdig, es wurde viel gelacht; ich nahm
an allem teil, aber in mir war das kalte Dorf. Denn los ließ ich jetzt
nimmer, fuhr am nächsten Morgen in die Stadt zurück und machte die ganze
Arbeit von vorn.

Die Zeit drängte, die Mühe war verzweifelt; ich ruderte darauf los, war
auch schon wieder über die Hälfte Weges gelangt, als der »tote Punkt«
sich auftat und das unbemannte Boot an einer Sandbank festfuhr. Meine
Kräfte genügten nicht, es wieder flott zu machen. Anfang und Ende lagen
wie zwei geborstene Stücke und schlossen sich nicht an, alle Energie war
vergebens. Es fehlte das Vermögen. Angestrengt und ausgelöscht zugleich
starrte ich vor mich hin, als sich die Türe öffnete und ein von
Begriffen schneller Freund, der mir lange kein Lebenszeichen gegeben
hatte, unvermutet, wie auf höherem Geheiß, wie der Engel vor Tobias,
unvermutet vor mir stand.

Ariel! rief ich aus, nahm nicht Zeit zu wissen, woher er des Weges sei,
noch wie es ihm ging, sondern bestürmte ihn alsbald, mir zu helfen. Er
war gleich orientiert, es bedurfte nicht vieler Erklärungen: wenn ich
nicht zu bewegen war, von der Expedition zu lassen, dann war mir nicht
anders zu helfen, als indem man mir half -- und er machte sich im
Augenblick daran, zu den paar kräftigen Rucken auszuholen, zu welchen
mir der Atem ausgegangen war. Hei! Wie lustig schaukelte jetzt das
gelichtete Boot die Wellen weiter.

Und war es im übrigen nicht durch seine Gesinnung verankert?

Schnell fuhr ich jetzt noch einmal in die Berge zurück und überraschte
die beiden Ostpreußen durch meine Wiederkehr. Diesmal war auch eine
Freundin zugegen. Es wiederholte sich jener Abend, nur daß nicht mehr
gelacht wurde.

»Ich bin ja mit jedem ihrer Worte einverstanden,« sagte der ältere
Offizier, »aber was glauben Sie, was Ihnen alles an den Kopf fliegen
wird, wenn Sie den Leuten das sagen?«

»Sie haben tausendmal recht!« sagte der andere, »aber Sie werden nichts
erreichen.

Es ist vergebens.

Es ist zu früh.«

Meine Freundin erbot sich, für den Kontraktbruch aufzukommen, wenn ich
nur diesen Vortrag nicht hielt. Außerdem schiene ich krank. Der Arzt
würde nicht anstehen, mich für reiseunfähig zu erklären. Und wie schön
sei es hier in dem verschneiten gemütlichen Gasthaus. Nein, ich dürfe
nicht gehen; -- sie fuhren mich im Schlitten einen Paß empor. Dort sah
man in der Tat die Herrlichkeiten der Welt wie von der Zinne eines
Tempels; und man war ihr abgewandt, der wahnsinnig grinsenden
Todesfratze des Krieges; ferne den genarrten Menschen war man dem Leben
nah.

»Sie werden sich selbst nur schaden, ohne zu nützen,« redete mir hier
einer der Herren noch einmal zu. »Es ist zu spät.«

Doch wie hätte ich -- auf ihre Zustimmung hin -- ihrer Warnungen achten
dürfen? »Tausendmal recht« und »mit jedem Worte einverstanden,« waren
dies nicht ihre Worte gewesen? Was blieb da übrig, als daß ich den Berg
Tabor wieder herunterging, um dem gelben Winternebel entgegenzufahren,
welcher die Stadt mit ihren elektrischen Bahnen und ihren
Zeitungsplakaten umhing?

Dort hatte ich jetzt einige Not mit meinen Bekannten: sie taten sich
durch eine recht empfindliche Neugierde hervor und machten dabei ihr
Interesse für mich geltend, sowie ihre Erfahrungen, oder die Ratschläge,
die sie mir geben konnten. Doch wer immer den Vortrag hören wollte, der
hörte nur von den zwei ostpreußischen Offizieren und ihrer Begeisterung.
Der Eifer meiner Bekannten wuchs; sie meinten es gut, aber ich wußte es
besser. Endlich setzten sie über meinen Kopf hinweg eine Generalprobe
fest, bei der ich fehlte.

Ariel gegenüber beklagte ich mich über diese neue Art, mir zuzusetzen.
Die Warnungen der drei Eingeweihten, welche immer lauter in mir
nachklangen, je näher meine Abreise rückte, machten mir den Kopf
ohnedies schwer.

»_Einen_ Verschworenen müssen Sie aber noch haben,« meinte er. »Ohne ein
paar Vortragsstunden wird es nicht gehen.« Und er führte mich zu einer
Schauspielerin.

Sie erwartete uns. Erst gab sie uns Tee in einem Raum von japanischer
Leere und forderte mich dann unvermittelt auf, ihn mit Bewußtsein zu
durchschreiten. Dabei stellte sich heraus, daß ich eine so einfache,
stets so unbedenklich volltane Sache mit einem Male nicht mehr konnte;
Arme und Beine waren mir wie mit Brettern angeschnallt und ich trat über
die glatten Fliesen wie durch einen Bach. Als es dann ans Lesen ging,
unterbrach sie mich zu Anfang sehr oft, schärfte mir auch ein, den
Vortrag auswendig zu lernen, denn die Befangenheit spiele dem Neuling
gefährliche Streiche; so könnte es sein, daß im kritischen Augenblick
ein wilder Tanz unter den Buchstaben tobte und meine Augen machtlos
wären, sie zu unterscheiden. Auch korrigierte sie an meiner Sprechweise
und meiner Haltung.

Sie war, obwohl noch sehr jung, die erste Schauspielerin der Stadt. Ihr
hellenisches Gesicht war von einer seltenen Klarheit, und ihr Haar
schloß sich wie ein geflügelter Helm an ihre Schläfen. Langsam schien
sich aber, während ich las, dies helle Bild mit Mißmut, ja fast mit
Unwillen wie mit einem Gitter zu umziehen und zu entfernen. War es eine
zu offenkundige schauspielerische Unbegabtheit oder waren es meine
Worte, die sie verstimmten? -- sie ließ mich reden. »Kennen Sie
Dresden?« fragte sie, als ich zu Ende war. »Jedenfalls sind Sie doch auf
Widerspruch von seiten des Publikums gefaßt?«

»Aber nein!« sagte ich. »Warum denn?«

Da fing ich einen raschen Blick auf, den Ariel ihr zuwarf.

»Ausgezeichnet!« rief sie aus, als sei sie plötzlich im Bilde, und sie
behing mich nun mit den wertvollsten Ratschlägen, wie mit Geschmeide:
ich sollte mit meiner Kette spielen, während ich sprach, um mir einen
Halt zu geben, und vor allen Dingen durch ein selbstbewußtes, sicheres,
wenn nicht kommandierendes, wenn nicht gar impertinentes Auftreten jedem
Verdacht an mein blutiges Anfängertum vorbeugen. Im übrigen würde ich
meine Sache vortrefflich machen. Sie zweifle gar nicht daran.

»Und wenn es losgeht,« sagte Ariel . . .

»Wenn es losgeht,« fiel sie voll Eifer ein, »so treten Sie zwei Schritte
vor,« -- und sie nahm mir das Heft aus der Hand, und wie zu einer
tausendköpfigen Menge gewendet: »Ich bestehe auf meinem Recht, zu Ende
zu reden!« rief sie ihr schneidend und mit stolzer Miene entgegen.

Aber was sollte denn losgehen? Ich verließ sie ganz in Gedanken. »Es war
kein Erfolg,« wollte ich zu Ariel sagen. Aber da war er oben geblieben.

Als ich ein paar Tage später noch einmal zur Probe bei ihr erschien,
lobte sie meine Fortschritte und war noch einnehmender und
liebenswürdiger als zuletzt, und erst auf der Treppe befiel mich wieder
der Zweifel: War es nicht auf Ariels Tun zurückzuführen, daß sie mich
nicht entmutigte?

Meine Koffer waren gepackt --, ich stand zur Abreise bereit, als eine
Alarmdepesche des stellvertretenden Herrn eintraf, mit der Zumutung, ein
zweites Manuskript für alle Fälle mitzubringen, weil das Generalkommando
mein Thema vielleicht doch beanstanden würde. Jetzt noch zurücktreten?
-- Ich dachte nicht daran. Höchstens auf einen zweiten Titel für ein und
denselben Vortrag wollte ich mich unterwegs besinnen, kaufte auch
schnell ein Heft, um es zwischen München und Dresden mit einer
unleserlichen Schrift zu überziehen. Die übrige Zeit lernte ich
auswendig, als gelte es mein Leben.




                            Sechster Brief


Wieder habe ich ausgesetzt. Es fehlte mir der Mut, weiter zu schreiben.
-- Während der Erdteil sich mit alten Leuten zu füllen scheint, weil sie
die zahlreicheren geworden sind, und die Söhne die vom Tode Erlesenen
sind, _ihre_ Herzen es sind, die erkalten, inmitten des Feuers, des
Wahnsinns, des Taumels der Völker, gebricht der Mut, so winzige Dinge
weiter zu erzählen. Ich glaube, wir sprachen einmal davon, als du noch
lebtest.

Aber die Hauptsache ist doch der Posten, so sagtest du, gleichviel
welcher, und auch wenn es nur ein unbestallter und selbstgeschaffener
wäre, und der Uniformierte sei letzten Endes nur ein sinnfälliges Abbild
desjenigen Soldatentums, dem keiner entlaufen darf. So bedarf es denn
keiner Entschuldigung, vielmehr _obliegen_ mir diese Briefe, auch wenn
sie nur die eines freiwilligen Grenzwächters sind, dessen Dienste
unbegehrt, dessen verzweifelte Zeichen stets unverstanden blieben.

So höre denn, wie es weiterging.

Als ich vor dem Hotel Bellevue ausstieg, war es Mitternacht, und von der
Fahrt in der überhitzten Kohlenluft und dem Auswendiglernen erschöpft,
nahm ich das erste beste Staatszimmer; zu Kriegspreisen. Auch zog noch,
trotz der späten Stunde, ein aufrechter Pikkolo mit gedeckten Schüsseln
schwungvoll auf, und es waren nur mehr so abgelegene und unbeschwerte
Bilder wie die des Marquis von Carabas und des gestiefelten Katers, an
welchen ich festhielt.

Nicht so der stellvertretende Herr.

Allzu zeitig hing er schon am Telephon und gab mir seine Besorgnisse
kund. Infolge eines neuen Erlasses, daß jeder Vortrag, welcher sich mit
dem Kriege befaßte, acht Tage vor dem Termin eingereicht werden müsse,
hielt jetzt das Generalkommando mit der Genehmigung zurück.

»O! Das Generalkommando wird gar nichts gegen meinen Vortrag einzuwenden
haben,« sagte ich, den Ellenbogen bequem aufgestützt, in das Rohr
hinein.

»Aber nein! Aber keinesfalls! Diese Versicherung habe ich auch auf das
ausdrücklichste gegeben, und ich habe kräftig vorgebaut,« klang es
lebhaft, fast aufgeregt zurück.

Nun, dachte ich, da ist jemand, der ja auf das Zustandekommen meiner
Rede zu brennen scheint. Da kann ich mir den Luxus der stets so
kleidsamen Gelassenheit erlauben.

»Hallo!«

»Ja?« sagte ich.

»Ah -- ich dachte, wir seien unterbrochen.« Und er fragte, um welche
Zeit er die Ehre haben würde, von mir empfangen zu werden.

»Um fünf Uhr.«

Er bat mich mittlerweile, den Saal des Künstlerhauses anzusehen und dort
meine Bestimmungen zu treffen. Ein Auto brächte mich in wenigen Minuten
hin.

Ich nahm die Elektrische. -- Wie eine Sächsin mitten unter Sachsen fuhr
ich dahin, bis mir der Schaffner sagte, hier sei die Albertstraße. Das
Künstlerhaus stand hart vor mir. Ob mich ein Herr oder ein Fräulein zum
Saal geleitete, weiß ich nicht mehr, meine Wünsche aber, welche der
stellvertretende Herr ebenso viele Befehle genannt hatte, sollten sich
durchwegs als weise Vorkehrungen ergeben, insbesondere die Aufstellung
des Pultes in nächster Nähe der Türe. Sanft, aber bestimmt verordnete
ich Seitenlicht, Stehlampe und Halbdunkel. Immer dabei in die Luft
sehend, wie die Schauspielerin mir gelehrt hatte; jeder Zoll die
routinierte Rednerin. Guten Tag.

Und dann ging ich spazieren. Immerzu. Es regnete. Jedoch ich lief wie
eine Uhr. Die Museen und Kirchen waren geschlossen; die Brühlsche
Terrasse, umfinstert und naß, lockte nur mich. Feldeinsam, und der Elbe
zugewandt, stellte ich mich dort auf und sagte den ganzen Vortrag
probeweise noch einmal her, die Stelle über die Journalisten mit
besonderer Betonung.

»So können wir gar nicht verstehen,« rief ich mit aufgespanntem Schirme
und mit meiner Kette spielend den triefenden Bäumen und den umnebelten
Ufern zu, »so können wir gar nicht verstehen, daß die Völker, die doch
schon allesamt ihre Revolutionen hatten oder zu haben versuchten, warum
sie sich allesamt ihre hetzerische Presse noch gefallen lassen, warum
sie sich die noch nicht verbaten. Wann werden die Vertreter der würdigen
Blätter dagegen protestieren, daß solche Mörder der Gesellschaft sich
ihre Amtsbrüder nennen? Man hat schon Regierungen davon gejagt, aber der
Herausgeber eines Hetzblattes thront wie ein Gesalbter des Herrn auf
seiner Redaktion. Argwöhnisch wird das Tun und Treiben eines Monarchen
verfolgt, wer aber hat es gewagt, gegen den >Matin< einzuschreiten, der
schlimmer als eine russische Knute Wahrheit, Vernunft und Mäßigung
unterdrückt. Aber in jedem Lande,« fuhr ich mit erhobener Stimme fort,
»gibt es Erscheinungen, die dem >Matin< nacheifern, ohne ihn zu
erreichen; es ist unleugbar, daß die öffentliche Meinung sich der Lüge
leichter als der Wahrheit ergibt, und deshalb wäre heute nichts
notwendiger auf der Welt, als daß eine Sezession innerhalb der Presse
entstünde.«

Der langweilige Tonfall des Regens gab mein einziges Echo ab; das war
jetzt. Heute abend würde man nicht umhin können, mir hier zuzurufen. Der
großen Mehrheit würde ich mit diesen Worten aus der Seele sprechen.
Ärgern konnten sich da nur die paar, die sich getroffen fühlten. Aber
was wollten sie machen?

Ich hatte ja recht. Was ich sagte, war ja wahr. Ein bedenkliches Omen
war nur dieser Mangel jeglichen Lampenfiebers. Besann ich mich recht? Es
galt, die Probe zum ersten Male zu bestehen. Aber selbst, als es schon
dunkelte, und auf dem Heimweg noch waren meine Gedanken unbeteiligt.

Indessen harrte schon mein Ritter, der betriebsame und stellvertretende
Herr in der Halle des Hotels. Er war klein und schwarz. Das
Generalkommando hielt noch immer mit seiner Genehmigung zurück und
machte ihm Sorgen. Sie würde schon kommen, beruhigte ich ihn. Es war ein
langer Besuch. Die Dresdener kamen nicht mit der ersten Note bei ihm
weg, und da ich nicht wußte, ob er ein Sachse sei, nahm ich sie höflich
in Schutz. Warum aber gab er sich die Mühe, den Mann der weiten Welt vor
mir zu spielen? und daß er Vettern in Paris besaß, wie gleichgültig war
das! Zugleich erschrak ich doch, daß so hart vor Torschluß ein so
deutliches Gefühl der Langeweile Raum in mir finden konnte. Da flocht er
in bedeutsamem Tone ein, daß die gesamte Dresdener und sogar ein Teil
der Leipziger Presse meinem Vortrag beiwohnen würde. Jetzt war ich ganz
Ohr. Den Abend sollte ich dann als Ehrengast dieser Herren in ihrem
Kreise beschließen. Wollte ich das?

Aber ganz gewiß wollte ich das.

Als er mich verließ, war es höchste Zeit, mich umzuziehen. Die
Hoteljungfer half mir dabei. Und wie gefällig, wie sorgfältig sie war!
Sie erzählte von ihrer Existenz; es interessierte mich. Aber plötzlich
sagte sie: »O es ist spät!« Da faßte mich ein großes Entsetzen. Ich
eilte hinunter; es war kein Auto zur Stelle, und es kam auch keines.
Erst nach langem Warten fuhr ein alter Fiaker mühselig vor, und indes
der Zeiger über die achte Stunde immer weiter hinaus rückte, zog er mich
gemach durch die Dunkelheit.

Doch grelles Licht ergoß sich über die Treppe des Künstlerhauses, und
blendende Flächen, von Finsternis umhaucht, zogen sich kreisförmig über
den Platz. Nirgends ein Kommen und Gehen mehr. Ich stieg allein und
verspätet die Stufen hinauf. Durch eine zufällig sich öffnende Tür sah
ich den Saal in der vorgeschriebenen Beleuchtung.

Alle waren versammelt, vertrieben sich plaudernd die Zeit, und es fehlte
nur ich. Befrackt -- und unruhig, und doch beglückt, eilte mein Ritter
durch die Gänge auf mich zu: das Generalkommando hatte soeben den
Vortrag bewilligt. Es war also richtig niemandem eingefallen, ihn mir
vorher abzufordern. Aber wie ein anderer Benvenuto Cellini hatte ich
stets gewußt, -- ohne zu wissen, -- daß es so kommen würde. Im
Künstlerzimmer wartete auch schon ein älterer Herr, um mir in aller Form
das Honorar zu überreichen. Ich unterschrieb -- schob es in meinen Muff,
und mein Ritter --, ritterlich zum letzten Male, bot mir den Arm. Es war
ein Weg, den ich aber lieber allein ging, hatte ich doch keinen einzigen
Freund, keinen einzigen Bekannten im Publikum geduldet. Ich dankte also.

Es sei Zeit, sagte er zurücktretend.

Da stieg ich schnell die paar Stufen hinauf und öffnete die Türe des
Saales. --

Doch unwillkürlich machte ich eine Geste und betrat ihn wie einen Salon.
Denn angesichts dieser versammelten Menschen überkam mich, zwischen Türe
und Pult, mir selber unerwartet -- statt Befangenheit, das größte
Sicherheitsgefühl meines Lebens. Es verließ mich auch dann nicht, als
ich vor meiner Stimme erschrak. Die Gesichter waren deutlich erkennbar:
ein Mädchen und ein junger Mann, Geschwister, wie mir schien, ein Herr
in Uniform, einer, dessen weiße Haare hervorstachen, zwei andere in
mittleren Jahren, mir schon von der zweiten Seite an abhold. In den
vorderen Reihen ältere Damen. Ich hielt mich an die jungen Gesichter.
Sie zeigten Interesse, wohlwollende Neutralität.

Daß zu Anfang des Krieges Selbstzufriedenheit und ein gewisses Selbstlob
herrschten, sagte ich, war wohl unerläßlich. Aber inzwischen hat sich
die Luft Europas durch dieses Verfahren bedeutend verschlechtert. Man
redet voneinander, als gedächte man nie wieder miteinander auszukommen,
und dies ist nicht die Lehre, die wir aus der furchtbaren Prüfung dieses
Krieges ziehen sollen, noch liegt hier Pietät für die Gefallenen.
Umsonst sind heute die Erschlagenen, die nichts mehr wissen von unserem
Hader und gemeinsam das Schattenreich bevölkern, wenn sie den Haß nur
besiegelten.

»Sie verstehen gar nichts!« schrie einer.

Ich achtete dessen nicht. Niemand, sagte ich, mit meiner Kette spielend,
gerät in Friedenszeiten auf den Gedanken, die Verbrecherstatistiken
anzurufen, um den Geist einer Nation zu beschreiben. Heute sollen mit
einem Male solche Verwechslungen richtig, erlaubt, erwünscht sein! Wir
müssen das Bleibende im Charakter einer Nation vor so niedrigen
Berührungen verteidigen . . .

