The Project Gutenberg eBook of Das Bildnis bei den altdeutschen Meistern bis auf Dürer
This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and
most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
of the Project Gutenberg License included with this ebook or online
at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States,
you will have to check the laws of the country where you are located
before using this eBook.
Title: Das Bildnis bei den altdeutschen Meistern bis auf Dürer
Author: Alfred Lehmann
Release date: December 8, 2025 [eBook #77422]
Language: German
Original publication: Leipzig: Verlag von W. Hiersemann, 1900
Credits: Peter Becker, Alpo Tiilikka and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BILDNIS BEI DEN ALTDEUTSCHEN MEISTERN BIS AUF DÜRER ***
Anmerkungen zur Transkription
Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
folgenden Symbole gekennzeichnet:
~Gesperrt~
_Kursiv_
+Fett+
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben
gegenüber dem Original unverändert;
fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
Das Buchformatzeichen (wie eine hochgestellte Null z.B. 4°
für die Quartformat,) in den Buchdarstellungen am Ende des Buches,
ist als Gradzeichen (°) dargestellt.
Das Ornament auf den Seiten VIII, X, 48, 49 ist durch [ornament]
ersetzt.
Die Berichtigungen auf Seite XIV sind im Text korrigiert.
Seite 117, Zeile 1:
unter ihnen der Bürgermeister selbst und seine drei Frauen
-> »unter ihnen der Bürgermeister, sein Sohn Ulrich und dessen
drei Frauen.
Seite 149, Zeile 12:
»Aus der Mitte des 15. Jahrhunderts
-> »Aus der Mitte des 14. Jahrhunderts
DAS BILDNIS
BEI DEN ALTDEUTSCHEN
MEISTERN BIS AUF DÜRER
VON
ALFRED LEHMANN
MIT 72 ABBILDUNGEN
[Illustration]
VERLAG VON
KARL W. HIERSEMANN
LEIPZIG 1900
Vorwort.
Diese Studie ist der philosophischen Fakultät der Universität
Heidelberg als Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde
eingereicht worden; ich lege sie hiermit, wesentlich erweitert und
berichtigt, der Oeffentlichkeit vor.
Die bildlichen Darstellungsformen des Menschen bis zur Renaissance
sind ihr wesentlicher Inhalt. Ursprünglich war es meine Absicht
gewesen, mich bei der Durchforschung dieses ausgedehnten Gebietes auf
die eigentliche Porträtkunst zu beschränken, aber im Laufe meiner
Untersuchungen habe ich erkannt, wie das Werden des ~Teiles~ — denn
Porträt ist eine engere Begrenzung des Bildnisbegriffes — nur im
Entwickelungsgange des ~Ganzen~ verstanden werden kann, und ich habe
deshalb meine Arbeit auf das Bildnis im weitesten Sinne des Wortes
ausgedehnt.
Den Darstellungen der menschlichen Erscheinung bin ich bis zu ihren
typischen Anfängen in der Karolingerzeit nachgegangen, denn wenn auch
die Kunst, gleichwie die Kultur dieser Epoche auf römischer Grundlage
beruht, so ist doch das Neue in ihren Werken germanischen Geistes,
und sein gesetzmässiges Wachstum in Deutschland, nicht in Frankreich
zu finden. Von seiner fernen Geburtsstätte aus habe ich das Bildnis
durch die wichtigsten Denkmäler der Buchmalerei bis zur allgemeinen
Verbreitung der Formenschneidekunst verfolgt, das ist etwa bis zur
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wo der Bilddruck die Feder- und
Pinselzeichnung zu verdrängen beginnt. Gleichzeitig habe ich das
Auftreten der Menschen und die Belebung seiner Erscheinungsform in
der monumentalen Wanddekoration beobachtet und schliesslich seine
Verkörperung durch die Bildhauerkunst und seine Darstellung auf
Schaumünze, im Holzschnitt und Kupferstich, wenn auch nur flüchtig, in
das Blickfeld meiner Betrachtungen gezogen.
Bei der Schilderung des Menschenbildnisses auf der Malertafel brauchte
ich bei den Inkunabeln nicht zu verweilen, denn ihre kindlichen
Ausdrucksformen sind denen der Buch- und Wandmalerei nahe verwandt, ich
habe vielmehr sogleich die in reicher Fülle auf uns gekommenen Werke
von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an bis mit dem 15. zum
Gegenstand meiner Untersuchungen gemacht.
In dieser eigenartigen Periode deutschen Kunstschaffens, in welcher
neben einem langsamen Absterben alter Ideale und Formen die Keime neuer
Bildungen sich zu regen beginnen und an deren stürmisch bewegtem Ende
der grösste Genius auf dem gesamten Gebiete der bildenden Kunst in
Deutschland sich erhebt, erscheinen zum ersten Male, von vereinzelten
Vorläufern abgesehen, die eigentlichen Porträts und zwar ~in Gestalt
heiliger oder profaner Personen im Rahmen des Altarbildes, als Stifter
und als unabhängige Einzelbildnisse~. Die Aufzählung und Beschreibung
dieser drei Porträtgattungen, in denen die Bildniswelt des deutschen
Quattrocento enthalten ist, beansprucht den grössten Raum in meiner
Arbeit.
Die Gliederung des Stoffes habe ich in der Weise vorgenommen, dass im
ersten Teile das Menschenbildnis in allen Kunstgebieten mit Ausnahme
dem der Tafelmalerei kurz zusammengefasst und unabhängig von seiner
Verteilung auf die verschiedenen deutschen Stammesgruppen besprochen
wird, während im zweiten sein Werden und Wandeln auf der Malertafel
eine eingehendere und nach Schulen gesonderte Betrachtung erfährt.
Es stellt sich somit der erste Teil gleichsam als ein Querschnitt
durch die deutsche mittelaltrige Bildniskunst dar, jedoch ohne
Berücksichtigung der Tafelmalerei, welche im zweiten Teile in einer
Gruppe von Querschnitten durch die Malerschulen des 15. bezw. des 14.
Jahrhunderts vorgeführt wird.
Ein dritter und letzter Teil versucht den Porträtinhalt der
deutschen Bildnismalerei vor der Renaissance zu einem Gesamtbild zu
vereinigen und behandelt eine Reihe sich hieran knüpfender kunst- und
kulturgeschichtlicher Betrachtungen und Fragen. —
Eine Geschichte des deutschen Bildnisses ist noch nicht geschrieben.
Gleichwohl darf ich nicht den Anspruch erheben, diesen Teilversuch
ohne fremde Leitbilder unternommen zu haben. Vor allem ist es Jacob
Burckhardts Arbeit über das Porträt in der italienischen Malerei, die
mir als allgemeiner Wegweiser gedient hat. Was ich an wohlverarbeitetem
Material den Forschungen Janitscheks, Lamprechts, Lichtwarks, Thodes
Vischers, Woermanns und vieler Anderer entnommen habe, wird man aus
den einzelnen Abschnitten ersehen. Die überwiegende Mehrzahl der
besprochenen Kunstwerke ist mir selbstverständlich durch eigene und
zumeist wiederholte Anschauung bekannt.
Abbildungen vermag ich dem gedruckten Worte nur in einer
verhältnismässig geringen Anzahl zur Seite zu stellen, leider, denn »um
von Kunstwerken eigentlich und mit wahrem Nutzen für sich und andere
zu sprechen, sollte es freilich nur in Gegenwart derselben geschehen«.
(Goethe.) So muss ich mich in der Hauptsache auf das Gedächtnis des
Lesers und seine Bildersammlung verlassen.
Um mich in der Arbeit selbst so wenig wie möglich zu wiederholen,
gebe ich hier die Erläuterung einiger im Text mehrfach gebrauchter
sprachlichen Bezeichnungen:
Unter dem Namen ~Mittelalter~ umfasse ich den gesamten Zeitraum
zwischen klassischem Altertum und der Wende des 15. Jahrhunderts.
Die Wörter ~Bildnis~ und ~bildnisartig~ verwende ich in
ihrem weiten, landläufigen Sinne, ~typisch~, ~individuell~,
~individuell-charakteristisch~, ~porträtartig~ und ~Porträt~ dagegen
für die plastische, zeichnerische oder malerische Darstellung eines
menschlichen Kopfes, um mit ihnen das Folgende auszudrücken:
Typisch
1. wenn von dem Ganzen und den einzelnen Gesichtsteilen nur das
Allernotwendigste, nur die ihnen zu Grunde liegende ideale Form
wiedergegeben ist, also gewissermassen für das Symbol eines
Menschenkopfes. Unter männlichen und weiblichen, Alters- und
Standes-Typus verstehe ich engere, sich selbst erklärende Begrenzungen
einer vorgeschrittenen Art dieser primitivsten Bildnisgattung;
2. wenn sich für bestimmte und in den Darstellungen häufig
wiederkehrende heilige oder profane Persönlichkeiten (Repräsentanten)
innerhalb einer Kunstperiode die gleichen Erscheinungsformen
ausgebildet haben und diese während eines längeren Zeitraums mit
unwesentlichen Veränderungen in den Kunstwerken erscheinen;
3. wenn für derartige Persönlichkeiten (Repräsentanten) eine bestimmte
Malerschule oder auch ein einzelner Meister annähernd die nämlichen
Erscheinungsformen verwendet.
Individuell
wenn der Umriss eines Kopfes, sein Knochenbau und die Gesichtsteile
nach dem unmittelbaren Vorbilde eines Lebenden oder nach dem lebhaften
Erinnerungsbilde von einem solchen geschaffen zu sein scheinen.
Individuell-charakteristisch
wenn in einem individuellen Kopfe etwas von dem bleibenden inneren
Leben des Dargestellten ausgeprägt ist, d. h. wenn er von der
Wesenseigentümlichkeit der betreffenden Persönlichkeit Kunde giebt.
Man wolle beachten, dass ich unter individuell im allgemeinen
die physische, unter charakteristisch die seelische und geistige
Durchbildung eines Kopfes begreife.
Porträtartig
wenn ich von einem individuellen oder individuell-charakteristischen
Kopfe die Empfindung habe, dass der Künstler ihn als den einer ganz
bestimmten Persönlichkeit hat wiedergeben wollen, ohne dass ihm jedoch
seine Absicht in höherem Sinne gelungen ist.
Zu dieser Gruppe zähle ich auch solche Bildnisse, bei denen das Wollen
des Künstlers lediglich aus einem begleitenden Nebenumstand, wie
Wappen, Namen oder dergleichen zu erkennen ist.
Porträt
wenn eine Fülle von Einzelheiten eines individuell-charakteristischen
Kopfes und seine Gesamterscheinung so nach dem wirklichen Leben
gebildet ist, dass ich den Eindruck von einer vollkommenen und in sich
abgeschlossenen Einzelexistenz erhalte.
Ich weiss recht wohl, dass diese hier voneinander geschiedenen Begriffe
häufig oder beinahe stets ineinander verlaufen und miteinander
verschwimmen, und dass es in der Praxis ganz unmöglich ist, scharfe
Trennungslinien zwischen ihnen zu ziehen, ebensowenig wie etwa zwischen
den Farben des Sonnenspektrums oder den Tonnuancen eines Rembrandtschen
Gemäldes, aber angesichts der weiten Kreise, welche jene Begriffe im
allgemeinen Sprachgebrauche umschliessen, schien es mir wünschenswert,
sie in dem meinigen nach Möglichkeit zu verengen. —
Allen, die mir bei Beschaffung des Abbildungsmaterials behilflich
gewesen sind, spreche ich hiermit meinen Dank für ihre Unterstützung
aus.
~Dresden~, Sommer 1900.
+Alfred Lehmann+
Inhaltsübersicht.
Seite:
Vorwort III
Meisterliste VII
Verzeichnis der Dargestellten IX
Einleitung 1
Erster Teil.
1. Die Anfänge des Bildnisses 15
2. Das Bildnis in der Buchmalerei 19
3. Das Bildnis in der Wandmalerei 29
4. Das plastische Bildnis 34
5. Die Schaumünze 40
6. Der Holzschnitt und der Kupferstich 43
Zweiter Teil.
1. Allgemeine Betrachtungen über das Werden und Wandeln des
Bildnisses in der Tafelmalerei 51
2. Die Schule von Prag 58
3. Alt-Köln und seine Einflusssphäre 63
4. Oberrhein, Schwaben, Schweiz 95
5. Baiern, Oestreich, Tirol 130
6. Sachsen und Schlesien 143
7. Franken 147
Dritter Teil.
1. Die Auftraggeber 191
2. Das Porträt im Rahmen des Altarbildes (Assistenzbild) 194
3. Das Stifterbildnis 201
4. Das Rosenkranzbild und die Mater Misericordiä 208
5. Das Porträt als Totendenkmal und die Reihenporträts 214
6. Das unabhängige Einzelporträt 219
a) Vorläufer 219
b) Aeusserlichkeiten des Porträts. Form, Grösse, Tracht,
Geschmeide, Hintergrund 221
c) Künstlerische Auffassung. — Die gleichzeitige italienische
und niederländische Porträtkunst. — Malweise.
— Porträtsammlungen 229
d) Physiognomisches Gesamtbild der Porträts des 15.
Jahrhunderts 241
Rückschau und Ausblick 245
Abbildungen.
Seite:
Perikles, Büste, London 18
Euripides, Büste, Neapel 19
Der Schreiber Wandelgarius, Handschriftillustration 20
Kaiser Lothar, Handschriftillustration 22
Kaiser Heinrich II., Handschriftillustration 24
Gottesurteil, Handschriftillustration 27
Wandgemälde in Oberzell 30
Ekkehard und Uta, Naumburger Stifterfiguren 35
Kopf des Reiters, Bamberger Dom 37
Peter Parler von Gmünd, Büste, Prag 38
Der sog. Tiroler Thaler 41
Mohammed II., Holzschnitt 44
»Der türgisch Kayser«, Holzschnitt 46
Junge Frau vom Meister W. [ornament] B. Kupferstich 49
Votivbild aus Raudnitz 61
Kölner Dombild 66
Erzbischöfliche Madonna von Lochner 70
Altarbild des Meisters der heiligen Sippe 74
Weibliches Bildnis vom Meister von Severin 78
Niederrheinisches Bildnis in Heidelberg 80
Kalvarienberg vom Meister des Amsterdamer Kabinets 83
Das Liebespaar in Gotha 86
Von Meister Franckes Thomas-Altar 92
Desgleichen 93
Von Mosers Magdalenenaltar 96
Altarbild von Konrad Witz 100
Passionsbild von Isenmann 102
Schongauers Selbstbildnis, Kopie von Burgkmair 105
Von dem Multscherschen Altarwerk 108
Zeitbloms Selbstbildnis 110
Silberstiftzeichnung von Holbein d. Ä. 112
S. Pauls-Basilika, von Holbein d. Ä. 114
Epitaphbild von Holbein d. Ä. 117
Geiler von Kaisersberg, von Burgkmair 120
Von Herlins Georgsaltar 122
Männliches Porträt von Herlin (?) 124
Von einer Stiftung des Rosenkranzordens 126
Von einer Kreuzigung aus Benediktbeuren 131
Herzog Sigmund, von Olmendorfer (?) 133
Von einem Altar des Meisters von Neustift 142
Meissner Dombild 145
Schmerzensmann, fränkisch 149
Hohenzollernsche Votivtafel 151
Vom tucherschen Altar 154
Maria als Himmelskönigin, fränkisch 155
Kreuzigung von H. Pleydenwurff 159
Kanonikus Schönborn, von H. Pleydenwurff 161
Vom Zwickauer Altar 166
Vom Peringsdörffer Altar 169
Vom Schwanenaltar in Ansbach 171
Ehepaar in Dessau, von Wolgemut (?) 174
Porträt des Perckmeister, von Wolgemut (?) 175
Hans Tucher, von Dürer 178
Konrad Imhof, fränkisch 180
Doppelbildnis, fränkisch 181
Jörg Ketzler, von Elsner 182
Bildnis eines jungen Mannes, fränkisch 184
Porträt einer Patrizierin, fränkisch (?) 186
Porträt des Pacimondanus, fränkisch (?) 188
Männliches Porträt von Dürer (?) 189
Weltgericht von Lochner 195
Der h. Bernhardin von Siena, Kupferstich 199
Rosenkranzbild 209
Mater Misericordiä, Skulptur 212
Adolf von Schauenburg, von Francke (?) 215
Gruppenbild aus Hoflach 217
Konrad Kyeser, Miniatur 220
Wohnraum mit Porträt 222
Gruppe aus dem Thomas-Altar 226
Giovanni Arnolfini, von J. von Eyck 230
Luigi Scarampi, von Mantegna 231
Anbetung der Könige, vom Meister der h. Sippe 235
Meisterliste.
Bernward von Hildesheim, 34.
Berthold, 152.
Bertram von Minden, 91.
Breslauer Meister von 1447, 146, 158.
Burgkmair, Hans, 105, 119.
Dietrich von Prag s. Theodorich.
Dürer 21 Anm., 42, 43, 45, 144.
Elsner, Jakob, 183.
Francke 91, 215, Anm.
Frass, Leo, 119.
Fries, Hans, 130.
Frühauf, Rueland, 137.
Fuetrer, Uelrich, 132.
Funhof, Hinrik, 91.
Fyoll, Konrad, 88.
Giltlinger, Gumbold, 119.
Herbst, Hans, 129.
Herlin, Friedrich, 121.
Herrad von Landsberg, 26.
Hirtz, Hans, 97.
Holbein, Ambrosius, 118.
Holbein d. Ä., 111.
Holbein d. J., 118.
Isenmann, Kaspar, 102.
Konrad von Soest, 81.
Lauwlin, 96.
Lochner, Stephan, 67.
Mächselkircher, Gabriel, 131.
Meister des Amsterdamer Kabinets, 48, 83.
" " h. Bartholomäus, 76.
Meister des Clarenaltars, 63.
" " Donaueschinger Bildes, 98.
" E. S., 47.
" von Frankfurt, 89 Anm.
" des Georg- und Hippolytaltars, 73.
" von Grossgmain, 137.
" der Kreuzigung in der Frauenkirche, 158.
" des Liebespaares in Gotha, 87.
" von Liesborn, 82.
" des Mainzer Marienlebens, 85.
" " Marienlebens, 68, 71.
" " Meissner Dombildes, 144.
" N. D., 138.
" des Neustifts, 143.
" " Altars der Reglerkirche, 157.
" " Schwabacher Altars, 170.
" " Seeligstädter Altars, 84.
" von S. Severin, 76, 199, 212.
" " Sigmaringen, 125.
" der h. Sippe, 73, 236.
" mit dem Skorpion, 140.
" der Spielkarten, 47.
" des tucherschen Altars, 156.
" der Verherrlichung Mariä, 73, 199.
" W. [ornament] B., 48.
" von Wittingau, 62, 135.
" des Wolfgang Altars, 153.
Mittelrheinischer Meister, 89 Anm.
Moser, Lukas, 97, 248.
Multscher, Hans, 107.
Olmendorfer, Hans, 132.
Pacher, Friedrich, 143.
Pacher, Michael, 140.
Pfenning, 138, (156).
Pleydenwurff, Hans, 159.
Pleydenwurff, Wilhelm, 44, 168.
Ratgeb, Jerg, 128.
Rueland, Wolfgang, 138.
Schit, Nikolaus, 85.
Schongauer, Martin, 47, 103.
Schühlein, Hans, 109.
Strigel, Claus, 125.
Sunter, Jakob, 140.
Theodorich von Prag, 59.
Tieffental, Hans Heinrich, 96.
Traut, Hans, 170.
Wertinger, Hans, 135.
Wilhelm von Herle, (94) 65.
Witz, Konrad, 99.
Wolgemut, 44, 163.
Wurmser, Nikolaus, 33, 59.
Wynrich, Hermann, (64) 65.
Zeitblom, Bartholomäus, 109.
Verzeichnis der Dargestellten.
Aich, von. 75.
Albrecht Achilles, Kurfürst von Brandenburg, † 1486. 172.
Albrecht III., Herzog von Baiern-München,
Gemahl der Agnes Bernauerin, † 1460. 136.
Albrecht IV., der Weise, Herzog von Baiern,
Pfalzgraf bei Rhein † 1508. 132, 135.
Anna, Gemahlin des Kurfürsten Albrecht Achilles, † 1512. 172.
Anna von Schweidnitz, 3. Gemahlin Karls IV.,
Tochter des Herzogs Heinrich von Jauer. 33.
Artzt, Bürgermeister von Augsburg. 112.
Baccharach, Nyclaes, Ritter von. 79.
Bernhardin von Siena, † 1444 (heilig gesprochen 1450). 199.
Berthold, Bischof von Eichstädt, Burggraf von Nürnberg,
† 1364. 150, 205.
Brogny, Jan Allarmet de, geb. 1342, † in Rom 1426. Präsidierte
dem Konstanzer Konzil zur Zeit der Verbrennung des Huss.
Das S. 101 erwähnte Bild kann erst nach seinem Tode gemalt sein.
101.
Brun, Greda, gen. Faut von Monsberg, Gattin des Claus Humbracht,
† 1501. 89.
Conreshem, Christian, gen. Jisenmenger (Eisenmenger). 77.
Cusanus, Nikolaus, Kardinal, † 1464. 73.
Diethelm (?). 125.
Dietner. 163.
Dietrich, Bischof von Salzburg. 32.
Eberhard, Bürger von Prag. 60.
Ehingen, oberschwäbisches Geschlecht. 111.
Ehingen, Burkhard von, zu Diessen, »mit dem Zopf«, † 1407. 127.
Ehingen, Georg, Ritter von, Enkel des vorigen, † 1508. 111.
Ekkehard, Markgraf von Meissen. 35, 36 Anm., 37.
Elisabeth von Hohenzollern, Gemahlin Ruprechts von der Pfalz,
† 1411. 151.
Elisabeth, Gemahlin des Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg,
† 1375. 151.
Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, Gemahlin des Landgrafen
Ludwig IV., † 1231. 26.
Ensinger (Entzinger), Moritz, Baumeister, † 1482. 128.
Ernst, Herzog zu Baiern-München, Vater Albrechts III.,
schuldig des Justizmordes an der Bernauerin. † 1438. 136.
Falkenstein, Cuno von, Erzbischof von Trier. 65.
Ferin, Gehraus (Wildbret?). 153
Frey, Agnes, Dürers Gattin, † 1538. 42.
Friedberg s. Pacimondanus.
Friedrich III., Kaiser, † 1493. 139, 213.
Friedrich V., Burggraf von Nürnberg, † 1398. 151.
Friedrich VI., Burggraf von Nürnberg, seit 1415 Markgraf,
dann Kurfürst von Brandenburg, † 1440. 151.
Friedrich IV., Markgraf zu Ansbach und Bayreuth, 2. Sohn des
Kurfürsten Albrecht Achilles, † 1536. 170.
Friedrich I., der Siegreiche, Kurfürst und Pfalzgraf bei Rhein,
Herzog in Baiern, † 1476. 126, 129.
Fries, Anna, Gattin des Ulrich Schwarz, vielleicht eine Tochter
des Malers Hans Fries, der in Augsburg thätig gewesen sein
soll. 117.
Fuchshart, Jakob, Bürger von Nördlingen. 121.
Fugger, Augsburger Geschlecht. 112.
Fugger, Anton. 119.
Fugger, Jakob, † 1525. 42.
Ganghofer, Jörg, von Haselbach, Baumeister d. Frauenkirche.
† 1488. 185.
Geiler, Johannes, von Kaisersberg, † 1510. 119.
Genger, Hans. 123.
Georg zu Kaisheim, Abt. 116.
Gerhardus, Professor zu Köln. 73.
Glockenton, Hans, † 1433. 153.
Graden, Ritter von. 138.
Groland. 167.
Hackenay, Johann. 75.
Haimendorf. 185.
Haller, Nürnberger Patrizierfamilie. 157, 167.
Hallerin, Margareth Wilhelm. 167.
Hanau, Graf von. 88.
Heiligenberg-Wardenberg. 107.
Heimeran, Zimmermeister der Frauenkirche, † 1488 (?). 185.
Heinrich II., Kaiser, † 1024. 23, 37, 157.
Heinrich der Löwe, Herzog von Baiern und Sachsen,
† 1194. 34, 36 Anm.
Heinrich von Plauen, Hochmeister, † 1429. 216, 220.
Heinrich der Reiche, Herzog von Baiern-Landshut, † 1450. 135.
Herbst, Hans, Maler, † gegen 1550. 129.
Herlin, Friedrich, Maler, † 1500. 123.
Hermann, Landgraf von Thüringen, † 1217. 26.
Hirzlach, Friedrich von, Abt. 149.
Hoferin. 186.
Hohenlandenberg, Hugo von, Bischof zu Konstanz. 107.
Holbein d. Ä., † etwa 1524. 115.
Holbein, Ambrosius, ältester Sohn des vorigen,
† nach 1518. 115.
Holbein d. J., † 1543. 114, 115.
Holzschuherin, Clara. 150.
Humbracht, Claus, † 1505. 89.
Imhof, in Schwaben, Franken und Italien ansässiges Geschlecht.
152, 153.
Imhof, Anton Christian, † 1449. 153.
Imhof, Konrad. 179.
Johann III., Burggraf von Nürnberg, † 1420. 151.
Johann V. von Weissbach, Bischof von Meissen. 144.
Juditha von Flandern. 127.
Jungen, Heinrich zum. 90.
Kannegiesser, Peter. 73.
Karl der Grosse, † 814. 21, 66.
Karl II., der Kahle, Kaiser der Westfranken, † 888. 23.
Karl IV., König von Böhmen, † 1378. 33, 60, 62, 63, 219.
Ketzler, Jörg. 183.
Ketzler (Ketzel), Ulrich, † 1463. 227.
Konrad von Jungingen, Hochmeister, † 1407. 216.
Koler. 157.
Kraft. 111.
Kress. 163.
Kunigunde, Gemahlin Kaiser Heinrichs II, † 1038. 157.
Kunigunde von Oestreich, Tochter Kaiser Friedrichs III.,
Gemahlin Albrechts IV. von Baiern, † 1520. 132.
Kyeser, Konrad. 221.
Lambert, Professor. 73.
Landauer. 162.
Leonore, Gemahlin Kaisers Friedrich III. 213.
Leopold der Heilige, Markgraf von Oestreich, † 1136. 138.
Leopold III., Herzog von Oestreich, † 1386. 139.
Leyckmann, Hans. 107.
Löffelholz, aus Sachsen eingewanderte Nürnberger Patrizierfamilie.
163.
Auf dem Löffelholzaltar sollen dargestellt sein: Fritz,
Hans der Alte und Wilhelm L. († 1475), des letzteren Frauen
Kunigunde, Tochter des Konrad Paumgärtner, Witwe des Hieronymus
Ebner, und Barbara, Tochter des Walther Hirschvogel und der
Witwe Sebald Tucher, sowie die sämtlichen Kinder des Wilhelm L.
Lothar, Kaiser, † 855. 22.
Märkel, Wigand, von Grünau. 89 Anm.
Martin, Truchsess von Wetzhausen. 220.
Mathilde, 2. Gemahlin Heinrichs des Löwen, † 1189. 34, 36 Anm.
Maximilian, Kaiser, † 1519. 45, 87, 112, 213.
Meister des Bossweileraltars. 85.
" " Löffelholzaltars. 163.
" " Mainzer Marienlebens. 85.
" R. F. 169.
" der h. Sippe. 75.
Mengotus, Magister. 150.
Mohammed II., Sultan, † 1481. 44.
Monspurg, von. 79.
Monte, Johannes de, Kanonikus. 73.
Müller. 123.
Neuenar, Gumprecht Graf von. 75.
Neuneck, Barbara von. 127.
Neithart. 111.
Nesselrode-Hugenpoet, Johann von. 77.
Nicolaus von Kues s. Cusanus.
Očko von Wlaschim, Erzbischof. 60.
Orlinc, Johann, Präceptor von Isenheim. 106.
Otto, Domprobst von Gurk. 32.
Pacimondanus. 188.
Papen, Johann, Bürgermeister von Goslar. 170.
Parler, Peter, von Gmünd, Baumeister, † 1398. 38.
Perckmeister, Hans. 174.
Philipp der Schöne, Sohn Maximilians und Marias von Burgund,
† 1506. 87.
Pleydenwurff, Wilhelm, † 1494. 169.
Polani, Barbara. 205.
Prczecislaus, Bischof von Breslau, † 1376. 146.
Prockendorf. 147.
Prünsterer. 153.
Prussy, polnische Familie. 163.
Questenberg. 75.
Rauchenberger, Johannes, Domprobst von Salzburg. 137.
Ravenpurger. 197.
Rehlinger, Dorothea, aus bairischem Adelsgeschlecht. 114.
Reichenstein, Elisabeth von, Aebtissin, † 1485. 69.
Reinhard von Mühlhausen. 60.
Reyda, Bernhardus de, Kanonikus. 73.
Riedler, Barbara geb. 116.
Römer, Martin, Amt- und Hauptmann von Zwickau und Werdau,
† 1483. 165.
Rosen, Kunz von der, Günstling Kaiser Maximilians, † 1519. 112.
Rudolf IV., Herzog von Oestreich, † 1365. 139.
Sachsen. 163.
Sagner, Caspar, Bürgermeister von Zwickau. 165.
Schauenburg, Adolf von. 215.
Schlüsselfeld. 185.
Schönborn, Kanonikus von Würzburg. 160.
Schongauer, Martin, † 1491. 106.
Schwarz-Hirtz, Ritter. 73.
Schwarz, Ulrich, Bürgermeister von Augsburg, † 1478. 116.
Seckendorf. 157.
Sigmund, Herzog zu Baiern-München, Bruder Albrechts IV., † 1501. 133.
Sigmund, Erzherzog von Oestreich, Graf von Tirol, † 1496. 41.
Sigmund, Herzog zu Sachsen, Fürstbischof von Würzburg, † 1463.
146.
Sixtus IV., Papst. 213.
Sophie, Gemahlin des Markgrafen Friedrich IV. zu Ansbach und
Bayreuth, † 1512. 170.
Spengler, Leonhard, † 1484. 167.
Stabius, Johann, Humanist, † 1522. 21 Anm.
Stalburg, Claus, Bürgermeister von Frankfurt a. M., † 1524. 128.
Stalburgerin, Margarethe, † 1550. 128.
Stauffenberg. 102.
Stephan von Sierndorf, Probst. 139.
Strobel, Nikolaus, Stadtrichter. 218.
Strödel, Pavel, Ratsherr von Zwickau. 165.
Stromer, Nürnberger Familie. 163.
Stromer, Paulus, † 1406. 150.
Talberg, Jörg Rottel Freiherr von. 139.
Tucher, Nürnberger Patriziergeschlecht. 185.
Tucher, Hans, † 1528. 177.
Tucher, Elisabeth Niclas. 177.
Tucher, Felicitas. 177.
Tucher, Ursula Hans, geb. Harsdörfer, † 1504. 176.
Udemann, Jakob, von Erchelenz, Vikar, Pastor zu Wailhorn. 72.
Ulricus, gen. Kötzler von Volkersan. 157.
Ulrich V., der Vielgeliebte, Graf von Württemberg, † 1480. 127.
Uta, Gemahlin des Markgrafen Ekkehard von Meissen. 35, 36 Anm.,
37.
Valzner. 157.
Vetter, Veronika, Walpurga und Christina. 113.
Vilberer, Thomas. 165.
Volkamer, Nürnberger Patrizierfamilie. 153, 167.
Wagner, Lienhard, Mönch von S. Ulrich. 112.
Waldeck, Barbara, gen. von Ybm. 86.
Walter, Ulrich. 115, 116.
Wartenberg, Peter von. 146.
Welser, Veronika, Tochter des Bartholomäus Welser, Bürgermeister
von Augsburg (?), seit 1503 oder 1504 Priorin des
Katharinenklosters, † 1530 oder 1531. 115.
Welser, geb. Ungelter. 129.
Wenzel, deutscher König und König von Böhmen, † 1419. 33, 60.
Wenk, Johann, Abt von Heilsbronn, † 1529(?). 170.
Wernigerode, Heinrich Graf von, aus niedersächsischem Geschlecht.
144.
Wilhelm III., Herzog von Baiern-München, † 1435. 136.
Wolf, Herzog von Schwaben. 127, 207.
Wolfskehlen, Junker Philipp von. 85.
Wolgemut, Michel, † 1519. 42, 164, 165.
Zabka, Stanislaus. 163.
Zingel. 163.
Zeitblom, Bartholomäus, † gegen 1518. 109.
Abkürzungen.
Wo bei einem Citat nicht der volle Titel des Buches angegeben ist,
sondern nur der Autorname, so bezieht sich der Hinweis auf folgende
Schriftstücke:
Burckhardt: Das Porträt in der Malerei. Beiträge zur
Kunstgeschichte in Italien. Basel 1898.
Janitschek: Geschichte der deutschen Malerei. Berlin 1890.
Kraus: Geschichte der christlichen Kunst. Freiburg i. Br. 1897.
Merlo: Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit. Herausgegeben
von Firmenich-Richartz. Düsseldorf 1895.
Schultz: Deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert. Grosse
Ausgabe. Wien und Prag 1892.
Sighart: Geschichte der bildenden Kunst im Königreich Baiern.
München 1862.
Thode: Die Malerschule von Nürnberg. Frankfurt a. M. 1891.
Vischer: Studien zur Kunstgeschichte. Stuttgart 1886.
Woltmann: Holbein und seine Zeit. 2. Auflage. Leipzig 1874.
Ein Ortsname neben einem Gemälde bedeutet, dass sich das betreffende
Werk in der wichtigsten Sammlung oder der einzigen Kirche des genannten
Ortes befindet, anderenfalls wird die Aufbewahrungsstelle besonders
bezeichnet.
Der Hinweis »Klass. Bilderschatz« bezieht sich auf die bekannte
Bruckmannsche Publikation. (München; Reber und Bayersdorfer.)
Berichtigungen.
Seite 117, Zeile 1: »unter ihnen der Bürgermeister, sein Sohn Ulrich
und dessen drei Frauen.«
Seite 149, Zeile 12: »Aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.«
Zur Einleitung.
Der bei aller Lust am Fabulieren den Völkern germanischer Abstammung
tief eingewurzelte Wirklichkeitssinn kommt in der deutschen Malerei
als das Bestreben zum Ausdruck, allen Dingen der Erscheinungswelt
ihr wesenseigenes Gepräge zu geben: der Landschaft, dem Innenraum
und demjenigen Objekte, das aller Dinge Mass ist, dem Menschen, —
~Individualisierung und Charakterisierung ist die treibende Grund- und
Urkraft der deutschen malenden Kunst~.
Männertypen und, mit einem gewissen zeitlichen Abstand folgend, auch
Frauentypen, in den frühesten Tagen der Schilderkunst den antiken
Prachthandschriften naiv und getreulich nachgebildet, erhalten bald
zum mindesten einen Hauch germanischen Wesens; das in ihnen nur ganz
allgemein angedeutete gewinnt durch das Korrektiv der Wirklichkeit
seine besondere Gestaltung, und selbst dem bereits in scharf
ausgeprägter Gattungsform aus der Fremde übernommenen wird nach eigenem
Bilde eine neue Erscheinungsform gegeben. So wandelt sich der runde
Römerkopf in ein zartes Oval, und auf germanisches Vorbild deutet das
gewellte Haar, der kleine und zierliche Mund, dessen Unterlippe oft
stark hervorgehoben wird, die langgezogene Nase und die grossen runden
Augen.
Aber nur langsam und nicht mit gleichmässig zunehmender Kraft wachsen
Beobachtung und Wiedergabe der Wirklichkeit. »Auf dem eingeschränkten
düsteren Pfaffenschauplatz des medii aevi« konnte das Auge des
Künstlers nicht weltsichtig werden; um es weit und hell zu öffnen,
bedurfte es des gewaltigen Umschwunges aller wirtschaftlichen,
sozialen und politischen Verhältnisse, wie er mit dem Ausgange
des Mittelalters hereinbrach. Nun erst erscheinen im Buch und auf
der Malertafel, anfangs noch schüchtern, dann mit immer grösserer
Sicherheit, Landschaft, Innenraum und Menschen in ihrer ästhetischen
Realität, so wie sie durch das Medium der deutschen Künstlerseele
erschaut und von ihr nachempfunden wird, — und nun beginnt auch die
eigentliche ~Geschichte des Porträts~.
Die tausendjährige Kunst eines Volkes lässt sich freilich nicht mit
einer Generalsentenz abfertigen: der Grundzug der Individualisierung
der Erscheinungswelt ist einer deutschen Schule während der Jahre
ihrer herrlichsten Blütezeit überhaupt nicht zu eigen gewesen, und das
Wollen und die Fähigkeit, das aus fremdem Volkstum Entlehnte mit Geist
vom eigenen Geiste zu beleben, hat die gesamte deutsche Malerei, von
Adam Elsheimer und einer Anzahl gut bürgerlicher Porträtmaler absehen,
in den zwei Jahrhunderten, die auf Dürers und Holbeins Tode folgten,
entbehrt.
Dass die zarten Seelenmaler von Alt-Köln bis auf den Meister des
Marienlebens sich von der nüchternen Wirklichkeit fern hielten, ist
aus der Stimmung der Zeit und des Ortes zu erklären, in der sie ihre
Werke schufen. In Köln schlug das Herz der deutschen Mystik. Nicht
umsonst hatte hier Tauler und seine Schülerschar gelehrt, der Weg
zu Gott gehe durch die Empfindung, nicht durch den Verstand, durch
stilles Beharren, nicht durch Handeln, und die Befriedigung des
irdischen Daseins sei in demutsvoller Entsagung und Entselbstung zu
suchen, nicht in verzehrendem und nutzlosem Kampfe. Der behagliche
Wohlstand der Stadt und die sorglos heitere Gemütsart seiner Bewohner
— das Ergebnis einer glücklichen Mischung romanischer und germanischer
Elemente und bis auf den heutigen Tag in mancher Aeusserung des
Volkslebens erkennbar — kamen der allgemeinen Verbreitung einer solchen
Weltanschauung zu statten, und so ist es nicht zu verwundern, dass aus
dieser Grundstimmung heraus Werke geschaffen wurden, die uns wie in
einen geheimnisvollen Charfreitagszauber hineinführen, die aber mit der
Alltäglichkeit und herben Realität der Dinge nichts zu thun haben.
Weniger einfach ist die Erklärung des allgemeinen Verschwindens jeder
Individualisierungskraft nach dem goldenen Zeitalter der deutschen
Malerei, nach der Mitte des 16. Jahrhunderts. Das Wort von der
»Erschöpfung« darf man füglich nicht gelten lassen, denn es setzt einen
Kraftaufwand voraus, der nicht vorhanden war, wenigstens nicht bei
einer Mehrheit der Künstlerschaft. Auch das Gesetz von der psychischen
Ermüdung ist in dem gegebenen Falle nicht anwendbar. Das Verlangen nach
Abwechselung, dessen nervöse Heftigkeit unser modernes Kunstschaffen
so stark beeinflusst, stellte sich in jenen Zeiten erst dann ein, wenn
alle Ausdruckmöglichkeiten einer Kunstweise thatsächlich erschöpft
waren, und so gut in Italien auf Michelangelo ein Bernini folgen konnte
und folgen musste, so gut hätte man erwarten müssen, dass der Dürersche
Realismus — oder richtiger Idealismus, denn so darf man ihn wie jede
hohe Kunstweise nennen — noch eine zweite Blüte ansetzen, noch eine
Steigerung, und bestehe sie auch in einer Uebertreibung nach Seite des
Manierierten oder selbst des Grotesken, erfahren werde.
Ich vermag in dem Absterben des nationalen Wirklichkeitssinns und
der an seine Stelle tretenden Fremdländerei nichts anderes zu sehen,
als eine ~pathologische Erscheinung~, wie sie zu Zeiten auch in dem
Kunstschaffen anderer Völker zu beobachten ist und die ein Analogon in
der Kleinwelt des Individuums hat: gleichwie im Leben des Einzelnen
Stimmungen auftauchen, in denen sein Denken und Fühlen durch Einflüsse,
welche seinem inneren Wesen durchaus unangemessen sind, aber die starke
Kraft der Anziehung besitzen, vorübergehend aus der ursprünglichen Bahn
geworfen wird, so wenden sich auch ganze Volksgemeinschaften mitsamt
ihrem künstlerischen Gestalten kürzere oder längere Zeiträume hindurch
willenlos von ihrem eigenen Wesen ab und geben sich ohne Widerstand
fremdem Geiste hin. Gefeit gegen die Sucht der Nachahmung ist kein
Volk, hat doch selbst die so bodenwüchsige italienische Kunst ihre
»flämische Zeit« gehabt.
Warum aber, so muss man sich auch nach diesem Erklärungsversuch
fragen, hat bei uns der kranke Körper, um in dem einmal gewählten
Bilde zu bleiben, so langer Zeit bedurft, den Krankheitsstoff
wieder auszuscheiden? Warum währte gerade in Deutschland fast
zwei Jahrhunderte lang der fremde Götzendienst, wo Schönheit und
Pathos romanischer Formen- und Farbengebung erstrebt und doch
nicht im entferntesten erreicht wurde, wo der angeborene Sinn für
Lebenswahrheit und Charakteristik in tiefen Schlaf versunken schien
und wo schliesslich das in seiner Wirkung so verheerende Beispiel
Michelangelos und noch mehr das seiner Nachfolger in romanischen
und flämischen Landen mit ihrer aufgebauschten, aber innerlich
hohlen Rhetorik die letzten Reste einer ruhigen und sachlichen
Wirklichkeitsdarstellung erstickte?
Eine tendenziös-katholische Geschichtsschreibung sieht die Ursache
des traurigen Niedergangs und seiner Dauer in der reformatorischen
Glaubensbewegung und der ihr folgenden Glaubensspaltung. Gewiss,
nachdem das Wort von der Rechtfertigung durch den Glauben einmal
den Rahmen des »Mönchsgezänks« überwachsen und ganz Deutschland
zu einer Stellungnahme für oder wider gezwungen hatte, musste
naturgemäss der nun entbrennende, in der Geschichte bisher unerhörte
Geisteswaffenkampf kunstfreundliche Bestrebungen in den Hintergrund
drängen. Zugegeben also, dass der ~Beginn~ des Niedergangs in einem
gewissen ursächlichen Zusammenhang mit der grundstürzenden Lehre des
Erfurter Augustinermönches steht, dass aber für die ~Dauer~ desselben
andere Umstände entscheidend gewesen sein müssen, das beweist ein Blick
auf den Werdegang der benachbarten und so nahe verwandten holländischen
Kunst, die durch die nämlichen Glaubenskämpfe und gleichfalls durch
»antikisch-welsche Art« hindurch aus schliesslich siegreichem
protestantischen Geiste heraus das Kunstideal aller germanischen Stämme
zur höchsten Vollendung geführt hat.
Welcher Art in Deutschland auf dem Gebiete der Malerei thatsächlich die
inneren Hemmungsfaktoren waren, wird der rückschauende Blick wohl nicht
eher klar erkennen, als bis wir nach dem Entwickelungs-Sturm und -Drang
der Gegenwart wirklich zu einer grossen neudeutschen Malkunst gelangt
sein werden, denn erst auf der Höhe übersieht man den zurückgelegten
Weg.
Deutlicher als die inneren, liegen die äusseren Umstände zu Tage,
die für das lange Darniederliegen der Malerei verantwortlich gemacht
werden müssen: noch im 16. Jahrhundert die Zusammenbrüche der grossen
oberdeutschen Handelshäuser, der Ausschluss Niederdeutschlands vom
Weltverkehr und die im Gefolge der Reformation und Gegenreformation
wütenden Kriegsstürme, welche die Nachfrage nach Bildern auf ein
geringes Mass herabdrückten und auch nicht das bescheidenste
Mäcenatentum aufkommen liessen, dessen die Kunst zu allen Zeiten
bedarf, und im 17. Jahrhundert der mit einer allgemeinen Verwüstung,
einer grenzenlosen Verarmung und Verrohung endigende dreissigjährige
Krieg, nach welchem nun abermals, wie durch einen gebrochenen Damm
hindurch, eine fremde Kultur, diesmal vom Westen her, sich über
Deutschland ergoss.
Aber alle diese gewaltsamen Störungen sind nicht imstande gewesen,
die Urkraft der deutschen malenden Kunst zu vernichten. Leise schon
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts — Chodowiecki, Anton
Graff, Christian Leberecht Vogel —, mitten in einer klassizistischen
Reaktion, die im Wechsel der Leitbilder ihr Heil zu finden wähnte
und von der lärmenden Aufdringlichkeit und gespreizten Unnatur
der Welschen zur »edlen Einfalt und stillen Grösse« der Hellenen
geflüchtet war, vernehmlicher am Anfange des neunzehnten, klingt
uns wieder ein altvertrauter Laut aus deutschen Bildern entgegen.
In den Werken der Nazarener hebt er an, und in denen Alfred Rethels
einerseits und Moriz Schwinds andererseits tritt der deutsche Genius
aus seiner zweihundertjährigen Verfinsterung hervor, die Ausländerei
ist überwunden und die Quellen der Kunst entströmen von neuem der
heimischen Erde.
Und wie steht es heute? Die Namen Menzel, Thoma, Böcklin sind in
Aller Munde und zeugen laut dafür, dass unser Kunstideal, trotz aller
zeitweiligen und mächtigen Gegenströmungen, seine Wurzeln tief in
das eigene Volkstum gesenkt hat. Wenn wir die Säle unserer modernen
Riesenausstellungen durchwandern, dürfen wir es freudig bekennen:
in der Fülle dieser Werke, so stark auch fremde Kunstgedanken das
ruhige Schaffen unserer Meister durchkreuzen und ihnen infolge eines
unerhörten Austausches von Kunstschöpfungen aller Nationen von Amerika
bis Japan, in Originalen und Nachbildungen, immer neue Farben-, Licht-
und Formempfindungen vor die Augen geführt werden und so mächtig auch
die alle Welt umspannende, aufs höchste gesteigerte und komplizierte
Arbeit am Webstuhle des Gedankens ihre Phantasie zu neuen, noch nie
dagewesenen Gebilden reizen muss, — in diesen schier unübersehbaren
Gemäldescharen kommt die ~deutsche Art~, hier stärker, dort schwächer,
hier mit ihren guten, dort mit ihren minder guten Eigenschaften, immer
und immer wieder zum Durchbruch.
Freilich, was ist deutsche Art?
Es giebt Begriffe, die verstandesmässig zu erklären das Wort versagt.
Kann man den Geist in Dürers Marienleben durch die Retorte treiben
oder den Holbeins Darmstädter Madonna zerlegen wie den Sonnenstrahl
durch das Prisma? Und dennoch sei der Versuch gewagt, das wahre Wesen
deutscher Art in seine Grundstoffe aufzulösen, sei es selbst auf die
recht nahe liegende Gefahr hin, dass, während wir die Teile in der Hand
haben, uns das geistige Band entschwindet.
Die Hauptschwierigkeit unserer Analyse besteht in der auffälligen
Verschiedenheit der deutschen Stämme nach Geistes-, Charakter- und
Gemütsbeanlagung und in den Schwankungen, denen auch diese wiederum im
Laufe der Jahrhunderte unterworfen waren, vor allem aber in der Auswahl
derjenigen Volksschicht, auf welche wir, als der jeweiligen Trägerin
der echten deutschen Art, unseren Urteilsspruch begründen wollen.
Beim besten Willen kann ein solcher nicht anders als im höchsten
Grade subjektiv sein, und auch abgesehen von diesem Mangel, ist es
schlechterdings nicht zu vermeiden, dass Einzelzüge der zu gebenden
Begriffsbestimmung nicht für ~alle~ Gaue und nicht für ~alle~ Zeiten,
noch weniger für ~alle~ Gesellschaftsklassen zutreffend erscheinen.
Ein Bild von deutscher Art kann daher nur einen beschränkten
Aehnlichkeitsanspruch erheben, etwa wie ein modernes »Sammelbild«, das
durch Uebereinanderphotographieren von Individuen einer Gattung auf ein
und derselben lichtempfänglichen Platte entstanden ist, und von dem man
ja auch nur die grossen und allgemeinen Züge in Uebereinstimmung mit
denen jedes Einzelnen erwarten wird.
Um mit dem, was ~nicht~ deutsche Art ist, zu beginnen, — so
vereinfachen wir uns die Arbeit der Zergliederung, indem wir zunächst
die das Objekt verhüllenden Schalen entfernen, — deutsch ist nicht
alles, was jemals innerhalb der Reichs- und Sprachgrenzen von einem
Deutschen geschaffen worden ist, auch wenn es uns aus diesem oder
jenem Grunde recht wohlgefallen mag. Deutsch ist jedenfalls nicht,
was schablonenhaft und unverarbeitet fremder Kunst entnommen ist,
— das Brandenburger Thor, die Propyläen, die Glyptothek. Auch das
fremdem Geiste Nachempfundene, sofern es nicht zuvor durch das
belebende Stahlbad heimischen Wirklichkeitssinnes gegangen ist, kann
nicht deutsch genannt werden, selbst wenn Generationen, die unter
dem bannenden Einfluss eines grossen fremdländischen Kunstschaffens
gestanden, es als eigene Kunst betrachtet haben — die Werke eines
Raphael Mengs, eines Carstens und seiner Nachfolger —, oder wenn
einzelne Individuen oder eine Mehrheit solcher, in denen ein
undeutscher Sinn für das Prächtige und Prunkende das feine Gefühl für
den heimlichen Reiz des Schlichtheimischen verwischt hat, das, was doch
nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle ist, als den Gipfel
alles Künstlerischen preisen, — so manches Heroendenkmal unserer Tage.
Ein positives Kennzeichen deutscher Art, wie sie in der bildenden
Kunst zum Ausdruck kommt oder doch zum mindesten nach Ausdruck ringt,
ist ~die Kraft der Individualisierung und Charakterisierung~ aller
Dinge der Erscheinungswelt, der »Wesensausdruck«, wie das von Henry
Thode für diese beiden Elemente geprägte Wort lautet. Ein jeder
deutscher Künstler ist gewissermassen ein Akkumulator dieser beiden
Kräfte: was je von den Karolingerzeiten bis auf den heutigen Tag mit
Feder, Stift oder Pinsel geschaffen worden ist, findet durch sie seine
Erklärung, seine Rechtfertigung oder seine Entschuldigung, sie sind die
bedeutsamsten aller Triebe, weil sie nicht erworben, sondern angeboren
sind, sie sind das Thema, von dem die nun folgenden Einzelmerkmale die
Variationen sind.[1]
Da ist zunächst ~Innerlichkeit~ und ~Schlichtheit~ zu nennen. Sein,
nicht Scheinen, Natur, nicht Attitüde, Gehalt, nicht Gehaben, Wahrheit,
nicht erheucheltes Wesen. Wie der Deutsche das Leben zu führen
wünscht, das spiegelt sich wieder in den Werken seiner Kunst, in
allen Schöpfungen der echten Meister, von jenem Unbekannten an, der
die Tristanbilder an die Wände des Schlosses Runkelstein malte, bis
zu Lucas Cranach, in Elsheimers gemalten Poesien und in den Tafeln
der Nazarener bis zu denen Spitzwegs, Uhdes, Thomas, Steinhausens,
Haiders und wie die Neudeutschen alle heissen. In lebender und lebloser
Staffage wollen sie nichts anderes geben, als die rein sachliche
Verwirklichung eines künstlerischen Gedankens. Das sind einfache,
schlichte Leute, die uns dort begegnen, nicht über die Natur in eine
unverständliche Sphäre hinausgehobene Uebermenschen, sie schauspielern
nicht in der Bewegung und sie posieren nicht in der Ruhe, ihre Gebärden
entsprechen just dem, was sie mit ihnen ausdrücken wollen.
Aber diese Schlichtheit schliesst ~Reichtum der Formen und des Inhalts~
nicht aus. Die stoffliche Ueberlastung des deutschen Bildes hat
bekanntlich Michelangelo bei Dürer und dessen Landsleuten getadelt, und
soweit diese Bemängelung sich auf die grossen Tafeln bezieht, muss man
ihr zustimmen, anderseits jedoch verdanken wir auf Nebengebieten der
Malerei gerade dieser nie versiegenden Gestalten- und Gedankenfülle
die herrlichsten Schöpfungen. Welch ein unermesslicher Reichtum an
entzückenden Ideen und köstlichen Einfällen ist allein in Initialen
und Randzeichnungen des deutschen Buches niedergelegt, und wie wären
ohne jenen Ueberschuss an persönlichem Gefühl und Phantasie die
tausende und abertausende von Handzeichnungen, Holzschnitten, Kupfern
und Drucken entstanden, in denen uns eine ganze Welt der tiefsten
und eigenartigsten Gedanken entgegentritt, reichhaltiger als sie das
Kunstschaffen irgend eines anderen Volkes hervorgebracht hat?
Meister in der Beschränkung der Erscheinung wie der Italiener bis zu
den Tagen des Manierismus, ist der Deutsche allerdings nicht, und was
ihm in Ornament und graphischen Künsten zum Vorteil war, das wird ihm
auf dem farbigen Tafelbild zum Verderben. Sein so leicht erregbares
Gefühlsleben lässt ihn hier die von dem Sinn für das Edle und Schöne
gezogenen Schranken rücksichtslos durchbrechen, und eine überströmende
Phantasie, verbunden mit einem Uebermass von Gestaltungskraft, treibt
ihn nur all zu oft, auf einer einzigen Tafel zu geben, was ihn zur
Stunde bewegt, — eine verschwenderische Summe von Einzelheiten, die
recht wohl den Stoff zu einem Dutzend Bildern geben konnten. Man denke
nur, um ein Beispiel anzuführen, für welches Michelangelos Tadel gewiss
berechtigt ist, an die deutschen Darstellungen der Passionsszenen:
wie oft verwirrt hier nicht die stoffliche Menge die Klarheit und
Uebersichtlichkeit des Vorganges und wie häufig vernichtet die jeder
gesetzmässigen Ausdrucksform spottende Anordnung der Figurenmassen
die malerische Wirkung der Bilder. Die Tafel, und sei sie noch so
gross, ist zu klein für das, was die Meister auf ihr erzählen wollen,
denn nicht nur Dürer, sondern auch alle die anderen, die Burgkmair,
Altdorfer, Cranach, Spitzweg, Richter, Klinger, Böcklin, inwendig ist
ein jeder »voller Figur«.
Dieselbe im Gehirn des Künstlers unaufhörlich nach schöpferischer
Gestaltung drängende Kraft erklärt auch die Vorliebe der deutschen
Maler für ~dramatische Bewegung~ ihrer Stoffe und daher — im Gegensatz
zu den Italiern, die sich ihnen nur selten zuwandten — die Bevorzugung
solcher Scenen aus der christlichen Heilsgeschichte und der Legende, in
denen sich starke Affekte zum Ausdruck bringen liessen und wo nun gar
oft, in farbiger Realität wiederum störender als in der gemilderteren,
noch mehr abstrakten Uebertragung auf Holzschnitt oder Kupfer, der
Vorgang ins Masslos-Leidenschaftliche, Stürmische, Gewaltsame,
Graussige, ja ins Aesthetisch-Unmögliche gesteigert erscheint. Man
muss diesen Bildern Mangel an Stil vorwerfen, aber im Grunde genommen
sind sie, von erschreckenden Uebertreibungen wie sie namentlich die
bairische Kunst zeigt abgesehen, dem naiven Empfinden des deutschen
Volkes doch entsprechender, als die vornehmkühlen und abgemessenen,
wenn auch so unendlich formvollendeteren und harmonischer verlaufenden,
deshalb ästhetisch viel höher zu bewertenden Darstellungen derselben
Motive in italienischer Kunst. Aehnlich ergeht es übrigens dem
unberührten Volkssinn mit den Prachtbauten der Renaissance gegenüber
seinen heimischen zum Himmel emporstrebenden Domen, die mitsamt ihrem
Reichtum an krausen, spielenden, lustigen Zierformen schliesslich
dasselbe Ausdrucksmittel eines übersprudelnden, tiefinnerlichen
Gefühls- und Phantasielebens sind, das selbst dem toten Steine Seele
und Bewegung, ja Gebärde, Sprache und Ton verleihen möchte.
~Bewegung~ und ~Fülle~, ein und derselben Triebkraft entsprossen und in
allen Werken deutscher bildender Kunst sich offenbarend, sie scheinen
thatsächlich ein inneres Bedürfnis unseres Volkes zu befriedigen. Man
beobachte die Besucher unserer öffentlichen Kunstsammlungen und achte
darauf, welchen Bildwerken sie ihre Aufmerksamkeit zuwenden: unter den
Gemälden sind jedenfalls die dramatisch bewegten und die stofflich
reichen die grössten Magnete. In Köln vor Lochners jüngstem Gericht
drängen sich allsonntäglich die Beschauer, während desselben Meisters
»Madonna im Rosenhag«, schräg über, einsam, nur von ihrer kleinen
Engelschar bewundert, in all ihrer himmlischen Herrlichkeit thront.
Solange der Betrachter der Bilder sich von der Vision des Künstlers
mit fortreissen lässt und die alte Schwiegermutter Weisheit das
zarte Seelchen Phantasie noch nicht beleidigt, ist jenes Bedürfnis
nach einem bewegten und reichen Stoff noch nicht geradezu als
unkünstlerisch zu bezeichnen, aber es steht bereits hart an der
Grenze, wo der Weg hinüber zum Kunstwidrigen führt; in unserm Kölner
Beispiel, das vertausendfacht werden könnte, ist die Scheidelinie
schon überschritten: das Motiv des Interesses entspringt hier nicht
ästhetischem Geniessen, sondern einer Befriedigung des Intellekts, der
Neugier, der Lust am Wunderlichen, — einer Schwäche, die Goethe so
hübsch in die Worte der gefangenen Trojanerinnen zusammenfasst: »Hören
möchten wir am liebsten, was wir gar nicht glauben können.«
Und nun müssen wir verallgemeinern: der Germane, der Holländer
ausdrücklich ausgenommen, betrachtet ein Bild gar zu häufig lediglich
mit dem Verstande, dem er als Gehilfen das Gefühl und allenfalls die
Empfindung beigestellt, nicht, wie der Romane, mit dem für das Schauen
doch in erster Linie geschaffenen Organ, dem Auge. Eine Funktion aber,
die nicht geübt wird, verkümmert, und die Folge ist, dass die Kraft des
Formen- und Farbensinnes der Deutschen und der ihnen blutsverwandten
Völker schwächer ist, als die der Romanen.
Doch mit einer verstandsmässigen Durchforschung des Bildes und aller
seiner Einzelheiten begnügt sich der Germane noch nicht, er verlangt
auch, dass der Inhalt des Gemäldes sein Wissen bereichere, ihn
womöglich belehre. Vor lauter faustischem Erkenntnistrieb sieht er oft
das Bild als solches überhaupt nicht mehr, er wird ihm gegenüber zum
Bildungsfanatiker oder zum Moralisten, je nach dem Stoff, in den er
sich hineingewühlt hat, und — auch der Künstler ist ein Teil des Volkes
— in Zeiten, wo solch ein Insektengeist herrscht, um ein Wort des so
schnell vergessenen Rembrandt-Deutschen zu gebrauchen, entstehen jene
»Richtungen«, lehrhafte, novellistische, ethnographische, tendenziöse,
moralisierende, die mit der Kunst wenig mehr als den Namen gemein haben.
Das ist die Kehrseite der Medaille, die auf ihrer Schauseite den
stolzen Namen Phantasie trägt.
Ein anderes Kennzeichen deutscher Art ist die herzliche ~Freude an
der Natur~, die sich schon frühzeitig, nachdem einmal der Gold- oder
einfarbige Grund überwunden war, in der intimen und liebevollen
Behandlung der Landschaft im Bilde ausspricht. Gewiss klingt uns
auch aus den Werken der niederländischen und der italienischen
Quattrocentisten eine der deutschen verwandte Lust an all der goldenen
Herrlichkeit der Natur entgegen, aber ein feiner Unterschied besteht
doch. Ganz so kindlich und naiv wie die alten deutschen Meister sind
sie nicht. Schon in den Anfängen der Landschaft, schon bei van Eyck
und Botticelli, ist zu beobachten, wie ein angeborener Sinn für die
malerische Wirkung und das künstlerisch Abgeklärte, der den Deutschen
in minderem Grade zu eigen ist, sie zu einem gewissen Komponieren und
zu einer wenn auch nur geringen Steigerung der Effekte führt, die man
bei den Altkölnern und den frühen Oberdeutschen vergeblich suchen wird.
Der Deutsche, und hier sei wiederum eine Abschweifung vom Künstler zu
seinem Volke gestattet, betrachtet von vornherein die Natur mit andern
Augen als der Romane, selbst mit andern, als sein nächster germanischer
Verwandter an den Rheinmündungen und der Schelde. Aufmerksamer als
dieser beobachtet er das Naheliegende, nicht das Ferne. Wohl machen
auch auf ihn die grossen Linienzüge der Landschaft, die weiten Fernen,
die Gebirgsmassen und die über ihnen sich aufbauende Architektur der
Wolken ihren gewaltigen Eindruck, aber im Grunde genommen ergötzt er
sich doch mehr an dem ~Kleinkram~ der Natur, der am Rande des Weges,
den er tritt, sich ausbreitet, an dem goldenen Käfer, der am grünen
Halme emporstrebt, der wogenden Alge im krystallhellen Bächlein,
der Eidechse, die im Sonnenstrahle schillert und blitzt, und an dem
unerschöpflichen Farben- und Gestaltenreichtum der Blumenwelt — eine
Fähigkeit des Genusses, die Alfred Lichtwark einmal als das köstliche
Erbteil einer endlosen Reihe von Generationen bezeichnet.
Dieses Naheleben ist es, das sein Auge von jeher entzückt hat, und
mit ihm vor allem beschäftigt er sich auf seinen Spaziergängen,
die ihn vom lärmenden Treiben der Stadt hinwegführen und die ihm
heimlichere Freuden gewähren als den andern ihre Promenade, Passegiata
oder walking tour. Auch der deutsche Handwerksbursche, der Bruder
Straubinger, der mit seinem Wanderstock und Ranzen auf allen Strassen
der bewohnten Erde zu finden ist, vertieft sich ja bekanntlich gar so
gern in alles Wunderliche, das in seiner Nähe kreucht und fleucht, und
selbst die typische Figur des Knaben mit der grünen Trommel und dem
Schmetterlingsnetz verdankt dem gleichen Interesse ihr Dasein.
Ganz besonders aber ist es der deutsche Wald mit allem Organischen,
das geheimnisvoll in ihm lebt und webt, dessen Zauber es dem Deutschen
angethan hat und den er einst so gern, bevor noch nüchterne Forschung
der Märchenherrlichkeit ein Ende gemacht hatte, mit redenden Tieren,
Zauberern, Zwergen und Feen belebte, mit Schätze bewachenden Drachen
und Land und Leuten verderblichen Lindwürmern. Und was der Maler aus
den deutschen Wäldern mit heimgebracht hat, das klingt uns wieder
aus den Werken der grossen Koloristen des 16. Jahrhunderts — von
den Neudeutschen, vor allem Böcklin, ganz zu schweigen —, aus den
phantastischen Busch- und Baumgebilden Grünewalds, aus Altdorfers
romantischen Waldeinsamkeiten und Cranachs träumerischen Hainen. Ja man
darf wohl Robert Vischer Recht geben, wenn er den tiefgehenden Einfluss
des Waldes sogar »in der Welt von ausdrucksvollen Fältchen um die alten
Augen, in all den holprigen, zwizerlichen Formen« der Greisenköpfe
Dürers erkennt.
Gewiss finden wir in der Landschaft der deutschen Malerei nicht nur
ein Gefühl für das Kleine und Nahe, sondern auch für die Wirkung der
grossen majestätischen Linie, für die weite, den Blick ins Unendliche
führende Ferne und seit den letztvergangenen Dezennien auch für die
feinen Reize der Luft- und Lichtstimmungen, aber es ist dieses Gefühl
weder ein angeborenes, wie es etwa die Kraft der Charakterisierung ist,
noch ist es unmittelbar aus dem Anschauen der Natur geboren, wie das
für die Kleinwelt auf Wiese und im Wald, sondern es hat sich auf einem
mittelbaren Wege entwickelt: durch das Studium fremden Kunstschaffens.
Dort, bei den Italienern und den Holländern, lernte der deutsche Maler,
den ihm so lieben Kleinkram der Natur zu Gunsten der Gesamtwirkung
des Bildes zu beschränken, das Nebensächliche dem Wesentlichen
unterzuordnen und die Summe aller Einzelerscheinungen zu einer einzigen
Harmonie zusammenzuschliessen; das wunderbare Geheimnis des paysage
intime, »das zarteste Kind unseres Jahrhunderts«, wurde ihm aus dem
Walde von Barbizon offenbart, was er dann alledem aus eigenem deutschen
Geiste hinzugegeben hat, das bleibt natürlich sein ungeschmälertes
Verdienst.
Aber um das Wesen einer Kunst ganz zu verstehen, muss man sie in
ihren Anfängen belauschen, und die kostbaren Dokumente aus dem
Kindesalter unserer Malerei scheinen im Vergleich mit den Erstlingen
der niederländischen und italienischen, auf einen treuherzig-ehrlichen,
aber etwas kleinlichen Sinn (das herabsetzende Beiwort nicht absolut,
sondern relativ genommen) der deutschen Meister in der Auffassung der
Landschaft hinzudeuten.
Den Mangel eines grossen Zuges, ja die Spur einer fast das
Pfahlbürgerliche streifenden Gesinnung, ist auch bei den altdeutschen
Meistern des ~Porträts~ nicht zu verkennen, und seine Wandlung nach
Seite des Grossartigen und Grossen scheint sich noch langsamer zu
vollziehen, als bei den Landschaftern. Von den beiden grössten
deutschen Bildnismalern konzentriert der eine, Dürer, alle seine
unvergleichliche Kraft der Charakteristik fast ausschliesslich in
den Köpfen und auch diesen, selbst aus seiner besten Zeit nach der
niederländischen Reise, haftet noch ein wenig die peinlich-objektive
Naturbeobachtung an, die einer freien, gleichsam in die Ferne gerückten
Auffassung der ganzen Persönlichkeit hinderlich ist, und der andere,
Holbein, von dem man wohl sagen kann, dass auch er das Porträt zu
einem der »Phänomene des Weltganzen« erhoben habe, steht innerhalb
der deutschen Malerei auf so einsamer Höhe, dass eine allgemeine
Betrachtung auf ihn nur als auf eine Ausnahme von der Regel hinweisen
kann; zudem hat er bei seiner im wesentlichen englischen Klientenschaft
das deutsche Porträtwerk nicht bereichert.
Thatsächlich besitzen wir von unsern grössten Männern, weder von
Luther, noch von Goethe, noch von Wagner, noch von Bismarck, ein diesen
kraftvollen, kerndeutschen Persönlichkeiten wirklich entsprechendes
Bildnis.
Doch das Bekenntnis dieses Mangels greift bereits weit über das Ziel
dieser Studie hinaus. Es war lediglich die Absicht, in der Einleitung
zu einer Arbeit, die das deutsche Bildnis zum Gegenstand hat und
in deren Verlauf das Beiwort ~deutsch~ mit den unterschiedlichsten
kunstbegrifflichen Hauptwörtern verbunden erscheint, eine Erklärung
dieses so bedeutungsvollen Epithetons zu geben. Erschöpfen lässt es
sich nicht, das letzte Wort muss das Kunstwerk selber sagen. Aber
Klarheit darüber, was volkseigen ist und was fremdem Empfinden sein
Dasein verdankt, muss ein jeder sich verschaffen, wenn anders er zu
einem richtigen Verhältnis nicht nur zur altdeutschen Malerei, sondern
vor allen Dingen auch zu den Meistern unserer eigenen Zeit gelangen
will.
Erster Teil.
1. Die Anfänge des Bildnisses.
Die Anfangstermini bestimmter Kunstbestrebungen entziehen sich einer
genauen Fixierung. Abgesehen davon, dass die weitaus grösste Anzahl
der für die Entwickelung einer jeden Kunst notwendigen Dokumente, wenn
deren Geburtsstunde von unseren Tagen durch einen längeren Zeitraum
getrennt ist, unseren Blicken verborgen bleibt, ist es unmöglich,
das erste Auftauchen eines Kunstgedankens zeitlich mit Sicherheit zu
bezeichnen, weil, ehe eine künstlerische Neuerung klar und deutlich,
in greifbar zwingender Gestalt in einem Werke erscheint, sie meist
schon in einem oder mehreren der vorangegangenen leise angedeutet,
gleichsam präludierend, enthalten ist. Omne vivum e vivo, auch in der
Kunst fallen die Ideen nicht fix und fertig vom Himmel herab wie das
Palladium auf die Burg von Athen, sondern sie reifen langsam im Laufe
der Jahre vom Keime der Frucht entgegen. Und besonders die Wandlung
des Menschenbildnisses vom Symbol durch den Typus zur lebensgleichen
Erscheinung vollzieht sich so allmählich, dass der über Jahrhunderte
rückwärts schauende Blick die sanft verschwimmenden Uebergänge kaum zu
erkennen vermag.
Aber die Schwierigkeit der Forschung nach dem Protoplasma einer
künstlerischen Idee wird noch durch einen anderen Umstand ganz
erheblich verstärkt. Um die ein Objekt belebenden Gedanken
herauszufühlen — und nur so können wir über ihre chronologische
Rangordnung urteilen —, müssen wir uns in die seelischen Empfindungen
und die ästhetischen Anschauungen hinein versetzen, die das Zeitalter
beherrschten, welches das betreffende Werk geschaffen hat. Wollen wir
die uns völlig fremde Sprache verstehen lernen, in der beispielsweise
ein an religiöser und bildnerisch gestaltender Kraft und an
Naivität so reiches Jahrhundert wie das fünfzehnte sich künstlerisch
ausdrückt, so gilt es nicht nur unsere ethischen und ästhetischen
Ueberzeugungen bei Seite zu werfen, sondern auch sich der Intensität
des modernen Blickes zu entäussern. Wir haben uns nachdrücklich zu
vergegenwärtigen, um bei dem Beispiel aus dem Quattrocento zu bleiben,
dass der frühmittelaltrige Künstler so gut wie der spätmittelaltrige
nicht im entferntesten daran gedacht hat, sich in seinen Darstellungen
naturgetreu mit dem wirklichen Leben messen zu wollen, sondern dass er
nur bemüht gewesen ist, allerdings mit einer gegen die Renaissancezeit
hin von Generation zu Generation steigenden Kraft der Beobachtung, die
Sprache seiner Kunst und die der Wirklichkeit einander zu ~nähern~,
— sie zu ~identifizieren~, wie das der französische Naturalismus mit
Gustav Courbet an der Spitze gewagt oder wie es bereits vor mehr als
zwei Jahrtausenden Zeuxis mit seinem Traubenkunststück und Apelles
mit dem Streitross Alexanders unternommen hat, das hat ihm wahrlich
fern gelegen. Auch dem spätmittelaltrigen Künstler war das Studium der
Natur nichts anderes, als ein Mittel zu dem Zwecke, sich klarer und
verständlicher als seine stammelnden Vorgänger auszusprechen, und hätte
Goethe in dem Zeitalter Meister Wilhelms von Köln gelebt, das bekannte
Wort von den beiden Möpsen wäre niemals gefallen.
Die Unzulänglichkeit der Dokumente, das langsame Reifen einer
künstlerischen Idee und die Schwierigkeit eines objektiven Wertmessers
für vergangene Kunstschöpfungen, das sind die Gründe, aus welchen man
sich auch bei der zeitlichen Bestimmung des ~ersten Bildnisses~ mit
einem nur annähernden Terminus a quo begnügen muss, und einen noch
grösseren Spielraum wird man walten lassen müssen, wenn es sich um das
erste Auftreten des ~Bildnisartigen~ handelt. Je nach dem der Einzelne
Bildnis und Bildnisartiges scharf oder weniger scharf unterscheidet,
werden jene beiden Termini näher oder ferner beieinander stehen. —
Jedes Kunstschaffen beginnt mit Typenbildung. Langsam ringt es sich
zum Besonderen hindurch. Die Bildwerke assyrischer, griechischer und
etruskischer Kunst, sowie die der sogenannten Naturvölker sprechen
für diesen Werdegang. Von der ältesten Kunst allerdings, von der
ägyptischen, haben uns die Ausgrabungen bisher noch nichts aus jener
Zeit zu Tage gefördert, die man bei anderen Völkern die archaische
zu nennen pflegt, denn die ersten plastischen Menschenbildungen,
aus dem vierten Jahrtausend, führen uns bereits in den vollendeten
Stil hinein? Aber dass der »Dorfschulze« im Museum von Gise und der
»Schreiber« im Louvre eine unermessliche Reihe von Vorgängern gehabt
haben, an deren Spitze eine typische Figur gestanden hat, das ist
nach Analogie des Werdens alles anderen Kunstschaffens mit Sicherheit
anzunehmen.
Die Entwickelungsgeschichte der Ahnen, so lehrt uns die biologische
Wissenschaft, wiederholt sich in der jedes einzelnen Menschen: auch
ihm beginnt die Reihe der Lebendigen mit Typen. Dem Kinde sind die
in sein eng begrenztes Gesichtsfeld eintretenden Menschen nichts
anderes als allgemeine Grundbilder der Erscheinungen — noch vermag
es nicht den Vater von der männlichen Gattung überhaupt zu sondern
—, erst mit fortschreitender Entwickelung des Apperceptionsvermögens
und mit Häufung der Erfahrungsfälle verdichten und klären sich diese
von ihm gewissermassen stilisierten Menschengestalten zu bestimmten
Persönlichkeiten.
Der langsame Gang von der primären Handlung des Typisierens zu der
des Individualisierens lässt sich auch noch auf höheren Lebensstufen
beobachten: wenn fremde und ferne Volksangehörige — Chinesen, Malayen,
Südsee-Insulaner oder dergleichen, — zum ersten Male und flüchtig
seinem Blicke sich darbieten, macht sich der Mensch in seiner
Vorstellung ein Grundbild, d. h. einen Typus, von jenen seinem Auge
ungewohnten Erscheinungen, und erst wenn er diese wiederholt und
in grösserer Anzahl in seiner Umgebung sieht, wird sein Blick für
das Individuelle eines jeden dieser Einzelwesen geschärft, die er
schliesslich ebenso gut zu unterscheiden lernt, wie die Angehörigen
seiner eigenen Rasse. Nicht anders ergeht es ihm, wenn jene Fremden
im Bilde ihm entgegen treten, und es gehört beispielsweise schon ein
recht langer Verkehr mit Utámaros entzückenden Japanerinnen dazu, die
einzelnen liebenswürdigen Geishas voneinander zu unterscheiden.