»Wie anders ist die Haltung der Offiziere! Nichts ist ihnen peinlicher
als der Gedanke, man könnte annehmen, sie hätten keine ehrenhaften
Feinde! Und der Takt so manchen Pfahlbürgers hat schon durch eifriges
Forschen nach den Ungesetzlichkeiten und Greueln der Gegner peinlichen
Schiffbruch erlitten.«

Es waren die zwei Sätze, die Ariel mir geschenkt hatte.

Doch nichts vermochte mehr die frostige Atmosphäre zu heben. Ich suchte
die lichteren Gesichter und konnte sie nicht mehr finden. Lag es an mir,
oder hatten sie sich von mir abgewandt? Ich war allein; auf meinem
Podium wie auf einer Klippe; unter mir eine kalte unruhige Flut. Es
mißfällt ihnen alles, dachte ich resigniert; aber nur Mut! Jetzt kam
schon die vorletzte Seite und dann wars überstanden.

So können wir gar nicht verstehen, sprach ich frei und brauchte keinen
Blick in das Heft zu werfen, daß die Völker sich allesamt ihre
hetzerische Presse noch gefallen lassen. Wann werden die Vertreter der
würdigen Blätter dagegen protestieren, daß solche Mörder der
Gesellschaft sich ihre Amtsbrüder nennen? Regierungen hat man davon
gejagt, aber der Herausgeber eines Hetzblattes thront wie ein Gesalbter
des Herrn auf seiner Redaktion. Argwöhnisch wird das Tun eines Monarchen
verfolgt, wer aber hat es gewagt, gegen den »Matin« einzuschreiten, der,
schlimmer als eine russische Knute, Wahrheit, Vernunft und Mäßigung
unterdrückt. Aber in jedem Lande gibt es Erscheinungen, welche dem
»Matin« nacheifern . . .

»Infamie!« schrie ein Getroffener auf

Der Mann mit den weißen Haaren war vom Stuhle gesprungen. »Eine
unerhörte Gemeinheit!« rief er laut durch den Saal, und ihn quer
durchschreitend, ging er empört zur Türe. Ein dritter hatte sich von
seinem Platz erhoben und schleuderte jetzt in den hohen Wellengang eine
Rede aus dem Stegreif gegen mich. Ich sah einen bärtigen Kopf, von Haß
entstellt, und sah ihn so deutlich, daß mich eine Ruhe, eine Genugtuung,
eine Kühle überkam, wie aus der Tiefe eines Ziehbrunnens emporgeweht,
und ich diesen Wutausbruch als eine Ehrung entgegennahm. Denn ich hatte
ja recht, und was ich sagte, war ja wahr. Hätte man nur zehntausend
hetzerische Zeitungsschreiber aus allen Ländern zusammengetrieben,
dachte ich geradeaus starrend, hätte man nur zehntausend von diesen
Erzfeinden zusammengetrieben, die ihre finstere Gewalt über die
urteilslose Masse mißbrauchen, in allen unseren Ländern den gesunden
Kreislauf im Blute unserer Völker unterbanden, und wo immer diese
überzugreifen und nach Ergänzung strebten, hintanhielten und endlich
zurückwarfen, weiß der Teufel auf wie lange, hätte man sie nur
rechtzeitig zusammengetrieben, die heute weiterkläffen von allen Ufern
des Roten Meeres, das gespeist wird von dem Blute Millionen
Unschuldiger, so hätte man heute nicht in allen Ländern, welche dieses
Rote Meer umgrenzen, man hätte heute nicht das Schauspiel junger
Krüppel, junger Blinder, überfüllter Narrenhäuser, zu Greisen
geschlagener Jünglinge, und gute friedliche Völker, die sich liebten, ja
die sich liebten, sie, die sich liebten, hätten nie daran gedacht, sich
Leid zuzufügen ohne Euch, die Ihr Euch hergabt zu Urhebern aller Greuel,
indem Ihr sie erzähltet, wo Ihr sie nicht erdichtetet, so daß sie gleich
alle als »Repressalien« entstanden! Ja, hätte man zehntausend
hetzerische Journalisten aus unseren Ländern zusammengetrieben und
gehenkt, o wieviel wertvolle, hoffnungsvolle Menschen wären in all
diesen Ländern heute am Leben! Statt dessen seid Ihr es, die Ihr noch
lebt, die Ihr den Glauben an die Menschheit und an die menschliche Güte
vergiftet habt, die Ihr einer bösen Schwäre gleich Europa von einem Ende
zum anderen überzieht, Ihr, die Hetzer, die Mitschuldigen an diesem
Kriege, deren Knochen, wie die der Schächer, hätten zerbrochen werden
sollen, bevor wir zuließen, was jetzt geschieht! --

Aufgewühlt von solchen Gedanken, starrte ich geradeaus, während der Mann
seine Gegenrede hielt. Aus groben Platitüden zusammengesetzt und im
wüstesten Zeitungsstil gehalten, war sie doch von großer Geläufigkeit
und schloß sehr wirksam mit der Aufforderung, ich sollte doch
hinabsteigen in die Gräber, um mich von den Verstümmelungen und
ausgestochenen Augen, an die ich nicht glaubte, zu überzeugen; für eine
so billige Emphase heimste er dann den ganzen, schönen, ursprünglich für
mich gedachten Applaus für sich selber ein.

Aber der jungen Schauspielerin eingedenk, trat ich zwei Schritte vor und
bestand auf meinem Recht, zu Ende zu reden. Doch siehe: mein Ritter
wars, welcher da mit offenem Visier auf das Podium stürzte und mit
gesenkter Lanze an meine Seite stob, um jede Verantwortung für meinen
Vortrag weit von sich zu weisen. Hätte er geahnt . . . und er berief
sich jetzt auf das Generalkommando, welches auch nicht geahnt hatte. O
wie anders waren jetzt seine Sorgen als am Vormittag! Wie ferne war
Cosmopolis, und wie vergessen die Vettern in Paris! Das Dresdener
Publikum hingegen erhob er jetzt zum Richter über mich, auf daß es
entscheide, ob ich zu Ende reden dürfe oder nicht.

Nun waren Ja-Rufe die erste Antwort auf diese Frage; sie wurden aber
sofort von wütenden »Nein« niedergeschrien, und was jetzt entstand,
darüber konnte kein Zweifel sein, war ein regelrechter Tumult. Und sah
ich recht? -- ballte da wirklich ein ehrenwerter Herr die Fäuste gegen
mich?

Mein Staunen war grenzenlos. Trotz aller Warnungen meiner Freunde und
ihrer so bestimmten Prophezeiungen über die unausbleiblichen Folgen
meines Tuns, stürzte ich von allen Höhen angesichts des Sturmes, den ich
heraufbeschwor. Offen gestanden hatte ich mir -- nie ernsthaft
natürlich, aber in Momenten der Müdigkeit und zur Kurzweil -- hatte ich
mir ausgemalt, wie ein rabiater Reporter mir auflauern würde, und ich
wie Brutus vor der Türe zusammenbrechen, hierdurch aber die gute Sache
unendlich fördern und den großen internationalen Generalstreik gegen
jegliche Hetze sogleich und überall beschleunigen würde. Ja, sogar der
Möglichkeit einer kleinen Gedenktafel hatte ich schon in Gedanken
vorgegriffen, nur die eines Tumultes hatte ich nie erwogen, und ich fiel
von allen Himmeln, als er einsetzte. Denn ich hatte ja recht. Und was
ich sagte, war ja wahr. Indessen war die Situation auch für den
Unbelehrbarsten nicht zu verkennen: eine wüste Skandalszene, als deren
Mittelpunkt ich hier oben stand inmitten einer gegen mich gerichteten
Majorität, oder falls es eine Minorität war, machte sie jedenfalls den
größeren Spektakel, so daß sie einer Majorität gleichkam. Kurz
entschlossen griff ich da zu meinem Heft, nahm meinen Muff, und ohne
einen Gruß (hätte ihn doch gerade der mit den geballten Fäusten für sich
nehmen können!) verließ ich das Podium und war fort.

Doch kaum hatte ich das Künstlerzimmer betreten, als es von der anderen
Seite gestürmt und die gegenüberliegenden Türen aufgestoßen wurden. Vom
Saal her tönte noch ein so wilder Lärm, daß ich angesichts dieser
fremden und aufgeregten Leute, die alle auf mich eindrangen,
unwillkürlich zurücktrat.

Es war jedoch die Schar derer, welche meine Äußerungen billigten und
sich nun in Sympathiekundgebungen überboten und sich entrüsteten und
wollten, daß ich meine Meinung über Dresden nicht nach den Erfahrungen
dieses Abends bilde; und eine alte Frau sprach von dem Schaden, den sie
durch die Aufregung davontrug, ermahnte mich aber dabei auf eine so
merkwürdig eindringliche, so wissende, so atemlose Art, niemals meine
Worte zu bereuen, daß ich zum ersten Male in innere Bewegung geriet;
aber gleich darauf wurde ich wieder munter, und Kampflust lebte wieder
auf, denn war da im Hintergrunde nicht mein Ritter, der sich mir zu
nähern suchte? Während er mich so umringt und nach allen Seiten danken
sah, kam er sachte auf mich zu. Richtig, und er sprach mich an. »Ich
habe Sie gewarnt,« sagte er verbindlich.

»Nein -- _ich_ habe _Sie_ gewarnt!« gab ich mit meiner schrillsten
Kopfstimme zur Kenntnis. »Sie werden sich erinnern . . .«

»Ich habe Sie gewarnt! Dreimal!« unterbrach ich ihn so weit vernehmlich,
und so entschlossen, das letzte Wort, das er mir abgeschnitten hatte,
diesmal zu behalten, daß er es vorzog zu entschwinden.

Aber die Entrüstung über ihn, wie meine Partei sie äußerte, brachte ich
nicht auf. So weltkundig war ich seit einer Viertelstunde geworden. --
Hier war einer, der es für Wahnwitz hielt, es mit den Alberichen der
Presse, was immer er im stillen über sie dachte, offen zu verderben.
Indem er Deckung suchte, tat er nur, was fast alle anderen taten. Bei
dem Schmaus, zu dem er sich jetzt begab und bei dem ich hätte
präsidieren sollen (himmlisch!), würde es ohnehin schwer auf ihn
niederhageln. Sollte ich ihm grollen, daß er schnell seinen Schirm
aufriß? Sah er denn wie ein Desperado aus? -- Langsam von Begriffen, zog
ich doch schnell meine Konsequenzen, und viel eher wunderte ich mich
jetzt über die kleine Schar, die zu mir hielt.

Für den Rückzug ins Hotel war mir sogar eine Leibgarde von vier Damen
geblieben. Das Wetter hatte sich aufgeklärt und wir gingen zu Fuß. Sie
boten mir ihren Schutz, ihre Häuser, ihre Gastfreundschaft, -- aber ich
hatte nur den Wunsch, möglichst schnell von Dresden fortzukommen.
»Wollen Sie mir beim Packen helfen?« fragte ich sie und nahm mein
unbekanntes Quartett zu mir hinauf.

Hurtiger war ich noch nie reisefertig geworden, aber so dankbar ich
ihnen war, so gut besonders die eine von ihnen mir gefiel, der Wunsch
allein zu sein, wurde mit einem Male übermächtig. Und als sie mich
verließen und ich die Türe hinter ihnen schloß, gedachte ich die wenigen
Stunden bis zum trüben Morgen zu verschlafen.

Doch kaum hatte ich das Licht gelöscht und die Augen geschlossen, da
warf sich ein Frost über mich her und schüttelte mich, daß meine Zähne
immer wieder zusammenschlugen. Aber zugleich schlug auch eine wirklich
beseligende Trauer wie ein Mantel über mich hin; und jetzt erst war ich
mir bewußt, was dieser Abend mir selber bedeute: -- Ein Stein, der mich
fast erdrückte, war von meinem Gewissen fortgewälzt, und ich hatte mir
eine Lichtung inmitten des Gestrüpps und einen Weg erfochten. Dies und
noch etwas anderes.

Nie ist der Mensch so wahrhaft er selbst, wie in Momenten, in denen er,
seiner selbst kaum mehr bewußt, nicht mehr weiß, daß er Augen hat und
ein Gesicht, und nichts mehr von seinen Händen weiß und gleichsam ohne
Füße wandelt. Und nie ist er doch so restlos er _selbst_, -- wer erklärt
das? -- als wenn eine Idee ihn allem Persönlichen so weit entreißt, daß
er -- nur mehr ein Kleiderfetzen, nur ein Schemen mehr -- dennoch
höchstem Gefühl des Seins teilhaft wird, während er doch in solchen
Augenblicken sein Leben, schier ohne es zu merken, verlöre.

Die Laternen brannten noch, als ich zur Station fuhr, und als die
Dresdener sich ihres Morgenkaffees erlabten und ihre Morgenzeitung
entfalteten, stieg ich schon am Anhalter Bahnhof aus. -- Doch von Berlin
erzähle ich dir ein anderes Mal.




                           Siebenter Brief


Natürlich ziehe ich München vor. Berlin ist mir nur insofern lieber als
es größer ist; eine Stadt ist immer zu klein. Wenn schon, ei, so gebt
mir die größte, die es gibt, oder dann gleich die Einsamkeit der
Schlucht. Es ist ja mit den Menschen wie mit Lotterien, und nur deshalb
sind Provinzstädte so hoffnungslos zu denken, weil nicht anzunehmen ist,
daß auf eine beschränkte Zahl von Einwohnern oder von Losen ein Treffer
kommt. Die Rechnung ist von furchtbarer Einfachheit.

Darum wird man in dem unmusikalischen Berlin mehr musikalische Leute
antreffen wie in dem musikalischen München. Darum hast du und andere
große Musiker das Pariser Publikum so sehr geliebt.

Um auf Dresden zurückzukommen, so konnte mir nach dem dortigen Abend
nicht nur keine Stadt, auch kein Hotel groß genug sein. Zaghaft sprach
ich im Adlon vor, doch ein engelsguter Herr tat nicht, als ob er meinen
Namen hörte; ich hatte ein Dach über mir, und ich hatte ein Zimmer,
dessen Vorhänge ich alsbald zusammenschloß, das kreidige Licht des Tages
auszuschalten, denn mir schien, als hätte ich fürs erste einiges zu
vergessen.

Doch ein heftiges Klingeln über meinem Kopfe schreckte mich ins
Bewußtsein zurück, und der erste Kondolenzanruf aus München drang in
mein umdunkeltes Gemach.

Schon.

Die Zeit war den Leuten nicht zu schade gewesen, um sogleich den Vorfall
nach allen Gegenden des Reiches zu posaunen, und nur den wenigsten
Redaktionen war diese Zeit zu ernst, um solch aufgeregte Telegramme mit
ihrem sichtbaren Stempel der Unverbürgtheit aufzunehmen. Das gelesenste
Blatt meiner Vaterstadt gab flugs eine augenfällige Notiz zum besten,
die zu berichtigen ich mich nicht beeilte, indes der Wald meiner
Bekannten und die Flora meiner Freunde, sie, die ich so oft die
Skrupellosigkeit, mit welcher die Journalisten wider besseres Wissen, ja
geradezu auf Widerruf hin, Nachrichten verbreiteten, sowie die
Leichtgläubigkeit der Vielen hatte verpönen hören, welche alles
glaubten, was in der Zeitung stand, sie glaubten jetzt so unbesehen, was
in der Zeitung stand, daß sie sich nicht einmal nach meiner eigenen
Aussage umtaten, sondern, mit wenigen Ausnahmen, stiegen sie da
unverweilt zu jener Leichtgläubigkeit, von welcher sie sich abseits
glaubten, und ihrem verachteten Niveau herab. Besten Falles gaben sie
mir ihr Bedauern kund, daß ich es jetzt mit der Presse verdorben hatte,
doch ich dachte besser von ihr; gab es doch in der Presse, wie überall,
anständige Leute, und ihrer war ich ganz sicher. Die andern aber . . .
ja war es denn nicht Bürgerpflicht, es mit den andern zu verderben?

Der Rat der weisen alten Dresdnerin war indessen doch zur guten Stunde
gekommen, denn es war nicht angenehm, in der Halle des Hotels all die
Zeitungen aufliegen zu sehen, in welchen mein Name unter so
fantastischen Überschriften zu finden war. Je weiter vom Orte der
Handlung, desto freier natürlich tummelten sich die Reporter; es kostete
ja nichts, mir in Steiermark deutschfeindliche Äußerungen »entschlüpfen«
und mich in Rüdesheim die deutschen Frauen, von welchen ich kein Wort
gesagt hatte, beschimpfen zu lassen. Von allen Zeitungsfirmen wirbelten
mir Ausschnitte, manche vier Spalten lang, entgegen, überall mit dem
Angebot: Willst mehr du noch hören?

Aber der Geschmähte ist, wie ich vermute, schneller blasiert wie der
Gefeierte; zu sehr gelangweilt schon, um auf weitere Äußerungen zu
abonnieren, erfuhr ich von den paar freundlichen Stimmen nur mehr durch
Hörensagen.

Im Gegensatz zu München nahmen meine Berliner Bekannten die Entrüstung
der Journalie mit Humor. Was Wunder, daß mir die äußerste Linke
Sympathie bekundete? Aber auch die äußerste Rechte war so seltsam. Auch
_diese_ Hand schien im stillen über mich gebreitet und klopfte mir, wenn
niemand hersah, leise, unmerklich auf die Schulter, wenn auch unsicher,
zögernd und nicht wissend, was sie wollte . . . . . .

Mit welchen Kreisen hatte ich es denn also verschüttet? -- Ich besann
mich auf eine, mit dem Reich der Mitte (oder wollen wir es die Lande der
sechs Verbände nennen?) aufs engste verquickte Honoratiorin. Sie war
selbst am Telephon, fragte erschrocken, wie mir sei, und entschwand.
Dann kehrte sie ein wenig atemlos zurück und lud mich zu Tische ein.
Aber mit Intimitäten war mir in diesen Gegenden nicht mehr gedient,
sondern ich wollte einen letzten, richtig gehenden Tee im Rundkreis
ihrer Bekannten.

Die hätten jetzt so schrecklich viel zu tun, sagte sie hastig. Allein
ich zweifelte nicht, daß sie kommen würden. Da sie mich im
unausgepfiffenen Zustande kannten, würde die Neugierde sie mir noch
einmal entgegenführen.

Ich täuschte mich nicht: sie erschienen alle, und einige darüber. Sogar
ein Töchterchen, das hier nichts zu suchen hatte und ihrem Lazarett
ausgerissen war, saß da hart vor mir und starrte mich unverwandt und
vorwurfsvoll unter ihrer Haube an, während man sich sehr lebhaft und
außerordentlich pointiert über das Maß, den vorbildlichen
Gerechtigkeitssinn, die rührende, fast langweilige Milde der deutschen
Journalisten unterhielt.

Bequem in dem besten Klubsessel hingegossen hörte ich zu. -- Hier kannte
man Parteien wieder! Ich sah vom einen zum anderen und saß wie im
Parkett. -- Bald schlug ihr eigentliches Leitmotiv, das, worauf sie alle
gestimmt waren, an, und wie von einer Strömung erfaßt, fielen ihre Worte
im reißenden Lauf. Um alles, was sie zu behalten gedachten, handelte es
sich jetzt, und auch, was man draußen noch nicht hatte, behielten sie
hier. Ein gewichtiger Industrieller klopfte mit starken Besitzerfingern
auf den Tisch. Und wie munter sie wurden! Meiner vergaßen sie ganz in
ihrem Sprudel.

O, wie durchfuhr mich da glühenden Stoßes ein Erinnern! Es war kurz
zuvor in einem windumrauschten Schloß gewesen, einst so festlich, jetzt
ein Lazarett. Von den Offizieren fiel einer durch seine merkwürdig
schöne, zusammengerissene Haltung auf. Er war aus dem Schlachtfeld allzu
unvermittelt in eine Atmosphäre versetzt worden, die sich mittlerweile
etwas zu ähnlich geblieben war. Es ging das Gerücht von einem peinlichen
Auftritt zwischen ihm und ein paar Düsseldorfer Fabrikanten.

In der Tat wollte etwas in seinem Gesicht nicht zu seiner Haltung
stimmen: in seiner Glätte einem verwaschenen Steine gleich, war es so
blank und doch so abgewandt, so hell und doch von einer Trostlosigkeit
getragen, die weder die Züge noch der Ausdruck dieses Gesichtes, sondern
nur die Atmosphäre dieses Menschen verriet. Und dabei war etwas so
intensiv Abwehrendes in ihm, daß es keine andere Art gab, ihm entgegen
zu kommen, als ihm aus dem Wege zu gehen.

Ich war vor meiner Abfahrt trotz des Sturmes in den Park und bis zu
einem Gartenhäuschen hingegangen, das schon die leeren Äcker überhing,
dessen bernsteinfarbene Scheiben und bemalte Mauern aber einen
sommerlichen Trug durch alle rauhen Monate hindurch behaupteten. Diese
tapfere Pagode betrat ich ahnungslos. Denn vor mir war jener Offizier,
auf einem Liegestuhle hingeworfen, und das Gesicht in die Lehne
gedrückt, als ob er schliefe; vor dem Windstoß, der hinter mir die Türe
zuschlug, sprang er auf, und da war es, mein Gott! daß ich ein von
wilden Tränen überströmtes Männergesicht überraschte, und vor Entsetzen
über diesen Anblick und vom Affekte hingerissen, wie eine Megäre diesen
Krieg verfluchte. Aber dies verratene Gesicht und der Blick dieser
jammervollen Augen entzog sich und erkaltete noch mehr. »Draußen ist es
schön,« sagte er schroff.

Das nächste, was ich von ihm sah, war sein Name unter den Gefallenen.

Ihn sah ich jetzt vor mir: von Bildern gejagt, die zu Furien sich
verdichteten, und wie Orest vor ihnen hingestürzt; an ihn dachte ich
jetzt.

Denn in das Gespräch dieser daheim gebliebenen Draufgänger mischte ich
mich nicht; es lohnte sich nicht; und sie hatten ja recht! Aber so wie
die Kriegsberichte der einen recht haben, nur muß man zur Orientierung
auch die der anderen lesen. So äußerten sie über die französischen
Zeitungen unwiderlegliche Dinge, und wenn sie sich über die
niederträchtigen Beschimpfungen dieser Presse unterhielten, so war es
nicht möglich, ihnen zu widersprechen oder ihre starken Ausdrücke als zu
stark zurückzuweisen.

Aber es ist wirklich grotesk, mit welcher Naivität Leute, welche selbst
die Insulte handhaben, überall ihre eigenen Insulten überhören; sie
merken stets nur die der anderen. Und darum werden es stets die Hetzer
sein, die sich über die Hetze der gegnerischen Seite entrüsten. Die
anderen brauchen das nicht. Sie haben kein Organ für solche Dinge. Das
dreiste Schimpfwort Barbaren wird sie eben so wenig treffen, als sie
selbst sich erdreisten werden, Ausdrücke wie »Fäulnis« und
»Aasgeruch«[1] zu gebrauchen, wenn sie von der edlen und unsterblichen
Nation der Franzosen reden. Denn sie _sind_ keine Barbaren und wissen es
infolgedessen besser.[2]

Diesen anderen aber dünken infolgedessen solche Ausdrücke durchaus nicht
für Beleidigungen; und sie werden eine Kultur, die ihnen deshalb eine so
absterbende dünkt, weil sie keinen Schimmer von ihr haben, in allen
Tönen und Varianten morsch und putrefakt nennen.

[Fußnote 1: Siehe eine Süddeutsche Zeitung.]

[Fußnote 2: Die Anderen sind es.]

Kapitänleutnant Mücke aber, der mit ihnen kämpfte, diesen Franzosen,
welche die Zeitschrift schildert, Kapitänleutnant Mücke äußert sich
folgendermaßen: »Der Kommandant des französischen Torpedobootes hatte
bei der ersten Salve beide Beine verloren. Als er sah, daß ein Teil der
Mannschaft über Bord sprang, schrie er: Bindet mich fest! Ich will nicht
überleben, daß Franzosen ihr Schilf verlassen. Tatsächlich ist er als
tapferer Kapitän an dem Mast gebunden untergegangen.«

Nun aber die Zeitungen: Als wir die Franzosen später fragten, warum sie
vor unseren Rettungsbooten weggeschwommen seien, sagten sie: >On nous
dit que les Allemands aimaient à tuer leurs prisonniers.< Man darf ohne
den allerletzten Beweis keinen, auch den größten Schurken, eines
Verbrechens anklagen, aber noch immer ist dies eine gesetzlose Welt den
Volksverleumdern gegenüber, die wie eine Schwäre ganz Europa so lange
überziehen werden, bis es endlich einen Paragraphen gegen sie gibt. Dann
erst würden sich auch alle diejenigen besinnen, die sich heute zu ihren
Gesellen erniedrigen. Neulich bemerkte jemand so richtig: >Immer hören
wir, es trügen überall nur ganz wenige eine Verantwortung an diesem
Kriege, und die Vielen seien überall ganz unschuldig daran, während es
sich doch gerade umgekehrt verhält, und überall die _Vielen_ auf
tausenderlei Weise, und wäre es nur durch ihre Gedankenlosigkeit, teil
an der ungeheuren Blutschuld haben, und nur die Wenigsten mit reinen
Händen vor ihr stehen.<

Dem Führer der Emden versagte die Stimme und der Schmerz übermannte ihn,
als man die Besatzung eines Schiffes, das er torpediert hatte, verloren
geben mußte. Aber vor mir saß eine dicke, unnütze und ordinäre Baronin
und sprach ihre Genugtuung über die Bomben aus, welche London getroffen
hatten.

O! du hättest hören sollen, wie sie redeten! Und hier saß keiner, der
den Frieden um des Friedens halber ersehnte, vielmehr saß hier keiner,
der nicht irgendeinen Vorteil aus all dem Jammer zog, der heute den
Erdteil erfüllt. Ein Haß wie eine dunkle Säule richtete sich in mir auf
gegen diese Gesellschaft, in deren Mitte ich zum letzten Male saß. Denn
dies ist das einzig Gute an diesem Krieg, daß man aufräumt mit seinem
Umgang und nicht länger aus diesem oder jenem lächerlichen Grund sich
mit Leuten weiterschleppt, mit denen man nichts gemein hat.

Aber etwas Witziges muß ich dir noch erzählen: Als der »Matin«
nachträglich von dem Dresdener Skandal erfuhr, beschwerte er sich auch.




                             Achter Brief


Ich begreife nicht, warum die wahren Deutschen noch nicht dagegen
protestierten, daß die Alldeutschen sich Alldeutsche nennen. Sie sind
doch so undeutsch! Nichts ist doch bislang undeutscher gewesen, wie
Ungedanklichkeit und Hochmut. Und welches Deutschtum, ich bitte dich,
haben diese allbetriebsamen Leute hinter sich? Auf welche Tradition
dürfen sich diese plötzlichen Emporkömmlinge berufen, die nichts sind,
wie eine ausgefallene Generation, Ahnen und Urenkel in einem, Insulaner
ohne die Entschuldigung, daß sie auf einer Insel wohnen, Anabaptisten,
die ihre Wiedergeburt feiern? Etwa nicht? Übertönt hier etwa nicht wie
einst das wilde Geschrei einer kleinen, aber verderblichen Sekte? Ist
dies etwa nicht ein und dieselbe Welt? Fällt je etwas aus ihr heraus?
Und schleppen wir uns nicht, noch immer, mit dem Agens verflossener
Irrtümer, über welche sich dann immer die Nachwelt so erhaben fühlt, daß
sie ihr einen unerklärlichen Wahnsinn dünken? O, ich weiß sehr wohl, was
man über kurz oder lang von den Radau-Alldeutschen sagen wird, aber es
hindert gar nicht, daß sie heute die Unbesonnenen verwirren dürfen und
daß ihnen ein zu höchster Vervollkommnung berufenes Volk es verdankt,
daß es verkannt und ungeliebt ist wie nur eins. Und keines ist doch von
so weitem Flug, wenn auch keines so beschwert. Es ist das geistigste und
geistverlassenste, das potenziell höchste, das effektiv gefährdetste,
der Heimgarten aller Gegensätze, in welchem die blaue Blume tiefer
aufleuchtet, zugleich wilder überwuchert steht, als irgendwo. Mit
größerem Ernst als dieses überduldsame Volk hat keines die Parole von
der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, die seine stürmischeren
Brüder prägten, zu Taten aufgegriffen; keines war so getragen von dem
Gefühl, daß der eigene Niederschlag, die eigenen Verkommenen, das eigene
Gesindel, der eigene Pöbel . . . zugleich die eigene Schmach einer
Nation umfaßt; und schritt es da nicht schon gerade darauf aus, die
Armut aus seinem Bereiche zu verbannen und die Entwürdigung der
Niedrigen nicht mehr zu dulden? Auf eine Sanierung nach dieser Seite hin
so bedacht, daß es andere Dinge übersah, wo Anderer Augen geübteren
Blickes gar aufmerksam nach den Wetterzeichen schauten und sich
vorsahen, damit, wenn der gefürchtete Sturm sich entfesseln sollte
inmitten der Luft, die sie entzünden halfen, nicht _sie_ die
Inkriminierten, nicht auf _sie_ das Odium fallen, nicht sie: Feuer!
sondern: »_Wir_ sind es nicht gewesen!« rufen dürften.

Ich tadle sie darum nicht! Es ist nur recht zu wissen, was die Geste
wert ist, und man ist der Schlechtere nicht, weil man der Gerissenere
ist.

Doch um so bedeutsamer bleibt, daß kraft seiner stetig sich veredelnden
Arbeiterbevölkerung und eines Bauernstandes, der vielfach eine
Adelsklasse für sich bildet, das politisch unreifste Volk dennoch in
gewisser Hinsicht das demokratischste geworden war, denn wenn es auch
keinen König hingerichtet hat, so wäre es dafür gegen ein »East-End«
schon lange in Aufruhr. Es würde rebellieren, bevor es sich, wie das
herrische London, eine ganze Stadt organisierter Slums, organisierten
Verbrechertums, organisierter Elender -- british subjects auch sie -- an
die marmornen Flanken schmieden ließe; oder bevor es, wie das
schimmernde, ewig holdselige Paris so finster umgürtet stünde, daß
nachts die Apachen -- Franzosen auch sie -- Wölfen gleich das Innere der
Stadt wie ein feindliches Lager beschlichen. Denn _sein_ Wohlstand kam
den Enterbten weiter entgegen, in keinem Lande war die Armut so bedingt,
nirgends hatte sich der einzelne Handwerker so individualisiert, seine
Bildung so zu heben vermocht und so menschenwürdig gewohnt.

Und von einem solchen Volk hat eine kleine, allen vernünftigen Deutschen
höchst fatale Korporation ein seelenloses Plakat hinausgegeben, das nun
als typisch gilt, während es die Verneinung alles dessen begreift, was
deutsches Gemüt und deutscher Himmel ist. So haben diese plumpen
Parforce-Germanisierer sich vermessen, in Germaniens lauterem Angesicht
freche, fremde, widerliche Züge einzuzeichnen, die es bis zur
Unkenntlichkeit entstellen. An euren Früchten werde ich euch erkennen:
»Zehn eiserne Gebote« heißt eine alldeutsche Broschüre, die ganz nach
Art und Stil der Wiedertäufer, im Ton der Bibelparaphrase gehalten, ein
Exempel für künftige Psychiater herstellt: »Jene reden von Mitleid und
Schonung, ihr aber sollt eure Feinde vernichten! Krieger, werdet hart!«
lehrt sie, um dann in folgender Saturnalie auszuklingen:

»Wir lieben den Krieg . . .

Wir danken dem Krieg . . . usw.

Ach, wer vor Ausbruch dieses Krieges starb wie du, der ist ja noch mit
der Illusion gegangen, daß gewisse Ausbrüche außerhalb der Umzäunung
eines Narrenhauses nicht mehr möglich seien. Statt dessen fangen jetzt
schon Zahnärzte und Gouvernanten zu delirieren an, und dein Tapezierer
wurde über Nacht von dem Irrsinn angesteckt.

Wer sie doch komisch nehmen dürfte, diese Panslawisten, Pangermanisten,
Imperialisten, Nationalisten usw.! Alles Anabaptisten redivivi, die samt
und sonders auf ein Ziel losrennen, das längst hinter uns liegt.
Trostlos lächerliches Schauspiel! O der Toren, welche da wähnen,
christliche Nationen seien umzubringen als wie Phrygier oder Babylonier!
Und die es wagen, sich weiterhin Christen zu nennen, während sie doch
von dem Niederringen zwischen christlichen Nationen reden. Denn wie
verloren ist an ihnen, und wie unvorhanden, wie ausgeschlossen sind sie
von der Tat, welche die Zeitrechnung unseres Planeten in zwei Hälften
spaltete! Nicht einmal das eine, das einzige In-die-Augen-Springende,
was unsere Zeit vor der Antike voraus hat, nehmen sie wahr: daß der
Pulsschlag der Nationen ein anderer geworden ist; daß, wo solche früher
untergingen, sie sich heute wieder aufrichten, genesen, sich erneuern
können;[3] daß es in dem alten verjährten Sinn eine Dekadenz der Völker
gar nicht mehr gibt, und daß alles Unvernunft ist, was sie von Germanen
contra Romanen, Romanen contra Germanen hin und herüber rufen, daß die
Gefahr ganz anders heißt: Germanen _ohne_ Romanen, Romanen _ohne_
Germanen, weil ihnen außerhalb ihrer Gemeinschaft gleicherweise keine
aufsteigende Linie mehr bevorsteht, sondern sie gleicherweise von der
eigenen Erfüllung sich entfernen müssen.

Du weißt, wie ungehört ich diese künftige Binsenwahrheit seit elf Jahren
in die Welt hinausrufe: Deutschland vernichten hieße sich selbst
vernichten, denn mit ihm »fiele die Welt«. Es ist tausendfach wahr. Aber
nur an den gesunden Wesenselementen des »dekadenten« Frankreich wird das
»gesunde« Deutschland mit der gefährlichen und entstellenden Beule des
Radau-Alldeutschtums mitten in dem göttlichen Antlitz genesen.

[Fußnote 3: Burckhardts Worte aus seiner »Kultur der Renaissance«, die
ich schon so lange zitiere, sind nie so beherzigenswert gewesen: »Das
scheinbar kränkste Volk kann der Gesundheit nahe sein, und ein scheinbar
gesundes Volk kann einen mächtig entwickelten Todeskeim in sich bergen,
den erst die Gefahr an den Tag bringt.«]




                            Neunter Brief


Es ist nicht wie zu Anfang, da mir die Gefallenen so oft den besseren
Teil vorweg zu nehmen schienen. Die jetzt noch fallen, beklage ich. Wer
den Krieg bis hierher mit erlebte, fängt langsam an, den Kopf
aufzurichten, ob der Himmel sich noch auf keiner Seite lichtet. Schon
ringt er um eine Richtschnur inmitten des Wirrsals, abseits von jenen,
die noch hin- und herrennen mit dem Geschrei, wer ihn entfesselte. Auch
ein heraufziehendes Gewitter ist bis zuletzt etwas Ungewisses. Der Wind
kann die Wolken auseinandertreiben; das Gewitter kann vorüberziehen.
Doch bricht es los, so darf mit Fug behauptet werden, daß es kommen
_mußte_, und ebenso wird es nicht einen, sondern viele Gründe dafür
geben, daß es sich entlud. Und ebenso, denke ich mir, werden für die
Nachwelt die Urheber dieses Krieges vor dessen vielverzweigten Ursachen
zurücktreten, und diese wiederum werden weiter zurück reichen als
Cromwell und der Dreißigjährige Krieg, Peter der Große und die Borgias.
Und seinen unzähligen Ursachen entsprechen unzählige Gesichtspunkte. Von
diesem Gesichtspunkte aus gesehen war er eminent vermeidlich, von jenem
unvermeidlich; betrachtet ihn von dieser Wolke aus, und er war ach! so
vermeidlich! noch höher, und er mußte sich noch einmal (zum letzten
Mal!) unweigerlich ergeben.

Denn alle Biologie in Ehren: aber diejenigen (und sie sind noch
zahlreich), welche da wirklich vermeinen, solche Kriege, die nur deshalb
einen solchen Haß auslösen, weil sie Bruderkriege geworden sind, solche
Kriege seien an sich etwas zu Bejahendes, fernerhin Notwendiges, und die
Zustände, das Chaos, das sie schaffen, die seien in der Ordnung, eine
Institution gleichsam, die ihre Richtigkeit habe und in der Natur der
Dinge liege wie ein Erdbeben oder ein Orkan, die Völker selbst hiermit
nur dem blinden Element oder der reißenden Tierwelt vergleichbar, die
willenlos ist -- diese Leute sollten, falls sie weiterhin in der Welt
entscheiden dürfen, doch wenigstens so viel Logik aufbringen, daß sie
das Straßburger Münster wie den Kölner Dom, St. Pauls Cathedral wie die
Peterskirche als vollkommen lächerliche Objekte proklamieren und dem
Schicksal der Kathedrale von Reims überweisen, das Wort Christentum aber
als das einzig wahre Fremdwort ausmerzen, oder wenigstens sollten sie
eine Doktrin, von welcher nicht die allerleiseste Notiz genommen wird,
nicht mit so fluchwürdiger Stirn der Form nach noch aufrecht halten, daß
sie gar noch in den Gerichtsstuben mit ihren Sinnbildern hantieren und
auf das schwören lassen, worauf sie doch im vollsten Sinne des Wortes
_pfeifen_.

Doch, was sage ich? Sind nicht unter eben diesen Zeichen die wüstesten
Greuel in der Welt entbrannt? Und hat nicht eine Wahrheit zu um so
widerlicheren Auswüchsen geführt, je erhabener sie war? Was Wunder, daß
in einer Christenheit, in welcher die Inquisition möglich war, dieser
Krieg sich noch ereignete! Denn ist dies nicht ein und dieselbe Welt?
Fällt je etwas aus ihr heraus? Ja, wir bedachten es nicht!

Jetzt aber kann man der Verwundeten und der Gefangenen nicht denken,
ohne daß sich das Mitgefühl auch jenen Vereinzelten zuwendet, deren es
heute in allen Ländern gibt, die von dem Strom der Gedankenlosigkeit,
der alles umwarf, nicht fortgerissen wurden, sondern von ihrer
brennenden Erkenntnis, wie in Einzelhaft verwiesen, allein und
abgetrennt, ihn überragen.

Man schreibt gewiß nicht ohne innere Pein Sätze nieder, wie ich sie
heute in der »Fackel« finde: »Der kriegerische Zustand scheint den
geistigen auf das Niveau der Kinderstube herabzudrücken«. Aber nicht
länger bin ich der Meinung des Verfassers (was nicht geschieht, um ihm
entgegenzukommen, der ein paar Seiten weiter die Äußerung zu Drucke
bringt: »Eine Frau soll nicht einmal meiner Meinung sein, geschweige
denn ihrer«), nicht länger teile ich seine Meinung, wenn er auf die
Frage, die er aufwirft: »Was kann durch den Weltkrieg entschieden
werden?« sich selbst zur Antwort gibt: »Nicht mehr, als daß das
Christentum zu schwach war, es zu verhindern.« Ja, ich maße mir die
Meinung an, daß er da wirklich mit einer unzureichenden Leuchte an das
Problem herantritt. Das Christentum war nicht zu schwach, sondern zu
stark, und die Menschheit evoluiert derart langsam und in so verzweifelt
weiten Kurven um dies Gestirn, daß ihr sich trotzdem vollziehender
Aufschwung, vollends zur Stunde einer Sonnenfinsternis wie der heutigen,
dem freien Auge sich völlig entziehen muß. Aber der Gewalt des
Christentums tut die menschliche Hinfälligkeit keinen Abbruch; ja
unerbittlicher könnte es nicht wider uns triumphieren, dafür, daß wir
statt seiner eine irländische, eine polnische, eine elsaß-lothringische
Frage als unerschütterliche Pfeiler setzten und _deren_ Last -- wäre
auch im Vergleich zu ihr jedes Joch süß und jede Bürde leicht --
folgerichtig auf uns nahmen, als seien _sie_, die doch im Lauf der
Jahrzehnte zerrinnen und verwehen werden wie nie Gewesenes, der Dinge
Letztes und Endgültiges!