Aber die Entwickelung des Menschenbildnisses und die des Menschen zeigt
noch eine zweite Uebereinstimmung: ~das Kind, wie es dort in der Wiege
sein animalisches Dasein führt, ist selbst ein Typus~. Lang, unendlich
lang im Verhältnis zu der Kürze seines Erdenlebens, ist der Weg, den
es bis zur physischen Persönlichkeit zurückzulegen hat, bis eine Welt
von seelischen Erregungen, bis Lachen und Weinen, Liebe, Eifersucht,
Verdacht, Missgunst, Neid, Erstaunen, Erkennen und Nachdenken ihre
Spuren dauernd in sein Antlitz eingegraben haben und ihm sein
individuelles Gepräge geben.
Wenn die Kunst einmal auf jener Stufe angelangt ist, wo ihr
das allgemein Menschliche nicht mehr genügt, so beginnen ihre
Differenzierungsversuche bei denjenigen Gliedern oder Teilen der
menschlichen Gestalt, welche ihrem noch schwachen technischen
Können den geringsten Widerstand entgegensetzen. Der für den
besonderen Ausdruck der menschlichen Physiognomie bedeutsamste Teil
ist das Auge und seine nächste Umgebung, aber er ist gleichzeitig
der am schwierigsten zu bildende. Deshalb hebt nicht bei ihm die
individualisierende Arbeit des Künstlers an, sondern bei den für den
Gesamteindruck erst in zweiter Linie wichtigen Teilen, bei dem Mund,
demnächst bei der Nase und dem Kinn.[2] In dem berühmten Hermenkopf
des Perikles, nach einem Original des Kresilas, von dem sich das beste
Exemplar in London befindet, mit Unrecht oft als das erste griechische
Porträt bezeichnet, ist das Auge noch ganz allgemein behandelt und
unterscheidet sich nicht von dem der früheren Götter- und Heldentypen,
wohl aber ist die Bildung des Mundes eine ganz individuelle; erst ein
Bildnis vom Ende des 5. Jahrhunderts, aus der Zeit und nach der Art
des Demetrius von Alopeke, das des Euripides, darf ein Porträt im
eigentlichen Sinne genannt werden, weil hier zum ersten Male auch das
Auge und der in diesem Organe sich vollziehende Lebensvorgang, das,
was wir mit dem Namen Blick bezeichnen, neben einer Fülle von anderen
Einzelheiten, eminent persönlich und gleichzeitig auch charakteristisch
erscheint.
[Illustration: ~Perikles.~
London, British Museum.
Nach Photographie.]
Denselben Werdegang wie das plastische hat auch das auf die Fläche
projizierte, das gemalte Bildnis genommen. Auf die ältesten der uns
erhaltenen Denkmale darf hier nicht exemplifiziert werden, nicht
auf die gräco-italischen Bildnistafeln und nicht auf die in grosser
Anzahl in Pompeji gefundenen Porträts, denn beide Gruppen zeigen nicht
das Entstehen, sondern das Ausleben einer bereits hoch entwickelten
Kunst. Stellt man sich jedoch eine Bildnisreihe zusammen wie etwa die
folgende: die Herrschergestalten in den karolingischen Handschriften,
das Bild Richards II. in der Westminsterabtei, Roger van der Weydens
angeblichen Karl den Kühnen im Museum zu Brüssel, die frühen Bildnisse
Dürers und am Ende desselben Meisters Holzschuher in Berlin, so
wird man erkennen, dass in der Malerei die Individualisierung der
Gesichtsteile denselben Weg genommen hat, wie in der Plastik.
[Illustration: ~Euripides.~
Neapel. Nach Sybel, Weltgesch. der Kunst.]
2. Das Bildnis in der Buchmalerei.
Die Anfänge bildnisartiger Schöpfungen auf dem Gebiete der deutschen
Malerei sind in den Handschriften zu finden. Bereits die ältesten der
uns bekannten Buchillustrationen enthalten figürliche Darstellungen.
Anfangs vereinzelt und in roher und kindlicher Auffassung, später,
in seltsamen Verschnörkelungen und Verzopfungen, sind sie nichts
anderes als ein häufig wiederkehrendes, rein ornamentales Schema,
das Symbol einer menschlichen Gestalt, und selbst da, wo in den
besseren Arbeiten aus charakteristischen Attributen oder einem
beigeschriebenen Namen ersichtlich ist, dass mit diesem Symbol eine
ganz bestimmte Persönlichkeit gemeint ist (Dedikationsbild, Autoren-
und Schreiberporträt), kann von einem menschlich-individuellen Zug noch
nicht gesprochen werden. So hat sich, um nur eines der zahlreichen
Beispiele aus früher Zeit zu nennen, in einer Handschrift des achten
Jahrhunderts, (St. Gallen, Stiftsbibl., Hs. 731) der Schreiber
derselben, Wandelgarius, abkonterfeit, aber die Linien, welche seine
Physiognomie bezeichnen sollen, unterscheiden sich schlechterdings
nicht von denen der anderen Köpfe dieser Handschrift.[3]
[Illustration: Selbstbildnis des Schreibers Wandelgarius.
St. Gallen, Stiftsbibliothek.
Nach Museum 3. Jahrg.]
Einen grossartigen Aufschwung nimmt die Buchmalerei zu Beginn des
~karolingischen Zeitalters~,[4] dem Bildnis allerdings kommt er
zunächst noch nicht zu Gute. War auch der runde Römerkopf nach lebendem
Muster in ein zartes Oval gewandelt worden, ein Oval, das übrigens
seinerseits gar bald zur Manier werden sollte, war auch schon in
einigen Aeusserlichkeiten, und zwar nicht nur in der Tracht und
den Attributen, sondern auch in der ungefähren Kenntlichmachung des
Lebensalters und in Farbe und Schnitt des Bart- und Haupthaares, das
Bestreben ersichtlich, die einzelnen Persönlichkeiten voneinander zu
unterscheiden, so erscheinen die Dargestellten doch noch immer ohne
irgend eine individuelle Bildung in den einzelnen Gesichtsteilen und
sind schliesslich doch den Typen der frühchristlichen Kunst noch recht
nahe verwandt.
Aber noch in die Lebenszeit Karls des Grossen fallen die ersten
schüchternen Versuche, der Realität der Physiognomie ein wenig näher
zu kommen, so z. B. in den kleinen Profilköpfen der ~Alcuinbibel~ in
Bamberg, und augenfälliger wird der Fortschritt in den Bildnissen
der ~leges Barbarorum~, die in prächtig ausgestatteten Handschriften
die kurz nach dem Tode des Kaisers gesammelten, im karolingischen
Reiche geltenden Volksrechte enthalten. In dem ihnen beigegebenen
Bilderschmuck sind die einzelnen Gesetzgeber in grossen Vollbildern
dargestellt, unter ihnen auch Karl der Grosse selbst in authentischem
Porträt. In den ältesten dieser Handschriften, in der 829 bis 832
in einer Schreibstube zu Fulda angefertigten Sammlung, stimmt das
Bildnis des Kaisers — wie aus einer im Cod. 84 der herzoglichen
Bibliothek zu Gotha befindlichen Kopie hervorgeht —, in der freilich
nur ganz allgemein angedeuteten Aussen- und Innenzeichnung, mit der
ausführlichen Personalbeschreibung Einhards überein: ein runder dicker
Kopf, glattes Kinn und Schnurrbart, auffällige Merkmale, die in noch
schärferer Ausprägung die berühmte Reiterstatuette im Museum Carnavalet
zu Paris zeigt.[5]
In der bald nach 840 ausgeführten Darstellung ~Kaiser Lothars~ in dem
Evangeliar in Paris, Bibl. Nat. Ms. lat. 266, abgebildet bei Bastard,
peintures et ornements des Manuscrits etc., Paris 1832–69, erinnert
allerdings Gestalt und Haltung des mit gespreizten Knien thronenden,
auf das Szepter gestützten Kaisers an die zum starren Schema gewordenen
frühchristlichen, in letzter Linie römischen Vorbilder, auch ist das
Auge noch übergross gebildet und von ganz allgemeiner Formengebung,
aber die kräftige Nase und der energische Mund mit den ein wenig in
die Höhe gezogenen Winkeln geben der Physiognomie etwas persönliches,
den leisen Schimmer eines besonderen Lebensausdruckes, der den
Fürsten doch ein wenig von seiner Umgebung, einem typisch gebildeten
Wappenträgerpaar, unterscheidet.
[Illustration: Kaiser ~Lothar~. Paris, Bibl. Nat. Nach Bastard.]
Auch das Bildnis ~Karls des Kahlen~ auf dem Widmungsblatt der etwa um
dieselbe Zeit entstandenen Bibel dieses Kaisers, Paris, Bibl. Nat. Ms.
lat. 1, abgebildet bei Janitschek, »die reifste Frucht karolingischen
Kunstgeistes« (ebenda S. 40) scheint zum mindesten in der Bildung des
Untergesichts etwas dem Originale eigentümliches geben zu wollen.
Lothar und Karl der Kahle sind uns noch in einigen anderen
Handschriftbildern erhalten und stets soll, nach Lamprecht, der
Beschauer ihre Persönlichkeit wiedererkennen, — ein Beweis, dass
hier der Kreis des Typischen nach der Richtung des Individuellen
überschritten ist und wir uns thatsächlich in der Morgendämmerung einer
Porträtkunst befinden.
Auf einer erheblich höheren Stufe als in den karolingischen Bildnissen
sehen wir die Miniaturmalerei auf dem Gebiete des porträtartigen auch
während der folgenden, von byzantinischer Kunst mehr oder minder
beeinflussten Jahrhunderte nicht. Unter der Herrschaft der ~Ottonen~
setzt sich wohl der Aufsaugungsprozess der frühchristlichen Typen
fort und auch bei den Nebenpersonen ist ein schwacher Versuch der
Individualisierung zu bemerken, aber dieses Individualisieren wird
mehr in energischen und ausdrucksvollen Gebärden gesucht, als in der
Differenzierung der Gesichtszüge, ja diese werden häufig wieder beinahe
ornamental behandelt.[6]
Wohl das bedeutendste Bildnis dieser Kaiserreihe, dessen Porträtgehalt
sich mit den besten der Karolingerzeit messen darf und das sie alle
an feiner künstlerischer Ausführung übertrifft, das des letzten,
~Heinrichs II.~, besitzt die Hof- und Staatsbibliothek zu München
in einer aus dem Bamberger Dom stammenden, der Regensburger Schule
zugeschriebenen Handschrift, Cod. lat. 4456 Cimelia 60.[7] Der bärtige
Kaiser, von ungewöhnlich vornehmer Haltung, ist in ganzer Figur stehend
dargestellt, zu seiner Seite je ein Heiliger, über ihm der krönende
Christus.
[Illustration: ~Heinrich II.~ München, Hof- und Staatsbibliothek.
Nach besonderer Aufnahme.]
Im Uebrigen sind die verhältnismässig besten Bildnisse aus dieser Zeit
in den aus Reichenauer und Trierer Kunstbestrebungen hervorgegangenen
Handschriften enthalten.
In den ersten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts beginnt, bei steigender
Produktion, der Verfall der künstlerischen Buchillustration. Die
fränkischen Kaiser erscheinen bei ganz schwacher Individualisierung
als derbe, leidenschaftliche, aber recht plumpe und ungeschlachte
Gestalten, fast ohne eine Spur der alten Imperatorenwürde, und selbst
in der Zeit des abermaligen Aufschwunges der Buchmalerei nach der Mitte
des 12. Jahrhunderts, der dem neuerwachten geistigen Leben auf dem
Fusse folgte, wo die Heldensagen germanischer Vorzeit gesammelt und
zu dem mächtigen Sange der Nibelungen vereinigt wurden, wo die Blüte
des Volksepos und der höfischen Dichtung sich zu entfalten begann,
schreitet die Entwickelung des Bildnisses nur wenig vorwärts.
Aber dennoch darf diese Periode der Buchmalerei in unseren
Betrachtungen nicht übergangen werden. Wir sind mit ihr bei jener
für das gesamte Mittelalter so bedeutungsvollen Zeit angelangt, wo
die starre Gebundenheit der Geister einer freieren Gestaltung des
Kulturlebens weicht, bei jenem Scheidepunkt, der das Mittelalter in
zwei Hälften gliedert, von denen die zweite in ihren künstlerischen
Darstellungen »gleichsam die Mitte hält zwischen der massiven Typik
der Vergangenheit und dem ausgeprägten Individualismus des 16.
Jahrhunderts«.[8]
Und wenn auch, wie gesagt, das eigentliche Bildnis in dieser Epoche,
keine wesentliche Förderung erfährt, so wird doch von nun an der
Gesamteindruck der Handschriften-Illustration ein ganz anderer, indem
in den schlanken Figuren, den jetzt wieder mehr rundlich werdenden,
nicht mehr manierirt ovalen Köpfen, dem kleinen Mund mit den vollen
Lippen und dem hellblonden, bis auf die Schultern herabwallendem
Haupthaar, wenigstens scheinbar, eine ganz entschiedene, bisher
unerhörte Zuwendung der Maler zur Naturbeobachtung zum Ausdruck kommt.
Auch in der Technik tritt eine bemerkenswerte Wandlung ein: neben
der Deckfarbenmalerei kommt von jetzt an wieder mehr und mehr die
mit Wasserfarben arbeitende Federzeichnungsmanier, die seit dem 11.
Jahrhundert vernachlässigte Gouachetechnik, in Aufnahme, aus der sich
später die deutsch-nationale Richtung, wie sie Janitschek nennt — ob
mit Recht oder Unrecht, sei dahin gestellt —, entwickeln sollte.[9]
Alle diese Züge, Deckfarbenmalerei noch neben der Federzeichnung
hergehend, sind in der berühmtesten Handschrift dieser neuen Zeit, in
dem wohl 1175 entstandenen ~Lustgarten der Herrad von Landsberg~ zu
finden. Das Manuskript ist bei dem Brande der Strassburger Universität
vor nunmehr dreissig Jahren zu Grunde gegangen, doch sind Abbildungen
und Bausen erhalten.[10] Ein Fortschritt in der Differenzierung der
Physiognomien ist allerdings auch hier noch kaum erkennbar. Einige
der männlichen Köpfe, Petrus, Paulus, Herodes, Pilatus, streifen zwar
beinahe schon das Individuell-Charakteristische, aber die weiblichen,
mit ihrem einförmigen und ältlichen Ausdruck, der durch eine grünliche
Schattierung noch verstärkt wird, und den starren, leblosen Augen,
machen den Eindruck einer grenzenlosen Leere. Sehr bedeutungsvoll
sind die Hände, ganz schematisch dagegen die Füsse behandelt. Die
porträtartig gemeinte Darstellung der congregatio religiosa auf dem
letzten Blatte der Handschrift entbehrt jeglicher individueller Züge:
die 46 Stiftsfrauen und die 12 Laienschwestern sind thatsächlich nur
durch die beigefügten Namen voneinander zu unterscheiden, kaum dass man
eine Verschiedenheit des Lebensalters erkennen kann.
Auch die oft als früheste Bildnisse bezeichneten Landgrafen und
Landgräfinnen von Thüringen, Könige und Königinnen von Ungarn und
Böhmen, nebst zwei Erzbischöfen, in dem im folgenden Jahrhundert
entstandenen berühmten ~Psalterium des Landgrafen Hermann~, Stuttgart,
Hofbibl. Bibl. fol. No. 24, und dem der ~heiligen Elisabeth~, Cividale,
Museum — eine »Mischung von eindringendem Naturalismus und veredeltem
überkommenen Stil« (Janitschek S. 141), — sind nicht im entferntesten
Porträts in unserm Sinne.[11]
Kaum mehr des Bildnisartigen ist in den Handschriften der folgenden
Zeit zu entdecken, weder in derjenigen Richtung, welche ich mit
Janitschek als die deutsch-nationale bezeichnet habe, noch in der
höfisch-französischen. Von den bekannteren der ersteren Gruppe seien
erwähnt: die wohl noch am Ende des 13. oder am Anfange des 14.
Jahrhunderts begonnene ~Wellislausbibel~, fürstlich Lobkowitzische
Bibliothek zu Prag, die Bilderchronik der ~Romfahrt Kaiser Heinrichs
VII.~ und seines Bruders ~Balduin~, Koblenz, Staatsarchiv, aus der
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, und die in mehreren Abschriften aus
demselben Jahrhundert erhaltene ~Weltchronik des Rudolf von Hohenems~.
Von den letzteren kenne ich nur das in Donaueschingen aufbewahrte
Exemplar. Es ist in Deckfarbenmalerei auf Goldgrund ausgeführt, wird
aber trotzdem aus technischen und stilistischen Gründen von Janitschek
der deutsch-nationalen Richtung zugeteilt.
[Illustration: ~Gottesurteil.~
Aus einem Benediktionale des Presbyters Haeimo. Lambach.
Nach besonderer Aufnahme.]
Im Physiognomischen ist hier wie in dieser ganzen Gruppe wenig mehr
als der Altersunterschied gegeben, aber innerhalb der Altersklassen
gleichen sich die Gesichter ausserordentlich. Eine seelische Belebung
ist nirgends zu finden, — derselbe konventionelle freundliche Ausdruck
bei dem, der gespiesst oder gehenkt, wie bei dem, der liebevoll
begrüsst oder umarmt wird.[12]
Die von der französischen Illustrationstechnik ausgehende Manier,
am besten repräsentiert durch die ~Weingartnersche Liederchronik~
im Besitze der Könige von Würtemberg, nach 1280 entstanden, und der
grossen ~Heidelberger Liederhandschrift~, sogenannte »Manessische
Handschrift« in der Heidelberger Bibliothek, etwa aus derselben Zeit,
bietet kein wesentlich anderes Bild: es sind dieselben regelmässig
ovalen, schematisch gebildeten Kopfformen und derselbe weichliche,
nichtssagende Ausdruck, — in der Heidelberger Handschrift allerdings
wenigstens mit einem Hauche individuellen Lebens. —
Wir haben gesehen, dass von den Karolingertagen bis zur ersten
Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Kunst des Menschenbildnisses
kein erheblicher Fortschritt gemacht worden ist. Eine gründliche
Untersuchung der zahllosen Handschriften historischen Inhalts, welche
porträtartig gemeinte Darstellungen enthalten, würde zweifellos das
Ergebnis unseres flüchtigen Ueberblickes bestätigen. Es würde sich
hierbei hauptsächlich um zwei Gruppen handeln, um diejenigen Chroniken,
welchen Brustbildnisse der Könige oder der fürstlichen Aussteller der
Urkunden in kleinen Medaillons beigegeben sind, und um solche, in denen
derartige Medaillonbildchen durch verbindende Linien zu Stammbäumen
vereinigt erscheinen. Ganze Einzelfiguren kommen nur selten vor,[13]
die Ausbildung dieses Darstellungsmotivs bleibt der englischen
Buchmalerei überlassen.
Clemen kommt in seiner vortrefflichen Monographie der Bildnisse Karls
des Grossen in einem Exkurs wohl mit Recht zu dem Resultat, dass es
sich bei allen diesen mittelaltrigen Porträtdarstellungen in der
Hauptsache um die Ausbildung eines allen mehr oder weniger gemeinsamen
Schemas handelt.
Erst gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts gewinnt das Persönliche
in den Gesichtern der Handschriften das Uebergewicht über das
Schematische und über den Typus, ja schon seit etwa 1410, in
burgundisch-französischen Handschriften sogar noch einige Dezennien
früher, ist der Beginn der neuen Richtung zu beobachten. Sie verbreitet
sich mit einer erstaunlichen Schnelligkeit über alle deutschen
Schreibstuben, und in kurzer Zeit wird eine solche bildnisartige
Lebendigkeit der Köpfe erreicht, dass man nun von einem wirklichen
Abbild des Lebens, nicht mehr von einer konventionellen Bildersprache
reden darf.
Aber mitten in diesen grundstürzenden Wandel der künstlerischen
Anschauung, der in der Tafelmalerei ein oder zwei Jahrzehnte später
eintritt und dort des Nähern behandelt werden soll, fällt die
allgemeiner werdende Verbreitung des Holzschnittes und Kupferstichs,
jener beiden Künste, die in Verbindung mit dem Buchdruck der mühsamen
Deckfarbenmalerei und auch der flotteren Federzeichnung bald ein Ende
bereiteten.
3. Das Bildnis in der Wandmalerei.
Ebensowenig wie in der im Grunde genommen doch handwerklichen Kunst
der deutschen Illuministen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts werden
wir in den uns erhaltenen Bildnissen der mittelaltrigen Wandmalerei
eigentlichen Porträts begegnen. Im Zwange altchristlicher und
byzantinischer Ueberlieferung und ohne anregendere Muster als die
winzigen Figürchen in den Büchern der Klostermönche, treten uns die
frühsten menschlichen Gestalten an den Wänden heiliger und profaner
Gebäude gleich einer körperlosen, rein flächenhaften Verzierung
entgegen, »überbügelt, als planimetrische Ornamentalisierung«
(Vischer). Die ältesten Zeugnisse dieser Dekorationskunst stehen
uns freilich nicht mehr vor Augen: nichts aus der Zeit des grossen
Begründers der abendländischen Kultur, der, wie Nithard ihm nachrühmt,
ganz Europa voll des Segens, der von ihm ausging, zurückliess, nichts
aus der Zeit der Nachfolger aus seinem Geschlechte. Dass Karl der
Grosse mehrfach dargestellt worden ist, wissen wir aus den Chroniken,
so sah man ihn thronend und mit der Siegerkrone geschmückt u. a. in
seiner Pfalz zu Ingelheim und dem Kaiserpalaste zu Aachen; erhalten ist
uns keines dieser Bildnisse. (Vergl. hierzu S. 21.)
Erst aus ottonischer Zeit besitzen wir das erste Denkmal der
Wandmalerei in der etwa ums Jahr 1000 entstandenen ~Bilderfolge der
Georgskirche zu Oberzell~ auf der Reichenau.
[Illustration: ~Heilung des Wassersüchtigen.~ Wandgemälde in Oberzell.
Nach Borrmann, Aufnahmen mittelalterlicher Wand- und Deckenmalereien.]
Leidlich erhalten sind nur zwei grosse Darstellungen an der Aussenseite
der Westapsis: Kreuzigung und jüngstes Gericht, letzteres bekanntlich
in ikonographischer Beziehung von grösstem Interesse. Die an den
Oberwänden des Langschiffes befindlichen Bilder sind arg beschädigt;
sie sind jedoch glücklicherweise nicht restauriert worden, sondern
werden z. Z. von beweglichen modernen Nachbildungen bedeckt, die durch
einen einfachen Mechanismus leicht entfernt werden können, sodass die
Betrachtung der Originale möglich ist.[14] In der Darstellung der
Physiognomien ist, soweit sich das heute noch beurteilen lässt, der
Zusammenhang mit den römisch-altchristlichen Vorbildern ersichtlich,
jedoch zeigen die Kopfformen bereits das in der Karolingerzeit von der
Buchmalerei angenommene Oval.
Irgend etwas Individuelles ist in den Gesichtern noch nicht zu
entdecken, und jener Hauch des Lebens, der uns von den Oberzeller
Wänden herab entgegen zu wehen scheint, rührt lediglich von der
ausdrucksvollen Sprache her, die Haltung, Gehaben und Gebärden der in
Tunika und Chlamis einherschreitenden Figuranten reden.
Eine etwas grössere Annäherung an die Wirklichkeit und ein
erfolgreicheres Ringen, die alten Typen zu verlebendigen und zu
verdeutschen, ist in den zwischen 1151 und 1156 entstandenen Gemälden
der ~Unterkirche von Schwarz-Rheindorf~ bei Bonn zu beobachten, und
zwar ist hier das Persönliche nicht mehr einzig und allein durch eine
kräftige Gebärdensprache ausgedrückt, sondern auch — weniger bei
den Hauptpersonen, bei denen überhaupt die Tradition am spätesten
durchschnitten wird, als bei den untergeordneteren Teilnehmern der
Handlung —, ein schüchterner Versuch gemacht worden, die Physiognomien
selbst ein wenig zu differenzieren; jedenfalls ist in den Gesichtszügen
der vier Kaiser ein individualisierendes Bestreben nicht zu verkennen,
wenn auch nicht mit dem Erfolge, dass ihre Deutung auf eine bestimmte
Persönlichkeit möglich wäre.
Die einige Jahrzehnte später geschaffenen Malereien am Gewölbe des
Kapitelsaales der ~Abtei Brauweiler~ (eine Wegstunde von Löwenich
bei Köln entfernt), sowie die Bilder an den Wandflächen der ~Kölner
romanischen Kirchen~ aus dem 13. Jahrhundert, in neuerer Zeit
zumeist restauriert, auch die in den gleichzeitig entstandenen des
benachbarten ~Westfalens~, zeigen gegenüber denen von Schwarz-Rheindorf
eher eine Abnahme als ein Wachstum der Kraft oder des Willens zu
individualisieren.
Stärker als in den Rheingegenden kommt das Persönliche der
Gesichtsbildung in der Wandmalerei ~Sachsens~ zur Geltung, wo der
romanische Baustil seine vollendetste Ausbildung erlangt und wo die
früh gepflegte Plastik, trotz ihrer ursprünglich von der Antike
ausgehenden Richtung, den Sinn für die Wirklichkeit zeitig geweckt
hatte.
Das wichtigste Denkmal auf sächsischem Boden sind die zu Anfang des 13.
Jahrhunderts gemalten und trotz ihrer unglücklichen Erneuerung noch
immer mächtig wirkenden Bilderfolgen im ~Dom zu Braunschweig~,— im
Vorfrühling der neuen Kunstanschauung, die gewaltsam die Fesseln der
Ueberlieferung zu sprengen versucht und mit dem Grossen, Grandiosen
und Monumentalen das Anmutige, Weiche und Zarte zu vereinigen
strebt. Am eindringlichsten vielleicht verkündet die hereinbrechende
Sinneswandlung der eigenartige und vortreffliche Naturbeobachtung
verratende Tanz der Herodias im Chor, sowohl in den ungemein lebendigen
Bewegungsmotiven, als auch in der holden Empfindsamkeit der, auch vor
der Restauration wie es scheint, recht gut voneinander unterschiedenen
Physiognomien. Die Kaisergestalten an den Pfeilern des Langhauses sind
leider nicht mehr erhalten, sodass wir nicht urteilen können, ob in den
Braunschweiger Gemälden schon etwas wirklich Porträtartiges gegeben war.
Im ~Süden Deutschlands~ und ~in Oesterreich~ scheint wenig
Hervorragendes auf dem Gebiete der dekorativen Raumkunst geleistet
worden zu sein, das bedeutendste wohl im Dom zu ~Gurk~ in Kärnten,
aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wo sich im Ausdruck der
Köpfe zum mindesten ebensoviel Eigenleben zeigt, wie in denen der
besten gleichzeitigen Buchmalerei, mit der die dortigen Wandbilder
überhaupt aufs engste verwandt sind. Unterhalb der thronenden Madonnen
zwei Stifter: der Dompropst Otto und der Bischof Dietrich von Salzburg
(1251–1279).
Zu einer freieren Entwickelung, etwa wie seit Giottos bahnbrechender
Thätigkeit in Oberitalien, konnte die deutsche Wandmalerei und mit ihr
das Menschenbildnis auch in der Folgezeit nicht gelangen, denn die
von Westen her einziehende Gotik mit ihrer Vernichtung der grossen
Mauerflächen, die den Maler »zu machtvollem Herumfahren geradezu
herausforderten« (Vischer), verzichtete auf ihre Mitwirkung bei
Ausschmückung des Gotteshauses zu Gunsten einer anderen Kunst, der
~Glasmalerei~. An die Stelle der Mauer, welche bisher den ganzen Schub
des Gewölbes aufzunehmen hatte, waren die Strebepfeiler getreten,
und der zwischen ihnen verbleibende Raum wurde durch hohe Fenster
geschlossen, deren dekorativer Schmuck jener nun neu aufblühenden
Technik anheimfiel. Anfangs im Charakter des Teppichstils, im 14.
und 15. Jahrhundert auch in den Aufgaben der eigentlichen Malerei
und der Plastik sich versuchend, bietet sie zwar reiches Material
für eine Ikonographie der spätmittelaltrigen Bildnisse; da sie aber
nie eine selbständige, noch weniger eine führende Stelle gespielt
hat, darf ihre Besprechung in einer Studie, die sich nur mit den
Hauptentwickelungsstufen der Menschendarstellung beschäftigt, samt der
des Mosaiks, der Weberei und Stickerei wohl unterbleiben.
Die Ungunst der Raumverhältnisse in der gotischen Kirche, anfänglich
auch die Bilderfeindschaft der strengen und einflussreichen
Cisterzienser, ist, wie gesagt, die Ursache gewesen, weshalb die
Wandmalerei in ihrem handwerklichen Zustand verharrte, denn geübt
worden ist sie an den ihr verbliebenen Gewölbekuppen, Vorhallen, in
Kapellen und Kreuzgängen bis tief in Renaissancezeit hinein, mehr als
man bisher anzunehmen geneigt war, wie das die zahlreichen Entdeckungen
farbiger Bilder unter der weissen Tünche unduldsamer Zeitläufte
beweisen, die gerade in unsern wissensbegierigen Tagen fort und fort in
den verschiedensten Gegenden Deutschlands gemacht werden. Aus dieser
gotischen Periode seien hier nur die zu Anfang des 14. Jahrhunderts
entstandenen Wand- und Decken-Gemälde in der im Uebergangsstil erbauten
Deutschordenskirche zu ~Rammersdorf~ im Siebengebirge erwähnt, die
mit dem Abbruch der Kirche zu Grunde gegangen sind: Bausen und
Aquarellkopien, die im Berliner Kupferstichkabinet erhalten sind,
lassen vermuten, dass hier, namentlich im Jüngsten Gericht, wenigstens
bildnisartig gemeinte Köpfe dargestellt waren; ferner in Böhmen, aus
der Zeit Karls IV., wo in der 1357 vollendeten ~Kollegiatkirche Mariä
Himmelfahrt der Burg Karlstein~ Szenen aus der Apokalypse, allerdings
in schlechtem Zustande, und in der Katharinenkapelle, die einen
abgesonderten Raum der Kirche bildet, einige authentische, selbständige
Bildnisse des Kaisers als Gnadenempfänger, seiner dritten Gemahlin
Anna von Schweidnitz und seines Sohnes Wenzel erhalten sind,[15] die
vielleicht mit dem Strassburger Maler Nikolaus Wurmser in Beziehung
gebracht werden mögen. Was sonst noch in Deutschland und der Schweiz
an Wandbildern zu finden ist, einschliesslich der profanen Malerei
in der Burg Runkelstein bei Bozen aus dem letzten Jahrzehnt des 14.
Jahrhunderts, hat für die Weiterentwickelung des Bildnisses keine
Bedeutung. Einzelne porträtartige Darstellungen des 15. Jahrhunderts
werden im Kapitel der Tafelmalerei bei den betreffenden Lokalschulen
behandelt werden, doch mag schon im voraus gesagt sein, dass die
gesamte vaterländische Wandmalerei nicht ein einziges individuelles
Bildnis hervorgebracht hat, das auch nur annähernd mit einem der
besseren italienischen verglichen werden dürfte.
4. Das plastische Bildnis.
Während wir keines der bisher genannten mittelaltrigen Werke der
Buch- und Wandmalerei sich über das Handwerkliche erheben sehen,
verdienen die in Deutschland während des 13. Jahrhunderts entstandenen
plastischen Menschenbildungen in einer Reihe mit den grössten
künstlerischen Leistungen aller Zeiten und aller Völker genannt zu
werden, nicht eben in ihrer Eigenschaft als Abbilder des wirklichen
Lebens, wohl aber als freie, ideale Schöpfungen von gewaltigster Kraft
und zwingender Wirkung, und wenn auch das plastische Bildnis nicht in
den Rahmen dieser Betrachtungen gehört, so rechtfertigt doch wohl seine
nahe Verwandtschaft mit dem malerischen hier eine flüchtige Erwähnung.
Die Geburtsstätte der romanischen Skulptur in Deutschland ist
bekanntlich in den alten sächsischen Landen zu suchen. Schon seit dem
Beginn des 11. Jahrhunderts, seit den Tagen Bernwards von Hildesheim,
war hier Erzguss und Steinbildnerei lebhaft betrieben worden, und
aus diesen Anfängen einer noch wesentlich zu dekorativen Zwecken
arbeitenden Kunst, entwickelte sich um die Mitte des 12. Jahrhunderts
ein grosser monumentaler Stil, dessen Ruf gar bald die lokalen Grenzen
überschritt und dessen Schöpfungen in alle Lande gingen; bis Augsburg,
Gnesen, Nowgorod, vielleicht auch bis Verona lassen sich ihre Spuren
verfolgen.[16]
Im östlichen Sachsen, wohin die Bildnerschule aus der Harzgegend
allmählich ihren Mittelpunkt verlegt hatte, entstanden zum Beginn des
13. Jahrhunderts die grossartigen Triumphkreuze von ~Wechselburg~
und ~Freiberg~, die Statuen Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin
Mathilde im Dome von ~Braunschweig~ und gegen 1270 die Stifterfiguren
im Dome zu ~Naumburg~. Mit einem Schlage erscheint hier all das
Kindlich-Rohe und Unbeholfene überwunden, das uns in den gleichzeitigen
Darstellungen der menschlichen Gestalt im Buche wie an der Kirchenwand
entgegengetreten war. Mit freiem Blicke haben diese Künstler ins Leben
geschaut und das, was sie dort fanden, mit tüchtigem technischen Können
im Bildnisse wiedergegeben, oft auch, wie die Braunschweiger, mit einem
grossen Zug idealer Verklärung. Für die Fülle aller Einzelheiten, deren
Beobachtung und Wiedergabe das Bild erst zum eigentlichen Porträt
stempelt, haben sie allerdings noch ebensowenig den Blick besessen,
wie diejenigen, welche um dieselbe Zeit Portale und Façaden der
südwestdeutschen Kirchen schmückten.[17]
[Illustration: ~Markgraf Ekkehard und seine Frau Uta.~
Naumburg, Dom. Nach Schmarsow und Flottwell.]
Das gleiche, im Grunde genommen nicht eigentlich deutsche Streben
nach typischer Schönheit wie bei den Braunschweigern, jedoch von
einem noch höheren Schwunge der künstlerischen Gesamtauffassung
getragen, bekunden die Werke jener ganz hervorragenden Meister, die
an dem steinernen Bilderschmuck des ~Bamberger Domes~ gearbeitet
haben. In den machtvollen Prophetenköpfen der älteren Gruppe, allen
voran in dem des kahlköpfigen Jonas — »eine Vorahnung dessen, was
Dürer in manchen seiner Porträts giebt« (Voege) —, ist zudem bei
aller Idealität eine Naturwahrheit und Schärfe der Charakteristik
erreicht worden, wie man sie sonst in der gesamten deutschen Kunst
romanischer Periode vergeblich suchen wird. »Gross in der Anlage,
ausserordentlich eindrucksvoll durch die hochgetürmte Frisur der Haare,
zeigen die Züge eine bestimmt ausgeprägte Eigenart, die an porträthafte
Darstellungen gemahnt.«[18] Von geringerer Stärke der Charakteristik,
dagegen an idealer Auffassung den Propheten noch überlegen und von
gleicher technischer Meisterschaft, stellen sich die Köpfe der
Figuren der jüngeren Gruppe dar, die in den achtziger Jahren des 13.
Jahrhunderts entstanden sein mögen und bereits gotisches Empfinden
bekunden, wenigstens im Ganzen betrachtet, denn unter sich sind sie
wiederum recht verschieden: welch ein Wesensunterschied zwischen der
Heimsuchung, jener strengen und herben Maria und Elisabeth, die,
obgleich geboren aus dem neuen Geiste des staufischen Zeitalters,
doch in Gewandung und Formenbehandlung ihre antike Herkunft bezeugen,
und den holden, graziösen und doch so unnahbar hoheitsvollen, echt
gotischen Gestalten der Kirche und Synagoge, dem in höfischer
Zeittracht erschienenen vornehmen Fürstenpaar oder der traumhaften,
weltentrückten, schwanenritterlichen Erscheinung des Reiters.[19]
[Illustration: ~Kopf des Reiters.~ Bamberg, Dom.
Nach Weese, Bamberger Domskulpturen.]
Müssen wir auch die Bamberger Skulpturen künstlerisch höher bewerten
als die ~Naumburger~, so kommt doch bei diesen die Annäherung an das
nüchtern Porträthafte mehr zum Ausdruck als bei jenen, wie das ja auch
der den Bildwerken zu Grunde liegende Gedanke rechtfertigt: hier ein
realistisch-monumentaler, dort ein idealkirchlicher. Vor den Markgrafen
und Edelfrauen im Naumburger Dom haben wir das Gefühl, vor einem
einfachen, tüchtigen, bodenwüchsigen Menschengeschlecht zu stehen,
das in seiner wahren, ein wenig hausbackenen Alltagserscheinung im
Gedächtnis der Nachwelt fortzuleben wünscht; vor Kaiser Heinrich und
dem Reiter dagegen empfinden wir, dass diese Menschen mit Vorbedacht
der Wirklichkeitswelt entrückt, oder vielmehr durch eine Art visionärer
Begeisterung des Künstlers über die Natur gehoben wurden, dass es
Urbilder sind aus dem Reiche des Ideal-Schönen, wie sie ähnlichen
Geistes sich etwa im Sonnenschein perikleischen Zeitalters entfaltet
hatten, voll »stiller Einfalt und schlichter Grösse«, — trotz des
Belvedereschen Apolls und seines Propheten.[20]
Teils der Richtung der Bamberger Meister, teils jener der sächsischen
Schule folgen eine grosse Anzahl von ~Grabsteinen~ aus der nämlichen
Zeit, die einen mit geringerer, die andern mit stärkerer Neigung zum
Porträtartigen; die letztere gewinnt im 14. und noch mehr im 15.
Jahrhundert, der naturalistischen Strömung in allen Künsten folgend,
die Oberhand, freilich auf Kosten des künstlerischen Inhalts, jedoch
sind es jene Grabfiguren, in denen uns die ersten wirklichen Porträts
begegnen.
[Illustration: ~Peter Parler.~
Prag, Dom. Nach Museum, 3. Jahrg.]
Einzelbildnisse, welche nicht als Grabfiguren, sondern als
Ehrendenkmäler im modernen Sinne bestimmt waren, sind auch noch im
15. Jahrhundert verhältnismässig selten; als eines der vorzüglichsten
sei die Büste des grossen Baumeisters ~Peter Parler von Gmünd~ in der
Chorgallerie des Prager Domes aus dem Jahre 1390 genannt, die erste
ganz lebenswahre Porträtdarstellung eines deutschen Künstlers.[21]
Man hat zuweilen, wie schon angedeutet, die Blütezeit der nordischen
Plastik des 13. Jahrhunderts, bei welcher vornehmlich auch an die
französische zu denken ist, mit jener des perikleischen Zeitalters
verglichen, und wenn anders es statthaft ist, die Blutsverwandtschaft
in artibus zweier so weit voneinander entfernten Epochen zu verfolgen,
so muss sich einem von selbst die Frage aufdrängen, welche Rückwirkung
die Kunst der besten sächsischen und Bamberger Meister, um uns auf
deutschem Boden zu beschränken, auf ihre Schwesterkunst, auf die
Malerei gehabt hat.
Phidiasische und polykletische Gedanken, Kompositionen und Formengebung
klingen uns aus jenen Wandbildern Roms und der Vesuvstädte entgegen,
welche wir auf die grossen verlorengegangenen Muster jonischer
Tafelmalerei des 5. Jahrhunderts zurückführen müssen, und das von
den Bildhauern und Erzgiessern des Blütenalters griechischer Kunst,
soweit wir sehen können, zum ersten Male aufgestellte Schönheitsideal
tritt uns auf den herrlichen Vasen attischen Ursprungs entgegen, — ist
in deutscher Malerei ein Echo der Meisterwerke von Braunschweig und
Bamberg zu finden? Nach meiner allerdings vielleicht unzulänglichen
Kenntnis mittelaltriger Werke, namentlich auch der Elfenbeinreliefs,
muss diese Frage verneint werden. Der geschickten Miniatoren zierlich
spielende Kunst kann der Kleinheit ihres Massstabes wegen kaum in
Betracht kommen, ebensowenig die mosaizierende Glasmalerei um der
Dürftigkeit ihrer Ausdrucksmittel willen, der Wandmalerei war die Gotik
gerade im Begriff ihr Lebenslicht zu verlöschen, überdies wurde sie
offenbar von so minderwertigen Arbeitern betrieben, dass man in ihr den
künstlerischen Reflex eines Genies nicht suchen darf: die Tafelmalerei
allein wäre befähigt gewesen, den von der Plastik gegebenen Impuls
aufzunehmen. Sie hat es bekanntlich nicht gethan. Dass sie am Ende des
13. Jahrhunderts sich noch im puppenhaften Zustande befand, erschwerte
ihr naturgemäss, dem von der Bildhauerkunst gewiesenen hohen Flug
~sofort~ zu folgen, aber dass es ihr damals möglich gewesen wäre, ihre
Flügel zum mindesten zu entfalten, dafür sprechen Analogien in der
Entwickelungsgeschichte einzelner Kunstübungen anderer Länder: aus
den Kinderschuhen heraus hat die griechische Malerei mit Polygnot
den gewaltigen Sprung gethan, und die niederländische mit van Eyck,
was in Deutschland fehlte, das war ein aus verwandter Kunstgesinnung
herausgewachsenes Genie, eine künstlerische Kraft von der Stärke jener
beiden kühnen Wager, welches für die Befruchtung durch ein grosses
Muster empfänglich gewesen wäre, und so schlummerte in den Augen der
Handwerker-Maler die unvergleichliche Skulpturenwelt der deutschen Dome.
Im 15. Jahrhundert ist, wie gesagt, die Plastik realistischer geworden
— das Wort in dem nun einmal landläufig gewordenen Sinne genommen[22]
—, und wenn sie auch nunmehr mit der Malerei eng verbunden einhergeht,
gleich wie diese in Italien mit der Goldschmiedekunst, so hat sie doch
nicht einmal in ihrer auf Naturwahrheit gerichteten Tendenz die Kraft
eines zwingenden, die Nacheiferung erweckenden Musters besessen und
keine absolut neuen Wege ihrer Atelierschwester gewiesen. Selbst dort,
wo ihre Spur am deutlichsten zu verfolgen ist, in der fränkischen
Malerschule, macht sich ihr Vorbild doch nur in Aeusserlichkeiten, wie
in der Schärfe des Konturs, der knochigen und eckigen Gliedmassen,
der Steifheit der bauschigen Gewänder u. dergl. bemerkbar, während
anderseits auch, ganz im allgemeinen, von einem umgekehrten Verhältnis
gesprochen werden könnte, insofern in den schon bedenklich die Region
der Wachsfigurenkabinete streifenden Holzschnitzereien der Altäre des
15. Jahrhunderts die malerischen Tendenzen nicht zu verkennen sind. —
Die am Ende des Jahrhunderts einsetzende Nachblüte der Bildhauerkunst
und ihre Rückwirkung auf die Malerei hat uns hier nicht mehr zu
beschäftigen.
5. Die Schaumünze.
Ebensowenig wie das plastische Bildnis, gehört streng genommen die
Medaille in den Kreis dieser Betrachtungen, umsoweniger als ihre
Blütezeit beginnt, wo diese Arbeit abschliesst. Und doch muss auch
ihrer mit ein paar Worten wenigstens gedacht werden, denn was
Bedeutung, Beliebtheit und Verbreitung betrifft, steht sie unter allen
Porträtdarstellungen mit an erster Stelle und von keiner ist sie an
intimhäuslichem Wert für die deutsche Bürgerfamilie lange Zeit hindurch
übertroffen worden.
Vorbildlich für das deutsche gemalte Porträt des 15. Jahrhunderts ist
die Medaille oder Schaumünze — ein Erinnerungszeichen an irgend welche
Begebenheit oder Person — allerdings nicht gewesen. Nur im Holzschnitt
ist zuweilen eine Spur ihres Daseins zu bemerken. Die vortrefflichen
italienischen Schaumünzen der Quattrocento, für einen auserwählten
Kreis vornehmer Personen geschaffen, können unmöglich in grösserer
Anzahl ihren Weg über die Alpen genommen haben, denn sonst müssten sie,
wenn auch nicht dem Maler, so doch zum mindesten dem einen oder dem
anderen der grossen Bildschnitzer Anregung zu ähnlichem Kunstschaffen
gegeben haben: thatsächlich geht später Medaille und Schnitzkunst
in Deutschland zusammen, wie schon das Material der sorgfältig
bemalten oder vergoldeten Modelle beweist, die nicht wie in Italien
aus vergänglichem Thon oder Wachs, sondern aus Holz oder Stein als
Kunstwerke von selbständigem Werte gearbeitet wurden. Als zu Beginn des
16. Jahrhunderts die deutsche Medaille sich allgemeiner zu verbreiten
begann, konnte sie dem Maler nicht mehr viel neues lehren.
[Illustration: ~Tiroler Thaler.~
Nach Sallet, Münzen und
Medaillen.]
Die älteste deutsche Münze, welche als das Prototyp der Medaille
gelten darf — die mittelaltrigen Geldmünzen können der geringen Grösse
ihres Massstabes und ihrer wenig künstlerischen Ausführung wegen hier
nicht in Betracht kommen, ebensowenig die Porträtsiegel, die schon die
Merowinger geführt haben —, ist der 1484 in Hall geprägte sogenannte
~Tiroler Thaler~ mit dem Brustbild ~Erzherzogs Sigismund~, im Panzer
mit Krone und Streitkolben, in Profilstellung und kleinlicher, recht
minderwertiger Ausführung. Ihr Vorbild mag wohl in Italien zu suchen
sein (Schlosser, die Entwickelung der Medaille. Wiener Numismatische
Zeitschrift. 26. Band, Jahrgang 1894), nach anderen (Karl Domanig in
derselben Zeitschrift, 24. Band) ist sie ganz von selbst »aus der
Bildschnitzerei herausgewachsen«, die eigene Erfindung eines deutschen
Künstlers. Wie dem auch sei, sicher ist, dass die deutsche Schaumünze
sich vom Ende des 15. Jahrhunderts an künstlerisch unabhängig von der
italienischen entwickelt hat, dass sie ihr völlig fern steht und dass
sie sich obendrein sogar ihren eigenartigen deutsch-nationalen Stil
treulich bewahrt hat, nachdem die Malerei schon längst in romanischem
Fahrwasser schwamm.
Der Gebrauch der »Privatmedaille« hat sich etwa um 1510 in
Süddeutschland eingebürgert, allgemein wird die Sitte, sich
medaillenartige Bildnisse anfertigen zu lassen und sie mit seinen
Freunden auszutauschen, wie unsere Grossväter mit ihnen die Silhouette
wechselten und wir die Photographie, erst um 1518. Die Hauptplätze
ihrer Erzeugung werden nunmehr Augsburg und Nürnberg, namentlich in
letzterer Stadt gelangt diese Art der Porträtkunst zu hoher Blüte. Dass
auch ~Albrecht Dürer~ als der ersten einer in dieser Kunst sich mit
Erfolg versucht hat, darf wohl jetzt, trotz Thausings gegenteiliger
Ansicht (Dürer, 2. Auflage, Leipzig, 1884. II. 51) als ausgemacht
gelten. (Sallet, Münzen und Medaillen, Berlin, 1898.) Es sind dies die
Schaumünzen mit dem Kopf jenes Modells, welches er auf Zeichnungen und
Stichen für manche seiner Mariendarstellungen und für die Lukretia
in München benutzt hat und welches wohl identisch sein mag mit Agnes
Frey, ferner die mit dem Porträt seines Vaters, des M. Wohlgemuts
und vielleicht auch eine mit dem Kopfe Jakob Fuggers. Uebrigens wird
man auf den ersten Blick sehen, dass diese gegossenen Medaillen eine
Ausnahme von der oben angegebenen Regel machen: sie hängen mit der
Malerei und nicht mit der Schnitzkunst zusammen.
An künstlerischem Wert steht die deutsche Medaille der italienischen
nach. Hatte sie sich in Italien zu einem Kunstwerk ausschliesslich
für die vornehmen Stände entwickelt, so blieb sie in Deutschland
ein bescheidenes Stück des kleinen, aber lieb gewonnenen Hausrats
der Bürgerfamilie, und wurde dort das Bild des Fürsten, berühmter
Persönlichkeiten und besonders auch durch Schönheit oder Geist
hervorragender Frauen ruhmrednerisch der Nachwelt übermittelt,
so war es hier des schlichten Hausherrn oder seiner Frau
Konterfei, das Kind und Kindeskindern auf dem »Schaupfennig« zu
verwandtschaftlich-freundlichem Gedenken hinterlassen wurde.
Eine liebevoll sorgfältige Behandlung und ein fleissiges Natur- und
Modellstudium ist bei den besseren deutschen Medaillen nicht zu
verkennen, aber von dem grossen Zuge der italienischen trennt sie eine
schwunglose Auffassung, eine hausbackene Nüchternheit und auch eine
gewisse Unbeholfenheit der Technik.
Als im 17. und 18. Jahrhundert die Medaillenkunst zur Hofkunst wurde,
verlor die Schaumünze ihre herzgewinnende Schlichtheit: sie wurde
vornehm und »klassisch«, d. h. unpersönlich und langweilig und hörte
schliesslich auf, überhaupt ein Werk der Kunst zu sein. Erst in unseren
Tagen regen sich in ihrem Bereiche wieder neue und verheissungsvolle
Triebe.
6. Der Holzschnitt und der Kupferstich.
Obgleich in einem näheren Verwandtschaftsverhältnis zur Malerei als das
Erz-, Stein- oder Holzbild und die Medaille, hat der Holzschnitt und
Kupferstich für die vorliegenden Untersuchungen doch keine grössere
Bedeutung als jene. Denn nicht nur dass die grossen Meister des 15.
Jahrhunderts sich entweder von dem Holzschnitt ferngehalten (die Schule
von Alt-Köln) oder ihm einen untergeordneten Wert beigemessen haben und
dass seine und des Kupferstiches Sonnenhöhe erst mit Albrecht Dürer
anhebt, sind die beiden Künsten für das Menschenbildnis verfügbaren
Mittel an und für sich dürftigere und unzureichendere, als diejenigen
ihrer älteren Schwester, die auch des Lebens farbigen Abglanz
wiederzugeben vermag. Den auf die Fläche projizierten Kopf für das Auge
wieder zu runden und von dem Untergrund zu lösen, sodass der Beschauer
gleichsam mit um ihn herumtasten kann, dem Blicke den Glanz oder die
Mattigkeit eines bestimmten Seelenzustandes zu geben, die Eigenschaften
der Epidermis zur Geltung zu bringen, Wangen und Lippen den Fleischton
des Lebenden, dem Haar seine Kraft, seine Ueppigkeit, seinen Schimmer
oder Sprödigkeit, Starre und Leblosigkeit zu geben, je nachdem, das
sind Schwierigkeiten, die in einer zeichnerischen Kunst zu bewältigen
nur den grössten beschieden gewesen ist, in höchster Vollendung
vielleicht nur einem — Rembrandt in seinem Radierwerk.
[Illustration: ~Mahohmet II.~
Aus der Schedelschen Weltchronik.]
Die Anfänge des ~Holzschnittes~ reichen weit in das 14. Jahrhundert
zurück. Die ersten der noch ganz rohen Arbeiten in der neuen
Technik wurden als Einzelblätter hergestellt, später zu sogenannten
xylographischen Bilderbüchern mit erklärendem Text vereinigt, von denen
die Armenbibeln, welche als Ersatz der früher an den Kirchenwänden
gemalten Augenbibeln dienen sollten, die bekanntesten sind. Diese
sowohl wie die Holzschnitte des 15. Jahrhunderts, von denen der älteste
datierte von 1423 ist, stehen an künstlerischem Werte bedeutend
hinter den Werken der gleichzeitigen Tafelmalerei zurück. Während
hier am Ober- und Niederrhein schon frühzeitig ein fast modernes
Empfinden anklingt (Konrad Witz, Lochner), sind jene noch völlig
in mittelaltriger Befangenheit versunken, kindlich und unbeholfen,
ohne Schatten, ohne Modellierung, ohne eine Spur von Perspektive.
Ein leiser Fortschritt ist erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts,
nach Gutenbergs Erfindung, zu bemerken, aber auch jetzt, trotzdem
nun auch wirkliche Künstler, vornehmlich in Oberdeutschland, sich
mit der bisher von Handwerkern geübten Technik beschäftigten und
ungeachtet einer Fülle auf den Markt geworfener illustrierter Drucke,
welche die »demokratische Bilderlust« des Volkes kaum befriedigen
konnten, behalten die Holzschnitte noch lange Zeit ihren archaischen,
lehrhaften und den Schönheitssinn schwerlich befördernden Charakter
bei. Auf ~Wolgemut~ und die Seinen, unter denen sich auch ~Wilhelm
Pleydenwurff~ befindet, gehen die Illustrationen der ~Schedelschen
Weltchronik~ (1493) und wohl auch die des ~Schatzbehalters~ (1491)
zurück: wenig erfreuliche Massenarbeiten, in der Weltchronik über
zweitausend Bilder, deren tiefe künstlerische Stufe — man bedenke,
dass der Peringsdörffer Altar schon einige Jahre vorher gemalt war —
nur eine Erklärung in dem ungebildeten Marktplatz-Publikum findet,
für das jene Bücher gewiss in erster Linie bestimmt waren. Wohl
begegnen uns individuelle, selbst individuell-charakteristische Köpfe
in der langen Folge der Götter, Göttinnen, Kaiser, Könige, Propheten,
Weisen oder sonstigen historischen oder sagenhaften Persönlichkeiten,
aber mit welch schwachem künstlerischen und technischen Können
ist diese Individualisierung und Charakterisierung gegeben! Eine
Porträtähnlichkeit ist, auch wo sie möglich gewesen wäre, nur selten
angestrebt worden: um »Machomet der Türcken kayser« darzustellen (Bl.
256 b) wird einfach der Kopf Kaiser Johannes VII., Palaeologus, nach
einer Medaille Vittore Pisanos im Gegensinn kopiert, für den Kaiser
Maximilian wird irgend eine beliebige Jünglingsfigur vorgeführt,
und dass auch der Beschauer nicht im entferntesten daran dachte,
die Züge des Bildnisses mit der im Text gegebenen Lebens- und
Charakterbeschreibung zu vergleichen und eine Uebereinstimmung beider
zu prüfen, geht daraus hervor, dass ihm angemutet werden durfte, ein
und dieselbe abstossende Henkerphysiognomie, das eine mal als Hektor,
das andere mal als Jonas, Pitacius, Zeno, Terencius, Valentinius,
hinzunehmen, oder einen anderen, übrigens recht interessanten Kopf
gleichzeitig für Thales, Hypokrates, Xenokrates, Plutarch und andere
Philosophen.[23]
Von höherem Kunstwerte als diese von dem Nürnberger Buchdrucker
Koburger herausgegebenen Bücher sind die etwa gleichzeitig in Basel
erschienenen, mit Holzschnitten versehenen Prachtdrucke, vor allem
das »~Buch des Ritters vom Thurm~« (1493) und Sebastian Brants
»~Narrenschiff~« (1494). Wer die ausführenden Künstler waren, ist
umstritten. Daniel Burckhardt — Dürers Aufenthalt in Basel. München
und Leipzig 1892 — nimmt den Bilderschmuck des ersteren ganz, den
des letzteren teilweise für Dürer in Anspruch. Wie dem auch sei,
Oberdeutsche waren diese Künstler gewiss und zwar stark unter
Schongauers Einfluss; jedenfalls haben sie durch sorgfältige und klare
Zeichnung und zarte malerische Empfindung erreicht, ihren Köpfen mehr
Lebenswahrheit, Ausdruck und feinere Unterscheidung zu verleihen, als
das Wohlgemut und seinen Genossen gelungen war.
Von unabhängigen Einzelbildnissen der Holzschneidekunst ist mir nur
eins bekannt, welches sich, rot, grün und gelb bemalt, im britischen
Museum befindet und bezeichnet ist: »der türgisch kayser«. Nach
Schreiber, Manuel de l’Amateur u. s. w. No. 2008, zwischen 1480 und
1490 in Augsburg geschnitten. Mit dem altitalienischen Kupferstich
des Berliner Kabinets, El gran Turco, welcher auf die vorher erwähnte
Medaille Vittore Pisanos zurückgeht, hat dieser Holzschnitt übrigens
nichts gemein.
Schreiber erwähnt ferner unter No. 2014 das Einzelporträt eines
gepanzerten Ritters, der in ganzer Figur unter einer Bogenwölbung
steht, vermag aber den jetzigen Besitzer nicht anzugeben. Er nennt es
»oberdeutsch, gegen 1480«.
Eine dem Stifterbildnis der Tafelmalerei entsprechende Darstellungsform
des Menschen, knieend zur Seite der Gottesmutter oder eines Heiligen,
ist auf Holzschnitten des 15. Jahrhunderts hin und wieder zu finden,
ohne dass jedoch von einer Porträtähnlichkeit der Betreffenden
gesprochen werden darf. —
[Illustration: »~der türgische kayser~«.
Holzschnitt. Britisches Museum.
Nach besonderer Aufnahme.]
Etwa ein halbes Jahrhundert jünger als der Holzschnitt, aber früher
als dieser höheren künstlerischen Zwecken dienstbar gemacht, ist der
~Kupferstich~. Die Geisslung Christi im Berliner Kabinet ist der
erste, welcher mit einer Jahreszahl versehen ist, 1446, der älteste
sicher zu datierende überhaupt. Er ist nebst einer Folge anderer
Passionsdarstellungen, sogen. Renouviersche Passion, in Süddeutschland
aufgefunden und aller Wahrscheinlichkeit nach auch dort gestochen
worden. Die Jahreszahl 1446 allein verweist Vasaris Erzählung von
der »Erfindung« Finiguerras ins Fabelreich, jedoch sprechen auch
andere Gründe für das Vorangehen Deutschlands in der Uebung des
Kupferstechens.[24]
Verglichen mit dem Holzschnitt vertritt der Kupferstich die vornehmere
und feinere Kunst und diejenige der vielseitigeren technischen
Möglichkeiten und reichtönigeren Ausdrucksmittel. Wiederum ist es
Albrecht Dürer, der sie hoch über alles emporhebt, was das 15.
Jahrhundert in ihr geleistet hatte.
Der ~Meister der Spielkarten~, »ein Geistesverwandter Lochners« und
wie dieser wohl ebenfalls in Köln, vielleicht schon in den dreissiger
Jahren thätig (Lehrs) und der ~Meister E. S.~ von 1466, dieser
wahrscheinlich ein Oberdeutscher, der jedoch nordischen Einfluss
erfahren haben mag, waren die ersten, die mit ihrer Grabstichelarbeit
den Bannkreis mittelaltriger Befangenheit durchbrachen und mit einer
erstaunlich rasch erlangten technischen Sicherheit ihren Köpfen
Ausdruck und Gedankeninhalt gaben. Dem Laienpublikum, auch dem
künstlerisch gebildeten, steht heute das Werk dieser so jugendlich
frischen und doch so mimosenhaft zarten Meister freilich noch fern,
für jetzt erfreuen sich erst ~Schongauers~ Stiche der allgemeinen
Anerkennung. (Geb. wahrscheinlich zwischen 1434 und 1445, gest. 1491,
Schüler Casper Isenmanns zu Kolmar; sein Werk umfasst 115 Blätter.)
Die Vorzüge dieses an Geist und Empfindung überreichen Meisters,
der Schatten gleichsam, den die kommende Riesengestalt Dürers
vorauswarf, liegen allerdings auf einem anderen Gebiete, als dem der
Individualisierung und des scharfen, charakteristischen Herausarbeitens
der menschlichen Physiognomie. Fleissig nach der Natur hat er
gezeichnet, aber es scheint, als haben seine Studien auf dem Wege zum
Bilde, zum Kupferstich und noch mehr zum Gemälde, etwas von ihrem
Wesensausdruck verloren, als seien dort die scharfen, klaren Züge
der Zeichnung in jenen verallgemeinerten Typus verschwommen, den wir
gewöhnt sind als »Schongauerisch« zu bezeichnen: einer seltsamen
Mischung von deutsch-bäuerlicher Herbheit und spätmittelaltriger
Idealität, Sonnenreinheit des Herzens, blumenhafter Unschuld und ein
wenig gemachter Geziertheit. Das Dresdener Kabinet besitzt eine
Federzeichnung von ihm (publiziert von Woermann, Handzeichnungen alter
Meister im Kgl. Kupferstichkabinet. Dresden No. 11), offenbar nach
der Natur gefertigt, »vielleicht für einen Schergen«, die deutlich
die Einbusse an Wirklichkeit vom Studienblatt zur Ausführung im Bilde
zeigt: in dem gesamten Schongauermalwerk wird man vergeblich nach einem
ähnlich individuell-charakteristischen Kopfe suchen.
In derselben Sammlung befindet sich übrigens auch eine andere
Handzeichnung Schongauers, das Brustbild eines jungen Mädchens mit
schönem, geflochtenem Haar und faltigem Kopftuch, das wohl als Porträt
gemeint ist, jedoch nur beweist, wenn anders es wirklich von ihm
herrührt, wie fern dem Meister im Grunde diese Art der Kunstübung
stand. (Publ. ebenda, No. 10. »Nicht Wohlgemut, wie Scheibler meint.«)
Kraft und Wucht der Charakteristik war ebensowenig dem genialsten,
eigenartigsten und gedankentiefsten von allen Stechern des 15.
Jahrhunderts gegeben, dem lebendigen, heissblütigen, sprühenden
~Meister des Amsterdamer Kabinets~. Auch sein Einfluss ist vielleicht
in Dürers frühen Zeichnungen zu erkennen, »wiewohl das rheinisch Spitze
und Dünne, was diesem anhaftet, bei Dürer ins Derbe, Knorrige und
Struppige gewendet erscheint« (Vischer, S. 175). Seine zart und leicht
skizzierten Köpfe sind von einem individuellen Reiz, wie es nur wenige
Meister der Griffelkunst verstanden haben, ihn ihren Werken zu geben,
aber eigentliche Porträts hat er nicht gestochen. Seine Begabung lag
auf dem Gebiete der freien Erfindung, der schrankenlos schweifenden
Phantasie. Eine gewaltsame Intensität des Blickes, die dazu gehört,
einem Menschen bis tief in das Innerste zu sehen, ihm gewissermassen
bis auf das Mark der Knochen zu durchschauen, war ihm nicht zu eigen, —
die volle Erfassung einer Persönlichkeit, wie sie Dürer im Pirckheimer
oder Holzschuher vor uns hingestellt hat, war seinem leichten Naturell
versagt. Wir werden ihm später unter den Malern am Mittelrhein wieder
begegnen.
Wahrscheinlich der einzige Stecher, der sich mit dem Porträt
beschäftigt hat und dessen Thätigkeit jedenfalls noch in das 15.
Jahrhundert fällt, ist der schwäbische ~Meister mit dem Zeichen W
[ornament] B~.[25] Die von ihm bis jetzt bekannten vier vortrefflich
gezeichneten und klar gestochenen Porträtköpfe sind die folgenden:
Brustbild einer jungen Frau. Sie steht in einem Zimmer, Kopf und Blick
nach halblinks gewendet. Haube und mehrfach geschlungenes Tuch um
das Haar, das Ohr freilassend. Um den Hals eine Kette. Unbezeichnet:
Berlin, Kupferstichkabinet. Hochätzung bei Lippmann, der Kupferstich,
S. 33. P. II 270. 61.
[Illustration: ~Brustbild einer jungen Frau~
vom Meister W. [ornament] B.
Berlin, Kupferstichkabinet. Nach Lippmann.]
Brustbild eines alten, bartlosen Mannes, im Zimmer hinter einer
Brüstung stehend. Von vorn, den runzligen Kopf nach rechts geneigt.
Turbanartiges Tuch um den Kopf. Pendant zu dem vorigen. Monogramm
unter der Brüstung. Hamburg, Kunsthalle. Duschem (der diesen Kopf
irrigerweise für den einer alten Frau hielt), Voyage S. 376.
Brustbild einer reich gekleideten jungen Dame, hinter einer Brüstung.
Kopf nach links gewendet, den Blick gesenkt. Schwerer, dicker Zopf,
Haube mit einem Kleinod. Meisterhafte Behandlung des Fleisches. Links
Ausblick durch ein Fenster auf einen in Wasser stehenden Turm. »Ein
Glanzstück der Kupferstichkunst, von einen sehr grossen Meister«
(Lehrs). Monogramm auf der Brüstung. Hamburg, Kunsthalle.
(Alle diese drei Stiche werden in Naumanns Archiv VI (Harzen) dem
Zeitblom zugeschrieben.)
(Heliogravüren in der Publ. der Int. Chalk. Gesellschaft 1890, No. 14
bis 16.)
Brustbild eines bartlosen Mannes mittleren Alters, nach rechts, hinter
einer Brüstung. Tuch mehrfach um den Kopf geschlungen. Rechts und links
herabfallendes Lockenhaar. Eine Warze auf der Nase. Rechts Ausblick
durch ein Fenster auf bergige Landschaft mit einer befestigten Stadt am
Flussufer. Pendant zu dem vorigen. Unbezeichnet. Basel, Kunstsammlung.
Paris, Bibl. nat. Paris, Rothschild.
(Naumanns Arch. VI (Harzen). P. II 363. 58. Lehrs, der Meister des
Amsterdamer Kabinets 3. 3. Nicht publiziert.) —
Stifterbildnisse oder diesen ähnliche Darstellungsformen sind mir auf
Stichen des 15. Jahrhunderts nicht bekannt.
Zweiter Teil.
1. Allgemeine Betrachtungen über das Werden und Wandeln des Bildnisses
in der Tafelmalerei.
Die ältesten Dokumente der Tafelmalerei gehen bis in das 12. und 13.
Jahrhundert zurück. Ihre Erstlinge, die wir wohl in das 9. Jahrhundert
verlegen dürfen, hat ein vorwärtsschreitender Kunstgeschmack der
Nachgeborenen als wertloses Gut vernichtet. In der Hauptsache für
Antependium und Altaraufsatz bestimmt und beschränkt auf das religiöse
Stoffgebiet, hat sie, gleich der Wandmalerei und zäher als die
beweglichere Kunst der Illuministen, bis etwa zum dritten Jahrzehnt des
15. Jahrhunderts an den altherkömmlichen Typen festgehalten. Nur gegen
das Ende dieser Epoche hin macht sich, dem Vorgange der Buchmalerei
folgend, eine Vorfrühlingsstimmung der neuen Zeit auf ihren Tafeln
bemerklich: mit einem gleichsam schüchtern auf die Natur schielenden
Blicke bahnt sich eine neue Darstellung, zunächst des menschlichen
Umrisses an, — sowie sie gefunden ist, wird sie allerdings sofort
ihrerseits wieder zur Konvention. Diese Neuerung erstreckt sich nur
auf die Gestalt, vor dem Physiognomischen macht sie Halt: im Schwunge
des Körpers, in einer künstlichen Biegung der Hüften, einer seitlichen
Neigung des Kopfes und in der Gebärde suchen die Maler Leben und
innerliche Empfindung der Dargestellten zum Ausdruck zu bringen, soweit
eine solche freiheitliche Bewegung der unduldsame Charakter der Gotik
gestattete und sie das durch den alles beherrschenden Vertikalismus
geradezu hypnotisierte Auge überhaupt als zulässig erachtete.
In jenem denkwürdigen dritten Dezennium jedoch ist eine Wandlung der
künstlerischen Auffassung zu beobachten, die als ein Markstein in der
Geschichte der deutschen Malerei bezeichnet werden muss: der Blick der
Maler wendet sich ab von den Typen der älteren Buchillumineure und
den »gotischen« Vorbildern auf der Kirchenwand und geht mit voller
Entschiedenheit auf den Urquell aller Kunst, auf die Natur zurück. An
allen Orten, fast gleichzeitig und unabhängig voneinander, gleichsam
aus unsichtbaren Keimen einer neuen Luftströmung sich entwickelnd,
treten individuelle Gestalten mit individuellen Gesichtszügen in den
Tafelbildern auf, wie man sie vordem nie geschaut hatte, in Köln,
in Niedersachsen, am Oberrhein, in Schwaben, Franken, Tirol, hier
vereinzelt wie ein schüchterner, unbeholfener Versuch, dort zahlreicher
und in vollendeten Persönlichkeiten von Mark und Bein.
Von nun an wächst das Streben nach Wirklichkeit mehr und mehr,
verwandelt in Gestalten von leibhaftiger Lebensform die aus
Ueberlieferung und Konvention geborenen Schemen und führt schliesslich,
mächtig gefördert durch die Kunst Italiens einerseits und die
Flanderns andererseits, zur vollen Aufnahme der äusseren Natur, wie
sie sich dem neu erschlossenen, aber mit Bewusstsein auswählenden
und nach Neigung komponierenden Künstlerauge darbot, bei der einen
Stammesgruppe mit stärkerer Betonung des ästhetisch Anmutenden, bei
der anderen mit gleichwertiger Wiedergabe aller Zufälligkeiten, oft
gerade mit Hervorhebung des Herben und Hässlichen, ja selbst zuweilen
des Grausigen und Abstossenden, — führt zu dem grossen Phänomen der
Wiedergeburt der Natur, zu dem mehr oder minder verklärten sogenannten
~Realismus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts~, aus welchem
heraus die nach dem höchsten Idealismus, im reinsten Sinne des Wortes,
ringende Kunst eines Dürers und eines Holbeins sich erheben sollte.
Italien und vor allem Flandern, Giotto, Gentile, Mantegna und van Eyck,
Roger und Bouts, wer könnte sich vor der Thatsache verschliessen, dass
sie die deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts, um ein berühmtes Wort
zu gebrauchen, »in den Sattel gehoben« haben, reiten aber konnte sie
aus eigener, nicht aus entlehnter Kraft. Die Vorbedingungen hierzu
trug sie bereits in sich, das beweist ihre selbstständige Entwickelung
auf anderen Gebieten, vor allem im Buchornament, dann aber auch die
erstaunliche Schnelligkeit, mit der die Maler, den fremden Anregungen
folgend, das mittelaltrige dekorative Prinzip aufgeben, und nicht zum
mindesten die ersten, gleichsam tastenden Emanationen einer neuen Weise
der malerischen Auffassung und Wiedergabe der Wirklichkeit, die vor
dem südlichen oder nordischem Einflusse datiert werden müssen. Wer
die bescheidenen Dorfkirchen und einsamen Kapellen, die Herrensitze
und die abseits von der grossen Verkehrstrasse gelegenen Sammlungen
durchwandert — denn dort, und nicht in den grossen Staatsgalerien
liegen die Erstlingswerke der deutschen Tafelmalerei —, der wird
vor manches Bild geführt werden, das die Merkmale des Anfanges oder
der Mitte des 15. Jahrhunderts trägt und doch schon in einzelnen
Zügen die neue Zeit präludiert, ohne dass irgend eine Beziehung zu
einem romanischen oder niederländischen Thema zu entdecken ist.
Wenn die schlichten Handwerker-Künstler, die jene Tafeln schufen,
»Anregungen« von anderer Seite als der Natur erhalten haben, und das
darf man wohl bei allen voraussetzen, so gewiss nur von dem Werke des
nächsten Nachbars oder dem Bilderschmuck einer schönen Handschrift der
Ortskirche, — die Fäden allerdings, die von Bild zu Bild führen, sind
oft so spinnenhaft zart, dass sie samt den Punkten, wo sie angeknüpft
sind, dem forschenden Auge sich entziehen.
Wir müssen hier einen Moment innehalten und uns die Frage vorlegen,
warum gerade in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts und nicht
zu einer anderen Zeit der ~Wandel vom Typischen zum Individuellen~
eintritt.
Im Mittelalter, so lautet die landläufige Antwort, fühlte der Mensch
sich als Herdentier, er erkannte nur seine Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Rasse, einem Volke und allenfalls einer politischen Partei,
er suchte und fand demgemäss seinen Wirkungskreis lediglich als
Mitglied seines Standes oder seiner Korporation; erst mit dem 15.
Jahrhundert begann sich in ihm das Bewusstsein zu bilden, dass er auch
als Individuum eine gewisse Bedeutung habe, — er »entdeckte« sich
innerhalb der Masse als Persönlichkeit. Bevor der Mensch sich nicht
selbst als ein der Einzeldarstellung würdiges Objekt betrachtete,
vermochte er nicht, andere nach seinem Bilde zu formen, sondern durfte
sich wohl mit einer symbolischen oder einer konventionell-typischen
Wiedergabe seiner Zeitgenossen begnügen.
Das ist gewiss richtig, es fragt sich nur, ob der mittelaltrige Mensch
sich wirklich erst zu jener Zeit »entdeckt« hat?
Man sagt uns, der analoge Vorgang, d. i. das Hervortreten der
Persönlichkeit, vollziehe sich zu dem nämlichen Termine auch auf
demjenigen Gebiete, dem wir in erster Linie unser Wissen von der
Vergangenheit verdanken, dem der ~Geschichtsschreibung~, und man sieht
in diesem Umstand eine zweite Bestätigung dafür, dass die sogenannte
Entdeckung des Menschen thatsächlich zu Anfang des 15. Jahrhunderts
gemacht worden sei.