Überlegter ist es, durch das Alberne so wenig wie durch das
Abgeschmackte irre zu werden, ja selbst durch das Ekle und das
Scheußliche nicht, das giftigen Schwämmen gleich den Katholizismus
überwuchs, sich an ihm festfraß und tief unter sich begrub, sondern an
dessen goldenem Befund festzuhalten, in weiten Kunstbögen der Berührung
mit all seinen unberufenen Vertretern bedachtsam auszuweichen, um in der
Vermutung nicht gestört zu werden, daß, wo _einmal_ dieser viel
mißbrauchte Kult zu seinem adäquaten Ausdruck gelangt, eine Höhe des
Daseins sich ergibt, die alles andere weit unter sich läßt, _solche_
Erkorene aber entsprechend seltener noch wie in der Kunst vorkommen,
weil sie weiter Abgelegenes umspannen und wieder zum Ausgleich bringen
müssen, daß, wo _diese_ Wage aber stillhält, die Würde des Gedankens
nicht nur unbeschadet bleibt, sondern unsagbare Schwingungen erfährt.
Nicht länger von dem Wörtlichen, dem Absurden, noch dem Betbrüderischen
genarrt, vielmehr auf das in Platons Sinne Ballförmige erpicht, vielmehr
dem Versteckten, Verschleierten auflauernd, dringt ein solches Denken
triumphierend zum Profanen vor und vindiziert es hinzu. Nun erst dem
Verhaltenen, Entzogenen, dem Eingeraupten, in Perspektiven
Fortgetragenen und Flüchtigen auf der Spur, tut sich ihm dort das ewig
Mutierende, Ebbe und Flut, der Ozean, das Planetare auf, wo andere, von
der Enge abgestoßen, verzagen und verzichten. --

Daß heute, wo die Welt wie nie zuvor zu einem Jammertal versank, daß
sich ihr da zum ersten Male die Umrisse der Gestalt des Hirten
vollgültig umschrieben, ist diese Tatsache keiner Deutung wert? Nicht
Feind vom Feinde, nicht ihre Konfessionen scheidend, ist Impartialität,
die hoch und einsam über die gebeugten Völker ragt, bei ihm allein. Ist
dies kein Innehalten wert? Die wahre Fahne, die alle umwallt, entrollte
nur er. Und wer, Jud oder Heide, spottet heute dieses Hirten ohne Herde
und dennoch Hirten, wie nie zuvor; nie zuvor so gebieterischen und so
weithin deutlichen Reliefs, von der Wahrheit selbst gleichsam
emporgehalten und hinausgestellt, aus der Ohnmacht erst geschaffen, wie
es scheint . . .

Oder soll ich es in Währungen ausdrücken, da _sie_ es doch sind, welche
diese Zeit in ihre Bahnen warfen? Nun, wie zwei Münzen, für was sie
gelten und nur auf ihren Klang hin und ohne Kommentar werfe ich sie hin:
Wilson und Benedikt. Denn wer hörte nicht von selbst die schwere,
gewaltige vor der hohlen und hinfälligen heraus? Wen erschreckte da
nicht der Unterschied? Sogar Amerikaner. So viel Phantasie haben sogar
sie.

Überhaupt -- um von den Männern zu reden -- meine ich, daß gegenwärtig
kein Grund vorliegt zu ihrer Überhebung. Ich bin nie eine
Frauenrechtlerin gewesen und dieser Bewegung gegenüber stets passiv
geblieben; aber ich muß schon sagen: daß nach vielen Dezennien eines
ausschließlichen Männerregiments ein derartig vollendeter Wirrwarr
zutage gefördert wurde, gibt doch zu denken. Man möchte da wirklich
meinen, daß, wenn die Damen (ich nenne keine beliebigen, sondern solche,
die sich schon erprobten, die es wirklich gegeben hat, die mithin
irgendwie weiter vorhanden sind), wenn Damen vom Schlage der Markgräfin
von Bayreuth, Maria Theresia, Katharina II. und die von Siena, Julie de
Lespinasse und auch die alte Queen, daß, wenn solche Frauen mehr im
Vordergrunde gestanden hätten, statt ausgeschaltet zu sein, mit zu
bestimmen, statt zu schweigen gehabt hätten, daß dann . . . -- es läßt
sich nichts beweisen.

Fest steht nur, daß die Dinge, wie sie _ohne_ ihr Zutun und in dem
selbstherrlichen Männerstaat erwuchsen, _unmöglich_ noch ärger oder noch
verfahrener sein könnten, und daß bei einem solchen Ergebnis ihrer
Regiekunst, wie wir es heute erleben müssen, die abgeworfene
Bescheidenheit wieder in ihre Rechte treten könnte. Man dürfte, meine
ich, sich sogar darauf besinnen, daß die Frauen, wo immer sie zur
Herrscherrolle gelangten, schon von der alten Dido her sich fast immer
glänzend bewährten und große Regentinnen waren, sei es, weil das
Regieren gar nicht so schwer ist, oder, da es erwiesenermaßen so
außerordentlich schwer ist, weil sie vielleicht zu regieren berufen
sind, weil dies vielleicht sogar ihre Spezialität sein kann. Es gefällt
mir an den Engländern, daß sie, einem Impuls der Selbsteinkehr folgend,
mitten in die politische Débâcle hinein, als die ersten zur Berufung des
ersten weiblichen Diplomaten sich entschlossen haben.

Bei uns dagegen heißt es jetzt, die Unpolitischen müßten politisiert
werden, aber dieser Ruf, so berechtigt er ist, ergeht so spät, daß auch
schon die Stunde für eine Selbsteinkehr der Politik selbst geschlagen
hat. Denn was diese noch nicht wahrhaben wollte, war längst in das
Bewußtsein der Völker eingedrungen. Ein Beweis dafür sind gerade jene
jüngsten Völker, die in letzter Stunde auf den Schauplatz der
europäischen Geschichte traten. Rakowsky, der große Vorkämpfer für einen
Balkanbund, erblickte die Gewähr für eine nationale Befreiung und
Vereinigung bei den Balkan_völkern_ und nicht bei den Balkan_staaten_ --
und zehn Jahre später, 1874, schrieb Karawelow: »Die Hauptursache der
bisherigen Sklaverei ist die, daß die christlichen Nationen auf der
Balkanhalbinsel, sowie alle andern Völker und Nationen betrogen sind,
weil sie Hilfe, Unterstützung und Heil von den europäischen Kabinetten
erwarteten, und am meisten von Rußland« und Botjow: »Wenn die Regierung
eines jeden Volkes der Ausdruck seines eigenen Willens und seiner
Bestrebungen gewesen wäre, so hätten selbstverständlich Serbien,
Griechenland und Rumänien, sowie Montenegro längst ihre Staatsgrenzen
überschritten und den Bulgaren geholfen -- aber, wie es scheint, haben
die Regierungen dieser Staaten sich bisher mit nichts anderem befaßt,
als mit der Nachahmung der klugen Devise eines Metternich: Divide er
impera!« Und sich gleicherweise gegen den Panhellenismus Griechenlands
wie gegen die großserbischen Ideen wendend klagt er diese Staaten an,
daß sie der Idee eines brüderlichen freien südslawischen Bundes entgegen
seien.

Die Neulinge, die das schrieben, nannte man Revolutionäre. Und warum
wollten sie das Unmögliche? Gewiß nicht, weil es unmöglich war, sondern
weil die Großmächte ihr Prestige von so rationellen Bewegungen mit Recht
bedroht sahen, sie also niederhielten und, ihren vorchristlichen Kurs
beibehaltend, das Dogma von einem Balkanwetterwinkel aufstellten und die
Völker mit weiser Miene dahin steuerten, wo sie heute angelangt sind.

Sie waren ja, diese Völker, wo sie nur konnten, vor Ausbruch dieses
Krieges zueinander unterwegs: Die Deutschen nach der Provence, die
Französinnen mit Kisten und Schachteln nach München und Bayreuth, Autos,
überfüllte Sleepings, Wanderer, wohin man sah, und statt der Salons, ich
sagte es schon, hatten die Bahnhöfe ihre »Habitués«. Wer ein Haus besaß,
war von dem einen Wunsch beseelt, es wieder los zu werden, und nur unter
den Politikern und Kapitalisten gab es noch einen Ausschuß, der es für
dringend geboten hielt, daß Europa zu einem Spital zusammenbreche; sonst
war schon das größte Zueinander im Schwung: ein ewiges Kommen und Gehen;
kein Verweilen; nirgends; bei niemand.

_Und mit Recht_.

Herr Borchardt mit seiner, von allen Registern geschwellten, und doch so
weit ab von der Wahrheit hinorgelnden Rede, besinne sich doch: er traf
das Rechte nicht. O Gedanken! seid ihr denn von der Welt entflohen, seit
die schimmernden Zeppeline Bomben statt Passagiere durch die Lüfte
fahren. Ach! laßt mich reden! laßt mir meine Narrenfreiheit! Ich sage ja
nichts anderes, als was unsere Kindeskinder sagen werden. Mögen wir
alle, die heute leben, zu Staub darüber werden, ehe es sich erfüllt,
_wahr_ bleibt es doch, daß die Völker, bevor sie jäh und gewaltsam auf
sich selbst zurückgewiesen wurden, den Plan schon beschritten hatten,
von wo aus ihre Wege verschlungen ausliefen und das Tal der Menschheit
geweitet stand. Wie der Fluß, der als Quelle der Höhe entstürzt und dann
sich über Blöcke und Fälle quält und durch finstere Schächte ängstet,
bis er ans Licht und breiten Laufes strahlend dem Meer entgegenströmt,
wie er da wohl zu außerordentlicher Höhe sich türmen würde, wenn er vor
seiner Mündung gewaltsam in sein enges Bett zurückgedrängt, die alten
Ufer wieder aufwärtstreiben müßte, ebenso werden die Völker, die jäh und
gewaltsam auf die schon verlassene Enge zurückfluten, gewiß
leidenschaftlich große Taten verrichten; aber neue Gestade sehen sie
nicht, und um ihre Bestimmung sind sie betrogen.

Aber wer denkt noch daran? Wie bezeichnend ist es, daß fast alle, die
geistig zu dem Kriege Stellung zu nehmen versuchten, unweigerlich
versagten,[4] und daß nur das Wort von der »Ohnmacht der Gedanken« ins
Schwarze traf. Die Gleichförmigkeit, mit welcher die Kriegführenden das
Ritornell von dem aufgezwungenen Krieg absingen, ist nicht mehr
anzuhören. Sogar Italien stolperte nachträglich mit demselben Notenblatt
herzu. Es ist das einzig Gemeinsame zwischen ihnen geworden.
Entschlössen sie sich doch, gleicherweise Stellung zu nehmen wider die
eigenen Besessenen, die hinter der Zeit einherlaufen, Gewesenes aus der
Taufe heben möchten und durch ihre Verblendung die verruchte Falle
stellen halfen, welche gleicherweise die Völker in diesen rückständigen
Krieg hineinlockte!

[Fußnote 4: Wie kann ein Philosoph sein Buch »Genius des Krieges«
nennen? Unwillkürlich empfindet man auch einen Titel wie »Gedanken im
Kriege« als ungedanklich. Thomas Manns Parallele zwischen Friedrich dem
Großen und dem heutigen Deutschland ist besten Falles ein scharfsinniger
Einfall, aber es ist kein Gedanke. Gedanken sind aus diesem Kriege
überhaupt nicht zu holen. Es fragt sich da nur, wessen Gedanklichkeit
einem so elementaren und blinden Wirbelsturm widerstand. Eine andere
Probe auf ein solches Exempel gibt es nicht.]

Seltsam! Inmitten des Jammers um die hingemordeten, die vermißten, die
ungeborgenen, die ewig um ihre Jugend betrogenen Söhne, in einer von
Rachegefühlen unterminierten Welt stehen überall nur die Schuldigen
unbedroht. Es ginge nicht an, sie zu einem Reigen zusammenzutreiben,
einem Reigen, den Kitchener wohl am schicklichsten eröffnen würde. Denn
mit seiner, unseres Zeitalters so vollkommen unwürdigen Initiative der
Konzentrationslager hat er einen schmachvollen Zustand geschaffen,
namenlose Leiden unschuldiger Menschen inszeniert, und er ist es,
welcher durch die Preisgabe und Verfolgung der Wehrlosen den niedrigen
Instinkten des Pöbels am meisten entgegenkam. Jedes Volk hält ja in
Friedenszeiten die Spalten seiner Zeitungen für die Aufzählung der
eigenen Greueltaten und Verbrechen offen. Mein Gedächtnis ist nicht so
kurz. Auch der Geschichte bleibe ich eingedenk, und deshalb auch der
Tatsache, daß Kitchener einen Pöbel aufreizte, für den gerade in
_seinem_ Lande die Prinzessin von Lamballe und der kleine Ludwig XVII.
so unvergeßlich sind.

Warum tauscht man nur Verwundete, keine Verantwortlichen aus? . . .
Welch törichter Vorschlag! Warum so töricht? Weil er unausführbar ist.
Sehe ich denn das nicht ein? Aber mit allen Anzeichen des Blödsinns
beharre ich auf meiner Frage: Warum ist es nicht möglich? Was ist dann
möglich? Nur das Unmögliche ist also möglich: daß dieser glückliche
Erdteil sich auftat zu einem Sumpf von Blut und Wunden, der das Gemüt
immer tiefer hinabzieht. Nein, ich verstehe diese Welt nicht mehr!




                            Zehnter Brief


Man muß es schon einmal sagen: denn darüber wird eines Tages kein
Zweifel sein, daß in dieser Zeit nur _einer_ das Recht auf seiner Seite
hatte, und das ist der parteilose und unparteiische Papst; die
Neutralen, die sich heute gerne besser dünken, keinesfalls; aber auch
die Streitenden nicht; mögen sie sich noch so vortrefflich halten: der
_über_ dem Streit Stehende überragt sie doch weit, und _vorbildlich_ ist
nur er.

Dieser Vorbildlichkeit wegen halte ich auch stets die Erinnerung an
einige Episoden fest, die ich alle mit Namen versehen und beschwören
könnte.

Zum ersten: in London. Seit 1904 fuhr ich ziemlich regelmäßig hinüber.
Die Phasen der Feindseligkeit während dieser Zeit waren mir sehr
persönlich fühlbar geworden, ebenso deutlich der zuletzt einsetzende
Umschwung. So populär endlich wie im Frühsommer 1914 -- die Geschichte
wird es bezeugen -- waren die Deutschen seit einem Menschenalter nicht
gewesen; ja, sie standen im Begriff, London im Sturme zu erobern. Ein
Deutscher, mochte er auch zu Hause als ein ziemlicher Pinsel gelten,
hier genoß er a priori, lediglich weil er Deutscher war, Anspruch auf
Gedankentiefe und Geist. So weit war man schon.

Die wertvollste Orientierung über die öffentliche Lage erstattete
jederzeit Lady C . . . . Ich kannte sie nicht, aber es genügte, ihr von
weitem zuzusehen. Stets in das allerletzte Fahrwasser getaucht, zeigte
niemand besser die Temperatur der elften Stunde an, ob dies nun die
letzte Geschmacksrichtung in der Musik, der Literatur oder der Mode oder
aber, vor allem anderen, die letzte politische Strömung betraf. Niemand
trieb so leidenschaftlich mit ihr empor und war alsbald so ganz von ihr
erfaßt.

Am Vorabend meiner Abreise saß ich im Salon meiner Freundin und
erwartete mit ihr Lady C . . . . Sie hatte ihren Besuch angekündigt und
erschien noch vor Mitternacht, von Juwelen überfunkelt, das gelbe Haar
von Diamanten übersprüht, Wurf und Farbe ihres Kleides voranleuchtend
und noch nicht dagewesen. Ihre schnellen Blicke, während sie sprach,
bedeuteten mir ohne Vorbehalt, daß sie aus Neugierde gekommen war, und
zwar wegen mir. Es gab kein Thema, das sie da nicht heranzog, nichts,
worüber sie nicht meine Meinung, mein Urteil als ausschlaggebenden
Faktor -- denn ich war ja deutsch -- zu wissen begehrte. Und was rief
sie da nicht, bevor sie, schneller als sie gekommen, wieder entschwirrte
und ihr Auto durch die stillgewordene Grosvenorstreet der fünften oder
sechsten »party« des Abends entgegensurrte: »Give me the Germans!« rief
sie hingerissen. »They are the first people in the world.«

Und da ich mir noch immer in der Ferne, und wenn ich mich eine Weile
räumlich von den Germans geschieden hatte, diese Meinung über sie
zurückerwarb, stimmte ich ihr rückhaltlos bei.

Diese ihre letzten Worte waren es auch, welchen ich folgenden Tages
gerne nachhing, während vor mir Ahnungslosen die englische Küste immer
weiter zurücktrat. Schafwölkchen weideten am Himmel, und ich sah
zufrieden zu ihnen auf. Denn Gott sei Dank! man war endlich vernünftig
geworden und die Gefahr war überstanden. Ich teilte meine frohen
Wahrnehmungen einem Engländer mit, den ich an Deck des Schiffes traf und
der mit den Politikern seines Landes aufs engste verquickt und
verschwägert war. Krieg, sagte ich, gibt es keinen mehr. Aber er
schüttelte den Kopf: »Sie lassen sich täuschen. Ich sehe nirgends
Anzeichen dafür, daß man ihn vermeiden wird.«

Noch waren sich aber die wenigsten Leute bewußt, daß es ein Serajewo auf
der Karte gab.

Fünf Wochen später: München. Bei einem namhaften russischen Maler lebte
dessen originelle, wenn auch unzuverlässige und unkultivierbare
Schwester. Eines Tages verkrachte sie sich mit ihm, und da es ihr an
allen Mitteln, um allein weiter zu existieren, gebrach, erklärten sich
ihre bisherigen Bekannten als ihre Kundschaft, und indem sie sozusagen
eine Privatschneiderin wurde, fuhr sie fort, gesellschaftlich mit ihnen
zu verkehren. Alles ging zum besten, bis es Sommer wurde und ihre
ausstaffierten Freundinnen die Stadt verließen. Nunmehr saß die auf
Vorzugsbehandlung gestellte Amateurnäherin allein und kümmerlich in
ihrem Zimmer. Diesen längst vorausgesehenen Moment nahm ich wahr, um
endlich auch meinerseits etwas zu bestellen.

Als ich zur Anprobe kam, war sie nicht zu Hause, erschien aber gleich
darauf hochgemut und federngeschmückt direttissimo von einem
Mittagsschmaus bei einem alten russischen Grafen. Sie legte, seitdem sie
schneiderte, ganz besonderen Wert darauf, auch weiterhin von ihrer
Gesandtschaft eingeladen zu werden, und der alte Graf tat ihr immer den
Gefallen. Der Stab war diesmal sogar vollzählig erschienen, sie hatte
als einzige Dame den obersten Platz behauptet; so gut hatte sie es nicht
alle Tage; zerstreut, doch um so mitteilsamer steckte sie die Falten
meines Mantels zurecht, und wie ich jetzt bemerkte, hatte sie »le vin
bavard«. »Ah! il faut une guerre!« rief sie plötzlich aus . . . »Oh pas
maintenant: en 1915« (und berief sich auf ihren Gewährsattaché) »il le
faut . . . Les Allemands sont devenus trop arrogants.«

»Vous vous trouvez bien chez eux.«

Kurz zuvor saß ich im Lesesaal eines Pariser Hotels. Ich sehe die
Zeitung durch; doch von Übelkeit und Verzweiflung überwältigt, werfe ich
sie wieder hin und stürze in mein Zimmer hinauf. Es blickt auf den Fluß.
Allein die weite und geliebte Stadt wird mir zur fürchterlichen Enge.
Wohin soll dieser Ton, dieses Geschrei, sollen diese höhnischen Ausfälle
und Drohungen, soll dieser unheilbare, unbelehrbare, planmäßige
Deutschenhaß, wohin soll er führen?

Warum, da er nun gekommen ist, dieser Krieg, den _überall_ noch zu viele
wollten, warum wollen sie ihn _plötzlich_ alle nicht gewollt haben und
wälzen die Verantwortung für diese ungeheuere Tragödie der Mitschuldigen
einander auf?