Nun ist allerdings die historische Darstellung der Begebenheiten bis
zu diesem Zeitpunkt entweder ein kritikloses Aneinanderreihen von
mehr oder minder glaublichen Geschehnissen und Fabeln aus fernen
Jahresläuften, die der Leser nicht selbst kontrollieren konnte, oder
sie behandelt in kurzer, nüchtern registrierender Form die Kämpfe
des Reichsadels mit den Städten und die der alten Geschlechter mit
dem emporstrebenden Bürgertum. Von einem Erfassen der geistigen
Persönlichkeit, von einer kritischen Schilderung ihres Wesens oder
einer empirisch-psychologischen Begründung ihres Handelns ist keine
Rede. Auch diejenige Art der Geschichtsschreibung, welche die
Beobachtung der eigenen Persönlichkeit, die Innenschau, zum Untergrund
und zur Voraussetzung hat, die ~Selbstbiographie~, ist mit einer
Ausnahme, der Karls IV., erst im 15. Jahrhundert entstanden.[26]
Diese Thatsachen sind nicht zu leugnen, folgt aber aus ihnen mit
Notwendigkeit, dass der Mensch die Gabe der Selbstbeobachtung und somit
das Bewusstsein von dem Werte seiner Eigenexistenz schlechterdings
nicht auch schon früher besessen haben kann? Wird er sofort, nachdem
dieses Bewusstsein in ihm erwacht ist, zum Pinsel und zur Feder
gegriffen haben, um seine Freude über das neue Gefühl zu bekunden?
Mit anderen Worten: muss Erkenntnis unbedingst zusammenfallen mit dem
sichtbaren Ausdruck derselben in Bild und Wort?
Ich glaube nicht. Wie stumme Dichter durch die Welt gegangen sind
Jahrhunderte vor Homer und wie noch heute Poeten leben, die »keine
Zeile schreiben, und vielleicht die besten«, ebensogut mögen Maler und
Menschenkenner ins Grab gestiegen sein, ohne dass einer von ihnen auf
den Gedanken kam, seinen Empfindungen Dauer zu verleihen. Und warum
beruft man sich gerade auf die Geschichtsschreibung? Ist nicht auch
die Kunst des Schauspielers (bez. die des dramatischen Dichters) »der
Spiegel und die abgekürzte Chronik der Zeit«? Wollte man in ihr nach
der »Entdeckung des Menschen« forschen, so würde man sie sicherlich
nicht im 15. oder 16. Jahrhundert finden, denn weder in den rohen
Fastnachtscherzen und den geistlichen Weihnachts-, Passions- und
Osterspielen, noch in den bürgerlichen Possenaufführungen ist den
Darstellern die Möglichkeit zu einer psychologischen Vertiefung ihrer
Rollen gegeben. Wann wird auf diesem Gebiete der Typus überwunden? Mit
Garrik, Schröder oder vielleicht erst in unseren Tagen? Oder warum
sollte man nicht auch etwa so folgern dürfen: die älteste und die alles
umfassendste der Kunstwelten ist die der Musik, — ehe nicht das in
Tonlinien malende, charakterisierende Menschenbildnis gefunden war,
darf von einem innersten Erfassen der Persönlichkeit nicht gesprochen
werden? Aber wohin kämen wir mit diesem Termin!
Und wie stimmen nun vor allem mit dieser Menschenentdeckung im 15.
Jahrhundert die Naumburger Stifterfiguren und die ihnen folgenden
individuell-charakteristischen Grabdenkmäler überein? Sieht man
in den Naumburger Bildnisköpfen mehr als »den blos äusserlichen
Individualzusammenhang der Muskelpartien« (Lamprecht), und zwar das
Gepräge eines ganz bestimmten geistig-persönlichen Ausdrucks, so wird
man nicht umhin können, bei ihren Urhebern eine Erkenntnis von dem
Eigenwert des Individuums vorauszusetzen.
Diese Beispiele, die reichlich vermehrt werden könnten, sollten nur
darthun, dass eine Beweisführung auf Grund der Geschichtsschreibung
für den vorliegenden Fall eine willkürliche ist, zum mindesten eine
einseitige, dass überhaupt der Terminus a quo des Individualismus
ein verschiedener sein muss je nach dem, was man unter diesem gar
nicht zu begrenzenden Begriffe versteht, und schliesslich, was so
häufig übersehen wird, dass die Darstellungsformen des Menschen in
zeitlich und örtlich nebeneinanderliegenden Kunstgebieten einen recht
verschiedenen Grad der Lebenswahrheit zeigen können.
Es ist somit die Erzählung von der Entdeckung der Menschen meines
Erachtens nach etwa folgendermassen zu formulieren: Ein Verständnis
für die Bedeutung des Menschen als Sonderexistenz, gleichsam im
Dämmerschein ihres selbstgegossenen Lichtleins erschaut, war bei
einzelnen Individuen seit den Karolingertagen, bei begrenzten
Bildungsgruppen seit der Stauferzeit vorhanden, mit ein wenig mehr
Klarheit überträgt es sich gegen den Ausgang des Mittelalters auf
die breiteren Massen des Volkes und tritt mit dem Beginn des 15.
Jahrhunderts, zuerst noch recht bescheiden und grobzügig, in Bild und
Wort auf den Pergamenten der geschichtsschreibenden Pfaffenscharen und
der städtischen Chronisten in die Erscheinung und ein wenig später auf
den Tafeln der unzähligen Handwerker-Meister, die in der Hauptsache den
Malerstand jener Zeit vertraten.
Die am Eingange gestellte Frage hätte demnach folgende Beantwortung
zu erhalten: Alles entsteht nach Gesetz. Es mag daher eine innere
Notwendigkeit vorhanden gewesen sein, dass der Wandel vom Typischen
zum Individuellen gerade am Anfang des 15. Jahrhunderts erfolgt ist,
zu erkennen aber ist sie nicht, und ich bezweifele, dass, wenn jene
entscheidende Wendung in der Entwickelungslinie der Malerei bereits
hundert Jahre früher eingetreten wäre, sie der heutigen historischen
Betrachtung unvermittelter und daher wunderbarer erscheinen würde. Zwei
Fälle sind recht wohl denkbar, die einen solchen früheren Eintritt
erklären würden: die That eines mit starker Anschauungskraft begabten
Genies, welches die von einer andern Kunst, der Plastik, bereits
gefundenen Ausdrucksformen malerisch verwirklicht hätte oder eine
rascher als thatsächlich entstandene »Unlust an den alten Typen«, von
der ich sogleich sprechen werde.
Nachdem nun allerdings einmal der Weg vom Typischen zum Individuellen
in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts in einer oder
wahrscheinlich in mehreren Malerwerkstätten gleichzeitig betreten
worden war, konnte das Neue in der bildnismässigen Darstellung infolge
der damals zum Gemeingut gewordenen Anschauung, dass der Mensch auch
ausserhalb Stand und Korporation etwas bedeute — und darauf schrumpft,
wie wir gesehen haben, das Wort von der Entdeckung des Menschen
zusammen —, zu keiner anderen Zeit eine gleich erstaunlich schnelle
Verbreitung erfahren. —
Können wir den Zeitpunkt des Wandels der künstlerischen Auffassung nur
ungenügend begründen, so ist es uns eher möglich, ~das treibende Motiv~
desselben aufzudecken. Wie schon an anderer Stelle gesagt worden ist,
beginnt die Belebung des starren Typus in der ~Buchmalerei~, und zwar
in den Werken der französisch-niederländischen Illumineure. Von diesen
geht sie rasch in die deutschen Handschriften über, und ihrem Vorbilde
folgt wenige Jahrzehnte später die Tafelmalerei. Es handelt sich also
darum, das Leben und Bewegung auslösende Moment dort zu finden, wo es
zuerst in die Erscheinung tritt.
Jede neue Geschmacksrichtung pflegt sich auf zweierlei Art aus
der herrschenden zu entwickeln: entweder nach dem Gesetze der
Uebereinstimmung, indem man die Abwechselung lediglich durch Steigerung
des in dem alten Geschmacke bereits enthaltenen Reizes zu erreichen
strebt — auf Michelangelo folgt Bernini — oder nach dem Gesetze des
Kontrastes, indem man sich gerade nach einem starken Gegensatz zu
der zum Ueberdruss gewordenen Richtung umsieht, — nach dem Rokoko
der Empirestil. Der nicht mehr zu überbietenden Steifheit des Typus
gegenüber konnte nur das letztere Gesetz zur Anwendung kommen, und
in der That scheint es das Suchen nach dem Kontrast gewesen zu
sein, welches zunächst den Umriss und dann die Binnenzeichnung der
menschlichen Gestalt belebt hat.
Wie dieser Vorgang im einzelnen sich abgespielt haben mag, das
versucht Friedrich Carstanjen[27] etwa in folgender Weise auszuführen:
Das Neue, was uns als Lebenswahrheit in der Tafelmalerei des 15.
Jahrhunderts begegnet, hat in der voraufgehenden Buchmalerei seine
Entwickelungsvorstufen gehabt. Dort erscheint es uns wie eine
plötzliche Zuwendung zur Natur, jedoch ist es im Affekt des Schaffens
selbst, ohne einen Blick auf die lebende Wirklichkeit, lediglich als
eine Folge der psychischen Ermüdung an dem Anschauen des immer und
immer wieder gemalten Bilderschmucks gefunden worden. Die alten Typen
hörten allmählich auf, Gegenstand lebhafter psychischer Erregung zu
sein, und das anfänglich mit ihnen verbundene Lustgefühl schlug in das
Gegenteil um. Unlust war die Voraussetzung der grossen Veränderung,
nicht Naturoffenbarung, nicht Inspiration; ihr folgt die Lust am
anderen und somit zur Veränderung, dieser verband sich das Suchen nach
der Anderslösung, das Finden der Neulösung und schliesslich die Freude
am gefundenen Neuen. Dieses Neue, mit dem die Buchmaler der Natur sich
näherten, ohne es eigentlich beabsichtigt zu haben, bestand zunächst
in der Belebung der Silhouette, der sich sehr bald die Detaillierung
der von dieser umgrenzten Fläche anschloss. Detaillierung aber ist
Ausdrucksvermehrung und zugleich der erste Schritt zur Modellierung.
Jetzt erst, nachdem in dieser weltabgewendeten Malstubenarbeit
grössere technische Fortschritte gemacht worden waren, steigerte sich
auch die Intensität des Blickes für die Natur und — ich übergehe die
Zwischenstufen— am Ende der Entwickelungsreihe steht der Realismus
der Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts. So etwa Carstanjen, dessen
Grundgedanken ich mich anschliesse, nur dass ich bei dem »Suchen nach
der Anderslösung«, wobei das künstlerische Schauen, also das Auge, sich
entwickelte, der notwendigerweise nebenhergehenden Naturbeobachtung
eine gleich grosse Bedeutung beimessen möchte, wie dem Ringen nach
neuen Ausdrucksmitteln.[28]
2. Die Schule von Prag.
Der Entwickelung nach der Richtung des Persönlichen war eine deutsche
Malerschule zeitlich ein wenig vorausgeeilt: die Schule von Prag.
Aber trotz ihrer vielversprechenden Anfänge war ihr mitsamt dem
goldenen Zeitalter Böhmens nur ein kurzes Leben beschieden gewesen,
und die Spuren ihres Daseins, die sich vielleicht später bei einer
anderen Künstlergruppe, der fränkischen, verfolgen lassen, sind wohl
eher in der Komposition, in der Gewandbehandlung, in den kräftigen,
starkknochigen Typen und in dem auffällig energischen Ausdruck
des Auges zu erkennen, als in der weiteren Ausbildung des fein
unterscheidenden Individuell-Charakteristischen. Doch müssen wir mit
wenigen Worten bei ihr verweilen, denn sie ist die erste wirkliche
deutsche Malerschule und hat die ersten bedeutenden, freilich noch
recht nüchternen Bildnisköpfe auf der Malertafel hervorgebracht.
Deutsche waren die Mitglieder der 1348 gegründeten Prager Malerzeche
ihrer Geburt und Gesinnung nach, wenigstens die Mehrzahl, und die
deutsche Richtung war in ihr die überwiegende. Das Fremdländische,
welches hier wie auch in anderen deutschen Kunstschulen dem Heimischen
neue Bahnen gewiesen hatte, es mächtig durchdrang und zweifellos gern
und willig aufgenommen wurde, kam ihr zum Teil von der französischen
Buchillustration, vor allen Dingen aber von der italienischen Wand-
und Tafelmalerei. Französische Illumineurs waren an den Hof des
Luxemburgers berufen worden, auch kommt ein französischer Meistername
zu zweien Malen im Buche der Prager Zeche vor, und dass italienische
Meister in Prag gearbeitet haben, ist nach einigen noch erhaltenen
Werken, namentlich der Freskomalerei und des Mosaiks, ausser aller
Frage. Ob freilich der vielgenannte Tommaso da Modena, gen. Mutina,
selbst in Böhmen gewesen ist oder ob der viel herumwandernde Karl IV.
Bilder von ihm bei seinem wiederholten Aufenthalt in Italien von dort
mitgebracht hat, ist noch nicht aufgeklärt.[29]
Am beredetsten spricht das deutsche Element aus den Resten der
~Wandmalerei~ in der ~Kollegiatkirche Mariä Himmelfahrt~ und aus
den auf einer fortlaufenden Holztäfelung gemalten Bildern der
~Kreuzkapelle~ der auf steilem Felsenberge in der Schlucht des
Beraunthales »in geheimnisvoll-priesterlichem Charakter« erbauten
~Burg Karlstein~. Als Hauptmeister derselben werden die pictores
imperatoris, die Hofmaler ~Nikolaus Wurmser~ und ~Theodorich von
Prag~ genannt. Auf die Wandmalereien, die dem elsässischen Künstler
zuzuweisen sein dürften, ist schon hingewiesen worden. (S. 33.) Von
den über hundert auf Holz gemalten Bildern der Kreuzkapelle, die mit
Theodorich von Prag, thätig von 1348 bis 1375, in Verbindung gebracht
werden müssen, sind mir nur die in der Kaiserlichen ~Gemäldesammlung~
zu ~Wien~ unter Nr. 1460 u. 1461 befindlichen Halbfiguren des heiligen
~Ambrosius~ und des heiligen ~Augustinus~ bekannt (letzterer abgebildet
bei Janitschek): breitschulterige Gestalten mit starkknochigen Köpfen,
gedrungenen Hälsen und mächtigen Nacken. Die klobigen Nasen mit den
breiten Rücken, die wulstigen Lippen und die kräftig gebildeten
Backenknochen scheinen an das slavische Volkstum zu erinnern, das
den Meister umgab, dem er jedoch selbst, wie schon sein Name sagt,
nicht wohl angehört haben kann. In der Wiedergabe aller Einzelheiten
der äusseren Erscheinung erkennt man das Festhalten an ein lebendes
Modell, zum mindesten an ein äusserst lebhaftes Erinnerungsbild an
ein solches, und da in den beiden Heiligen auch neben dem Gedanken,
der sie zur Stunde beherrscht, etwas von ihrem bleibenden inneren
Wesen zum Ausdruck kommt, dürfen sie wohl als die ersten individuell
charakteristischen Bildnisköpfe der deutschen Malerei grösseren Stiles
bezeichnet werden.
Aus welcher Kunst ist Theodorich von Prag emporgewachsen? Eine
czechische hat es anscheinend nicht gegeben,[30] von den Miniaturen
ist sein monumentaler Stil weit geschieden, die deutsche Tafelmalerei
konnte ihm, wie auch die handwerkliche Wandmalerei, nur geringe
Anregungen bieten, so kann als Ausgangspunkt seines Schaffens wohl
nur die italienische Kunst angenommen werden, und zwar die Giottos
und seiner Nachfolger. Bei der Besprechung einzelner Werke der
bairischen und tiroler Schulen werden wir später auf die nämliche
Wurzelgemeinschaft geführt werden.
Der Auffassung und dem Stile Theodorichs sehr nahe stehend ist der
~Christus am Kreuz~ der ~Wiener Gemäldesammlung~, Nr. 1472, dort
Wurmser genannt, gleichfalls aus Karlstein stammend; ferner verwandt,
doch von geringerer Ausführung, das ~Altarwerk~ in der Veitskirche zu
~Mühlhausen am Neckar~, Württemberg, welches 1385 von einem Reinhard
von Mühlhausen zum Andenken an seinen in Prag verstorbenen Bruder
Eberhard gestiftet worden war, mit den knienden Figuren des Reinhard
und des Eberhard, und ein grosses ~Votivbild~ aus Raudnitz, jetzt
im ~Rudolphinum~ zu ~Prag~, Nr. 687, Klass. Bilderschatz Nr. 397,
wohl ebenfalls aus den achtziger Jahren, mit den knienden Figuren
Karls IV. und seines Sohnes Wenzel und, auf dem unteren Theile, des
kunstfreundlichen Erzbischofs Očko von Wlaschim. Die thronende Madonna,
heilige und profane Personen sind auf diesem von Očko gestifteten
Bilde in ein und demselben Massstabe gebildet,[31] Karl und Wenzel
tragen die Krone, der Erzbischof die Mitra und in den Händen die
crux archiepiscopalis; an der bunten Tracht des jugendlichen Prinzen
sind die langen, von den Oberärmeln herabfallenden Pelzstreifen
bemerkenswert, eine Mode, die um das Jahr 1370 aufgekommen war. An die
lebenatmende Kraft der Heiligen Ambrosius und Augustinus reichen diese
porträtartigen Bildnisse jedoch nicht im entferntesten heran.
[Illustration: ~Votivbild aus Raudnitz, Rudolphinum. Oberer Teil.~
Nach einer Photographie von J. Löwy, Wien.]
Während das starke Temperament Meister Diedrichs die Sprache der
oberitalienischen Vorbilder in die eigene übertrug und somit Werke
von selbständiger Bedeutung geschaffen hat, die mit vollem Rechte
für deutschen Geistes genommen werden dürfen, zeigt sich in einigen
andern der damals in Böhmen entstandenen Bilder und Mosaiken der fremde
Einfluss so wenig verarbeitet, dass man wohl kaum in der Annahme irrt,
sie seien von italienischen Künstlern ausgeführt worden; für die
Geschichte des Bildnisses sind sie überdies belanglos. Aus ihrer Gruppe
sei nur das 1371 vollendete ~Mosaikbild des jüngsten Gerichts~ über
dem südlichen Querhausportale des ~Prager Domes~ hier erwähnt — von
dem ausdrücklich gesagt wird, es sei more graeco ausgeführt —, weil
es, allerdings in roher Arbeit und schlechter Erhaltung, die Bildnisse
des Kaisers und seiner Gemahlin enthält, meines Wissens das einzige
Beispiel der Darstellung lebender Personen damaliger Zeit in dieser
Kunstweise.
Ueber einen im südlichen Böhmen am Ende des 14. und Anfang des 15.
Jahrhunderts thätig gewesenen Maler ist die bisherige Forschung noch
nicht zu einem abschliessenden Ergebnis gelangt, im allgemeinen
wird er jedoch für die deutsche Richtung in Anspruch genommen. Von
seinen ältesten Werken besitzt die Stiftskirche zu ~Hohenfurth~
ein ~Marienbild~, von welchem sich eine 50 bis 60 Jahre spätere
Kopie in der ~Minoritenkirche~ zu ~Krumau~ befindet, ferner in der
~Bildergalerie des Stiftes Hohenfurth~ eine ~Madonna~ mit dem Kind
und einem porträtartigen Stifter, einen Mönch in der ursprünglich
schwarzen Ordenstracht der Cisterzienser (später weisse Kutte und
schwarzes Skapulier), aus dessen Händen das Spruchband mit den Worten
miserere mei deus emporflattert, und ein ähnliches ~Marienbild~ in der
Dominikanerkirche zu ~Budweis~. Sämtliche vier Bilder sind von einer
hölzernen Rahmendekoration umgeben, welche mit Engel, Heiligen- und zum
Teil Propheten- und Donatoren-Figuren geschmückt ist.[32]
Thode spricht demselben Meister auch die Reste eines aus Wittingau
stammenden ~Altarwerks~ zu, jetzt im ~Rudolphinum~ zu Prag, »das
offenbar zu den bedeutendsten Schöpfungen der böhmischen Schule
gehörte« und sieht in ihm, den er als ~Meister von Wittingau~
bezeichnet, den Träger des böhmischen Einflusses in die Schule von
Nürnberg, insbesondere denjenigen Meister, welcher die Kunstrichtung
des Meisters des Imhofschen Altars in entscheidender Weise bestimmte.
Nachdem das Hussitentum in Böhmen alle Kultur vernichtet hatte, geriet
die Prager Malerschule in der Spätzeit des 15. Jahrhunderts unter den
Einfluss Wolgemuts und seiner Werkstatt, ohne es jedoch von nun an zu
bedeutenden Leistungen zu bringen.
3. Alt-Köln und seine Einflusssphäre.
Die Tafelmalerei der kölnischen Schule nahm ihren Ausgangspunkt von
der seit dem frühen Mittelalter in den romanischen Kirchen des alten
niederrheinischen Kulturlandes lebhaft betriebenen und noch in manchen
stattlichen Resten erhaltenen Wandmalerei, und wie diese scheint sie
ihre ersten wirklich künstlerischen Anregungen in der Mitte des 14.
Jahrhunderts von den französisch-niederländischen Miniaturen und der
auf herbe Naturwahrheit gerichteten burgundischen Steinplastik erhalten
zu haben. Der starke Wirklichkeitssinn, der diese letzteren Werke
kennzeichnet, vor allen die eines Claus Sluter, spricht auch aus den
Erstlingen der Schule von Alt-Köln, seltsamerweise also just dasjenige
Element, welches die niederrheinische Kunst in ihrem Blütenalter
ermangelt.
Als bezeichnende Beispiele dieser markig-männlichen Art sind die
kleinen Tafeln No. 2 bis 5 des Kölner Museums zu nennen: der sanfte,
blauäugige (!), aber durchaus nicht weichliche ~Johannes~ und der
energische ~Paulus~, beide im Schmucke ihres gelbblonden, echt
germanischen, in parallelen Wellenlinien gelockten Haares, eine
~Verkündigung~ und eine ~Darbringung im Tempel~. Die Verwandtschaft
dieser aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden
Bildchen mit der Wandmalerei wird deutlich, wenn man sie z. B. mit
den etwa gleichzeitigen urkräftigen, gross und monumental wirkenden
~Prophetenköpfen~ vergleicht, welche einst an die Wände des Hansasaals
im Kölner Rathaus gemalt waren und die jetzt das Museum unter No.
205 bis 208 aufbewahrt, desgleichen mit dem aus dem nämlichen Saale
überführten, wie die Propheten in Konturen und Farben stark übermalten
~Fürstenporträt~ No. 209, welches, ausser an seinem Wappenschild mit
dem böhmischen Löwen, an seiner allgemeinen typischen Uebereinstimmung
mit anderwärts erhaltenen Darstellungen der nämlichen Persönlichkeit,
als Karl IV. zu erkennen ist.
Auch die Passionsszenen in der oberen Reihe der Darstellungen auf
dem ~Clarenaltar~ im ~Kölner Dom~ sind noch von einem mittelaltrigen
Künstler der herben Art gemalt, während die übrigen, zum Teil sehr
reizvollen Bildchen dieses Altars als eine Uebergangsstufe zu der Kunst
der neuen Zeit angesehen werden müssen.
Der Einfluss sowohl des strengen als auch des Uebergangstils lässt
sich bis nach weit von Köln entfernten Gegenden verfolgen, am
deutlichsten den Rheinstrom aufwärts, auf Wand- und Tafelmalereien
und besonders auch auf den Glasfenstern oberdeutscher Kirchen (z. B.
Wimpfen am Neckar, jetzt im Darmstädter Museum).
Schon im Clarenaltar und den ihm nahestehenden Werken, wie in den
~Heiligentafeln~ unter No. 7 und 8 des ~Kölner Museums~, auffälliger
noch in den bekannten ~Meister Wilhelm Madonnen~, sind die Nachklänge
handfester burgundischer Wirklichkeitskunst verflüchtet, das Strenge
ist dem Anmutigen gewichen und es beginnt sich jener geheimnisvolle
Zauber des weltfremden, seraphisch-reinen, »kölnischen Typus«
auszuprägen, der mehr als ein halbes Jahrhundert der niederrheinischen
Schule zu eigen ist, der ihren Weltruhm begründet hat und den noch
heute viele, jedenfalls die Mehrzahl der fremdländischen Kunstfreunde,
höher bewerten, als den urwüchsigen und bäuerischen, darum aber nicht
minder echt deutschen Typus der fränkischen Kunst.
Wer hatte dem Meister der Madonna mit der Wicke und seinen
Mitstrebenden die neue, von der Realität der Erscheinungen abgewandte
Gesinnung eingegeben und wer hatte sie die Wege gewiesen von einem
im wesentlichen zeichnerischen und kolorierenden Umrissstil zu
einem vorwiegend malerischen, wer hatte sie ihre tiefen, warmen,
goldgetränkten Töne gelehrt? Erst etwa zwanzig Jahre nach dieser
grundstürzenden Stilwandlung, wurde in der Johanniskirche zu Gent das
Wunderwerk des eyckschen Altares aufgestellt, — alle Keime, so kann
man in jeder Geschichte der nordischen Kunst lesen, aus denen das
15. Jahrhundert zu einer gewaltigen Kunstepoche emporwachsen sollte,
sind in ihm enthalten, und dennoch steht uns in der Madonna mit der
Wicke bereits eine ~malerische~ Schöpfung voll tiefster Innigkeit,
gefühlvollster Empfindung und zartester Seelenplastik vor Augen!
Das Rätsel harrt noch seiner befriedigenden Lösung, aber bis auf
weiteres dürfen wir wohl die Schilderkunst von Köln als eine
autochthone bezeichnen und seine Erklärung in diesem besonderem
Falle mit Hotho, Schnaase u. a. im »Volks- und Zeitcharakter«
suchen, der uns in jener geheimnisvollen, philosophisch-religiösen
Strömung entgegentritt, welche seit den ersten Jahrzehnten des
14. Jahrhunderts vom Rheine her sich über ganz Deutschland mit
Ausnahme des Kolonialgebietes verbreitet hatte, eine Verfeinerung
der frühmittelaltrigen Askese und ein erstes leises Wehen des
protestantischen Geistes, die wir heute unter dem Worte ~Mystizismus~
begreifen.
Wer die ausführenden Künstler all dieser Werke waren, sowohl die
der strengen als die der freieren, wir wissen es nicht. Die Namen,
die genannt werden, stützen sich auf mehr oder minder einleuchtende
Vermutungen, doch wird jetzt ziemlich allgemein als Vertreter der
älteren Richtung ~Wilhelm von Herle~ genannt, dessen die Urkunden
zwischen 1358 und 1380 gedenken, und als Repräsentant der jüngeren
~Hermann Wynrich von Wesel~, der zwölf Jahre nach Wilhelms Tode dessen
Witwe geheiratet hatte und selbst bis 1413 thätig gewesen ist. Einen
Uebergangsmeister vom alten zum neuen Stil, wie er etwa in dem des
Clarenalters zu suchen wäre, nennt die Kunstgeschichte nicht. Das
demnächst von berufener Seite zu erwartende Werk über die Kölner
Malerschule wird, wie mir sein Verfasser, Hofrat Aldenhoven, mitteilte,
darauf verzichten, neue Namen-Hypothesen aufzustellen. Bis auf weiteres
wird man daher gut thun, mögen sie nun auf Wahrheit oder Dichtung
beruhen, die einmal gewählten Bezeichnungen Wilhelm und Hermann Wynrich
beizubehalten, da sich mit ihnen einigermassen bestimmte Vorstellungen
von zwei verschiedenen Stilweisen verbinden.
Was die niederrheinischen Maler am Ausgange des 14. und in den
ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts auf dem Gebiete der
Bildnismalerei geleistet haben, entzieht sich unserer Kenntnis, denn
die wenigen der erhaltenen Stifterfiguren sind übermalt oder sie
sind in winziger Gestalt vollkommen handwerksmässig ausgeführt. Die
Wirklichkeitserscheinung bestimmter Persönlichkeiten scheint das
blumenhafte Wesen der uns bekannten Altarwerke noch auszuschliessen,
jedoch sei immerhin die Bemerkung Merlos über ein mir nicht bekanntes
~Stifterbildnis~ des Erzbischofs von Trier, Cuno von Falkenstein,
in der ~Castorkirche von Koblenz~, nach 1388, hier erwähnt: »die
Porträtfigur könnte einen sprechenden Beleg von dem hohen Rufe
geben, den unsere Künstler als Bildnismaler sich erworben hatten«,
und ferner: es seien in ihr die individuellen Züge bestimmt und
lebendig dargestellt worden. Bekanntlich sagt auch die Limburger
Chronik unter dem Jahre 1380 von einem Meister Wilhelm: »want he malte
einen iglichen Menschen von aller gestal, als hette ez gelebet«.
Freilich ist bei dieser auffälligen Bemerkung zu berücksichtigen,
dass sich seit den Tagen des Chronisten infolge einer unausgesetzt
fortschreitenden und noch lange nicht abgeschlossenen Entwickelung
des Seh- und Darstellungsvermögens die Ansprüche an Lebenswahrheit
und Porträtähnlichkeit ganz gewaltig gesteigert haben. Erzählte man
doch schon von der kindlichen Kunst eines Dädalos, sie hätte Bilder
hervorgebracht, von denen man gefürchtet habe, dass sie von ihren
Postamenten herabspringen und sich davon machen würden, und selbst was
Vasari lobt »als wäre es lebendig«, will unserem modernen Auge oft als
ein recht schwaches Abbild der Wirklichkeit erscheinen.
[Illustration: ~Kölner Dombild~ von Lochner.
Nach Photographie.]
Von einem frühen Porträtversuch (Karl IV.) ist schon die Rede gewesen;
es sei hier noch auf das kühne Unternehmen eines Wynrich-Nachfolgers
hingewiesen, die gewaltigste Gestalt der deutschen Vergangenheit,
~Kaiser Karl den Grossen~, im Bilde zu verkörpern. Im Chor des
~Aachener Münsters~ befindet sich ein Altar, auf dessen einem Flügel
auf der Aussenseite der Fürst in ganzer stehender Figur auf rotem,
goldgemusterten Grunde dargestellt ist. Er hält in der Rechten den
Reichsapfel, die Linke ruht auf dem Turm des Münstermodells, ein
Vollbart bedeckt Wangen und Kinn, und braune Locken umkränzen das
unbedeutende freundliche Gesicht, das irgend einem sanften Heiligen
besser anstehen würde als dem Bezwinger der Sachsen und Friesen. Von
Grösse, Kraft und Majestät ist in dieser schmalbrüstigen, dürftigen,
gebückten Körperlichkeit keine Spur zu finden. Wie ganz anders
hätte uns ein Prager oder ein Nürnberger Künstler das Ideal des
Weltherrschers vorgeführt. —
Erst gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts dringt in der kölnischen
Malerei, trotzdem das Streben nach Typenbildung noch vorherrschend
bleibt, ganz leise wieder ein naturalistisches Element hindurch, und
in den Männerköpfen auf dem ~Dombilde Meister Stephans~ ist zum ersten
Male eine deutlicher als bei Wynrich und seiner Schule zu erkennende —
denn der Trieb, Lebendiges zu erzeugen, war auch dort vorhanden —, wenn
auch verklärte oder, wenn man so sagen darf, ideale Individualisierung
zu beobachten.
Wiederum erhebt sich hier die Frage nach der treibenden Kraft, die
diesen Wandel bewirkt hat. Das Dombild muss zwischen 1440 und 1450
entstanden sein, nicht, wie man früher annahm, um 1410. Der Genter
Altar war 1432 aufgestellt worden, recht wohl also hätte ihn Stephan
Lochner auf seiner Wanderung von Oberdeutschland nach dem Niederrhein
sehen können, und diese Möglichkeit pflegt jetzt allgemein als
Wahrscheinlichkeit betrachtet zu werden. Mir persönlich kommt die
Verwandtschaft zwischen beiden Werken nicht so auffällig vor, als dass
sie nicht auch aus der allgemeinen Zeitströmung und der doch im Grunde
recht ähnlichen Eigenart der beiden Volksstämme, aus der heraus sie
geschaffen worden sind, erklärt werden könnte.
Ueberdies stehen meinem Gefühle nach die Typen des Dombildes,
insbesondere einige Köpfe des königlichen Gefolges, der schwäbischen
Kunst mindestens ebenso nahe wie der flämischen. Gänzlich verschieden
von Eyck ist bei Lochner die für jenen so bezeichnende Behandlung
der Hände, und dieser Umstand scheint mir wohl der Beachtung wert zu
sein. Während Eyck mit einer erstaunlichen und bis dahin unbekannten
Geschicklichkeit unter der lebendigen, mit Adern, Sehnen und feinen
Linien gemalten Epidermis das organisch richtig und sicher gefügte
Knochengerüst dieses so bedeutungsvollen Gliedes des menschlichen
Körpers erkennen lässt, giebt Lochner, ähnlich seinen kölnischen
Vorgängern, nur den ganz allgemeinen, wie aus der Ferne gesehenen
Eindruck einer Hand, ohne sich um ihre gesetzmässige Fügung sonderlich
zu kümmern und ohne sich um die Detaillierung der Hautoberfläche zu
bemühen. Sollte Lochner dieser auffällige Fortschritt entgangen sein
oder sollte er, der selbst ein Neuerer war, ihn nicht gebilligt haben?
Beides ist schwerlich anzunehmen. Thatsächlich hat erst derjenige
kölnische Meister die Neuerung aufgenommen, dessen Beeinflussung durch
Eyck, bez. dessen Nachfolger unzweifelhaft ist, der des Marienlebens.
Auch ist bei dieser Herkunftfrage zu berücksichtigen, dass die
Maltechnik des Bildes noch die alte ist, ohne Verwendung eines
eyckschen Bindemittels, und hinter die Geheimnisse einer neuen Technik
zu kommen, war wohl damals, gerade so wie heute, das erste, darum ein
Künstler sich bemühte, umsomehr, wenn es sich um eine »Erfindung«
handelte, welche die gesamte Malerschaft in das grösste Erstaunen
setzte. Wenn man nun bedenkt, dass Lochner allem Anschein nach als
ein fertiger Meister erst zwischen 1430 und 1440 von seiner Heimat am
Bodensee nach Köln gekommen ist und dass ihn sein Weg voraussichtlich
über Basel und durch das Elsass geführt hat, wo überall eine recht
tüchtige, auf Naturwahrheit gerichtete Kunstübung im Schwunge war, so
scheint die Möglichkeit nicht fern zu liegen, dass er vom Oberrhein und
nicht von der Schelde die neue Kunstgesinnung nach Köln gebracht hat.
Ob freilich das, was Lochner auf seinem Reiseweg gelernt haben mag,
bereits durch irgend welchen Vermittler dorthin von den Niederlanden
gebracht worden war, und somit das Dombild doch wenigstens mittelbar
von frühflandrischer Kunst beeinflusst ist, das möge dahingestellt sein.
Was die ideal-individualisierten Gestalten Meister Stephans von denen
der Wilhelm-Gruppe rein äusserlich unterscheidet, sind ihre besser
proportionierten, gedrungenen und nicht mehr über die Gebühr in die
Länge gezogenen Gliedmassen, die mehr rundlichen, statt länglich
ovalen Gesichtsformen und das Vermögen, mit festen Füssen auf dem
Erdboden zu stehen, — das letztere eine Errungenschaft, über die
der Meister sich so gefreut zu haben scheint, dass er auf dem einen
Flügel des Dombildes, dem mit Gereon und seiner thebaischen Legion, an
selbstbewussten breitbeinigen Stellungen des Guten schon etwas zu viel
gethan hat.
Obgleich gewiss anzunehmen ist, dass auch das Kölner Dombild wie so
viele Altäre jener Zeit dem frommen Sinne eines oder mehrerer zu diesem
Zwecke vereinigten Patrizier seine Entstehung verdankt, kann doch wohl
keine der dargestellten Personen als das Porträt eines Bestellers
angesprochen werden.
Es ist das allerdings einer der zahlreichen Fälle, wo zwischen Porträt
und Nicht-Porträt das subjektive Gefühl der einzige Richter sein muss.
Andere haben in den beiden Königen Bildnisse von Lebenden vermutet.
So sagt Wallraf in seiner Beschreibung von dem Bilde bezüglich des
knienden Kaspar: »Vielleicht ist er ganz die Abbildung eines der
ehrwürdigsten edlen Ritter Kölns jener Zeit, der auch ein Weiser,
ein König seiner selbst war,« und bezüglich des ebenfalls knienden
Balthasar, der den köstlichen Pokal überreicht: »Die Wendung seines
Angesichts und der Blick seines linken Auges scheint es zu verraten,
dass er auch ein Abbild eines Lebenden sei.« »Er ist vielleicht
nach einem lebendigen Originale aus unserer alten Ritterfamilie der
Sapphieren oder Blauen.«
Nichts des Porträtartigen ist jedenfalls in der in ~Darmstadt~
befindlichen ~Darstellung im Tempel~ enthalten, Klass. Bilderschatz
61, einem der poesievollsten Bilder der gesamten deutschen Kunst,
bez. 1447, dagegen mutet unter den Verdammten des ~jüngsten Gerichts~
im ~Kölner Museum~ — Mittelbild eines Altars der Laurentiuskirche,
andere Teile in Frankfurt und München —, den Kardinälen, Bischöfen und
feisten Mönchen, uns manches Gesicht wie das Porträt eines Lebenden an.
(Abbildung S. 195.)
Zu der zeitlichen Aufeinanderfolge der lochnerschen Werke bemerke ich,
dass Aldenhoven das jüngste Gericht nicht wie bisher üblich an das
Ende, sondern an die Spitze derselben setzt. Nach ihm hätte Lochner die
auf dieser Tafel so auffällig tiefen Farben, das satte Blau, Grün und
Rot, aus seiner oberdeutschen Heimat (Konrad Witz) mitgebracht oder
sie bei einem etwaigen Aufenthalt in Burgund sich angeeignet; unter
dem Einfluss der sog. Wynrich-Werke seien dann diese Farben allmählich
verflaut, gleichzeitig aber habe sich unter dem nämlichen Einfluss
das Lochner bis dahin fehlende Gefühl für Schönheit und Bildwirkung
entwickelt. Für diese Annahme Aldenhovens würde sicherlich auch die
derb realistische Darstellungsweise, die oft getadelte stoffliche
Ueberlastung und die gar zu gewaltsame dramatische Belebung des
jüngsten Gerichts sprechen.
Von den wenigen Stifterbildnissen, die mir von Lochner bekannt sind,
befindet sich eins in winziger Gestalt zu Füssen der ~Madonna mit den
Veilchen im erzbischöflichen Museum zu Köln~. Es stellt Elisabeth
von Reichenstein dar, die 1452, ein Jahr nach des Meisters Tode, als
Aebtissin des Cäcilienstifts genannt wird; sie ist auch hier noch nicht
mit den Abzeichen ihrer Würde versehen; 1485 ist sie gestorben. Ueber
ihr Alter auf dem Bilde ist nicht mehr zu sagen, als dass sie die erste
Blütezeit der Jungfrau überschritten und die volle Reife der Frau
noch nicht erreicht hat. Ihr Spruchband enthält die später erneuerten
Worte: Dulcis de nato veniam michi virgo rogato ... insta u(t) se(mper)
... videam tunc(?) sine fine quiescam. Dass Lochner die Stifterin in
verkleinertem Massstabe gebildet hat, entspricht dem Herkommen, das in
Köln erst einige Jahrzehnte später durchbrochen wird. Aber mit welch
feinem Gefühl für das Dekorative hat er das zierliche, an die Meissner
Porzellankunst erinnernde Figürchen zur tektonischen Hervorhebung
der Gestalt der Gottesmutter benutzt! Gleich einem geschickt in das
Bild hineingesetzten ornamentalen Schnörkel betont es die himmlische
Erscheinung, ohne auf sich selbst den Blick des Beschauers zu lenken.
Man denke sich an seiner statt etwa einen blühenden Lilienstengel, und
der Eindruck des Bildes wird nicht anmutiger und lieblicher werden.
Glücklicher ist das so schwierige Stiftermotiv wohl niemals gelöst
worden.
[Illustration: ~Madonna~ von Lochner im erzbischöfl. Museum
zu Köln. Nach Photographie.]
Die erzbischöfliche oder Seminarmadonna, wie sie gewöhnlich bezeichnet
wird, wurde von Schnaase dem Dombildmeister abgesprochen, wohl mit
Unrecht. Kämmerer, der an ihrer Echtheit nicht zu zweifeln scheint
und sie um 1435 datiert, ohne für diese frühe Zeit die Gründe
anzugeben, knüpft an sie eine für die Frage des niederländischen
Einflusses interessante Betrachtung. Er sagt, die berühmte Madonna
mit dem Springbrunnen des Jan van Eyck in Antwerpen, bez. 1439,
bedeute einen vollständigen Wechsel in der Auffassungsweise dieses
Meisters, und die Erklärung für diesen auffälligen Wandel sieht er
in unserer Seminarmadonna. Van Eyck habe sich hier »zum ersten und
letzten Male der Ueberlegenheit fremden Genies gebeugt«. Die geistvolle
Beweisführung wolle man an Ort und Stelle nachlesen, dabei jedoch die
Achillesferse nicht übersehen, nämlich die Voraussetzung, dass die
Seminarmadonna älter sei als die eycksche Komposition.[33]
Die auf Lochner folgenden kölnischen Meister geraten nun willenlos
in den übermächtigen Bann der grossen eyckschen und besonders der
nach-eyckschen Muster. Durch sie wird das bisher selbständige, seit
Hermann Wynrich mehr auf das Schöne als auf das Wahre gerichtete Wesen
ihrer Kunst gewaltsam aus seinen Bahnen geworfen, und nicht zu seinem
Vorteil. Das Angeborene ist immer wertvoller als das Anerworbene, in
der Kunst wie im Leben. Kölnischer Eigenart widersprach zudem der
rücksichtslose Naturalismus eines Roger und Dirk Bouts, und der von den
nordischen Nachbarn übernommene fremde Geist war daher nicht imstande,
ihre Kunst einer neuen und eigenen Frucht entgegenreifen zu lassen. Mit
Meister Stephan wird auch die alte kölnische Kunst zu Grabe getragen,
und was auch des Schönen und Lebenswahren die neue noch hervorbringt,
der Fluch der Nachahmung haftet sich doch an ihre Werke.
Freilich von einem Verfalle kann auch jetzt noch nicht die Rede sein,
selbst die ersten Symptome eines Rückgangs entziehen sich noch lange
Zeit dem minder geübten Auge.
Der ~Meister des Marienlebens~, — seine Benennung nach der viel
unbedeutenderen und derberen Lyversberger Passion, einem Schul- oder
Werkstattbild, darf wohl als endgültig beseitigt angenommen werden,
— thätig etwa seit der Mitte des Jahrhunderts, ist der erste, bei dem
sich die Folgen der Abwendung von der heimischen Art bemerklich machen.
Unter dem Einflusse des Holländers Dirk Bouts, der wahrscheinlich sein
Lehrer gewesen ist, haben die Köpfe seiner Gestalten das, was sie an
Individualität zweifellos gewonnen haben, an heimlichem Reiz verloren.
Das Materielle beginnt das Immaterielle zu verdrängen, die Physis die
Psyche, — eine Niederlage der reinen Schönheit, wenn auch ein Sieg der
Wahrheit und mit ihm zugleich ein erster Schritt nach der Entwickelung
zum Porträt.
Auf den Altarbildern dieses lange Zeit den Ton angebenden Meisters
erscheinen lebendigere und persönlichere, nicht mehr ideal verklärte
Gesichter, und da die Individualisierung durch peinlich genaue
Wiedergabe der einzelnen Teile der Physiognomie erstrebt wird, der
Muskellagen, Falten, Hautwucherungen, Fettansammlungen und dergl.,
beginnen nun auch die geradezu hässlichen Alltagserscheinungen von
der Strasse ihren Einzug auf der Malertafel zu halten. Am zähesten
haftet das Typisch-Schöne an den Zügen der Frauen, doch werden auch
sie im Ausdruck ein wenig mehr voneinander unterschieden als ehedem.
Ob in einzelnen Personen seiner Darstellungen wirkliche Bildnisse,
etwa die Besteller oder auch er selbst, zu erkennen sind, mag wiederum
dem subjektiven Gefühle zu entscheiden überlassen sein; mancher Kopf,
wie z. B. der des Josef auf der Anbetung der Magier, München, No. 30,
könnte wohl für ein Porträt angesprochen werden.
Den Stifterbildnissen, zwar meist noch immer in der überlieferten,
ein wenig verkleinerten, aber durchaus nicht winzigen Gestalt, wendet
der Meister des Marienlebens und seine Nachfolger eine vermehrte
Sorgfalt zu. Ganz hervorragend ist der Porträtgehalt namentlich bei den
Gliedern jener Familie, die sich auf zwei Flügeln des Kölner Museums
— unnumeriert, das Mittelbild fehlt — hat darstellen lassen: auf dem
einen der von der h. Katharina empfohlene Stifter mit acht Knaben, auf
dem anderen, unter dem Schutze der h. Barbara, die Stifterin mit sieben
Mädchen; Charakter und intellektuelle Beanlagung ist so deutlich auf
diesen Gesichtern zu lesen, dass man, wenigstens auf der männlichen
Seite, für jedes einzelne das moralische und geistige Signalement
schreiben könnte.
Firmenich-Richartz glaubt in der Lage zu sein, eine ganze Reihe von des
Meisters Stifterbildnissen mit den Namen der Dargestellten bezeichnen
zu können und noch mehr von denen, die auf den zahlreichen Werkstatt-
oder sonst verwandten Bildern vorkommen. Es sind dies u. a. von dem
Meister selbst: ein Stifterporträt des Kardinals Nikolaus Cusanus
(?) auf einem ~Altar~ der ~Hospitalkirche zu Cues~ an der Mosel, die
Professoren Lambert und Gerhardus und der Kanonikus Johannes de Monte,
alle drei vorzügliche Bildnisse auf einem ~Altar~ im ~Kölner Museum~,
No. 73 bis 75, bei denen der Unterschied zwischen den nach dem Leben
porträtierten, hässlichen und missmutig dreinschauenden Donatoren und
den wenigstens einigermassen idealisierten Heiligen recht auffällig
ist; ferner ein Stifter im Pelzringkragen und mit goldener Ordenskette
aus der Ritterfamilie Schwartz-Hirtz auf der ~Heimsuchung Mariä~,
~München~ No. 27.
Von den unbekannten Stiftern auf dem Bilde No. 1235 in ~Berlin~,
~Madonna mit Heiligen~ auf Rasenbänken in einer Laube sitzend,
sind die männlichen Köpfe der beiden Alten entschieden als
individuell-charakteristisch zu bezeichnen, während die der jüngeren
die allgemeinen Züge anmutig-lieblicher Jugend tragen. Dieselbe
Stifterfamilie soll nach Firmenich-Richartz vielleicht auch auf zwei
Flügeln eines ~Altars~ der ~Sammlung Domagen in Köln~ vorkommen
(Werkstattbild); ein Kanonikus Bernardus de Reyda, hölzern und
ungeschickt ausgeführt, auf No. 34 in ~München~ (Schulbild). Ein
unabhängiges Einzelporträt dieses Meisters glaubt Thode in dem
~Brustbild eines jungen Mannes~ im Besitz der Frau ~Hainauer~,
~Berlin~, zu erkennen, welches sich 1898 auf der Berliner
Renaissance-Ausstellung befand. Im Katalog (Friedländer) wurde es
»niederländisch« genannt, um 1510 entstanden.
Von dem gleichzeitigen ~Meister der Glorifikation Mariä~ sind keine
Stifterbildnisse bekannt. Die Köpfe auf seiner grossen ~Verherrlichung
der Gottesmutter~, ~Köln~, sind Typen der lochnerschen Art, nur
wie von einem Hauch kräftigerer Individualisierung belebt, derber
und bäurischer. Stärker ist der niederländische Charakter (Roger
van der Weyden) in dem einzig bekannten Bilde des ~Meisters des
Georg- und Hippolytaltars~, ~Köln~, ausgeprägt, das hier um seines
Stifters willen erwähnt werden mag, des 1473 verstorbenen Patriziers
Peter Kannegiesser, dessen zahlreiche Familie in unbedeutenden,
nichtssagenden Figürchen auf den Aussenseiten erscheint.
[Illustration: ~Heilige Sippe.~ (Teilbild.) Köln, Museum.
Nach Photographie.]
Vortrefflichen individuell-charakteristischen Männerköpfen begegnen
wir auf den Bildern des ~Meisters der heiligen Sippe~, nachweisbar
thätig von 1484 bis etwa 1509, der sich anfangs in ähnlichen Bahnen
wie der Meister des Marienlebens hält und erst später sich völlig
und widerstandslos dem flandrischen Einfluss hingiebt, aber nun nicht
mehr wie die früheren Roger van der Weyden und Dirk Bouts zum Vorbild
nimmt, sondern die Brügger Meister, an deren Spitze seit 1484 Gerard
David stand. Die gesamte kölnische Kunst hatte bisher noch nie so
energisch nach der Natur studierte Charakterköpfe hervorgebracht, wie
die auf des Meisters grossem ~Sippenbilde in Köln~, No. 116, jede
einzelne Erscheinung eine für sich abgeschlossene, stark ausgeprägte
Persönlichkeit, so vor allem der links stehende, hohlwangige, greise
Kleophas mit dem scharf hervortretenden Kinn, dem hohen, spärlich
behaarten Schädel und dem Ausdruck unüberwindlicher Entschlossenheit
in den aus der Tiefe hervorleuchtenden Augen, oder der auf eine
Brüstung hinter Maria gelehnte Joachim, in langem, strähnigem Haupt-
und Barthaar, das faltige, wie in Wind und Wetter verwitterte Gesicht
dem Christkinde zuwendend und ernst, trübe, beinahe verdrossen unter
den halbgesenkten Lidern nach ihm hinblickend. Porträts von Lebenden
darf man in den Verwandten Christi wohl nicht vermuten, es sei denn
in Alpheus, jenem Kopf am weitesten links, (nicht auf der Abbildung)
den Beschauer scharf fixierend, der auch auf der ~Kreuzigung~ in
~Nürnberg~, No. 29, Klass. Bilderschatz 499, erscheint, bei welchem der
Gedanke an ein Selbstporträt des Meisters nicht allzu fern liegt. Die
Frauen aber auf dem Sippenbild mit ihren hohen Stirnen, den rundlichen
rosigen Wangen, dem herabwallenden Goldhaar und ihrem holdlieblichen
Ausdruck, haben schlechterdings nichts Porträtartiges, das sind
noch die altvertrauten, sittsam schalkhaften Blumengesichtchen der
guten vergangenen Zeit. Von den Donatoren auf den Flügeln, angeblich
Johann Hackenay nebst Vettern und Basen — eine Aehnlichkeit mit der
gesicherten Darstellung dieser Familie auf dem Bilde des Meisters
vom Tode der Maria, No. 152 des Museums, vermag ich freilich nicht
zu entdecken —, sind die männlichen, alte wie junge, vortrefflich
differenzierte Porträts, während die weiblichen, in ihrer weltfernen
Seligkeit wie Schwestern den hinter ihnen stehenden heiligen Jungfrauen
gleichen, der Cäcilie, Gundula, Katharina und Helena. Porträts von
Lebenden zeigen vielleicht die Nebenpersonen einer in ~westfälischem
Privatbesitz~ befindlichen ~Anbetung der Könige~; seltsamerweise ist
dort für den Kopf des Kaspar der berühmte eycksche Mann mit den Nelken
benutzt worden. (Vergl. die Abbildung auf S. 235.)
Auf einem anderen, sehr frühen Bilde des Sippenmeisters, der
~Votivtafel~ des Grafen Gumprecht zu Neuenar, ~Bloemersheim~ bei Vluyn,
Privatbesitz (abgebildet in der Zeitschrift für christliche Kunst
1893), ist, nach Firmenich-Richartz, die feine Durchbildung des höchst
individuellen Stifterbildnisses bemerkenswert, und der Vollständigkeit
halber, weniger wegen ihrer Ausführung, seien hier noch die Bildnisse
des Donatorenpaares mit den Abzeichen der Familien Questenberg und von
Aich auf einem Bilde mit der ~Beschneidung~, ~München~ No. 43, erwähnt
und schliesslich das des Jakob Udemann, mit Gebetbuch und Klemmerbrille
in den Händen auf einem ~Votivbild~ in ~Nürnberg~, No. 30.
Der eigenartigste und malerisch der bedeutendste der anonymen
Meister, der des ~heiligen Bartholomäus~, nicht aus Köln gebürtig,
sondern gleich Lochner von fern her, vielleicht auch vom Oberrhein,
eingewandert, dessen beste Zeit in das letzte Dezennium des 15. und
in das erste des 16. Jahrhunderts fällt, »ein Sonderling durch und
durch, ein souveräner Beherrscher der malerischen Technik; einer der
kuriosesten, zugleich reizvollsten und abgeschmacktesten Künstler
aller Zeiten« (Henry Thode), wendet sich wieder mit einer gewissen
Absichtlichkeit den alten Kölner Typen zu. Aber trotz des bisher
unerhörten Lebensausdrucks, den er seinen Gestalten und namentlich
ihrer Gebärde zu geben weiss — die suchende Hand des Thomas, die bis an
die Fingerwurzeln in die Seitenwunde des Heilands greift und die Rechte
Christi, die vorsichtig nachzuschieben scheint, ~Thomas-Altar~, ~Köln~
— und trotz der feinen koloristischen Reize seiner Bilder, mutet seine
Kunst an wie Künstelei, seine Empfindung wie Empfindsamkeit und die
Grazie seiner Frauen wie affektierte Geziertheit.
Porträts von Zeitgenossen glaube ich in einigen Persönlichkeiten
zu erkennen, die uns der sonst rückwärts schauende Meister des h.
Bartholomäus als mittelbar an den heiligen Vorgängen beteiligt
vorführt. Auf seiner ~Anbetung der Könige~ in ~Sigmaringen~, Nr.
227 (noch nicht im Katalog), machen zwei hinter Melchior stehende
vornehm gekleidete junge Männer den Eindruck des Porträtartigen; ganz
sicher aber Porträts sind, nach meinem persönlichen Empfinden, zwei
halbkniende Gestalten, vielleicht ein Ehepaar, beide etwa in den
Vierzigen, die von einer Säule des Hintergrundes her staunend, nach dem
köstlichen Becher blicken, den der Mohrenkönig in der Hand trägt.
Ein nüchternes Stifterbildnis jedoch hat der Meister seinen Bildern
nicht beigesellt, es hätte gewiss auch schlecht gestimmt zu der
mystischen Verzückung und dem Pathos, der seine heiligen Handlungen
erfüllt.
Ganz andere Wege geht der ~Meister von S. Severin~ oder vielmehr
diejenigen Meister, deren Werke man unter diesem Sammelnamen
begreift. Ihre Thätigkeit reicht bis in das zweite Jahrzehnt des 16.
Jahrhunderts, und in ihren späteren Schöpfungen ist wohl das Vorbild
Quintin Massys zu erkennen. Aldenhovens Unterscheidung zwischen einem
älteren und einem jüngeren Meister, mit der mich der Direktor des
Kölner Museums freundlichst bekannt machte, trete ich im folgenden bei.
Der ältere ist ein derber Realist, der ohne einen Hauch idealer
Verklärung den Heiligen die hässlichen und unedeln Gesichtsbildungen
seiner Kölner Mitbürger giebt, wie sie uns von den Stifterbildnissen
her bekannt sind. In seinen besten Arbeiten, die er in einen warmen
goldigen Gesamtton stimmt, zeigt er sich als ein guter Beobachter und
sicherer Zeichner, z. B. in seinem ~Christus vor Pilatus~, No. 128 des
~Kölner Museums~. Vortrefflich ausgeführt sind auf seiner ~Anbetung
der Könige~, ~Köln~, 125 — wo übrigens der ältere kniende König mit
seinem langen, hageren, rötlich leuchtenden Gesicht und dem straffen
Spitzbart geradezu eine Karikatur ist —, die Donatoren, nach Firmenich
der Rektor der Kölner Universität Christian Conreshem gen. Jisenmenger
und seine Gattin nebst zwei Töchtern. Ein Triptychon in der Sammlung
Weber, Hamburg, No. 8 mit »Johann von Nesselrode-Hugenpoet und anderen
Stiftern«, habe ich nicht gesehen.
Der jüngere Meister von S. Severin unterscheidet sich von dem älteren
durch grössere Anmut namentlich seiner bewegten Figuren, feine
künstlerische Auffassung und durch den kühlen, silbergrauen Ton seiner
Werke. Seine bedeutendste Schöpfung ist die Darstellung der ~Legende
der heiligen Ursula~, von der sich vier Tafeln im ~Provinzialmuseum~
zu ~Bonn~ befinden, eine in ~Köln~ unter No. 226 und vermutlich,
nach Scheibler, eine in ~London~, ~South Kensington Museum~ und eine
in ~Paris~, ~Museum Cluny~. Sie mögen im ersten Jahrzehnt des 16.
Jahrhunderts entstanden sein. Auf den Bonner Bildern knien rechts und
links unten in den Ecken kleine Donatoren mit beigeschriebenen Namen,
nebensächlich und kaum als Porträts behandelt, auf dem Kölner nur
eine Stifterin. Der weichen und flüssigen Behandlungsweise und der
reizvollen, an Grünewald erinnernden Belichtungseffekte halber ist
das Bild 259 in Köln bemerkenswert. Das in der Kirche ~S. Andreas~,
ebenfalls in ~Köln~, aufbewahrte ~Schutzmantelbild~ wird an anderer
Stelle Erwähnung finden. (S. 212.)
Von unabhängigen Einzelporträts, welche dem Meister von S. Severin
zugeschrieben werden (Aldenhoven), sind mir drei bekannt, die ich in
der Reihenfolge, in welcher ich glaube, dass sie entstanden sein mögen,
hier anführe, ohne eine Unterscheidung zwischen dem alten und dem
jungen Meister zu wagen:
~Männliches Brustbild~ bis einschliesslich der Hände, ~Köln~, No. 133,
auf länglich viereckiger Holztafel mit ogivaler Spitze. Roter Grund,
der Kopf dreiviertel nach links, braunes Lockenhaar, schwarzgrünliches
Obergewand über weissem, tief ausgeschnittenem Hemd, welches den oberen
Teil der mit einer schwarzen Schnur und Anhänger geschmückten Brust
frei lässt. Gutes, auch in den ruhenden Formen belebtes, gewiss sehr
ähnliches Porträt.
[Illustration: ~Weibliches Bildnis~ vom Meister von S. Severin.
Sammlung Peltzer, Köln.
Nach Scheibler-Aldenhoven, Kölner Malerschule.]
~Brustbild einer Frau~ in den Fünfzigen, bei Frau Dr. ~Virnich~ in
~Bonn~. Einfarbiger Grund, Kopf dreiviertel nach links, die Hände
halten den Rosenkranz. Schwarzes, pelzbesetztes Oberkleid, der
Pelzkragen auf der einen Seite in die Höhe geschlagen, weisse Haube.
Sauber und detaillierend ausgeführt.
~Weibliches Brustbild~ bei ~Landgerichtsrat a. D. Peltzer~, ~Köln~.
Grüner Grund. Der Tracht nach eine vornehme Bürgersfrau am Ende der
Dreissiger stehend. Feine Linien und Fältchen sind auf der Stirn
angegeben, die Augen blicken starr und leblos. Noch sorgfältiger, aber
etwas kleinlicher ausgeführt als das vorige. Erinnert lebhaft an die
Art des Massys.
Wie die Porträts der deutschen Frühkunst fast ausnahmslos, sind auch
diese vollkommen ruhig aufgefasst, kein momentaner Gedanke, weder
ein freundlicher noch ein trüber, ist auf den Gesichtszügen der
Dargestellten zu lesen.
Vereinzelt mögen sich Porträts altkölnischer Meister noch in manchen
kleineren Sammlungen vorfinden, so u. a. vermutlich unter den Holbein
genannten Bildnissen der Nostitzschen Sammlung in Prag, auch in
Wörlitz soll sich ein vortreffliches niederrheinisches Porträt, bez.
Herr Nyclaes van Baccharach Ritter, befinden. Mir ist indes nur ein
altkölnisches Porträt in der ~städtischen Sammlung von Frankfurt a. M.~
und eines im ~Heidelberger Schloss~ bekannt.
Das erstere ist das Brustbild eines etwa 35jährigen Mannes in
dreiviertel Ansicht nach links. Ein an der Wand ausgespanntes rotes
Tuch giebt dem Kopfe einen wirkungsvollen Hintergrund, ein schmaler
Fensterausschnitt links öffnet den Blick auf eine Landschaft. Der
Ausdruck des Gesichts mit seinen derben Zügen und der dicken, knolligen
Nase ist nicht sympathisch. Das weiche, wellige, rötlich-blonde Haar
wird von einer schwarzen Mütze bedeckt. Die Finger der rechten Hand
halten ein Blütenzweiglein. Auf der Rückseite befindet sich von
späterer Hand die Angabe, dass der Dargestellte ein Herr von Monspurg
und das Bild 1485 gemalt sei. Jedenfalls ist es von einem recht
tüchtigen und meiner Ansicht nach niederrheinischen Künstler ausgeführt.
Das in der Heidelberger Schlosssammlung unter Nr. 386 befindliche
Bild ist ein männliches Porträt in halber Figur. Auf dem gotischen
Rahmen in der sog. Eselsrückenform befindet sich die Jahreszahl 1484.
Der Dargestellte steht vor einem grünen Vorhang, der an einer dünnen
Säule mit einem dem korinthischen verwandten Kapitell befestigt ist,
zu beiden Seiten Ausblick in eine Landschaft. Der Ausdruck des Kopfes
ist ernst und energisch. Beide Hände halten einen Brief. Bekleidet ist
er mit einem rötlich-braunen Rock mit langen, bauschigen Aermeln.
Eine schwarze Kappe bedeckt das Haupt. Die nicht organisch mit dem
Unterarm verbundene, schlecht modellierte rechte Hand erinnert an die
»Spinnenbeine« des Bartholomäus Meister, mit dem das recht gute Bild im
übrigen nichts zu thun hat, aber niederrheinisch ist es wohl auf jeden
Fall.
[Illustration: ~Männliches Bildnis in der städtischen Sammlung
zu Heidelberg.~
Nach besonderer Aufnahme.]
Mit ~Anton von Worms~ (Wonsam), der vorzügliche Stifterfiguren gemalt
hat, mit dem ~Meister vom Tode der Maria~, der, allerdings kein
Deutscher von Geburt, doch gewöhnlich der kölnischen Schule zugerechnet
wird und der zu dreien Malen sich selbst auf seinen Altarbildern
dargestellt hat, vermutlich die ersten Künstlerselbstporträts in
der kölnischen Schule, und mit ~Bartholomäus Bruyn~ kommen wir schon
tief in das 16. Jahrhundert hinein. Die Porträtkunst hat mit den
letztgenannten beiden Meistern eine Höhe erreicht, die sich fast mit
der eines Holbeins messen darf, aber auf allen andern Gebieten der
bildnerischen Darstellung ist das künstlerische Schaffen am Niederrhein
zur langweiligen Manier herabgesunken. Die in ihrer nationalen Eigenart
schon seit Lochners Tode durch das Eindringen niederländischer Weise
geschwächte kölnische Kunst folgt nun abermals fremden Leitbildern
und diesmal den ihrem Wesen völlig fremden italienischen. Durch
diese zweite Mischung hat sie die letzten Reste ihrer früheren
Selbständigkeit und weitberühmten Herrlichkeit endgültig verloren. Ne
te quaesiveris extra! Das Wort, welches Emerson seinem berühmten Essay
über die Selbständigkeit vorangestellt hat, könnte man auch auf den
Grabstein dieser einst so unvergleichlichen Schule schreiben.
* * * * *
Die Wirkung der kölnischen Kunst, die in Hermann Wynrichs und Stephan
Lochners Tagen das religiöse Ideal des scheidenden Mittelalters
verkörperte, ist weithin in deutschen Gauen zu verspüren, am
deutlichsten ausgeprägt naturgemäss in den am nächsten von Köln
gelegenen Ländern, vor allem in ~Westfalen~, wo günstige äussere
Verhältnisse eine lebhafte Nachfrage nach frommen Kirchenbildern
veranlassten.
Die Schule dieses Landes, die ihre Hauptsitze zunächst in Soest, später
auch in Münster und Dortmund hat, wird uns nur kurz zu beschäftigen
haben. Von vornherein ist zu bemerken, dass bei ihr vor Beginn
des niederländischen Einflusses von einer umfassenden Wiedergabe
menschlicher Existenz ebensowenig gesprochen werden kann wie bei der am
Niederrhein.
Meister ~Konrad von Soest~ und seine zahlreichen Schüler und
Nachfolger, welche am Ausgange des 14. und am Eingange des 15.
Jahrhunderts die westfälische Kunst repräsentieren, geben auf ihren
Tafeln den uns von Hermann Wynrich her bekannten Frauentypus mit der
überhohen Stirn, der feinen, etwas gekniffenen Nase, dem zierlichen
Mund, den vollen Wangen und dem dichten blonden Haargeflecht. Die
schlanken, schulterschmalen, ausgebogenen Männergestalten stehen,
was die Formen betrifft, denen des Clarenaltars am nächsten, jedoch
ist eine derbere Realistik in ihnen ausgesprochen. Selbst wo Meister
Konrad Stifterbildnisse zu malen hat, wie auf dem ~Altar der Kirche
zu Nieder-Wildungen~, dessen verstümmelte Jahresbezeichnung als 1403
richtig zu lesen Aldenhoven gelungen ist, und auf einer Tafel mit dem
thronenden ~Nikolaus~ aus der Nikolaus-Kapelle von ~Soest~, jetzt
in S. Patroklus ebendaselbst, vermag er sich nicht von seinen Typen
loszumachen und den profanen Personen einen Hauch eigenen Lebens zu
geben.
Erst der ~Meister von Liesborn~, nachweisbar nach 1450, mit dem die
niederländische Wirklichkeitskunst, anfangs nur langsam, ihren Einzug
in Westfalen hält, nähert sich mit seinen Köpfen der Naturwahrheit
und zwar ungefähr in demselben Masse wie sein kölnischer Zeitgenosse,
mit dem er auch noch andere Berührungspunkte zeigt, der Meister
des Marienlebens. Indem er auch bei den Physiognomien der Frauen
entschieden mit dem Typus bricht, ist er ihm sogar ein wenig voraus.
Schnaase,[34] der ihn ganz besonders hochstellt, vergleicht ihn mit Fra
Angelico, den er an plastischer Kraft und ernster Haltung übertreffe.
Das Hauptwerk des Meisters von Liesborn ist der etwa 1465 nebst vier
Seitenaltären für die ~Benediktiner-Abtei zu Liesborn~ bei Münster
gemalte ~Hochaltar~, der jetzt in einzelnen Teilen überallhin verstreut
ist, das meiste in der National-Galerie von London. Stifterbildnisse
befinden sich auf den mir bekannten Tafeln nicht.
Stärker als bei diesem von einem hohen Schönheitsgefühl beherrschten
Meister, ist der nach ihm völlig und rücksichtslos zum Durchbruch
gelangte Naturalismus in den tüchtig gearbeiteten, aber derben Köpfen
eines um 1473 entstandenen ~Altars der Wiesenkirche zu Soest~ und in
einer Reihe von Bildern des ~Museums zu Münster~ zu erkennen.
Eine weitere Entwickelung nach der Richtung der Naturwahrheit im
Bildnis, die man sich wieder als Vereinfachung denken müsste, hat
die westfälische Kunst nicht genommen: mit ~Gert van Lon~, der schon
in das 16. Jahrhundert hineinreicht, ist ihr Kreislauf beendet. Die
rückläufige Bewegung nach dem Ideal-Typischen beginnt von neuem, aber
ihre ursprüngliche Kraft ist verwässert durch den italienischen Beiguss.
* * * * *
Rheinaufwärts ist der kölnische Einfluss bis nach Mainz hin zu
verfolgen und von da nach Frankfurt, Aschaffenburg und Darmstadt.
Neuere Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass in und um ~Mainz~
der Sitz einer mittelrheinischen Malerschule gewesen ist, die, wenn
auch in sich ohne geschlossenen Charakter, doch wenigstens einen
bedeutenden Meister von ausgesprochener Eigenart hervorgebracht hat,
den ~Meister des Amsterdamer Kabinets~.
[Illustration: ~Der Kalvarienberg~ vom Meister des Amsterdamer
Kabinets.
Städtische Sammlung, Freiburg.
Nach Lichtdr. im Jahrb. d. preuss. Kunstsamml. Bd. XX.]
Als Stecher der Bilder des genannten Kabinets und des Hausbuches im
Besitze des Fürsten von Waldenburg-Wolfegg weltbekannt und in seinen
Arbeiten deutlich zu erkennen, führt er als Maler gleichsam ein
kunsthistorisches Flackerleben, insofern nämlich seine mit dem Pinsel
ausgeführten Werke Irrlichtern gleich bald hier bald dort auftauchen,
um alsbald wieder im Dunkel der »Unbekannten« zu verschwinden, nachdem
sie die Forschung eben erst auf ihre Fährte gelockt haben.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürfen ihm die folgenden Bilder
zugeschrieben werden.
~Der Kalvarienberg~ in der städtischen Sammlung zu ~Freiburg i.
Br.~, ~Christus vor Kaiphas~ und ein ~Ecce Homo~ in ~Freiburger
Privatbesitz~, und eine ~Auferstehung Christi~ im Museum zu
~Sigmaringen~, No. 18.[35]
~Der Kalvarienberg~, ein in Anordnung, Zeichnung und Farbengebung
gleich hervorragendes Werk, mag etwa in den siebziger Jahren des 15.
Jahrhunderts entstanden sein. Gleichwie in den Stichen des Meisters,
scheinen sich auch in ihm Anregungen von verschiedenen Seiten her
gekreuzt zu haben. (Meister E. S., Schongauer, H. Holbein d. Ä. u. a.)
Die Köpfe sind edel und lebendig, kaum die der Schergen grimassiert.
Porträts vermag ich in ihnen nicht zu erkennen, ausser in denen des
unbekannten Stifterpaares, das in sorgfältiger Ausführung und feiner
Individualisierung und Charakterisierung, nur wenig kleiner als
die übrigen Personen der Handlung, kniend und wie an dem Vorgange
beteiligt, dargestellt ist und weder anmasslich hervortritt noch in der
Fülle der andern Figuren verschwindet.
Der ~Auferstehung in Sigmaringen~ und den in ~Freiburger Privatbesitz~
befindlichen ~Gemälden~ ist keine Stifterfigur beigegeben worden,
dagegen ein vortreffliches Donatorenbildnis einem anderen Werk, das
auf Grund der Stilvergleichung mit dem Kalvarienberg als ein früheres
Bild demselben Meister zuzusprechen sein dürfte. Es ist dies ein
~Kruzifixus~ mit Maria und Johannes in ~Darmstadt~, No. 175, dort
»niederrheinisch mit flandrischem Einfluss« genannt. Der Stifter, in
geistlicher Tracht, ein wenig kleiner als die grossen schwungvollen
Gestalten der Maria und des Johannes, hält kniend den Kreuzesstamm
umschlungen. Ueber ihm ein Spruchband: sum quem genuisti ora pro me.
Auch in einer Anzahl anderer Gemälde lassen sich gewisse Eigenarten
des Meisters verfolgen, doch sind jene unter sich zu verschieden und
meist auch künstlerisch weniger bedeutend, als dass ich sie anders
als Richtung oder Schule bezeichnen möchte. Zu diesem Kreise gehört
ein grosser ~Altar~ in der ~Darmstädter Galerie~, No. 211 bis 215,
vermutlich aus ~Seeligstadt~ stammend. Er besteht aus vier Tafeln mit
dem Marienleben und den überlebensgrossen Bildnissen der Apostel Paulus
und Petrus, die in ihrer Auffassung einem würdigen Dorfältestenpaare
gleichen. Die Gesichter auf dem Marienleben sind höchst individuell,
aber schwerlich Porträts, jedenfalls nicht von Personen jener Kreise,
in denen man die Stifter vermuten dürfte, weder der kniende König mit
der Glatze und der roten gemeinen Nase, noch Balthasar, der blonde
Germane in verwildertem Haupt- und Barthaar, noch die ausserordentlich
lebendige Assistenz auf der Beschneidung, noch die drei ganz
vortrefflichen Bauerncharakterköpfe rechts auf der Geburt. Aber alle
sind sie getreu nach lebenden Modellen gezeichnet. Eigentümlich, und
zwar schlecht, sind die Hände gebildet: die ungegliederten Finger
liegen glatt, starr und hölzern nebeneinander; — welch ein Unterschied
mit den feinen lebensvollen, beinahe nervös bewegten Händen in den
Stichen des Amsterdamer Meisters.
In sehr naher Verwandtschaft zu diesem Altar steht das ~Mainzer
Marienleben~ in der städtischen Sammlung von ~Mainz~, No. 429 bis 437,
dort auf Grund flechsigscher Untersuchungen »Nikolaus Schit, Meister
des Hausbuches« genannt, allerdings mit einem Fragezeichen. Ich sehe in
diesem Werke, dessen eine Tafel, die mit der Verkündigung, 1505 datiert
ist — einige Tafeln sind entschieden erheblich früher entstanden, so z.
B. die mit dem Tode der Maria —, die Arbeit eines begabten Schülers,
der namentlich in formalen Dingen (Bildung des Ohres) sich eng an den
Meister anschliesst. Die Köpfe sind individuell-charakteristisch,
jedoch erkenne ich ein Porträt, vielleicht ein Selbstbildnis des
jugendlichen Malers, nur in dem Manne auf der Darstellung Christi im
Tempel, der, ein Buch in der Hand haltend, aus dem Bilde herausblickt.
Die blonden, germanischen, ungepflegten Lockenköpfe des einen Königs
und seines Dieners auf der Anbetung der Könige erinnern lebhaft an
ähnliche Bassermannsche Gestalten auf dem Seeligstädter Altar.
Die vermutlich frühe Tafel mit Mariens Tod scheint dafür zu sprechen,
dass der Meister seine ~ersten~ Anregungen von niederländischer Kunst
erhalten hat, vielleicht vermittelt durch einen kölnischen Meister in
der Art desjenigen von dem das Münchener Marienleben gemalt ist.