Weil sie recht hatte, die mutige Frau von Suttner, die vielverlachte
Friedensberta, mit ihrer Behauptung, daß die erste Zwangsfolge des
Krieges die Lüge sei!

Mein Gott, wie sehnlich wünschte ich, daß wir, uns selber treu, den
anderen Völkern mit der Initiative vorangingen, den inneren
todbringenden Feind zu stellen. Vielleicht warten sie in England nur
darauf, um zuzugeben, daß bei ihnen jener Militarismus, dem sie bei uns
den Garaus machen wollen, in Lord Kitchener, auf den sie doch so stolz
sind, in seinem subalternsten Glanze erstrahlt; und daß jener
Imperialismus, den sie, wo er als Pangermanismus auftritt, so namenlos
verabscheuen, in Churchill, von dem sie sich doch regieren ließen,
seinen typisch großmäuligen Vertreter fand. Gut also. Lassen wir fürs
erste die Imperialisten aus dem Spiel. Machen wir versuchsweise nur
gegen unsere Alldeutschen Front.

»Die Franzosen neigen zur Suffisance. Sie haben stets etwas von Kindern.
Wir nie. Aber das Ominöse und Charakteristische bei gewissen
Alldeutschen ist, daß sich die Arroganz bei ihnen an Stelle der
Besonnenheit behauptet und da Türen zuschlägt, wo sonst Gedanken wären.«
Von mir im Jahre 1904 geschrieben, sogar gedruckt, aber natürlich
ignoriert: »Denn in keinem Lande ist es so unmöglich, sich Gehör zu
verschaffen, wenn man nicht in Amt und Würden schon ergraute, wie bei
uns. Nur Dichtern, Schauspielern und Tänzern ist bei uns Jugend
bewilligt.« Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich schon wieder
selbst zitiere. Hatte ich aber nicht recht, wenn mir damals schon vor
jenen Leuten bangte, über die wir innerhalb des Reiches leichtsinnig die
Achsel zuckten, während man draußen nur allzu gespannt den paar
Schreiern, wie wir sie verächtlich nannten, aufhorchte, die so lange an
der Höllenpforte rütteln halfen und, wo sie einzurosten drohte, sie
wieder ölten, bis sie sich von selbst in ihren Angeln drehte. Ja, aus
meinem Deutschtum heraus hasse ich sie, diese Schädlinge, wie jene
Raupen, die in ihrer mörderischen Geschäftigkeit die Farbe des Laubes
annehmen, das sie zerfressen, und sich nicht unterscheiden lassen von
der königlichen Eiche, deren Tod sie bereiten. Denn ihnen danken wir es
heute, daß eine verblendete Welt mit einer Herzenskälte ohnegleichen den
beispiellosen Kampf mit ansieht, den ein verkanntes Volk bestehen muß,
nur dem Griechenvolk hierin vergleichbar, ja es noch überbietend.

Jene humorlose Gilde aber, welche, den Räuberhut in die Stirne gedrückt
und den Brigantenmantel über die Schulter geschlagen, so fürchterlich
verspätet in der Geschichte aufzog, schiebt sich heute Bismarck als
Gewährsmann unter: ihn, dem sie schon _fatal_ gewesen sind, als sie noch
in ihren Anfängen steckten, weil er wohl ahnen mochte, wie sie sich
auswachsen würden. Oder wird mir ein Kenner Bismarcks entgegnen, daß die
Art, mit welchem der und jener seine eine ewig selbe Geste des
Handschuhhinwerfens meistert, nach Sinn, Art und Geschmack des
schmiegsamsten aller Staatsmänner sei? Würde sich der Gründer des
Deutschen Reiches heute von den Alldeutschen nicht vielmehr boykottiert,
ja, verdächtigt sehen, er, welcher nach dem Sieg von 1870 Lothringen
Frankreich zu lassen riet und mit so feierlichen Worten die
Verantwortung für diesen Krieg jenen aufbürdete, die damals diesen
seinen Rat mißachteten?




                             Elfter Brief


Es stellt sich doch jedesmal als eine Illusion heraus, wenn man das
Patent auf einen Gedanken oder einen Einfall zu haben glaubte. Was uns
durch den Sinn fährt, hängt schon so sehr in der Luft, daß immer schon
ein paar Leute zuvor darauf verfielen.

Der Frühling umhing noch nicht dies welkgewordene Laub, als ich über die
Grenze fuhr, froh zu einem unbelagerten Himmel aufzusehen. Denn in den
kriegführenden Ländern ist wirklich wie ein Netz über uns ausgespannt,
das uns die Sonne und die Luft vergittert.

Doch keiner verlasse seine Heimat, der sich von seinem einseitigen
Standpunkt als wie von einem Schilderhäuschen nach drei Seiten hin
beschützen ließ. Die fremde Presse darf seiner Bangigkeit nichts
hinzufügen: er darf nichts entdecken. Nur der Undüpierte wage den
Anstieg. Wen es schon gleich zu Anfang umblies, der hüte sich, daß er
ein anderes Mal nicht vornüber stürze und sich die Hirnschale
einschlage.

Da meine Trauer überall dieselbe ist, durfte ich es riskieren, daß ich
die Schweiz nach allen Richtungen befuhr. Ostern, der erste Frühlingstag
war gekommen. Sein sanft geschwellter Hauch erhob sich über Genf, und
der entschleierte Berg leuchtete wissend und bleich am Ende des Tales.
Ich hielt eine Blume, eine frühe, duftende, vom besonnten Hügel
Champels, und stand über die Brücke gebeugt, vor mir die Spiegelung des
Sees. Aber wir, die noch in Sonne, Wind und Regen über der Erde
wandelten, waren ja nur Leidtragende mehr, jede Wiederkehr des Frühlings
würde sich uns auftun wie mit Grabesschwärze; wir blieben die gepreßten
und umflorten Zeugen seines Überschwangs und seiner Glorie, die für uns
durchsetzt blieb von Klängen des Grams um die gemordete Hoffnung. Ostern
nur ein Allerseelen mehr für uns, die wir um das veränderte und
zerklüftete Antlitz dieses Erdteils wissen, der zum weiten Todesacker
verwandelt, so übervölkert ist von den Schatten der Geopferten, o, und
von dem Spuk namenloser Qualen so untröstlich umweht! Der Frühling.
Fürwahr! Auf Jahrzehnte hin griff ich da seiner Wiederkehr allzu
verwegen zuvor, und vor dem Ansturm von Melancholie rettete sich das
Bewußtsein nicht.

Gewiß ist ja das Leben um so _Vieles_ trennender als wie der Tod, daß er
geradezu den Prüfstein der wahren Zusammengehörigkeiten bildet, welche
das krause Leben mit solcher Vorliebe verdrängt. Käme ein Marsbewohner,
vor seiner Fremdheit bangte uns nicht. Warum dies Grauen vor dem so nah
verwandten Geisterreich? Von ihm befleckt, wie die Wellen von der
besonnten Luft, verrinnen doch unsere Tage. Und doch, wo immer wir dem
Lockruf, den es entsendet, zu innig lauschen, entsetzen wir uns; wovor?

Als ich wieder emporsah, waren die Ufer und der Himmel entschwunden, und
Laternenschein herrschte im Dunkel der angebrochenen Nacht. Vor den
flimmernden Schaufenstern gingen Menschen aufrechten Ganges hin und her;
eine Buchhandlung lag hart am erleuchteten Quai. Ich eilte auf sie zu,
mischte mich unter die Kunden, griff nach den Büchern und blätterte
darin. Aber mit welcher Öde, mein Gott! faßte ihre Wirklichkeit an: »Der
Krieg, La guerre, La guerra, The war!« wußte man nicht im voraus, was
sie widereinander brachten?

Ein einziges trug noch die Jahrzahl 1914 und stammte aus der
unwiederbringlich verlorenen, der großen paradiesischen Zeit. Es hieß:
»L'Enigme Allemande« von Georges Bourdon, und ich stieß da gleich auf
folgenden Satz:

»Si demain, dans une crise de criminel délire nos deux peuples se
heurtaient, ce n'est pas en Allemagne seulement qu'il en faudrait
chercher les raisons profondes et les responsabilités.«

Dieses Buch kaufte ich alsbald und verschlang es noch in derselben
Nacht.

»Détestons d'abord,« las ich da, »ces hommes redoutables qui dans leurs
mains ingénues et avides portent la menace d'affreux malheurs; ensuite
plaignons-les. Plaignons-les d'être à ce point fermés à tous les vastes
espoirs qui composent la noblesse de l'homme . . . Tristes et coléreux
pangermanistes, frères irrités et injustes de tous les déclamateurs
coléreux et tristes, dont les fureurs en toutes les langues, répondent
aux nôtres, que vous avez bien tort de tenir pour vos ennemis;
pangermanistes de la Sprée et du Main, qui pardessus les frontières
recevez le souffle fraternel du _panslavisme russe_, de _l'irredentisme
italien_, de _l'impérialisme anglais_, du _nationalisme français_, que
voulez vous? . . .

Les Allemands se rient du pangermaniste. A ses extravagances ils
haussent les épaules. Ils le trouvent comique et s'esclaflent à la
nouvelle, que les Français puissent lui accorder crédit. Si comique et
si haissable que soit le pangermaniste, les Français n'ont pas
tout-à-fait tort de prêter l'oreille à ses vociférations. Le
pangermaniste a sur la molle opinion allemande la sorte d'action que
possède toujours dans l'indécision des foules, l'homme qui s'agite, qui
crie, qui fouette, qui infatigablement, répète les mêmes appels,
infatigablement va éveiller au fond des âmes incertaines et troubles les
égoismes, les instincts, les passions, les appétits, les vanités, les
fanatismes, les barbaries . . . c'est un parti de furieux, où
s'exaltent, comme dans l'ardeur d'un creuset, tout l'égoisme, tout
l'orgueil, toute l'âpreté, toute la cupidité d'un peuple qui, longtemps
malheureux et pauvre, ne s'est pas encore habitué à sa force, à sa
grandeur, à une richesse trop neuve. Toute l'Allemagne laborieuse et
raisonnable le renie; mais pourquoi faut-il qu'elle mette dans son
reniement des intermittences, et qu'en certains jours il lui arrive de
le reconnaître, de parler son langage? . . . Patrie de Luther, n'est ce
donc pas dans sa langue, que le rude réformateur, ayant dépouillé la
robe augustine, terrassé le pape et controversé avec le diable,
s'écriait: »L'humaine raison est quelque chose de surnaturel, un soleil
et une divinité placés dans notre existence pour tout dominer?« . . .

Da stand es ja längst und ich hatte geglaubt, dir etwas Neues
geschrieben zu haben.




                            Zwölfter Brief


Leute wie du und deines Schlages sind wohl quitt mit dieser Welt -- so
denke ich mir -- hat doch unser bester Ausschuß nur mehr bedingt mit ihr
zu schaffen. Das Verwirrende auf Erden ist nur die gemeinsame Benennung,
wo so Grundverschiedenes sich ein und derselben Gattung unterschieben
darf: Kobolde, Larven, Trolle und Lemuren, Halb- und Viertelmenschen,
Vampyre, Schemen, Puppen und Wechselbälge, die alle unter demselben
Namen gehen wie der wirkliche Mensch und unfehlbar Unglück und
Verwirrung stiften werden, weil die Finsternis ihrer Halbheit oder ihrer
Unvernunft sich stets als das stärkere Element in der Familie wie im
Staate erweist. Im Staat wie in der Familie.

Warum sage ich das?

Ja, glaubt man etwa an diesem rückständigen Krieg hätten noch unsere
_Menschen teil_? Glaubt man, _sie_ wären so wenig guten Willens gewesen,
daß sie sich nicht kinderleicht verständigt hätten? O kinderleicht!
Kinderleicht. -- Aber nicht so die Ab- und Unterarten, all die vom rein
Menschlichen so unheimlich weit abgerückten Halb- und Viertelsleute, an
denen sich jene ganz spezifischen nationalen Auswüchse und nationalen
Unzulänglichkeiten kristallisieren, welche die führendsten Völker,
soferne man sie _nur_ unter dem Gesichtspunkt ihrer Mängel betrachtet,
höchst wert erscheinen lassen, daß sie zugrunde gehen. Nur da liegt aber
die wahre Lehre dieses Krieges, nur da die wahre Sicherung gegen seine
Wiederkehr, daß für die Tage des aufgehobenen Burgfriedens der
allmächtige Kampf einsetze um die eigne Läuterung. Aus dem Haß heraus zu
hassen, lassen wir das den lächerlichen Lissauern aller Länder. Was ich
sagen wollte: es fällt mir natürlich gar nicht ein, daß ich die
Engländer hasse, ich habe sie sehr gern.

Eine Eisenbahnepisode in Yorkshire hat sich mir eingeprägt. Ich fuhr mit
zwei typischen Anglosachsen in ideal praktischen Sportanzügen, die sich
intensiv über Fischfang unterhielten. Beide wunderschön, dachte ich,
aber ebenso borniert. Jeder gerade nur so viel im Kopfe, als man fürs
Angelwerfen braucht. Echt englisch. Und damit trat ich ans Fenster, an
dem sie sich gegenüber saßen, denn meine Station war gekommen. Ich hatte
auch schon den Wagenschlag aufgestoßen, da blieb der Zug in voller
Fahrt, ich aber, schon halb hinausgebeugt, wäre rettungslos
hinausgeflogen, hätten mich da nicht von beiden Seiten -- mit jener
Flinkheit, die vielen Fischen das Leben kosten mochte, je zwei Arme
gefaßt und in den Wagen zurückgerissen. Da saß ich nun wieder auf meinem
Platz und hatte meine Lehre weg und konnte mich fragen, was jetzt wohl
aus mir wäre ohne die Geistesgegenwart der beiden bornierten Herrn,
welche da ohne eine Miene zu verziehen aus ihren kurzen Pfeifen
weiterrauchten und ihr Gespräch über Fischfang wieder aufgenommen hatten
. . . »Echt englisch«.

Aber weißt du, was mir neulich jemand sagte, der meine Briefe an dich
gelesen hatte: »Ja, wozu schreiben Sie denn das alles? Es ist ja nur,
was alle vernünftigen Leute _denken_?« Welch deprimierende Bemerkung,
nicht wahr! und wie bezeichnend für unsere »Vernünftigen«! Unermüdlich
wird indessen das _Unvernünftige_ in die Welt hinausgerufen, denn wie
regsam sind doch die anderen: die Zersetzer, de Zerstörer, unsere
Kobolde, Larven und Trolle, und wie geschlossen marschieren sie! Ist
denn kein Korpsgeist in den Guten, daß sie mutlos zurückstehen und
geschehen lassen? Es sind ihrer doch Viele, warum sind sie so still?

Heute vor drei Jahren war mein letzter Abschied von Paris. Ich darf
nicht daran denken. Und welche Ironie, mein Gott: es war auf der Place
de la Concorde in einer blauen Pariser Nacht. »Gestehen Sie,« sagte mir
ein französischer Freund, indem er mit einer Geste die Stadt vom Louvre
bis zu den sanft ansteigenden Champs Elysées umschrieb, »gestehen Sie,
daß es nichts Ähnliches gibt.«

»Kennen Sie den Spessart?« fragte ich.

»Le Spessart? was ist das?«

»Es ist ein großer Wald. Die Straßen steigen und fallen dort, als sei
die Erde eine Riesenschaukel. So fliegen sie gegen Himmel und wieder
hinab, und kaum haben sie eine Höhe erreicht, so sausen sie wieder nach
unten. An der abgelegensten Stelle aber strebt der umwachsene Weg
senkrecht dem Erdinnern zu wie auf der Flucht vor dem Tag. Und so ist
es. Denn am Rande eines kleinen schwarzen Sees blüht hier ein altes
Schlößchen, wie aus einem Märchen von Perrault. Die Schweden hatten es
an dieser verborgenen Stelle nicht entdeckt, und so steht es noch in der
Tiefe, wie es damals schon als ein altes Schlößchen stand. Gehen Sie
hin. Finden Sie es. Und sagen Sie mir dann, ob es in Paris ein Stück
Architektur von einer edleren und noch verfeinerteren Grazie gibt wie
dieses Schlößchen, das einzige im ganzen Umkreis, das nicht zu einem
Schutthaufen verheert wurde. Und dann sind auch noch in unsern Städten
genug Straßen, Fassaden und Mauerschweifungen verschont geblieben, um zu
bezeugen, wie identisch unsere Zivilisation gewesen ist. Es sind da
Grabmäler und Brunnen, eine gewisse bemalte Madonna in Würzburg -- o wie
verschwistert war unsere Kunst! Nur war die unsere inniger und morbider
noch, als wisse sie um ihr frühes Grab; ja in ihrer zarten,
hellseherischen Lauterkeit lag wie ein Verzicht auf diese mitleidslose
Welt, die jenem verfluchten Rechenfehler gemäß verfuhr, daß die
Schönheit des eigenen Landes um so glücklicher erstrahlt, je gründlicher
die des andern vernichtet liegt. Inmitten einer Zertrümmerung und einer
Verarmung so groß, daß sie eine Verwilderung war, mußte unser
verdrängter Formensinn im Reich des Unsichtbaren Elysäische Gefilde
retten -- und im Affekt packte und schüttelte ich seinen Arm. Furchtbar
entstellt als ein geblendetes Volk aus unserem vollendeten Elend heraus
bereicherten wir die Welt; ein tolles, göttliches Volk,« rief ich aus,
»solche Rache zu üben!«

»Sie vergessen!« sagte er aufgebracht und machte sich los.

»O nein!« rief ich inbrünstig in die Nacht hinaus; »ich wollte, das Maß
unserer Großmut wäre voll.«

Aber da stand er schon auf dem andern Trottoir. »Eh bien non!« rief er
herüber. »Eh bien non! vous êtes par trop Allemande.« Es war mein
letzter Abend in Paris und man schrieb den 3. Januar 1913.

In England aber, besonders als ich von Irland zurückkam, fühlte ich mich
noch viel stärker zu ähnlichen Redensarten hingerissen. Wie kalt, wie
finster und wie grausam war seine Geschichte! Welche Summe der
Verbrechen! Wie wenig Erbarmen!

»We do like her,« sagten meine dortigen Freunde von mir. »But she really
is too german.«

Aber es kam der Krieg. Und jene Tage kamen vormärzlichen Siegesrausches
und der großen Verwandlung. Der kranke Sturmwind, von dem ich dir schon
sagte, hatte überall die einen über die Grenze gejagt, die andern
zusammengewirbelt und mich beiseite gefegt; denn ein Irrsinn des
Nichtbegreifens war mir auf den Fersen und trieb mich aus den
übervölkerten Städten ins Gebirge. Zu meinen Wahnideen gehörte dabei
auch, daß ich glaubte, binnen wenig Tagen würden alle von, dem Taumel
erwachen und der Krieg wieder rückgängig werden. Es war ja nicht anders
möglich.

Als eines Tages die besonnten Felsen von der im Tale unten
einherrauschenden Bahn so friedlich widerhallten, war ich meiner Sache
gewiß: die Streitenden hatten sich geeinigt, in der Stadt wußte mans
schon und es war alles vorbei. Zurück zu den Menschen! Was tat ich noch
fern von ihnen? Und ich rannte den Berg hinab zur Station. Dort hatte
der Zug sich gerade in Bewegung gesetzt. Aber ein Blick in die Zeitung
genügte, um mich meiner unüberlegten Hoffnung wieder zu berauben, und
wie ein verlaufenes Tier, das überall umkehrt, so suchte ich wieder
meinen Ausgangspunkt, die verödeten und feierlichen Berge, das
vielstimmige Flüßchen auf, an dessen Ufer der kiesige Grund so klar im
Wasser schimmerte, wie Glück, wie Menschenglück. Aber laut aufschreiend
sah ich Gurkhas an die Kehle eines Weißen gehetzt und feine
Franzosenköpfe zerschmettert, und stieß wilde Rufe der Wut, der Schande
und des Ekels aus. Und wohl durfte mich auch Ekel vor mir selbst
überkommen, denn wie hatte ich dahingelebt? Mit welchen Illusionen denn?
Wie der Idiot neben seiner Dorfgemeinde, so hatte ich mit meinen
Illusionen neben der Wirklichkeit dahingelebt. Illusionen! Illusionen!
Ich dachte an mein Gerede auf der Place de la Concorde. Weil wir so
Namenloses erduldeten, hatte ich gesagt, und unsere Geschichte dabei die
gutartigste sei, _darum_ stünden wir so hoch.

Bei jeder Schroffheit aber, jeder Härte, jeder Unmenschlichkeit, welche
der Krieg nun mit sich brachte, heulte die Welt auf, sowie sie von
Deutschen begangen wurde, und verlor kein Wort über die Untaten der
anderen. Über das, was in Ostpreußen zum Himmel schrie, war sie ganz
still. Was _an_ Deutschen verübt wurde, ahndete sie nicht. Sie waren
vogelfrei. Was sie _verübten_, wurde mit flammendem Griffel vermerkt.
Nicht aus Haß allein. Ich glaube das nicht. Es war auch ein
Schmerzensgeheul der Enttäuschung und der Verwunderung, jenes Volk, das
im höchsten Maße -- wenn auch uneingestandenerweise -- das Vertrauen der
Menschheit besaß, -- so vornean in allem, was zu ihrer Entsühnung und
Erleuchtung führte -- nun auch kopfüber in so vergangene Abgründe
stürzen zu sehen, das Volk der Jakobsleiter in die Arena, deren Tore man
schon verschüttet glaubte, zurücktreten zu sehen, Teilhaber zu sehen der
entsetzlichen Blutschuld. --

Denn wehe! es stand geschrieben, daß Europas künftiger Torwart diese
Erfahrung machen würde, ehe es ganz zu sich selber gelangte. Nirgends
wird ja die Sturzwelle so reißend zurückschlagen, ein so tiefer Abscheu
gegen das Kriegerische einsetzen, als wie in dem geographisch
eingepferchten, durch trübe Erfahrungen gewitzigten, allzu gewitzigten
Deutschland, das die Gefahren des Besiegten wie die des
Schlachtengewinners im Laufe der Jahrhunderte so bis ins letzte erlebte.

Denn der so empörende Gedanke ist es gewesen, daß es wie eine niedrige
Beute dem Osten ausgeliefert werden sollte, dieser Plan, diese Parole
ist es gewesen, welche die Masse zu einem Kampf elektrisierte, den sie
nicht nur als einen Verteidigungskampf, sondern einen Verzweiflungskampf
auf sich nahm.

Dies ist die Wahrheit. Für das Volk ist es die _ganze_ Wahrheit gewesen.
Mit keinem anderen Glauben als diesem erhob es sich, den Untergang im
Auge, wider eine Welt.

Auf diesem Höhepunkt seines Seins aber warfen sich ihm da die inneren
Feinde in den Weg und rissen es von seinem Sockel. Mit der Maske des
Luzifers traten sie statt seiner vor, Drachenzähne zu säen und es zu
verleumden. Und während es -- auf Rettung bedacht -- sein Blut nach
allen Himmelsrichtungen verströmt, lassen diese inneren Feinde (die
einzig Unabkömmlichen) nicht ab, von Zerschmettern, Enteignen und
Vernichten zu reden. In der Not, welche die Männer an der Front
zusammenschweißte, hat sich, wie Funken aus einem Feuerstein, ein
vielfach unvergleichlich hohes Niveau gerade der »niederen« Leute
ergeben. Aber nie hat ein Volk so tragisch im Schatten gekämpft.




                          Dreizehnter Brief


Ich kann dir nur mehr stoßweise einiges sagen.

Es heißt, daß ich die Dinge viel zu tragisch nehme, und es ist wahr, daß
ich dazu neige. Von jeher und instinktiv habe ich mich jenen
verpflichtet gefühlt, welche durch Spott, Ulk und Gelächter oder auch
nur durch einen leichten Ton die latente Maßlosigkeit in mir
korrigierten. Nur hat sich leider Gottes herausgestellt, daß wir im
Gegenteil die Dinge viel zu leicht, nicht daß wir sie zu tragisch
nahmen. Wer hätte sich über die Presse zu sehr alterieren können?
»bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus«, soll man über
diese Tatsache hinweg kommen? über die Gedankenlosigkeit der Menschen,
sich keine Gedanken zu machen? ist das die höhere Weisheit, ja? es gibt
verschiedene Nationen, aber nur eine Presse[5], schreibt Kraus. Aber in
der Presse wie überall gibt es anständige Menschen, habe ich gesagt.
Nach einer Sezession der Presse habe ich in Dresden gerufen. War das so
töricht? -- Dabei ist sie in Wirklichkeit längst vorhanden. Es gibt in
jeder großen Stadt Deutschlands eine Zeitung oder eine Zeitschrift,
welche durch all diese trostlosen Monate hindurch Maß, Humanität und
Anständigkeit der Gesinnung bewahrte und ihre Büros jeder Art von
Niedertracht hartnäckig geschlossen hielt. Die Macht freilich
kristallisierte sich um diese Blätter noch nicht zur Genüge.

[Fußnote 5: _Anmerkung_. Wie bezeichnend für ihren Durchschnitt ist das,
was Reiche aus der Zeit der Befreiungskriege überliefert hat. »Im ersten
Augenblick fand man Napoleons Unternehmen tollkühn und abenteuerlich.
Wie er aber dennoch Fortschritte machte und seine Macht mit jedem Tage
wuchs, wurden die Stimmen immer kleinlauter und besorglicher, wovon die
damaligen französischen Tagesblätter einen deutlichen, dabei komischen
Gradmesser abgaben. Sie lauteten:

»Der Unhold ist aus seiner Verbannung entronnen. Er ist von Elba
entwischt. --

»Der korsische Wolf ist bei Luz-Juan ans Land gestiegen.

»Der Tiger hat sich zu Gap gezeigt. Truppen sind auf allen Seiten gegen
ihn in Bewegung. Er endete damit, als elender Abenteurer in den Gebirgen
umherzuirren; entrinnen kann er nicht. --

»Das Ungeheuer ist wirklich, man weiß nicht durch welche Verräterei,
nach Grenoble entkommen.

»Der Tyrann hat in Lyon verweilt, Entsetzen lähmte alles bei seinem
Anblick.

»Der Usurpator hat es gewagt, sich der Hauptstadt bis auf sechzig
Stunden zu nähern.

»Bonaparte nähert sich mit starken Schritten, aber niemals wird er bis
Paris gelangen.

»Napoleon wird morgen unter den Mauern von Paris sein.

»Der Kaiser ist in Fontainebleau.]

                   *       *       *       *       *

Vergangenen Sommer wurde hier der »Parsifal« sehr oft, immer bei
dichtbesetztem Hause, aufgeführt. Aber mein Gott, wie schien er mir doch
von uns abgerückt, die Wellen weit hinabgeflossen, und am Rand des
Horizonts verblaut. Als im ersten Akt der tote Schwan regiegemäß auf
einer Bahre sänftiglich hereingetragen wurde, und Gurnemans mit
gewaltigem Pathos von Parsifals mutwilliger Leistung als von einer
ungeheuren Tat zu singen anfing, sah ich mich unwillkürlich um. Aber es
lachte niemand. Viel eher schien das Publikum der Rührung nahe und sich
des kaputten Vogels zu erbarmen . . . .

»La haine,« schrieb ein Soldat aus dem Schützengraben an Romain Roland,
»la haine, ils en ont fait une vertu civique! -- Comme vous le dites,
quiconque ne hait pas est suspect . . . Imaginez, monsieur, la torture
de vivre dans une telle atmosphère! Devant tant de malheurs sans nom, il
devrait n'y avoir plus que des paroles de pitié -- tandis que ce ne sont
qu' exhortations à la haine, sanctifiant la vengeance et le meurtre
. . . Voilà les paroles qu'on a entendues depuis un an. Et c'est pour
cela que les vôtres ont fait tant de bien. Nous ne savons pas haïr, et
c'est là notre consolation . . . Puisque vous parlez aux deux pays,
dites-leur, monsieur, à ces pauvres Allemands, qui doivent gémir comme
nous de tant de maux, qu'il y a des hommes en France, qui n'ont pour eux
que de la commisération et que, tout en les combattant, nous les
paignons à cause de leurs souffrances pareilles aux nôtres. Nous ne
pouvons survivre à tant de tristesse qu'à force d'amour.«

                   *       *       *       *       *

Aber eine süddeutsche Zeitschrift spiegelt ein anderes Frankreich
wieder, ein ebenso gedankenloses wortkriegerisches Frankreich und ein
ebenso wesenloses wie das Deutschland, das sie erfunden haben.

»Die Völker erwarten reale Garantien, sie erwarten Land, Leute und
Besitz. Es ist ein Frevel, schreiben sie, die furchtbare Wahrheit des
Krieges mit sanftem Friedensgetön zu verflüchtigen. Unsere Toten sind
wirklich tot, unsere Krüppel haben ihre lebendigen Glieder auf dem
Schlachtfeld oder im Lazarett gelassen; unsere Witwen und Waisen
schreien nach ihrem leibhaftigen Schützer und Ernährer.«

Die süddeutsche Zeitschrift hat gut reden. Es ficht sie nicht an, sie,
die weit hinter der Front mit so viel Temperament dem Kriegsgott Blumen
streut, es ficht sie nicht an, daß es noch mehr und immer mehr der
Krüppel geben soll, die ihre lebendigen Glieder auf dem Schlachtfeld
lassen, immer mehr der Witwen und Waisen, die nach ihrem Beschützer
schreien. Immer mehr; denn es sind ihrer noch nicht genug. Es sind der
Blinden, es sind der Jammergestalten noch nicht genug. Fragt sie, die
Soldaten aller Völker, ob ihnen diese Monatshefte nach dem Herzen reden?
Fragt sie doch, es kommt ja nur auf eine Rundfrage an; laßt sie doch
abstimmen, ob sie Land, Leute und Besitz oder ihre Ruhe ersehnen.

Land, Leute und Besitz in der Tat! Wer da besitzen wird, weiß man nur zu
wohl. Wo aber die Leute sein werden, wenn es so weiter geht? und wo das
Land, wo die Provinzen, wo der Küstenstrich -- mein Gott! wert unseren
Erdteil ihretwegen zu verspielen!

»Ihr Süddeutsche,« sagte mir kürzlich ein Berliner, »seid so debonnair,
und bei euch ist der Größenwahn noch Import. Aber wenn ihr ihn
hereinlaßt, dann gnad Gott! denn ihr seid dann die weitaus
widerwärtigsten von allen.«

Ist dies nicht in viel weiterem Sinne wahr? Der Pangermanismus paßt auf
das Volk der Denker wie die Faust aufs Auge. Ein arges Bild! Ist es da
nicht folgerichtig, daß von allen gleichwertigen Bestrebungen er es ist,
der sich am widerwärtigsten präsentiert? --

Ach! und Süddeutsche gar! ich sah mir neulich Bilder von Spitzweg an. O
wie deutsch! Was könnte deutscher sein? und was könnte, weil es so
deutsch ist, weniger mit diesem Krieg zu schaffen haben wie dieser
Spitzweg, der sich im Mannesalter nach Paris aufmachte, um erst durch
den Kontakt, die Verquickung mit französischer Kunst zu jenem echten
Spitzweg zu werden, welcher den Schalk, die Wonnen und das versteckte
Lachen der Natur beschlich, jenem spitzfindigen Spitzweg, der sich das
Spiel der Wolken und die Flöte Pans auf die Palette stahl.

Denn mit deutscher Wesensfülle ist es gar seltsam und kompliziert
bestellt. Ohne Pfropfreis und von alleine hat sich noch keiner zu ihr
vermocht.

                   *       *       *       *       *

Ich weiß nicht, warum mir vorhin bei dem erschossenen Schwan, über den
niemand lachte, der Tiergarten und seine Monumente einfiel, über welche
niemand weint. Daß die Berliner sich achselzuckend und mit ein paar
Witzen darüber hinwegsetzten, war doch unbedacht. Es hat sich dort
meines Wissens kein Komitee gebildet, um zu fordern, daß ein hohes
Gitter die Siegesallee mit allem, was sie Tag und Nacht vor aller Welt
ausbreitet, umziehe, und ihre Besichtigung keinem Zugereisten gestattet
werde. Haben die Alldeutschen sich denn noch nie Gedanken über den
Desaster dieser Trophäen gemacht?

                   *       *       *       *       *

Ich bin zu Ende. Der Rest ist Klage. Seelenkonflikte des einzelnen aber,
weiß man noch, was das ist? Selbst vor dir würde ich meine Zerrissenheit
nicht ausgetragen haben, fiele sie nicht ganz mit dem Elementarsten
zusammen: denn Blut ist alles, was in ihm webt, ist nicht des Staubes.
Darum wird seine Stimme von keiner Brandung übertönt. Von
Staatsangehörigkeit weiß das Unsterbliche nichts. --

Nie hatte ich mich so wenig mit den Franzosen befaßt wie in den letzten
Jahren. Mein Umgang mit ihnen war durch ihren Deutschenhaß getrübt, und
vollends ihre Zeitungen zu verfolgen besaß ich nicht mehr den Mut. Wozu,
dachte ich, sich ewig den Verdruß antun? Alles Vernünftige, hier wie
drüben, scheiterte ja doch, wenn nicht böswillig ihrerseits, so doch
ganz gewiß plumperdings bei uns. Glücklicherweise, -- so dachte ich auch
-- wird ja nichts so heiß gegessen, wie gekocht, und damit betäubte ich
meine Angst, und lebte so dahin. Als ich aber im Frühling vor dem Krieg
London verließ, fuhr ich nicht über Paris, nicht einmal das, obwohl es
mir von seinem linken Ufer aus betrachtet gerade das letzte Mal im
höchsten Grade merkwürdig erschien. Die meisten Deutschen sind ja, was
die Franzosen anbelangt, von einer Oberflächlichkeit, die sonst gar
nicht in ihrem Charakter liegt; dafür wird im gegebenen Fall die
Oberflächlichkeit mit entsprechender Gründlichkeit betrieben, und für
die meisten Deutschen resümiert sich Paris als eine Art von Monte Carlo
in Restaurants, Vergnügungsanstalten und Kokotten. Die »Femme honnête«
zum Beispiel, dieser in der Heimat der Jeanne d'Arc so entzückend
ausgeprägte und so intelligente Typ, blieb in Deutschland ebenso
unbeachtet wie die lautlos fast verzehrende Geistigkeit, der fast
puritanische Ernst und Eifer der Jeune École; vor lauter Moulins und
Folies übersah man die Sorbonne und spürte nicht die immer schärfer
werdende Höhenluft in der Gegend des Panthéons und merkte nicht, daß es
mit Paris kein Fertigwerden gibt, denn es ist unerschöpflich, und für
jede Morschheit, die ihm widerfährt, hält es sich durch neue Triebe,
blütenbeladene neue Äste schadlos. Aber so teuer die silberne und
immergrüne Stadt mir blieb, so hatte ich dennoch angefangen, sie zu
meiden, denn vorwiegend war ich deutsch, und es erbitterte mich, sogar
die Schulbücher mit Verleumdungen angefüllt zu finden, und daß man sogar
die Kinder in Haß und Lüge unterwies. Und ich wurde den Grimm nicht los,
den Geist und die Sprache meines Vaterlandes stetig zurückgedrängt und
an Boden verlieren zu sehen. Denn für den deutschen _Himmel_, ja für
_ihn_ ambitionierte ich die ganze Erde: die ganze Erde sollte er decken,
denn wessen Auge über ihn hinschweifte, wie möchte der ohne ihn leben?
Die Welt schien mir beraubt, wo sie nichts von ihm wußte, und gemein, wo
sie seiner entriet.

Aber dann kam dieser Krieg, und inmitten des Hasses, der ringsum wie
eine kalte Sintflut stieg, und der Wälle, mit denen sich plötzlich die
Menschen gegen ihr früheres Denken, Fühlen und Erinnern verschanzten,
stürzten mir alle Schranken zusammen. Welchen Halt konnte da gewesene
Kritik oder Verdrossenheit noch bieten? Wie Strohhalme war das alles von
einem Strom der Liebe, der Zugehörigkeit, des Eingedenkens überrauscht.
Die Franzosen waren jetzt nicht minder meine Brüder als die Deutschen,
denn sie waren mir nicht minder anverwandt, daß ich sie widereinander
heilig hielt, war meine Not, aber meine Heimat lag jetzt _zwischen_
ihnen! Mochte man in Polen immerzu vordringen und als Sühne für
Ostpreußen von Rußland an sich reißen so viel man wollte; gerne![6] Aber
je tiefer nach Frankreich hinein der Boden von den Schritten der als
Feinde vordringenden Deutschen erdröhnte, je fremder, je verbannter fing
ich an mich unter ihnen zu fühlen. Und wer vor mir die Franzosen
schmähte, dem fuhr ich ins Gesicht, eh ich es wußte; so ganz entglitt
ich mir! Wie der Zündstoff, der an die Flamme gerät. Nicht _er_ ist in
Frage. Oder wer geböte dem Sturm? daß nicht _ich_ es war, gab die
Berechtigung. Der Anprall wars, mit nichten, daß er mich zermalmte.
Gesetzt ein Krieg zwischen Christen und Juden wäre entbrannt, und ich
eine halbe Jüdin, so würde ich ohne weiteres als eine solche gelten --
und es würde niemand von mir verlangen, daß ich mich für eine
Vernichtung der Israeliten begeistere. Was aber einer halben Jüdin recht
wäre, ist einer halben Französin -- so dächte ich -- zum mindesten
billig. So dächte ich. Daher der Titel dieses Buches. Mein Blut hat die
Fanfare nur zu wohl vernommen. Ich preise die andern glücklich, aber ich
beneide sie nicht; sie dürfen unterscheiden zwischen Freund und Feind;
ich aber darf nicht betäuben und nicht abirren von einer Qual, die vor
Gott selbst ein solcher Jammer ist.

[Fußnote 6: Es ist ja so groß!]

Wenn auch kein einziger mir seine Zustimmung gäbe, es beirrte mich
nicht; so stark ist der Ruf. Und dann ist ja der heutige Tag nicht so
geartet, daß ich ihn zum Richter über mich erhebe. Falls diese Briefe
mich überleben, wird man sie nicht wegen ihres Titels verhöhnen. Nur
indem ich heute in Deutschland auch die französische Fahne hochhielt,
gab ich außerdem die Gewähr, wie unverbrüchlich treu ich heute in
Frankreich zu der deutschen stünde.

Denn an zwei Fahnen hat dieser entsetzliche Krieg mich vereidet. Zwei
Fahnen, schwesterlich umflort, halten meine Hände umklammert. Ich wärs
zufrieden, trüge man sie beide -- wo immer ich sterben mag -- meinem
Sarge voran; auch die Tricolore! so heißgeliebt! --

Und du mein Deutschtum! Angebetetes! Und wolkenumhüllt -- als hätte es
die Gottheit unseren eigenen Blicken entrückt, unversöhnt, wie einst, da
sich der Tag der Griechen nicht erfüllte, eh nicht Orest und mit ihm
Pylades, der Gleichwertige, und gleich Gefährdete -- eines des andern
Retter -- an die finsteren Ufer hinverschlagen -- gemeinsam die Schwelle
des Tempels überschritten, in welchem die freudelose Iphigenie das Bild
der einheimischen Göttin in der Verbannung hegte.

Nicht eher, nicht anders wird sich der Tag erfüllen.




                                Anhang


             Die Internationale Rundschau und der Krieg.
                      Ein unpolitischer Vortrag
              gesprochen zu Dresden am 15. Januar 1915.

Am 18. Dezember vorigen Jahres traten in München unter dem Vorsitz Ludo
Hartmanns eine Anzahl Wiener Professoren zusammen mit ihren Münchener
Kollegen, Rechtsanwälten und Vertretern der Presse. Die Einladung zu
dieser Sitzung bestand in einem Aufruf folgenden Inhalts:

»Neben dem Weltkriege mit eisernen Waffen wird ein zweiter Feldzug mit
vergifteten Waffen geführt, ein Verleumdungsfeldzug, in dem jedem Volke
die unglaublichsten Schändlichkeiten, Hinterhältlichkeiten und
Gemeinheiten vorgeworfen werden, und dieser zweite Feldzug, den giftige
Federn vom sichern Schreibtisch aus führen, ist fast noch gefährlicher
als der andere. Das Ziel des Krieges ist der Friede -- das Ziel dieses
zweiten Feldzuges jedoch ist der unauslöschliche Haß, der auch nach
formellem Frieden jede Versöhnung ausschließt.