Den ~Altar in der Marienkirche zu Gelnhausen~, der mit Nikolaus Schit
bezeichnet ist, kenne ich nicht. Flechsig glaubt unter diesem Namen den
vielgesuchten Amsterdamer Meister gefunden zu haben, was von anderer
Seite entschieden bestritten wird.
[Illustration: ~Liebespaar in Gotha.~ Nach einer Photographie.]
Zum mittelrheinischen Kreis gehörig und ihrer Stifterbildnisse
wegen zu erwähnen, sind der ~Altar von Wolfskehlen~, Darmstadt, No.
216 mit ganz eigentümlichen Gesichtstypen und der diesem verwandte
~Bossweiler Altar im Dom zu Speier~. Auf ersterem, auf den äusseren
Flügeln, Junker Philipp von Wolfskehlen, ein Ritter in Plattenrüstung,
und seine Gemahlin Barbara, geb. Waldeck, genannt von Ybm, in
verkleinerter Gestalt und roher Ausführung, auf letzterem »vielleicht
das Selbstbildnis des Malers« (Kämmerer). Ferner zwei Bilder mit der
~Legende des heiligen Bruno~, ~Darmstadt~, No. 186 und 187 (dort
»kölnisch, mit mittelrheinischen Einflüssen«). Unter dem Bilde No.
186, in einem besonderen Abschnitt, Kaiser Maximilian, kniend, vor ihm
das kaiserliche Wappenschild, desgl. unter No. 187 eine knabenhafte
Gestalt mit dem vereinigten Wappenschild von Oesterreich und Burgund,
vielleicht Philipp, Sohn Maximilians und Marias von Burgund. Beide
in verkleinertem Massstab und handwerksmässig ausgeführt, der Kaiser
jedoch mit einer gewissen Porträtähnlichkeit. Des weiteren ebenda, No.
219, der ~Tod des heiligen Dominikus~ (Fragment, es fehlt der obere
Teil) mit einer kleinen, recht schlechten Stifterfigur; im Spruchband
o pie Dominice velis mihi in hora mortis praesens esse. Dieses Bild
gehört zu einer Folge von Darstellungen der Dominikus-Legende, No.
217 bis 221, welche Alfred Schmid u. a. für Jugendarbeiten Grünewalds
halten.
Auf zwei ihrer Halb-Dunkel-Behandlung wegen interessante,
wahrscheinlich gleichfalls mittelrheinische Bilder der Darmstädter
Galerie, Kreuztragung und Kreuzigung, No. 171 und 172, macht Thode
in dem Jahrbuch der Preuss.-Kunstsammlungen, 1900, aufmerksam. Er
erkennt die Hand desselben Meisters ausserdem in den vier unter No.
1205 und 1206 geführten Gemälden des Berliner Museums, dort Maler aus
Oesterreich um 1480 bis 1500 genannt.
Am Schlusse dieser Schule ist eines der anmutigsten und lieblichsten
Bilder der deutschen Kunst vordürerischer Zeit zu gedenken, es mag
wohl um 1500 entstanden sein, das man am liebsten dem Meister des
Amsterdamer Kabinets selbst zuschreiben möchte, so innig verwandt
ist es einigen seiner Stiche und einer in Berlin befindlichen
Federzeichnung, wenn es andererseits nicht künstlerische Eigenschaften
zeigte, welche die des vermutlichen Malerwerkes des Meisters weit
übertreffen: ~Das Liebespaar im Museum zu Gotha~.
Mit poetischerem Empfinden, jedoch ohne eine Spur von Empfindsamkeit,
wie man sie etwa von denen um Wolgemut-Pleydenwurff erwarten
dürfte, ist wohl selten auch in späterer Zeit eine solche Gruppe
zusammengestellt worden. Beide zweifellos Porträts und dennoch so
unpersönlich in dem seligen Zauber ihrer Minne, wie ein zum Bild
gewordener Sang aus Hohenstauferzeit.
Zwei Halbfiguren hinter einer Steinbrüstung vor einfachem,
geschlossenen, dunklen, fast schwarzen Hintergrund, ein modisch
gekleideter blühender Jüngling in weit offenstehendem, dunkelrotem
Wams mit kurzen Aermeln, das durch lange Schnüre über der Brust
zusammengehalten wird, einen Kranz wilder (nachgedunkelter) Rosen
auf dem herrlichen, wallenden, seidenen, blonden Lockenhaar, zu
seiner Linken ein feines sinniges, ein wenig sinnliches Jungfräulein
in dunkelgrünem ausgeschnittenen Kleid, die Brust von einem
perlenbesetzten, mit Goldlitzen geschmückten Hemd bedeckt, auf dem Haar
eine weisse, mit goldenem Netze übersponnene Haube. Seinen linken Arm
hat er um ihre Hüfte gelegt, und spielend hält die Rechte eine Quaste
der von seiner Schulter herabhängenden kostbaren Doppelschnur, während
sie, eine Blume in der Linken, mit der Rechten den leuchtenden, aus
achtfacher, mit kleinen grünen Steinchen besetzter Goldkette gebildeten
Reif ergriffen hat, der eine zweite Quaste jener Schnur des Geliebten
umschliesst. Ungezwungen, wie traumverloren, lehnen beide an der
Brüstung, er blickt ihr tief in die Augen, indessen sie völlig in der
Betrachtung des Reifes versunken erscheint. Das Inkarnat beider ist
lebensfrischer, als man es sonst bei Porträts dieser Zeit findet, und
die Wangen sind voller und runder. Vorzüglich modelliert sind Arme
und Hände. Ueber dem Liebespaar, den Raum mit einem feinen Gefühl für
das Dekorative ausfüllend, schlingt sich in vielfachen Windungen eine
Bandrolle mit gotischer Inschrift, darüber das Wappen der Grafen von
Hanau. Die Worte, der Text zu der Melodie des Bildes, lauten:
Sye. hat. vch. nyt. gantz. veracht. Dye. vch. dass. schnürlin. hat.
gemacht, — vn. byllich. hat. Sye. esz. gedan. want. ich. han. esz.
sye. genisse lan. Ein harmlos naives Zwiegespräch, jedoch nicht ohne
schalkhafte Spitze, das man etwa so ins Hochdeutsche übertragen könnte:
Das Mägdelein:
Sie hielt Euch doch ein wenig wert,
Die Euch dies Schnürlein hat verehrt.
Der Jüngling:
Und billig hat sie es gethan,
Hat sie doch selbst die Freude dran.
Das Bild ist ungewöhnlich gross: 1,14 m hoch und 0,8 m breit. Welch
Schlösslein mag es wohl einst geschmückt haben? —
In Frankfurt a. M., der alten Wahlstadt des deutschen Reiches, ist
seit den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts die hochangesehene
Künstlerfamilie Fyoll urkundlich nachweisbar, doch sind alle Spuren
ihrer Thätigkeit verloren gegangen. Zwar wurden bis vor kurzem einem
~Konrad Fyoll~, der sich bis 1499 verfolgen lässt, einige Bilder
zugeschrieben, die aber einen so ausgesprochen neuzeitlichen und
überdies niederrheinischen, oder vielleicht sogar niederländischen,
wohl durch Massys bestimmten Charakter zeigen, dass sie schwerlich
weder am Main, noch vor den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts
entstanden sein können. Immerhin sei das wichtigste derselben genannt:
der von der Patrizierfamilie Humbracht wahrscheinlich für die
~Peterskirche~ gestiftete ~Altar~ mit der Kreuzigung im Mittelbild und
den patronisierten Stiftern auf den Flügeln, jetzt in der ~Städelschen
Sammlung~, Nr. 81.[36] Die Stifterbilder sind porträtartiger gegeben
als man es im 15. Jahrhundert gewöhnt ist, auch die weiblichen, unter
ihnen die Gattin des Stifters Greda Brun, genannt Faut von Monsberg;
am sorgfältigsten ist Claus Humbracht, der weisshaarige Greis auf dem
Flügel links, ausgeführt. Als Merkwürdigkeit ist zu erwähnen, dass
der 1899 verstorbene letzte Sprössling dieser Stifterfamilie, eine
Elvire von Humbracht, eine auffällige Aehnlichkeit mit dem allgemeinen
Gesichtstypus der Donatoren jenes Altars gehabt haben soll.
Von einem handwerklichen Lokalmalermeister mag wohl ein in der
~städtischen Sammlung~ von ~Frankfurt~ aufbewahrtes ~Einzelporträt~
herrühren, ein männliches Brustbild, der Kopf dreiviertel nach links,
mit der Aufschrift: da ich was 34 Jahr alt do war ich also gestaltet.
Die Arbeit ist etwa um 1500 ausgeführt. Das Bild besteht aus zwei durch
ein Charnier verbundenen Holztäfelchen, auf dem einen, gewissermassen
dem Deckel, ein Wappen, auf dem anderen der Dargestellte, — eine häufig
vorkommende, diptychonartige Form des spätmittelaltrigen Porträts. Der
Dargestellte, eine schlichte, gewinnende Erscheinung mit grossen blauen
Augen, trägt auf dem Haar, das auf der Stirn bis zu den Brauen glatt
herabfällt und auf den Seiten die Schultern berührt, eine schwarze
Mütze, in der Hand hält er eine Blume. Der Hintergrund ist rot mit
goldenem Muster. Eine spätere Inschrift auf der Rückseite sagt, dass
in diesem Bilde Heinrich zum Jungen dargestellt ist, der Sohn des 1483
gestorbenen Ort (Ortlieb) zum Jungen, der vor 1420 von Mainz nach
Frankfurt verzogen sei, »weilen ihm von der Gemeinde hart zugesetzt
worden«.
* * * * *
Der Malerei in ~Norddeutschland~ weist die heutige Kunstforschung einen
höheren Platz an, als Schnaase und Janitschek ihr zu vergönnen geneigt
waren. Leider sind mir die über das ganze Land verstreuten Werke nur
zu einem geringen Teile aus eigener Anschauung bekannt. Ich muss daher
verzichten, die Entwickelung des Bildnismässigen in ihnen von Dokument
zu Dokument zu schildern. Aus der Litteratur und nach den Abbildungen
zu schliessen, gehört auch die norddeutsche Malerei in der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts der kölnischen Einflusssphäre an. Soest mag
wohl durch seine Verbindung mit den Hansastädten hier eine wichtige
Vermittlerrolle gespielt haben.
Zu einer gewissen Selbständigkeit scheinen es schon frühzeitig die
~hannövrischen Malerschulen~ gebracht zu haben, wie die Bilder im
Provinzialmuseum von Hannover und der Buxtehuder Altar beweisen. In
~Brandenburg~ ist wohl nur handwerksmässig gemalt worden. Die Flügel
der Schnitzaltäre in ~Pommern~ und ~Preussen~, ~Schleswig-Holstein~
und ~Mecklenburg~, an und für sich nicht sehr zahlreich, deuten
auf tüchtige, keineswegs aber originelle und starke künstlerische
Persönlichkeiten. Jedenfalls ist hier die Holzskulptur die führende
Kunst gewesen.
In den ~Hansastädten~ dagegen, wo ein höherer Luxus und Hand in
Hand mit ihm ein feinerer Kunstsinn eine stärkere Nachfrage nach
künstlerischen Werken aller Art bewirkt haben, ist auch die Malerei
besser zu ihrem Rechte gelangt. Am lebhaftesten ist der Kunstbetrieb
und am bedeutendsten die Leistung in ~Lübeck~ und ~Hamburg~ gewesen,
die letztere Stadt bezeichnet Bode geradezu als den eigentlichen Sitz
der norddeutschen Malerei.
Die ältesten Tafelbilder — ich folge den neuesten Untersuchungen Alfred
Lichtwarks[37] — bilden hier den ~Altar~ aus dem ~Johanniskloster~,
jetzt in der Sammlung zur Geschichte der Malerei in ~Hamburg,
Kunsthalle~, vom Ende des 14. Jahrhunderts. (Von Janitschek u. a.
irrtümlich auf Hinrik Funhof zurückgeführt und erheblich später
datiert.) Noch in der herkömmlichen Weise und im gebundenen Stil des
Mittelalters sind auf diesem Altare die heiligen Vorgänge geschildert,
nur in einzelnen Köpfen macht sich ein schwacher Vorklang des
herannahenden Naturalismus bemerklich. Ein Meister Bertram von Minden,
also wohl westfälischer Herkunft, seit 1367 häufig erwähnt, scheint mit
diesem Werke in nähere oder fernere Beziehung gebracht werden zu dürfen.
In dem für die Kunstgeschichte ewig denkwürdigen Jahre 1424, in welchem
Hubert van Eyck den Genter Altar begonnen haben soll, bricht auch die
hamburgische Kunst mit Typus und Konvention des Mittelalters, und zwar
aus ureigenstem Vermögen. Selten nur, wie in diesen beiden Fällen,
sind wir so glücklich, die Geburtsstunde der bedeutsamen Stilwandelung
bezeichnen zu können.
Das Werk, in welchem die neue Kunstgesinnung bereits zum vollen
Ausdruck kommt ist der ~Thomas-Altar~, bis vor kurzem in der
Schweriner Galerie und ganz allgemein einem niederdeutschen Meister
von 1435 zugeschrieben, jetzt, mit richtiger Meisterbenennung und
Entstehungsjahr, durch Lichtwarks Bemühungen nach der ~Kunsthalle
von Hamburg~ zurückgeführt, der Stadt, in der er 1424 im Auftrage
der Englandsfahrer Gesellschaft für die später abgebrochene St.
Johanniskirche von ~Meister Francke~ zu malen begonnen war.[38]
Der Altar der Englandsfahrer gehört zu den Meisterwerken der deutschen
Kunst. Den auf gleicher Entwickelungsstufe stehenden kölnischen Altären
(man bedenke, dass das Dombild erst zwischen 1440 und 1450 entstanden
ist und was ein Zeitraum von zwanzig Jahren in jener Periode des
grundstürzenden Umschwunges bedeutet) ist er an Tiefe der Empfindung
zum mindesten ebenbürtig, an koloristischer Wirkung soll er sie nach
dem Urteil der Kunstfreunde weit übertreffen.
[Illustration: ~Der h. Thomas von Canterbury.~
Hamburg, Kunsthalle. Nach Lichtwark, Meister Francke.]
Die bildnismässige Belebung des Typus setzt beim Thomas-Altar, wie
bei allen gleichzeitigen Werken, welche an der Grenzscheide zwischen
Mittelalter und Neuzeit stehen, bei den Nebenpersonen der Handlung
ein, bei den sterblichen Menschen, nicht bei den ewigen Repräsentanten
der Göttlichkeit. Aber das Menschlich-Individuelle tritt bei Francke
sogleich mit einer Wucht der Belebungskraft auf, mit einer power of
visualizing, die kaum ihresgleichen bei einem seiner Zeitgenossen
findet. Volk, Schergen, Ritter und Mönche, der Nährvater Josef, der in
der Frühkunst zumeist eine recht kümmerlich-menschliche Rolle spielt,
Pilatus und Kaiphas, die zu einer »dürerisch ausdrucksvollen Gruppe«
vereinigt sind, ja bis zu einem gewissen Grade der blutüberströmte
Thomas von Canterbury selbst, für den ein bindendes Vorbild in der
vorhergegangenen Malerei nicht vorhanden war — die ganz typische
Figur der Heiligen im Dom von Braunschweig kann nicht in Frage kommen
—, sie alle sind nach dem wirklichen Leben gearbeitet und ihre
äusserst individuellen Köpfe prägen sich dem Beschauer, selbst dem
der farblosen Nachbildungen, tief ins Gedächtnis ein. Und sonderbar,
trotz all dem Persönlichen ist das allgemeine Gepräge der Korporation
bei den Gesichtern der Gewappneten und der Tonsurierten zwingend zum
Ausdruck gebracht worden: das Ritterliche und das Theologische. Die
Namen der Wandsbecker Husarenoffiziere und der Hamburger Pastoren, sagt
Lichtwark, kommen einem angesichts dieser Physiognomien auf die Zunge.
[Illustration: ~Kopf eines Ritters aus dem Martyrium des h. Thomas.~
Hamburg, Kunsthalle. Nach Lichtwark, Meister Francke.]
»Kaisers alten Landen
Sind zwei Geschlechter nur entstanden,
Sie stützen würdig seinen Thron:
Die Heiligen sind es und die Ritter.«
Man muss unwillkürlich dieser Worte des goetheschen Kanzlers gedenken.
Wie unverändert haben sich doch diese beiden Standestypen in der Flucht
der Jahrhunderte erhalten!
Grossartig in seiner idealen Verallgemeinerung ist der Kopf Gott
Vaters auf der Geburt Christi und der des leidenden Erlösers wie ihn
Meister Francke zweimal auf selbständigen Tafeln als Schmerzensmann
dargestellt hat: in kleinen Abmessungen im Leipziger Museum[39],
monumental und lebensgross in der Hamburger Kunsthalle, — das
Christusideal des niederdeutschen Stammes, bis der überwältigende Kopf
des dornengekrönten Heilands von Dürer das Ideal ~aller~ germanischen
Völker wurde.
Wenn wir in Kunst oder Natur, denn über beiden waltet das gleiche
Gesetz, einen Keim fruchtlos zu seinem Element zurückkehren sehen, von
dem wir eine »lebendige Welt ewiger Bildungen« erwartet hatten, so
forschen wir nach der Ursache seines Verschwindens. Vor dem Malerwerk
Franckes, in dem verbunden mit einem eminenten Gefühl für die Farbe die
höchsten Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst, ~Lebenswahrheit~ und ~ideale
Verallgemeinerung~, gleichsam im Knospenzustande vereinigt erscheinen,
drängt sich uns, wie schon mehrfach im Laufe dieser Untersuchungen, die
Frage auf: warum konnten diese hoffnungsvollen Triebe nicht zur Blüte
gelangen?
Vergeblich suchen wir nach der Antwort. Wir sehen die Knospen
verdorren, ohne den Gifthauch zu erkennen, der sie zum Fallen
brachte. Er mag sich wohl aus einer Summe kunstfeindlicher Substanzen
zusammensetzen.
Meister Francke hat in Norddeutschland keinen Nachfolger gehabt. Der
niederländische Einfluss, so förderlich der Kunst im Westen und im
Süden, hat hier keine Persönlichkeiten hervorgebracht, die etwa mit
dem Meister des Marienlebens, mit Schongauer oder Hans Pleydenwurff
gleichen Ranges wären. Auch die später folgenden Leitbilder aus dem
italienischen Cinquecento und der grossen flämischen und holländischen
Kunst sind nur einem bestimmten Zweig der norddeutschen Malerei
von wirklichem Nutzen gewesen, dem Bildnis. Erst am Ende des 18.
Jahrhunderts setzt die erloschene eigene Triebkraft mit Philipp Otto
Runge von neuem ein, und im Malerwerk des Berliners Adolf Menzel
spiegelt sich uns so mancher Grundgedanke der deutschen Kunst des 15.
Jahrhunderts wieder.
Auf welchen Wegen werden die kommenden Meister des deutschen Nordens
wandeln? Wenn sie ihren Blick einmal wegwenden wollten von dem
kinematisch verwirrenden Bilde der Kunstproduktion aller Völker der
Erde, wie es die modernen Ausstellungen darbieten, so könnten sie dem
Thomas-Altar in Hamburg manch Geheimnis unverfälschter urdeutscher Art
ablauschen.
4. Oberrhein, Schwaben, Schweiz.
Während am Niederrhein das angeborene Streben nach naturgetreuer
Wiedergabe der menschlichen Erscheinung, wie es in den Werken Wilhelms
von Herle zu Tage getreten war, gar bald erlahmte und die Kunst zu
einer schwächlichen, wenn auch durch das Licht der Schönheit veredelten
Individualisierung führte, die am vollendetsten in dem Dombild Meister
Stephans ihren Ausdruck fand, bewirkte die nämliche Triebkraft in der
~oberdeutschen Kunst~, hier jedoch sich nicht verzehrend, sondern
wachsend in der Bethätigung, eine malerische Ausdrucksform, die sich
fest und ehrlich an die herbe Realität der Erscheinung anschloss
und erst nachdem sie diese in der ernsten Arbeit eines Jahrhunderts
zu meistern gelernt hatte, sich wieder von den Zufälligkeiten der
Wirklichkeit befreite und schliesslich zu einer Verallgemeinerung und
Vereinfachung der menschlichen Gestalt und Physiognomie gelangte, zu
dem eigentlichen Idealismus der deutschen Kunst, der sich in die Namen
Dürer und Holbein zusammenfassen lässt.
In Oberdeutschland aber so gut wie am Niederrhein entwickelte sich
der mittelaltrig gebundene Typus zu einer der Natur der Dinge näher
kommenden, freieren Form schon ehe die niederländische Kunst ihren
Siegeszug durch Deutschland begann.
Am ~Oberrhein~ scheint bereits in den Jahren des Konstanzer
Konzils, 1414 bis 1418, eine hochentwickelte Buchillustration auf
die Tafelmalerei von Einfluss gewesen zu sein; von dieser haben
wir allerdings mehr auf litterarischem Wege als durch eigene
Anschauung Kunde, denn die Werke selbst sind fast ausnahmslos in
den Reformationsstürmen vernichtet worden. Als angesehene Wand- und
Tafelmaler der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden dort Hans
Heinrich ~Tieffental~ von ~Schlettstadt~ genannt, der 1418 einen
Malauftrag vom Rat zu Basel erhielt, ~Lauwlin~, der in den vierziger
Jahren in der Baseler Karthause thätig war, und Hans ~Hirtz~,
verstorben vor 1466, »dessen Kunstfertigkeit in der Malerei durch
herrliche und stattliche Bilder in seiner Heimat Strassburg wie auch an
anderen Orten bezeugt wird.«
[Illustration: ~Aus Mosers Magdalenenaltar zu Tiefenbronn.~
Nach e. Photographie d. Kunsthist.
Gesellschaft für photogr. Publikat. 1899.]
Von einem schwäbischen Meister, dessen Heimat nicht fern vom Oberrhein
gelegen ist, sind wir so glücklich ein von ihm selbst datiertes und
bezeichnetes Altarwerk zu besitzen: es ist das ~Lukas Moser von
Wil~ und sein aus sechs Tafeln bestehender ~Magdalenenaltar~ in
~Tiefenbronn~ mit der bekannten Inschrift »Schrie, Kunst, schrie,
und klag dich sehr, din begert jectz niemen mer« und der Jahreszahl
1431. Der Altar ist 1898/99 von Hauser in München restauriert worden.
Die Beschreibung der traulich-gemütvollen Bilder ist in jeder
Kunstgeschichte zu finden.[40]
Für unsere Untersuchungen von Wichtigkeit ist die Frage: sind die
Physiognomien der Dargestellten auf diesem frühen Werke typische oder
individuelle und, wenn das letztere der Fall ist, sind sie volkseigen
oder verdanken sie fremden Mustern ihr Dasein?
Ohne Zweifel hat Lukas Moser die Vorbilder zu seinem Magdalenenaltar
nicht lediglich in den früheren oder zeitgenössischen Werken der
Buch-, Wand- und Tafelmalerei gefunden, sondern das, was an ihnen neu
erscheint, in der Natur selbst. Nur bei den Lebenden konnte er den
psychologisch feinen und interessanten Ausdruck gesehen haben, den
er beispielsweise in den Köpfen der drei Bischöfe wiedergegeben hat.
Auch einige der weiblichen Heiligen der Legendenbilder, einige Köpfe
auf der Predella und ein Gesicht in dem Gastmahl des Pharisäers sind
durchaus als persönlich zu bezeichnen. Vortrefflich und sicherlich
dem Leben abgelauscht ist das Moment des Schlafens der müde auf den
Stufen des Königspalastes zu Marseille hingesunkenen Reisenden zum
Ausdruck gebracht worden. Reber[41] macht auf die eigentümliche
gequetschte Bildung der schiefgestellten Ohren mit den nach hinten
gezogenen Läppchen aufmerksam, die ebenfalls als Beweis seines auch das
Nebensächliche aufmerksam beobachtenden Naturstudiums gelten darf.
Was die Frage nach den »Einflüssen« betrifft, so muss zunächst
zugegeben werden, dass man beim ersten Anblick der Gemälde an die
oberdeutsche Illuminierkunst erinnert wird, und schliesslich, wo
hätte auch anders der Künstler aus »Weil der Stadt« den Stoff, die
Komposition und die allgemeine Farbenanordnung seines Werkes hernehmen
sollen! Bei längerer Betrachtung jedoch, und wenn man gleichzeitig
über jenen selbstbewussten und eine gewisse Lebens- und Weltkenntnis
voraussetzenden Spruch nachdenkt, wird man zu der Anschauung geführt,
es müsse dieser Meister doch etwas mehr von der Welt gesehen haben als
das Kirchlein seiner Vaterstadt. Man denkt zunächst an Köln und die
dortige Schule. Aber die Aehnlichkeit ist doch keine so zwingende,
als dass sie nicht auch in dem gleichen Wesen der Zeit begründet sein
könnte, auf dessen geheimnisvolle Mitarbeit bereits hingewiesen worden
ist. Auch führt die Technik des Bildes nicht nach dem Niederrhein,
sondern scheint, wie Prof. Hauser glaubt, auf die Uebung in einer
italienischen Werkstatt hinzudeuten. (Die in ganz dünner Tempera
gemalte Tafel ist übrigens vor Auftrag des Kreidegrundes mit Pergament
überzogen worden.)
Wenn man im Angesicht des Bildes diesen Gedankengang weiter verfolgt,
so kann man sich der Annahme nicht verschliessen — die auch durch
Bayersdorfers Autorität gestützt wird —, dass der Meister, mittelbar
oder unmittelbar, durch die oberitalienische Kunst, etwa durch die
Gentiles da Fabriano oder Pisanellos beeinflusst worden ist. In diesem
Falle ständen wir hier vor einer der ersten, allerdings sehr schwachen
Spur italienischer Vorbilder bei einem oberdeutschen Maler, der, von
den heimischen Miniaturen ausgehend und dabei aufmerksam die Natur
studierend, sich sonst im allgemeinen selbständig entwickelt hat.[42]
Weder Romanisches noch Flämisches aber kann ich in dem 1445
datierten, viel besprochenen und leider namenlosen Bilde No. 1 in
~Donaueschingen~, ~Paulus und Antonius~, entdecken. Der Meister dieses
Gemäldes muss seine Vorbilder ausser in der Natur in einer rein
deutschen Kunst gefunden haben, und sollte er, was recht gut denkbar
ist, mit der Lukas Moserschen Richtung irgendwie in Beziehung stehen,
so hat er jedenfalls das, was in dem Tiefenbronner Altar flüchtig an
Italienisches gemahnt, nicht mit übernommen. Wunderbar scharf und
lebendig sind die Köpfe der beiden alten Einsiedler individualisiert,
wetterharte, faltige, trockene Gesichter, selbst die Zufälligkeit einer
Warze ist von dem Modell getreulich auf die Wange des heiligen Antonius
übertragen worden. Die Modellierung allerdings ist schwach, die Köpfe
wirken flächenhaft. Den Schein des Körperlichen zu erwecken, hatte
Moser jedenfalls besser verstanden.
Was aber das Donaueschinger Bild zu einem der merkwürdigsten und
interessantesten der gesamten deutschen Frühkunst macht, das sind,
nebenbei bemerkt, nicht die Eremiten, sondern die Landschaft, in der
sie sich befinden. Ein solcher stimmungsvoller »Ausschnitt aus der
Wirklichkeit« war, ausser etwa von dem sogleich zu erwähnenden Konrad
Witz, weder vorher noch lange Zeit nachher gegeben worden, und dem Sinn
für Farbenharmonie gegenüber, der aus dem Ineinanderstimmen der Töne
spricht (und das trotz dem Goldgrund der Luft!), müssen einem selbst
koloristisch so vorzügliche Schöpfungen, wie etwa die des Meisters des
heiligen Bartholomäus, gleich Mosaikarbeiten erscheinen. Schade, dass
ein Maler mit solch’ zartem Gefühl für fein zusammengehaltene Farben,
man möchte beinahe sagen mit solchen Rembrandtaugen, in mittelaltriger
Bescheidenheit seinen Namen nicht wie Moser, vielleicht ebenfalls mit
einem ihn charakterisierenden Kernwort, auf den Rahmen des Bildes
geschrieben hat. Zu einer Vermutung über die Stätte seiner Wirksamkeit
kann vielleicht die ummauerte Stadt Veranlassung geben, die sich mit
ihrem Turm und ihren roten Ziegeldächern farbig in dem grünlichen
Wasser des Flusses spiegelt: Dr. D. Burckhardt machte mich s. Z. darauf
aufmerksam, dass das massige Stadtthor dem alten Spalenthor von Basel
gleicht, jedoch ohne den jetzigen Vorbau, der 1445 auch noch nicht dort
gestanden hat.
Wie dieser unbekannte Meister schon ahnungsvoll hinübergreift in
jenes Reich der lichtdurchwobenen Farbe, das mit vollem Bewusstsein
erst im 17. Jahrhundert von dem germanischen Volke der Holländer
gefunden werden sollte, so schreitet neben ihm ein anderer durch
die mittelaltrige Welt, ähnliche Farben- und Lichtoffenbarungen in
der Brust, einsam und wohl auch unverstanden, dessen Spuren in der
Gegenwart verloren gehen mussten, wie Schneeflocken, die im Meere
zerfliessen, weil auch er einer von denen war, die für ihre Zeit zu
früh gekommen waren, — ~Konrad Witz~ von Basel.
Allerdings nicht auf dem Gebiet, das uns hier vornehmlich beschäftigt,
ging er die Bahn, die vor ihm kein Wager bereitet hatte, sondern auf
einem, das seinen Weggenossen noch ein verlorenes Paradies war, auf
dem der Landschaftsmalerei. Er ist es, der in seinem ~Wunderbaren
Fischzug~, ~Genf~, Musee archäologique, der deutschen Kunst das erste
wirkliche Landschaftsporträt gegeben hat. Konrad Witz, ich folge hier
D. Burckhardts Angaben, stammt aus Rottweil in Schwaben, wurde 1434
Meister der Zunft zum Himmel in Basel, ist 1444 in Genf und 1446
wieder in Basel thätig, woselbst er 1454 gestorben ist. Ein schwacher
Anklang italienischer Kunst in seinen Werken weist vielleicht auf
eine Beziehung zu Lukas Moser hin, aber auch Niederländisches, worauf
die Belichtungsversuche seiner Interieurs hindeuten, scheint er schon
gekannt zu haben, vielleicht durch Vermittelung jenes gleichfalls mit
dem Lichte ringenden rätselhaften Meisters von Flémalle, der wohl 1438
in Basel gewesen ist, denn eine Reise nach dem Norden — erst 1432 war
der Genter Altar aufgestellt worden — scheint nicht anzunehmen zu sein.
[Illustration: ~Tafelbild von Konrad Witz mit dem Kardinal de Brogny.~
Genf. Nach einer Photographie.]
Die Köpfe seiner monumentalen, meist reich gewandeten und in tiefen
satten Farben gemalten Gestalten, die er nicht mehr scharf umreisst,
sondern sanft in den Hintergrund übergehen lässt, sind plastisch
gerundet, individuell nach dem Leben gebildet, deutschderb, oft
hässlich, aber niemals grimassenhaft. Auf den vier in Genf befindlichen
Bildern sind die Gesichter, wie die Abbildungen zeigen, und nur diese
sind mir bekannt, so stark übermalt, dass man schwer nach ihnen
urteilen kann. Sehr würdevoll aber erscheint auf einem derselben der
etwa vierzigjährige, wohlgenährte Kardinal Jan de Brogny,[43] Bischof
von Genf, welcher von S. Peter der thronenden Madonna empfohlen
wird, — ein Stifterbild in voller Lebensgestalt, also ein merkwürdig
frühzeitiger Bruch mit der herkömmlichen Däumlingfigur.
Auf einem in ~Neapel~ befindlichen Bilde, ~die heilige Familie~ mit
S. Barbara und S. Katharina, trägt ein im Vordergrund rechts kniender
Mann, der dem Christkind einen Apfel darreicht, fast porträtartige
Züge. Der Vorgang spielt sich im Innern des Baseler Münsters ab,
und hier, wie auch auf einem Bilde in Strassburg, No. 1, Klass.
Bilderschatz 1237, wird der Blick des Beschauers mit erstaunlicher
Kunst in die Tiefe des Raumes geführt, an dessen Begrenzung ein
Durchblick auf eine Strasse gegeben ist, die beinahe wie in modernem
Freilicht gemalt erscheint.
Die Köpfe auf den in ~Basel~ befindlichen Bildern, No. 65 bis 72 b,
sind mehr typisch verallgemeinert als persönlich, so namentlich der
Feldherr Antipater, Julius Cäsar und Melchisedek, dagegen nähern sich
die der Nebenfiguren auf der Kreuzigung, No. 72 b, dem Porträtartigen,
und die Synagoge, No. 66, ist sicherlich getreu nach einem lebenden,
übrigens nicht jüdischen Modell gearbeitet.
Zu den wenigen Werken, auf welche die zeitfremde Kunst Konrad Witzes
eingewirkt zu haben scheint, gehört vielleicht das vorgenannte Bild in
Donaueschingen und zwei Bilder in ~Basel~, ~der h. Georg~, den Drachen
erlegend, und ~der h. Martin~, seinen Mantel mit einem Armen teilend,
No. 85 und 86, doch sind hier die Gesichter nicht so sorgfältig
durchgearbeitet, die Gestalt in Haltung und Gebärde noch etwas
mittelaltrig-unbeholfen, und das Zusammenstimmen der Farben deutet auf
ein geringeres Feingefühl.
Nach der Mitte des 15. Jahrhunderts wird ~Kolmar~ ein Mittelpunkt
der oberrheinischen Kunst. Was vorher in der freien Reichsstadt auf
dem Gebiete der Tafelmalerei geleistet worden ist, entzieht sich
unserer Kenntnis bis auf wenige Bilder, welche das Museum im alten
Dominikanerkloster Unterlinden in Kolmar aufbewahrt. Von diesen Resten
sind hier nur die Flügel des ~Stauffenberger Altars~, No. 157 bis 160,
zu erwähnen, welche noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gemalt
sein müssen und weder durch die eigenartige Richtung der Bodenseeschule
noch durch niederländischen Realismus beeinflusst sind. Auf einem
derselben, Christus am Kreuz, No. 160, kniet ein Stifter und eine
Stifterin mit dem Wappen der Stauffenberge, — typisch und nebensächlich
behandelte Figuren, kaum mit einer Spur des Porträtartigen.
[Illustration: ~Die Geisselung von Isenmann.~ Kolmar.
Nach einer Photographie.]
Etwa um 1465 beendete ~Kaspar Isenmann den Hochaltar für S. Martin
in Kolmar~, von dem sich heute sieben Bilder, Passionsszenen, im
Museum befinden, No. 137 bis 143. So roh diese Arbeiten sind,
bedeuten sie doch einen gewaltigen Sprung nach der Richtung des
Individuell-Charakteristischen, an dem jedoch weder die Haltung und
Bewegung der Figuren noch die Bildung des Nackten beteiligt ist. Die
Köpfe aber mit ihren hervorspringenden Backenknochen, den grossen
Mäulern mit den wulstigen Lippen und dem brutalen Ausdruck sind
das Höchste, was an gemeinem Naturalismus die Kunst des Oberrheins
hervorgebracht hat, übertrumpft wird es überhaupt nur noch durch
einige hagebüchene Machwerke der bairischen Kunst. Isenmann zeigt sich
hier als ein Fanatiker der Wahrheit, man könnte auf ihn anwenden,
was Till Eulenspiegel der Wirtin zu Nugenstädten erklärte: die
Wahrheit zu sagen sei sein Gewerbe. Und was er für wahr hält, ist
tierische Hässlichkeit. Seine Knechte und Schergen erinnern uns an
jenes arbeitsscheue, lüderliche und lichtfeindliche Gesindel unserer
modernen Millionenstädte, wie es etwa in den nächtlichen Spelunken der
Hasenheide oder in Whitechapel sein Wesen treibt.
Hat man es hier mit heimischer Art zu thun, vielleicht mit einer
Weiterentwickelung handwerklicher Passionsbilder, die uns verloren
gegangen sind? Auf dem ersten Anblick könnte man zu dieser Vermutung
geführt werden, aber die teilweise Anwendung der »Oeltechnik« zu so
früher Zeit spricht doch vielleicht für Janitscheks Annahme, dass
Isenmann persönlich in den Niederlanden gewesen ist. Möglich, dass
die dortigen Wirklichkeitsbestrebungen eine verwandte Saite in ihm
berührt und ihn zu seinen masslosen Uebertreibungen verleitet haben.
Ohne Vorbehalt kann man sich jedenfalls Janitscheks Schlussurteil
anschliessen, dass »Isenmann im ganzen in dem rauhen, bis zum Burlesken
derben Realismus der Heimat stecken blieb, der aus dem geistlichen
Schauspiel und den tollen Fastnachts-Mummereien sich seine Modelle
holte«.
Wie gerade der feine, man möchte sagen musikalische ~Martin Schongauer~
aus einer solchen lärmenden Werkstatt hervorgehen konnte, ist nur
begreiflich, wenn man annimmt, Isenmann habe auch weniger laute und
brutale Bilder als die genannten Passionsszenen gemalt, und in der That
lässt die Betrachtung seiner verhältnismässig recht edeln und ruhigen
Grablegung einen solchen Schluss nicht ungerechtfertigt erscheinen.
Schongauer gilt allgemein als der einzige wirkliche »Künstler« der
oberrheinischen Schule des 15. Jahrhunderts, und wenn man hierbei
die lebensvolle und zarte Liniensprache seiner Kupferstiche im
Auge hat, kann man sich diesem Urteil gewiss anschliessen. Aber so
bedeutend auch seine koloristischen Fähigkeiten sind (der köstliche
blühende Rosenhag auf der Madonna in St. Martin), an harmonischer
Zusammenstimmung übertrifft ihn meinem Empfinden nach doch der Meister
des Donaueschinger Bildes und Konrad Witz, dieser wenigstens auf
einzelnen seiner Werke.
In der Geschichte des Bildnisses bezeichnet Schongauer einen
Fortschritt nach der Seite der idealen Verallgemeinerung und
Vereinfachung der menschlichen Erscheinung, zu der die deutsche Kunst
einige Jahrzehnte später thatsächlich gelangen sollte, nicht aber nach
der Richtung individueller Charakteristik.
Schongauer, eines Kolmarer Ratsherrn Sohn, geboren zwischen 1434 und
1445, dessen Thätigkeit in die siebziger und achtziger Jahre des 15.
Jahrhunderts fällt — gestorben ist er 1491 in Breisach —, nahm seinen
Ausgang offenbar vom Meister E. S., lernte von Isenmann die Lust an
bäuerisch-derben Gesichtsbildungen, kam dann unter den Einfluss der
Niederländer, besonders Rogers, von dem er sich jedoch bald wieder
befreite, und gelangte schliesslich durch ernstes Naturstudium zu einem
eigenen, originalen Stil. Doch nicht lange hat er diesen beibehalten,
denn am Ende seiner Laufbahn sehen wir ihn in einen Manierismus
verfallen, der seine letzten Werke, vor allem aber die seiner zahllosen
Schüler und Nachahmer, nicht eben vorteilhaft kennzeichnet. Verfolgen
lässt sich der hier skizzierte Entwickelungsgang nur an der Hand seiner
Kupferstiche, eigenhändige Gemälde sind nur wenige von ihm erhalten.
Sein frühstes Tafelbild ist bekanntlich die überlebensgrosse ~Madonna
im Rosenhag~, ~S. Martin~, ~Kolmar~, Klass. Bilderschatz 56, auf der
Rückseite angeblich mit 1473 bezeichnet, von der sich eine interessante
Wiederholung in kleinem Format, echt, aber in einer, wie mir scheint,
an Fälschung grenzenden Uebermalung in der Sammlung Sepp in München
befindet, Klass. Bilderschatz 332, — ein strenger, herber, echt
flandrischer Typus, mit der hohen, gewölbten, unproportionierten Stirn,
den unbedeckten Schläfen und dem wenig entwickelten Hinterkopf.
In der gleichfalls noch in den siebziger Jahren entstandenen, im
allgemeinen wenig erfreulichen ~Passion~, ~Kolmar~, No. 115 bis
130, deren Eigenhändigkeit übrigens bestritten wird, begegnen uns
neben flandrischen auch solche Typen, die jene Kaspar Isenmanns ins
Milde und Ruhige, gewissermassen ins Normale übersetzt zeigen. Ueber
das Handwerksmässige erhebt sich die Kreuzesabnahme, mehr noch die
Grablegung. Zu dem auf beiden Bildern mit ähnlichen Gesichtszügen
auftretenden Josef von Arimathia in seinem prächtigen, roten,
goldgestickten und pelzverbrämten Rock könnte recht gut einer der
vornehmen geistlichen Herren der alten Reichsstadt das Vorbild gegeben
haben.
[Illustration: ~Burgkmair,
Kopie eines Selbstbildnisses des Malers Schongauer.~
München, Pinakothek.
Nach einer Pigmentphotogr. d. Verlags-Anst. Bruckmann.]
Aus der Reifezeit des Meisters mögen die Innenseiten der Flügel des
~Isenheimer Altars~, ~Kolmar~, 132 bis 135, herstammen, auf deren einem
die grossartige, monumentale Gestalt des h. Antonius bemerkenswert ist,
Klass. Bilderschatz 1226, wenn sie auch einer tieferen Erfassung des
inneren Lebens ermangelt. Wie wenig Begabung oder Neigung der Maler
Schongauer für das Bildnis gehabt hat, zeigt der kleine, neben dem
Heiligen kniende, völlig konventionelle Stifter in schwärzlich grünem
Mantel mit dem blauen Antonitenkreuz und dem Wappen des Johann Orlinc,
Präceptors von Isenheim zu seinen Füssen.
Dass er sich selbst der Einzeldarstellung für würdig erachtet hat,
unter Verzicht auf den Schutz seines Patrons, ist bekannt. Ob dieses
~Selbstbildnis~ ein gutes Porträt gewesen ist, lässt sich nicht mehr
entscheiden, denn wir besitzen nur eine ~Kopie~ desselben von der Hand
des jungen ~Burgkmair~, ~München~, No. 220, nach einer Notiz auf der
Rückseite im Jahre 1488 angefertigt. Auf dem Bilde selbst befinden
sich links oben die Worte: Hipsch Martin Schongauer Maler 1483 oder,
wie andere lesen, 1453. Ist die letztere Jahreszahl die richtige, sie
stimmt besser als die erstere zu dem, was über das Datum seiner Geburt
bekannt ist, so hätten wir hier die Kopie des frühsten Selbstbildnisses
eines Malers vor uns, eines der frühsten unabhängigen Porträts
überhaupt.
Die Burgkmairsche Arbeit zeigt ein Brustbild in dreiviertel Ansicht
nach links, ohne Hände, das harmonisch fein mit dem einfarbigen
Hintergrund zusammengestimmt ist. Der jugendliche, etwas bäurische
Kopf, in dessen Zügen ein schwermütiger Ernst und nicht die leiseste
Spur einer Lebensfreude zu lesen ist, wird von einer schwarzen,
barettartigen Mütze bedeckt. Ueber dem braunen Rock wird der Kragen
eines Unterkleides sichtbar. Zu beiden Seiten der Schultern fällt ein
shawlartiges Tuch vorn über die Brust herab (oder die Enden eines
Barettbandes?).
Einige anmutige und trauliche Mariendarstellungen des ausgebildeten
schongauerschen Stiles kommen hier, weil der Welt der Wirklichkeit weit
entrückt, nicht in Betracht.
Von ~Werkstatt-, Schul- oder sonst Schongauer~ nahe verwandten ~Werken~
erwähne ich die folgenden, ohne eine kritische Sichtung meiner
Aufzeichnungen oder den Versuch einer zeitlichen Rangordnung zu wagen:
Stark realistische Köpfe auf einem ~Flügelaltar~ in ~Berlin~, No. 562.
Auf dem Mittelbild, Christus am Kreuz, ist das Stifterfigürchen genau
so gross wie der Totenschädel am Fusse des Kreuzesstammes.
Auf einer ~Anbetung der Könige~ in ~Kolmar~, No. 98, einem sehr
mittelmässigen Bilde, ist der kniende Kaspar gewiss ein Porträt.
Fein detaillierte Köpfe auf dem sogenannten ~Schongaueraltärchen~ im
~Ulmer Münster~.
~Mariä Verkündigung~, ~Donaueschingen~, No. 12. Zu Füssen der
heiligen Jungfrau kniet ein Donator in langem, roten Kleide mit
Pelzbesatz, vor ihm das Heiligenberg-Wardenbergische Wappen, in
kindlich-handwerksmässiger Ausführung.
~Landenbergischer Altar~, ~Karlsruhe~, No. 43. Auf einem Flügel der
Stifter Hugo von Hohenlandenberg, Bischof zu Konstanz. (1496 bis 1532.)
Von ~Einzelporträts~, welche allenfalls auf die Werkstatt Schongauers
zurückgehen könnten, ist mir nur eines bekannt. Es befindet sich
in ~Augsburg~, No. 40, und ist dort als »Oberrheinisch von 1492«
bezeichnet: Brustbild eines bartlosen jungen Mannes, nach links, in
violettem Wams, braunem Ueberkleid, schwarzer Mütze, in der Hand ein
rotes Paternoster. Oben links die Zahlen 1462 und 1492. Eine spätere
Inschrift auf der Rückseite enthält die Worte: Hans Leyckmann, Maler
dem Gott Gnad Martin Schongauer facibat (!). Eine recht tüchtige, doch
keineswegs bedeutende Arbeit.
Etwa um 1520 gewinnt auch in der Kunst des Oberrheins der dürersche
Einfluss die Oberhand.
* * * * *
Unter den schwäbischen Städten hatte sich bereits vor der Mitte des
15. Jahrhunderts ~Ulm~ als ein Hauptort oberdeutscher Kunstthätigkeit
hervorgethan, insbesondere ist eine Malerwerkstätte weit berühmt
gewesen, welche mit dem Bildschnitzer Hans Multscher in irgend welcher
Beziehung gestanden hat, falls dieser phänomenale Meister nicht etwa
selbst ihr Haupt gewesen ist.
~Hans Multscher~ hatte 1458 für die Pfarrkirche von ~Sterzing~ in Tirol
jenen grossartigen ~Schnitzaltar~ geliefert, dessen gemalte Flügel,
im ganzen zehn Darstellungen, von Hauser in München 1898 vortrefflich
restauriert, im Rathaus von Sterzing aufbewahrt werden.[44] Da es, wie
gesagt, zweifelhaft, wenn auch sehr wahrscheinlich ist, dass Schnitzer
und Maler ein und dieselbe Person sind, schlägt Reber vor, den
Künstler, welcher den malerischen Teil ausgeführt hat, bis auf weiteres
den Maler des Multscherschen Altarwerks zu nennen.[45]
[Illustration: ~Die schlafenden Jünger auf dem Oelberg~,
von Multscher. (Teilbild.)
Nach e. Photographie d. Kunsthistor. Gesellsch. für photogr.
Publikat. 1898.]
Alle Kraft der Charakteristik hat der Meister in die Köpfe seiner
Figuren gelegt, sowohl in die edlen, würdigen Gesichter auf dem
Marienleben, als auch in die tierisch-gemeinen Henkerfratzen auf den
Passionsszenen. Die Gruppe der Jünger auf dem Oelbergbilde gehört
zu dem Bedeutendsten, best Beobachteten und psychologisch Feinsten,
was die deutsche Kunst im 15. Jahrhundert hervorgebracht hat. Das
so unendlich schwierige Motiv des Schlafens erscheint hier in einer
künstlerischen Vollendung, die noch über Lukas Mosers bereits
erfolgreichen Versuch in dieser Richtung hinausgeht. (Vergl. S. 97.)
Aber nicht von dem Meister aus Wil der Stadt, auch nicht von Brügge
oder Köln hat dieser Maler seine Anregungen erhalten. Sucht man nach
Anknüpfungspunkten, so findet man sie in deutscher Kunst am ehesten
entweder bei den perspektivischen und ausgesucht feinen Lichtmalereien
Konrad Witzes oder, und mit grösserer Wahrscheinlichkeit, bei den
Meistern oberitalienischer Kunst, die Multscher in ihren nördlichsten
Ausläufern bei seinem Aufenthalt in Tirol kennen lernen konnte.
Ein dornengekrönter ~Christus in Schleissheim~ von 1457, No. 52, aus
dem Kloster Wängen in Ulm stammend und ein ~Dreifaltigkeitsbild~ in
der Sakristei des ~Ulmer Münsters~, letzteres durch Restauration
arg entstellt, gehören wohl demselben Meister an (Bayersdorfer).
Auf beiden befinden sich nebensächlich behandelte, kleinfigürliche
Stifterbildnisse. Thode spricht Multscher noch eine Reihe anderer Werke
zu, so die Grablegung und die herrliche Reitergruppe der heiligen
Könige mit ihrem Gefolge, Stuttgart, No. 477 und 488, dort Herlin
genannt.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begegnet uns in Ulm ein
anderer vielgeschätzter und vielbeschäftigter Meister, der früher
gemeinhin als der Gründer der Ulmer Schule bezeichnet wurde, ~Hans
Schühlein~, geb. um 1440, gest. 1505, also jedenfalls erheblich
jünger als der Maler des multscherschen Altarwerkes. Nach seinem
Hauptwerk zu urteilen, dem koloristisch sehr bedeutenden ~Hochaltar~
in ~Tiefenbronn~, hat er niederländische oder niederrheinische,
gewiss auch fränkische Bilder gekannt. Die Köpfe der ein wenig
an Holzschnitzarbeiten erinnernden Figuren sind individuell und
ausdrucksvoll, porträtartig mutet keiner von ihnen an.
Auch sein berühmter Schüler und seit 1483 sein Tochtermann, »der
deutscheste der deutschen Meister«, ~Bartholomäus Zeitblom~, geb. nach
1450, gest. gegen 1518, hat die Weiterentwickelung des eigentlichen
Bildnisses nicht gefördert. Eine bei allen seinen Gestalten sich
stets gleich bleibende Würde, Strenge und demütige Frömmigkeit,
bei den Frauen mit Anmut und Lieblichkeit gepaart, verleiht ihnen
etwas Typisches und lässt sie wie die Glieder einer einzigen Familie
erscheinen, in der gute schwäbische Sitte, Bedächtigkeit und ein wenig
Langeweile zu Hause waren. Die immer wiederholten Schädelformen zeigen
die alemannische Bildung, die Backenknochen treten stark hervor, die
Wangen sind schmal, die Nasen auffällig gross und in der Regel nach der
Spitze zu leicht gerötet.
Von seinen Werken — das meiste befindet sich in den beiden Stuttgarter
Museen —, ist zunächst der ~Altar~ aus der Kirche auf dem ~Heerberge~
von 1497 zu nennen, ~Stuttgart~, Altertümersammlung, auf dessen
Rückseite, von Ranken und einem Spruchband vielfach umwunden und in all
dem wuchernden Dekorations-Schlingwerk dem flüchtigen Blicke leicht
sich entziehend, der Meister sein eigenes Brustbild angebracht hat.
Er erscheint hier als ein knapp Fünfzigjähriger, in langem Bart- und
Haupthaar, auch er mit jener stattlichen Nase, die er seinen Heiligen
zu geben liebt, in ernster, aber gemütvoller Auffassung, sinnenden
Ausdrucks und bescheidener Handwerkermiene, — als Porträt recht
unbedeutend.
[Illustration: ~Zeitbloms Selbstporträt.~
Stuttgart, Altertümersammlung.
Nach einer Photographie von Hoefle, Augsburg.]
In der ~Neithartkapelle des Ulmer Münsters~ eine seltsame ~Pietà~ von
1501, wohl ein Werkstattbild, unter welcher sich eine imago mortis,
eine aus Bändern, Sehnen und Gebein geflickte Halbnatur befindet,
eine Schärpe um die Schulter geschlagen, an deren Ende wütend ein
Hündchen zerrt und zu deren Seiten, geschlechterweise geordnet, Stifter
und Stifterinnen mit den Wappen der Neithart, Kraft und Ehingen
knien. Möglich, dass unter ihnen uns ein Bildnis des s. Z. berühmten
Terenz-Uebersetzers Hans Neithart und des tapferen Ritters Georg von
Ehingen überliefert worden ist.
Ein vortrefflicher ~Altarflügel~ in der ~Sammlung Sepp~ in ~München~
mit drei Stiftern, einem Manne und zwei Frauen. Der Mann, ein recht
gutes Porträt, trägt in der Linken eine wächserne menschliche Hand, die
er vermutlich zum Dank für eine glückliche Genesung der Gottesmutter
auf einem (nicht mehr vorhandenen) Mittelbilde darbringt, die erste der
Frauen trägt ihr in gleicher Weise ein aus Wachs gebildetes Kindlein
zu, — das einzige Weihgemälde grossen Stils, das mir aus dem 15.
Jahrhundert bekannt ist.
Porträtartige Teilnehmer an einer heiligen Handlung scheint Zeitblom
nicht gemalt zu haben, allenfalls könnte ein bartloser Mann auf einer
ihm in ~Strassburg~, No. 5, zugeschriebenen ~Grablegung~ den Anspruch
erheben, für das Bildnis eines Zeitgenossen gehalten zu werden.
In der ~Galerie Harrach~ in ~Wien~ befindet sich unter No. 360 ein
~Porträt~ »Deutsche Schule«, welches wahrscheinlich von Zeitblom
herrührt. Es stellt auf einfarbigem Grunde einen bartlosen Mann in
dreiviertel Ansicht nach rechts dar, in schwarzem Gewand, langem
dunklem Haar und ziemlich grosser Nase, auf der eine Warze sitzt. (Mir
nur in der Photographie bekannt.) —
In dem Pracht und Luxus liebenden und schon aus diesem Grunde der Kunst
einer neuen Zeit leicht zugänglichem ~Augsburg~, wurde gegen 1460 der
Meister geboren, durch welchen das Menschenbildnis zu einer Grösse und
zugleich Intimität der Auffassung gelangen sollte, wie sie bis dahin
noch nie von einer deutschen Künstlerhand erreicht worden war: ~Hans
Holbein~, zum Unterschied von seinem grossen Sohne später ~der Aeltere~
genannt.
Seine Porträtskizzen, und nur auf diese, nicht auf die Köpfe seiner
ausgeführten Bildwerke gründet sich sein Porträtistenruhm, in der
Mehrzahl allerdings ziemlich spät geschaffen, im ersten und in der
Mitte des zweiten Jahrzehntes des 16. Jahrhunderts, sind von einer
bisher ungekannten Lebenswahrheit und Feinheit der Charakteristik,
dabei so malerisch, flott und sicher mit dem Silberstift gezeichnet,
zum Teil mit Benutzung von Rötel und Weiss, dass sie neben den besten
Leistungen der Griffelkunst aller Zeiten genannt werden dürfen. Diese
weit über hundert Blätter, welche sich auf die Sammlungen von Berlin,
Basel, Weimar und einiger anderer Orte verteilen, sind in Deutschland
überhaupt die ersten, welche dem modernen Auge eine rein ästhetische
Freude gewähren, die ersten jedenfalls, bei denen das historische
Interesse des Beschauers völlig hinter dem künstlerischen zurücktritt.
Mancher dieser dem Gedächtnis leicht sich eingrabender Köpfe begegnet
uns in dem Malwerk des Meisters wieder, geschaffen aber hat er sie
gewiss nicht zum Zwecke der späteren Verwendung, vielmehr teils um der
Persönlichkeiten und Physiognomien selber willen, teils aus Freude
über die eigene Fähigkeit, sie so meisterlich mit dem Stift auf das
Papier hinwerfen zu können, — den alten Kaiser Max, wie er ihn gewiss
oft in seiner lieben Reichsstadt einherreiten sah, Kunz von Rosen,
den kurzweiligen Rat, den stattlichen Bürgermeister Artzt, die Herren
Fugger, die köstlichen Mönche des Klosters St. Ulrich, Junker, Bürger,
Handwerker, auch etliche ehrbare und minder ehrbare Weiblein, kurz alle
die wechselnden Erscheinungen augsburgischen Lebens und Treibens, die
einem geistvollen Flaneur der flüchtigen Momentaufnahme wert erschienen
sein mochten.[46]
[Illustration: ~Lienhard Wagner.~
Silberstiftzeichnung von Holbein d. Ä.
Nach Philippi Kunst d. 15. u. 16. Jahrh. Teil. II.]
Als Zeichner nimmt Holbein seinen Ausgang, gleich wie Dürer,
bei Schongauer, aber Verschiedenheit der Individualität und des
Stammescharakters führt beide zu weit voneinander getrennten Zielen,
und während Dürer auch im gemalten Bildnis die deutsche Kunst zu einem
ihrer höchsten Gipfel emporhebt, bleibt der ältere Holbein, wo die
Farbe mitspricht, ein suchender, unvollkommener und unbefriedigender
Meister, seinem Sohne den Ruhm des grössten Porträtmalers Deutschlands
überlassend.
Holbein d. Ä. steht mit seinem Schaffen in dem Grenzgebiet zweier Welt-
und Kunstanschauungen. Er wurzelt mit seiner Jugendkraft in dem zur
Neige gehenden Mittelalter, und die Malerschulen vom Oberrhein und
Flandern, diese durch Alt-Köln vermittelt, geben seinem künstlerischen
Wesen die erste Richtschnur. Bald jedoch entwickelt er sich zu
selbstständiger, kräftiger und vielseitiger Eigenart, und bereits über
der Mittagshöhe seines Lebens angelangt, erreicht ihn die italienische
Renaissance mit ihren neuen Formen- und Farbenidealen. Sie muss einen
tiefgehenden Eindruck auf ihn gemacht haben, aber er besass trotz
seiner fünfzig Jahre noch Aufnahmefähigkeit, Spannkraft und Biegsamkeit
genug, sich von dieser Offenbarung nicht erdrücken zu lassen, sondern
das Neue mit dem vorhandenen Alten zu verarbeiten und in seinem letzten
Werke zu herrlicher Gestaltung ausreifen zu lassen. Eine auch nur
allgemeine Würdigung des Meisters, der sowohl in der alten deutschen
Wirklichkeitsdarstellung als auch in der neuen, das Wahre durch das
Schöne verklärenden Kunstrichtung so Grosses geleistet hat, muss hier
unterbleiben. Es handelt sich für uns nur um seine Thätigkeit als
Bildnismaler, vor allem um den Porträtgehalt seiner Tafelbilder, der
grösser ist als bei irgend einem anderen der schwäbischen Meister.
[Illustration: ~S. Pauls-Basilika~ von Holbein d. Ä. Augsburg.
Nach einer Photographie.]
Schon auf seinem frühsten bekannten Bilde, dem ~Weingartnerschen Altar~
von 1493, jetzt im ~Augsburger Dom~, erheben einzelne Köpfe auf den
ersten Blick den Anspruch auf Porträtähnlichkeit so z. B., wie bereits
Schnaase bemerkt hat, der Priester bei der Darstellung Christi. Auf
der 1499 vollendeten, ganz handwerklichen ~Gedenktafel für Veronika,
Walpurga und Christina Vetter~, ~Augsburg~, Nr. 61, sind ausser den
Bildnissen der bejahrten Stifterinnen in den Passionsdarstellungen
noch manche porträtartige Gestalten zu bemerken. (»Die Flüchtigkeit
der Behandlung wird durch den geringen Preis von 26 Gulden erklärt.«
Woltmann. — Aber sollte man es hier nicht vielleicht mit einer
Werkstattarbeit zu thun haben?) Die gleich wie dieser Epitaph für
das reiche Katharinenkloster gemalten ~Basilikenbilder~, jetzt in
der Galerie von ~Augsburg~, enthalten eine Fülle ganz vortrefflicher
Porträts, von denen leider nur wenige zu identifizieren sind. Auf der
Basilika S. Marie Maggiore ist auf dem rechten Seitenbild mit der
Enthauptung der h. Dorothea, Nr. 64, die seitwärts kniende Nonne
Dorothea Rehlinger die Stifterin des Bildes. Das Jesusknäblein,
welches, mit einem durchsichtigen Hemdchen bekleidet, der Märtyrerin
einen Korb mit Rosen darreicht, soll ein Porträt des vierjährigen Hans
Holbein d. J. sein. Zu der vom Rücken gesehenen sitzenden Gestalt im
Hauptbild der Basilika S. Paolo, Nr. 68, Klass. Bilderschatz 1387,
wohl von 1504, ein offenbares Porträt von reizend pikanter Wirkung,
wenn auch, oder vielleicht gerade weil, das Gesicht dem Beschauer
abgewendet ist, hat wahrscheinlich Veronika Welser, die Stifterin,
als Modell gedient. Auf der Rücklehne des Stuhles, auf welchem die
weltlich gekleidete junge Frau mit dem schönen, entblössten Nacken
sitzt, liest man das Wort Thekla, den Namen jener heiligen Märtyrerin,
den die nachmalige gelehrte Priorin vor ihrer Klosterzeit geführt haben
soll. Auf dem linken Seitenbild der Pauls-Basilika, Nr. 69, Klass.
Bilderschatz 1405, hat sich der Maler selbst mit seinen beiden Söhnen
Hans und Ambrosius als Zuschauer bei der Taufe S. Pauli abgebildet.
Der Meister erscheint hier im langen Pelzrock, baarhaupt, langen Haar
und grossen Vollbart, der die Oberlippe frei lässt, — als Künstler,
der sich um die Mode der Zeit nicht kümmert. Die Rechte hat er auf den
Kopf des jungen, stämmigen, etwa sechsjährigen Hans gelegt, die Linke
deutet über Ambrosius hinweg nach dem Vorgange hin. Der Kopf des Vaters
trägt den schlichten, ehrlichen, freimütigen und doch bescheidenen
Ausdruck, wie auf der bekannten 1515 datierten Silberstiftzeichnung
des Musée Condé zu Chantilly; die Köpfe der Kinder stimmen mit der
Rötel-Zeichnung von 1511 im Berliner Kabinet recht wohl überein. Aus
der Aehnlichkeit der absonderlichen Profilbildung des etwa achtjährigen
Ambrosius mit der gleichfalls in der Seitenansicht gegebenen Frau
in spitzer burgundischer Haube, welche links als Zeugin der Taufe
erschienen ist, hat man in dieser porträtartigen Figur die Gattin
des Malers vermutet, der gewöhnlichen Annahme nach eine Schwester
Hans Burgkmairs. Der junge Hans Holbein begegnet uns ferner als etwa
fünfjähriger Knabe in der ~Speisung der Viertausend~, Nr. 66, linkem
Seitenbilde einer von ~Ulrich Walter~ 1502 gestifteten ~Gedenktafel~,
wo der kleine Bursche zur Seite Christi in rotem Rock und Ledertasche,
einen grossen Fisch in der Hand, einherläuft.[47] Schliesslich ist hier
noch das Selbstbildnis des gealterten Meisters auf seiner herrlichsten
Schöpfung, dem ~Sebastiansalter~ vom Jahre 1515 in ~München~ zu
nennen, wo er mit bittender Gebärde zur Seite der heiligen Elisabeth
erscheint. Klass. Bilderschatz 15.
Aber mit diesen wenigen nachweisbaren Persönlichkeiten ist die Reihe
der von Holbein als Teilnehmer an heiligen Vorgängen dargestellten
Zeitgenossen nicht beendet. Auch auf den grossen ~Passionen~ in
~Frankfurt~ und ~Donaueschingen~, auf dem ~Kaisheimer Altar~ in
~München~, von letzteren beiden einige Abbildungen im Klass.
Bilderschatz, sowie auf dem ~Stammbaum Christi~ und dem ~Stammbaum der
Dominikaner~, jetzt im städtischen Museum von ~Frankfurt~, ist gewiss
mancher Kopf von den Zeitgenossen als Porträt erkannt worden, aber die
Celebrität des Dargestellten war wohl nicht bedeutend genug, um seinen
Namen der Nachwelt zu überliefern.
Von seinen zahlreichen Stifterbildnissen, denen er in der Regel
denselben Massstab wie den heiligen Personen gegeben hat und die
infolge seines grösseren malerischen Könnens das Holzschnitzartige
verloren haben und den Originalen gerechter werden, als die der
meisten seiner Vorgänger und seiner Mitstrebenden, wenn sie auch
immerhin noch nebensächlich behandelt erscheinen, sind zu erwähnen:
Auf der ~Beschneidung Christi~ des ~Kaisheimer Altares~ der kniende
Abt Georg zu Kaisheim, ein ganz besonders lebendiger Kopf. Auf der
schon erwähnten ~Gedenktafel~, welche ~Ulrich Walter~ im Jahre 1502
seinen hochwürdigen Töchtern Anna und Maria, Priorin bez. Küsterin
des Katharinenklosters, für den Kreuzgang desselben gestiftet hat,
und zwar auf dem rechten Seitenbild mit der Heilung des Besessenen,
No. 67, dreizehn weibliche Mitglieder der walterschen Familie, unter
ihnen die Mutter, Frau Barbara, geb. Riedler, nebst zwei Dienerinnen,
und auf dem linken, Nr. 66, der Speisung der Viertausend, neun
männliche Mitglieder, vorn der greise Stifter Ulrich Walter selbst, im
Pelzrock, den Rosenkranz haltend. Von diesen Figuren sind die Mehrzahl,
namentlich auf der Männerseite, nicht nur vortrefflich in der Farbe
modelliert, sondern müssen auch als Konterfeie »der ganzen walterschen
Freindschaft«, und die bestand beim Tode des Seniors aus nicht weniger
denn 133 lebenden Kindern, Enkeln und Urenkeln, viel Freude bereitet
haben.
[Illustration: ~Epitaph d. Bürgermeisters Schwartz von Holbein d. Ä.~
Augsburg, Privatbesitz.
Nach einer Photographie von Hoefle, Augsburg.]
Das beste aber an feiner malerischer Behandlung und individueller
Bildung und Differenzierung der Physiognomien hat Holbein in
dem ~Epitaph~ des 1478 hingerichteten ~Bürgermeisters Ulrich
Schwartz~ vom Jahre 1508, im Besitze der Familie von Stetten in
~Augsburg~, geleistet. Fünfunddreissig Personen, unter ihnen der
Bürgermeister, sein Sohn Ulrich und dessen drei Frauen (die dritte,
ihn überlebende, Anna Friess, ganz vorn), noch nach althergebrachter
Weise angeordnet, aber jede einzelne von selbständiger Bedeutung und
mit dem Bewusstsein des Wertes ihrer Persönlichkeit, nicht mehr die
mittelaltrige Beterschar, die dem Gotte gegenüber nur als Symbol des
Menschengeschlechtes zu erscheinen wagt, — »eine Musterversammlung
protziger, kräftiger Menschen« (Janitschek). Hier hat der alte Meister
gezeigt, wie er mit jugendlicher Triebkraft sich den Idealen einer
neuen Zeit zugewandt hat. Leider ist das Bild sehr beschädigt, doch
scheut der jetzige Besitzer, vielleicht mit Recht, die Gefahren einer
Restaurierung.
Es wäre gewiss interessant zu erfahren, wie der ältere Holbein sich
dem unabhängigen Einzelporträt gegenüber verhalten hat. Woltmann I,
87 erwähnt das ~Porträt~ eines jungen, blühenden, blonden, bärtigen
jungen Mannes, in Pelzkleid und Pelzhaube, eine Schriftrolle in der
Hand, aus dem Jahre 1513 im Besitze des Grafen ~Lanckoronski~ zu ~Wien~
und S. 88 das ~Bildnis~ eines Mannes aus derselben Zeit, der einen
silbernen Becher in der Rechten hält — den Hintergrund bildet eine
Renaissance-Architektur —, ehemals im ~Palazzo Manfrin~ zu ~Venedig~.
Die Bilder, ich habe sie leider nicht selbst gesehen, sollen weit
hinter dem zurückbleiben, was man nach seinen Skizzen erwarten könnte.
Andere sichere Porträts scheinen von ihm nicht bekannt zu sein, sei es,
dass sie sich unter der handwerklichen Ware der Provinzialsammlungen
verbergen, sei es, dass der Meister überhaupt wenig Aufträge dieser
Art erhalten hat. Das ~Porträt~ eines jungen Mannes im roten Rock und
rotem Barett auf blauem Grunde in ~Darmstadt~, welches Janitschek
ihm zusprechen wollte und das Woltmann als mutmassliche Arbeit des
Ambrosius Holbein aufführt, gilt neuerdings wohl allgemein als
ein frühes Werk des jüngeren Holbein. — Das in ~Stuttgart~ unter
Nr. 500 der Schule des älteren Holbein zugeschriebene freundliche
~Kinderköpfchen~ auf grünem Grund, eine pausbackige, sächsische
Prinzessin mit roten Haarflechten und golddurchwirkter Haube, gehört
wohl der cranachschen Werkstatt an, und das ebenda unter No. 515
derselben Schule zugewiesene ~Brustbild~ einer betenden Frau ist
schwerlich deutschen Ursprungs.
Nachdem er den Sebastiansaltar geschaffen hatte, hört man wenig mehr
von Holbeins künstlerischer Thätigkeit, und ein Werk von ihm ist von
nun an nicht mehr nachweisbar. Er hatte in seiner bürgerlichen Existenz
Schiffbruch gelitten, konnte seinen städtischen Verpflichtungen nicht
nachkommen, und die Schuldklagen gegen ihn häuften sich mehr und mehr.
Im Jahre 1524 wird er als verstorben erwähnt. So teilte er dasselbe
Künstlerlos mit so manchem grossen Meister, mit Franz Hals, Ruisdael,
Vermeer und Rembrandt, mit denen er freilich wenig mehr gemein hat als
das Unterliegen im Kampfe um Anerkennung und Belohnung von seiten
der Mitlebenden, denn dem wirklichen Talente gegenüber erscheint er
schliesslich doch nicht mehr als ein Meister zweiten Ranges — die
herrliche Schöpfung des Sebastiansaltars ausdrücklich ausgenommen —,
ein Vorarbeiter auf einer Bahn, auf der ein Grösserer als er das Ziel
erreichen sollte.
Von den in Augsburg neben Holbein d. Ä. thätigen Künstlern
zeichnet sich ~Leo Frass~, der eines der Basilikenbilder für das
Katharinenkloster gemalt hat, durch tüchtige, aber künstlerisch nicht
gerade bedeutende, grobknochige und unerfreuliche Charakterköpfe aus,
~Gumbolt Giltlinger d. Ä.~ dagegen, thätig als Tafelmaler seit 1481,
gestorben 1522, durch wenig tief erfasste und etwas ausdruckslose
Ateliergesichter. Auf seiner ~Anbetung der Könige~, von der sich
ein bezeichnetes Exemplar im Besitz des Landgerichtsrats Hoffmann
in ~Augsburg~, ein anderes im ~Louvre~ befindet, No. 2739, Klass.
Bilderschatz 189 und 1203, scheinen einige Personen des königlichen
Gefolges die Züge bestimmter Persönlichkeiten zu tragen. Eine Anbetung
der Könige in der ~Augsburger Galerie~, No. 102, ist nach dem Katalog
mutmasslich eine Replik des jüngeren Giltlinger, möglicherweise ist
dort in dem zweiten König, Balthasar, ein Porträt des Anton Fugger
gegeben.
Augsburgischer Kunstweise verwandt sind die in dem dortigen
~Maximilians-Museum~ aufbewahrten Darstellungen der ~Geburt~ und
der ~Anbetung der Könige~, »Schwäbisch um 1480«; auf letzterer sind
vielleicht sämtliche drei Könige Porträts.[48] Italienischer Einfluss
ist auf allen diesen Werken zu erkennen.
Die Besprechung der Thätigkeit ~Hans Burgkmairs~ liegt ausserhalb
des Rahmens dieser Betrachtungen, denn schon in den frühsten
seiner bedeutenderen Arbeiten, den Basilikenbildern, die er in den
ersten Jahren des 16. Jahrhunderts neben dem älteren Holbein im
Katharinenkloster malte, zeigt er sich als auf dem Boden der neuen
Zeit stehend, als ein Künstler der Renaissance, zu welchem er sich
durch die Kenntnis oberitalienischer, besonders venetianischer
Malerei herangebildet haben mag. Die von ihm als fünfzehnjähriger
Knabe ausgeführte Kopie des schongauerschen Selbstbildnisses ist
schon erwähnt worden (S. 105), hier mag noch ein zwei Jahre später
gemaltes Porträt genannt werden, also aus einer Zeit, wo er noch
unter dem Einflusse der deutschen, und zwar der elsässischen Kunst
steht. Es ist das der in ~Schleissheim~ unter No. 141 befindliche,
1445 geborene ~Geiler von Kaisersberg~. Das Brustbild ohne Hände,
vor dunkelblau-grünem Hintergrund, in schwarzem, bis zum Hals
geschlossenen Rock und hoher, fezartiger schwarzer Mütze, der Kopf, in
dreiviertel Ansicht nach rechts, zeigt die Hand eines Anfängers, der
noch ganz in mittelaltriger Kunstübung wurzelt. Die Züge des scharf
konturierten Kopfes sind hart und metallen, und die zahlreichen und
tiefen Gesichtsfurchen geben ihm einen ängstlichen und bekümmerten
Ausdruck. Die Lippen sind schmal und ein wenig geöffnet, ihre
Umrisslinien scharf, wie mit dem Messer ausgeschnitten. Der Fleischton
ist schmutzig-gelbraun. Ohne einen bestimmten Gegenstand zu fixieren,
ist der leere, beinahe gespenstische Blick in die Ferne gerichtet.
Von dem Geiste der gewaltigen Persönlichkeit des Kanzelredners,
»der helltönenden Posaune von Strassburg«, des gedankenreichsten
und feinsten Menschenkenners seiner Zeit, der damals in seinem
fünfundvierzigsten Jahre stand, ist in dieser kindlich-befangenen
Arbeit wenig zu verspüren.
[Illustration: ~Porträt des Geiler von Kaisersberg~,
von Hans Burgkmair, Schleissheim.
Nach besonderer Aufnahme.]
* * * * *
In ~Nördlingen~, wohin er von Rothenburg gekommen war, malte 1462
~Friedrich Herlin~, ein Schwabe von Geburt, wahrscheinlich aus Ulm
stammend, den ~Hochaltar für die Georgskirche~. Auf den ersten Blick
erkennt man den Nachahmer der Niederländer, insbesondere Rogers,
dessen Einfluss von nun an in Schwaben der herrschende wird. Zu einer
selbständigen künstlerischen Ausdrucksform, wie z. B. Schongauer,
der auch bei den Flamen studierte, hat er es niemals gebracht. Das
Technische, die Leuchtkraft der Farbe und die feierliche Komposition
hat er seinen Vorbildern erfolgreich abgesehen, aber den Schein der
Körperlichkeit vermag er seinen Gestalten nicht zu verleihen. Seine
Figuren mit den langgezogenen Gesichtern, den langen und breiten
Nasenrücken und den scharfgeschlitzten, nach den äusseren Winkeln
stark heruntergezogenen Augen, wirken hart und erinnern an flache
Holzschnitzreliefs. Auch seinen Stifterbildnissen, die übrigens als das
beste bezeichnet werden müssen, was er überhaupt zu geben imstande war,
haftet dieser Mangel an. Aber er hat sie sorgfältiger behandelt als die
Mehrzahl seiner schwäbischen Malergenossen, und dass er sie da, wo sie
mit heiligen Personen zu einer Handlung vereinigt sind, von derselben
Grösse darstellt wie diese, ist ein künstlerischer Fortschritt und ein
Beweis für ein verändertes Verhältnis des Menschen zu Gott, für eine
Befreiung von dem mittelaltrig-dumpfen Herdengefühl, zu dem Herlin,
vielleicht dank der auf seiner niederländischen Reise erhaltenen
Anregungen, recht wohl sein Scherflein beigetragen haben mag.
In der ~städtischen Sammlung von Nördlingen~ hängen u. a. ~zwei
Flügel~ des schon erwähnten ~Georgsaltares~, auf dem einen sechs
männliche, auf dem anderen vier weibliche Mitglieder der Familie
des reichen Nördlinger Bürgers Jakob Fuchshart. In einem von zwei
Fenstern erhellten Raume kniet, von den übrigen abgesondert, der greise
Stifter mit weisser Perücke. Ein aus dem Groben gearbeiteter Kopf mit
schlichtem, nicht unintelligentem Ausdruck, wie man ihn wohl noch heute
in schwäbischen Städten mit vorwiegend landschaftlichem Charakter
antrifft, hinter ihm seine Söhne, jeder einzelne in seiner besonderen,
nicht gerade gewinnenden Eigenart gekennzeichnet. Die vier Frauen knien
in naturholzfarbenen Betstühlen vor einem ausgespannten oliven-grünen
gemusterten Teppich, drei in Schwarz, eine in Rot gekleidet, nach der
Sitte der Zeit den Kopf von grossen, blendend weissen, gestreiften
Tüchern haubenartig umschlungen. Das Inkarnat ist heller als bei den
Männern, auch sie sind, wiederum ein Fortschritt, ebenso vortrefflich
individualisiert wie jene.
[Illustration: ~Flügel des Georgsaltars von Herlin.~ Nördlingen.
Nach Photographie.]
Auf einem dreiteiligen ~Altar~ von 1488 in derselben Sammlung kniet,
nicht auf dem Flügel, sondern auf dem Mittelbilde, unmittelbar vor der
Gottesmutter mit dem Kinde, die Familie des Stifters: gleichfalls recht
gute Porträts, in denen eine örtliche Ueberlieferung, der freilich
Schnaase widerspricht, Herlin selbst mit den Seinen erkennen will.
Klass. Bilderschatz 1376.
In der städtischen Sammlung befindet sich ferner ein ~Ecce Homo~
von 1468, vor welchem im Betstuhl, einen langen Pelzmantel um die
Schultern, der Stifter kniet: Hans Genger, Kirchenbaupfleger und Bürger
von Ulm, dieser jedoch, wie noch einige andere herlinsche Donatoren in
Nördlingen, in der alten nebensächlichen Art und verkleinerter Gestalt
behandelt.
In der ~Jakobskirche von Rothenburg~, die übrigens auch einen 1466
bezeichneten Altar Herlins besitzt, wird in der jetzt leider gänzlich
verwahrlosten Blutkapelle ein vortreffliches Bild der ~Maria mit dem
Kinde und der h. Barbara~, bez. 1467, aufbewahrt, das mit grosser
Wahrscheinlichkeit demselben Meister zuzuschreiben ist (dort Wolgemut
genannt). Die in der Kirchentracht mit vier blonden, blühenden Kindern
erschienene Stifterin, in nur wenig verkleinertem Massstabe, ist
besonders sorgfältig behandelt. Neben ihr ein Wappen mit einem Einhorn.
An einigen beschädigten Stellen des Bildes ist zu erkennen, dass die
Holztafel vor Auftrag des Kreidegrundes mit Leinwand überzogen war.
Dieses Hilfsmittel, um etwaige beim Trocknen des Holzes entstehende
Sprünge von vornherein zu verbergen, ist mir, nebenbei bemerkt,
auf Werken des 15. Jahrhunderts mehrfach begegnet, besonders auf
altkölnischen Bildern. Zuweilen sind auch Sprünge, die schon vor dem
Bemalen im Holz vorhanden waren, mit Werg ausgestopft.
Gleichfalls nicht ganz sicher von Herlin ist ein ~Epitaphium~ einer
Frau Müller in der ~Georgskirche~ zu ~Nördlingen~, am alten Rahmen
mit 1463 bezeichnet, welches Christus am Kreuz zwischen Maria und
Johannes und die Stifterfamilie zeigt. — Einen, nach der Abbildung
im klassischen Bilderschatz 1220 zu schliessen, vortrefflichen
Stifter, ein Brustbild, das unten mit dem Rahmen abschneidet, eine
höchst seltene Darstellungsweise, mit dem h. Christophorus und dem
h. Sebastian in der ~Sammlung Marcuard~ in ~Florenz~, habe ich im
Original nicht gesehen. — Dass der Nachahmer Rogers Einzelporträts
gemalt hat, ist anzunehmen, aber nicht nachzuweisen. In keiner Sammlung
wird ihm ein Porträt zugeschrieben. Vielleicht aber dürfte auf ihn
ein im Besitz des Herrn Dr. ~A. Burckhardt-Burckhardt~ in ~Basel~,
früher in der Sammlung des Grossherzogs von Baden, befindliches
~Brustbild~ zurückgeführt werden, das mit der Jahreszahl 1488
bezeichnet ist. Der gut detaillierte, an einigen Stellen übermalte
Kopf, den eine haubenartige Mütze bedeckt, gehört einem hoch in den
Dreissigen stehenden Manne an. Beide Hände sind sichtbar, die linke
ruht auf einer Brüstung, die rechte, mit ihren spinnenbeinartigen,
knochenlosen, widerlichen Fingern, die man sich scheuen müsste zu
berühren, hält einen Zirkel, — also wohl ein Mathematikus. Die
dunkelgemusterte Wand des Hintergrundes ist links für einen Ausblick
in die Landschaft geöffnet; allerdings ist es nicht unmöglich, dass
dieser Teil der Staffage von späterer Hand hinzugemalt worden ist. Den
Hinweis auf die vermutliche Urheberschaft dieses in der Farbe guten,
in der Modellierung ziemlich schwachen Werkes verdanke ich Dr. Daniel
Burckhardt.
[Illustration: ~Männliches Porträt.~
Im Besitz von Dr. A. Burckhardt in Basel.
Nach besonderer Aufnahme.]
* * * * *
Die Kunst der übrigen am Oberrhein und in Schwaben thätigen Maler
wird vornehmlich von Schongauer, Zeitblom und dem älteren Holbein
bestimmt. Für die Geschichte des Menschenbildnisses sind sie kaum von
Interesse. Der vielgenannte ~Meister von Sigmaringen~, hauptsächlich
vertreten in den Sammlungen von Sigmaringen und Donaueschingen — ein
gutes Bild auch in Schleissheim No. 136, jedenfalls ~nicht~ von dem
Meister des Amsterdamer Kabinets —, obwohl noch im 16. Jahrhundert
thätig, zeigt bei guter Naturbeobachtung doch nur Typen, die uns von
Zeitblom her bekannt sind. Eine kleine, steife Stifterin auf dem Bilde
No. 33 in Donaueschingen, in der Tracht der Dominikanerinnen, ist
ganz unbedeutend. Auf eine nahe Verwandtschaft mit demselben Meister
weisen die Bilder von ~Klaus Strigel~ hin — der ganz hervorragende
Porträtmaler Bernhard Strigel gehört mit seinen Hauptwerken bereits dem
neuen Geiste des 16. Jahrhunderts an —; dem älteren Holbein nahe steht
der Maler der »~Blaren-Tafel~« aus der Kapelle des Spitals S. Augustin,
jetzt im ~Rosgarten-Museum zu Konstanz~, den Tod Mariä darstellend,
übermalt, mit einem recht ungeschickten, hölzernen Stifter,
(Diethelm?); zeitblomsche Typen zeigt ein grosser ~Altar~ von 1498 in
~Mittelzell~ auf der Reichenau, auch manches in der Neidhartkapelle des
~Ulmer Münsters~.
Alle diese meist sehr mittelmässigen Bilder aufzuführen, ist zwecklos,
ich erwähne nur die folgenden, die ein gewisses ikonographisches
Interesse haben:
In der ~Heidelberger Schlosssammlung~ unter No. 370 die ~Stiftung des
Rosenkranzordens~: Drei von Rosenkränzen umrahmte Darstellungen, auf
der rechten ein vornehmer Mann in goldbrokatenem Gewande, dem ein
Dominikanermönch von der Kanzel herab den Rosenkranz überreicht. Das
scharf im Profil genommene Gesicht des ersteren, bartlos, mit Adlernase
und Lockenhaar, hat einige Aehnlichkeit mit einem in derselben Sammlung
befindlichen Porträt Friedrichs des Siegreichen (No. 416). Sonach
könnte das Bild vielleicht zum Danke für das von diesem Fürsten 1476
in Heidelberg erbaute Dominikanerkloster (an der Stelle des heutigen
Friedrichsbaues) gestiftet worden sein. Bemerkenswert ist übrigens
hier die treffliche Bewältigung der Perspektive bei ungewöhnlich hohem
Augenpunkte. Die Herkunft des Bildes ist unbekannt.
[Illustration: ~Stiftung des Rosenkranzordens.~
Heidelberg, Schloss, städtische Sammlung. Teilbild.
Nach einer Photographie von Edmund von König.]
Ein ~Schnitzaltar~ in der Pfarrkirche von ~Dettlingen~,
Hohenzollern,[49] gestiftet 1491, zeigt recht gute Donatorenbildnisse:
auf dem rechten Flügel Burkhard von Ehingen zu Diessen in voller
Rüstung zu Füssen des h. Christophorus, auf dem linken Flügel seine
Hausfrau Barbara von Neuneck kniend vor der Madonna mit dem Kinde.
Beide sind von derselben Grösse wie die Heiligen.
In der ~Stuttgarter Gemäldesammlung~ unter No. 518 bis 520 eine
merkwürdige, 1489 bezeichnete Tafel mit vierundzwanzig kleinen, wie
vergrösserte Buchillustrationen erscheinenden Darstellungen einer
wunderlichen ~Legende~. (Wichtig für die Datierung der schongauerschen
Stiche B. 17 und B. 22, die hier kopiert sind. Lehrs.) Auf den zwei
Seitenbildern dieser Tafel sind die Stifter gemalt, und zwar sehr
bemerkenswerterweise erscheinen sie hier zum ersten Male in ~ganzer
stehender Figur~ von etwa einem Meter Höhe und ohne von einem
Schutzpatron begleitet zu sein. Auf dem einen Seitenbild Herzog Wolf
von Schwaben, eine edele Jünglingsgestalt in reicher, goldbrokatener
Tracht, den Herzogshut auf dem herabwallenden Goldhaar, ein
Kirchenmodell in der Hand haltend, auf dem anderen Seitenbild seine
jugendliche Gemahlin Juditha von Flandern, in rotem, grüngesäumten
Gewand, mit der hohen, durch Drähte gestützten burgundischen Haube,
über welcher ein zarter weisser Schleier gelegt ist. (Ein spätes
Beispiel für das Vorkommen dieser etwa seit 1440 nachweisbaren
Kopfbedeckung.) Beide Figuren sind mit feinem koloristischen Sinn auf
dunkeln Grund gemalt. Die Bilder werden in Stuttgart »Schwäbische
Schule« genannt; aber sollten diese vornehmen, liebenswürdigen
Erscheinungen nicht doch vielleicht von einem flandrischen oder
burgundisch-französischen Maler herrühren?
In derselben Sammlung unter No. 501 »unbekannter Meister« ein
Doppelbild, ~Anbetung der Weisen~ und ~Beschneidung Christi~, mit
zwei Seitenbildern, auf dem einen der württembergische Graf Ulrich
der Vielgeliebte, in hellbrauner Plattenrüstung, einem Perlenreif mit
Reiherstutz auf dem roten Lockenhaar, recht gut individualisiert,
auf dem andern seine drei Gemahlinnen, diese kaum voneinander zu
unterscheiden. Die unpatronisierten Stifterfiguren sind hier grösser
als die Heiligen der beiden Mittelbilder.
Schliesslich seien noch zwei lebensgrosse, unpatronisierte ~Bildnisse
in ganzer stehender Figur~ erwähnt, welche einst die Flügel eines
Altars der Hauskapelle in der Stallburg zu Frankfurt a. M. gebildet
haben und sich jetzt unter No. 75 und 76 im ~städelschen Kunstinstitut~
befinden. Auf den nach 1788 angefertigten Rahmen beider ist der Name
der Dargestellten, ihr Alter und das Jahr der Anfertigung angegeben.
Das eine ist das Porträt des fünfunddreissigjährigen Frankfurter
Patriziers Claus Stalburg vom Jahre 1504, das andere das seiner
Gattin, der zwanzigjährigen Margarethe Stalburgerin, gleichfalls von
1504. Die Bilder sind von dem aus Schwäbisch-Gmünd gebürtigen Maler
~Jerg Ratgeb~ hergestellt und lassen bereits den dürerschen Einfluss
erkennen. (Eigenartige Passionsdarstellungen desselben Meisters in der
Stuttgarter Altertümer-Sammlung.)
* * * * *
Unabhängige Porträts aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, der
oberrheinischen oder schwäbischen Richtung angehörend, finden sich
vereinzelt in den Sammlungen Deutschlands und Oesterreichs. Ich erwähne
die folgenden:
Zwei recht handwerksmässige »~Klappbilder~«, nach Art der Diptychen,
zum Aufstellen oder zur Aufbewahrung in einer Lade bestimmt, im
gotischen Zimmer des ~Baseler historischen Museums~. Beide mit 1487
bezeichnet, auf der Innenseite der einen Klappe das Brustbild der
Dargestellten auf blauem Grund: einmal ein weltlich gekleidete junger
Mann, eine Blume in der Hand haltend, das andere Mal ein Mönch; auf der
Innenseite der anderen Klappe in beiden Fällen ein Totengerippe.
In der ~städtischen Sammlung zu Mainz~ unter No. 444 ein 1482
datiertes ~Porträt~ des Ulmer Dombaumeisters Moritz Ensinger, links
oben ein Wappenschild mit zwei Zangen, rechts oben die Jahreszahl.
Brustbild auf rotem Grund, der Kopf in dreiviertel Ansicht nach links.
Der Dargestellte, der eine hohe schwarze Mütze trägt, mag in der
Mitte der Vierziger stehen. Der Ausdruck des hohlwangigen, schlecht
rasierten Handwerkergesichts ist, im Gegensatz zu den sonstigen
spätmittelaltrigen Bildern, völlig unbefangen, aber gleichgiltig,
beinahe gelangweilt. Die Ausführung ist unfrei, zeichnerisch, nicht
malerisch, und ohne jede Kraft der Formen und Farben. Schwerlich von
einem bedeutenden Meister.
Ein anderes, einem unbekannten Ulmer Maler zugeschriebenes ~Porträt~
befindet sich in ~Stuttgart~ unter No. 503. Brustbild eines Mannes in
mittleren Jahren mit feinen Gesichtszügen, ohne Hände, auf dunkelgrünem
Grund. Er trägt unter der offenstehenden schwarzen Schaube einen
braunen Rock, den Kopf bedeckt ein schwarzes Barett. Sauber mit dem
Pinsel gezeichnet. Wohl vom Ende des 15. Jahrhunderts.
In der ~Stuttgarter Altertümersammlung~ das ~Brustbild~ einer
Augsburgerin Welser, geb. Ungelter, von etwa 1500, — eine junge,
gesunde, frisch aussehende Frau mit reich gestickter Haube auf rotem
Grunde. Die Freude des 16. Jahrhunderts an kostbarem Geschmeide ist
schon hier an Ketten und Ringen zu erkennen.
In der städtischen Sammlung auf dem ~Heidelberger Schloss~, No. 416,
ein recht gutes ~Brustbild~ Kurfürst Friedrichs I. von der Pfalz (1449
bis 1476), im Brokatrock mit Hermelinbesatz, roter Mütze, auf schwarzem
Grunde. Die gänzlich verzeichneten Hände halten ein Blatt Papier oder
einen Brief. Manches, insbesondere die Haarbehandlung, erinnert an
den viel späteren Baldung, doch kann das Bild immerhin noch im 15.
Jahrhundert gemalt sein. Die Porträts unter No. 417 und 418 sind freie,
aber schlechte spätere Handwerkerkopien desselben Bildes.
* * * * *
Es erübrigt nun noch am Schlusse der oberrheinischen und schwäbischen
Schulen kurz auf zwei ~schweizer Maler~ hinzuweisen, die für die
Geschichte der Entwickelung des Bildnisses in der vordürerischen Zeit
von einiger Bedeutung sind: Hans Herbst, in dessen Werkstatt vermutlich
Holbein der Jüngere gearbeitet und der den männlich schönen Lehrmeister
porträtiert hat,[50] und Hans Fries, den eigenartigen, bäurischderben
Maler von Freiburg.
~Hans Herbst~ ist 1468 geboren, war um die Wende des Jahrhunderts der
gefeiertste Künstler in Basel und ist erst 1550 im Alter von 82 Jahren
gestorben.
Im Besitze des Herrn Dr. ~Stückelberg~ in ~Basel~ befindet sich
das ~Brustbild~ eines etwa fünfundzwanzigjährigen Mannes, das
durch eine alte Inschrift und die Identität der Persönlichkeit mit
der des Londoner Porträts mit grosser Wahrscheinlichkeit als ein
~Selbstbildnis~ des Malers beglaubigt sein soll. Ich selbst habe das
Werk nicht gesehen. D. Burckhardt[51] sagt von ihm: Die Färbung ist
ziemlich kräftig, von einem hellgrünen Hintergrund hebt sich der mit
einem roten Barett bedeckte Kopf trefflich ab. Das Gesicht ist flach
mittels leichter brauner Schatten modelliert. — Auf Grund dieses Bildes
schreibt Burckhardt dem gleichen Meister ein ~Porträt~ bei Herrn
~Merian Thurneysen~, ~Basel~, und zwei ~Porträts~ im ~Baseler Museum~
zu, Nr. 92 und 93. Diese letztgenannten beiden Bildnisse, bereits dem
16. Jahrhundert angehörig, vor einfarbigem Hintergrund, wenig bedeutend
im Ausdruck, kräftig in der Farbe, doch etwas hart in der Modellierung,
scheinen mir auf einen späten Vertreter der schongauerschen Richtung
hinzuweisen. Bayersdorfer hält sie für Arbeiten Baldungs.
Von ~Hans Fries~, geb. 1465, thätig zumeist in seiner Vaterstadt,
gest. um 1520, sind mir weder Porträts noch Stifterbildnisse bekannt,
doch muss sein Name um der urwüchsigen Kraft seiner Gestalten, die an
die des älteren Holbeins beinahe heranreicht, ja oft schon an Dürer
gemahnt, mit denen der grossen Menschenbildner seiner Zeit genannt
werden. (Germanisches Museum Nr. 172 bis 177, zwei Tafeln im Freiburger
Museum, ein 1506 datiertes Gemälde des Franziskaner Klosters zu
Freiburg, von dem sich zwei Flügel in Schleissheim befinden, Nr. 137,
Klass. Bilderschatz 1573, und mehreres in Basel, Nr. 45 bis 52.)
5. Baiern, Oestreich, Tirol.
Wesentlich verschieden von allem bisher Behandelten ist das Gesamtbild
der ~bairischen Malerei~. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts
rauh und derb, in schwesterlicher Verwandtschaft mit der Holzplastik,
einheitlich geschlossenen Charakters, unberührt so von nordischen wie
südlichen Einflüssen, ist sie ein treues Spiegelbild bajuvarischer
Stammesart und eine beredte Zeugin gegen die oft gehörte Behauptung,
der Naturalismus der deutschen Malerei verdanke insgesamt flämischem
Import sein Dasein. Erst gegen die Mitte des Jahrhunderts verändert
sie langsam bei einzelnen Meistern ihr knorriges Gesicht, aber es ist,
wenigstens in den östlichen Teilen des Landes, nicht ein von Gent oder
Brügge herüberstrahlendes Licht, das diesen Wandel hervorruft, sondern
ein schwacher Wiederschein italienischer Kunst, der, vornehmlich von
Padua her, über Südtirol und Salzburg zu ihr drang.
Am längsten und zähesten hat sich Rauheit und Urwüchsigkeit, ohne eine
Spur idealer Verklärung, in den ~westlichen Gebieten~ Baierns erhalten,
im Isarthal, besonders in München selbst.
Ein schlagendes Beispiel dieser Art ist eine ~Kreuzigung~ aus
~Benediktbeuern~, die sich jetzt in ~Schleissheim~ unter Nr. 68
befindet und die etwa um die Mitte des Jahrhunderts entstanden
sein mag. An graussigen Details, schauerlichen Höllenfratzen und
Pferdeschnuten wird hier das denkbar Mögliche geleistet, aber bei
all ihrer Uebertreibung sind diese grimassierten Gesichter von einer
geradezu unheimlichen Lebenswahrheit. Die Gruppe der drei Verschwörer
oder was es sonst für bassermannsche Gestalten sind, die vor dem Kreuze
stehen, namentlich der in der Mitte mit dem weissen Schnurrbart und den
buschigen Brauen, dann der wilde Kerl zu Pferde, der in der kühnsten
Verkürzung über eine Armbrust aus dem Bilde heraus auf den Beschauer zu
zielen scheint, wird man nie wieder vergessen, wenn man einmal ihnen
gegenüber gestanden hat.[52]
[Illustration: ~Teilbild aus der Kreuzigung
von Benediktbeuern.~
Schleissheim.
Nach besonderer Aufnahme.]
Einen ähnlich übertriebenen, man darf wohl sagen scheusslichen
Naturalismus zeigen die ~Passionsbilder~, die ~Gabriel Mächselkircher~
1480 für das Kloster von Tegernsee gearbeitet hat, jetzt in
~Schleissheim~, Nr. 73 und 74. Diese Karikaturen — der bartlose
Christuskopf darf von dieser Bezeichnung nicht ausgenommen werden
— sind hier umso widerlicher, als sie sämtlich wie in einen fahlen
Leichenton getaucht erscheinen. Nicht minder krasse Physiognomien hat
er auf zwei ~Altarflügeln~ angebracht, die gleichfalls aus Tegernsee
stammen und jetzt in der Bildersammlung von ~Burghausen~ unter Nr. 9
und 10 aufbewahrt werden. Die Entkleidung Christi vor der Kreuzigung,
Nr. 10, ist brutaler sicherlich nicht in dem wildesten Passionsspiel
einer rohen Volksmenge vorgeführt worden. Dagegen sind die abgesägten
Kehrseiten dieser beiden Flügel, ebenda Nr. 11 und 12, ~Enthauptung~
und ~Bestattung des h. Sigismund~, mit der von ferne an Konrad Witz
erinnernden Behandlung der Architektur und Landschaft, von einer so
auffälligen Ruhe und verhältnismässig würdigen Auffassung, dass man
wohl geneigt sein kann, hier eine andere Hand als die Mächselkirchers
zu vermuten.
Derb und karikiert sind auch die Köpfe, welche ~Uelrich Fuetrer~ 1457
auf seiner ~Kreuzigung~, ~Schleissheim~, No. 71, gemalt hat. Nur die
Fleischtöne und das goldig blonde Haar sind in Farben gegeben, die
Figuren selbst sind in einem weisslich grauen Ton gehalten, der die
Steinskulptur nachahmen will.
Während bei allen diesen Werken keine Spur eines fremdländischen
Einflusses zu entdecken ist — allenfalls könnte man vielleicht an
Anregungen aus dem benachbarten Franken denken —, kommt in den Arbeiten
des Hofmalers ~Hans Olmendorfer~ (1460 bis 1518) die bairische Eigenart
nicht mehr ganz unverfälscht zum Ausdruck, doch wäre es wohl gewagt,
bei ihm die persönliche Kenntnis italienischer Kunst vorauszusetzen.
In der gotischen Kirche des ~bairischen Nationalmuseums~ steht ein von
ihm 1492 für die ehemalige Franziskaner-Kirche gemalter ~Altar~ von
mächtigen Abmessungen. Das Hauptbild stellt die Kreuzigung dar. Die
Figuren sind ohne das geringste Gefühl für Gruppierung, Linienführung
und Farbenwirkung bunt und wahllos nebeneinander gestellt, aber ihre
Physiognomien sind lebendig und individuell, ohne grimassiert zu sein.
Irgend welche Lokalgrössen scheint Olmendorfer ebensowenig wie die ihm
vorangegangenen Malermeister als Assistenten der Handlung porträtiert
zu haben, dagegen hat er den Stifter des Altars, den 1508 gestorbenen
Herzog Albrecht IV. (III.), den Weisen, im Alter von 45 Jahren, kniend
in ritterlicher Rüstung und mit mässig langen Schnabelschuhen, und
seine etwa 40 Jahre alte Gemahlin Kunigunde, Tochter Kaiser Friedrichs
III., in reichem Brokatkleid und weisser Haube auf den Aussenseiten der
Flügel in schlichten und lebensvollen Bildnissen dargestellt.
Edler und monumentaler als dieser ist der angeblich auch von ihm
gemalte ~Altar~ der Kirche von ~Blutenburg~ bei München von 1491, wenn
auch — der gross und mächtig wirkende Kopf Gott Vaters ausgenommen
— die Charakterisierung der Gestalten schwächlicher ist. Es ist
das nicht der einzige Fall, wo ein deutscher Künstler, dem der
Wirklichkeitssinn gewissermassen im Blute liegt, zu einer Verwässerung
des Wesensausdrucks gelangt, wenn er sich um eine ideale Auffassung
der Dinge bemüht.
[Illustration: ~Porträt des Herzogs Sigmund.~ Schleissheim.
Nach besonderer Aufnahme.]
Ein vortreffliches ~Porträt des~ 1439 geborenen ~Herzogs Sigmund von
Baiern~ in ~Schleissheim~, No. 86, wird dort gleichfalls Olmendorfer
zugeschrieben. Brustbild, Kopf in dreiviertel Wendung nach rechts,
ohne Hände, hellgelber Hintergrund. Das schwarze Gewand mit rotem
Aufschlag von weichem, wolligem Stoff lässt den Hals frei, auf welchem
eine schwarze Schnur sichtbar ist. Das Kleinod oder Amulett, das sich
wohl an ihrem Ende befinden mag, verbirgt sich unter dem Gewand,
das Haar umschlingt ein netzartiges Tuch. Der starkknochige Kopf ist
mit Hilfe brauner Schatten gut gerundet. Die leicht mit dem Pinsel
gezeichneten Hautfalten, besonders jene an den äusseren Augenwinkeln,
deuten auf ein Alter von etwa vierzig bis fünfundvierzig Jahren.
Die Lippen sind negerartig wulstig gebildet. Der Fleischton zeigt
ein dunkles Braun. Herzensgüte und Empfänglichkeit für alles Gute
und Schöne, Sinnlichkeit, Leichtsinn und ein Hang zur Trägheit, all
das Menschliche, Allzumenschliche in der Natur dieses wittelsbacher
Sonderlings ist in seinem Porträt zum Ausdruck gebracht. »Ihm war
wohl mit schönen Frauen,« erzählt ein zeitgenössischer Chronist, »mit
weissen Tauben, Pfauen, Meerschweinchen, Vögeln und allerlei seltsamen
Tierlein, auch mit Saitenspiel«. Erst achtundzwanzig Jahr alt entsagte
er der Regierung, nach seinen eigenen Worten »infolge der Blödigkeit
seines Leibes, nicht gern Mühe und Arbeit tragend und mehr geneigt
sich ein geruhigtes Wesen ohne alle Bekümmernis zu machen«. Die in
wunderlichem Latein wohl später hinzugefügte Inschrift besagt, dass der
Herzog damals in Obermenzing (Blutenburg) seinen Wohnsitz hatte.
Andere Künstler, die mit bestimmten Werken des westlichen und
nördlichen Baierns in Beziehung zu bringen wären, sind mit ihren Namen
nicht bekannt. Immerhin bedürfen einige Bilder dieser Ignoti hier einer
kurzen Erwähnung.
Spätestens aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts, wenn nicht schon
aus früherer Zeit, stammt ein ~Altar von Weildorf~, der sich
jetzt in der ~Klaren-Kirche~ von ~Freising~ befindet. Der Inhalt
und die Darstellungsformen dieser kleinen Tafelbilder, sowie die
vollen rundlichen Gesichter der heiligen Personen, die recht wenig
individuelle Belebung verraten, erinnern an die Giotto-Schule. Das wäre
nun allerdings eine sehr frühzeitige Befruchtung von oberitalienischer
Seite her, und man ist deshalb geneigt gewesen, hier, wie bei einigen
ähnlichen Bildern des Freisinger Klerikerseminars, kölnische Einflüsse
anzunehmen. Ich persönlich kann dieser Ansicht nicht zustimmen, trete
vielmehr Riehl bei, welcher die kölnische Verwandtschaft als eine
rein äusserliche ansieht, die er aus dem geheimnisvollen Faktor der
»Zeitstimmung« erklärt. Dagegen glaube ich doch, dass hier mittel- oder
unmittelbar ein giotteskes Muster wirksam gewesen ist.
Wie schwierig es ist, die gerade in Süddeutschland so häufig sich
kreuzenden Kunstweisen klar zu erkennen, das beweist der ~Pähler Altar~
im ~bairischen Nationalmuseum~. Ob dieser mehr eigenes Leben als der
Weildorfer zeigende, wohl aus dem dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhundert
stammende Altar der bairischen, der bairisch-salzburgischen, der
fränkischen oder der niederdeutschen Kunst zuzuschreiben sei, oder ob
er sogar von »dem letzten grossen Vertreter der Prager Schule«, von dem
Meister von Wittingau herrührt (Thode), darüber gehen die Ansichten
weit auseinander.
Bemerkenswert seines Stifterbildnisses wegen ist der mittelste von drei
in der ~Trausnitz-Kapelle~ von ~Landshut~ aufgestellten ~Altären~: ein
schlicht-handwerkliches, aber gewiss recht ähnliches Porträt des 1450
gestorbenen Heinrichs des Reichen, der hier sein Motto spricht: Wult
Gott. Derselbe Fürst erscheint übrigens mit den gleichen Zügen auf
einem 1447 bezeichneten Glasgemälde in dem nahen Innkofen.[53]
Ein anderer bairischer Fürst, dem wir schon auf dem grossen Altar von
Olmendorfer begegnet waren, Albrecht IV. (III.), ist auf einem ~Altar~
des alten Münsters in ~Moosburg~ dargestellt. (Zwischen Landshut
und Freising gelegen.) Er erscheint hier im Kreise der Moosburger
Kapitelherren und in Begleitung seiner drei Söhne. Sämtlich recht gute
Porträts. Das Werk stammt allerdings aus einer etwas späteren Zeit als
Olmendorfers Altar, denn es ist aller Wahrscheinlichkeit nach von dem
zwischen 1494 und 1526 in Landshut thätigen Hofmaler ~Hans Wertinger~
ausgeführt worden.[54]
Interessant als porträtartig gemeinte Bildnisse sind die drei mit
1494 bezeichneten ~lebensgrossen Halbfiguren~ der Stifter der Abtei
Benediktbeuern, der im 8. Jahrhundert gestorbenen Brüder Landfried,
Waldram und Eliland, ~Schleissheim~, No. 87. Ungewöhnlich für jene
Zeit ist hier, nebenbei bemerkt, dass der Stab des Abtes Landfried
einen starken scharf abgegrenzten Schlagschatten auf die Wand des roten
Hintergrundes wirft.[55] Prof. Sepp beklagt sich in seinem Büchlein
»Merkwürdiges an der Bahn von Wolfratshausen nach Kochel«, München
1898, dass die Bildnisse der für die Geschichte Baierns so wichtigen
Söhne des Agilolfingers Theodebart, von Meisterhand gemalt, »jüngst aus
der Pinakothek herausgeworfen worden sind«.
Am Schlusse der westbairischen Kunstthätigkeit ist noch zweier
~Wandgemälde~ mit porträtartigen Darstellungen zu gedenken. Das eine
ist ein ~Gruppenbild~ in der Kirche von ~Hoflach~ bei Alling, 4 km
von Bruck bei München entfernt, im Jahre 1442 zum Andenken an den
Sieg der Herzöge Ernst, Albrecht und Wilhelm bei Ingolstadt (1422)
über ihren Vetter Ludwig den Gebarteten gestiftet. (Eine Kopie im
bairischen Nationalmuseum.) In hellen Wasserfarben zeigt es die drei
Herzöge in voller Rüstung vor der h. Sippschaft kniend, hinter ihnen
den heiligen Georg mit der Kreuzesfahne, den Patron des bairischen
Hauses, dann in dichtgedrängter Schar die Adelsgeschlechter der Gegend
mit ihren Feldzeichen, einen Bürger von München mit dem Stadtwappen,
dem »Münchner Kindl«, und einen Tross von Bogenschützen und Buben
mit Piken und Armbrüsten. Die Gesichter sind sämtlich bartlos und
kaum voneinander unterschieden. Das Ganze, aus dem noch heute ein Zug
mittelaltrig frommer Demut spricht, ist flächenhaft gemalt, sodass
es mehr wie ein ausgespannter Teppich wirkt, als wie ein Gemälde.
Trotz der modernen Uebermalung wegen der Anordnung der Figuren sehr
interessant. (Abbildung S. 217.)
Das andere, zur Gruppe der ~Reihenporträts~ gehörig (vergl. S.
216), befand sich früher im »~alten Hof~« von München und stellte
eine Folge von bairischen Fürsten mit ihren vermeintlichen Ahnen
dar. Die einzelnen Bilder sind jetzt auf eine Wand des bairischen
Nationalmuseums übertragen, Zimmer No. 15, aber wohl durch ein Versehen
der Arbeiter nicht in ihrer chronologischen Rangordnung aufgeklebt
worden: die von der Mitte aus gerechnet rechts stehenden gehören
nach links und umgekehrt. Unter jedem der stehenden und in voller
Lebensgrösse gebildeten Fürsten befindet sich sein Wappen, Name und
eine kurze, nicht immer wohlwollende Charakteristik, so unter dem
vollständig vom Rücken gesehenen Karl Martell, »ein schnöder Bankert
und Wüterich«. Die in Tempera gemalten Bilder, vierzehn an der Zahl,
müssen, nach Sighart, bald nach 1466 ausgeführt sein. Sie sind stark
modernisiert, aber ihre lebendige und abwechslungsreiche Gruppierung
ist bemerkenswert; der Porträtwert ist gleich Null.
In dem weiter östlich gelegenen Alpengebiete des reichen Erzstiftes
~Salzburg~ ist die Belebung der menschlichen Physiognomie noch
frühzeitiger festzustellen als in der Münchner Gegend, aber die
dort vorherrschende Richtung nach dem roh Naturalistischen und
Fratzenhaften scheint hier keinen Boden gefunden zu haben.
Auf einer von dem Domprobst ~Johannes Rauchenberger~ für die
Kapuzinerkirche zu ~Salzburg~ gestifteten ~Votivtafel~, jetzt in
drei Teilen im Klerikerseminar in ~Freising~, die vor dem Jahre 1429
gemalt sein muss, da Rauchenberger noch im Chorherrngewand dargestellt
ist, während er nach diesem Jahre die bischöflichen Insignien tragen
müsste, sind die Köpfe der in Formen- und Gebärdenauffassung noch ganz
altertümlich gebildeten Heiligen von einer Lebendigkeit, wie sie um
diese Zeit schwerlich am Niederrhein oder in Schwaben zu finden ist.
Aus diesem Grunde scheinen mir Riehl und Semper im Recht zu sein, wenn
sie hier nicht, wie man wohl auf den ersten Blick geneigt sein möchte,
mit Janitschek kölnische, sondern italienische Vorbilder vermuten,
— eine Ansicht, für welche auch die geographische Lage der Stadt
und ihr lebhafter Verkehr mit Oberitalien spricht. Der tiefe warme
Farbenton der anmutigen, lieblichen Tafel rührt wohl von einer späteren
Uebermalung her.
Aus der Mitte des Jahrhunderts sind mir keine Werke bekannt. Ein
grossartiger ~Altar~ in ~Grossgmain~ am Untersberge, den der sogenannte
Meister von Grossgmain 1499 vollendet hat, zeigt in seinen sehr
bedeutenden individuell-charakteristischen Köpfen keine Verwandtschaft
mit der Rauchenberger Tafel, dagegen soll er in einer nahen Beziehung
zu vier Passionsszenen der Wiener Gemälde-Galerie, No. 1473 bis 1476,
stehen, von denen drei mit den Buchstaben R. F. (Rueland Frühauf?)
und den Jahreszahlen 1490 bezw. 1491 bezeichnet sind. Mir sind beide
Vergleichsobjekte nur in Abbildungen gegenwärtig.
* * * * *
Auch die ~östreichischen~ Maler haben sich verhältnismässig früh vom
Banne des starren Typus befreit. Wie im Salzburgischen war auch in den
östreichischen und steirischen Nachbargebieten, es kommen hauptsächlich
Wien und Graz in Betracht, durch Lage und Handelsbeziehungen der
italienischen Kunst der Zugang erleichtert. Und ihr Einfluss ist nicht
zu verkennen, ebensowenig jedoch der des grossen in den Niederlanden
aufgestellten Musters und das seltsamerweise schon zu einer Zeit,
wo in Gent und Brügge räumlich näher gelegenen Kunstplätzen das
Schaffen der Eyck und ihrer Nachfolger noch ignoriert worden ist, —
vorausgesetzt, dass die Datierung 1446 auf einem ~Kreuzigungsbilde~
in ~Klosterneuburg~, bez. [ornament] (N. D.), wirklich echt ist.
Die schöne Gruppe der beiden Marien und Johannes ist bei Schnaase
abgebildet.
Im Zweifel ob eyckscher Einfluss oder nicht, kann man bei der
~Kreuzigung Meister Pfennings~ in der Wiener Galerie sein, welche als
Entstehungsjahr 1449 nennt, doch scheint für eine wenn auch flüchtige
Kenntnis niederländischer Werke das von diesem Meister gewählte Motto
»als ich chun« zu sprechen, das er wohl Jan von Eyck entlehnt hat. Ich
habe die pfenningsche Kreuzigung, Thodes Zuweisung folgend, bei der
fränkischen Schule erwähnt. (Vergl. S. 156 der Meister des tucherschen
Altars.)
Von dem Wiener Maler ~Wolfgang Rueland~, der nach der Mitte
des Jahrhunderts mehrfach erwähnt wird und von dem sich vier
~Passionsszenen~ und acht Bilder seiner Werkstatt oder Schule in
~Klosterneuburg~ befinden, rühmen Schnaase und Janitschek, dass er
neben karikierten Gestalten auch solche von hoher Schönheit gegeben
habe, — auf einem der Schulbilder Leopold der Heilige und seine
Gemahlin.
Künstlerisch sehr bedeutend und mit einer Anzahl porträtartiger Köpfe
ist der in Wien gearbeitete ~Altar eines unbekannten Meisters in der
Spitalskirche zu Aussee~, 1449 von Kaiser Friedrich III. gestiftet.
Der offenbar steirische Künstler — er giebt sogar den Flügeln der
Engel die grün und weissen Landesfarben — scheint nach seinen Typen
und nach seiner Technik zu schliessen bereits unter eyckschem Einfluss
gearbeitet zu haben.
In der Kunst von ~Graz~ kommt gleichfalls eine Mischung südlicher und
nördlicher Einflüsse zum Ausdruck. Ein Vorwiegen des ersteren bekundet
die mit 1457 bezeichnete ~Kreuzigung~ aus der Sakristei des ~Grazer
Domes~ durch die verhältnismässig gute Wiedergabe der nackten Körper
und durch eine Fülle individuell-charakteristischer Gestalten, von
denen die eine oder die andere gewiss als das Porträt eines Mitlebenden
anzusprechen ist. An der Feldflasche eines Kriegers der Name »Laib«.
Bayersdorfer schreibt das Dombild übrigens dem Meister Pfenning zu, den
er für einen Oestreicher, nicht für einen Franken hält.
Nicht von Italien beeinflusste Künstler vermutet Janitschek in den
Malern des ~Flügelaltars~ in ~Köflach~ mit dem Stifterbildnis des
Ritters von Graden und seiner Hausfrau, des ~Stadtrichterbildes~
im ~Grazer Stadthause~ mit der Jahreszahl 1478 — wohl des ältesten
Gruppenbildes einer städtischen Behörde, Richter und Beisitzer sind
amtierend dargestellt und sämtlich Porträts, im Hintergrund, ein
Memento für die Richter, das jüngste Gericht — und des ~Votivbildes~
des Jörg Rottel Freiherrn von Talberg, um 1505, in der landschaftlichen
~Gemäldegalerie von Graz~.
Lediglich der dargestellten Persönlichkeiten halber nenne ich noch die
folgenden östreichischen Bilder des 14. und 15. Jahrhunderts:
Auf der Rückseite des aus dem 12. Jahrhundert stammenden ~Verduner
Altars~, des berühmten Kunstwerkes der rheinischen Emailschule, über
dem Grabe Leopolds des Heiligen in ~Klosterneuburg~, die ältesten
Tafelgemälde Oestreichs, bald nach 1322 angefertigt und 1863
restauriert: auf einem Bilde mit dem Kruzifixus der kniende Probst
Stephan von Sierndorf.
Rudolf IV., der zuerst den Titel Erzherzog führte, als Donator auf
einem ~Altar~ von 1360 im ~St. Klara-Kloster~ zu Wien.
Von Leopold III., der in der Schlacht bei Sempach 1386 fiel, ein sehr
altes ~Porträt~, vielleicht aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts, im
Kloster ~Königsfelden~.
In der ~Spitalkirche zu Obdach~ in Steiermark ein ~Holztafelbild~ mit
dem heiligen Florian und Kaiser Friedrich III., beide in ganzer Figur
und beide mit Heiligenschein. Noch bei Lebzeiten des Kaisers gemalt,
der Obdach zum Schutze gegen die Türken befestigt hatte.
* * * * *
Echt deutsch, wie das Land selbst, ist alles, was von der ~Tiroler
Malerei~ geschaffen ist, und ihre Entwickelung hat im allgemeinen
denselben Gang genommen wie die der oberdeutschen Kunst. Aber als
Grenzland zwischen Deutschland und Italien wird sein künstlerisches
Schaffen schon frühzeitig durch romanische Einflüsse bestimmt, die an
Stärke zunehmen, je frischer und unmittelbarer ihre Vermittelung war,
also je näher die Maler ihren Wohnsitz der Landes- und Stammesgrenze
hatten. Leider ist das meiste, was sich einst an beweglichen
Kunstgegenständen in Tirol befunden hat, entweder zu Grunde gegangen
oder nach den benachbarten Ländern verschleppt worden.
Zwei grosse Malergruppen sind in Tirol zu unterscheiden: die von
Innsbruck einerseits, die von Bozen, Brixen und Bruneck andererseits.
Die ~Innsbrucker Gruppe~ ist die künstlerisch unbedeutendere. Eine
Anzahl ihrer Werke wird im Ferdinandeum der Hauptstadt aufbewahrt. Für
die Geschichte des Bildnisses sind sie belanglos. Derjenige Maler,
welcher einst als der hervorragendste der Innsbrucker galt, ~Hans
Multscher~, hat sich neuerdings als ein Ulmer Schwabe erwiesen. (Vergl.
S. 107.)
An Wert und Zahl ihrer Werke weit überlegen ist ihr die zweite Gruppe.
Die Reihe der bedeutenden ~Brixener Maler~ eröffnet der ~Meister~ mit
dem ~Skorpion~ (Semper), der zwischen 1435 und 1464 thätig gewesen
ist. Das Typische erscheint bei ihm bereits völlig überwunden. Seine
derben, bäurischen, aber sehr lebendigen Köpfe lassen in ihrer leise
idealisierenden Verklärung die Kenntnis veronesisch-paduanischer
Malerei voraussetzen. (Wandgemälde in den Kreuzgängen der Domkirche
zu Brixen, Kreuzigung im Ferdinandeum zu Innsbruck, Kreuzigung
im Klerikerseminar zu Freising von 1464, letztere vielleicht ein
Schulwerk.)
Von den Werken ~Jakob Sunters~, gleichfalls aus Brixen und Mitarbeiter
an dem Bilderschmuck des Kreuzgangs, rühmt Janitschek Empfindung und
sorgsame Charakteristik des Stifterbildnisses auf einer ~Grablegung~
von 1470, im dritten Gewölbejoch.
Von den in ~Bozen~ thätigen Malern sind nur Wandgemälde in einigen der
umliegenden Dorfkirchen erhalten, die, nach Riehl, vermuten lassen,
dass ihre Verfertiger unmittelbar in der Kapella dell’ Arena studiert
haben.
Der grösste aber von allen Tiroler Meistern, ja einer der ersten
deutschen Maler des 15. Jahrhunderts schlechthin, ist der zumeist in
seiner Vaterstadt ~Bruneck~ im Pusterthal thätig gewesene ~Michael
Pacher~, geboren zwischen 1430 und 1440, gestorben 1498.
In der Geschichte des Bildnisses muss ihm ein besonderer Platz
eingeräumt werden, obgleich nicht ein einziges Porträt von ihm
bekannt ist. Er ist es, von den grossen Meistern der erste, der den
Weg zu einem immer mehr und mehr übertreibenden, die zufälligen
und unwesentlichen Einzelheiten immer peinlicher hervorhebenden
Naturalismus der oberdeutschen Kunst ~nicht~ verfolgt. Er
verallgemeinert, wo diese sich in Details verliert. Die Ergebnisse
eines fünfzigjährigen Naturstudiums seiner Vorgänger macht auch er sich
zu nutze, aber er verwendet sie nicht zu kleinlicher Stillebenarbeit,
sondern zu einer grossen und machtvollen Herausarbeitung dessen, was
seelisch und physisch gewaltig ist in der menschlichen Erscheinung.
Aus seinem eigenen Geiste heraus schafft er seine Gestalten, nicht
so wie sie die Natur zufällig gebildet hat mit ihren Fehlern und
Mängeln, sondern so wie er glaubt, dass sie sein müssen, um diejenigen
Qualitäten zu verkörpern, die er mit ihnen ausdrücken will,
wirkungsvoll und verständlich in ihrer weisen Beschränkung, fähig
derjenigen Lebensäusserungen, die wir in dem gegebenen Falle von ihnen
zu erwarten berechtigt sind, — ein Vorläufer der beiden grössten
deutschen Idealisten des kommenden Jahrhunderts, denen der Naturalismus
nicht Ziel, sondern Mittel ist, und nur als solches hat er schliesslich
überhaupt eine Berechtigung.
Wohl hätte eine so auf das Einfache und Grosse gerichtete künstlerische
Gesinnung die Aufnahme einer wirklichen Porträtwelt in seine biblischen
Darstellungen keineswegs ausgeschlossen. Man denke an die zahlreichen
Bildnisse, die in Italien in verwandtem Geiste auf Altargemälden
geschaffen worden sind, aber sei es, dass ihm geistig und körperlich
geeignete Individuen in seinen Alpenthälern nicht zur Verfügung
standen, sei es, dass die Auftraggeber nicht den Wunsch hatten, in
unmittelbarer Nähe der Heiligen zu erscheinen oder sei es, dass seine
Kraft doch nicht ausreichte, das zufällig gegebene Modell so zu
kopieren und doch zugleich neu zu schaffen, wie es im einzelnen Falle
seinen grossen Zielen völlig Genüge gethan hätte: thatsächlich dürfte
in keiner seiner Gestalten ein Porträt zu erkennen sein.
Pachers Hauptwerk ist der grosse ~Altar~ zu ~St. Wolfgang~ am
Wolfgangsee im Salzkammergut, nach mehr als vierjähriger Arbeit
1481 vollendet. Schnitzwerke sowohl als Gemälde sind von gleicher
Meisterschaft, jedoch weisen die plastischen und die malerischen
Arbeiten so grosse stilistische Verschiedenheiten auf, dass die
alte Annahme von dem Bildschnitzer und Maler Pacher neuerdings
mit Recht bestritten wird.[56] Während die ersteren sich als eine
folgerichtige, selbständige und unbeeinflusste Weiterentwickelung
der deutschen Schnitzkunst darstellen, zeigen die letzteren in der
Anordnung der Gruppen, in der Farbengebung, den feinen Lichtwirkungen,
der körperlichen Rundung der Figuren und in der Linearperspektive
deutlich das Muster der von Squarcione und Mantegna geschaffenen
paduanischen Kunst.[57] Da jedoch der ganze Altar wie von einem
einzigen einheitlichen Willen aufgebaut und geschmückt erscheint,
muss angenommen werden, dass Pacher, als Vorstand der Brunecker
Malerwerkstatt, mit eigener Hand zwar nur den Bilderschmuck der Flügel
ausgeführt hat, die Skulpturen jedoch unter seiner persönlichen Leitung
und nach seinen Entwürfen von einem ihm an künstlerischer Kraft
ebenbürtigen Schnitzmeister angefertigt worden sind.
[Illustration: ~S. Stefan~ Almosen spendend,
vom Meister des Neustifts. Augsburg.
Teilbild. Nach Photographie von Hoefle, Augsburg.]
Pacher hat gleich so mancher eigenartigen künstlerischen Persönlichkeit
keine Schule gemacht. Immerhin sind aus seiner Werkstatt einige
bedeutende Werke hervorgegangen. Von seinem Sohn ~Friedrich~ besitzt
das Klerikerseminar zu ~Freising~, Zimmer des Erzbischofs, eine höchst
seltsame ~Taufe Christi~, — Johannes in überlebensgrosser Gestalt, eine
bäurisch-kräftige, fast könnte man sagen gewaltthätige Erscheinung,
anders als alles, was man sonst an Darstellungen des einsamen Büssers
gewöhnt ist.
Sehr nahe dem Michael Pacher steht der Meister eines grossen ~Altars~
aus dem Augustiner-Chorherrnstift von ~Neustift bei Brixen~, dessen
Teile jetzt in den Galerien von München, Schleissheim, Augsburg
(vier Tafeln abgebildet im Klass. Bilderschatz) und bei Prof. Sepp
in München aufbewahrt werden. Die Einzelfiguren auf den Flügeln sind
überlebensgross und wirken mächtig und monumental, so Jakobus und
Stefanus bei Prof. Sepp, Ambrosius und Hieronymus, Augsburg, No. 145
und 146, vor allem aber die heiligen Kirchenlehrer Papst Gregor und
Augustin in München, No. 297a und 297b, als kraftvolle Repräsentanten
der streitenden Kirche. Auch hier weist der trübe, graue, squarcineske
Ton auf die oberitalienischen Vorbilder.
6. Sachsen und Schlesien.
Die Malerei dieser beiden Länder ist im wesentlichen von der Nürnbergs
abhängig, wenigstens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Um
aber die Reihe der deutschen Malerschulen mit geringer künstlerischer
Produktion zum Abschluss zu bringen, sei ihrer bereits jetzt mit
wenigen Worten gedacht.
In ~Sachsen~, wo die Bildschnitzerei es zu einer hohen Entwickelung
gebracht hatte, erhebt sich die von den Miniaturen, bez. von Nürnberg,
teilweise auch von den Niederlanden beeinflusste Tafelmalerei bis
auf Lukas Cranach kaum über das zünftige Handwerk. Eigentliche
Kunstwerke, wie sie in Hof, Zwickau und Erfurt zu sehen waren, sind
nicht von heimischen Meistern gefertigt worden. Das Bestreben nach
bildnismässiger an Stelle der typischen Darstellung ist jedoch auch
hier schon im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts erkennbar.
Das frühste Beispiel eines solchen, allerdings sehr schwachen
Versuches, ist ein wohl aus der Jahrhundertswende stammender ~Altar~
aus ~Topfseifersdorf~, jetzt im Grossen Garten-Museum zu Dresden, No.
496a.
Schlechte Stifterbildnisse finden sich auf sächsischen Altären
häufig, doch sind, wenigstens bei den frühen, die Persönlichkeiten
selten festzustellen. (Ein 1429 gestorbener Graf Heinrich von
Wernigerode mit seiner Gemahlin auf einem Gemälde in der Sammlung
des Bibliothekgebäudes in Wernigerode; — auf einem 1486 bezeichneten
Altarflügel aus der Schlosskirche zu Stolpen, jetzt im Grossen
Garten-Museum in Dresden, No. 84, der Meissner Bischof Johann V. von
Weissbach u. a.)
Einzelbildnisse scheinen nicht erhalten zu sein.
Als ein kostbarer Schatz wird in Sachsen mit Recht der ~Domaltar
in Meissen~ betrachtet. Ob jedoch der ausführende Künstler ein
einheimischer war, das hat die Forschung noch nicht mit Sicherheit
feststellen können. Was Vertiefung des Ausdrucks, Ernst der
Auffassung und monumentale Grösse betrifft, hat er in der gesamten
niederländischen und deutschen Kunst des 15. Jahrhunderts kaum seines
Gleichen, den Genter Altar ausgenommen. Am wenigsten dürfen wir
einen Künstler wie Herlin in ihm vermuten, wie einige wollen, aber
auch nicht, wie Scheibler, Hugo van der Goes. Thode[58] tritt mit
Entschiedenheit und gewichtigen stilistischen Gründen dafür ein, dass
kein anderer als der junge Dürer ihn gemalt haben könne, und zwar kurz
nach seiner ersten italienischen Reise, etwa 1494 oder 1495. Da diese
Zuweisung jedoch nur von einer Minderheit gebilligt worden ist, muss
wohl bis auf neue dokumentarische Enthüllungen der Meister des Meissner
Dombildes, um ein Wort Justis zu gebrauchen, im Limbus der Namenlosen
verbleiben.
[Illustration: ~Meissner Dombild.~ Mittelstück.
Nach einer Photographie von Brockmann, Dresden.]
Das Mittelbild des Altars stellt die Anbetung der Könige dar (in
meisterhafter Beschränkung ohne Josef und ohne die Hirten), auf jedem
Flügel schreitet, in lebhaftem Gespräch begriffen, ein Apostelpaar. Die
Köpfe sind von ganz ungewöhnlicher Tiefe des geistigen und seelischen
Ausdrucks, die der Apostel, vor allem des Philippus und Jakobus d. Ä.
»von innen herausgebildet und von innen geschaut, Personifikationen
bestimmter Temperamente« (Thode), der Marias von einer Herbheit und
Strenge und doch zugleich edlen Würde, ist mit keiner der sonst für die
Gottesmutter üblichen Typen verwandt, es sei denn, von ferne mit dem
jener ernsten Maria auf dem dürerschen Altar in Dresden. Die Züge des
ältesten knienden Königs geben uns offenbar das Porträt des Stifters.
In Meissen sieht man in dem ehrwürdigen, bartlosen, recht wohlgenährten
Greis mit dem spärlichen Haar den Fürstbischof Sigmund von Würzburg,
Herzog zu Sachsen, der in dem dortigen Dom bestattet ist und mit dessen
Bildnis auf der bronzenen Grabplatte er manche Aehnlichkeit hat.
Schnaase bestreitet zwar auf Grund der nicht geistlichen Tracht des
Königs diese Annahme, aber schliesslich hätte der Bischof bei diesem
besonderen Vorgang doch recht wohl den königlichen Hermelin tragen
dürfen.
* * * * *
Die Kunst ~Schlesiens~ steht mit der in dem benachbarten Böhmen von
Karl IV. ins Leben gerufenen, später mit der fränkischen, in enger
Beziehung. Ein frühes Tafelbild reicht jedoch schon in das Jahr
1309 zurück. (Vergl. S. 205). Etwa vom Jahre 1340 ist ein im Dom
von ~Breslau~ aufbewahrtes Bild mit der ~heiligen Jungfrau~ und dem
Donator, dem Bischof Prczecislaus. Das erste datierte und das erste
wirkliche Kunstwerk jedoch ist der für die ~S. Barbarakirche von
Breslau~ gemalte ~Altar~ von 1447, jetzt im Museum für schlesische
Altertümer. Ganz vortrefflich ist in diesem hervorragenden Werke
der Schein der Körperlichkeit der Figuren erreicht worden. Bei den
Nebenpersonen, von denen einige slavischen Charakter zeigen, ist die
Befreiung von dem mittelaltrigen Typus mit vollster Entschiedenheit
durchgeführt worden. Von flandrischem Einfluss ist in diesem auch
koloristisch prächtigen Werke noch nichts zu verspüren. Haben wir es
hier mit einer auf schlesischem Boden weiter entwickelten böhmischen
Kunstweise zu thun oder, wie Thode glaubt, mit der Arbeit eines
Künstlers, der sich in Nürnberg an frühen Arbeiten des grossen Meisters
des tucherschen Altars gebildet hat? (Vergl. S. 158.) Die Kenntnis
der Kunstweise Rogers lässt ein 1468 von Dr. Peter von Wartenberg
gestifteter ~Flügelaltar~ voraussetzen, jetzt in der Sakristei des
~Domes von Breslau~, mit gutem Bildnis des Stifters, sowie einige
andere im Museum für schlesische Altertümer aufbewahrte Altargemälde.
Dagegen erinnert an fränkische Kunst der ~Marienaltar in der
Elisabethkirche~ mit einer zahlreichen Stifterfamilie und der ebenda
befindliche ~Altar~ der Familie ~Prockendorf~.
Im allgemeinen gilt für die schlesische Kunst dasselbe wie für die
sächsische: an künstlerischem Wert sind die Bildschnitzarbeiten den
malerischen erheblich überlegen.
7. Franken.
Die Wandlung vom starren typischen Stile des frühen Mittelalters zu
einer individuellen Belebung der Menschendarstellung fällt auch in der
fränkischen Malerschule in das erste Drittel des 15. Jahrhunderts,
und dasjenige Werk, welches den Uebergang von der einen zu der
andern Kunstweise bereits vollzogen zeigt, ist der ~imhofsche Altar~
in St. Lorenz zu Nürnberg, entstanden zwischen 1418 und 1422. Nach
ihm vervollkommnet und entwickelt sich die fränkische Malerei in
stetigem, ununterbrochenem Vorwärtsschreiten, bis sie in Albrecht Dürer
das Höchste erreicht, was ihr nach Massgabe der ihr innewohnenden
künstlerischen Kraft zu erringen möglich war.
Nordische und südliche Einflüsse, die in Köln und an anderen Orten das
deutsche Kunstschaffen aus seiner natürlichen Bahn geworfen hatten,
dienten im 15. Jahrhundert den Malern von Nürnberg nur dazu, sie in der
ihnen angeborenen Richtung zu bestärken und zu fördern. Kein Nürnberger
Künstler, der dauernd seine Stammesart verleugnet, kein unruhiges
Tasten, kein Hinundwiederschwanken von einem Leitbild zum andern,
bei aller Verschiedenheit der Individualitäten dieselben festen,
klaren, auf den ersten Blick zu erkennenden Grundbilder, dieselbe
psychologische Wurzel ihres innersten Wesens, und infolgedessen die
nahe Stilverwandtschaft und der gemeinsame Eindruck, welchen alle Werke
fränkischer Malerei jener Zeit in dem Beschauer hervorrufen.
Und dieser Gattungseindruck ist der einer grundechten, bodenwüchsigen
Kunst, in der ~deutsche Art~ mit ihren Vorzügen, aber auch mit ihren
Mängeln, am schärfsten und am vielseitigsten sich ausprägt. Wohl fehlt
ihr Beschaulichkeit, Poesie, Anmut und Harmonie der Kölner und das
sinnige Wesen und die traulich-gemütvolle Behaglichkeit der Schwaben,
oder richtiger, alle diese Seiten des deutschen Charakters werden
gewaltsam unterdrückt durch einen verstandgeborenen, unerbittlichen
Wirklichkeitsinn und eine scharfe Naturbeobachtung, die freilich gar
zu oft an der Schale der Dinge haften bleibt, anstatt in ihr Inneres
hineinzudringen, über bedeutungslosen Formen den schönen Abglanz
übersieht und die allem Geschaffenen innewohnenden Phantasiewerte
nicht herauszufühlen vermag. Dagegen ward ihr jene Gabe zu teil, in
der allein die Vorbedingungen zu dem höchsten künstlerischen Schaffen
enthalten sind: ein leidenschaftliches Temperament und eine dramatische
Gefühls- und Gestaltungskraft, die sich kaum genug thun kann im
Ausdruck der von innen nach aussen strömenden Empfindungen.
Köln mit seiner zarten Poesie und Nürnberg mit seinem heftigen
Pathos bezeichnen die beiden Pole alles künstlerischen Gestaltens in
Deutschland, was dazwischen liegt sind Abwandlungen der einen oder der
andern Art. Beide sind grundverschieden voneinander und doch zugleich
im tiefsten Grunde verwandt, etwa wie zwei wesensungleiche Schwestern
einundderselben Mutter. Lei lo vedere, e me l’ ovrare appaga, sie freut
am Schauen sich, wie ich am Wirken, — was Lea von ihrer Schwester
Rahel im Purgatorium (XXVII, 108) sagt, das könnte mit gutem Fug auch
Nürnberg anwenden auf Alt-Köln. Beschaulichkeit — Schaffensdrang,
Kontemplation —, Aktivität, zwei uralte Gegensätze und dennoch ~beide~
Aeusserungen ein und derselben Volksseele, beides Lebensbedürfnisse des
germanischen Stammes. Wer vermöchte zu sagen, welches das deutscheste
ist?
Die fränkische Malerei hat sich, was die Formengebung betrifft, an der
Plastik herangebildet, und ihr Abhängigkeitsverhältnis insbesondere zur
Holzskulptur lässt sich bis zu den ungelenken Werken verfolgen, die aus
Wohlgemuts vielseitigem »Atelier für bildende Kunst« hervorgegangen
sind. Auf dem Gebiete der Komposition und der Farbe war Wegweiserin
die Malerschule von Prag, demnächst die von Flandern, Brabant und
Holland, zu der feineren Belebung aber der menschlichen Physiognomie
ist sie ganz von selbst in den Wogen jener in den ersten Dezennien des
15. Jahrhunderts über ganz Deutschland sich ergiessenden geistigen und
sozialen Strömung geführt worden, die mit immer wachsender Stärke das
bereits in den Karolingertagen angebahnte, dann mehrfach unterbrochene
und immer wieder von neuem begonnene Werk mächtig förderte: die
Persönlichkeit aus der Menge emporzuheben und ihr auch in der
Kunstdarstellung einen für sich gesonderten Platz zu verschaffen.
Von den Werken fränkischer Kunst,[59] die noch vor dieser neuen Zeit
liegen und die alten Typen noch hölzern, unvermittelt nebeneinander
stehend, in zeichnerischem Umrissstil vorführen, müssen hier,
wenigstens summarisch, ihrer Donatorenbildnisse halber die folgenden
erwähnt werden.
[Illustration: ~Schmerzensmann mit Stifter.~ Heilsbronn.
Nach Thode, Malerschule von Nürnberg.]
Aus der Mitte des 14. Jahrhunderts ein ~Christus als Schmerzensmann
in~ der Münsterkirche zu ~Heilsbronn~. Zu seinen Füssen kniet betend
die im verkleinerten Massstab gehaltene Figur des Stifters: miserere
mei deus. Nach einer über dem Spruchband befindlichen Inschrift der
»Apt Friedrich von Hirzlach«. So bedeutend, feierlich und eindrucksvoll
die überlebensgrosse nackte Christusgestalt wirkt, so unbedeutend und
nichtssagend der Abt: das Inkarnat dieses hölzernen Püppchens ist genau
in demselben grünlichen Verwesungston gegeben, wie die Unterschenkel
des Heilands, und seine Züge lassen kaum eine Spur des Porträtartigen
erkennen.
Mit der Jahreszahl 1370 ist in derselben Kirche eine Tafel mit
~Christus~ bezeichnet, welcher auf seine Wunden, ~Maria~, die auf
ihre entblösste Brust zeigt, daneben ein in kleinerem Massstabe
gebildeter Stifter, in rotem, hermelingefütterten Mantel, roter Mütze
mit Hermelinbesatz, mässig spitzen Schnabelschuhen, grauem Kinn- und
Backenbart, angeblich der Leibarzt Magister Mengotus (?). Spruchbänder
neben allen drei Figuren. Goldgrund. Sehr übermalt.
Gleichfalls in ~Heilsbronn~ eine Tafel mit ~Maria~ und dem Kinde. In
einem besonderen Abschnitt darunter der im Ornat vor einem Betstuhl
kniende, 1365 gestorbene Bertholdus, Burggraf von Nürnberg, Bischof
von Eichstädt und Kanzler Kaiser Karls IV, ein Sohn des Burggrafen
Friedrichs IV. Ueber ihm ein Spruchband: Mater Dei, miserere mei. Diese
Tafel ist nach einer Inschrift bereits 1477 erneuert und wohl auch
später übermalt.
Im ~germanischen Museum~, No. 88, eine ~heilige Katharina~ mit einem
kleinen Donator, den man für einen sechszehnjährigen Knaben halten
möchte; etwa von 1400. Ebenda No. 89 eine ~heilige Elisabeth~, die
einem auf den Knien heranrutschenden Krüppel ein Gewandstück reicht.
Sollte sich in dieser einigermassen porträtartig gebildeten Missgestalt
etwa der Stifter dargestellt haben?
Aus dem ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ~Christus in der
Glorie in S. Lorenz~, ~Nürnberg~, darunter die Stifterfamilie. Eine
Inschrift enthält die Worte: »1406 starb Paulus Stromer und sein
huisfrau ym grossen sterben der pestlentz.« Im germanischen Museum
No. 93 das ~Epitaph der Klara Holzschuherin~, nach einer Inschrift zu
schliessen von 1426. Zu Füssen der heiligen Katharina, der Patronin der
Wissenschaften, die Stifterin. (Die Hände sind grösser als der Kopf!)
Bei allen den vorgenannten Stifterbildnissen ist das Bestreben der
Handwerker-Maler ersichtlich, eine gewisse Profilähnlichkeit der
Dargestellten zu erreichen, auf eine auch nur annähernde Charakteristik
haben sie wohl von vornherein verzichtet. Nicht unwichtig für die
Entstehung dieser Bildnisgattung ist auch hier die Thatsache, dass
einige der frühsten Donatorenbilder ~nicht~ im verkleinerten Massstabe
erscheinen. (Vergl. hierzu die Anmerkung auf S. 60).
[Illustration: ~Burggraf Friedrich V. und seine Söhne.~ Heilsbronn.
Nach Stillfried-Alcantara, Altertümer des Hauses Hohenzollern.]
Am Schlusse dieser älteren Gruppe ist noch ein interessantes
Familienbild zu nennen, das aus dem Jahre 1398 stammen soll, aber
später vollständig übermalt ist. Es befindet sich hoch an einer Wand
in der Münsterkirche von ~Heilsbronn~ und ist, wie mir scheint, mit
Leimfarben auf Holz gemalt (nach Sighart S. 408 »Wandbild«, nach Dr.
Julius Meyer, Hohenzollern-Denkmale in Heilsbronn, 2. Auflage S. 16
»Fresko«). In zwei Gruppen, die ähnlich angeordnet sind wie die Stifter
auf Altaruntersatz oder Predella, stellt es die Familie des ~Burggrafen
Friedrich V. von Nürnberg~ dar. In der einen kniet in voller Rüstung
der Burggraf mit seinen beiden Söhnen Johann III. und Friedrich VI.
(demselben, den Kaiser Sigmund 1415 mit der Mark Brandenburg belehnte).
Auf dem Spruchband Friedrichs V. die Worte: Sancta Trinitas, unus Deus,
miserere mei, auf dem des ältesten Sohnes Johann: Ora pro me, sancta
dei genetrix; auf dem des ersten Brandenburger Kurfürsten, der den
zollernschen Wappenschild mit beiden Händen hoch emporhält: Miserere
mei Deus secundum magnam misericordiam. Die zweite Gruppe zeigt die
Gemahlin des Burggrafen, Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, mit
neun Töchtern, unter ihnen, am weitesten von der Mutter entfernt, die
älteste Tochter Elisabeth, seit 1374 mit dem Kurfürsten Ruprecht von
der Pfalz vermählt, dem nachmaligen deutschen König. Beide Fürstinnen
haben Spruchbänder. Die Form dieser in ikonographischer Beziehung sehr
bemerkenswerten Familienbilder ist nur unter der Annahme verständlich,
dass sie einst in den Zwickelfeldern bezw. über den Bögen der
Kirchenwand angebracht waren. Ueber ihre künstlerische Qualität ist der
Uebermalung wegen nichts zu sagen. —
Mit den vier Flügelbildern des ~deichslerschen Altars~ in Berlin, No.
1207 bis 1210, dem ~imhofschen Altar~ auf der Imhof-Empore in S. Lorenz
und dem ~Bamberger Altar~ im bairischen Nationalmuseum, Zimmer No. 9,
beginnt die ~neue~ Kunstrichtung mit einer mehr körperlichen Bildung
der menschlichen Gestalt und einer auf Reflexion und Naturbeobachtung
begründeten Belebung und Differenzierung der Physiognomien. Thode
weist diese drei Altäre ein und derselben Künstlerhand zu, nämlich
der des Meisters ~Berthold~, als dessen Vorläufer er den »Meister der
przibramschen h. Familie« und den »Meister von Wittingau« bezeichnet,
welche beide unverkennbar aus der Prager Schule hervorgegangen sind.
Was auf dem ~deichslerschen Altar~, wohl von 1419, namentlich in
dem kräftig gebildeten, bartlosen, ausdrucksvollen Kopf des Petrus
Martyr, als ein schüchterner Versuch erscheint, das tritt in grösserer
Vervollkommnung auf dem ~imhofschen Altar~, zwischen 1418 und 1422, in
die Erscheinung. Gross und würdevoll sind hier die Köpfe sämtlicher
Heiligen behandelt, in voller Rundung heben sie sich von dem blauen
Hintergrund ab, beinahe jeder einzelne individuell-charakteristisch,
weit entfernt jedenfalls von der dekorativen Typik des 14.
Jahrhunderts, künstlerisch verallgemeinert allerdings auch sie und
in den Einzelheiten noch nicht an das lebende Vorbild erinnernd. Die
Stifter, ein Mann und drei Frauen, je zwei Figuren auf einem Flügel,
mittelgross, sind noch in der herkömmlichen Weise nebensächlich,
mehr als Symbole denn als individuelle Porträts behandelt. Noch
lebendiger und energischer erscheinen die Physiognomien auf dem
dramatisch bewegteren und nach Abmessung und künstlerischem Werte
bedeutenderen ~Bamberger Altar~ vom Jahre 1429, der in dem neuen
Nationalmuseum in München sehr wirkungsvoll aufgestellt ist und
namentlich bei Morgenbeleuchtung vortrefflich zur Geltung kommt. Hier
hat der Meister sich durch den Gegenstand, die Kreuzigung und andere
Passionsszenen, nicht zu gewaltsam übertriebenem Gefühlsausdruck und zu
grimmassierten Köpfen hinreissen lassen, sondern in ruhigem Masshalten
die in dem Stoff nun einmal enthaltene wilde Leidenschaft durch edle
Gesichtsbildungen gedämpft und so den ganzen Vorgang gewissermassen
in eine ideale Sphäre gehoben. Gerade diese Verklärung des Grausigen
veranlasst mich Sempers Vermutung zuzustimmen, dass in diesem Werke
italienische Einflüsse zu sehen sind, vermittelt vielleicht durch von
Süden hergekommene Wandmaler, denn wo die deutsche Kunst zu dieser Zeit
~selbständig~ vom Typus sich losringt, sehen wir sie ihre ~ersten~
Schritte nach der Naturwahrheit hin in der Regel in das Gebiet des
Hässlichen nehmen.
Von fränkischen Tafeln aus den dreissiger und vierziger Jahren, die
Thode der späteren Richtung Meister Bertholds zuschreibt, erwähne ich,
wiederum nur der Stifter willen, die folgenden:
~Tod der Maria~, ~S. Lorenz~, Führer No. 11, mit dem 1433 verstorbenen
Donator Hans Glockenton. (»Von einem geringen Schmierer«, Vischer.)
~Geburt Christi~, ~germanisches Museum~ No. 95, vermutlich von 1434.
Auf einem schildförmigen, einst um eine Säule gebogenen Bilde in
schlechter Erhaltung, Donator und Donatrix Prünsterer und Prünsterin.
Italienische Einflüsse sind hier sehr wahrscheinlich. (Thode: Gentile
da Fabriano.)
~Die imhofsche Madonna~, ~S. Lorenz~, Führer No. 16, wohl aus den
dreissiger Jahren. In einem Halbkreis unter der Gottesmutter und
zu ihr emporblickend, jedoch durch ein ornamentiertes Band von der
Hauptdarstellung geschieden, die zahlreiche imhofsche Familie in
verkleinertem Massstabe.
~Der Deokarusaltar~, ~ebenda~, Führer No. 19, wohl von 1437, mit zwei
kleinen Stiftern aus der Familie Volkamer.