Darf die menschliche Ehre ein Angriffsobjekt im Kriege sein, dürfen
Schauermärchen hüben und drüben die Bestie im Menschen erwecken, so daß
der Glaube an die Menschheit versinkt? Diese ganze Verleumdungsaktion
hat geringen unmittelbaren Einfluß auf Sieg oder Niederlage; auf die
eigentlichen Kämpfer wirkt sie nur insofern, als sie zu unnötigen
Grausamkeiten den Vorwand der Vergeltung bietet; sie ist auch kaum auf
die Kämpfenden, weit mehr auf die Zuschauer berechnet, und Zuschauer ist
hier nicht nur die zivilisierte, sondern auch die unzivilisierte
Menschheit.

Bisher war der beste Schutzwall der weißen Rasse deren sittliche
Überlegenheit; die Verleumdung zerstört diesen Nimbus, und rascher als
durch kriegerische Selbstzerfleischung sinkt Europa von seiner Höhe
herab, wenn die übrige Welt hört und glaubt, welcher Schandtaten
Europäer fähig sind.

Kulturnationen! Es ist eine Pflicht gegen uns selbst, diesem
selbstmörderischen Treiben ein Ende zu machen und ehrlich zu prüfen, was
Lüge, was Wahrheit ist. Sollten sich unter den neutralen, sowie unter
den kämpfenden Völkern nicht genug Männer finden, die so hoch über den
Sumpf hinausragen, daß sie den Verleumdern, gleichgültig ob Freund oder
Feind, die Wahrheit entgegenzuhalten wagen? Es wäre betrübend, wenn sie
nicht vorhanden wären oder sich feige verkröchen. An diese Männer ergeht
die Aufforderung, auf streng neutralem Boden sich zu finden und durch
ein absolut unabhängiges, objektives Organ den Glauben an die Menschheit
wieder aufzurichten.

Indem wir der Wahrheit dienen, wollen wir durch Versöhnlichkeit den
Frieden vorbereiten, gleichgültig, wann und unter welchen
Voraussetzungen er kommen wird -- und wir wollen verhindern, daß
überflüssigerweise jene Fäden zerrissen werden, welche die kultivierte
Menschheit zusammenhalten.

Also wollen wir helfen, einen Frieden vorzubereiten, der den Haß
beseitigt und eine Versöhnung anbahnt, damit das Ziel des großen Krieges
der große Friede sei.

Ein literarisches Organ dieser Art darf nur auf neutralem Boden
geschaffen und von Personen geleitet werden, deren Neutralität über
jeden Zweifel erhaben dasteht. Deshalb soll es in der Schweiz entstehen
und einen französischen und einen deutschen Schweizer zu Herausgebern
haben. Diese Männer werden die Sicherheit bieten gegen die naheliegende
Gefahr, es könnte die Zeitschrift aus ihrem objektiven und versöhnlich
gedachten Geleise herausgedrängt und unter dem Vorwand der Neutralität
einseitigen Zwecken dienstbar gemacht werden.

In dieser Zeitschrift sollen die uns alle bewegenden Probleme des
Weltbrandes in der Weise behandelt werden, daß zu den aufgeworfenen
Fragen, neben hervorragenden, objektiv denkenden Neutralen gleichmäßig
bedeutende Vertreter der kriegführenden Teile das Wort erhalten, die in
knapper Form die Ansicht ihrer Volksgenossen frei von Übertreibung und
Gehässigkeit zum Ausdruck bringen.

So hoffen wir in ehrlicher Kulturabsicht und mit allen Kautelen gegen
Mißbrauch ein Organ zu schaffen, welches der Wahrheit und der
Menschlichkeit dienen und neben den schrecklichen Seiten des Krieges
auch eine allen guten und edlen Menschen erfreuliche Frucht zeitigen
soll.«

Für solche Dinge, werden Sie sagen, ist es entweder zu spät oder zu
früh. Dies sagten sich auch diejenigen, welche nach reiflicher
Überlegung sich dennoch zu dem Unternehmen bekannten. Vielleicht
interessiert es Sie zu hören, wie es entstand.

Professor Brockhausen in Wien schilderte in jener Sitzung, wie ihm die
fortgesetzten Zeitungsberichte von den Greueltaten der serbischen
Soldaten keine Ruhe ließen. Es ist ja sicherlich beschämend genug für
den Gebildeten, was ihm heute, in einem Zeitalter, das wir für ein
zivilisiertes hielten, noch zugemutet wird, was er lesen, was er
aussprechen, womit er sich noch befassen soll.

Nun also! In Österreich hieß es allgemein, die serbischen Soldaten
besäßen eine wahre Vorliebe, den österreichischen Verwundeten die Augen
auszustechen. Der Professor wohnte in nächster Nähe eines Lazaretts, wo
neuerdings solche beklagenswerte Opfer in Pflege lagen, und er erachtete
es als seine Pflicht, sich davon zu überzeugen. Fürs erste aber
überraschte er seine Frau durch ein Gesuch um fünfzig Kronen. Sie
meinte, er brauchte sie doch nur selber zu nehmen. Aber er bestand auf
seiner Bitte und begab sich dann mit der Summe ins Lazarett. Dort
äußerte er den Wunsch, zu einem von Serben in besagter Weise
zugerichteten Österreicher geführt zu werden, weil er ihm fünfzig Kronen
zu überbringen habe. Es läßt sich denken, daß man ihm sogleich
willfahrte, mit dem Bemerken allerdings, daß der Betreffende zwar das
Augenlicht verloren habe, jedoch durch einen Schuß.

Der Professor ging daraufhin keinen Schritt weiter und berief sich auf
sein Mandat, das ganz ausdrücklich nur einem Verwundeten galt, der von
serbischen Soldaten verstümmelt worden sei. Da gäbe es ja leider Gottes
Lazarette genug, wurde ihm versichert, wo er solche Opfer serbischer
Grausamkeiten antreffen könnte. Er machte sich nun anheischig, von einem
zum andern zu wandern; überall führte er sich auf dieselbe Weise ein,
ziemlich überall fanden sich Soldaten mit schweren oder unheilbaren
Augenverletzungen, aber an keinen dieser Unglücklichen brachte er seine
Gabe an, denn immer waren Kopfschüsse die Ursache der Erblindung
gewesen.

Professor B. wollte hiermit in keiner Weise bestreiten, daß die
genannten Greueltaten vorgekommen seien; er wollte nur wahrheitsgetreu
berichten, daß er selbst nach allen Wiener Lazaretten gewandert sei, die
fünfzig Kronen aber noch heutigen Tages besitze.

Das Ergebnis dieser erfolglosen Nachforschungen aber war, daß er zur
Überzeugung gelangte, hier müsse etwas geschehen; und er fuhr in die
Schweiz, um sich mit seinen dortigen Kollegen über einen Plan zu
besprechen, den er mittlerweile gefaßt hatte. Es sollte durch ein
internationales Organ der systematischen oder gedankenlosen Verhetzung
entgegengetreten werden. Dabei stieß er auf die Bedenken und den
Widerstand, den er erwartet hatte, fuhr aber unverdrossen bis nach Genf,
wo er es unter anderen auf Romain Rolland abgesehen hatte, welcher die
Zweckmäßigkeit, ja Unerläßlichkeit des Vorhabens würdigte und seine
Bereitwilligkeit, sich daran zu beteiligen erklärte; unter der
Bedingung, daß die strengste Neutralität gewährleistet würde und
Verwaltung wie Herausgabe in neutralen Händen verblieben. Mittlerweile
hatten sich auch die Berner und Züricher Freunde die Sache überlegt, und
der Professor fand sie auf seinem Rückweg nicht mehr so abgeneigt, wenn
auch ebenso skeptisch. Aber auch sie glaubten angesichts der heillos
verschütteten und, wie es schien, nicht mehr freizumachenden Wege, daß
sie es mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren könnten, wenn sie
untätig blieben, auch, wenn sie an dem Erfolg ihrer Arbeit zweifelten.

Sowohl in der deutschen, wie in der französischen Schweiz fand sich der
Herausgeber für die Zeitschrift; es wurden die finanziellen Mittel
aufgeboten, sie ins Leben zu rufen, und es kam dann noch zu jener
Sitzung, die ich zu Anfang erwähnte.

Es war eine Einladung an mich ergangen, derselben beizuwohnen, und ich
muß Ihnen gestehen, von der absoluten Notwendigkeit des Unternehmens,
von der sich die verantwortlichen Leiter nur widerstrebend und nach
langem Erwägen aller Für und Wider überzeugten, war ich gleich so
durchdrungen, daß ich mich bei den sachlichen Bedenken keinen Augenblick
aufhielt, vielmehr die eigene Unsachlichkeit so weit trieb, daß ich mich
sofort verbürgte, zehntausend Franken für die Förderung einer so
verdienstvollen Sache aufzubringen. Ein Mann hätte sich zuvor besonnen,
ob er denn Aussichten hätte, die Summe zusammenzubringen. Aber so sind
die Frauen. Ich muß jetzt sehen, wie ich sie auftreibe. Aber was geht
mich diese Sache an, werden Sie vielleicht fragen. Warum mische ich mich
da hinein? Nun, ich kann Ihnen beweisen, daß ich nur recht tue, wenn ich
seit jenem Tage nichts anderes mehr im Sinn habe als die Propaganda
dieses so problematischen Unternehmens. Und wenn ich nicht davor
zurückschreckte, in die Öffentlichkeit zu treten, vor der ich zum ersten
Male spreche, so geschieht es, weil auch ich es vor meinem Gewissen
nicht verantworten könnte, wenn ich auch nur eine einzige Möglichkeit
unbenützt ließe, in diesem Sinne wirksam zu sein.

Warum ich diese Propaganda nicht lieber Geschulteren und Redegewandteren
überlasse? Weil es niemanden geben kann, dem das Ziel solcher
Bestrebungen mehr am Herzen läge, und weil es so eng mit dem
zusammenhängt, was ich fühle, daß ich sogar eine Entschuldigung für die
voreiligen Versprechungen habe, zu denen ich mich hinreißen ließ.

Sie, verehrte Anwesende, haben gewiß schon viele Dinge gedacht! Ich aber
immer nur eins. Aber dieses _Eine_ hat durch die Ereignisse eine solche
Stärkung erfahren, daß ich alle persönlichen Rücksichten aufgeben und es
verfechten muß. Und was kommt schließlich auf den einzelnen an? Kann
sich doch der Schalste und Eingebildetste von uns nicht mehr wichtig
nehmen. Daß er ganz und gar nur auf Ersatz da ist, wußte jeder nie so
gut. Aber gerade deshalb ist noch nie die Forderung so streng an ihn
ergangen, sich auf sich selbst zu besinnen. Denn wir sind nicht mehr die
Zeitgenossen des vergangenen Sommers, die noch leichtsinnig und
glücklich waren, und die noch Illusionen hatten; die Leute der achtziger
oder neunziger Jahre oder der Jahrhundertwende; wir sind heute die
Überlebenden, wir sind alt! Mag für die Amerikaner das Sterben noch ein
Unfug sein, wir Europäer sind so von ihm eingeschlossen, daß es längst
von unserem Bewußtsein Besitz ergriffen hat. Erinnern Sie sich noch des
Widerhalles, den die Katastrophe der »Titanic« in uns allen weckte?
Damals stand der Tod noch außerhalb. Heute haben wir uns an ihn gewöhnt.
Verluste, die sich auf Hunderttausende beziffern, werden fast ohne
Kommentar verzeichnet, und unser _Leben_ ist es, das außer Kurs geraten
scheint. Unsere _Zeit_ aber ist dafür um so kostbarer geworden. Es ist
die Zeit der Rechenschaft, in der auch Gedanken nicht mehr zollfrei
sind. Man hat nicht mehr die Wahl, sie zu unterdrücken, etwa weil sie zu
harte Anforderungen an uns stellen oder aus Entmutigung.

Ihnen steht es frei, alle internationalen Bemühungen im Augenblick für
unstatthaft zu halten, mir nicht. Ihrem Empfinden dürfen sie fremd
bleiben. Dem meinen nicht. Sie dürfen sogar meinen, daß eine Berührung
zwischen den geistigen Führern der feindlichen Nationen auf dem Boden
einer internationalen Zeitschrift überflüssig, daß er sogar schädlich
sei. Ich darf nicht so denken.

»Es hat sich in diesem Kriege gezeigt,« schrieb mir kürzlich jemand, der
seine Ablehnung gegenüber den Bestrebungen, die ich vertrete, begründen
wollte, »es hat sich bei allen Nationen gezeigt, daß die Liebe zum
Vaterlande die größte und heiligste Empfindung ist, eine stärkere als
die Liebe zu Frau und Kind, stärker als Liebe und Glaube an die
Menschheit; sie fühlt sich eins mit der Liebe zu Gott, sie ist Religion
geworden. Für eine andere Empfindung können das deutsche Volk und seine
geistigen Führer heute keinen Sinn haben. Solange Deutschland um sein
Leben kämpft, hat es kein Bedürfnis nach geistigen Berührungspunkten mit
den feindlichen Nationen. Primum vivere, deinde philosophari.«

Ich weiß solche Anschauungen zu würdigen, wenn ich auch nicht in der
Lage bin, sie zu teilen; wenn ich mich auch nicht darüber hinwegtäuschen
darf, daß ich heute abseits stehe, vom engeren Ringe einer Gemeinschaft
mit Ihnen ausgeschlossen, des intimeren Heimatrechtes beraubt. Wenn Sie
wüßten, wie sehr ich Sie darum beneide! Ihre Gedanken sind
ausschließlich auf Ihre Männer, Ihre Söhne, Ihre Brüder gestellt, und es
wäre ein Frevel, das Ziel Ihrer Sorgen weiter hinauszustecken. Es gibt
kein besseres in der Welt! Nach wie vor sind es die Mannen des Hagen,
die es in Ewigkeit nicht anders wissen werden, als in der Stunde der Not
ihr friedliches Tagewerk zu lassen und hinzustürmen, wohin die Gefahr
sie ruft; ohne Neugierde, zu wenig neugierig fast. Es ist ihnen genug,
die Tore des Reichs bedroht zu wissen. Die Wächter des Rheins werden
noch als die Wächter Europas aufstehen, wenn erst die gemeinsame Not es
zusammenschloß. Dann werden diese heute noch Unausgeglichenen in der
Mittagstunde ihrer Reife stehen, uns aber, wer sagt uns, daß wir es noch
erleben werden, sie nicht mehr gehaßt zu sehen? Indessen scheint man es
bis auf weiteres auch mit diesem Haß aufnehmen zu wollen. Nur ich kann
mich nicht darein finden! Denn als Halbromane hege ich für das
Deutschtum eine Liebe, die nicht wie die Ihrige auf reiner Zugehörigkeit
beruht, unvermischt und fraglos mit ihrem Gegenstand identisch ist. So
liebt man seine Nächststehenden, den Mann, oder die Frau, mit einem von
Eifersucht und Verliebtheit vielleicht nicht freien, zugleich aber viel
deutlicheren Gefühl, als sich selbst. Und wer dürfte behaupten, daß man
sie deshalb weniger liebt?

Infolge einer solchen Abgerücktheit nun trug ich im Ausland nichts von
der manchmal zu großen Bescheidenheit meiner Landsleute zur Schau,
sondern berief mich auf mein Deutschtum mit einem fast prahlerischen
Enthusiasmus. Auch dies Bewußtsein gibt mir den Mut, Ihnen zu sagen, daß
ich nicht in der Lage bin, dieselben Dinge zu denken und zu empfinden
wie Sie. Aber welchen Sinn hätte es dann, daß ich hier stehe? Ist nicht
der einzig mögliche Zweck meiner Worte der, daß ich etwas anderes zu
sagen habe? Zwar wurde mir seit Anfang des Krieges des öfteren
nahegelegt, ich sollte mich bis auf weiteres ganz abstrakten, den
gegenwärtigen Ereignissen möglichst fernen Dingen zuwenden. Aber wer von
uns könnte das? Zu anderen Zeiten, in anderen Kriegen wohl. Aber heute
ist es ein unmögliches Ansinnen geworden. Keiner kann sich abseits
halten; selbst die Friedfertigsten und Zurückgezogensten von uns haben
so wenig die Wahl, etwas anderes als Streitende zu sein, als die jungen
Philologen, die jungen Privatdozenten und Musiker, die Liebhaber der
Künste und Wissenschaften, die Träumer, die Verliebten, die auch mit der
Waffe in der Hand nichts anderes mehr im Sinne haben als die Ehre und
Existenz ihres Landes. Geben wir uns keinen Illusionen hin. Es ist der
Krieg gekommen, der keine innere Flucht zuläßt. Er ist jedermanns Sache,
ja, mehr noch: Jeder muß heran. Denn noch ein anderes Ringen spielt sich
ab. Ich sehe ein geistiges Schlachtfeld. Auch dort ist das Getümmel und
die Not. Es sind die beiderseitigen Verschanzungen, das
Sich-in-Schach-halten; die erbitterte Defensive. Und es ist ein Kampf,
der sich ins Endlose auszudehnen droht, der unrühmlich und unblutig im
Dunkeln vor sich geht und gleicherweise der Kundschafter, wie der
notwendigen Vorposten entbehrt.

Und hier nun behaupte ich, weil ich es beweisen kann, daß ich zu den
paar Leuten gehöre, welche Patrouillendienste verrichten und inmitten
des Wirrsals als Aufklärer taugen könnten. Ich meine uns, die
Halbgermanen Frankreichs, die Halbromanen Deutschlands -- eine Zahl, so
gering, daß es sich lohnt, uns anzuhören, bevor wir ganz aus der Welt
verschwunden sind. Denn wir stehen mitten auf einem Laufbrett über dem
Graben, der sich seit vierundvierzig Jahren so sehr erweitert hat, daß
wir allein, von unseren weit hinausgestellten Posten aus, zwei Lager
übersehen können, die sich gänzlich aus den Augen verloren haben. Unsere
Einsamkeit ist dort eine so verzweifelte geworden, daß ich mich sogar an
Ihr Mitgefühl wenden würde, wären die Zeiten minder hart. So aber rufe
ich nur Ihren Gerechtigkeitssinn an, und auch das nur, weil unser
verschwindendes Häuflein allen Ernstes Ihre Aufmerksamkeit verdient;
weil wir naturgemäß Dinge überschauen, die Sie nicht sehen können.

                   *       *       *       *       *

Durch jenes stete Abrücken zwischen den beiden Völkern sind die
Rassengegensätze, die wir in uns vereinigen, so erstarkt, daß sie selbst
in Friedenszeiten eine Tragik für sich bedeuteten. Heute nun, wo vor dem
vergossenen Blut das Blut lauter in uns spricht als je zuvor, heute wird
von dem Halbgermanen Frankreichs -- reden wir von ihm -- heute wird von
ihm verlangt, daß er sich jeder Sympathie für uns entäußere. Seiner
inneren Zerrissenheit darf keinen Augenblick Rechnung getragen werden.
Ihr widerfährt keine Schonung. Es wird von ihm verlangt, daß er sich
seines besseren Wissens um uns begebe und sich als loyaler Staatsbürger
für unsere Vernichtung begeistere. Und er wird sich Gewalt antun, dem
Gebote Folge zu leisten. Aber wenn er kein Knecht ist, wird er in dem
verzweifelten Kampf, den er äußerlich bestehen wird, vor sich selber
unterliegen . . . Das Blut seiner Väter wird in einen solchen Tumult
geraten und sich zu solcher Brandung erheben, daß die paar Bretter
seiner äußeren Zuständigkeit daran zerschellen. Die Bedrängnis ist
überall zu ungeheuer! Die Bereitheit zu sterben ist überall zu groß! Aus
ihr steigen die Genien der Nationen, die heute wie in der Ilias die
Heere widereinander schirmen -- mit Begeisterung und List! -- Ihr
_doppeltes_ Walten aber findet nur in _seinem_ Inneren einen Widerhall:
die ihm als Brüder zugewiesenen Franzosen erkennt er dort als seine
Halbbrüder wieder, und Sie wissen nicht, ich aber weiß, mit welcher
Spannung, welchem Entsetzen er, der vielleicht im Felde steht, seines
inneren Jubels inne ward, als er auf dieser bedrängten, ihm so teuren
französischen Erde, die er doch mit allem Ingrimm des Patrioten wider
die verhaßte Invasion verteidigt, die Kunde vernahm, daß ein aus allen
Adern blutendes Volk heroischer als einst die Griechen für sich und für
Europa die Befreiung erkämpfte, indem es die unerhörte Übermacht
Rußlands zurückwarf. Ein höherer Genius als der des Krieges hat es
gewollt, daß da bis tief ins Abendland hinein die Glocken läuteten. Er
aber, von dem ich hier rede und der so unvergolten an uns leidet, er
wird den Aufruhr seines Innern, der doch in Wahrheit seine Treue ist,
verbergen und eine Maske tragen müssen wie ein Verräter. So mag er an
der Spitze eines Sturmangriffs wider uns fallen, aber fragt mich nicht,
mit welchem Herzen.