~Das Epitaph der Klosterfrau Gerhaus Ferin im bairischen
Nationalmuseum~, die Stifterin von Johannes dem Evangelisten dem
Christkinde empfohlen. Alle diese Stifterbildnisse sind handwerksmässig
ausgeführt, in mehr oder weniger verkleinertem Massstabe, ein
Fortschritt nach der Richtung des Porträtartigen ist gegen die früheren
kaum zu bemerken, am ehesten noch bei der Imhoffamilie.
Aus der Mitte des Jahrhunderts ist als ein vermutlicher Schüler
Bertholds der geringere Meister des ~Wolfgangaltars~ zu nennen,
vielleicht ein Lehrer Wohlgemuts (Vischer), von dem das ~germanische
Museum~ in einem Raum neben der »Kirche« unter No. 441 eine
~Gedächtnistafel~ des 1449 bei Fürth gefallenen ~Anton Christian Imhof~
aufbewahrt. Das Bildnis des Verstorbenen, der in voller Rüstung kniend
und betend erscheint, ist als solches völlig wertlos.
Eine neue Phase der fränkischen Schule wird mit dem ~Meister des
tucherschen Altars~ eingeleitet, den Thode mit dem Meister ~Pfenning~
der Wiener Kreuzigung identifiziert. (Vergl. S. 138.) Ein ganz
hervorragender Künstler, der an Glut der Farbe, an dramatischer
Ausdruckskraft und an Lebenswahrheit alles bisher in Nürnberg
Geleistete weit übertrifft.
[Illustration: ~Mittelbild des tucherschen Altars
in der Frauenkirche.~ Nürnberg.
Nach Thode, Malerschule von Nürnberg.]
[Illustration: ~Maria als Himmelskönigin.~ Heilsbronn.
Nach Thode, Malerschule von Nürnberg.]
Der tuchersche Altar in der Frauenkirche, in den vierziger Jahren
entstanden, ist das Werk eines starken, leidenschaftlichen
Temperaments, das, mit einem unerbittlichen Wirklichkeitsinn begabt,
Empfindungsausdruck und Naturwahrheit der abgeklärten Bildschönheit
voranstellt. Das ist bodenechte deutsche Kunst. Alle Grundstoffe sind
bereits hier enthalten, die, zu höherer künstlerischer Reife gelangt,
uns in der grossen Nürnberger Malerei des nächsten Jahrhunderts wieder
begegnen. Auch das Physiognomische hat einen Schritt vorwärts gethan.
Man muss diese Köpfe, besonders die der Apostel, mit denen des um ein
Jahrzehnt älteren Bamberger Altars vergleichen, um die Wandlung zu
erkennen. Matt und konventionell erscheinen dort selbst die besten
gegenüber der Mannigfaltigkeit, Lebendigkeit und Charakteristik
der Physiognomien auf dem tucherschen Altar mit ihren feurigen,
durchdringenden Blicken.
Die ~pfenningsche Kreuzigung~ in ~Wien~, No. 1462, in der Thode,
allerdings unter entschiedenem Widerspruch anderer, wie schon gesagt,
den Meister des tucherschen Altars erkennt, ist auf der Schabrake eines
Schimmels bezeichnet: »D. Pfenning 1449 als ich chun«, die gleiche
Jahreszahl befindet sich auch auf einer der Fahnen der Kriegsknechte.
Das Bild erinnert in seiner gedrängten Anordnung, seinem Figuren- und
Lanzenreichtum an Darstellungen desselben Gegenstandes in Tiroler und
bairischer Kunst, doch steht es künstlerisch auf einer viel höheren
Stufe als diese. In den Köpfen der Männer ist derbe, doch nicht
gemeine Lebenswahrheit ausgedrückt. Der vollwangige Mann in vornehmer
Tracht auf dem Maulesel zur Linken könnte recht wohl das Porträt eines
geistlichen Würdenträgers sein, ein charakteristisches, wenn auch kein
sehr schmeichelhaftes. Bezeichnend ist es für die ruhige Stimmung
des Ganzen, dass die traditionelle Gruppe der wüsten würfelnden
Henkerknechte nicht mit aufgenommen worden ist.
Von Werken, welche Thode dem Meister Pfenning zuschreibt, ist vor
allem ~Maria als Himmelskönigin~ in der Münsterkirche zu ~Heilsbronn~
zu nennen. Unter ihrem prächtigen, mit einem kostbaren Perlensaum
besetzten Mantel haben sich die Cisterzienser Mönche, dreissig an
der Zahl, mit ihrem Abt geflüchtet. Alle seine künstlerische Kraft
hat der Meister der feierlichen Erscheinung der fast lebensgrossen
Gottesmutter zugewendet und dem nackten Kinde in ihrem Arm, das einen
am Faden flatternden Stieglitz hält. Die von späterer Hand stark
übermalten Köpfe der kleinen Mönchsgestalten sind nach altem Brauche
nebensächlich behandelt, am besten der bartlose Kopf des Abtes vorn
links, in dem wir wahrscheinlich den Stifter Ulrikus, genannt Kötzler
von Volkersan, vermuten dürfen, der zwischen 1435 und 1463 die Würde
des Abtes bekleidete. (Ueber die Gruppe der Schutzmantelbilder vergl.
S. 210 flg.) Auch auf diesem Bilde ist übrigens die Holztafel vor
Auftrag des Kreidegrundes mit Leinwand überzogen worden, wie an einigen
beschädigten Stellen zu erkennen ist.
Ferner vermutlich gleichfalls von Pfenning: Ein kleiner Altar mit
Doppelflügeln, die ~hallersche Stiftung~, in ~S. Sebald~ mit Stiftern.
Links ein Mann und eine Frau mit dem Wappen der Haller und Valzner,
rechts ein Mann mit zwei Frauen und dem Wappen der Haller, Koler und
Seckendorf.
In ~S. Lorenz~, vierte Kapelle rechts, Führer No. 9, ~Kaiser Heinrich,
Kunigunde und der heilige Laurentius~ empfehlen dem Heiland, einem
Schmerzensmann von plumpen, herkulischen Gliedern, den kleinen,
krüppelhaft gebildeten und auf den Knien rutschenden Stifter in
geistlicher Tracht. Es wäre recht interessant, zu erfahren, wer der
geistliche Herr war, der in solcher Gestalt und mit einem so grossen
Aufwand an vornehmen Schutzpatronen sich hier darstellen liess. (Vergl.
auch S. 150.)
In der ~Johanniskapelle~ des gleichnamigen Friedhofes in ~Nürnberg~ ein
koloristisch sehr schöner kleiner ~Altar~ mit masslos übertreibender
Darstellung des Schmerzes in einzelnen Köpfen und über die Natur
gesteigerten Schergenfratzen, doch in anderen Szenen, vor allem in der
Gruppe um Maria, von ergreifendem Ausdruck der Empfindung.
Eine Schule hat der Meister des tucherschen Altars in Nürnberg nicht
gemacht, nur einige ganz untergeordnete Zunftmenschen scheinen sich an
sein Vorbild gehalten zu haben. Dagegen glaubt Thode seinen Einfluss
bei drei Künstlern ausserhalb Frankens gefunden zu haben, es sind dies:
Der ~Meister des Altars in der Reglerkirche zu Erfurt~ aus der Mitte
des Jahrhunderts. Ein wildes, leidenschaftliches Temperament auch er,
aber ohne Mass und Ziel, ein Künstler, der das denkbar mögliche an
karikierender Uebertreibung der Physiognomien leistet, der, selbst
im höchsten Grade erregt, seine Erregung auf den Beschauer überträgt.
Mit einem Gefühl des Missbehagens wendet man sich von ihm ab, trotz
seiner malerischen Qualitäten, zu denen eine in fränkischer Kunst in
dieser Weise nirgends zu findenden Ausnutzung der Belichtung zur Hebung
der Bildwirkung zu rechnen ist. Aber sein Lichtexperiment hat etwas
Gewaltsames, Gesuchtes, man merkt ihm die Absicht an und gelangt so zu
keiner eigentlichen Freude an dem Effekt. Wie ganz anders empfindet man
doch vor den zwar auch noch unvollkommenen, aber aus echtem Malerherzen
kommenden Belichtungsversuchen eines Konrad Witz oder Hans Multscher.
~Der Breslauer Meister von 1477~, der das grosse und reichgegliederte
Altarwerk im Museum der schlesischen Altertümer gemalt hat; ich habe
ihn bei der schlesischen Schule erwähnt. (S. 146.)
Der ~Meister der Kreuzigung in der Frauenkirche zu München~. Ein,
soweit das schlechte Licht der Kirche eine Beurteilung gestattet, recht
schwaches, temperamentloses Werk. —
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts tritt nun auch in die Bahnen der
fränkischen Schule die grosse nordisch-germanische Kunst der Eyck und
ihrer Nachfolger. Ihr Erscheinen bezeichnet eine neue Phase, keine
grundstürzende Aenderung in der Malerei von Nürnberg. Selbständig
hatten sich hier, wie an allen Kunststätten Deutschlands, die Meister
von der mittelaltrigen Typik befreit und waren, vielleicht teils aus
Ueberdruss an den alten schematischen Formen, also durch Reflexion,
teils durch das Studium der Wirklichkeit zu einer lebensvollen
Menschendarstellung geführt worden. Aber ihr Schaffen war bestimmt
durch die auf autodidaktischem Wege erworbenen Fähigkeiten einzelner
und eigenwilliger Persönlichkeiten, es fehlte ihr Ordnung und Gesetz,
an denen eine tüchtige und verlässliche Schule sich heranbilden konnte.
Bei der mit jedem Individuum von neuem zu beginnenden Selbstbelehrung,
war die fränkische Kunst bisher gewissermassen in einzelnen wilden,
wenn auch prangenden Trieben in die Lüfte geschossen, aber das Holz
ihres Stammes hatte die Jahresringe nicht angesetzt, die ihr Ausdauer,
Festigkeit und die Kraft eines grossen Musters gegeben hätten. Ordnung
und Gesetz kamen ihr nun von Flandern, gleichzeitig mit einem neuen
künstlerischen Prinzip und mit neuen technischen Mitteln, Ordnung und
Gesetz, denen man sich willig unterordnete, die man jedoch nicht, wie
am Niederrhein, als unwandelbaren Kanon hinnahm, sondern die man nach
der Eigenart des Volksstammes abwandelte.
Der erste grosse Meister der neuen Epoche ist ~Hans Pleydenwurff~,
dessen künstlerische Erscheinung scharf und klar aus dem Sammelbegriffe
Wolgemut herausgehoben zu haben, das bleibende Verdienst des Verfassers
der Malerschule von Nürnberg ist. 1451 taucht sein Name zum ersten Male
in den Bürgerlisten auf, 1472 ist er gestorben.
[Illustration: ~Kreuzigung von Pleydenwurff.~ München, Pinakothek.
Nach einer Photographie der Verlags-Anstalt Bruckmann.]
Das Physiognomische in den Werken Hans Pleydenwurffs erinnert
auffällig an jenen niederländischen Künstler, der den Nürnbergern
geistesverwandter gewesen ist als die ruhig abgemessenen Meister des
Genter Altars, an Roger van der Weyden. Aber bei demselben Grundzug
individuellen Wollens haben seine Gesichter doch ein ganz eigenartiges
Gepräge, das vorher in Franken nicht zu finden war und das von nun an
für seine und die spätere Wolgemut-Schule bezeichnend wird: breitere
Kopfformen als früher, langgezogene, oft gebogene Nasen, schwere, ein
wenig gesenkte und wie aus Leder geschnittene Lider und ein Ausdruck,
der die Mitte hält zwischen männlicher Kraft und, vornehmlich bei
Wohlgemut, grämlichem, oft weinerlichem Ernst und zahnschmerzartiger
Wehleidigkeit. In seinem Hauptwerk, der ~Kreuzigung in München~,
No. 233, Klass. Bilderschatz, 398, erscheinen, ausser den Köpfen,
die man schlechthin als pleydenwurff-wolgemutische Typen bezeichnen
kann, einzelne von entschieden porträtartigem Aussehen, nicht bei
den Frauen, wohl aber bei den Männern, so u. a. bei dem in scharfem
Profil nach rechts gewandten Kopf des einen Schimmel reitenden, vom
Rücken gesehenen Mannes in rotem, pelzverbrämten Wams, auf dessen
turbanartigem Kopfputz einige verschnörkelte Buchstaben, wohl J. P.,
Johannes Pleydenwurff, angebracht sind.
Auf einer zweiten ~Kreuzigung~, die sich im ~germanischen Museum~ unter
Nr. 100 befindet, Klass. Bilderschatz 350, weniger tief, warm und
leuchtend im Ton als die Münchner, kniet vorn in hellgrüner Pelzmosette
mit Fuchsschwänzen (?) besetzt und weissem Untergewand in kleiner Figur
der Stifter, ~Kanonikus Schönborn~ von Würzburg. Auch hier ist das
Stifterbildnis noch flüchtig behandelt, doch ist die Aehnlichkeit mit
dem eigentlichen Porträt des Kanonikus sofort zu erkennen.
Dieses ~Porträt~, No. 101 des germanischen Museums, gleichfalls von
J. Pleydenwurff, ist ein meisterliches Kabinetstück der Sammlung. Die
Annahme des »Wegweisers für die Besucher« des Museums von 1896, dass
dieses Porträt vielleicht eine Studie für das Donatorenbildnis der
Kreuzigung sei, ist völlig unwahrscheinlich. Jenes ein drittel Meter
hohes und ein viertel Meter breites Brustbild ist bis aufs Kleinste mit
liebevoller Sorgfalt durchgearbeitet und ist jedenfalls nur um seiner
selbst willen in wiederholten Sitzungen nach dem Leben gemalt worden,
während das kniende Figürchen auf der Kreuzigung recht wohl einem
flüchtigen Erinnerungsbilde sein skizzenhaftes Dasein verdanken kann.
[Illustration: ~Porträt des Kanonikus Schönborn.~ Nürnberg.
Nach Photographie.]
Der alte Herr in violetter, pelzbesetzter Damastschaube mit dem
feinen, von grauweissen Haar umkränzten Gelehrtengesicht schaut hellen
Blickes in dreiviertel Wendung nach links über das geschlossene Buch
in losem grünen Umschlag hinweg, das er in seiner Linken hält, mit
dem Daumen die soeben gelesene Stelle festhaltend, die Lippen halb
geöffnet, als lausche er aufmerksam den Worten eines nicht sichtbaren
Sprechers. Ein erstes und in solchem Grade einziges Auftreten des
~Momentanen~ in Ausdruck und Gebärde auf einem unabhängigen Porträt
des 15. Jahrhunderts! Alter und geistige Arbeit, nicht gemeine Sorge
und körperliches Leid, haben wie mit feinem Griffel ihre Spuren in
das lebensprühende Antlitz des Greises gegraben. Die Ausführung ist
bei aller detaillierender Peinlichkeit kaum mehr zeichnerisch,
sondern weich und malerisch, und der Kontur verschwimmt leicht in der
blauen Farbe des Grundes. Leider wird die Bildwirkung durch den noch
mittelaltrig beschränkten Rahmenraum beeinträchtigt: das richtige
Verhältnis zwischen der Figur und dem Luftkörper, in welchem sie
gedacht ist, hat der Maler noch nicht gefunden.
Von andern Werken Pleydenwurffs sind hier zu nennen:
Ein ~Altarwerk~, von dem ein Flügel mit der Vermählung der heiligen
Katharina und einer mit der Geburt Christi sich in ~München~, No. 234
und 234a, ein anderer mit der Auferstehung und einer mit Christus am
Kreuz sich in ~Augsburg~, No. 130 und 131, befindet. Auf der Geburt ein
Stifter — die kniende Figur ist nicht grösser als der Kopf Marias —,
auf der Auferstehung eine Stifterin, beide mit dem Wappen der Landauer
(?). Auf der Tafel mit Christus am Kreuz soll ein porträtartiges
Gesicht in der Männergruppe Aehnlichkeit mit Michel Wolgemut haben;
eine Gestalt in der Auferstehung, der aufschauende Armbrustschütze
links, erinnert an eine Figur auf der Nürnberger Kreuzigung.
Malerisch das bedeutendste ist jedenfalls die Vermählung der heiligen
Katharina, — aber sind diese beiden herrlichen Gestalten der Maria
und der Katharina wirklich nürnbergisch? Auch der lichtdurchflutete
Raum mutet so wenig fränkisch an, eher wird man an einen Meister der
Bodenseeschule gemahnt.
Eine ~Anbetung der Könige~, ~germanisches Museum~ No. 125. Der greise
König, der dem Christkinde die Hand küsst, ist gewiss ein Porträt und
zeigt eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Kanonikus Schönborn, sodass
man es hier vielleicht mit einer Wiederholung desselben in noch höherem
Lebensalter zu thun hat.
Eine ~Vermählung der heilgen Katharina~, ~ebenda~, No. 104. Der
Stifter, gleichfalls ein Kanonikus, wird dem Christkind durch den
heiligen Bartholomäus empfohlen. Der den weltlichen Freuden anscheinend
nicht abholde geistliche Herr in der Mitte der Vierziger ist gegen den
Brauch von derselben Grösse wie die Heiligen und, soweit die starke
Uebermalung ein Urteil erlaubt, mit derselben Sorgfalt wie diese
ausgeführt. Die Tafel ist einundeindrittel Meter hoch und fast einen
Meter breit, — ein »Empfehlungsbild« im Sinne der grossen italienischen
Malerei.
Ein ~Altarbild in Szczepanów~, Galizien, von 1470, wird neuerdings
von Weisbach[60] gleichfalls dem J. Pleydenwurff zugeschrieben. Es
ist hier der Stifter wegen zu nennen, die, in verkleinertem Massstabe
und mit zwei Spruchbändern versehen, mindestens so gut ausgeführt zu
sein scheinen, wie der Schönborn auf der Nürnberger Kreuzigung. Die
drei Figuren sind nach Weisbachs Untersuchungen wahrscheinlich: der
plebanus Stanislaus Zabka, nobilis de domo Prussy, dieser am weitesten
links, und die beiden andern Angehörige der Familie Prussy. Bei dem
lebhaften Verkehr Nürnbergs mit dem deutschen Osten erscheint es nicht
ausgeschlossen, dass Pleydenwurff, wie 1462 in Schlesien, so auch 1470
persönlich in dem damals noch germanischen Polen gewesen ist.
Von einem unbekannten Zeitgenossen Pleydenwurffs, der ihm
auch künstlerisch nahe steht, befindet sich im Westchor der
~Sebalduskirche~, im Halbdunkel der Peterskapelle, ein 1453 von der
Nürnberger Patrizierfamilie ~Löffelholz~ gestifteter ~Altar~, dessen
kindlich freundliche runde Köpfe eine gute Naturbeobachtung, aber kein
allzu ernstes Eindringen in die Tiefe der Persönlichkeit bekunden.
Auf der Predella die kleinen knienden Stifter mit den Wappen der
Löffelholze, Dietner, Stromer und Sachsen, sowie die Stifterinnen mit
denen der Löffelholze, Zingel, Kress und Stromer. In diesem nicht sehr
bedeutenden Werke glaubt man den frühsten Einfluss des Genter Altars in
fränkischer Kunst zu erkennen.
Dem Meister des Löffelholzschen Altars schreibt Thode auch ein in sechs
Teile zerlegtes ~Altarwerk~ in zwei verschiedenen Kapellen des linken
Seitenschiffes von ~S. Lorenz~ zu, mit Darstellungen aus der Legende
der heiligen Katharina, und sieht in einer Figur auf der Unterredung
mit dem Könige »ein ausgezeichnetes, ungemein lebendiges Porträtbildnis
(vielleicht des Malers selbst)«.
Was die Köpfe Pleydenwurffs von denen seines berühmten Nachfolgers
~Michel Wolgemut~ unterscheidet, liegt, wie schon gesagt, weniger im
Formalen, als in dem seelischen Ausdruck, und schon an diesem allein
erkennt man in den meisten Fällen, mit welchem von den beiden Meistern
man es zu thun hat.
Pleydenwurffs Menschen gehören wahrlich nicht einer geistig
hervorragenden Welt an — ein Kopf wie der Schönborns steht ganz
vereinzelt —, ihr Gedankeninhalt ist ein beschränkter und sie ermangeln
jeglicher seelischen Monumentalität, aber wenigstens geben sie sich
natürlich und wollen nicht anders scheinen, als sie sind. Wolgemuts
Gestalten entstammen derselben geistigen Atmosphäre, aber sie bemühen
sich, ein Empfindungsleben und eine Würde zu heucheln, die ihrem innern
Wesen fremd sind. Gemacht-anmutig neigen sie das Haupt zur Seite,
geziert schieben sie die Unterlippe hervor und wehmütig lassen sie
die Mundwinkel herabsinken. Im Grunde sind seine Mädchen doch recht
einfältige Jungfräulein, deren breite Kopfformen das Gehirn eines
Kanarienvogels zu bergen scheinen, und seine Männer gleichgiltige,
knechtischstumpfe, innerlich hohle Gesellen.
Aber Wolgemuts Menschen sind nicht nur spiessbürgerlich beanlagte
Philister ohne einen Anflug idealer Lebensfreude, sondern sie
sind zuweilen auch unliebenswürdige Grillenfänger, hinter deren
»ausstaffiertem Schmerz und trüben Augenbrauen« wir »Leerheit oder
schlechtes Herz« vermuten.
Lionardo ermahnt in seinem Buche von der Malerei (No. 74) den Künstler,
dass er die Mängel seiner eigenen Person herausfinde, sie kennen lerne
und sich hüte, sie etwa auch auf seine Schöpfungen zu übertragen.
Wolgemuts Physiognomie ist uns aus Dürers vortrefflichem Porträt[61]
in der Münchner Pinakothek, Klass. Bilderschatz 650, bekannt. Wenn
man diese lebhaften Augen und die feinen, anfangs recht ansprechenden
Züge lange Zeit betrachtet hat und dann, wie es mir ergangen ist,
hinter dieser biederen Miene den klugen und arbeitstüchtigen,
aber herzenskalten, nüchternen, phantasielosen, eigensinnigen und
eigennützigen Geschäftsmann erkannt hat, so wird man sich kaum des
Gedankens erwehren können, es habe der Meister, Lionardos Warnung zum
Trotz, die eigenen Charakterfehler in die Gebilde seines geschäftigen
Pinsels mit hinüber genommen.
Diese gallige »Neigung zu fast bitterer Schärfe«, die uns so häufig
die Freude an Wolgemuts Bildern verdirbt, ist vielleicht sogar in
einem Werke seines grossen Schülers wiederzufinden: in Dürers Porträt
Friedrichs des Weisen in Berlin,[62] — einer der seltenen Fälle, wo
man, wenn man so sagen darf, die Nabelschnur zu erkennen glaubt, die
den Meister mit des Wolgemuts Haus »gegenüber den Schildröhren« verband.
Von diesem Gesammturteil über das Physiognomische in Wolgemuts
Werken sind, wie ich gern zugebe, einige wenige Köpfe ausdrücklich
auszunehmen, — die malerischen Qualitäten des Meisters, insoweit man
ihm solche zugestehen will, werden von dem Tadel seiner Typen überhaupt
nicht berührt.
~Michel Wolgemut~ ist 1434 (?) in Nürnberg geboren worden, hat sich
1472 mit der Witwe H. Pleydenwurffs verheiratet, in seine Werkstatt
trat 1486 Dürer ein, erst 1519 ist er verschieden, »am sant enders tag
fru ee dy sun awff gyng«.
Sein »wohlgestaltet« Hauptwerk, zum grössten Teil eigenhändig
ausgeführt — später beschränkte sich seine Thätigkeit auf das
allgemeine Entwerfen seiner zahlreichen Aufträge, die Verteilung der
Arbeit an die Gehilfenschar und das Einziehen der Gelder —, ist der
~Zwickauer Altar~ vom Jahre 1479, koloristisch jedenfalls das beste
was er jemals geleistet hat. Hier hat er uns auch auf einem der
Flügel ein wirkliches »Assistenzbild« geliefert: in den trachtlich
freier behandelten Männergestalten des Sippenbildes,[63] je zwei zur
äussersten Linken, je zwei zur Rechten, Kleophas, Salomo, Alpheus und
Zebedäus, sind sicherlich Porträts zu erkennen und zwar vielleicht die
vier bei der Bestellung des Hochaltars massgebend gewesenen Personen
»merten römer, hauptmann zu zwickaw, rath pavel strödel, bürgermeister
caspar sagner und thomas vilberer alterleute«. Eine Ueberlieferung
bezeichnet eines derselben, das des hinten links eine Rolle in der
Hand haltenden, als ein Selbstbildnis Wolgemuts; eine Aehnlichkeit mit
dem alten Wolgemut, wie ihn Dürer gemalt hat, ist jedenfalls nicht zu
entdecken.
Auch auf dem Flügel mit der Anbetung der Könige scheint der kniende
kahlköpfige Kaspar ein Porträt zu sein.
Das frühste Werk von Wolgemuts Hand und dasjenige, dem er seinen
heute nicht mehr recht verständlichen Ruhm wohl verdankt, ist der
mit 1465 bezeichnete ~Hofer Altar~, jetzt in der ~Pinakothek~, No.
229 bis 232. Wenn auch auf diesen vier nicht geradezu unerfreulichen
Tafeln der Anschluss an H. Pleydenwurff in einem gewissen allgemeinen
Schönheitsgefühl und in einer verhältnismässigen Mannigfaltigkeit
der Physiognomien sich ausspricht, so tragen doch Männer sowohl
als Frauen schon den Stempel langweiliger Oede auf ihren Stirnen.
Je weiter Wolgemut im Alter und der Routine vorwärts schreitet,
umsomehr verschärft sich das Mal der geistigen Armut seiner Geschöpfe,
aber gleichzeitig werden seine Frauen umso gezierter und umso
vornehmthuender grilliger, misanthropischer und leichenbitterhafter
seine Männer. Der ~Altar~ der Pfarrkirche zu ~Hersbruck~, aus den
letzten Jahren des Jahrhunderts, scheint, nach den Reproduktionen zu
schliessen, eine wahre Musterkarte unliebenswürdiger und abstossender
Gesichter zu enthalten.
[Illustration: ~Sippenbild aus dem Zwickauer Altar~ von Wolgemut.
Nach Photographie.]
Wie die Idealgestalten Wolgemuts, so zeigen auch seine porträtartig
gemeinten Stifterbildnisse dieselbe geistige Missernte, doch mag
das Odium ihrer Urheberschaft bei der Mehrzahl wohl nicht den
Meister treffen, sondern irgendwelchen seiner derben Gesellen.
Eine Befriedigung seines künstlerischen Ehrgeizes hat ja, wie wir
gesehen haben, überhaupt kaum je ein altdeutscher Maler in dieser
Bildnisgattung gesucht.
Auf einem ~Epitaphium~ für ~Frau Margareth Wilhelm Hallerin~,
~germanisches Museum~ No. 115, wo um das Sterbebett Marias elf
missmutige, mürrische Apostel versammelt sind[64] (eine freie Benutzung
des schongauerschen Stiches, der auch auf einer Tafel des Hersbrucker
Altars zum Vorbild gedient hatte), befindet sich auf einem besonderen
Abschnitt unter der Hauptdarstellung ein höchst uninteressantes Ehepaar
nebst karikaturenhafter Nachkommenschaft mit den Wappen der Haller und
Groland. Die Tafel ist mit 1487 bezeichnet. Frau Margareth trägt hier
bereits das kunstvoll über ein Drahtgeflecht zusammengelegte Kopftuch,
ähnlich wie es Dürer auf seinen Trachtenbildern von 1500 schildert.
In ~S. Lorenz~, vierte Kapelle links, Führer No. 15, ein
~Schmerzensmann~ zwischen Philippus und Jakobus, zu seinen Füssen
ein in etwas grösserem Massstabe als üblich gebildeter Stifter in
der Tracht eines Kanonikus, vielleicht der 1484 verstorbene Leonhard
Spengler. Ebenda noch einige andere Tafeln mit kleinen unbekannten
Donatoren.
Der in der Sammlung von ~Bamberg~ unter No. 21 bis 23 als Wolgemut
bezeichnete ~Altar~ ist wohl von einem späteren, aber ganz
hervorragenden Schüler des alten Nürnberger Meisters gemalt. Die
Stifterinnen unter dem Kruzifixus, der Krönung und der Beweinung, von
den Hauptbildern durch eine Leiste getrennt, gehören nach den Wappen
und der beigeschriebenen Todesnachricht mit den Jahreszahlen 1483, 1494
und 1521 der Familie Volkamer an.
In Wolgemuts vielbeschäftigter Werkstatt hat eine stattliche Schar
zum Teil sehr tüchtiger Gehilfen gearbeitet, in welcher die neuere
Forschung einige ganz bestimmte künstlerische Individualitäten zu
erkennen glaubt. Der persönlichste von allen und an Begabung dem
Meister überlegen, scheint ~Wilhelm Pleydenwurff~, der Sohn des Hans
Pleydenwurff, gewesen zu sein, der um die Mitte des Jahrhunderts
geboren und in jungen Jahren 1494 gestorben ist. Er hat mit seinem
Stiefvater Wolgemut die schedelsche Weltchronik mit Holzschnitten
illustriert, und es ist Thodes Verdienst, durch scharfe Stilkritik die
besseren Arbeiten des ersteren von denen des letzteren geschieden zu
haben. Auf Grund dieser Untersuchungen weist Thode, allerdings nicht
ohne Widerspruch, dem Wilhelm Pleydenwurff eine Anzahl grösserer Werke
zu, die bisher allgemein für wolgemutisch gegolten haben, vor allem
weitaus die meisten der Darstellungen auf der berühmten »Tafel in der
Augustiner-Kirche gegen die Schustergasse, welches (das Gemälde) der
Peringsdorffer hat machen lassen.«
Der ~Peringsdörffer Altar~, 1488 gestiftet, befindet sich jetzt im
~germanischen Museum~, No. 107 bis 114, Klass. Bilderschatz 759,
zwei Tafeln in ~S. Lorenz~, Führer No. 12 und 18. Es ist ein anderer
Geist als der wolgemutische, der aus diesen Bildern spricht, ein
höheres Schönheitsgefühl, ein intimeres Naturstudium und eine freier
schweifende Künstlerphantasie. Die Pinselführung ist schwungvoller
und fliessender, und wenn auch seine Malweise noch immer etwas
mosaikartiges beibehalten hat, so ist doch die modellierende Kraft der
Farbe zu einer gewissen Rundung der Körper benutzt worden, wie nur
irgend von einem der grössten Meister von Alt-Köln.
Aber der wichtigste Unterschied gegen Wolgemuts Arbeiten besteht im
Physiognomischen. In den Zügen der Heiligen und der Nebenpersonen
dieser wie in einer Welt des Traumes geschauten Handlungen ist nichts
von erheuchelter Empfindung, nichts von Geziertheit oder hämischem
Spiessbürgersinn zu bemerken. Das wüste Volk der Schergen ausgenommen,
sind es naive, reine, sanfte, kindlich heitere Wesen, lebendig und
lebenslustig, nicht aus gedankenloser Oberflächlichkeit, sondern
vielleicht gerade weil sie das Tiefste gedacht haben. Und auch die
Mitarbeiter am Peringsdörffer Altar sind dem Meister auf seinem höheren
Fluge gefolgt (die Tafel in S. Lorenz, No. 12, ist bezeichnet R. F.
1487), denn das Ganze macht einen völlig einheitlichen Eindruck; auch
sie müssen an das Göttliche ihrer Heiligen ~geglaubt~ haben, während
man den Schöpfungen des berühmten Werkstatt-Oberhauptes anfühlt, dass
sie mit nüchternem, kühlen Herzen und gleichgiltig geschäftiger Hand
gemalt worden sind, aus keinem anderen Grunde, als weil ihre Besteller
nun einmal die altgewohnten biblischen Stoffe verlangten.
Ein Stifterbildnis drängt sich glücklicherweise auf keiner der Tafeln
die Harmonie der legendarischen Erzählung störend ein, aber die
Vermutung, dass in dem feinen Jünglingskopf des die Madonna malenden
heiligen Lukas W. Pleydenwurff uns ein Selbstbildnis hinterlassen hat,
liegt wohl nicht allzufern. Vielleicht darf auch ein auf der Heilung
des Besessenen im Hintergrunde stehender junger Mann für das Porträt
jenes Gehilfen angesprochen werden, welcher die Veit-Bilder zu malen
hatte.
[Illustration: Der ~h. Lukas, die Madonna malend~.
Vom Peringsdörffer Altar. Nürnberg, German. Museum.
Nach Photographie.]
Von einem mehr zeichnerisch als malerisch beanlagten Schüler Wolgemuts
(aber nicht, wie Vischer meint, Hans Raphon), sind die Decken- und
Wandmalereien eines Zimmers des ~Goslarer Rathauses~ ausgeführt
worden. Der Künstler hält sich im allgemeinen an den wolgemutischen
Stil, doch zeigen seine kräftigeren Männerköpfe und die Behandlung
der Gewänder, dass er bereits die Frühwerke Dürers gekannt hat.
Auch in diesem Werk trägt ein lebensvoll erfasster Kopf entschieden
porträtartige Züge, und zwar der eines vor der Himmelskönigin knienden,
schwarzgekleideten Mannes, bartlos, eine Warze auf der Wange, mit
energischem Mund, Adlernase und kühl und verständig blickendem Auge, —
einer Ueberlieferung nach der Bürgermeister Johann Papen von Goslar.
Gleichfalls nicht von Wolgemut selbst, obwohl ihm bis auf Seidlitzs
Untersuchungen allgemein zugeschrieben, ist der ~Dreikönigsaltar~
in der Kirche von ~Heilsbronn~, so genannt nach der geschnitzten
Hauptdarstellung auf dem Schreine, von 1502 oder 1503. Der nicht
gerade bedeutende Meister dieses Altars übertrifft dennoch Wolgemut an
Schönheitsgefühl sowie an Mannigfaltigkeit und Individualität seiner
Gestalten; am nächsten scheint er, wie Thode hervorhebt, dem Wilhelm
Pleydenwurff zu stehen. Auch er hat offenbar Dürers Frühwerke gekannt.
Auf den Rückseiten der äusseren Flügel befinden sich in besonderen
Abschnitten unter den heiligen Vorgängen recht gute und ikonographisch
interessante Stifterbildnisse, und zwar: unter der Kreuzigung Friedrich
IV, Markgraf von Brandenburg, zweiter Sohn des Kurfürsten Albrecht
Achilles aus erster Ehe, gestorben 1536, im Harnisch mit den Insignien
des Schwanenordens geschmückt, begleitet von einem Vasallen, welche das
markgräfliche Wappenschild und den Helm seines Lehnsherrn trägt, und
seinen neun Söhnen, welche später den Vater »wegen Geistesblödigkeit«
der Regierung entsetzt haben; unter der Messe des heiligen Gregors
seine Gemahlin Sophie, eine Tochter König Kasimirs von Polen,
gekennzeichnet durch den roten Schild mit dem silbernen Adler, nebst
ihren acht Töchtern, sämtlich uniform in rote, schwarzgesäumte Mäntel
gekleidet.
Dem Meister des Heilsbronner Altars werden von Thode, der ihn als
möglicherweise identisch mit Hans Traut bezeichnet, noch einige
unbedeutende Werke zugeschrieben. Eines von diesen, die Malereien auf
dem kleinen ~Gregor-Altar~ der ~Heilsbronner Kirche~, zeigt auf der
Staffel mit der Beweinung Christi einen gänzlich übermalten Stifter,
wahrscheinlich Johann Wenk, der von 1518 bis 1529 Abt von Heilsbronn
gewesen sein soll. Auf einem Spruchband: Miserere mei deus secundum
magna misericordiam mea(!).
Der Meister des 1508 für die Pfarrkirche von ~Schwabach~ gelieferten
~Altars~ — die Ausführung des Schnitzwerkes und der Malereien war
Wolgemut übertragen worden, aber ausser der Staffel (nach Seidlitz
auch der Predigt des Johannes) hat er selbst wohl nichts daran gemalt
— steht ganz unter dem Banne Dürers, ja seine Nachahmung des grossen
Vorbildes streift schon fast die Manier. Die Figuren sind von einer
quecksilbernen Lebendigkeit, aber ihre Erregung berührt unangenehm,
da sie nicht der Ausdruck einer von innen nach aussen strömenden
Leidenschaft ist, sondern der bewussten Absicht des Malers, die
Aufmerksamkeit des Beschauers auf sich zu ziehen, ihr Dasein verdankt.
Die kleinen, auf langen Körpern sitzenden Köpfe »haben eine so hastige,
jähe Art zu schauen, dass die Blicke gleich Blitzen über die Bildfläche
zu schiessen scheinen« (Thode).
[Illustration: Vom ~Schwanenaltar der Gumbertuskirche~. Ansbach.
Nach Stillfried-Alcantara, Altertümer des Hauses Hohenzollern.]
Zum Schluss dieser Gruppe sei noch einer in ikonographischer
und trachtlicher Beziehung bemerkenswerten Schöpfung eines
Wolgemutschülers gedacht, des ~Schwanenaltars~ in der Ritterkapelle
der ~Gumbertuskirche~ zu ~Ansbach~ von 1484, angeblich von einem
Jakob Mühlholzer aus Windsheim. Im Schrein ein Holzbild der Madonna,
auf dem linken Flügel die Verkündigung, auf dem rechten die Anbetung
der Könige und auf der Predella der Kurfürst Albrecht Achilles von
Brandenburg († 1486) mit zwei männlichen Begleitern und seiner
Gemahlin, der Kurfürstin Anna, nebst einigen Frauen in hohen runden
Hauben und einem Hündchen, wie ein solches auch auf dem Sarkophag
der Fürstin in Heilsbronn zu sehen ist. Auf der Rückseite des sehr
übermalten Altars die Himmelskönigin, unter deren von Engeln gehaltenen
Mantel fünf kurfürstliche Prinzen und fünf Prinzessinnen knien, — ein
Maria-Schutz mit besonderer Beziehung zu einer fürstlichen Familie.
Sämtliche Mitglieder, männliche wie weibliche, tragen die Insignien
des 1440 von Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg, dem »Markgrafen
mit den eisernen Zähnen«, gestifteten Schwanenordens. Was die elegante
Jugend des ausgehenden 15. Jahrhunderts an Wunderlichkeiten des
Kleiderschnittes und bunten Farbenzusammenstellungen geleistet hat,
davon geben die Gewänder der fünf Prinzen eine vortreffliche Anschauung.
Innerhalb und ausserhalb Nürnbergs sehen wir die fränkische Malerschule
jetzt und noch bis in das 16. Jahrhundert hinein, unter dem Einfluss
Wolgemuts und seiner Schüler. Mancher porträtartige Kopf und zahllose
Stifterschwärme begegnen uns auf diesen derben und hausbackenen Werken,
von denen sich eine beträchtliche Anzahl in den Sammlungen von Würzburg
und Bamberg befindet. Namen der Donatoren sind nur in den seltensten
Fällen zu ermitteln und schliesslich lohnt es sich auch wohl kaum der
Mühe, sie ihrer wohlverdienten Vergessenheit zu entreissen.
* * * * *
Dass in der fränkischen Schule die eigentliche Porträtkunst häufiger
als anderwärts gepflegt worden ist, darf nach der verhältnismässig
grossen Zahl der uns aus den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts
gerade von ihr hinterlassenen Einzelbildnisse wohl angenommen werden,
auch würde einen solchen Schluss ihre Neigung zum Individuellen
und Charakteristischen schon aprioristisch gestatten. Monumentale
Repräsentationsbilder, in denen das Besondere mit dem Allgemeinen
verbunden erscheint, wird man von der fränkischen Schule ebenso wenig
wie von einer anderen deutsch-mittelaltrigen erwarten dürfen. Die
kleinen Brustbilder, für niedrige, schlecht erleuchtete Räume und für
den engsten Familienkreis bestimmt, begnügen sich, die äusseren Züge
und alle Zufälligkeiten in der Physiognomie des Dargestellten schlecht
und recht wiederzugeben, in die Tiefe seines Wesens hinabzusteigen
oder auch nur den Wiederschein eines Gedankens auf seinem Antlitz zum
Ausdruck zu bringen, darauf erheben sie keinen Anspruch. Bei einem so
tiefen Niveau der Porträtkunst ist es natürlich recht schwierig, in
dem Bilde die Hand desjenigen zu erkennen, der es gemalt hat, verbirgt
sich so doch selbst in den Porträts der grossen Meister des 16.
Jahrhunderts mit bestimmt ausgesprochener Eigentümlichkeit gar so oft
die Persönlichkeit des Darstellers hinter der des Dargestellten.
Mit Sicherheit ist es im Vorstehenden nur möglich gewesen, das Porträt
des Kanonikus Schönborn einem bestimmten Meister zuzusprechen, dem Hans
Pleydenwurff. Es sollen nun hier diejenigen genannt werden, welche
mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit als »wolgemutisch«
bezeichnet werden dürfen.
1. Ein ~Liebes- oder Ehepaar~ in halben Figuren im Amalienstift zu
~Dessau~, bez. 1475.
Die junge Frau mit grossen, derben Gesichtszügen, breiter und hoher
Stirn, zurückgehendem Untergesicht und gedankenleeren Augen ist ein
echt wolgemutischer Typus. Sie hat die Unterarme mit dem langen
Handrücken und den wulstigen Fingern übereinandergelegt, die rechte
Hand — ein überraschend feiner Zug — ein wenig geöffnet, wie die leise
Andeutung eines Gedankens, der in einer Bewegung nach dem Ringe hin
sogleich zur Auslösung kommen wird, den ihr der junge Gatte zwischen
Zeigefinger und Daumen in recht natürlichem Gestus darreicht. Dieser,
ihr Partner, ist in eleganter modischer Tracht erschienen. Das Hemd
ist tief am Halse ausgeschnitten, der kurze Aermel des Obergewandes
ist weit aufgeschlitzt. Das Haar trägt er frei auf die Schultern
herabwallend, nach vornehmer Sitte der Zeit, so wie es uns von Dürers
Selbstbildnis in der Pinakothek her bekannt ist, und kokett sitzt
auf dem Haupt das mit dem Reiherstutz geschmückte Barett. Sinnliche
Kraft und männliche Entschlossenheit spricht aus den groben Zügen,
der starken, gebogenen Nase und dem festgeschlossenen Mund, doch
eine scharfe, vom Nasenflügel zu den Mundwinkeln herab sich ziehende
Falte, die so manchen wolgemutischen Männerkopf kennzeichnet, giebt
dem Gesicht einen Beigeschmack von herber Bitterkeit. Das Paar
steht vor einer schlichten Architektur, die zwei Ausblicke in
landschaftliche Ferne zeigt. Im ganzen genommen ein vortrefflich mit
dem Pinsel gezeichnetes Bild von ausserordentlicher Lebendigkeit und
Lebenswahrheit.
[Illustration: ~Ehepaar in Dessau.~
Nach Springer, Handbuch der Kunstgeschichte.]
2. ~Brustbild eines alten unbärtigen Mannes~ in schwarzem Rock und Hut.
~Germanisches Museum~ No. 119. Dreiviertel Ansicht nach links, ohne
Hände, auf blauem Grund. Eine recht mässige, handwerkliche Arbeit. Der
Dargestellte hat mit dem eben genannten Mann in Dessau eine entfernte
Aehnlichkeit, nur ist sein Ausdruck geradezu unfreundlich und verärgert.
[Illustration: ~Porträt des H. Perckmeister.~ Nürnberg.
Nach Photographie.]
3. ~Bildnis des Hans Perckmeister.~ ~Germanisches Museum~ No. 119a.[65]
Am oberen Rande die Inschrift: Als man MCCCCLXXXXVI Jar zählt,
was Hans Perckmeister LX Jar in der Gestalt. Kopf in dreiviertel
Wendung nach rechts. Beide Hände sind angegeben, die rechte hält
einen Rosenkranz, die linke ruht auf der Handwurzel der rechten.
Schwarzer Rock und schwarze Mütze, unter der das graue spröde Haar,
detailliert, nicht als Masse behandelt, bis zum Halsansatz herabfällt.
In die trockene, pergamentene Haut, unter der alles Fett verschwunden
ist, besonders in der Umgebung der tief eingesunkenen Augen, scheint
langdauernder Gram oder körperliches Leid tiefe Linien und Furchen
gegraben zu haben. Schmerzlich sind die Mundwinkel herabgezogen,
nicht nur in einer momentanen Bewegung, nicht nur in den Tagen, da
er dem Maler gesessen hat, sondern sie erscheinen gewissermassen wie
erstarrt, wie versteinert in diesem Zustand. Die betreffenden Muskeln,
die Depressiores angeli oris, haben sich verstärkt und verhärtet in
oft geübter Thätigkeit. Aber nicht nur Gram oder Schmerz muss die
Nervenkraft in jene Muskeln geleitet haben, sondern ein Motor, der im
Gemüt des Alten gelegen haben mag: ein galliges, missgünstiges, ein
Sixtus Beckmesser Temperament, das ihn oft in Stimmungen versetzt hat,
wie jene war, in der er im Bilde erscheint, — ob freilich auch hier
der Maler etwas von seinem eigenen Wesen hat einfliessen lassen, sei
dahingestellt. Die Zeichnung ist, wie stets bei Wolgemut, fest und
energisch.
4. ~Brustbild eines Mannes~ in mittleren Jahren. ~Bairisches
National-Museum~, Zimmer No. 11, am Fenster. Bez. 1501. Kopf
dreiviertel nach rechts, blauer Grund. Die schwarze Schaube ist vorn
geöffnet und lässt ein weisses Unterkleid mit dunklen Querstreifen
sichtbar werden. Der Hals ist mit einer Kette geschmückt, den Kopf
bedeckt eine Mütze von Pelzwerk, in der Hand hält er einen Münzstempel.
Der Ausdruck ist derselbe unliebenswürdige wie beim Perckmeister, mit
dem der Dargestellte überhaupt eine gewisse Familienähnlichkeit hat.
Die Zeichnung ist scharf und hart, das Inkarnat gelbbräunlich, von
ungesundem Aussehen.
5. ~Brustbild einer Frau~ in den zwanziger Jahren. ~Ebenda.~ Gegenstück
zu dem vorigen. Bez. 1501. Kopf dreiviertel nach links, dunkelgrüner
Grund. Die Hand hält eine rote Nelke. Sie trägt ein rotes Kleid,
welches Hals und oberen Teil der Brust frei lässt, mit goldener
Schliesse und reichem Goldbesatz. Hals und Brust, deren unterer Teil
von einem weissen Hemd bedeckt ist, sind mit Ketten behangen. Zeichnung
und Inkarnat wie beim vorigen, der Ausdruck aber ist bei weitem
freundlicher und sympathischer. Beide recht mässige Bilder, nach Thode
vielleicht von einem Schüler Wilhelm Pleydenwurffs.
6. ~Brustbild einer Frau~ in mittleren Jahren. ~Ebenda.~ Zimmer No. 12.
Fast lebensgross, derbe Züge, hellgrüner Grund. Die Hände sind ruhig
übereinander gelegt, das Haar bedeckt eine gelblich-weisse runde Haube,
an den Schläfen treten die Zöpfe hervor. Auf dem unter dem Ausschnitt
sichtbaren Untergewand ein Schmuckstück.
7. ~Bildnis der Ursula Hans Tucher~, geb. Harsdorffer. ~Kassel~,
No. 2. Am Rande, rechts unten, die Jahreszahl 1478, deren Echtheit
jedoch bestritten wird. Die Tucherin ist 1504 gestorben. Brustbild,
Kopf dreiviertel nach links, einfarbiger rot-brauner (übermalter)
Hintergrund. Oben die Aufschrift: Ursula Hans Tucherin. Die seit 1481
verheiratete, ziemlich junge Frau im grünen Kleide mit goldener
Verschnürung, das Haar von einer grossen, gebauschten Haube bedeckt,
die durch ein besonderes Kinntuch gehalten wird, blickt ernst aus
dem Bilde heraus. Die zierlich gelegten Finger der aristokratisch
feinen Rechten halten eine Nelke. Thausing, der begeisterte Verehrer
Wolgemuts, schreibt darüber in seinem Dürerwerk S. 81: »Das Ganze
ist unendlich anziehend und liebenswürdig behandelt; die Farbe ist
vollkommen unverändert geblieben, reizend hell, voll Schmelz, fast
reiner noch als bei Roger van der Weyden, der Kopf von der zartesten
Modellierung, die Zeichnung der Hand wunderbar vollendet«.
Das Bild hat (trotz Thausing) offenbar durch Reinigung und Uebermalung
sehr gelitten. In seinem heutigen Zustand ist es schwer, die Hand des
Malers zu erkennen. Am ehesten könnte man an W. Pleydenwurff denken.
Die Behandlung ist, im Gegensatz zu der daneben hängenden Elisabeth
Niclas Tucherin, malerisch, d. h. auf Farbenwirkung berechnet, nicht
zeichnerisch. Die Gesichtstöne sind rosig, die Konturen und die
Uebergänge von einer Fläche zur andern zart und weich, besonders in den
Teilen abwärts der Augen; Brauen und Wimpern sind durch leise Schatten
angedeutet, kein Härchen ist einzeln gezeichnet.
Früher pflegte man Wolgemut ferner noch die drei 1499 datierten
Porträts der tucherschen Familie zuzuschreiben, und zwar die ~Elisabeth
Niclas Tucherin~ in ~Kassel~ und ~Hans Tucher~ und seine Gattin
~Felicitas~ in ~Weimar~[66]. Seit man auf dem Bildnis der Elisabeth
unter dem Firniss das echte Dürer-Monogramm entdeckt hat, werden
auch die beiden anderen Tucherbilder wohl allgemein dem grossen
Meister zugesprochen. Ihre technische Behandlung ist im Grunde die
gleiche. Die Augen mit ihren scharf geschnittenen Lidern, den einzeln
angegebenen Brauen- und Wimperhaaren und der auffälligen Hervorhebung
der Thränenkarunkel, die starken Backenknochen, die Landschaft des
Hintergrundes mit dem niedrigen, hellgrünen Buschwerk und den bei den
weiblichen Porträts genau übereinstimmenden dicken, flockigen Wölkchen,
lassen mit Bestimmtheit auf einunddieselbe Pinselführung schliessen.
Auch die allgemeine Anordnung der Bildnisse ist bei allen dreien die
gleiche: Brustbild, Kopf in dreiviertel Ansicht vor reichgemusterter
Tapete, Ausblick auf Landschaft, und die nur zum Teil aus dem Rahmen
emportauchende Hand hält einen Ring, bez. eine Blume. Auf Dürer weist
das »mantegneske« in der Bildung und dem rötlichbraunen Ton der Hände,
und der Energie des Lebensausdrucks in allen drei Porträts wäre damals
ein anderer Meister schwerlich fähig gewesen. Das Bildnis des Hans
Tucher muss geradezu als ein unmittelbarer Vorläufer des Oswald Krell
bezeichnet werden.[67]
[Illustration: ~Porträt des Hans Tucher~ von Dürer. Weimar.
Nach Photographie.]
Ganz allgemein der Gruppe Wolgemut-Pleydenwurff und Konsorten möchte
ich die folgenden Bildnisse zuweisen:
Zwei Brustbilder auf Vorder- und Rückseite einundderselben Tafel
im Besitze des ~Geheimrats Lippmann~ in ~Berlin~, 1490 datiert,
»mit fränkischer Derbheit gezeichnet«. Auf der einen Seite ein
~bartloser Mann~ mit einer Nelke in der Rechten, im Hintergrund
ein landschaftlicher Ausblick durch ein Fenster, auf der anderen
Seite ein ~bärtiger Mann~ auf Goldgrund, der einen Pfeil hält
(Sebastian?). Ich selbst kenne die Bilder nicht. Das Werk über die
Renaissance-Ausstellung in Berlin 1898 S. 30, schreibt sie dem
Vorgänger Dürers zu, »mag man ihn nun Pleydenwurff oder Wolgemut
nennen«; auch sollen sie an die Art der Stiche des Meisters W. B.
erinnern (Friedländer).
~Porträt des Konrad Imhof~ in der ~Rochus-Kapelle~ des gleichnamigen
Friedhofes zu ~Nürnberg~. Bez. aetatis 23 anno 1486, mit einer
Inschrift, welche sich auf die Aufstellung des Bildes in der genannten
Kapelle bezieht.
Brustbild, Kopf ein wenig nach links gewendet, einfarbiger Grund. Die
linke Hand hält eine Blume. Der Dargestellte trägt einen grünen, an
den Aermeln geschlitzten Samtrock. Lange blonde Locken fallen tief
auf die Schultern herab. Das Inkarnat ist frisch und rosig, die Farbe
überhaupt kräftig und die Zeichnung fein und sicher. Ernst, aber offen
und frei blickt der vornehme junge Mann ins Leben, in dem er gewiss ein
reiches Mass des Schönen und Lebenswerten geschaut hat. Schon um dieser
Auffassung willen kann es Wolgemut, wie Seidlitz will, kaum gemalt
haben, eher könnte man mit Thode an den liebenswürdigen W. Pleydenwurff
denken.[68]
Eine ~Kopie~ oder ~Wiederholung~ desselben Porträts, in kleinerem
Massstabe, trocken und schwächer in der Farbe, befindet sich in einem
Glasschrank des ~bairischen National-Museums~. Bez. Conrat Im Hof XXIII
jar 1486. Das Bild hat nach Art der Klappaltärchen zwei Flügel, auf
dem einen das Familienwappen, auf dem andern eine auf einer Konsole
stehende, von einem roten Mantel umwallte, halb nackte Frauenfigur.
Auf Grund dieser allegorischen Gestalt sollte man meinen, dass die
Ausführung später als 1486 erfolgt sei, vielleicht von Jakob Elsner
(Thode, S. 195).
[Illustration: ~Porträt des Konrad Imhof.~ Nürnberg, Rochus-Kapelle.
Nach einer Photographie, mit Erlaubnis des Herrn Hans Stegmann.]
In demselben Glasschrank das ~Porträt einer Frau~ in den dreissiger
Jahren. Brustbild mit Händen auf neutralem Grund. Nicht hervorragende
Arbeit. Das Gesicht ist mager und prägt sich leicht ein durch seine
mächtige Nase und die auffällig stark gebildete Unterlippe. Der Kopf
ist von einem weissen Tuch mehrfach umschlungen. Auf dem goldenen
Saum der roten Jacke Buchstaben, von denen ich nur die auf dem Aermel
befindlichen lesen konnte: MARTHA.
[Illustration: ~Doppelbildnis im baier. National-Museum.~ München.
Nach Below, Städtewesen und Bürgertum.]
~Doppelbildnis~ im ~bairischen National-Museum~, Zimmer No. 11, am
Fenster. Bez. 1479. Brustbild eines Mannes in der Mitte der Vierziger
und einer jungen Frau, auf leuchtendem, rotem Grunde. Die Köpfe
sind einander zugewendet, aber sie blicken sich nicht an, sondern
schauen zum Bilde hinaus. Der Mann, bartlos, den Rock bis zum Halse
geschlossen, das Haupthaar tief auf den Nacken herabfallend und von
einer Kappe in Form eines abgestutzten Kegels bedeckt, mit hagerem
Gesicht und grossen braunen Augen, hat eine feierlich ernste Miene
angenommen. Wollte man nach modernen Begriffen dieses gewiss ganz
naive Werk beurteilen, so würde man sagen, der Dargestellte habe
diesen Ausdruck gewählt, als der Würde des Momentes entsprechend, in
welchem er der Nachwelt überliefert werden sollte. Es liegt etwas
Gezwungenes in diesem Blick, das uns von modernen Photographien her
bekannt ist. Die Frau, ein weisses Tuch mehrfach um den Kopf gewunden,
dessen eines Ende über die linke Schulter auf die Brust herabfällt
und dann auf der rechten Schulter wieder aufgenommen wird, mit vollem
runden Gesichtchen und leicht gebogenem Näschen, schaut unbefangen,
lebhaft, freundlich und voller Jugendlust in die schöne Welt hinaus.
Zwei ganz vortreffliche Porträts, besonders das weibliche.
[Illustration: ~Porträt des Jörg Ketzler.~ Augsburg.
Nach Photographie.]
Eines der wenigen Porträts des 15. Jahrhunderts, von denen der Autor
mit Bestimmtheit bezeichnet werden kann, besitzt die Galerie von
~Augsburg~ unter No. 139. Es ist das ~Bildnis des Jörg Ketzler~ aus
Nürnberg, gemalt 1499 von dem in der Hauptstadt Frankens thätigen
Illuministen und Porträtisten ~Jakob Elsner~, gestorben 1546 (?).
Brustbild, der Kopf in dreiviertel Ansicht nach links, einfarbiger
Grund. Oben, zu beiden Seiten des Kopfes, die kalligraphischen
Initialen J und K. Auf der Rückseite folgende Inschrift: »Auff d. 10.
maio Im 1471 Jar pin ich Jorg Ketzler d. Elter (geb.) von meiner mutter
selige genant Katharina vnd mein vatter Seliger genant petter Ketzler.
vnd das Nebenbildt ist von Jacob Elsner noch mir abgemolt worden auf
den 10 luyo (Juli) Im 99 Jar also das ich eben auff die Zeyt gewesen
bin 28 Jar vnd 9 wochen ich Jörg Ketzler bürger zu Nüremberg kost 7 fl
2 d.«
Der junge Mann ist in ein rotes Unterkleid mit karminfarbenen Aermeln
gekleidet, darüber ein ärmelloser brauner Mantel, auf dem bis auf die
Schultern herabwallenden dunkelblonden Lockenhaar sitzt eine schwarze
Kappe, deren Krempe an der Seite heraufgeschlagen ist. Eine Schnur um
den nackten Hals, die wohl ein Kleinod oder Amulett trägt, verschwindet
unter dem Brustteil des Unterkleides, die auffallend kleinen Hände
halten den Rosenkranz, die hellblauen, wässrigen Augen schauen rechts
seitwärts aus dem Bild heraus. Die Zeichnung ist sorgfältig und
sauber ausgeführt, die Gesichtsteile stehen im richtigen Verhältnis
zueinander, misslungen ist nur die organische Verbindung zwischen Hals
und Kopf. Eine plastische Rundung ist durch die zähe und trockene Farbe
nicht erreicht worden. Der Ausdruck der sympathischen Physiognomie ist
noch ein wenig befangen. Von Dürers Frühkunst scheint der Meister noch
nicht berührt zu sein. Thode findet in Kolorit und Auffassung eine
Beziehung zu W. Pleydenwurff. Er zitiert S. 194 über ihn eine Stelle
aus Neudörfers »Nachrichten«: »Dieser Elsner war ein sehr angenehmer
Mann bei den ehrbaren Bürgern, des Lautenschlagens verständig,
derhalben ihn auch die grossen Künstler im Orgelschlagen, welche waren
Sebastian Imhof, Wilhelm Haller und Lorenz Staiber lieb haben, waren
mit Anderen ihrer Gesellen täglich um und bei ihm. Er conterfeiet
sie auch und illuminiret ihnen schöne Bücher und machet ihnen ihre
Wappen und Kleinot, damit sie vom Kaisern und Königen begabt waren, in
ihre Wappenbrief«. — Bayersdorfer schreibt Elsner noch einige andere
Porträts zu, die mir leider nicht bekannt sind.
[Illustration: ~Porträt eines jungen Mannes.~
Nürnberg, German. Museum.
Nach Photographie.]
Von Einzelbildnissen, welche ich keiner bestimmten Künstlergruppe
zuzuweisen vermag und von denen bei einigen selbst die fränkische
Herkunft nur vermutungsweise behauptet werden darf, erwähne ich die
folgenden:
~Bildnis eines blonden jungen Mannes im germanischen Museum~, No.
99. Brustbild, der Kopf ein wenig nach links gewendet und zur Seite
geneigt, auf einfarbigem Grunde. Nach dem Katalog: Schule von
Nürnberg um 1460. Der vornehme Jüngling in schwarzer halbgeöffneter
Moiréschaube, die das Pelzfutter sehen lässt (die erste Stufe einer
Entwickelungsreihe, die bei dem kostbaren Pelzwerk des Holzschuhers
endigt!), eine schwarze Kappe auf den blonden, nicht gerade üppigen
Haaren, macht den Eindruck eines Zwanzigjährigen, — nach den müden,
knochenlosen Händen freilich, die mit der Rechten ein Ringlein halten,
müsste man einen Greis in ihm vermuten. Augen, Nase und Wangen sind
völlig konventionell gegeben, aber das Untergesicht, besonders
der etwas sinnliche, schwellend-weiche Mund ist ausserordentlich
persönlich. Der Ausdruck ist kindlich, naiv und schüchtern, der einer
liebenswürdigen und zur Liebe geschaffenen Persönlichkeit, nicht der
eines Wirkers grosser Thaten. Ein Illustrator schillerscher Balladen
fände hier das Vorbild für Fridolin, den frommen Knecht der Gräfin von
Savern.
Zwei handwerklich gemalte Köpfe in einer der südwestlichen Kapellen der
Frauenkirche in München, wohl vom Ende des Jahrhunderts:
~Meister Heimeran, Zimmermeister der Frauenkirche~ und ~Jörg Ganghofer
von Haselbach, Baumeister der Frauenkirche~ von 1468 bis 1488. Beide
in dreiviertel Ansicht auf einfarbigem Gründe und sehr übermalt.
Vielleicht, dass wir es hier mit einem Münchner Lokalmaler zu thun
haben. Kopien im bairischen National-Museum, Zimmer No. 11.
~Zwei Nürnberger Patriziertöchter~ auf einer Tafel, daneben die Wappen
der Tucher und Schlüsselfeld und die Jahreszahlen 1476 und 1467, in der
Schlosssammlung von ~Heidelberg~ No. 385. Rote Mäntel, grosse weisse
Hauben. Vielleicht sind es die Frauen eines Führer von Haimendorf,
dessen Wappen sich zwischen den beiden befindet. Offenbar sind diese
Figuren, gleichwie das folgende Brustbild, aus einem grösseren
Gemälde herausgeschnittene Stifterbildnisse. Einfache, anspruchslose
Arbeiten. Der frische rote Fleischton der Wangen und Lippen ist später
hinzugemalt.
~Männliches Brustbild~ ohne Hände, ~ebenda~, noch nicht katalogisiert.
Aermelloser, pelzbesetzter Ueberrock. Wappen der Führer von Haimendorf.
Das eigentümliche Inkarnat ist wohl die Folge des Durchdringens der
Untermalung. Vielleicht aus demselben Gemälde geschnitten wie die
vorigen.
Ein ~männliches Brustbild~ ohne Hände in der ~Wiener Akademie~, No.
571. Der Dargestellte trägt auf dem langen, lockigen Haar einen Reif.
Erinnert an den Mann des Liebespaares in Gotha. Der Name »Schilther«
oben links und eine kniende Figur mit der Jahreszahl 1394 rechts sind
spätere Zuthaten.
[Illustration: ~Porträt der Hoferin.~ London.
Nach Photographie.]
~Bildnis einer Patrizierin~ in den dreissiger Jahren. ~London~,
National-Galerie No. 722. Brustbild. Kopf dreiviertel nach rechts,
einfarbiger Grund. Eine wohl später hinzugefügte Inschrift sagt, dass
die Dargestellte eine »geborene Hoferin« sei. Sie trägt eine mächtige
weisse Haube, auf der sich, ein lustiger Malerscherz, eine schwarze
Stubenfliege niedergelassen hat. (In der Abbildung nicht zu erkennen.)
Die rechte Hand ist auf die Brust gelegt, die linke hält das Blümlein
Vergissmeinnicht, beide Hände sind aristokratisch schmal, die Finger
der linken erscheinen auffällig lang. Die Augen blicken frei aus dem
Bilde heraus, fast mit dem Schimmer einer momentanen Belebung, der
Fleischton ist hell gehalten. Das Bild wurde früher in London Sigmund
Holbein genannt, Scheibler denkt an Wolgemut, für den es doch wohl zu
gut ist, jetzt ist es im Katalog als deutsche Schule des 15. bis 16.
Jahrhunderts bezeichnet.
Fränkisch, aber vielleicht schon mit Dürer in Beziehung zu bringen,
sind die folgenden Porträts:
~Männliches Bildnis in der Sammlung Ferroni~, jetzt im Cenacolo di
Fulgino, ~Florenz~. Brustbild, einfarbiger Hintergrund. Der in den
mittleren Jahren stehende Mann von grauer, ungesunder Gesichtsfarbe mit
viereckigem schwarzen Barett auf den lang herabfallenden Locken, trägt
eine schwarze Jacke, die am nackten Halse verschnürt ist. Das Bild, in
der Augengegend übermalt oder restauriert, hat bereits den Umschwung
von der gebundenen, steifen Art der älteren Porträts zu der neuen
freien Auffassung mitgemacht. In der Sammlung Ferroni wird es Dürer
genannt, Vischer will es Wolgemut zusprechen, Voll wird, wie er mir von
Florenz aus schreibt, in der Malweise an Dürers Porträt seines Bruders
in München von 1500 erinnert und glaubt, es sei vielleicht die Kopie
von einem Werke des Meisters.
~Brustbild eines jungen Mannes im germanischen Museum~, No. 204. Nach
dem Katalog vermutungsweise ein Werk Dürers aus seiner Lehrzeit. Es
zeigt auf dunklem Grunde einen Jüngling in langem, blonden Lockenhaar,
der in der Rechten ein Vergissmeinnicht (?) hält. Bekleidet ist er
mit hellblauem, schlitzärmligen Wams mit gesticktem Vorstoss, braunem
Ueberkleid und roter Kappe. Das Haar ist wellig und wallend, aber hart
und metallen. Die Hände sind ausserordentlich lebendig und scharf
gegliedert. Seidlitz, Zeitschrift für bildende Kunst 1883, hielt das
Bild für wolgemutisch, Vischer wird durch Hände und Lippen »an den
mit Baldung identifizierten Meister der Erschaffung der Eva«, ebenda,
erinnert. Die Züge des halb nach rechts gewendeten Kopfes sind nicht
unsympathisch und verraten ein gutmütiges, etwas schelmisches Wesen.
[Illustration: ~Porträt des Pacimondanus.~ Basel, Museum.
Nach einem Kohledruck von Braun, Clement & Co. in Dornach i. E.,
Paris und New-York.]
~Porträtartiges Brustbild~ eines etwa 45 Jahre alten Gelehrten in
~Basel~, No. 73. Nach einer Inschrift in grossen Renaissanceminuskeln:
~Pius Joachim~. Auf der Rückseite des Bildes befindet sich die
Angabe, dass der Dargestellte der Professor Pacimondanus ist (also
Friedberg). Den Kopf, um den Heiligen anzudeuten, umgiebt ein goldener
Strahlenkranz, der seltsam mit der realistisch derben, völlig
porträtartigen Physiognomie kontrastiert. Auf der groben weissen
Wollperücke, welche breit die Stirn umkränzt, sitzt eine hellgraue,
trefflich behandelte Pelzmütze. Bekleidet ist er mit einem schwarzen
Rock, der mit einem schmalen dürftigen Pelzstreifen verziert ist. Das
Gesicht, in gleichmässig rosarotem gesunden Fleischton gehalten, ist
dreiviertel nach rechts gewendet. Die kräftigen Farben sind sorgfältig
ineinander vertrieben und alle Gesichtsteile vorzüglich modelliert. Die
kleinen, kurz- und dickfingrigen Hände mit lederartiger Haut halten den
Rosenkranz. An schlichter, einfarbig brauner Wand, die den Hintergrund
bildet, hängen einige Briefschaften und eine schwarzgefasste
Klemmerbrille, darüber sitzt eine Fliege. — Ueber den Meister des
Bildes ist viel gestritten worden. Früher hielt man ihn allgemein, sehr
mit Unrecht, für Schongauer, Bayersdorfer hat an ein Frühbild von Dürer
gedacht, Dr. Burckhardt sprach mir gegenüber die Vermutung aus, es
könne von Fouquet sein, was bei den vielfachen Beziehungen der Baseler
Professoren zu Frankreich nicht unmöglich wäre; in diesem Falle müsste
es auch dort gemalt sein. Zunächst muss das interessante Bild noch ein
Rätsel der Kunstgeschichte bleiben.
[Illustration: ~Porträt im Besitz des Grossherzogs von Hessen.~
Nach besonderer Aufnahme.]
~Brustbild eines jungen Mannes~ im Besitze des ~Grossherzogs von
Hessen~. ~Darmstadt, Schloss~. Stammt aus der Sammlung des Prinzen
Wilhelm von Preussen. Er wendet den Kopf halb nach links. In der
Rechten der Rosenkranz. Dunkle Schaube, die vorn offen steht und ein
quergestreiftes Unterkleid sichtbar werden lässt. Um dem Hals eine
Schnur, die zwischen Unterkleid und Brust verschwindet. Der Hintergrund
wird durch eine offene Landschaft gebildet. Das Porträt ist mit spitzem
Pinsel und dünnem Farbenauftrag sorgfältig gezeichnet, bis auf den
unteren Teil, der flüchtig und überhaupt misslungen ist. (Aermel,
Hände.) Auf der Rückseite befinden sich mehrere Notizen aus späterer
Zeit: »Soll Albrecht Dürer sein, als er jung war« und ferner: »Von
der Hand Newpauer«. In Darmstadt wird das Bild als ein Werk Dürers
bezeichnet; ich schliesse mich dieser Auffassung an und glaube, dass es
zeitlich nur wenig den Tucherporträts in Weimar vorausgeht.
Dritter Teil.
1. Die Auftraggeber.
In langer Reihe, nach Heimatländern geordnet, sind die Malertafeln des
14. und 15. Jahrhunderts an unserem Blick vorübergezogen. Eine Fülle
individueller Existenzen ist uns auf ihnen begegnet, als Zuschauer
oder Assistenten bei heiligen Vorgängen, als Stifterbildnisse und als
unabhängige Porträts.
Es muss nun der Versuch gemacht werden, das Gemeinsame von dem
Unterscheidenden zu trennen und ohne landschaftliche Sonderung jede
dieser drei Gruppen zu einem Gattungsbild zusammen zu schliessen.
Zunächst jedoch wird es zweckmässig sein, auf die Persönlichkeiten
einen Blick zu werfen, welche auf jenen drei Bildnisklassen erscheinen,
auf die ~Besteller~ der Tafelbilder.
Dass von keiner Auftragsseite ein kunstfreundliches Motiv bestimmend
gewesen ist, darf von vornherein als ausgemacht gelten. Bei den
Altargemälden (Gruppe 1 und 2) ist es der fromme Glaube, ein Gott oder
dem schützenden Heiligen wohlgefälliges Werk zu vollführen oder das
Bewusstsein sündiger Schuld und die Hoffnung durch eine Stiftung an die
Kirche böse Thaten zu sühnen und so die drohenden Strafen in Fegefeuer
und Hölle zu mildern. Beim Porträt (Gruppe 3) ist es lediglich das dem
Menschen von Anbeginn zu eigene Verlangen, durch ein Abbild seiner
äusseren Erscheinung die Spur von seinen Erdentagen nicht ganz verwehen
zu lassen.
Beförderer der Kunst um der Kunst willen oder zur Befriedigung einer
ästhetischen Neigung sind vor dem Ende des 15. Jahrhunderts in
Deutschland weder bei den Fürsten, noch unter dem Adel, noch in den
breiten Schichten des Bürgertums zu finden. Dass trotzdem kirchliche
Gemälde von hoher künstlerischer Bedeutung geschaffen worden sind,
steht mit dieser Thatsache nicht im Widerspruch. Das allgemeine
Schmuckbedürfnis, welches das gesamte Mittelalter beherrschte und
welches dazu führte, in allem, was überhaupt für das ganze menschliche
Dasein gebildet wurde, instinktiv die Lösung einer bestimmten
Kunstaufgabe zu sehen, musste sich erst recht an Gegenständen
bethätigen, die für die heiligsten Räume der Christenheit geschaffen
werden sollten. Wo es der Ehre der Kirche galt, war gewiss das beste
gerade gut genug.
Aber um einen Altar malen, ja selbst schon um sich von einem
angesehenen Meister abschildern zu lassen, dazu bedurfte es des baren
Geldes, und das war im späteren Mittelalter nur an zwei Stellen zu
finden: bei den geistlichen und den weltlichen ~Korporationen~ und bei
den wenigen ~Patriziern~, die es trotz der dem Grosshandel durchaus
feindlichen Wirtschaftspolitik der Städte zu einem gewissen Reichtum
gebracht hatten.
Es ist nach modernen Begriffen schwer, sich das Oberhaupt des Reiches
ohne finanzielle Mittel vorzustellen und doch darf auf die Kaiser,
mit Ausnahme des durch Böhmen zum Wohlstand gelangten Karl IV.,
beinahe jener sprichwörtliche Vergleich mit der Kirchenmaus angewendet
werden. Ruprecht von der Pfalz, der in Geldangelegenheiten grenzenlos
leichtsinnige Sigmund und der knauserige Friedrich III., sie alle
waren ohne eigentlichen, ein ständiges und gesichertes Einkommen
gewährleistenden Besitz und fristeten ihr Leben gleichsam aus der Hand
zum Mund, auch Maximilian befand sich noch in ewigen Geldnöten. Um die
Territorialherren war es nicht besser bestellt, auch sie waren mehr
oder weniger verschuldet. Der Landadel, der seine wirtschaftlichen
Einkünfte immer geringer werden sah, und dem schliesslich nur zwischen
Verbauerung auf seinem Schlösslein und Strauchdieberei die bange
Wahl blieb, wenn anders er nicht etwa durch Universitätsstudien sich
für eine fürstliche Beamtenstellung vorbereitet hatte, Kriegsdienste
genommen oder den Kampf ums Dasein meidend in ein Kloster geflüchtet
war, er verwendete das erpresste Bauerngut oder die dem reisenden
Kaufmann abgejagten Schätze auf prächtige Kleider, zu Schmausereien
und Trinkgelagen. Für eine künstlerische Ausstattung seines Wohnsitzes
hatte der Landedelmann nichts übrig, selbst wenn er den Sinn dafür
besessen hätte. Kunstliebende Schlossherren, wie sie allenfalls
in Böhmen und Tirol zu finden waren, die das Innere ihrer Burgen
mit Wandmalereien schmücken liessen, bestätigen als Ausnahmen die
Regel. Die Mehrzahl der mit der Not des Lebens hart kämpfenden
Ritter (ein Vergleich ihrer sozialen Lage mit jener unserer heutigen
Grossgrundbesitzer dürfte wohl auch auf ihr Verhältnis zur Kunst
ausgedehnt werden), begnügte sich mit einem bescheidenen Altärchen für
die von einem gewöhnlichen Anstreicher bunt bepinselte Schlosskapelle,
und wenn es hoch kam wurde wohl auch ein farbiges Täfelein für die
Kirche des Pfarrortes bestellt. Bei dem einzelnen Handwerker reichte
es, wenn er überhaupt sich etwas verdient hatte, zur Stiftung eines
Kelches oder eines Kirchenfensters, zu einem dürftigen Andachtsbild
für sein Haus und vielleicht auch zu dem Luxus eines Konterfeis; am
wenigsten gab wohl der Bauer dem Maler zu verdienen, wenn schon es ihm
nicht gar so schlecht ergangen sein kann, wie das die häufigen Klagen
über seine Verschwendungssucht und seine oft recht üppige, den Städtern
nachgeäffte Kleidung beweisen.
So verbleiben als wirklich bedeutende Abnehmer nur die Kirche, die
gewerblichen Zünfte, die vornehmlich in Norddeutschland zu findenden
Bruderschaften — Vereinigungen wirtschaftlich schwacher Berufsgenossen,
zumeist Kaufleute, die neben materiellen auch geistliche Interessen
verfolgten — und die kleine Gruppe der selbständigen reichen
Handelsherren, zu denen in den Binnenstädten vor allem die Tuchhändler
zu rechnen sind. Ganz ausser Betracht kommen aus naheliegenden Gründen
die Juden, welche übrigens das ganze Mittelalter hindurch von dem
Bürger- und Bauerntum als ein feindliches Element empfunden und aufs
heftigste bekämpft wurden.
Klerus, Zünfte, Bruderschaften und Grosshändler haben auch in der That
fast alle die künstlerisch wertvollen Gemälde in Auftrag gegeben, deren
Herkunft sich heute noch nachweisen lässt. Wie geringfügig freilich
die für sie aufgewendeten Summen waren, das geht aus klösterlichen
Urkunden, Zunftbüchern und Haushaltungskonten der Kaufleute hervor,
erbärmlich im Vergleich mit den grossartigen Mitteln, die in denselben
Zeitläuften der Malerei in den Niederlanden und in Italien dienstbar
gemacht worden sind. Allerdings ist hierbei nicht zu vergessen,
dass der Volkswohlstand dort ein unvergleichlich grösserer und die
Verteilung der Güter eine andere war als in Deutschland, und dass
vor allen Dingen das burgundische Herzogshaus einerseits und die
italienischen Gewaltherrscher andererseits sich als freigebige und
mächtige Förderer aller Kunstbestrebungen bethätigen konnten und
bethätigt haben.
2. Das Porträt im Rahmen des Altarbildes.
Nachdem die Maler einmal begonnen hatten, mit der überlieferten
typischen oder konventionellen Darstellung des Menschen bezw. des
Heiligen zu brechen und ihn mit Zügen aus dem wirklichen Leben
zu begaben, lag der Versuch sehr nahe, auch eine ganz ~bestimmte
Persönlichkeit~ auf dem Altarbilde erscheinen zu lassen, so wie sie
leibt und lebt, mit ihren individuellen Eigenarten und mit all den
Zufälligkeiten ihrer äusseren Gestalt: ein folgerechter und ruhiger
Schritt in der Entwickelung der Bildnismalerei, der uns heute
natürlich und selbstverständlich erscheint und der doch den Menschen
des 15. Jahrhunderts als ein ganz unerhörter Wagesprung in Erstaunen,
manchen wohl auch geradezu in Erschrecken versetzt haben muss. Welch
ein seltsames Gefühl mag der Meister gehabt haben, dem ein solches
Porträtexperiment einigermassen gelungen war, und wie mag der Beschauer
überrascht gewesen sein, als er sich selbst oder einen seiner Freunde
auf den ersten Blick im Bilde wiederkannte.
Auf welcher Tafel sind die Anfänge dieser neuen Kunstgattung zu finden?
Auf Meister Stephans Dombild oder auf seinem Weltgericht? oder erst im
Werke des älteren Holbein? Der subjektive Eindruck kann hier allein
entscheiden; mit dem Anspruch auf allgemeine Giltigkeit kann man nicht
mehr sagen, als dass in der ~zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts~
der Anfangstermin für die Aufnahme individueller Existenzen auf den
Altarbildern gelegen ist, — der Endtermin dieser besonderen Art den
Menschen in heiliger Umgebung darzustellen, für die Burckhardt das
Wort »Assistenzbild« gebraucht und dessen auch ich mich bedient habe,
ist, wie noch besprochen werden soll, schon etwa hundert Jahre später
anzusetzen. —
Die Summe der porträtartigen Bildniswelt auf altdeutschen Gemälden ist,
wie aus den vorhergehenden Abschnitten zu ersehen, eine sehr geringe,
verglichen mit der Porträtdurchsättigung der Werke des italienischen
Quattrocento eine kaum nennenswerte.
[Illustration: ~Lochners Weltgericht.~ Mittelbild. Köln, Museum.
Nach Photographie.]
Die Ursachen dieser Erscheinung sind zum grössten Teile bereits bei
der Schilderung der Bilderbesteller berührt worden, es sind, um es
noch einmal kurz zusammenzufassen und zu ergänzen, die folgenden: Die
Zeit der grossen Männer, deren Bildnisse für die ~Allgemeinheit~ ein
Interesse gehabt hätten, war für das Deutschland des 15. Jahrhunderts
noch nicht gekommen. Aus seinem kreissenden Kultur- und Geistesschosse
entwickelte sich wohl eine Fülle eigenartiger Persönlichkeiten, die
mit unverbrauchter Kraft und jugendlicher Schaffenslust sich in allen
Zweigen der Kunst, Wissenschaft und gewerblicher Thätigkeit erprobten,
aber es fehlte ihrem Wirken der Wiederhall aus den breiten Massen des
Volkes und somit auch die Resonanz aus den Werkstätten der Maler. Fürst
und Adel, aus deren Schichten sich einzelne kraftvolle Individualitäten
durch geschickte Benutzung der politischen Verhältnisse gewaltsam über
die Menge emporgehoben hatten, mussten alle Kräfte anspannen, ihren
Besitz zu behaupten und konnten nicht daran denken, die Kunst in ihre
Dienste zu stellen, überdies ermangelten sie der für bedeutendere
Aufträge notwendigen Mittel. Geld, die Vorbedingung aller verfeinerten
Kunst, war nur bei der Geistlichkeit, einigen Korporationen und
allenfalls bei der Grosskaufmannschaft zu finden, aber selbst die
»Spitzen« dieser Gesellschaftsklassen haben es nur ausnahmsweise über
eine lokale Berühmtheit gebracht.
Zum anderen, ein Umstand, der immer wieder betont werden muss, wo
es sich um einen Vergleich zwischen deutschem und italienischem
Kunstschaffen handelt, fehlte diesseits der Alpen das grosse, für die
unbeschränkteste Oeffentlichkeit bestimmte Fresko, das ein Sammelort
zeitgenössischer Porträts hätte werden können. Während in Italien
an allen Kirchen- und Palastwänden und Gewölben in religiöser,
historischer oder allegorischer Malerei sich eine Elite von geistiger,
persönlicher oder sozialer Bedeutung ausbreiten konnte, mussten
die deutschen Kanonici, Zunftmeister und Handelsherren sich mit
einem bescheidenen Plätzchen zwischen den Heiligen des beschränkten
Tafelbildes begnügen.
Zum dritten gab es in Deutschland noch keine Kunst um ihrer selbst
willen, und das allgemeine Niveau der Malerei war ein tieferes als in
Italien. Für die historische Betrachtung kommt zu diesen dreien, dem
deutschen Assistenzbild ungünstigen Verhältnissen, noch erschwerend
hinzu, dass eine Identifizierung der wenigen überhaupt dargestellten
Persönlichkeiten infolge der Dürftigkeit der Ueberlieferungen heute nur
in den seltensten Fällen möglich ist. —
Der Darstellungskreis, in welchem das Porträt als Assistenzbild
erscheint, ist in Deutschland ein engbegrenzter, er umfasst nur die
kirchliche und die häusliche Altartafel. Volkssage, Historie und
Allegorie treten, von den seltensten Ausnahmen abgesehen, erst später
in das Arbeitsfeld des Künstlers ein, und für mythologische und
novellistische Bilderzählungen, wie sie uns schon frühzeitig auf den
italienischen Truhen, den cassoni forzieri, begegnen, hat erst die
Renaissance den Sinn geweckt.
Verhältnismässig am häufigsten erscheinen Porträts oder porträtartige
Bildnisse auf den figurenreichen Darstellungen der Anbetung der Könige,
und zwar ist es dort häufig der kniende und älteste der Könige, Kaspar,
dem die Züge einer bestimmten Persönlichkeit gegeben werden, zuweilen
auch einzelnen des königlichen Gefolges, seltener dem zweitältesten
der Fürsten, dem Balthasar, — dem dritten, dem Melchior, wenn er als
Mohrenkönig gebildet ist, wohl niemals. Bei der Geburt Christi oder
Marias Anbetung des Kindes ist häufig ein zuschauendes Hirtenpaar
porträtartig gegeben, auf den Kreuzigungsbildern einzelne, nicht direkt
an der Handlung beteiligte, den Raum füllende Personen, auch wohl Josef
von Arimathia auf Kreuzesabnahme und Grablegung; Simon von Kyrene soll
auf einem in Augsburger Privatbesitz befindlichen, das Wappen der
Ravenpurger tragenden Bilde des älteren Holbein die Züge des Stifters
zeigen. Auch auf den Passionen ist oft die Gelegenheit benutzt worden,
unter den Zuschauern ein Porträt anzubringen, gewiss auch auf den
Weltgerichtsbildern, so ohne Zweifel auf einem Bruchstück, »Art des
Meisters von Grossgmain (um 1500)« Schleissheim Nr. 93, nur sind leider
gerade bei diesen Darstellungen die Persönlichkeiten der Seligen oder
der Verdammten nicht mehr zu ermitteln.
Anwesende Frauen behalten fast immer die allgemeinen Gesichtstypen bei.
Geflissentlich scheint man bei ihnen alles unterdrückt zu haben, was an
profane Lebensbeziehungen erinnert. Und doch macht man zuweilen just
bei der Frau eine Ausnahme, wo man es aus nahe liegenden Gründen am
wenigsten erwarten sollte, bei Maria Magdalena. Vor mancher Darstellung
des Kalvarienberges, wo die schöne Sünderin kniend, meist prächtig
gewandet, den Kreuzesstamm umschlungen hält, habe ich das Gefühl,
als ob ein wirkliches Porträt beabsichtigt sei.[69] Ob man in einem
solchen Fall auf eine reumütige Büsserin als Donatrix schliessen darf,
bleibe dahingestellt.[70] Dass die Frauen des 15. Jahrhunderts vor der
Oeffentlichkeit mit niedergeschlagenem Blicke erscheinen, der uns, wie
auch die überstark zur Seite geneigte Kopfhaltung, affektiert anmutet,
mag in den Anstandsregeln der Zeit begründet sein, die den Ausdruck
der Bescheidenheit und Züchtigkeit durch ein solch äusserliches,
kindlich-naives Mittel verlangten.
Je höher der Rang des Heiligen ist, desto sorgfältiger werden ihm
persönliche Züge ferngehalten. Die Verwandten Christi erscheinen
allenfalls hin und wieder auf dem Sippenbilde als Porträts; von Josef
sind mir solche erst aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
bekannt. (Glatt rasiert, mit Klemmerbrille, lesend, auf einem Bilde des
Meisters vom Tode der Maria. London, Nat.-Galerie, nicht katalogisiert,
in dem kleinen deutschen Zimmer, und in ganz ähnlicher Auffassung aus
derselben Zeit auf einer niederrheinischen Madonnendarstellung in
Köln, No. 582.) In Einzeldarstellungen oder da, wo sie die Hauptfigur
der Handlung bilden, sind die grossen Heiligen durchgehends typisch,
aber in ihrem Typus häufig sich gleichend, gestaltet. (Anders mehrfach
in italienischer Kunst, so z. B. ist Pollajuolos Sebastian, London,
No. 292, offenbar ein Porträt. (Nach Vasari des Gino Capponi.) — Aus
späterer Zeit mag an Dürers Sebastian in Bergamo (Sebastian Imhof?
Thode) und aus der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts an
das Selbstbildnis van Dycks als Patron der Schützen in München
erinnert werden.) Auch für die Apostel, in nordischer Kunst so häufig
dargestellt am Sterbebette Marias, haben wohl schwerlich Zeitgenossen
direkt als Modell gedient. (Dürers Münchner Apostel von 1526 sind,
obgleich auf zum Teil noch vorhandenen Naturstudien beruhend,
Idealbildnisse im höchsten Sinne. Als Merkwürdigkeit sei erwähnt, dass
Vasari von Andrea del Castagno erzählt, er habe sich selbst in einem
Marienleben des Spitals der Kirche S. Maria Nuova con viso di Giuda
Scariotto gemalt, come egli era nella presenza e ne’ fatti, — dem er an
Leib und Seele glich. Ausgabe Milanesi II. S. 678.)
Bei denjenigen Persönlichkeiten, welche zu einer Zeit von der Kirche
heilig gesprochen wurden, zu der ein authentisches Porträt von
ihnen zu erlangen war, sind die Züge des Originals häufig auf die
späteren Darstellungen übergegangen. Das bekannteste Beispiel ist der
heilige Franz. Weniger bekannt dürfte es sein, worauf mich Aldenhoven
aufmerksam machte, dass auch der h. Bernhardin von Siena, gestorben
1444, von dem sich ein gesichertes Porträt in der Akademie seiner
Vaterstadt befindet, mit seinem Asketengesicht, dem hohen Schädel,
der steilen Stirn, dem tief eingesunkenen Munde und dem scharf
hervorspringenden Kinn auf mehreren deutschen Darstellungen sofort zu
erkennen ist: auf einem Kupferstich des Münchener Kabinets (P. V, 18,
24), der früher als italienisch galt, von Lehrs jedoch dem deutschen
»Meister von 1462« zugeschrieben wird, auf einem Tafelbild des Meisters
der Verherrlichung Mariä, No. 71 und einem des (jüngeren) Meisters
von S. Severin, No. 132, beide in Köln. Sein Attribut ist stets die
Strahlensonne mit dem I. H. S. (in hoc signo), dem späteren Hauptsymbol
des Jesuitenordens.
[Illustration: ~Der heilige Bernhardin von Siena.~
Kupferstich des Meisters von 1462 (Lehrs),
München, Kupferstich-Kabinet. (Teilbild.)
Nach besonderer Aufnahme.]
Bei Maria war das Festhalten an dem Typus, wie er sich im allgemeinen
schon in der altchristlichen Kunst ausgebildet hatte, durch eine
ehrfurchtsvolle Scheu vor der heiligen Gestalt der Mutter Gottes
bedingt, eine schuldige Ehrenbezeugung, die auch darin ihren Ausdruck
findet, dass zu keiner Zeit ein Künstler gewagt hat, sie unbekleidet
darzustellen, selbst Michelangelo nicht.[71] (Erst spätere — Dürer,
Raphael, Rubens, allerdings auch schon Fra Filippo Lippi, der
seine Geliebte, die schöne Nonne Lukrezia Buti zum Vorbild nahm —
geben ihr etwas ausgesprochen, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt
Porträtartiges. Die Kölner Dombildmadonna ist auch unter ihrer späteren
Uebermalung ein Typus, — trotz dem Dichter, der in den Augen, den
Lippen, den Wänglein das Bild der Geliebten zu erkennen glaubt. Die
frühste von dem Herkommen abweichende Mariendarstellung ist die des Jan
Foucquet in Antwerpen, gemalt 1474; sie soll die Züge der Agnes Sorel
tragen.)
Der Christus-Typus behält die ideale Bildung romanischer Zeit bei,
jedoch mit starken provinziellen Abwandlungen. Der schmerzerfüllte
Zug des Leidens und die Dornenkrone treten erst um die Mitte des 15.
Jahrhunderts auf. Schon früh scheint in ihm etwas vom germanischen
Heldenideal zum Ausdruck zu kommen, das durch Dürer seine höchste
Vollendung erhält. Bartlos ist er mir ein oder zweimal begegnet;
abweichend von allen üblichen Typen und offenbar das Abbild eines
Lebenden nur auf einer Marienkrönung in Diessen im Schwarzwald, wo sein
Gesicht überdies einen bitteren, durch die gefaltete Stirn geradezu
unfreundlichen Ausdruck trägt.[72]
Als Kuriosum sei hier des belustigenden Einfalls des kurfürstlich
sächsischen Hofmalers Heinrich Göding gedacht, der, als er 1566
den Auftrag erhielt, den Hochaltar der Schlosskirche von Stolpen
zu erneuern, auf einem Abendmahl der Predella nicht nur die
Apostelphysiognomien dem Hofstaat seines gestrengen Herrn entnahm,
sondern auch diesen selbst, den Kurfürsten August, als Welterlöser
malte. (Dresden, Gross. Garten-Museum No. 84.)
In ehrwürdiger, aber völlig typischer Gestalt erscheint auch Gottvater
auf den Tafeln des 15. Jahrhunderts, wodurch nicht ausgeschlossen ist,
dass häufig für ihn, wie auch für Christus, ein lebendes Modell benutzt
worden ist, so von dem älteren Holbein für das Votivbild des Ulrich
Schwartz eine freilich durchaus nicht hoheitsvolle Physiognomie seiner
Silberstiftblätter mit plumper Nase und verwildertem Bart, die er auch
für den Kopf des Alten am weitesten links auf dem Sebastiansaltar
verwendet hat. Klass. Bilderschatz 519. — Die Darstellung des
Weltenschöpfers mag wohl zu den unlösbaren Aufgaben der bildenden
Kunst gehören, nicht Raphael, nicht Dürer und, um einen der Jüngsten
zu nennen, nicht Böcklin ist es gelungen, das innerste Wesen des nahen
und unfassbaren Gottes zu versinnlichen; auch in der Dichtkunst hat
wohl nur Einer das bezeichnende Symbol für ihn, der Sonne, Mond und
Sternen ihre Bahnen anweist, gefunden, indem er den Herrscher und
Lenker aller Dinge als ~blitzenden Punkt~ darstellt.[73]
~Selbstporträts~ der Meister des 15. Jahrhunderts als Anwesende bei
einer heiligen Handlung sind schwer nachweisbar. Die Ueberlieferung
schweigt darüber, und mit Pinsel und Palette haben sie sich nicht
unter die Assistenz gemischt, auch nicht wie das Dürer that, mit
einem Namenstäflein in der Hand. Dargestellt haben sie sich gewiss
recht häufig, und auf einigen Bildern glaubte ich sie mit einiger
Wahrscheinlichkeit bezeichnen zu können, so auf dem grossen Sippenbilde
des nach diesem Werke benannten anonymen kölnischen Meisters, auf
einem von Thode dem Meister des Löffelholz-Altars zugeschriebenen
Altarwerk in S. Lorenz, auf dem Peringsdörffer Altar, auf einer Tafel
des Mainzer Marienlebens und auf einem Altar im Dom zu Speyer. Auch von
Wolgemut wird erzählt, dass er sich auf seinen Altargemälden abgebildet
habe, jedoch kann ich auf keinen derselben einen Kopf bezeichnen, der
eine auffallende Aehnlichkeit mit dem bekannten dürerschen Porträt
in München hätte. Erst von dem älteren Holbein sind authentische
Selbstporträts auf Altären bekannt. (St. Pauls-Basilika in Augsburg und
Sebastiansaltar in München.) Im 16. Jahrhundert ist dann eine grössere
Anzahl mit Sicherheit zu erkennen.
3. Das Stifterbildnis.
So gering die Zahl der als Porträts gemeinten Zuschauer oder
Handelnden auf den bildlichen Darstellungen des 15. Jahrhunderts
ist, so unermesslich ist auf Votivgemälden, Kirchen- und Hausaltären
die Gesamtsumme der ~Stifterfiguren~. In allen Grössen, in allen
Lebensaltern, in jeder Art stümperhafter, selten künstlerischer
Ausführung, treten sie uns dort entgegen: Insekten vergleichbar an
Wuchs, als Däumlinge, Zwerge, in halber bis zur vollen Menschengestalt,
Kinder, Jünglinge und Jungfräulein, Männer und Frauen, Greise und
Matronen, vom kaum lesbaren kakographischen Schnörkel oder Stenogramm
einer menschlichen Figur bis zum mehr oder minder lebensgleichen
Konterfei.
Warum gerade in dieser Bildniswelt ein solcher und zum grössten Teile
minderwertiger Ueberfluss?
Dieselben geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Zustände, die
das Aufkommen des grossen Assistenzbildes und erst recht eine
Porträtdarstellung der Mithandelnden erschwerten, erklären Zahl und Art
der Stifterscharen. Ein bescheiden in die Ecke gedrücktes Männchen in
kümmerlicher Kutte oder Schaube, war der geistigen Bedeutung und dem
gesellschaftlichen Range des Bestellers angemessener, als ein Heiliger,
ein Apostel, ein römischer Präfekt oder ein König im Hermelin und
Krone. Dabei war es auch erheblich wohlfeiler, denn da man in Bezug auf
Porträtähnlichkeit, wenn überhaupt, so doch nur die allergeringsten
Ansprüche machte, durfte der Maler für dieses unansehnliche
Gnadenempfängerfigürchen gewiss keine Mehrforderungen stellen.
Die Geschichte des Stifterbildnisses ist noch zu schreiben. Zwar
wird sie, wenigstens was das 15. Jahrhundert betrifft, keine kunst-
oder kulturgeschichtlichen Enthüllungen bringen,[74] auch unsere
biographischen Kenntnisse wird sie wenig bereichern, dagegen müsste
für das mittelaltrige kirchliche Leben und für die Wandlungen des
religiösen Gefühls in den hundert Jahren vor der Reformation eine
solche Einzeluntersuchung gewiss von Interesse sein, insbesondere
könnte sie uns über das Verhältnis des Menschen zur Gottheit, wie es
in den verschiedenen Landschaften und Gesellschaftsklassen war und wie
es wechselte, manche lichtbringende Aufklärung verschaffen.
In dieser skizzierenden Uebersicht können nur einige allgemeine, im
Vorübergehen gesammelte Beobachtungen über die seltsame Erscheinung des
Stifterbildnisses Platz finden.
Wo in dem ältesten Kunstschaffen, in Assyrien und Aegypten, der
Sterbliche vor dem Unsterblichen erscheint, ist er fast ausnahmslos
von derselben Leibesgrösse gebildet wie dieser. Könige, Priester
und hohe Würdenträger verkehren mit Göttern und Dämonen in
ebenwüchsiger Gestalt. In griechisch-archaischer Kunst ist das
gleiche Körperverhältnis das vorherrschende, eine puppenhafte
Bildung des Erdgeborenen die Ausnahme. Von demselben Wuchse wie die
Gottheit ist auch der Mensch der freien griechischen Kunst: in voller
Lebensgestaltung schreitet der panathenäische Festzug des Parthenon vor
das Angesicht der olympischen Götter. Erst auf den Votivreliefs des 4.
Jahrhunderts erscheint öfters, aber durchaus nicht immer, der Adorant
in verkleinertem Massstabe.
Die Kunst der christlichen Völker machte die Ausnahme zur Regel.
Sie wollte die Schwäche und Nichtigkeit des Menschen demutsvoll
zum Ausdruck bringen, wenn er dem Erlöser, der Himmelskönigin oder
einem Heiligen gegenübertrat und darum verkümmerte sie die Gestalt
seines Leibes. Für die deutsche Malerei — und auch für die Plastik
—, wo die Stifterbildnisse häufiger sind als in irgend einer anderen
abendländischen Kunst, die germanisch-welsche des italienischen Nordens
nicht ausgenommen, gilt dieser Grundsatz bis an die Ausgangspforten des
Mittelalters, ja noch darüber hinaus.[75] Wo Abweichungen vorkommen,
und wir haben sie bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in
Böhmen und dann wieder in den dreissiger Jahren des 15. Jahrhunderts
in der Bodenseegegend, vereinzelt auch in Franken gefunden, darf
vielleicht auf eine besondere religiöse Gefühlsströmung geschlossen
werden, etwa auf einen Vorklang der reformatorischen Bewegung der neuen
Zeit, selbst dann, wenn man annimmt, dass der ~äussere~ Anlass zu
dieser Formenwandlung durch fremdes Kunstbeispiel gegeben wurde.[76]
In Italien verschwinden die zwerghaften Adoranten früher von den
Altarbildern als in Deutschland. Aber dennoch darf man nicht annehmen,
dass nicht auch hier das Stilwidrige einer Komposition mit Figuren
verschiedenen Massstabes empfunden worden sei. Hatte man doch schon
im 14. Jahrhundert, und sicherlich von einem verfeinerten Gefühl für
Einheit der Anordnung geleitet, mit dem alten Brauche gebrochen,
einzelne nebensächliche Personen, zu denen seltsamerweise auch der
Nährvater Josef gezählt wurde, besonders aber solche, die man als
Missethäter kennzeichnen wollte, wie die Kriegsknechte, die um Christi
Rock das Los werfen, die Zöllner u. a., kleiner als die übrigen
darzustellen. (Das späteste Beispiel einer solchen Disharmonie auf
einem Tafelbild bietet meines Wissens der Altar aus der Kirche zu
Ortenberg in Oberhessen, jetzt in Darmstadt, No. 167, wohl gegen die
Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden, wo auf dem rechten Seitenbilde
mit der Anbetung der Könige — Klass. Bilderschatz 631 — ganz vorn der
in kleinerem Massstab gehaltene Josef, das Süpplein bereitend, kauert.)
Auch spricht gegen einen solchen Mangel an Stilgefühl der Umstand,
dass selbst noch Dürer die Stifterpuppen angewendet hat, z. B. auf der
Beweinung Christi und auf dem Mittelbild des paumgärtnerschen Altars,
beide in München. Sie sind später von Fischer übermalt worden, aber
ihre Umrisse sind noch unter der deckenden Farbe zu erkennen. — Dass
etwa die Kirche einen Zwang nach dieser Richtung ausgeübt hätte — man
könnte sich dabei wohl des Gedankengangs erinnern, den Goethe den
Frauen imputiert: »Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch«,
— das ist nicht wahrscheinlich, denn gerade in der »Pfaffengasse«
Köln sind die lebensgrossen Stifter frühzeitiger allgemein üblich
als in Nürnberg, wo die Geistlichkeit den Bürgern gegenüber eine
untergeordnete Rolle spielte.
Es bleibt somit keine andere Erklärung für das zähe Festhalten an den
allmählich typisch gewordenen Pygmäenfiguren, als dass der Einzelne,
da wo es sich um seine eigene Person handelte, aus Sorge für sein
Seelenheil vor der Verantwortung die geheiligte Sitte zu durchbrechen,
ängstlich zurückgeschreckt sein mag.
Jedoch auch wo später der Stifter in lebensgrosser Gestalt auftritt,
unterscheidet sich die deutsche, wie überhaupt die abendländische
Auffassung, von der antiken. Der Grieche verkehrte allein und
unmittelbar mit seinem Gott und verschmähte den Beistand seines Heros,
wie auch der Römer den seines Lars, der katholische Christ, beherrscht
von der Furcht vor dem rächenden und strafenden Gotte, bedurfte des
Vermittlers, und so wendet er sich mit seinem Gebet an den Sohn oder
an die Madonna, ja auch diesen Mittelspersonen lässt er sich gern
unter dem besonderen Schutz seines Patrons zuführen, wie das auf dem
»Empfehlungsbilde« zum Ausdruck kommt.
Für das Alter des Stifterbildnisses in deutscher Tafelmalerei
vermag ich keine entscheidenden Zeugnisse herbeizubringen. In der
Wandmalerei erscheint es bereits um die Mitte des 12. Jahrhunderts auf
den ~Gemälden von Schwarzrheindorf~. Die ältesten der mir bekannten
Altarbilder, die aus Soest in Westfalen stammen, sich jetzt im Berliner
Museum befinden und aus dem Anfange, bezw. der zweiten Hälfte des 13.
Jahrhunderts herrühren, enthalten keine Stifter, doch mag hier das
Fehlen derselben einem Zufall oder einer örtlich begrenzten Sitte
zuzuschreiben sein. Dagegen ist auf einer ~Gedenktafel der Barbara
Polani~ in der S. Barbara-Kirche zu ~Breslau~ mit der erneuten, aber
wohl echten Jahresangabe 1309, eine Stifterin in Begleitung ihrer
zwei Töchter zu sehen. (Abgebildet in Försters Denkmale 6. Band
1860.) Sie wendet sich im Gebet an den mit Blut und Wunden bedeckten
Schmerzensmann: Erbarme dich mein, heiliger Gott, lautet die im 17.
Jahrhundert erneuerte Inschrift des Spruchbandes. Hinter ihr steht
ihr Schutzpatron, der Evangelist Johannes. Ueber das beabsichtigte
Grössenverhältnis der Figuren zueinander lässt sich nicht urteilen, da
nicht einmal mit Bestimmtheit zu erkennen ist, ob die Stifterin Barbara
stehend oder kniend gedacht ist.
Nicht an den verlassenen, hilflosen Jesus von Nazareth, sondern an
die gnadenreiche und mächtige Himmelskönigin wendet sich auf einem
~Epitaphium~ von 1365 in der Kirche von ~Heilsbronn~ der Stifter,
Bischof Berthold von Eichstädt, und auf einer anderen Tafel in
derselben Kirche von 1370 ruft sie ein unbekannter kniender Donator
Hilfe flehend an: Te rogo virgo pia nunc me defende Maria. Beide
Stifter sind in kleinerem Massstab als die Madonna gebildet.
Von nun an wird die Zahl der Stifterbildnisse Legion, und daher ist bei
ihrer Besprechung wohl ein summarisches Verfahren gerechtfertigt.
Auf die Schwankungen des Massstabes ist schon hingewiesen worden. Wo
sie in derselben Grösse wie die übrigen Personen gebildet sind und
in der Handlung des Gemäldes keinen auffällig abgesonderten Platz
erhalten haben, nähert sich die Darstellung dem früher besprochenen
Assistenzbild (z. B. wenn der Donator die Handwunde Christi küsst,
Meister des Marienlebens, Altar de Monte, Köln); sie ist erreicht,
wenn sie selbst den wesentlichen Inhalt des Bildes ausmachen. (In dem
berühmten Darmstädter Bilde des Bürgermeisters Meyer, wo eine ganze
Familie sich unter den unmittelbaren Schutz der Madonna stellt.)
In der Regel erscheint der Stifter kniend und betend, den Rosenkranz
mit den Fingern abzählend, ohne Pathos in Gebärde oder Ausdruck, mit
dem Kleide seines Standes angethan, der Ritter in seiner Rüstung,
die Frau in der Kirchentracht. Brustbilder, die von unten her aus
dem Rahmen emportauchen, sind seltene Ausnahmen. (Herlin, Sammlung
Marcuard, Florenz.) Zuweilen werden ihm bandartige, flatternde Streifen
mit einer kurzen Gebetformel oder einem frommen Spruch beigegeben,
die oft, besonders in der Frühzeit, geschickt als Ornament verwertet
werden, ferner auch das Familienwappen. Namensbeischriften sind sehr
selten. (Der Name »Apt Friedrich von Hirzlach« über dem Stifter des
Schmerzensmannes in Heilsbronn aus der Mitte des 14. Jahrhundert ist
ein solches Rarissimum.) Auch eine Angabe des Lebensalters in kleinen
Ziffern habe ich vor Bernhard Strigels trefflichen Stifterbildnissen
in München von 1517, Klass. Bilderschatz 1509, nicht gefunden. Ein
Kreuz, bei Kindern wohl auch ein Blütenkranz um das Haupt gelegt,
bedeutet, dass der Betreffende inzwischen verstorben ist. Wo Männer
und Frauen gleichzeitig erscheinen, werden sie geschlechterweise
geschieden, die Männer links, die Frauen rechts. Solche Gruppen sind
bei kinderreichen Familien, an denen es nicht gemangelt hat, recht
vielköpfig, bis zu zwanzig und mehr Figuren, die dann oft in ihrer
dichtgedrängten Anordnung an die Adoranten-Züge der spätgriechischen
Weihreliefs erinnern. Dass sie Opfergaben darbringen, etwa zum Dank für
eine wunderbare Genesung oder Rettung aus Gefahr, ist mir nur einmal
begegnet. (Zeitblom, Sammlung Sepp, München.) Auch die Ueberreichung
des Modells eines gestifteten Gotteshauses durch eine profane Person
ist selten (auf einem 1341 bezeichneten Kruzifixus im bairischen
Nationalmuseum, Zimmer No. 13, hält eine Frau das Modell einer Kirche),
häufiger erscheint ein derartiges Symbol in der Hand eines Heiligen.
In ihrer überwiegenden Mehrzahl treten die Stifter auf dem
Hauptbilde des Altares auf, und ihre Beziehung zu dem gedanklichen
Inhalte desselben ist mehr oder minder erkennbar, — je loser sie
ist und je mehr sie durch Wuchs und Kleidung sich von den übrigen
Figuren unterscheiden, desto störender ist ihre Anwesenheit für den
harmonischen Eindruck des Bildes. Feinfühlende Künstler haben sich
bemüht, diesen Misston dadurch zu beseitigen, dass sie den Stifter
einigermassen in Grösse, Tracht und Farbengebung mit dem Bilde
zusammenzustimmen suchten. (Ein schüchterner Anfang schon bei dem
Meister des Marienlebens, Berlin, No. 1235.) Aber dieser Weg wurde
nur selten beschritten, er verstiess, wie schon gesagt, gegen die
nun einmal herkömmliche Darstellungsweise und den demütigen Sinn der
Auftraggeber. Ein anderes Mittel, das aber nicht gerade ästhetisch
glücklich zu nennen ist, bestand darin, das notwendige Stifterübel
unter dem Mittelbilde anzubringen, von diesem durch ein ornamentiertes
Band oder eine einfache Leiste geschieden. (Imhof-Madonna in S.
Lorenz, sog. Wolgemut-Bilder in der Bamberger Sammlung, No. 21–23.
Aber auch noch, zwar in zierlicher Puppengestalt, doch nicht ganz so
schematisch, sondern freier angeordnet, auf Baldungs Pietà in London,
No. 1427.) Der beste Ausweg war, die Donatoren, wollte man sie nicht
als integrierenden Teil der Handlung darstellen, überhaupt von dem
Mittelbilde weg auf die Predella oder die Flügel zu verbannen. Das ist
denn auch allmählich mehr und mehr geschehen und auf den letzteren
haben sie, anfänglich noch kniend und von ihren Schutzpatronen
geleitet, schliesslich ihre vollendetste Ausbildung zu völlig
entwickelten, aufrecht und allein stehenden Einzelgestalten erhalten.
(Frühstes Beispiel Herzog Wolf von Schwaben und seine Gemahlin auf den
Seitenbildern einer Legendendarstellung von 1489. Stuttgart 518 bis
520.)
Der künstlerische Wert der deutschen Stifterbildniswelt ist im Grossen
und Ganzen gleich Null. Selbst die besseren Meister haben, ganz im
Gegensatz zu italienischem und niederländischem Kunstgebrauch, die
Donatoren auffällig flüchtiger behandelt als die übrigen Personen
der Darstellung. Nicht einmal eine rein dekorative Wirkung, zu der
besonders die kleinen Puppengestalten recht wohl geeignet waren, ist
beabsichtigt, zum mindesten nicht erreicht worden. Und das ist um so
befremdlicher, als man gerade in Deutschland das Flächenornament (in
der Buchmalerei) mit so unvergleichlicher Meisterschaft herausgebildet
hatte. Meister Stephans Seminarmadonna bestätigt als Ausnahme die Regel
(vergl. S. 70). Auch auf Porträtähnlichkeit scheint es selbst da, wo
ein grösserer Massstab angewendet worden ist, kaum abgesehen zu sein,
und vollends bei jenen Figuren, die in Eichhörnchen-Grösse und -Gebärde
den Vordergrund erfüllen, gewinnt man die Ueberzeugung, dass der Maler
die Originale überhaupt niemals zu sehen bekommen hat: es wird ihm
gesagt worden sein, wie viel Männlein und Weiblein anzubringen sind und
dann hat er sie schlecht und recht als abbreviatorische Menschenbilder
hingepinselt, höchstens durch Tracht und Lebensalter ein wenig
voneinander unterschieden.
Gering wie das künstlerische ist auch das ikonographische Ergebnis.
Nach den grossen Männern, die dem 15. Jahrhundert sein eigenartiges
Gepräge geben, wird man vergeblich sich umschauen, nach den Vorläufern
der Reformation und ihren Bekämpfern, nach den kühnen Bahnbrechern
auf allen Gebieten, den Entdeckern und Erfindern und nach so manchem
der willens- und thatkräftigen deutschen Landesherren. Kaiser
Friedrich III. und Maximilian, einige unbedeutende Reichsfürsten und
eine Handvoll mehr oder minder hervorragender Bischöfe, Gelehrte
und Patrizier, mit ihnen müssen wir uns als Repräsentanten einer an
markanten Persönlichkeiten so reichen Zeit begnügen. Von der grossen
Menge der Stifter wissen wir nichts, selbst wenn uns hin und wieder ein
Name bekannt ist, und schliesslich sind die in ihrer Mehrheit dürftigen
und charakterlosen Köpfe auch nicht darnach angethan, die Neugierde
nach ihren Lebensumständen zu erwecken, — kein Gedanke noch weniger ein
zur Lösung herausforderndes Rätsel ist auf diesen Gesichtern zu lesen,
die, um mit Hermann Grimm zu sprechen, wie Wasser durchs Gedächtnis
laufen.
4. Das Rosenkranzbild und die Mater Misericordiä.
Zwischen Assistenz- und Stifterbildnis steht eine andere Gruppe von
Darstellungen, die häufig zur Anbringung von Kollektivporträts benutzt
worden ist, das Rosenkranzbild und die Mater Misericordiä.
Das erstere, seit Mitte des 15. Jahrhunderts hauptsächlich in der
Stich- und Schneidekunst ausgeführt, zeigt in der Regel die heilige
Jungfrau von einem Ring roter und weisser Rosen umgeben, ein Sinnbild
der Freuden und Leiden Mariä, welcher Repräsentanten aller Stände
den Rosenkranz überreichen, ein Gedanke, der mit der Stiftung der
Rosenkranz-Bruderschaften in Verbindung steht.
[Illustration: ~Rosenkranzbild.~ Basel, Museum.
Nach besonderer Aufnahme.]
Ein frühes deutsches Tafelbild dieser Art, vom Jahre 1457, besitzt das
Museum von ~Basel~, No. 74. Im innersten Kreis ist die Krönung der
Maria durch die Dreieinigkeit dargestellt, Vater, Sohn und heiliger
Geist in menschlicher Gestalt, ihn umgeben zwei Ringe, der eine mit
Engelsgestalten ausgefüllt, in dem äusseren Vertreter der verschiedenen
geistlichen und weltlichen Stände in recht guten Bildnissen, von denen
die Mehrzahl der männlichen Porträts sein mögen. In den Ecken der Tafel
befinden sich die vier Evangelistensymbole.
Die ~Mater Misericordiä~, auch Maria Schutz oder Schutzmantelbild
genannt, zeigt die Madonna, wie sie ihren weiten, oft von Engeln oder
Heiligen gehaltenen Mantel über die ihrer Obhut sich Anvertrauenden
ausbreitet. Der schöne Gedanke, der einer solchen Auffassung der
Königin des Himmels zum Grunde liegt, ist der nämliche, der in dem
Gebete seinen Ausdruck findet: sub tuum praesidium confugimus oder
in den Worten des italienischen Volksliedes Sotto il tuo bel manto,
amabile Signora, viver io voglio e ancora voglio morir un dì. Das
Schutzmantelbild war also ursprünglich eine ~mystische~ Darstellung. In
dieser Annahme, die auch dem Geiste des Mittelalters entsprechen würde,
bin ich durch ein niederländisches Bild vom Ende des 15. Jahrhunderts
im Musée Condé, Chantilly, No. 111, bestärkt worden, welches ~neben~
der Gruppe der Schützlinge — einem typischen Papst, Kaiser, König,
Bischof und anderen Würdenträgern — und ~ausserhalb~ des heiligen
Mantelschirmes einen knienden Stifter und eine Stifterin zeigt. Wäre
der Maria Schutz als eine individuelle Porträt-Darstellung betrachtet
worden, so sehe ich nicht ein, warum die Donatoren sich abseits
derselben aufgestellt hätten. Ich vermag daher den sinnigen Vorgang
nicht anders zu erklären als ein Symbol, unter welchem sich die ganze
Menschheit in ihren wichtigsten Repräsentanten dem göttlichen Schutze
empfiehlt.[77]
Als etwas Neues mag dann später das Porträtelement hinzugetreten sein.
Die Gelegenheit, sich selbst und seine geistlichen und weltlichen
Oberherren an so bevorzugter Stelle zu sehen, war doch zu verlockend,
als dass man sie hätte unbenutzt vorübergehen lassen, und so erscheinen
denn bald hin und wieder ganz bestimmte Persönlichkeiten an Stelle der
typischen Standesvertreter unter dem himmlischen Gnadenmantel. Eine
noch spätere Erweiterung des ursprünglich so schlichten Gedankens ist
in den nach dem Mantel der seligsten Jungfrau gerichteten Pfeilen zu
sehen, die wohl das furchtbare Gespenst der Pest versinnbildlichen
sollen.
Wo und wann in der bildenden Kunst die erste Idee zu einer Darstellung
der Mater Misericordiä entstanden ist, vermag ich mit Bestimmtheit
nicht zu sagen. Das frühste der mir bekannten Mantelbilder zeigt eine
Skulptur vom Ende des 13. Jahrhunderts, die sich in einer Fiale des
nordwestlichen Strebepfeilers des ~Freiburger Domes~ befindet. Auf
eine Wandfläche scheint das erste Bild dieser Gattung etwa um 1344 in
der Schlosskirche der ~Marienburg~ gemalt worden zu sein, und für die
Tafelmalerei dürfte als das älteste Beispiel ein bezeichnetes Werk des
Lippo Memmi genannt werden, also aus der Mitte des 14. Jahrhunderts,
die Madonna de’ Raccomandati in der Kapella del Corporale des Domes von
~Orvieto~.[78]
Auf deutschem Boden befand sich, ausser in der Marienburg, ein frühes
Gnadenmantelbild, etwa aus den Jahren 1430 bis 1450, bis vor kurzem
an einer Wand der Kirche von ~Feldmoching~ bei München.[79] Das
nächstfolgende ist wahrscheinlich ein Freskogemälde der Kilianskirche
zu Mundelsheim, württemb. Oberamt Marsbach, von 1455. (»Eine
schwäbische Arena-Kapelle, deren Giotto mir leider unbekannt ist,«
schrieb mir Prof. Gradmann.) Maria steht hier vor dem Gottessohn und
zeigt ihm die Brust, die ihn genährt hat, während unter ihrem von
Engeln ausgebreitet gehaltenen Mantel Papst, Kaiser, geistliche und
weltliche Herren und Frauen sich schutzflehend drängen.[80] Aus nur
wenig späterer Zeit ein Mantelbild an einer Wand in ~St. Jodok~,
Niederbaiern.
Tafelbilder mit dieser Auffassung der Maria treten in Deutschland
etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts auf, und hier ist schon bei
den frühsten das Streben nach porträtartiger Bildung der Schützlinge
ersichtlich.
Die herrliche Gnadenmutter von ~Heilsbronn~, nach Thode voraussichtlich
zwischen 1435 und 1463 geschaffen, ist bereits früher erwähnt worden.
(Abbildung S. 155.)
Etwa in den siebziger Jahren mag eine Mater Misericordiä im
~Stuttgarter Altertumsmuseum~ entstanden sein. Sie ist auf ein
und derselben Tafel mit einem inhaltlich sehr merkwürdigen Bilde
dargestellt: Christus überreicht, in Gegenwart von Maria, Gott Vater
den geleerten Kelch(?). Die Herkunft des Gemäldes ist unbekannt, doch
glaube ich in ihm den Einfluss Dirk Bouts’ oder eines niederrheinischen
Vermittlers seiner Kunst etwa von der Art des Meisters des Marienlebens
zu erkennen.
In ~Schleissheim~ befinden sich unter No. 84 und 166 zwei
Schutzmantelbilder. Das erstere, »Oberdeutsch um 1480«, soll aus Passau
oder Oberaltaich stammen: von der geistlichen und weltlichen Gemeinde,
die sich dort unter den Mantel geflüchtet hat, machen einige der in
verkleinertem Massstabe gebildeten Figuren vielleicht den Anspruch auf
Porträtähnlichkeit. Auf dem zweiten, »Schule von Nürnberg um 1500«,
vermag ich dagegen unter den kleinen geistlichen und weltlichen Herren
nichts anderes als frei erfundene Gattungsrepräsentanten zu erkennen.
[Illustration: ~Mater Misericordiä.~
Skulptur am Freiburger Dom.
Nach Eichhorn, Skulpturencyklus u. s. w.]
Von besonderem künstlerischen und ikonographischen Interesse ist eine
Mater Misericordiä von dem (jüngeren) Meister von S. Severin in der
~Andreaskirche~ zu Köln.[81] Sie ist, laut Inschrift, zur Erinnerung
an die 1474 gegründete, bez. damals wieder aufs neue eingeführte
Rosenkranz-Bruderschaft gemalt worden, daher die Darstellung auch
zuweilen als Rosenkranzbild bezeichnet wird. Die Ausführung der
dreiteiligen, beschädigten und mehrfach übermalten Tafel scheint ein
Jahrzehnt später erfolgt zu sein. Im Mittelbild steht die Madonna
mit dem Christkind im Arm, ihr Hermelinmantel reicht über die Flügel
hinweg und wird dort auf der einen Seite von dem h. Dominikus, auf
der anderen von dem h. Märtyrer Petrus von Mailand gehalten. Dicht
an die Gottesmutter geschmiegt knien geistliche und weltliche Herren
und eine Frau, unter denen, obgleich sie ganz typisch gebildet sind,
einer alten Ueberlieferung zufolge Papst Sixtus IV., Kaiser Friedrich
III. — im graumelierten Bart, wie im Weisskunig —, seine bereits 1467
verstorbene Gattin Leonore, Prinzessin von Portugal und sein Sohn
Maximilian dargestellt sein sollen. Auf den Flügeln, also auch noch
vom Mantel beschirmt, links ein Häuflein Bürgersleute und rechts eine
Gruppe glattrasierter Kleriker, nur ein Mann im Vollbart mitten unter
ihnen. Bei allen diesen, wohl den Mitgliedern der Bruderschaft, ist
das Porträtartige jedenfalls deutlicher ausgeprägt als bei den hohen
Schutzbefohlenen des Mittelbildes.
Ein Schutzmantelbild in der um 1480 von Georg dem Reichen auf der
Burg von ~Burghausen~ erbauten Kapelle. Laut Inschrift 1620 und 1720
erneuert. Die Dargestellten haben bei der Restauration Perücken
erhalten. Was alt an dem Bilde sein mag, ist nicht mehr zu sagen.
Der Darstellung mit authentischen Porträts auf der Rückseite des
~Schwanenaltars in Ansbach~ von 1484 ist bereits gedacht worden.
(Abbildung S. 171.)
Schutzmantelbild in der ~Frauenkirche von München~. Soweit die
schlechte Beleuchtung ein Urteil gestattet, von etwa 1500.
Aus derselben Zeit eine dreiteilige Tafel in ~Köln~, No. 61. Auf
dem Mittelbild unter dem von Engeln gehaltenen Mantel Bürger und
Bürgerfrauen, keine Würdenträger, porträtartig gehalten. Links Maria
Aegyptiaca mit einem knienden Stifter, rechts Christus und Magdalena.
In der gotischen Kirche des ~bairischen National-Museums~ ein mit 1504
bezeichnetes Maria Schutz-Bild. Unter dem Mantel nur zwei auf die Knie
gesunkene lebensgrosse und entschieden als Porträts gemeinte Figuren:
ein Ritter im Plattenharnisch und eine Frau in schwarzem, mit goldener
Borte besetztem Kleide, hoher runder Haube und Kinnband; Wappenschilder.
Eine Mater Misericordiä auf einem Altar in ~Heilsbronn~. Nicht vor
1511, vielleicht vom Meister des Schwabacher Altars. (Thode, S. 225.)
Ueber der Gemeinde, links oben in den Wolken, schwingt Gott Vater das
Schwert gegen die sündige Welt (Andeutung der Pest?), Christus, als
Schmerzens~mann~, fängt den Hieb auf.
5. Das Porträt als Totendenkmal und die Reihenporträts.
Das Bildnis des Lebenden verdankt dem Kultus des Toten sein Dasein.
An der Stätte, wo seine sterblichen Reste bestattet waren, erhob sich
die Gestalt, in der er auf Erden gewandelt war, — in der Kindheit der
Kunst als Symbol, dann als Typus und schliesslich als ihr getreues
Ebenbild.
Verehrung war der Beweggrund derer, die sie errichteten, Pietät gegen
den Verstorbenen, wohl auch der naive Glaube, den Toten durch ein
solches Denkmal zu erfreuen oder, wie im alten Aegypten, der Gedanke,
seiner Seele eine Zufluchtsstätte zu schaffen, in welche sie sich
flüchten könne in der schauerlichen Dunkelheit ihrer Grabkammer.
So ward das Grab zur Wiege des Porträts.
Das ganze deutsche Mittelalter hindurch beschränkt sich die wirklich
künstlerische Darstellung menschlicher Einzelexistenz auf das bronzene
oder steinerne ~Totendenkmal~. Den schon seit dem 11. Jahrhundert ein
tüchtiges Können bekundenden Grabfiguren gegenüber, vom flachsten
Relief bis zum stärksten Hochrelief, müssen die kleinlichen Zeichnungen
aus den Schreibstuben der Klostermönche und erst recht die dekorativen
Menschensymbole an den Kirchenwänden als Handwerksarbeit erscheinen.
Aber schon frühzeitig, trotz der von der Antike geerbten Vorliebe
für plastische Formen, drängt sich in die gegossene oder gemeisselte
Porträtwelt der Gräber eine andere Darstellungsweise, die das
Malerische wenigstens von ferne streift: mit einfachen Linien wird
der Kontur und die Binnenzeichnung in die Stein- oder Metallplatte
eingeritzt.
Auch die Farbe kommt bald, wenn auch nur in seltenen Fällen und sehr
bescheiden, zu ihrem Recht: sowohl auf der Steinplatte als auch auf der
Bronzeplatte, die besonders im deutschen Norden beliebt war, wird der
vertiefte Umriss der Gestalt zuweilen mit buntem Kitt ausgefüllt.
Diese Technik mag den Versuch nahe gelegt haben, das Bild des
Verstorbenen, immer noch im Sinne des Totendenkmals, auch einmal nur
mit Farben auf eine Holztafel zu malen.
In Hamburg befinden sich im Magdalenen-Kloster und im historischen
Museum zwei derartige Idealbildnisse, welche, nach dem Kostüm zu
urteilen, in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts, zweihundert
Jahre nach dem Tode der Dargestellten, gemalt sein müssen.[82]
In überlebensgrosser Gestalt, eine ausserordentlich seltene Ausnahme,
überliefern beide das Bild Adolfs von Schauenburg, des Gründers des
Magdalenen-Klosters, der Nachwelt. Das eine Mal aufrecht stehend, in
voller Rüstung, mit prächtigem Wams darüber, im Mantel und mit reich
geschmücktem Barett, das Antlitz von einem Bart umrahmt, in der Linken
die Lanze, die Rechte auf das Schwert gestützt; das andere Mal mit der
Mönchskutte angethan, barfüssig, das Gesicht rasiert, im offenen Sarge
liegend, von Engeln umschwebt, die sich freundlich dem toten Fürsten
neigen. Der Hintergrund der ruinenhaften und schlecht übermalten Bilder
war ursprünglich rot und mit goldenen Sternen übersät.
[Illustration: ~Bildnis des Adolf von Schauenburg.~
Nach Lichtwark, das Bildnis in Hamburg.]
Aber das gemalte Totendenkmal ist eine Ausnahme geblieben. Von den
meist schlichten und handwerklichen Epitaphien und den dürftigen
Totenschildern der Armen abgesehen, hat bis auf den heutigen Tag die
Plastik ihr urzeitliches Vorrecht behauptet, den Verstorbenen zu ehren
und ihm wie seiner Grabstätte ein dauerndes Andenken zu bewahren.
Wie für das gemalte Totendenkmal die Technik der gravierten
Bronzeplatte vorbildlich gewesen sein mag, so ist für eine andere
Erscheinungsform der monumentalen Bildnisdarstellung wohl ein Vorgang
in der Buchmalerei bestimmend gewesen: für die ~Reihenporträts~,
welche eine Fürstenfolge oder die Repräsentanten einer geistlichen
oder weltlichen Gemeinschaft als farbigen Wandschmuck vorführen. Hier
tritt bereits der Lebende neben dem Abgeschiedenen auf, jedoch noch
nicht als selbständige Persönlichkeit, sondern lediglich in seiner
Eigenschaft als Mitglied eines bestimmten Standes oder Berufes, nicht
als Individuum, sondern als der Soundsovielste einer Reihe. Wir
waren derartigen Kettenbildern, aus denen sich später die Stammbäume
entwickelt haben, schon frühzeitig in den Handschriften begegnet, und
zwar als fortlaufende Medaillons mit den Brustbildern der Fürsten.
Als ein bemerkenswertes Beispiel ähnlicher Gattung hatten wir ein
Blatt in dem hortus deliciarum gefunden, wo achtundfünfzig Nonnen des
elsässischen Klosters Odilienberg in schlicht aneinander gereihten
Bildnissen dargestellt sind. (Vergl. S. 26.)
Aber die Urbilder dieser Darstellungsart reichen noch in weit ältere
Zeit zurück. In dem Codex theol. lat. fol. 18, Berlin, Kgl. Bibliothek,
etwa vom Jahre 1000 (nicht publiziert), sind in fortlaufenden Bögen
die Brüder eines Klosters kniend porträtiert, allerdings nur durch
Alter und Bart oder Bartlosigkeit voneinander unterschieden, und in
einer Handschrift vom Jahre 1075 (gleichfalls nicht publiziert), im
Dom-Kapitel von Eichstädt, stehen die Aebte des Klosters, ein jeder
unter einem besonderen Bogen, in Reihen nebeneinander.
In der grossen Malerei finden wir die Anfänge der monotonen
Porträtreihen in den Bildnissen der Hochmeister an den Saalwänden
der Marienburg. Im Jahre 1403 hatte dort Konrad von Jungingen die
Bildnisse seiner Vorgänger an die Wandflächen des Remters malen
lassen, 1407, nach dem Tode dieses Hochmeisters, wurde auch dessen
Bild den bereits vorhandenen hinzugefügt, und mit Beziehung auf den
1429 gestorbenen Heinrich von Plauen wird uns berichtet, dass »ihm
lang kein Bildniss gemacht, wie man sonsten pfleget, doch lediglich um
der Nachrede willen liess ihn Herr Märten Truchsess eins machen«. Die
Figuren waren etwa 2 m hoch, von Baldachinen gekrönt, mit Namen und
Reimsprüchen versehen und in Tempera gemalt. Reste haben sich bei den
Wiederherstellungsarbeiten der Marienburg gefunden.[83]
Häufig mögen derartige Reihenbilder im 15. Jahrhundert angefertigt
sein. Eine Folge bairischer Fürsten, die sich, gleichfalls in
Tempera, im alten Hof zu München befand und jetzt auf eine Wand des
Nationalmuseums übertragen ist, hat uns schon früher beschäftigt.
(Vergl. S. 136.)
[Illustration: ~Gruppenbild aus Hoflach bei Alling.~
Nach besonderer Aufnahme.]
In der Tafelmalerei sind solche Bildercyklen, meist in ganz roher
Ausführung, erst viel später, in der Zeit vom 16. bis in das 18.
Jahrhundert, angefertigt worden. Ausser würdigen Domstiftern
und gestrengen Bürgermeistern sind es namentlich die ehrsamen
Zunftmitglieder, die auf diese Weise ihre Vorgänger, später aber
auch sich selber ehrten, wovon die in allen historischen Museen zu
findenden geschmacklosen »Meistertafeln« erzählen. Ganz ausgestorben
ist dieses nüchterne Schema auch heute noch nicht, wie man z. B. sich
in den Ratssitzungssälen der kleinen Provinzialstädte überzeugen kann,
nur ist dort an die Stelle der Malerei die Photographie getreten,
und zwar der Billigkeit wegen meist kleinsten Formates, und der
Sammel-Bilderbogen mit spiegelndem Glas bedeckt und wohl auch von
imitiertem Holzschnitzrahmen umschlossen.
Eine weniger archaische Anordnung der Standes- oder Berufsgenossen
ist nur ausnahmsweise versucht worden. Auch hierfür sind die Vorgänge
bereits in den Illustrationscyklen der Handschriften zu finden. Das
grosse Wandgemälde in der Kirche zu Hoflach bei Alling vom Jahre 1422,
auf welchem eine kniende Schar Adliger und Nichtadliger gemeinsam
porträtiert erscheint (vergl. S. 136) und das Stadtrichterbild im
Grazer Stadthause vom Jahre 1478 (vergl. S. 138), dürfen als Beispiele
einer solchen freieren Auffassung gelten. Auf dem letzteren Bilde
ist nach Janitschek S. 303 die städtische Gerichtsbehörde amtierend
dargestellt, »in der Mitte der Stadtrichter Niklas Strobel in rotem
Mantel, den Richterstab in der Hand, rechts und links je drei Räte, die
einer Eidesleistung beiwohnen, ausserhalb der Schranken ein Jüngling,
dem Vorgang folgend, und ein Gerichtsbote, im Hintergrund endlich eine
Darstellung des jüngsten Gerichts.[84] Alle Köpfe sollen porträtartig
wirken. Häufiger wird diese Art des Kollektivbildnisses erst,
nachdem die Holländer für sie in ihren Schützen- und Regentenstücken
das unvergleichliche Muster aufgestellt hatten; zu einer höheren
künstlerischen Bedeutung hat sie es jedoch in Deutschland bis auf
unsere Tage nicht gebracht.
6. Das unabhängige Einzelporträt.
a) Vorläufer.
Das nur um seiner selbst willen gemalte ~Einzelporträt~, losgelöst
von seiner jahrhundertelangen Vereinigung mit dem Gnadenbilde und
unabhängig von dem ausgleichenden Zwange der Korporation, tritt etwa
um die Mitte des 15. Jahrhunderts in der deutschen Tafelmalerei auf,
das ist zu einer Zeit, wo es jenseits der Alpen, vor allem in Florenz,
schon zu einer hohen Ausbildung und gewissen Verbreitung gelangt war.
Aber hier wie dort hat das Einzelporträt seine Vorläufer gehabt. Im
Sacro Speco zu Subiaco ist unter mancherlei Uebermalungen ein Bild
des heiligen Franz von Assisi erhalten, das möglicherweise schon zwei
Jahre nach dem 1226 erfolgten Tode des grossen Mystikers gemalt ist,
und auch von den Päpsten des 13. Jahrhunderts ist die Mehrzahl in mehr
oder weniger gesicherten Porträts nachzuweisen. Frankreich besitzt in
dem Bildnis Johanns II., des Guten, gest. 1364, in der Bibl. Nationale
ein solches Frühwerk, England in dem Richards II., gest. 1399, im Chor
der Westminsterabtei. In Deutschland waren wir bereits in der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts auf einem Wandgemälde des Hansasaales zu
Köln einem allerdings noch typischen Ebenbilde Karls IV. begegnet
(vgl. S. 63), doch ist es nicht ausgeschlossen, dass hier der Kaiser
nur das einzig erhaltene Glied einer Fürstenreihe gebildet hat. In
der Tafelmalerei führen uns die Vorstufen des Einzelbildnisses wieder
nach dem deutschen Ordensland und diesmal nach dem Dom von Königsberg.
Dort, in der Fürstengruft, hängen die lebensgrossen, auf Holz gemalten
Bildnisse von sechs Ordensmeistern, von denen sich fünf identifizieren
lassen. Die Tafeln blieben in der Kirche, auch als 1524 die neue Lehre
auf die Verbannung aller Bilder drang.
Hagen[85] giebt eine Beschreibung ihrer Beschaffenheit aus der Zeit vor
ihrer Restaurierung, so gut eine solche bei dem schadhaften Zustand
derselben überhaupt möglich war. Darnach waren die Dargestellten
sämtlich gewappnet und trugen den Ordensmantel um die Schultern,
bärtig, wie es die Regel verlangte, unbehelmt, die Linke auf das
Schild gestützt, in der Rechten das gesenkte Schwert, zum Zeichen,
dass sie dem polnischen Könige den Lehenseid geleistet hatten. (»Das
Abhängigkeitsverhältnis ist durch das abwärtsstehende Schwert, das
Oberherrlichkeits-Verhältnis durch Aufrechthaltung des Schwertes
ausgedrückt«.) Brustharnisch oder Wappenrock, sowie Schild und Mantel
schmückte das Kreuz. Ueber die Zeit ihrer Anfertigung ist nichts zu
ermitteln. Heinrich von Plauen, zeitlich der erste der Dargestellten,
ist 1429 gestorben. Möglich, dass er bald nach seinem Tode gemalt
ist. Von dem 1489 gestorbenen Martin Truchsess von Wetzhausen ist es
erwiesen, dass sein Bildnis in einer viel späteren Zeit entstanden ist.
[Illustration: ~Porträt des Konrad Kyeser.~ Miniatur.
Nach besonderer Aufnahme.]
Aber selbst wenn wir Heinrich von Plauen noch in die dreissiger Jahre
datieren könnten, so dürfen diese Kirchenbilder doch nur als Vorstufen,
nicht als eigentliche frühe Porträts in dem Sinne bezeichnet werden,
in welchem wir diese Bildnisgattung begriffen haben, einmal weil sie
jedenfalls erst nach dem Tode der Betreffenden, also als »Idealbilder«,
geschaffen worden sind, und dann weil sie, wenn auch zwei der
Hochmeister nicht im Königsberger Dom begraben liegen, schliesslich
doch, gleichwie die frühen Bildnisse des Franz von Assisi und der
römischen Päpste, mehr das Gepräge des Kenotaphes tragen.
Dagegen haben wir in der Buchillustration ein wirkliches grosses
Einzelporträt schon aus dem Jahre 1405. In einer Göttinger Miniatur,
Codex Philosophicus No. 63, ist der Verfasser eines Buches über
Kriegswissenschaften, Konrad Kyeser, im Brustbild dargestellt. Der Kopf
allein ist grösser als etwa eine flache Hand, von ungemein lebendigem
Ausdruck, mit kurzgeschorenem Haar und Schnur- und Knebelbart. Wäre
das Datum nicht beigeschrieben, so würde man schwerlich auf eine so
frühe Entstehungszeit schliessen dürfen. Das Bild ist, wie man aus der
Abbildung erkennt, etwas beschädigt.
In der Tafelmalerei kommt der Gebrauch des Einzelporträts, wie gesagt,
erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts auf, und von dieser Zeit an
ist uns eine grössere Anzahl derselben erhalten geblieben. Dass es
schon vorher existiert hat, ist wohl anzunehmen, wenn wir auch keine
gesicherten Dokumente dafür besitzen.
b) Aeusserlichkeiten der Porträts. Form, Grösse, Tracht, Geschmeide,
Hintergrund.
Die gewöhnliche Form der für Haus und Familie bestimmten Porträts war
die einer länglich viereckigen Holztafel, um welche eine schlichte
Leiste mit gotischem Ablaufprofil nach dem Bilde zu die Umrahmung
darstellte. Tafel und Rahmen wurde vom Schreiner gefertigt, die Leisten
in der Regel schwarz oder zinnoberrot angestrichen und mit goldenen
Sternen besetzt, zuweilen auch mit einer dekorativ wirkenden Inschrift
in goldenen Lettern geschmückt. Oben befand sich ein Ring zum Aufhängen
des Bildes. Hie und da wurde auch Tafel und Rahmen aus einunddemselben
Stück gefertigt. Erst am Ende des Jahrhunderts begann man das
Rahmenwerk kunstmässig mit dem Schnitzmesser zu bearbeiten; eine runde
oder ovale Gestalt hat man ihm, ausser bei den kleinen Medaillons der
Goldschmiedekunst, vor dem 17. Jahrhundert schwerlich gegeben. Die
frühste authentische Kunde von der Verwendung eines Porträts, als
Wandschmuck giebt uns der Holzschnitt eines Zimmer-Innenraums aus Joh.
Hartliebs »Alexander« vom Jahre 1458.
Neben der hier beschriebenen Form des eingerahmten Porträts geht
noch eine andere her, die in erster Linie zur liegenden Aufbewahrung,
vielleicht in einer Lade, oder zum Aufstellen bestimmt gewesen sein
mag: über der rahmenlosen Holztafel mit dem Bildnis und mit ihr durch
ein Gelenkband verbunden, befindet sich als Schutzdeckel eine zweite
Holztafel, auf deren äussere Seite in der Regel das Familienwappen
gemalt ist, während die innere mit einem einfachen Muster, gegen die
Renaissancezeit hin oft mit einer allegorischen Darstellung, verziert
ist.
[Illustration: ~Wohnraum mit einem Porträt als Wandschmuck.~
Aus Schultz, Deutsches Leben im XIV. u. XV. Jahrh.]
Die Grösse der hier in Frage kommenden Einzelporträts beträgt
durchschnittlich etwa 0,35 m in der Höhe und 0,25 m in der Breite.
Die zur liegenden Aufbewahrung bestimmten sind noch etwas kleiner.
Gegen Ende des Jahrhunderts nehmen die Abmessungen der als Wandschmuck
gemalten Porträts allmählich zu.
Dass die Bilder nicht grösser sind, ist nicht zu verwundern. Das Format
eines Gemäldes wird nicht zum mindesten durch den Raum bestimmt, in
welchem es hängen soll, und wie hätte man in der Intimität eines
gotischen Zimmers mit seinen Butzenscheiben, die gar oft nur aus
trüben Glassurrogaten bestanden, ein grosses Porträt belichten können,
namentlich in den unteren Stockwerken, die durch eine malerisch
wirkende, aber höchst unpraktische Ueberkragung der oberen schon an und
für sich verdunkelt wurden? Tritt doch selbst unter der hellen Sonne
des Südens das private Porträt in Lebensgrösse erst mit der Erweiterung
der Wohnräume auf, wenn auch nicht, wie Vasari meint, erst 1541 durch
Titian eingeführt, sondern bereits fünfzehn Jahre früher durch Moretto,
worauf Burckhardt hinweist.[86]
Von dem Körper wird anfangs nur der Kopf, Hals und ein Teil der Brust
gegeben, später tritt der Oberleib hinzu, meist unverhältnismässig
klein gebildet, und zur feineren Charakterisierung auch die Hände,
wobei jedoch gleichzeitig eine malerische Schwierigkeit zu überwinden
ist, die in der neuen Verteilung des Lichtes auf Kopf und Hand
besteht. Zuweilen werden auch zwei Brustbilder zu einem Doppelbildnis
vereinigt. Das sogenannte Kniestück oder die ganze Figur ist mir im 15.
Jahrhundert nicht begegnet. (Der Altarflügel gehört ebensowenig wie das
Totendenkmal zu der hier besprochenen Porträtgattung.)
Der Kopf wird in halbem, selten ganzem Profil, in der Regel in der
Wendung nach links, gegeben, zuweilen auch in der Ansicht von vorn.
(In der italienischen Kunst, wohl unter dem Einflusse der Schaumünze,
ist im Gegensatz zur deutschen das ganze Profil bei den strengen
florentinischen Meistern des Quattrocento sehr häufig.) Eine Wendung
im Kontrapost, die dem Bilde etwas Momentanes verleihen würde, kommt
nicht vor. Der Blick ist ruhig vor sich hin oder mit einer Sehweite von
wenigen Metern aus dem Bilde heraus, am Ende des Jahrhunderts wohl auch
auf den Beschauer gerichtet.
Die Hände halten, wo sie gegeben sind, mit zumeist ungelüfteten
Fingern die Paternosterschnur oder den Rosenkranz. Das ist das
frühste und häufigste Motiv. Giebt ihnen der Maler einen anderen
Gegenstand, etwa einen Ring oder eine Blume, so werden die Finger
gelöst, wodurch der persönliche Reiz der Hand erhöht und ihr eine
gewisse Ausdrucksfähigkeit ermöglicht wird. Man geht wohl nicht fehl,
derartigen Beigaben, welche zur Belebung und Wesensschilderung der
Dargestellten von Bedeutung sind, ausser ihrem künstlerischen Wert auch
einen symbolischen beizumessen. Andere Attribute als Ring und Blume,
welche auf die Sinnesweise oder die Beschäftigungen der Porträtierten
einen Schluss gestatten würden, sind nicht gerade häufig. Einmal ist
es ein Münzstempel, einmal ein Zirkel, mit einem stattlichen Buch in
der Hand hat sich der Kanonikus Schönborn abschildern lassen — ein
Motiv, das für Kleriker nach der Reformation sehr verbreitet ist —,
nur in seltenen Fällen habe ich den bei italienischen Bildnissen so
gebräuchlichen Zettel oder die Schriftrolle gefunden.
Sind die Hände nicht in der Beschäftigung mit einem bestimmten Objekte
geschildert, so erscheinen sie entweder einfach übereinander gelegt
oder die eine ruht auf einer Brüstung, während die andere in das Wams
greift oder ungezwungen, aber schon den Keim der späteren pathetischen
Gebärde in sich tragend, den Mantel hält. Handschuhe sind mir niemals
begegnet, weder als Bekleidung der Finger, noch — wie später, nachdem
der Rosenkranz unmodern geworden war, und bis auf den heutigen Tag so
häufig — in lose zusammengelegtem Zustand als Beschäftigungsmotiv für
die Hände.
Die Tracht kommt, da es sich nur um Kopf- und Brustbilder handelt,
wenig zur Geltung. Der Rock der Männer ist in der Regel bis zum Hals
geschlossen, nur das Staatskleid der Vornehmen lässt den oberen Teil
der Brust frei, oft bedeckt ein Mantel oder die Schaube die Schultern
und eine Mütze oder ein Barett den Kopf. Das Leibchen der Frauen
ist vorn nur wenig ausgeschnitten. Eine Betonung der sinnlichen
Formen wie bei den italienischen Frauenporträts beginnt erst am Ende
des Jahrhunderts, wohl durch das Beispiel der burgundischen Tracht
veranlasst, die in dieser Beziehung eine Mittelstellung eingenommen
hat. Die vorherrschenden Farben der Kleiderstoffe sind ein starkes
Grün, Rot, Blau oder Gelb. Gebrochene, zarte und wie wir heute sagen
duftige Töne kennt die Mode und die Malerei jener Zeit noch nicht. Eine
richtige Vorstellung von der Farbenfreudigkeit der Gewänder des 15.
Jahrhunderts, wie sie auf den Altargemälden so auffällig zum Ausdruck
kommt, können natürlich die wenigen erhaltenen, namentlich weibliche
Porträts durchaus nicht geben. Für Einzelheiten verweise ich auf die
betreffenden Bildbeschreibungen.
Das Haar der Männer fällt vom Scheitel in weichen Wellen auf Nacken und
Schultern herab, auf einigen der handwerklich ausgeführten Porträts
schlichter Bürgersleute sind die Stirnhaare in glatten Strähnen nach
vorn herabgekämmt, sodass sie mit den Augenbrauen abschneiden, auf
anderen sind sie mit dem Brenneisen leicht aufgelockt. Das Gesicht ist
fast immer rasiert.[87]
Die Frauen tragen das Haar unter einer Haube, einem Netz oder einem
Schleiertuch, oft werden an den Schläfen die sorgfältig geflochtenen
Zöpfe sichtbar. Auch von den unausgesetzt wechselnden, phantastischen
und bizarren Moden der männlichen wie weiblichen Haaranordnungen
und Kopfbedeckungen geben unsere wenigen Porträts keinen Begriff.
Will man sich ein richtiges Bild von ihren proteusartigen Wandlungen
verschaffen, so muss man wiederum die grossen Altarbilder, vor
allem aber die Grabsteine, die Handschriften-Illustrationen und die
Kupferstiche zu Rate ziehen[88] und die »Kleiderordnungen« der Städte,
die Berichte in den Chroniken und die donnernden Kanzelreden eines
Geilers u. a. lesen. Hier kann man sich auch über die kosmetischen
Mittelchen unterrichten, durch welche Männer und Frauen ihre Frisur
zu verschönern trachteten: Färben, Brennen, Wickeln, mit Eigelb
auftoupieren, mit Schwefel waschen und an der Sonne trocknen oder im
Winter zu Eis gefrieren lassen u. dergl. Das frühste Muster eines auf
so künstliche Weise prächtig aufgetürmten Haarschmucks scheint in der
blonden Lockenfülle des Johannes auf dem Thomasaltar von 1424 gegeben
zu sein.
Das ~Geschmeide~ spielt erst vom 16. Jahrhundert an seine grosse,
protzenhaft schaustellerische Rolle, wo Nacken und Brust oft geradezu
unter einem Panzer von Schmuck und Steinen verschwinden, wo, wie im
18. Jahrhundert, die vornehme Frau ihr gesamtes Vermögen, und den
Kredit dazu, in Juwelen auf dem Leibe trägt. Unsere bescheidenen
Porträts aus der letzten Zeit der Gotik zeigen nur hin und wieder
ein Schaustücklein, und um überhaupt hier von dem Geschmeide sprechen
zu können, muss ich bei seiner Aufzählung auch das Stifterbildnis mit
heranziehen.
Bei den vornehmen Männern in weltlicher modischer Tracht ist das
Schmuckbedürfnis auf wenige Gegenstände beschränkt: eine Agraffe am Hut
oder Barett, um den Hals eine Kette oder auch eine einfache Schnur mit
einem Anhänger, einem Talisman oder der Bulla — einer halbkugelförmigen
Kapsel, in der sich eine Reliquie zu befinden pflegt; Talisman und
Bulla werden in der Regel von dem Obergewand bezw. dem Hemd bedeckt —,
und an der Hand ein Fingerring, erst in Zeit mehrere, mit auffällig
hohem Kasten für den Stein.