Sie werden nicht beanstanden, nicht wahr, Sie begreifen vielmehr, daß
sein besseres Wissen um uns so tief in ihm gründet. Aber keiner von
Ihnen hat noch seiner gedacht. Nur wir, die paar romanischen Deutschen,
die es zur Zeit noch gibt, wissen genau, was uneingestanden in ihm
vorgeht. Denn er ist unser engerer Landsmann, und wir fühlen wie er. Für
uns spreche ich heute, denn wir leiden am meisten. Für alle anderen ist
sie groß, diese Zeit, nur wir begreifen sie nicht; nur wir sind überall
die Verbannten und die Außenstehenden. Glauben Sie ja nicht, daß der
französische Germane kein guter Franzose sei. Sein bedrohtes Land ist es
ihm tausendfach wert, daß er sich dafür opfere. Und glauben Sie nicht,
daß ich weniger deutsch fühle als Sie. Infolge meiner teilweisen
Abgerücktheit liebe ich Deutschland eifersüchtigeren und geschärften
Sinnes vielleicht, als Sie sich selber lieben können. Nicht um ein Minus
handelt es sich bei uns, sondern in den Zusätzen liegen unsere
Konflikte. Wir sind heute die anderen: Halbdeutsche oder Halbfranzosen,
wie Sie wollen, aber keine Deutschen wie Sie, keine Franzosen wie die
drüben; von einer doppelten Liebe beseelt, jeder nur durch ihren Hader
von den Seinen geschieden. Unsere Sonderstellung in der Welt ist es, für
die ich eintrete, denn unser ist ein zu _edles_ Erbteil, als daß wir es
preisgäben! Zwar sind wir die zur Unzeit Geborenen; wir haben eine
Mission und schleichen den Häusern entlang; wir haben eine kostbare
doppelte Mitgift, und wir sind die Kreditlosen und die Enterbten, und
wir sahen in ein gelobtes Land, nur, um es doppelt zu verlieren. Wir,
die selbst die Versöhnung entgegengesetzter Elemente darstellen, wir
sind heute selber der Krieg, und in uns selbst wütet der Kampf um die
entrissenen und wieder gehißten Fahnen. Wir haben nichts gemein mit den
Flaumachern, den Alarmisten und Schwarzsehern, noch mit den Neutralen
und ihrer, neben der unseren gehalten, so spielerischen Parteinahme,
ihrem kalten, unbeteiligten Eifer. Aber es wäre nicht der Mühe wert, von
uns zu reden, wenn wir nicht auch die Unbeeinflußbaren wären, die nichts
auf der Welt von ihrer schmalen Bahn hinunterstößt, und wenn wir nicht
ein Recht auf unsere Zerrissenheit und unser inneres Gesetz besäßen. Von
der Natur auf unsere heute verlorenen Posten hinausgewiesen, sind uns
dort Dinge übersichtlich, ich sagte es schon, die sich Ihren Blicken
entziehen. Es ist keine Besserwisserei bei uns im Spiel. Der Weise aus
der Ebene wird sich nichts vergeben, wenn er den Toren fragt, was er von
seiner Anhöhe aus sieht . . .

Aber ich mache Sie nur ungeduldig, indem ich praktische Dinge
verspreche, die für jeden gelten sollen, und fortfahre, einen
persönlichen Zufall zu erörtern, wie dies Halbgermanentum inmitten
äußerster nationaler Gegensätze.

Es ist aber ein Zufall, der mir das Recht innerer Erfahrungen gibt, die
im einzelnen zu zerlegen nicht der Moment sein mag, die mir aber den
unerschütterlichen Glauben geben, daß das letzte Urteil über
Gemeinsamkeit oder Feindschaft zwischen den Nationen nicht aus dem
gegenwärtigen Krieg erwachsen darf. Und es ist nachgerade, als ob
hierüber nichtdie Waffen, sondern die täglichen Stimmerheber zu
entscheiden hätten, die aus dem ewigen Unwert der menschlichen
Gesellschaft Folgerungen auf ihre Werte ziehen und ihre Einheit
zerstören. Niemand gerät in Friedenszeiten auf den Gedanken, die
Verbrecherstatistiken anzurufen, um den Geist einer Nation zu
beschreiben. Heute sollen nun mit einem Male solche Verwechslungen
richtig, erlaubt, erwünscht sein! Wir müssen das Bleibende im Charakter
einer Nation vor so niedrigen Urteilen verteidigen. Und hier muß auch
gegen gewisse Ausartungen Protest erhoben werden.

Daß zu Anfang des Krieges Selbstzufriedenheit und ein gewisses Selbstlob
überall herrschten, war wohl unerläßlich. Aber inzwischen hat sich die
Luft Europas durch dies Verfahren bedeutend verschlechtert. Man redet
voneinander, als gedächte man nie wieder miteinander auszukommen, und
dies ist nicht die Lehre, die wir aus der furchtbaren Prüfung dieses
Krieges ziehen sollen, noch liegt hierin Pietät für die Gefallenen. Wenn
diese Lebensfrohen sich alle so willig opferten, so geschah es, um einen
Streit auszutragen, der sich auf keine andere Schlichtung mehr besann.
Umsonst wären sie erschlagen, die nichts mehr wissen von unserem Hader
und gemeinsam das Schattenreich bevölkern, wenn sie den Haß nur
besiegelten. Wie anders ist die Haltung der Offiziere, die aus dem Felde
zurückkehren! Nichts ist ihnen peinlicher als der Gedanke, man könnte
annehmen, sie hätten keine ehrenhaften Feinde! Und der Takt so manches
Pfahlbürgers hat schon durch eifriges Forschen nach den
Ungesetzlichkeiten und Greueltaten der Gegner peinlichen Schiffbruch
erlitten.

Wenn wir es billigen, daß Lüge und Hetzerei verbreitet werden, obwohl
wir sie durchschauen, so ist es, weil wir meinen, es sei gut, des
anderen wegen. Aber wir sind im Irrtum, wenn wir glauben, daß diese
Methode eine ungefährliche sei, und wir vergessen dabei, daß wir für die
Jugend verantwortlich sind, die dies alles nicht für eine fromme Lüge
hält.

Hören Sie, was jener Gegner einer Internationalen Rundschau mir noch
geschrieben hat:

»Nur der Friede,« schrieb er, »kann der Boden für einen erneuten Kontakt
zwischen den Völkern sein. Glauben Sie mir, er ist dann im Augenblick
wiederhergestellt und es geht an geistigen Gütern keiner Nation etwas
verloren. Im Gegenteil, der Krieg und der Frieden wird allen Nationen
eine geistige Wiedergeburt bringen und einen geistigen Kontakt auf einer
höheren Grundlage.«

Ich muß sagen, daß mir für mein Teil noch keine größere Utopie begegnet
ist. Viel eher könnte es sein, daß dann diese Grundlage, wenn wir sie
nicht zum Gegenstand unserer Sorge machen, verschwunden wäre.
Wahrscheinlicher ist, daß die einst so vertrauten Wege sich als zu
weithin, zu tief verwüstet erweisen, als daß sie wieder begangen werden
könnten. Viel eher könnte es sein, daß an Stelle ihrer verwehten Spuren
der Turm Babel der Verwirrung herrschte.

»Was ist das Heilige? Das ist's, was viele Seelen zusammenbindet. Bände
es auch nur leicht wie die Binse den Kranz.«

Dieses leichte Band ist nun zerrissen. Aber Goethe fährt mit vermehrtem
und prophetischem Nachdruck fort:

»Was ist das Heiligste?

Was heute und ewig die Geister tiefer und tiefer gefühlt immer nur
_einiger_ macht.«

Warum sind diese Worte so unendlich deutsch? Nur durch die so weit
übergreifende Erkenntnis, die aus ihnen atmet.

Und hier ist die Stelle, verehrte Anwesende, wo ich Sie an das erinnern
muß, was ich von uns, dem verschwindenden Häuflein der französischen
Germanen und der romanischen Deutschen sagte; denn hier ist die Bresche,
die wir behaupten. Sie fassen festeren Griffes das Nächstliegende auf;
wir können das Gesamtbild nie aus den Augen verlieren. Unser Wille ist
dabei nicht in Frage. Vielmehr hegen wir eine mit Neid untermischte
Sehnsucht nach allem, was glücklich umgrenzt, nicht zugleich ins andere
hinüberspielt, während es das eine ist. Wir müssen teuer bezahlen für
alles, was wir sehen. Und wir sehen, daß sich deutsche Wesensfülle seit
vierundvierzig Jahren nicht näher geklärt hat. Die Krankheitssymptome
des uns immer mehr entfremdeten Frankreichs hat keiner drastischer
geschildert als Romain Rolland in seinem Jean Christophe, einem Buch,
das uns andere unbeschreiblich irritiert, weil die Dinge, die es enthält
und die längst Gemeinplätze sein sollten, noch so gänzlich neu sind.
Erinnern Sie sich des Wortes Burckhardts in seiner Kultur der
Renaissance: »Das scheinbar kränkste Volk kann der Gesundheit nahe sein,
und ein scheinbar gesundes kann einen mächtig entwickelten Todeskeim in
sich bergen, den erst die Gefahr an den Tag bringt.« Sehen Sie, Sätze
solcher Art sind es, an denen wir nie vorüberhören. Immer wieder wird
das Bild von den männlichen und den weiblichen Nationen hingeworfen:
warum macht sich keiner daran, es auszumalen? Sie wundern sich über den
Haß der Franzosen, die Sie doch selber nicht eigentlich hassen. Aber
wird der Groll der Verschmähten nicht viel erbitterter sein, als der des
ungeschickten oder zaudernden Freiers, der die Gelegenheit nicht
wahrnahm oder die richtigen Worte zur Werbung nicht fand?

Gewiß schlägt die schön beredte Muse d'Annunzios den Rekord der
Gedankenarmut; und die heutigen Meister der französischen Sprache sind
in dem Maße von einer gewissen Hohlheit zerquält, je gründlicher sie die
Verbindung mit uns verloren haben. Wir brauchen nur Flaubert mit Anatole
France zu vergleichen. André Gide und Romain Rolland, beide auf ihre Art
sehr angedeutschte Geister, werden uns am meisten sagen können.

Aber auch auf _unsere_ Literatur der letzten Jahrzehnte gehört als Motto
jener uralte Ausspruch: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.«
Unsere Größten stehen heute ihrer Anlage nach unseren Allergrößten nicht
nach; ich denke an Gerhart Hauptmann, und es läßt sich das Schönste über
sie sagen, was es gibt, nur nicht, daß sie sich selbst übertrafen, nur
nicht, daß sie ihr letztes gaben; nur nicht, daß sie sich vollendeten.
Nein, wenn wir jetzt zurückdenken: es ist doch keine Lust gewesen zu
leben. Der große Deutsche vor der Zeit der großen Entfremdung war gerade
dadurch eine so überbietende Erscheinung, daß er, wie ein großer
Komponist implicite ein großer Dirigent sein kann, sich spielend
gleichsam auch der romanischen Vorzüge bemächtigte. Nicht ohne sie hielt
er Haus. Es war aber gerade sein Deutschtum, das dabei seine
glücklichste Entfaltung und seinen mächtigsten Ausdruck fand. Er, und
nur er brachte es dann zu jener überragenden Bedeutung, durch die er den
großen Romanen den Rang ablief. Wenn ich Goethe im Gegensatz zu Victor
Hugo nenne, wird man mich sogleich verstehen. Ich nenne ihn aber auch im
Gegensatz zu Hebbel. In seiner _Universalität_ liegt das Geheimnis,
warum der rauhere Deutsche im Grunde eine stärkere Beziehung zur Antike
hat, als bei allem Formensinn der Franzose. Selbst ein so verrannter
Nationalist wie Maurice Barrès fühlte sich über die Goethesche Iphigenie
zu dem Geständnis, zu der Huldigung hingerissen: »Jaime la Grècque
germanisée.« Vergleichen wir Racine mit Gluck. Und welcher lateinische
Komponist hat auch nur annähernd die Grazie eines Mozart erreicht! Wer
allerdings hat sich lateinischeren Einflüssen zugänglicher gezeigt?
Vergessen wir auch nicht, daß einer der größten Diplomaten aller Zeiten
ein Deutscher war. Wer aber hatte es gelernt, ein größerer Meister
dessen zu werden, wofür wir bezeichnenderweise kein gleiches deutsches
Wort besitzen: die Nuance?

Hier ließe sich freilich manches weiterspinnen, aber es ist nicht der
Ort, noch sind mir Befugnisse erteilt worden, über die Politik zu
sprechen -- über die es so viel zu sagen gäbe. Aber sicher wird es mir
gestattet sein, einen Satz Ernst Moritz Arndts aus der Jahren der
Freiheitskriege anzuführen: »Die Zeit, worin wir leben,« schrieb er
1815, »hat uns Deutschen zugemutet, politische Menschen zu werden. Es
hat schwerer Jahre bedurft, daß wir aus dem dämmernden Traum einer
Gleichgültigkeit erweckt wurden, die dem deutschen Namen fast mit dem
Untergang drohte. Gottlob! uns ist wieder ein Vaterland gezeigt worden,
ein Ziel, worauf alle Deutschen als Volk schauen, wofür sie streben und
arbeiten sollen. Immer aber gilt noch mit Recht die Klage, daß wir nicht
politisch genug sind. Damit wir dies immer mehr werden, dafür muß jeder
redliche Deutsche denken und streben und auf seine Weise den Kampf
durchkämpfen helfen, der nicht allein auf den Schlachtfeldern
entschieden werden kann.«

Ich werde mich streng an meine Weisung halten und in keiner Weise
untersuchen, ob wir diese politischen Qualitäten, die Arndt uns so
dringend empfahl, innerhalb dieser hundert Jahre erworben haben. Ich
möchte nur einen anderen Satz anführen, aus einem Aufsatz Thomas Manns
im Dezemberheft der »Neuen Rundschau«. Da steht: »Wir hätten die Kultur
als Wort und Begriff dem Worte Zivilisation stets vorgezogen, weil es
rein menschlichen Inhaltes ist, während wir beim anderen einen
politischen Einschlag und Anschlag spüren, der uns ernüchtert, der es
uns zwar als wichtig und ehrenwert, aber nun einmal nicht als ersten
Ranges erscheinen läßt -- weil dieses innerlichste Volk der Metaphysik,
der Pädagogik und der Musik ein nicht politisch, sondern moralisch
orientiertes Volk ist.«

Dies hundert Jahre nach Arndt, und nachdem Deutschland inzwischen zu
einem geeinigten Reich und einer Großmacht erstarkt war.

Ich werde weiter nichts sagen, als daß ich an diesem Satze Ärgernis
nahm. Denn wir, die Herausgestellten, haben einen anderen Ehrgeiz, wir
sehen gar keinen Grund, warum wir dieses politische Volk mit einer
politischen Sprache nicht ebensogut sein sollten wie andere. Viele
meinen ja auch: _Jetzt_ müssen wirs werden, kein einziger scheint sich
zu fragen, _wie_. Ein vorsätzliches Abschließen von den politischeren
Nationen ist sicher nicht der richtige Weg. Was sie vor uns voraus haben
-- nehmen wir ihnen doch nur, indem wir es von ihnen lernen.

Ich will es jedoch anderen überlassen, dies Thema weiter zu erörtern.
Ich habe nur noch zwei Dinge zu sagen. Es ist gewiß außerordentlich
kindisch, uns unsere großen Männer streitig machen zu wollen oder sie
herabzusetzen. Nicht minder weit vom Schusse sind wir aber, wenn wir uns
immerzu auf sie berufen, denn große Männer sind noch lange nicht die
Nation. Und wir dürfen nicht vergessen: daß sie immerhin als ziemliche
Dulder in unserer Mitte lebten, noch auch die scharfe Kritik, die sie an
uns übten. Es besteht sogar immer die Möglichkeit, daß große Männer
ihrer Nation verloren gehen. Wären allerorts diese Auserwählten eines
Volkes auch dessen führende Geister, Europa böte heute ein anderes Bild!
Es sind aber ganz im Gegenteil die Zeitungen und unter ihnen nicht die
besten, welche diese Rolle übernahmen . . .

Ich sprach von unserer Sonderstellung und den Dingen, die wir besser
sehen. Aber vielleicht sind die Dinge, die wir _nicht_ sehen, noch
bezeichnender.

So können wir gar nicht verstehen, daß die Völker, die doch schon
allesamt ihre Revolutionen hatten oder zu haben versuchten, warum sie
sich allesamt ihre hetzerische Presse noch gefallen lassen, warum sie
sich die noch nicht verbaten; warum sie noch nicht zusammentraten und
gegen _die_ rebellierten? Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die
Greuel der belgischen Bevölkerung infolge verleumderischer und
aufreizender Zeitungsartikel als _Repressalien_ entstanden sind. Wann
werden die Vertreter der _würdigen_ Blätter dagegen protestieren, daß
solche Mörder der Gesellschaft sich ihre Amtsbrüder nennen?

Man hat schon Regierungen davongejagt, aber der Herausgeber eines
Hetzblattes thront wie ein Gesalbter des Herrn auf seiner Redaktion.
Argwöhnisch wird das Tun und Treiben eines Monarchen verfolgt, wer aber
hat es gewagt, gegen den »Matin« einzuschreiten, der schlimmer als eine
russische Knute Wahrheit, Vernunft und Mäßigung unterdrückt?

In jedem Lande aber gibt es Erscheinungen, die dem »Matin« nacheifern,
ohne ihn zu erreichen, es ist unleugbar, daß die öffentliche Meinung
sich der extremen Lüge leichter als der Wahrheit ergibt, und deshalb
wäre heute nichts notwendiger auf der Welt, als daß eine Sezession
innerhalb der Presse entstünde.

Es wird Sie nicht mehr befremden, daß ich mir die Interessen der
Internationalen Rundschau zur Gewissenssache machte, auch wenn ich
hinzufüge, daß es aus freien Stücken geschah, ohne irgendeinen Auftrag
von seiten der Herausgeber. Und erlauben Sie mir, nachdem ich mit so
viel Entschiedenheit meine Behauptungen vorzutragen unternahm, daß ich
mit einer _Vermutung_ schließe.

Wir versprechen uns so viel von den Erleuchtungen, die uns auf allen
Gebieten _nach_ diesem großen Krieg geschenkt werden. Aber ist es nicht
wahrscheinlicher, daß, wenigstens in den _ersten_ Friedensjahren, nur
diejenigen Ideen Ansehen genießen werden, die _schon im Kriege_ sich
einen Platz in den Gemütern errangen und teil hatten an dem heutigen
Schwung und der Erhebung der Geister?

Sprechen wir also heute schon von einer Einheit der kämpfenden Nationen
durch die letzten Güter der Menschheit. Denn wir müssen sie dieser
Feuerprobe der Beurteilung unterwerfen, gerade inmitten der
gegenwärtigen äußersten Not und Anspannung.

                   *       *       *       *       *

                Gedruckt bei Otto v. Holten, Berlin C.




Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 101]:
   ... uns selber treu, den anderen Völkern mit der Iniative ...
   ... uns selber treu, den anderen Völkern mit der Initiative ...






End of Project Gutenberg's Briefe einer Deutsch-Französin, by Annette Kolb

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     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
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law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

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