[Illustration: ~Gruppe aus dem Thomas-Altar in Hamburg.~
Nach Schlie, der Hamburgische Meister vom Jahre 1835.]
Abzeichen mittelaltriger Ordensgesellschaften, auf den Grabsteinen so
häufig, begegnen uns auf den hier geschilderten Porträts nicht, bei den
Stifterbildnissen sehr selten, einmal z. B. auf dem Altar von 1484 in
der Gumbertskirche von Ansbach, wo die jugendlichen Prinzen mit den
Insignien des 1440 gestifteten Schwanenordens erscheinen. Auf einer
Stammtafel des 1462 gestorbenen Ulrich Ketzler, germanisches Museum No.
526, hat der Maler eine Anzahl Ordensdekorationen über und neben dem
knienden Ritter an der Wandfläche des Hintergrundes angebracht, — ein
Dokument menschlicher Eitelkeit, für welches das Muster bereits auf den
Grabsteinen römischer Legionsoffiziere zu finden ist. (Beispiele u. a.
im Provinzialmuseum zu Bonn.)
Die vornehme Frau trägt ausser dem Fingerring den Fürspan, ein
Schmuckstück, das am ehesten unserer Brosche zu vergleichen wäre,
und eine Halskette, die oft, gleichwie bei den Männern, mit einem
Anhänger versehen ist, zuweilen auch am Brustausschnitt eine Borte mit
aufgenähtem Goldornament. Armbänder habe ich niemals gefunden: einem
Geschmeide, dessen Wirkung auf der blossen Haut erst recht zur Geltung
kommt, wären die langen Aermel der Frauenkleider auch nicht günstig
gewesen.
Weniger erklärlich ist das gänzliche Fehlen der Ohrgehänge. Bei der
Tracht der Handwerkersfrau und auch der werktägigen der Patrizierin
verhüllte meist, nicht immer, die Haube oder ein Tuch das Ohr, die
grosse Toilette der Weltdame jedoch liess es in der Regel frei, wie
aus zahlreichen Darstellungen auf Altargemälden und Kupferstichen
hervorgeht. Wenn nun selbst die gewöhnlich in prächtig orientalischer
oder höfisch burgundischer Tracht erscheinende Magdalena des Ohrringes
ermangelt, so muss man wohl annehmen, das 15. Jahrhundert habe diesen
Zierrat als etwas barbarisches betrachtet, denn gekannt hat es ihn, wie
der häufig mit einem Ohrring geschmückte Mohrenfürst auf der Anbetung
der Könige beweist.[89]
Der Hintergrund unserer Porträts ist anfangs eine einfarbige Fläche,
vom kühlen Braun bis zum Gelblichen und warmen Hellgrünlichen,
zuweilen bei dunklem Ton mit einem goldenen Sternenmuster verziert.
Dann wird er als Mauerwand behandelt, in der eine Oeffnung oder nach
niederländischem Beispiel ein Fenster angebracht ist, welche einen
Ausblick auf die Landschaft gewähren. (Mit einem Ausblick z. B. auf
dem Porträt bei Burckhardt-Burckhardt, vergl. S. 124, falls hier die
Landschaft nicht spätere Zuthat ist, mit zwei Ausblicken auf dem
Bildnis des Ehepaars in Dessau, vergl. S. 174.) Schliesslich wird die
Figur noch dadurch leicht vom Hintergrund gelöst, dass man sie vor
einen glatt herabfallenden Vorhang stellt, zu dessen beiden Seiten
dann wohl der Blick auf die Landschaft geöffnet wird. (Porträt in
Heidelberg, vergl. S. 80.) Eine ganz offene Landschaft als Hintergrund
ist mir nur einmal begegnet. (Porträt im Besitz des Grossherzogs von
Hessen. Vergl. S. 189.)
In seine gewohnte Umgebung, in einen geschlossenen Innenraum mit
Ausstattungsgegenständen wird der Dargestellte noch nicht gebracht,
höchstens könnten Briefschaften, die an der Rückwand befestigt
erscheinen, mit Gewohnheiten und Neigungen der Porträtierten in
Beziehung gebracht werden (z. B. bei dem Pacimondanus, vergl. S. 188).
Von sonstigem mittelaltrigen Hausrat wird uns nur die Stubenfliege
gezeigt. (Wiederum bei dem Pacimondanus und bei der Hoferin in London,
vergl. S. 186. Auf den Abbildungen leider nicht zu erkennen.)
Im allgemeinen kann man sagen, dass die Veränderungen bezw.
Bereicherungen des Hintergrundes in deutscher, niederländischer und
italienischer Porträtkunst etwa gleichen Schrittes gehen, nur wolle man
bemerken, dass in den Niederlanden der Ausblick durch ein Fenster, in
Italien durch eine Maueröffnung die Regel ist, und dass in Mailand und
Florenz mehr die ganze, in Venedig und in den Niederlanden mehr die
Teillandschaft üblich ist.
Dass Wappen und Inschriften, die sich auf Namen, Alter und Art des
Dargestellten beziehen, sehr häufig auf dem Bildgrunde angebracht
sind, haben wir gesehen. Humoristischen Inhalts, wie so oft im 16.
Jahrhundert, sind sie noch nicht, doch könnte man als einen anmutigen
Vorläufer vielleicht die Zwiesprache über dem Gothaer Liebespaar
betrachten. (Vergl. S. 86.)
Soviel von den Aeusserlichkeiten der Porträts des 15. Jahrhunderts.
Um sie noch einmal kurz in einem Gattungssignalement zusammen
zu fassen: Kopf- oder Brustbilder in kleinem bis mittelgrossem,
länglich-viereckigen Format, Rosenkranz, Ring oder Blume in der Hand,
schlicht gekleidet, selten ein Schmuckstück, Hintergrund einfarbige
Fläche, später Ausblick auf Landschaft.
c) Künstlerische Auffassung. — Die gleichzeitige italienische und
niederländische Porträtkunst. — Malweise. — Porträtsammlungen.
Ueber den künstlerischen Inhalt der Porträts ist leider nur wenig zu
sagen: rein als malerische Bilderscheinung genommen, gewähren sie
eine geringe ästhetische Freude, und als graphische Erläuterer einer
bestimmten Persönlichkeit helfen sie uns nicht, deren inneres Wesen
zu verstehen. Der Maler giebt die ruhenden Formen des menschlichen
Antlitzes wieder, also das, was ich im allgemeinen das Individuelle
einer Physiognomie genannt habe, so gut er es vermag, mit derselben
Objektivität, wie er irgend einen anderen Gegenstand auf die Malertafel
zwingt. Von dem Geiste, welche diese äusseren Formen in langdauernder
Arbeit gebildet hat und der jederzeit gleich einem immateriellen Hauche
über ihnen liegt, also von dem, was ich das Charakteristische nenne,
gelingt es ihm zuweilen, mehr zufällig als beabsichtigt, einen Schimmer
zum Ausdruck zu bringen, einen Wiederschein nicht der subtilen und
schwer zu entziffernden Verstandes- und Gemütseigenschaften, sondern
jener wenigen fundamentalen, die gewissermassen den Grundblock einer
Persönlichkeit bilden und die in augenfälligen und groben Zügen auf
jedem Gesicht geschrieben stehen, als da sind Rohheit oder Feinheit,
Willenskraft oder Wankelmut, Selbstsucht oder Liebe, Wahrhaftigkeit
oder Lüge, Geistesschärfe oder Beschränktheit.
Aber das, worauf es dem Maler in erster Linie ankam, war doch die
rein äusserliche, die physische Aehnlichkeit. Man sollte das Porträt
»erkennen«, es von anderen unterscheiden, und dazu, so meinte er,
bedurfte es der peinlich getreuen Wiedergabe aller Einzelformen, die
das Ganze bilden. Auch der Besteller wird mit solcher stillebenartigen
Behandlung seiner Physiognomie zufrieden gewesen sein. Ueber die
Uebereinstimmung von Gesicht und Wesen, deren wissenschaftliche
Begründung erst unserem Jahrhundert vorbehalten gewesen ist,[90] wird
er nicht viel nachgedacht haben, und die grundstürzende Entdeckung
des verschönernden Mediums, des Schmeichelns, hatten damals die
liebenswürdigen Venetianer noch nicht gemacht.
[Illustration: ~Porträt des Giovanni Arnolfini von van Eyck.~
Berlin, Museum.
Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl.]
Gewiss wird man von einer Frühkunst, die noch mit der Bewältigung
technischer Schwierigkeiten zu ringen hat, nicht das Erfassen des
momentanen, flüchtig vorübereilenden Gesichtsausdruckes erwarten
dürfen, nicht das geheimste Erzittern der Seele, nicht die
blitzschnellen physiognomischen Manifestationen eines plötzlich
auftauchenden Gedankens. Weder die Maler der Niederlande noch die
Italiens haben im Quattrocento einen ernsthaften Versuch nach dieser
Richtung hin unternommen. Aber wenn man die gleichzeitigen Porträts
des Nordens und des Südens den deutschen gegenüberstellt, wird man
sich dem Eindruck nicht verschliessen können, dass bei diesen auch das
Bleibende eines Menschenantlitzes, das Feststehende im ewigen Flusse
der wechselnden Stimmungsbewegungen, die kontinuierliche Ausstrahlung
der Seele, kurz alles das, was den Wesensausdruck einer Persönlichkeit
bestimmt, thatsächlich nur wie zufällig, zum mindesten oberflächlich,
gleichwie mit halbgeschlossenem Malerauge erschaut, wiedergegeben
worden ist. Man vergegenwärtige sich Porträts wie etwa das des Giovanni
Arnolfini und das des Scarampi, beide in Berlin, und vergleiche sie
selbst mit Pleydenwurffs Schönborn oder den Pacimondanus in Basel,
unmöglich wird man die schwächere Kraft der Charakterisierung in
letzteren verkennen.
[Illustration: ~Porträt des Scarampi von Mantegna.~ Berlin, Museum.
Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl.]
* * * * *
Wiederholt im Gange dieser Betrachtungen haben wir das italienische und
das niederländische Porträt des 15. Jahrhunderts herbeirufen müssen,
um uns von dieser oder jener Eigentümlichkeit des deutschen eine
deutlichere Vorstellung zu machen. Es dürfte daher wohl angezeigt sein,
sich einmal im Zusammenhange die Natur jener beiden Vergleichsobjekte
vor Augen zu führen. Das soll hier mit wenigen Worten versucht werden.
Früher als anderswo im Abendlande war in Italien die einzelne
Persönlichkeit zum Gegenstand malerischer Darstellung gemacht worden.
Die ältesten nach dem Leben gemalten Bildnisse gehen in das 13.
Jahrhundert zurück. Mit dem 14. Jahrhundert (Giotto) beginnt die
Aufnahme irgendwie hervorragender Zeitgenossen in der Freskomalerei.
Das 15. Jahrhundert bezeichnet den Höhepunkt der Porträtkunst im
Rahmen des Wandgemäldes und der grossen Altartafel. Nebenher geht,
wie im Norden, das Stifterbildnis. Für das unabhängige Einzelporträt
lag angesichts der Bildnisfülle auf Wänden und Altären zunächst kein
Bedürfnis vor. In der That ist jene Bildnisgattung in den ersten
Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts ungemein selten und erst um die Mitte
hebt in dieser Beziehung ein Umschwung an, am frühsten wohl in Florenz.
(Piero della Francesca.) In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erhält
die Sitte des Einzelporträts eine grössere Verbreitung, nicht wenig
gefördert durch das flandrische Beispiel, vornehmlich in Venedig.
(Antonello da Messina.) Dort, noch mehr als in Florenz, wo (seit
Donatello) die plastische Büste den Wunsch nach bildlicher Wiedergabe
der Persönlichkeit in so meisterhafter Weise befriedigte, gelangte
das gemalte Porträt zu einer ausserordentlichen Beliebtheit und zu
einer Entwickelungshöhe (Bellini), die schliesslich in dem grössten
Bildnismaler Italiens, in Titian, ihren Gipfel erreichen sollte.
Welches Gattungsbild erhalten wir nun von dieser italienischen
Porträtkunst, wenn wir den Blick vor den Werken des einzigen Lionardo
verschliessen und auch die spätquattrocentistischen Venetianer nicht
berücksichtigen?
Zunächst den Eindruck eines körperlich und geistig wohlgebildeten
Menschengeschlechts, einer monumentalen Auffassung der Persönlichkeit
von seiten des Malers, die das Wesentliche dem Unwesentlichen
unterzuordnen versteht und einer am Fresko erlernten, auch in kleinen
Formen grossflächigen Arbeit.
Auf die bleibenden festen Linien des menschlichen Antlitzes, also auf
das, was die äussere Aehnlichkeit ausmacht, wird hier, wie im Norden,
besondere Sorgfalt verwendet. Die modellierende Kraft der Farbe und des
Lichtes wird benutzt, dem Kopfe Rundung und Energie des Lebensausdrucks
zu geben. Aber auch das, was die spätere italienische Porträtkunst
vor allen anderen auszeichnet, das Streben nach Vereinfachung und
zugleich jenes dichterisch-schaffende Element, welches auch die
innere Aehnlichkeit zu erfassen sucht, die ressemblance morale, wie
der französische Terminus lautet, ist, in seinen Anfängen wenigstens,
bereits zu erkennen. Dagegen gehört der Ausdruck des Momentanen zu
den seltensten Ausnahmen. Die Beschränkung auf Kopf- oder Brustbild
(zudem meist in starrer Profilstellung), schliesst die kommentierende
Sprache der Hände aus (die auf der Brüstung ruhende Hand war nur
ein unvollkommenes Hilfsmittel der Charakterisierung) und sie
verzichtet auf das Persönliche der ganzen Körperhaltung und auf den
»Standesausdruck«. Eine Bewegung der Seele — ich erinnere daran, dass
wir von Lionardo absehen — ist nirgends zu finden.
So dürfte, ganz im allgemeinen gesprochen, die Porträtkunst des
italienischen Quattrocento als eine episch-beschreibende zu bezeichnen
sein, der um die Jahrhundertswende eine dramatisch-charakterisierende
folgen sollte.
Unter ganz anderen Voraussetzungen entwickelt sich die Porträtkunst
in den Niederlanden. Abgesehen von den Verschiedenheiten, welche in
der nordischen Natur und in dem germanischen, im Süden des Landes
stark mit französischen Elementen vermischten Volksstamm begründet
sind, und der anders gefügten politischen, sozialen und kulturellen
Grundlage, ist die niederländische Porträtkunst der italienischen
gegenüber insofern im Nachteil, als ihr die lange Lehrzeit fehlt und
sie in ihrer kurzen, aber entscheidenden Jugendphase die hohe Schule
der Freskomalerei entbehren muss. Von einer Entwickelung in dem Sinne,
wie wir das Wort von der Naturwissenschaft in die Kunstgeschichte
übernommen haben, kann bei ihr kaum gesprochen werden. Selbständig, wie
ein plötzliches Naturereignis, tritt sie mit den beiden Stifterfiguren
des Genter Altars (1432) ins Leben, beinahe unvermittelt, wie das
ganze Wunderwerk von Sankt Bavo selbst, dessen zarte Entstehungslinien
rückwärts nach der burgundischen Plastik einerseits und nach den
niederländisch-französischen Miniaturen anderseits, erst das geschärfte
Auge der modernen Kunstforschung zu enthüllen vermochte. Und dem
Jodokus Vydt und seiner Gattin folgt sofort eine Reihe von Bildnissen
Jans, die zu den vollendetsten Meisterwerken der Porträtkunst zu
rechnen sind. Jan van Eycks Nachfolger in Flandern, Brabant und
Holland vollenden das Gepräge der niederländischen Bildnismalerei,
ohne jedoch die einsame Höhe des grossen Bahnbrechers zu erreichen.
Wiederum versuchen wir alle diese Einzelporträts zu einem Gattungsbild
zusammenzuschliessen. Intimität, mehr als Monumentalität, ist der
Grundzug der künstlerischen Auffassung, der aus allen spricht.
Peinliche Wiedergabe aller Linien und Flächen des menschlichen
Antlitzes scheint in noch höherem Grade als in Italien das Porträtideal
der Niederländer gewesen zu sein. Mit einer, allerdings unbegreiflich
wunderbaren Ausnahme (das Ehepaar Arnolfini in London), begnügen sich
die Maler für das Einzelporträt mit dem Kopf- oder Brustbild, meist
in halber Lebensgrösse, jedoch giebt ihnen die als Regel gewählte
Dreiviertelansicht, mehr als das beim Profilbildnis zum Ausdruck
kommen konnte, die Möglichkeit, tiefer in das persönliche Wesen des
Dargestellten einzudringen. Das Momentane in Miene oder Körperhaltung
begegnet uns selten, der Wiederschein eines inneren Vorgangs, ein
Erglänzen oder Erbeben der Seele, niemals.
Den wichtigsten Unterschied der beiden Kunstweisen sehe ich jedoch
darin, dass, wiederum ganz im allgemeinen gesprochen, bei den
italienischen Porträts eine mehr zeichnerische und plastische, bei den
niederländischen eine mehr malerische Empfindung die für den ersten
Eindruck bestimmende ist. Während das Ziel der Linienführungs- und
Lichtexperimente der Italiener sich auf eine lebenswahre Gestaltung der
körperlichen Erscheinung, also der ~Form~ zu richten scheint, sind die
Niederländer bei ihren künstlerischen und technischen Versuchen, zu
welchen vor allem auch ihre besondere Feinfühligkeit in Verwendung des
Oels als Bindemittel zu rechnen ist, in erster Linie um eine Steigerung
und zugleich Verfeinerung der Wirkung der ~Farbe~ bemüht.
[Illustration: ~Anbetung der Könige vom Meister der hl. Sippe.~
Nach einer Photographie im Kupferstich-Kabinet zu Berlin.]
Die erstaunlich »malerische Stimmung«, die aus den besten Porträts der
niederländischen Quattrocentisten spricht, ist es wohl vornehmlich
gewesen, die auf die Italiener, besonders auf die Venetianer, einen
so gewaltigen Eindruck gemacht und sie zur Nacheiferung angespornt
hat. Auf die mit geringerem Gefühl für den Reiz der Farbe begabten
Deutschen scheint gerade dieser Vorzug der nordischen Porträts keine
erhebliche Wirkung gehabt zu haben. Sie bewunderten wohl mehr die
frappante Aehnlichkeit, um die es ihnen ja selbst hauptsächlich zu
thun war und den Schein der Lebenswahrheit, den sie der Sauberkeit und
Feinheit der Einzelbehandlung zuschrieben. Von einem tiefer gehenden
Einfluss gerade jener malerischen Kabinetstücke, wie etwa der beiden
Brustbilder Jan van Eycks, die sich jetzt in London befinden, seines
Arnolfini in Berlin oder dem seiner Frau in Brügge, ist in der
deutschen Porträtmalerei auch nicht eine Spur zu entdecken. Wohl aber
erkennt man, dass solche Bildnisse des Meisters oder seiner Schule
zur Nachahmung reizten, in denen weniger die farbige Bilderscheinung
die hervorstechende Eigenschaft bildet, als die Kunst der Zeichnung,
die durch einen die Grenze des ästhetisch Annehmbaren beinahe
überschreitenden Naturalismus erreichte physische Aehnlichkeit und die
an die unerbittliche, aber poesielose Wirklichkeitsdarstellung des
photographischen Apparates erinnernde Virtuosität der Detailbehandlung.
Dass ein so bedeutender kölnischer Maler wie der Meister der heiligen
Sippe von allen eyckschen Porträts just den Kopf des Mannes mit
den Nelken (Berlin) erwählte, um ihn in seiner Anbetung der Könige
(Privatbesitz, Westfalen) dem knienden Kaspar zu geben, ist in dieser
Beziehung gewiss höchst bezeichnend.
Schliesslich, aber etwas später als in Italien, ging auch
im Norden der episch-beschreibende Stil gleichfalls in den
dramatisch-charakterisierenden über (Q. Massys). —
* * * * *
Wenn wir der ~malerischen~ Qualität der deutschen Porträts des 15.
Jahrhunderts gerecht werden wollen, so müssen wir, bevor wir sie
mit den Werken einer späteren Zeit vergleichen, uns die Grenzen der
Ausdrucksmittel vergegenwärtigen, an welche auch die besten Meister
des ausgehenden Mittelalters gebunden waren. Es wird dazu nötig sein
in aller Kürze diejenigen Haupthilfsmittel zu bezeichnen, welche den
deutschen Quattrocentisten ~nicht~ zur Verfügung standen, bezw. nicht
zur Verfügung stehen konnten.
Gleich ihren niederländischen und italienischen Mitstrebenden wussten
sie noch nicht den ~Luftkörper~ darzustellen, der alle Erscheinungen
der Wirklichkeit umgiebt und der ihre Farben mit der jeweiligen
Beschaffenheit der Atmosphäre (Feuchtigkeitsgehalt, Staubteile) und je
nach ihrer Entfernung vom Auge des Beschauers verändert. Um das Fehlen
dieses doch scheinbar so naheliegenden Faktors einer künstlerischen
Abbildung der Wirklichkeit zu verstehen, muss man sich die Thatsache
vergegenwärtigen, dass die gesamte Malerei des Mittelalters bis zum
Anfang des 15. Jahrhunderts gewissermassen eine Bilderschrift gewesen
war, in die alle irdischen Erscheinungen übertragen wurden. Nicht
Naturwahrheit war ihr Prinzip, sondern Schönfarbigkeit und dekorative
Wirkung. Da sie also nur ein Gleichnis der Dinge geben wollte, nicht
diese selbst in täuschender Aehnlichkeit, konnte sie auch nicht auf
den Gedanken kommen, sich nach einer Ausdrucksmöglichkeit für die
Darstellung der Körper im lufterfüllten Raume umzusehen. Erst als die
dekorative Behandlungsweise von einigen Vorläufern der neueren Zeit
durchbrochen wurde, sehen wir die Malerei mit der Lösung dieser Aufgabe
beschäftigt, und naturgemäss greift sie nun bei der Wiedergabe des
Raumes zu einem Mittel, welches ihrer frühern Arbeitsart am nächsten
steht: sie versucht seine dreidimensionale Eigenschaft durch Führung
der Linien und durch Verkürzungen der von den Seiten gesehenen Flächen
zum Ausdruck zu bringen. Der Erfolg war gering, denn der Blick auf
einen lediglich linear-perspektivisch aufgebauten Raum stösst doch
immer nur auf Ebenen, anstatt an den Objekten vorbei und gewissermassen
um sie herum, nach der Tiefe geführt zu werden.
Auf die Abwesenheit des Luftkörpers ist es vornehmlich zurückzuführen,
dass allen abendländischen Porträts bis zum Ende des 15. Jahrhunderts
einerseits die volle Freiheit im Raume fehlt und dass sie andererseits
der Einheitlichkeit, der Weiche und des Duftigen ermangeln, das ihnen
die Atmosphäre in Wirklichkeit verleiht.
Das ~Licht~, sowohl in seiner gleichmässigen Verteilung wie es die
Formen belebt und ihre Umrisse sanft verschwimmen lässt, als auch
in seiner besonderen Fähigkeit, als Beleuchtungsquelle mit bestimmt
gegebener Richtung das Körperliche in seiner Rundung hervorzuheben
und den Raum zu vertiefen, war, von mehr ahnenden als bewussten
Experimenten Einzelner abgesehen, den Malern des deutschen Quattrocento
ein verborgenes Geheimnis.
Die modellierende Kraft der ~Farbe~ an sich, die in der
Nebeneinanderstellung der Töne nach Massgabe der in ihnen enthaltenen
»valeurs« beruht (d. i. nach der Menge der Lichtstärke, die sie der
Einheit der Helligkeit oder des Dunkels — weiss und schwarz — nähert),
vorausgesetzt dass dem Beschauer eine gegenständliche Vorstellung zu
Hilfe kommt, ist wohl schon frühzeitig, nachdem das dekorative Prinzip
seine Allgemeingiltigkeit verloren hatte, instinktiv gefühlt, aber nur
zu einem geringen Teile ihrer vielfachen Möglichkeiten verwertet worden.
Der einzige Punkt, in welchem es die frühdeutschen Meister zu einer bis
auf den heutigen Tag schwerlich übertroffenen Vollkommenheit gebracht
hatten, ist die eigentliche ~Technik~, und wenn auch die Leuchtkraft
ihrer Farben vielleicht hinter der eines mit Oel gemalten Bildes
zurückbleiben mag, so haben sie vor den späteren doch den Vorzug des
dünneren, daher durchscheinenden Farbenauftrags und der grösseren
Dauerhaftigkeit ihrer Werke voraus. Der gleichzeitigen italienischen
Maltechnik gegenüber ist die nordische insofern im Vorteil, als der
Firnissüberzug ihrer Kirschgummi-Eiklar-Tempera ein mehrfaches,
allerdings wegen des langsamen Trocknens sehr zeitraubendes Uebermalen
ermöglichte, so oft und so lange bis der gewünschte Farbeneindruck
erreicht war, während die Feigenmilch-Tempera jener nach Auftrag des
Firniss eine abermalige Uebermalung nicht mehr gestattete. Die in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts angenommene Emulsions-Tempera der Eyck,
eine mechanische Vereinigung von Oel oder Fett mit pulverisiertem
Gummi, die sich beliebig mit Wasser verdünnen liess und schnell an der
Luft trocknete, war eine erhebliche Erleichterung für den Maler, nicht
aber eigentlich eine Verbesserung, die der Farbenwirkung in dem Masse
zu gute kam, wie häufig angenommen wird.[91]
Aus der fehlenden Erkenntnis von der vollen Bedeutung der Luft,
des Lichtes und der Farbe ist es erklärlich, dass die deutschen
Porträts des 15. Jahrhunderts unserem modernen Auge wie mit dem
Pinsel hergestellte kolorierte Zeichnungen erscheinen, die frühen
oberdeutschen fast ausnahmslos, die niederrheinischen mit einer
etwas grösseren Annäherung an die farbige Bilderscheinung. Da jedoch
diese letztere Gruppe nur in einer verschwindenden Anzahl auf uns
gekommen ist, auch ihr malerischer Gegensatz zu der oberdeutschen
in augenfälliger Weise erst durch die grossen Bildnismeister
des 16. Jahrhunderts zum Ausdruck gebracht wird, darf wohl eine
zusammenfassende Schilderung des deutschen Porträtwerkes im 15.
Jahrhundert die in verhältnismässig grosser Zahl erhaltenen
oberrheinischen, schwäbischen und fränkischen Werke als Repräsentanten
und Hauptdokumente zum Ausgangspunkt nehmen.
Die Verwandtschaft mit der Zeichnung fällt am deutlichsten bei
den fränkischen Porträts auf, in etwas geringerem Grade bei den
oberrheinischen und schwäbischen, sämtliche aber sind weit davon
entfernt, den Eindruck der vollen Rundung des Körperhaften zu geben
und kommen im besten Falle der Wirkung des flachen Holzschnitzreliefs
nahe. In scharfer Linie setzt sich die Kopfform von dem Hintergrunde
ab, und die Binnenzeichnung, also die einzelnen Gesichtsteile,
besonders der untere Augenrand und seine Umgebung, das unter der
Haut liegende Knochengerüst, die Muskeln und Sehnen, sind in deutlich
erkennbaren Linien voneinander geschieden. Die allgemeine Form
ist meist geometrisch richtig auf die Fläche projiziert, aber ihr
Erscheinungswert ist nicht berücksichtigt, — eine starre, nüchterne
Korrektheit, die zuweilen an die der Totenmaske erinnert. Man hat bei
diesen Porträts, wie übrigens auch bei den gleichzeitigen Innenräumen
und Landschaften, den Eindruck, als habe der Maler »abschnittsweise«
gearbeitet und während sein Blick an einem bestimmten Teile seines
beschränkten Sehfeldes haftete, übersehen, dass ein Teil in seiner
Erscheinung wesentlich durch die daneben befindlichen beeinflusst
wird und durch sie einen ganz anderen Daseinswert erhält, als wenn
er allein stände, und erst recht scheint ihm bei dieser Arbeitsweise
das Wirkungsverhältnis des Porträts zu seinem Hintergrunde entgangen
zu sein, durch welches ein Zurücktreiben der letzteren bewirkt werden
konnte und somit die Figur in ihrer Gesamterscheinung Plastizität
erhalten hätte. Die Modellierung hat er, wenn es ihm überhaupt darum zu
thun war, durch Detaillierung zu erreichen versucht, teils aber auch
durch undurchsichtige grüne, bräunliche bis rosige Schatten, teils
durch einen Wechsel verschieden abgetönter, gewellter Strichlagen.
Welch ein Schein von Körperlichkeit und welch eine verhältnismässig
volle satte Farbenrundung sich mit diesen beiden letzten, immerhin
primitiven Mitteln erzielen lässt, das zeigen die Figuren auf den
Tafelbildern eines Konrad Witz, Lukas Moser, Lochner, Multscher, Pacher
u. a., die ihren Rücken haben, auch wenn sie nur in der Vorderansicht
zu sehen sind. Leider haben uns gerade diese Meister keine eigentlichen
Porträts hinterlassen.
* * * * *
Was die ~Persönlichkeiten der Dargestellten~ betrifft, so vermissen
wir unter ihnen, gleichwie unter den Statistenscharen der kirchlichen
Gnadenempfänger, fast gänzlich die Elite des scheidenden Mittelalters.
Einzelporträts wie auch Stifterbildnisse mögen allerdings in den
gewaltigen Feuersbrünsten, welche die Städte heimsuchten, verbrannt
oder von fanatischen Bilderstürmern und in Kriegsläuften von
plündernden Truppen vernichtet worden sein, viele sind wohl auch als
wertloses Gut auf den Rumpelkammern allmählich von selbst verfallen.
Dass noch im 16. Jahrhundert eine erheblich grössere Zahl als heute
bekannt war, geht aus der grossen Menge der Kopien hervor, die damals
nach Originalen angefertigt worden sind, die wir nicht mehr kennen.
Die Mehrzahl der ersteren ist noch erhalten und vornehmlich in den
bairischen Staatsgalerien und im kunsthistorischen Museum von Wien,
Saal XV und XVI zu finden.
Von diesen Kopien ein paar Worte.
Diejenigen Männer, die wir heute als die eigentlichen Träger des
Geistes jenes merkwürdigen 15. Jahrhunderts betrachten, fehlen
auch hier. In überwiegender Mehrheit sind es die Fürsten und ihre
Verwandten, welche für würdig erachtet wurden, der Nachwelt erhalten
zu bleiben. Personen nach der Mitte des 15. Jahrhunderts scheinen nach
Originalgemälden kopiert worden zu sein, freilich was Auffassung,
Haltung, Tracht und Geschmeide betrifft, nicht ohne Aenderungen und
Zuthaten der neuen Zeit. Für solche, die vor diesem Termin gelebt
haben, mussten ausser gemalten und plastischen Stifterbildnissen,
vor allem die Stammbäume, sowie auch Statuen von Portalen und
Gewölbepfeilern, Grabfiguren, Reliefs, Miniaturen u. dergl. als Vorlage
dienen.
Die erste Sammlung solcher Nachbildungen (auch vereinzelter Originale)
wurde von dem Herzog Wilhelm IV. von Baiern (1508 bis 1550) angelegt
und durch Albrecht IV. (V.), den ob seiner verschwenderischen
Ankäufe und Aufträge tief verschuldeten bairischen Medici, bedeutend
erweitert.[92] Nach einem 1598 aufgenommenen Inventar bestand sie
aus 778 Bildern, darunter nicht weniger als 579 Porträts. Ausser den
Mitgliedern zeitgenössischer Regentenfamilien, wurden ganze Serien von
Kaisern, Helden und Dichtern des Altertums angefertigt, diese natürlich
freie Schöpfungen der Phantasie, ferner, sehr bezeichnend für den
Mangel jeglichen kunstfreundlichen Sammeltriebes, allerlei Kuriosa, wie
bärtige Jungfrauen, Zwerge, Hexen, Verbrecher u. s. w.
Noch umfangreicher war die Sammlung, mit welcher Erzherzog Ferdinand
von Oestreich, der Gemahl der Philippine Welser, in den Jahren 1578 bis
1590 alle Wände des Ambraser Schlosses bedecken und ganze Truhen füllen
liess. (Jetzt zum grössten Teile im Wiener Hofmuseum.[93]) Als Leitbild
mag ihm wohl die weltberühmte Porträtsammlung des Comasken Paolo Giovio
(1483 bis 1552) vorgeschwebt haben, aus welcher er, wie auch Herzog
Albrecht, viele Bilder kopieren liess.
Das Bestreben des Erzherzogs war hauptsächlich darauf gerichtet,
Porträts der regierenden Fürsten des 15. und 16. Jahrhunderts zu
sammeln, ihrer Angehörigen und ihrer Ahnen, erst in zweiter Linie,
und mehr nebenbei, die der grossen Staatsmänner, Künstler und
Dichter derselben Zeit, mit strengstem Ausschlusse aller Männer der
reformatorischen Glaubensbewegung. Wenn nur irgend möglich, hat er die
Kopien nach Originalen anfertigen lassen und reine Phantasiegebilde
fast gänzlich vermieden, ebenso Abnormitäten mit wenigen Ausnahmen,
als welche nur einige »rauche« Menschen und die Lamalitlin, eine
berüchtigte Hungerkünstlerin und Betrügerin aus Augsburg, zu nennen
sind, deren nicht uninteressante Züge auch des älteren Holbeins
Silberstift (Berlin) verewigt hat. Diese geringfügige Rolle, welche
Missbildungen und Wunderlichkeiten spielen, ist sehr bemerkenswert in
einem Zeitalter, welches so leidenschaftlich »das Rare ästimierte«.
Schliesslich ist noch die Porträtsammlung des Statthalters von
Holstein, Heinrichs von Rantzau (1526 bis 1599) zu erwähnen, die später
mit der des Herzogs Philipp II. von Pommern vereinigt wurde. Die
Sammlung kam 1603 nach Stettin und ist seit der Besetzung dieser Stadt
durch die Schweden 1637 verschwunden.
d) Physiognomisches Gesamtbild der Porträts des 15. Jahrhunderts.
Es erübrigt nun noch uns die Frage vorzulegen, ob und in wie weit die
Porträts des 15. Jahrhunderts ~das Aussehen der Menschen~ jener Zeit
richtig wiedergeben, oder ob wir eine Inkongruenz zwischen Abbild und
Wirklichkeit annehmen müssen.
Die Beantwortung dieser Frage führt uns auf den schwankenden Boden
der Vermutungen. Sie selber, nach denen wir uns umsehen, sind in
jenes unbekannte Land eingegangen, von dessen Mark kein Wandrer
wiederkehrt, und ihrer irdischen Gestalt hat keine photographische
Platte Dauer verliehen. Da auch die litterarische Ueberlieferung in
diesem Punkte völlig versagt, können wir uns nur an die plastischen und
gemalten Dokumente halten. Mit den letzteren haben wir uns eingehend
beschäftigt. Welches physiognomische Gesamtbild geben sie uns von den
Menschen des 15. Jahrhunderts?
Könnten wir die Porträts, die Stifter und die porträtartige Assistenz,
denn auf alle diese drei Gruppen müssen wir unsere Schlüsse begründen,
kinematisch in ununterbrochener Reihe an unseren Blicken vorüberziehen
lassen, so würden wir das Unterscheidende allenfalls in der nach
Stammesart verschiedenen Kopfform entdecken, das Gemeinsame jedoch in
dem, was bei flüchtiger Betrachtung zuerst ins Auge fällt, in Bildung
und Ausdruck der Physiognomie.
Die Gesichter der Männer sind mager, ohne Fülle und Rundung des
Fleisches. Falten und Runzeln erscheinen schon bei jüngeren Leuten,
und die Querfurche der Sorge bedeckt gar oft eine jugendliche Stirn.
Die Haut, unter der das Blut langsam und träge zu wallen scheint,
ist welk und gelblich, nicht von jener Mischung des Rot und Blau
durchdrungen, die auf einen gesunden Ernährungszustand hindeutet, oft
erinnert ihre Farbe geradezu an das Spital. Das Auge ist glanzlos,
häufig wie erloschen, die Lider müde und schlaff, und traurig hängen
die Mundwinkel herab. Der Ausdruck ist unfrei, philisterhaft eingeengt,
ohne Lebensfreude und, besonders bei den Einzelporträts, zaghaft,
ängstlich oder bekümmert. So passt auf die Mehrzahl das Wort, welches
in einer französischen Kunstgeschichte sehr mit Unrecht auf Holbeins
und Dürers Bildnisse angewendet wird, dass uns aus ihnen entgegen
wehe: le sanglot sourd du peuple allemand étouffé sous le vieux bourg
féodal![94]
Die Frauenköpfe, sofern sie überhaupt über das Typische hinausgehen,
sind voller als die der Männer, auch gesunderen und frischeren
Aussehens, doch tragen auch sie den Stempel des Kleinbürgerlichen und
Befangenen, nur dass sich ihnen zuweilen ein Zug von Lebenslust, auch
wohl von Schalkheit hinzugesellt.
Dieses Gesamturteil kann natürlich nur einen beschränkten Anspruch
auf allgemeine Giltigkeit erheben, wie jede derartige Generalsentenz.
Ausnahmen sind bei den Einzelbetrachtungen hervorgehoben worden.
Von einer provinziellen Sonderung durfte wohl abgesehen werden:
auf diejenige Malerschule, von der wir die meisten porträtmässigen
Darstellungen besitzen, auf die fränkische, dürfte das vorstehende
Signalement im grossen und ganzen zutreffen.
Wie haben wir uns das Gemeinsame in Gesichtsbildung und Ausdruck zu
erklären?
Zunächst darf es als ausgemacht gelten, dass nicht nur im 15.
Jahrhundert, sondern gemeinhin alle etwa gleichzeitig geschaffenen
Bildnisse, auch wenn die Mitlebenden die individuelle Aehnlichkeit
jedes einzelnen rühmen, und das ist bekanntlich zu allen Zeiten
geschehen, dennoch eine unverkennbare Verwandtschaft untereinander
bekunden. Man erinnere sich, um nur einige der bekanntesten und
charakteristischen Gruppen zu nennen, an die ägyptischen Königsstatuen,
etwa die der 19. Dynastie, an die athenischen Jungfrauen der Akropolis,
an die Porträtköpfe der Diadochen, an die Römerbüsten der zu Ende
gehenden Republik oder an die des julisch-claudischen Herrscherhauses,
an die florentinischen des Quattrocento, an die Porträts der Rokokozeit
oder an die englischen des vorigen Jahrhunderts, ja selbst wenn wir
uns im Geiste die Repräsentationsbilder unserer Tage vergegenwärtigen,
werden wir auch bei ihnen gemeinsame Züge entdecken, und man kann
sich recht wohl vorstellen, wie kommende Zeiten sich aus diesen, wie
auch wir meinen »sprechend ähnlichen« Zeugnissen, eine ganz bestimmte
Vorstellung von dem Aussehen der Geburt-, Geist- und Geldaristokratie
im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts machen werden.
Die Erklärung dieser Zeitgenossen-Aehnlichkeit ist in zwei Umständen zu
finden. Auf das Aeussere, gerade so gut wie auf das Innere des Menschen
vermag das Meiste »die Geburt und der Lichtstrahl, der dem Neugeborenen
begegnet«. Die erstere drückt ihm den Rassen- und Stammesstempel schon
in der Wiege auf, und in dem letzteren bilden sich seine besonderen
Züge. Der Lichtstrahl ist das Produkt der Umgebung, des Milieu, in den
ihn der Zufall versetzt hat, des jeweiligen Zustands der Kultur, der
Freiheit oder der Gebundenheit der Geister, des Wohlstands oder der
Armut, der vorherrschenden geistigen und körperlichen Lebensweise, und,
ist der Neugeborene weiblichen Geschlechts, wohl auch der Höhe der
Kinderzahl, welche die Sitte der Zeit von der Frau erwartet.
Die Erscheinung des Menschen in seinem Ebenbild wird ausser durch
ihn selbst im wesentlichen durch das künstlerische und technische
Vermögen der mitlebenden Menschenbildner bestimmt, ein wenig auch
durch die Tracht, in der er sich porträtieren lässt und durch den Grad
seiner Becheidenheit, ob er nämlich so dargestellt sein will, wie
er wirklich ist, oder ob er anders, d. h. mehr scheinen möchte, als
Geburt und Umgebung ihn nun einmal geschaffen haben. Dieses Moment der
Selbsteinschätzung ist bei allen Porträts vom 17. Jahrhundert an bis
auf den heutigen Tag von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Da nun alle jene vorgenannten Grundlagen und Bedingungen an bestimmten
Orten und in gleichen Kulturperioden annähernd dieselben sind, werden
auch ihre Geschöpfe, das sind die Menschen und ihre künstlerischen
Abbilder, einigermassen einander gleichen, da sie aber andererseits
dem Gesetze des Wechsels unterworfen sind, wird auch Mensch und Bild
mit dem Eintritt einer neuen Epoche sich verändern.
Der zweite Erklärungsgrund dieser Aehnlichkeitserscheinung ist der
folgende: wenn auch der Künstler während der Arbeit des Porträtierens
getreulich bemüht ist, innerhalb der Grenzen seines Könnens sein
Vorbild so wieder zu geben, wie er es vor sich sieht, so bringt er doch
bereits indem er an die Staffelei herantritt, in seiner Vorstellung
ein fertiges Innenbild von der auf die Fläche projizierten Erscheinung
einer jeden Menschengestalt mit. Dieses Innenbild ist ohne sein Zuthun
und ohne seinen Willen ganz von selbst aus der Anschauung derjenigen
Menschenbildnisse geboren, die bereits vor ihm andere geschaffen
haben, von ihm kann er sich nicht losmachen, selbst nicht im Angesicht
des besonderen Modells, — sein Reflex im Porträt, dessen Stärke in
umgekehrtem Verhältnis zu der künstlerischen Kraft des Malers steht und
den man die unbewusste »Manier der Zeit« nennen könnte, ist also bis zu
einem gewissen Grade unabhängig sowohl vom Wesen der Dargestellten als
auch von der jeweiligen Auffassung des Darstellers.
In der Regel, und nicht durch ein Spiel des Zufalls, liegen die
Perioden, in denen die Porträts gleichsam die nämliche Fabrikmarke
tragen, innerhalb derselben Grenzen: es decken sich diejenigen, welche
durch das Aussehen der Menschen, ihre Tracht und das Können und
Wollen der Zeit bestimmt werden, mit denen der gleichen »Innenbilder«
der Künstler. Am Anfang einer jeden Periode steht, wo es sich nicht
um die allererste handelt, das die Nacheiferung erweckende Muster
einer grossen fremden Kultur und Kunst oder das dem eigenen Boden
erwachsene Genie. Ihre Dauer ist ungleich. In den Zeiten langsamen
Kulturfortschrittes und bei dem Mangel eines anregenden Verkehrs mit
einem höher entwickelten Nachbarlande, Bedingungen, die einen Tiefgang
der Kunst zur Folge haben, währen sie wohl Jahrhunderte lang, im
Hochgange von Kultur und Kunst vielleicht Jahrzehnte und in stürmischen
Entwickelungsepochen folgen sie in noch kürzeren Zeiträumen aufeinander.
Das 15. Jahrhundert bildet im grossen und ganzen betrachtet ~eine~
solche Bildnisperiode. Ihr Anfang bezeichnet die in den ersten
Jahrzehnten eingetretene Emanzipation von Typus, welche in diesem
besonderen Falle allerdings weder unmittelbar durch ein fremdes
Beispiel noch durch die That eines einzelnen Genies erfolgte,
sondern durch das Zusammenwirken einer Summe geistiger, kultureller,
psychologischer und künstlerischer Momente und gefördert durch
einzelne Talente sich vollzog. An ihrem Ende steht die Reformation und
Dürer.
Unsere am Eingang gestellte Frage nach dem Grad der Uebereinstimmung
zwischen Mensch und Bild im 15. Jahrhundert darf nach diesen
Ausführungen etwa in folgender Weise beantwortet werden: die allgemeine
Gesichtsbildung entspricht vermutlich der Wirklichkeit. Für die
Wiedergabe der ruhenden Formen reichte das Können der Künstler aus, für
die Bewegungen derselben jedoch, für den Ausdruck, war es unzulänglich.
Die Befangenheit, die ängstliche Spannung, der Ernst und die
Traurigkeit, welche die Mehrzahl der Bildnisse kennzeichnet, ist auf
Rechnung dieses Unvermögens und auf das allen Künstlern vorschwebende
Innenbild zu setzen, — in wie ~weit~ diese letzteren beiden Umstände
freilich der Natur Abbruch gethan haben, wird sich niemals entscheiden
lassen.
Rückschau und Ausblick.
Der Mensch ist der wichtigste Gegenstand der mittelaltrigen
Plastik und Malerei. Das Werden und Wandeln seiner bildnismässigen
Darstellung ist der Hauptinhalt der Geschichte dieser beiden Gebiete.
Er steht im Mittelpunkt allen künstlerischen Interesses von den
Karolingertagen an bis auf Dürer, selbst dann, als mit dem Beginn des
15. Jahrhunderts die Landschaft, zunächst in den Handschriften, sich zu
selbstständiger Bedeutung erhebt. Jede Erweiterung des Anschauungs- und
Darstellungsvermögens kommt im Umriss und in der Binnenzeichnung der
menschlichen Gestalt zum Ausdruck, jede Errungenschaft im Reiche der
Farbe wird ihrer körperlichen Erscheinungsform dienstbar gemacht.
Indem für das Abbild des Menschen, ebenso gut wie für ihn selbst,
bis zu einem gewissen Grade die religiösen, geistigen, sozialen und
kulturellen Strömungen der Zeiten bestimmend sind, ist die Geschichte
des Menschenbildnisses, zum mindesten in dem in unaufhörlichem
Flusse befindlichen Mittelalter, zugleich ein Stück welthistorischer
Wissenschaft.
Künstlerisches Ausdrucksvermögen sowohl als technisches Können
stehen in den verschiedenen Kunstgebieten zu gleichen Perioden
nicht auf einundderselben Stufe, es fallen daher die Höhepunkte der
Menschenbildung in Plastik, Malerei und den ihnen verwandten Künsten
zeitlich nicht zusammen.
In der Buchmalerei, die, was die Wiedergabe des Umrisses der
menschlichen Gestalt anbelangt, gleich am Beginn unserer Betrachtungen
mit einem verhältnismässig hohen Grad des Könnens einsetzt, erreicht
die individuelle Menschenbildung nach mehrfachen Schwankungen und
Hemmungen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Hochstand ihrer
Entwickelung, von dem sie jedoch infolge der nun bald allgemeiner
werdenden Verbreitung des Holzschnitts und des Kupferstichs, rasch
wieder herabsinkt.
In der Plastik hebt das Blütenalter lebenswahrer Menschendarstellung
in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit den Naumburger
Stifterbildnissen an und setzt sich fort in den Grabfiguren der beiden
folgenden Jahrhunderte. Die etwa gleichzeitig mit den Naumburger
Donatoren in Braunschweig, Bamberg u. a. O. sofort mit hoher
Vollkommenheit ins Leben tretende idealistische Richtung findet keine
nennenswerte Nachfolge.
Die Wandmalerei überschreitet nicht die Grenzen der primitiven Kunst
oder des Handwerks, sodass bei ihr von einem Ausreifen überhaupt nicht
gesprochen werden kann.
Auf Medaille, Holzschnitt und Kupferstich erreicht das Bildnis seine
volle künstlerische Entfaltung erst in einer Zeit, die jenseits unserer
Betrachtungen gelegen ist.
In der Tafelmalerei, wenngleich auch auf ihrem Gebiete die höchste
Erscheinungsform des Menschen erst von Dürer und Holbein erreicht
wird, erhebt sich Bildnis und Porträt im 15. Jahrhundert zu relativ
beträchtlichen Vollendungshöhen. Nachdem sie etwa im dritten
Jahrzehnt überall und mit erstaunlicher Kraft und Schnelligkeit sich
vom Typus und konventioneller Form befreit und bisher unbekannte
Ausdrucksmöglichkeiten der Zeichnung und Farbe entdeckt hatte, bringt
sie es aus ureigenem Vermögen zu so überraschenden und so vielseitigen
Menschendarstellungen wie auf dem Thomasaltar, dem Kölner Dombild, dem
Imhofaltar, auf einzelnen Werken der Bodenseeschule, der elsässischen
und bairischen Frühkunst.
Um die Mitte des Jahrhunderts erreicht sie der niederländische
Einfluss, der ihr von Anbeginn auf Naturwahrheit gerichtetes Bestreben
wesentlich fördert, bezw. es dort neu ins Dasein ruft, wo ein
idealistischer Hochgang seine Entfaltung gehemmt hätte, und der bald,
zunächst vornehmlich in seiner Fernwirkung auf die schwäbische und
fränkische Kunst, hervorragenden Bildnismalern den Boden bereitet, wie
dem älteren Holbein und denen, die sich um Wolgemut gruppieren.
Das Vorbild der italienischen Malerei hatte im Süden von Deutschland
schon im zweiten und dritten Jahrzehnt langsam eine Läuterung des dort
allzu derb naturalistischen Idioms eingeleitet, worauf die Gestalten
des Bamberger Altars in München, die für Salzburg gemalte Rauchenberger
Votivtafel und vielleicht auch Lukas Mosers Magdalenen-Altar hindeuten.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gelangen nordische und
südliche Einflüsse gleichzeitig und gleichwertig zur Geltung, am
spätesten dringen die letzteren zu der niederrheinischen und den
von ihr abhängigen Malerschulen, wo sie zwar im 16. Jahrhundert auf
kölnischem Boden eine glänzende Porträtkunst ins Leben rufen, jedoch
der Selbständigkeit und Eigenart der rheinischen Malerei auf allen
anderen Gebieten ein unrühmliches Ende bereiten.
Die mittleren Gegenden von Deutschland — Schwaben, Franken und
Obersachsen —, deren Malerei die Anregungen der Niederländer gern
aufgenommen hatte, weil ihrem eigenen Wesen im innersten verwandt,
besassen mehr als die von Nordwestdeutschland die Kraft, auch das ihrer
Eigenart widerstrebende Schönheitsideal der romanischen Kunst in sich
aufzunehmen und zu verarbeiten, ohne dem Grundzug ihres Charakters
gänzlich entfremdet zu werden: der Sebastians-Altar des älteren Holbein
ist hierfür ein bezeichnendes Beispiel.
Auch der Kunst der südlichen Alpenländer, welche die nordischen Muster
erst aus zweiter und dritter Hand kennen gelernt hatte, diente das
Formenprinzip der benachbarten Italiener zunächst zur Förderung und
Klärung ihrer heimischen Triebkraft: der Wolfgang-Altar von Michael
Pacher.
* * * * *
Beeinflussungen! Wie ein ermüdendes Leitmotiv erklingt es aus allen
Entwickelungsstadien der deutschen Malerei. Ein Kunstgebiet wirkt auf
das verwandte, eine Malerschule auf die Nachbarin, ein Künstler auf den
anderen, über alles Geschaffene spannt sich ein Netz von verbindenden
Fäden und selbst zu dem Werke des Genius scheint die Fussspur von dem
eines früher erdachten zu führen.
Man ist auf mancher Seite geneigt, die Betonung der »Einflüsse« scharf
abzuweisen. Dass ihre Kenntnis dem ästhetischen Geniessen eines
Kunstwerks eher hinderlich als förderlich ist, sei von vornherein
zugegeben, doch darum handelt es sich in einer geschichtlichen
Betrachtung zunächst nicht. Wenn aber behauptet wird, es hiesse die
originale Bedeutung eines Meisters herabsetzen, indem man frage, wo
er das oder jenes »herhabe«, so fehlt mir für diesen Vorwurf das
Verständnis: nicht wo er die Anregung zu einem Gedanken erhalten hat,
ist doch das Wesentliche, sondern wie er ihn ausgestaltet. Schon in
dem Worte original, von oriri d. h. sich erheben, geboren werden,
abstammen, ist der Hinweis auf eine notwendigerweise vorangegangene
Zeugung enthalten. Michelangelos Moses verliert doch wahrlich nicht
um Haaresbreite an Wert, wenn man nachweist, dass der Schritt seines
Bildners ihn zuweilen vor den Johannes des Donatello geführt hat.
Und wie man nur gar der Meinung sein kann, es gäbe überhaupt ein
Ding, das nicht in irgend einem Zusammenhang mit einem anderen stehe
und mit ihm in Verbindung gebracht werden könnte und müsste, ist in
einem Zeitalter, das sich die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen
Forschung eines Darwin — ich spreche nicht von seinen Folgerungen — zu
eigen gemacht haben sollte, schlechterdings unerklärlich.
Kunst ist im letzten Grunde Nachahmung, ihr Objekt ist die Natur. Dass
~sie~ den Künstler »beeinflusst«, bedarf wohl nicht des Beweises.
Wenn nun ein Künstler irgendwo auf seinen Wegen ein bereits von einem
anderen verarbeitetes Stück dieser Natur begegnet, so muss das Produkt
des ihm mehr oder minder wahlverwandten Kunstgenossen gewiss noch mehr
als das der Natur eine Wirkung auf ihn ausüben. Das Abbild des einen
so gut wie des anderen wird in seiner Seele zum Innenbild, und aus der
Summe der Innenbilder entstehen seine Schöpfungen.
Wenn Lukas Moser von Wil den Auftrag erhielt oder wenn er den
selbständigen Drang in sich fühlte, einen Magdalenen-Altar zu malen,
woher ist ihm die Fähigkeit ihn zu komponieren oder der Antrieb dazu
gekommen? Entweder hatte er schon eine ähnliche Tafel gesehen oder er
erfand sie auf der Grundlage verwandter Darstellungen von heiligen
Geschichten, die ihm bekannt waren. Ich persönlich glaube, dass Mosers
Phantasie eine Handschriftillustration angeregt hat, aber in dem einen
wie in dem anderen Falle, Miniatur oder Altargemälde, ist es doch
die zum Innenbild gewordene Anschauung eines Kunstgebildes, die ihn
beeinflusst hat.
Nicht immer wird der Vorgang sich so einfach herleiten lassen wie in
diesem Beispiel. An dem Werke des Genies wird vielleicht nur wieder
das verwandte Genie das spinnenwebenzarte Fädchen entdecken, das von
einem anderen herüberleitet, vorhanden aber wird es immer sein.
* * * * *
In drei Erscheinungsformen ist uns das Bildnis in der Tafelmalerei
entgegengetreten.
Etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts war der Gebrauch aufgekommen,
bestimmte lebende Personen sich als thätige oder unthätige Teilnehmer
unter die Figuren der heiligen Vorgänge mischen zu lassen. In
Niederdeutschland sind derartige Assistenzbilder ungemein selten, in
Oberdeutschland waren es hauptsächlich der ältere Holbein und die
Meister der fränkischen Schule, welche diese Gattung gepflegt haben,
aber auch hier ist ihre Zahl gering, verschwindend gegenüber der
Summe individueller Existenzen, welche auf italienischen Wand- und
Tafelbildern sich ausbreitet.
Das Stifterbildnis, dessen Gedanke älter ist als die Tafelmalerei,
scheint gleichmässig über ganz Deutschland verbreitet gewesen zu sein.
Nur insofern unterscheidet sich der Norden von dem Süden, als dort
einzelne und meist patronisierte Figuren üblich sind, während hier die
Familiengruppen ohne Schutzpatron überwiegen.
Das häusliche Einzelporträt, seit der Mitte des Jahrhunderts
nachweisbar, bildet sich gegen das Ende hin zu solcher Reife aus, dass
es ganz unmerklich, ohne dass man die Grenzlinien bezeichnen könnte,
aus der gotischen Zeit in die Renaissance hinüberführt. Aus der Zahl
der erhaltenen Porträts zu schliessen und den Eigentümlichkeiten
der verschiedenen Malerschulen entsprechend, dürften in Franken
die Konterfeis häufiger gewesen seien als in irgend einer anderen
Gegend. Jedenfalls haben sie auch dort, und zwar bei der Gruppe
Pleydenwurff-Wolgemut, die höchste Vollendung erlangt, ja einzelnen
dieser Meister durften noch bis vor kurzem Porträts zugeschrieben
werden, die jetzt als Werke des jungen Dürer anerkannt sind.
Von allen diesen drei Bildnisgattungen hat nur die zuletzt genannte
sich als einer weiteren, auch heute noch nicht abgeschlossenen
Entwickelung fähig erwiesen. Wohl haben uns die grossen Meister der
Renaissance einige bedeutende Assistenzbilder und manche vortreffliche
Donatorenfigur hinterlassen, aber Kirchen- und namentlich Hausaltäre
wurden in der neuen Zeit überhaupt seltener gemalt, nicht nur in
protestantischen, sondern auch in katholisch gebliebenen Ländern, und
wo neben den neuen Gebieten, die sich der Malerei eröffnet hatten, das
alte Kirchenbild doch noch weiter gepflegt wurde, da verlangte man
wieder ganz entschieden nach einer gewissen Idealisierung, man wollte
nicht mehr den Tuchschneider und den Krämer mit ihren Alltagsgesichtern
unter den Heiligen oder in ihrer nächsten Nähe sehen. Mit des jüngeren
Holbeins Madonna des Bürgermeisters Meyer hatte das Assistenz- und
zugleich das Stifterbild seinen Höhepunkt erreicht, und schon in
den Werken Lukas Cranachs sehen wir das Porträtartige wieder einer
idealisierenden Verallgemeinerung Platz machen.
Ganz verschwunden ist allerdings auch später die profane Assistenz
von den heiligen Darstellungen nicht, und selbst die kleinen
Adorantenpüppchen leben bekanntlich noch heute weiter auf
Totenschildern, Votivtafeln, Marterln u. dergl. Wo aber auf wirklich
künstlerisch ausgeführten Gemälden in unseren Tagen Stifterbildnisse
angebracht werden, wie z. B. auf dem Flügelaltar von Nüttgens im
Frankfurter Dom ein Prälat und ein Stadtpfarrer, machen sie den
unbefriedigenden Eindruck des reflektiert Altertümelnden, und wenn
sie nun gar erst in moderner Alltagstracht erscheinen, wie auf einem
grossen Altar von Delug, den ich 1898 im münchner Glaspalast sah, wird
der Widerspruch zwischen der achaischen Erscheinungsform und dem, was
man sonst in den Jahresausstellungen zu sehen gewöhnt ist, bis nahe an
das Gebiet des Komischen gesteigert.
Nur dem unabhängigen Porträt also gehörte die Zukunft, und schon
wenige Jahrzehnte nach der Zeit, mit welcher wir unsere Betrachtungen
abgeschlossen haben, hat es in der auf die Einheit der Erscheinung und
auf dem Wesensausdruck gegründeten idealistischen Kunst eines Dürers
und eines Holbeins eine glänzende Entwickelungsepoche erlebt.
Aber seinen höchsten Gipfel hat es aller Wahrscheinlichkeit nach weder
mit den genialen Renaissancemeistern, noch selbst mit der einsamen
Riesengestalt des geistes- und stammesverwandten Rembrandt erreicht.
Nach welcher Richtung in dem kommenden Jahrhundert die Weiterbildung
des Porträts erfolgen wird, das ist freilich nicht vorherzusagen.
Erschöpft sind seine Ausdrucksmöglichkeiten jedenfalls noch nicht,
weder nach der Seite des Malerischen, noch weniger nach der des
Charakteristischen. Sehen wir doch, um nur eins der einer Steigerung
fähigen malerischen Momente hervorzuheben, noch immer unsere ersten
Meister um Wahrheit und Kraft des Fleischtons sich abmühen, um das
heisse, blutstrotzende Leuchten des Jünglingsantlitzes, um die rosige,
im Geäder bläulich schimmernde Zartheit des Mädchenteints, um das
Durchscheinen des trägen, stockenden, schwärzlichen Venensaftes durch
die matte, verwelkte Haut des Alters. Aber noch durch keines der ewig
erneuten Experimente, durch keine Mischung der Töne auf der Palette
oder der Leinewand, oder durch das punktweise Nebeneinandersetzen
einer Unmenge reiner Farben, die erst auf der Netzhaut des Auges sich
vereinigen sollen, konnte bisher der Schein des wirklichen Fleischtons
der Natur erreicht werden. Rembrandt kommt ihm am nächsten, aber er
musste dazu seine Porträts in ein so tiefes und farbiges Dämmerlicht
tauchen, in dem wir die Lebenden nicht zu sehen gewöhnt sind.
Und im Hinblick auf das, was an Schärfe der Charakteristik der
Zukunft vielleicht noch zu erringen bleiben wird, wage ich hier das
Wort Momentphotographie auszusprechen. Gewiss »er hat kein Herz, der
Photograph, in seinem Apparat« — so schrieb Hans Thoma einst an eine
Freundin —, »der ist objektiv und seine Richtigkeit macht Niemand das
Herz warm«. Ein Maler, der mit dem Sonnenbilde rivalisieren wollte,
verdiente nicht den Namen eines Künstlers. Aber schliesslich kann man
sich doch vor der Thatsache nicht verschliessen, dass der Akt des
subjektiven Sehens sich durch das Auge vollzieht und dass dieses nichts
anderes ist als ein photographischer Apparat. Wenn man nun bedenkt, wie
scharf das photographische Augenblicksbild die individuelle Silhouette
festhält, die unbewusste Haltung des Körpers, die subtilste Gebärde,
eine in einer Reflexbewegung sich offenbarende Bewegung der Seele,
kurz die Summe aller jener unausgesetzten Ausstrahlungen des Innern
eines Menschen, die wir nicht zu beachten pflegen, die darum aber
nicht minder vorhanden sind und in ganz eminenter Weise das Wesen
einer Persönlichkeit kennzeichnen, so darf man wohl bei der nicht
zu leugnenden Evolution des unterscheidenden Sehvermögens erwarten,
dass auch das physische Auge für derartige scharf zergliedernde
Beobachtungen den Sinn und die Fähigkeit erwerben wird. Wie der grosse
Künstler dann den Menschen aus der Tiefe seines Herzens neu erschaffen
und im Ebenbilde vor unsere Blicke hinstellen wird, das ist das Rätsel,
dessen Lösung nur durch die vollendete That gegeben werden kann.
* * * * *
Alles blüht, alles vergeht. Auch die mittelaltrige Kunst musste der
Renaissance das Feld räumen. Ein Gewinn, — ein unwiederbringlicher
Verlust. Tiefsinnige Gedanken, inbrünstige Glaubenskraft, Reinheit
des sittlichen Wollens und kindliche Naivität wurden mit ihr zu Grabe
getragen. Aber auch das Phänomen der Renaissancekunst unterlag dem
Wechsel aller irdischen Dinge, gleichwie die wuchtige Kraft des
Barocks, das heitere Spiel des Rokoko und die anderen Richtungen, die
ihnen folgten. Neue Zeiten bringen neue Ideale und neue Menschen,
die sie verkörpern. Ein letztes Ziel ist der Kunst und mit ihr der
bildlichen Darstellung des Menschen nicht gesteckt, und ihre Grenzmark
wird sie nicht eher erreichen, als bis auch Schauen, Sinnen, Empfinden,
Denken und Ringen des Menschengeistes am Ende ihrer Entwicklung
angelangt sind.
Fussnoten:
1 In einem Essay über die deutsche bildende Kunst, in dem von H.
Mayer herausgegebenen Sammelwerk: das deutsche Volkstum, Leipzig
und Wien 1899, giebt Henry Thode eine höchst feinsinnige Erklärung
des »Deutschen« in der bildenden Kunst, welche, meines Wissens zum
ersten Male, nicht die äusseren Faktoren, als Natur, Klima, soziale
und politische Verhältnisse, sondern die inneren, d. h. die der
germanischen Rasse angeborene psychisch-physische Anlage in den
Vordergrund rückt. Nach Thode ist das für die künstlerische Darstellung
entscheidende Element dieser Rasseneigentümlichkeit: das Ueberwiegen
der Gefühls- und Phantasiethätigkeit über die Verstandesthätigkeit.
Völlig frei und schrankenlos aber vermögen Gefühl und Phantasie sich
nur in einer Kunst auszusprechen, in der Musik, und daher konnte nur
in ihr das eigentlichste Bedürfnis der deutschen Volksseele seine
höchste Befriedigung finden. In den bildenden Künsten, deren Prinzip
nicht die Zeit, sondern der Raum ist und deren Ausdrucksmöglichkeiten
infolge dessen beschränktere sind, musste ein Uebermass von Gefühls-
und Phantasiethätigkeit, neben so manchen nur der deutschen Kunst
eigentümlichen Vorzügen, auch zu Form, Stil und Einheit störenden
Erscheinungen führen, als da sind: ein zuviel des Stoffes, der
Bewegung, der Individualistik, der schweifenden Gedankenbilder.
Den heftigen Gefühls- und Phantasietrieb des deutschen Künstlers
erkennt Thode in allem vom deutschen Baumeister, Bildhauer oder Maler
Ersonnenen und Gebildeten, ja selbst unter der alles verklärenden, Stil
und Einheit bildenden Lichthülle des grössten Meisters, zwar nicht der
deutschen, aber der germanischen Malerei, in Rembrandts Werken weist er
sein geheimnisvolles Walten nach. — Meine oben im Text folgende Analyse
der deutschen Art war bereits geschrieben als ich die Thodes las. Dass
beide in dem Grundgedanken übereinstimmen, findet seine Erklärung
darin, dass meine Anschauungen über das Wesen der deutschen Kunst sich
seinerzeit an dem gesprochenen Wort des verehrten Lehrers gebildet
haben.
2 Seltsam, dass auch auf diesem Gange Mensch und Bildnis
sich gleichen: auch beim Kinde beginnt die Natur ihre
Differenzierungs-Arbeit beim Munde und nicht, wie wohl nur
erfahrungsarme Mütter meinen, beim Auge. Ob hier dasselbe Gesetz, das
von dem geringsten Widerstande, gilt, wage ich nicht zu behaupten.
3 Vergl. die kleine Studie über das deutsche Porträt von Karl
Lamprecht im 3. Jahrgang des Museums, S. 21, wo dieses Beispiel durch
Abbildungen erläutert wird. Uebrigens wird man bei Betrachtung dieser
kalligraphischen Figuren lebhaft an die ersten Kunstübungen des Kindes
auf der Schreibtafel gemahnt, — wiederum eine Uebereinstimmung zwischen
Mensch und Kunst.
4 Auch die französische Kunstgeschichte stellt die
Handschriften-Illustration dieser grossen Zeit an die Spitze ihrer
Entwickelung, und formell nicht mit Unrecht, denn die nationale
Scheidung zwischen Deutschen und Franzosen beginnt erst mit dem
Vertrage von Verdun. Im Grunde aber ist die karolingische Kunst,
soweit sie nicht römisch ist, eine ~deutsche~, denn auch noch nach der
entscheidenden Schlacht bei Fontenoy, 841, sogar bis ins 12. und 13.
Jahrhundert hinein, verbleiben diejenigen Klassen Frankreichs, von
denen sowohl künstlerische wie litterarische Anregungen ausgehen, der
Adel und die Geistlichkeit, germanisch, ihrer Abkunft und Gesinnung
nach.
5 Für die Behauptung, diese unter Glas und für die Betrachtung recht
ungünstig aufgestellte Reiterfigur sei kein Werk der karolingischen,
sondern der Renaissancekunst, scheint mir der Beweis noch nicht
erbracht zu sein. Vergleiche hierzu die vortreffliche Monographie
der Bildnisse Karls des Grossen von Paul Clemen, Aachen 1890 und den
Versuch einer Widerlegung in G. Wolframs Aufsatz in der Zeitschrift
für bildende Kunst, Jahrgang 1894, S. 160. — Mit Einhards Beschreibung
stimmt auch Karls Kopf auf der bei Gelegenheit der Kaiserkrönung
geschlagenen Bleibulle überein, die sich wenn ich nicht irre im Museum
von Saint-Germain-en-Laye befindet. — Aber die Tradition von dem
Aeussern des Kaisers ging bald verloren. Schon in Handschriften vom
Anfang des 10. Jahrhunderts tritt der lange Vollbart auf. Die seit
der Renaissance in Deutschland geschaffenen Idealgestalten Karls sind
sämtlich mehr oder minder von Dürers grossartigem Bildnis, jetzt im
Germanischen Museum, beeinflusst, zu dem der Historiograph Johann
Stabius seine Züge lieh. — Die bestbeglaubigte unter den gleichzeitigen
Porträtdarstellungen, das Bild Karls des Grossen über seinem Grabe
im Aachener Münster, ist wohl schon 881 von den Normannen vernichtet
worden, und das Mosaik aus dem Triklinium des Lateranes hat bei seiner
Uebertragung an die freistehende Nische der Kap. Sancta Sanctorum fast
jeden Anspruch auf Authenticität verloren.
6 Dass die Beobachtung und Wiedergabe der Gebärde der des
Physiognomischen vorausgeht, wie wir das später auch bei der Wand- und
Tafelmalerei sehen werden, findet seine psychologische Begründung in
der grösseren Empfindlichkeit der Netzhaut des Auges für Bewegungen
als für stabile Verhältnisse. Das beste Beobachtungsobjekt ist auch in
diesem Betrachte wiederum das Kind.
7 Nicht publiziert. Ich verdanke eine Photographie der Güte des Dr.
Swarzenski.
8 Karl Lamprecht, deutsche Geschichte, III. S. 6 ff.
9 Vergl. hierzu Kautzsch, Erörterungen zu einer Geschichte der
deutschen Handschriftillustration im späteren Mittelalter, Strassburg
1894, S. 17 ff., wo die Berechtigung einer Sonderung in nationale
Federzeichnung und französische Wachsmalerei bestritten wird. Von
anderen wird überhaupt das Vorherrschen der einen oder der anderen
Richtung zu irgend einer Zeit in Abrede gestellt.
10 Eine vortreffliche Publikation des »hortus deliciarum« von der
Gesellschaft der historischen Denkmäler, Strassburg, ist noch im
Erscheinen begriffen.
11 Haseloff: Eine thüringisch-sächsische Malerschule des 13.
Jahrhunderts. Strassburg 1897. S. 209–211. 277 ff.
12 Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Wiedergabe eines
in den Gesichtszügen sich ausprägenden inneren Vorgangs überhaupt
jenseits des Darstellungsvermögens oder -willens einer jeden Frühkunst
gelegen ist. Vorgreifende Versuche Einzelner nach dieser Richtung
bestätigen die Regel. (Der Ausdruck des Schmerzes in dem Antlitz des
sterbenden Helden des Ostgiebels von Aegina, München, Pinakothek,
55.) Ein höchst auffälliges und ganz vereinzelt dastehendes Beispiel
einer momentanen seelischen Bewegung in der Buchmalerei ist in dem
Kopfe eines Mannes zu erkennen, der sich in einem Benediktionale
des Stiftes Lambach, Oberösterreich, aus der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhundert, befindet (Codex 73). Ein armer Sünder soll die Feuerprobe
bestehen. Neben den lodernden Flammen steht der Richter, der Büttel
hält das glühende Eisen mit der Zange bereit. Eine Frau schleppt den
mit kurzem Hemd bekleideten Delinquenten herbei: kraftlos hängen die
Glieder herab, das Haar ist wirr und gesträubt, die Augen nach oben
verdreht, und Todesangst spricht aus allen seinen Zügen. — Ich verdanke
eine Photographie dieses höchst interessanten Bildes der Güte des Dr.
Swarzenski.
13 Eine solche und sehr frühe Ausnahme ist das Bildnis Heinrichs
des Zänkers, auf die Lanze gestützt, in der Tracht der Zeit, mit
»Stirnglatze« und ziemlich individuellen Zügen. Um 970. Regensburger
Schule. Bamberg, Ed. II, 11.
14 Ein nachahmenswertes Beispiel, die so leicht vergänglichen
Malereien vergangener Zeiten in ihrem jetzigem Zustande zu erhalten und
zugleich der Kirche ihren bunten Bilderschmuck wiederzugeben.
15 Abgebildet zum Teil in den Aufnahmen mittelaltriger Wand- und
Deckengemälde in Deutschland, herausgegeben von Kolb und Vorländer.
Berlin, Ernst Wasmuth 1897, und in den mittelaltrigen Wandgemälden und
Tafelbildern der Burg Karlstein, publiziert von Neuwirth, Prag 1896.
16 Doch wurden auch schon Freifiguren und Grabplatten mit dem
Bilde des Verstorbenen im Relief in Erzguss ausgeführt. Bei
der Bronzegrabplatte Rudolfs von Schwaben im Dom zu Merseburg,
wahrscheinlich kurz nach dessen Tode (1080) gefertigt, vermutet
Burckhardt — Das Portrait, S. 146, Anmerkung — die Benutzung der
Totenmaske; es würde das wohl der erste Fall vom Gebrauche dieses
Hilfsmittels in deutscher Kunst sein.
17 Heinrich der Löwe, Mathilde und die Naumburger Stifter sind
übrigens erst lange nach dem Tode der lebenden Vorbilder ausgeführt
worden, und gute, authentische Porträts haben den Künstlern schwerlich
zu Gebote gestanden.
18 Weese, die Bamberger Domskulpturen, Strassburg 1897, S. 33.
19 Ob die Meister der Bamberger Domskulpturen ihren Nährboden
mittelbar oder unmittelbar in französischer Kunst gefunden haben
(Dehio, Weese) oder ob die Werke der älteren Gruppe mit den in
Frage kommenden französischen lediglich auf eine gemeinsame Quelle
zurückgehen, auf die byzantinische Kunst (Voege), ist eine offene
Frage. Dass ihre Erzeuger jedoch deutscher und nicht französischer
Abkunft waren, scheint sehr wahrscheinlich zu sein. Vergl. hierzu:
Voege, Ueber die Bamberger Domskulpturen. Repertorium XXII. Band. 1899.
20 Ausgezeichnete Reproduktionen der besten Werke dieser Periode in
Hasaks vortrefflichem Buche: Geschichte der deutschen Bildhauerkunst im
13. Jahrhundert. Berlin 1899.
21 Den besten Ueberblick über die Wandlung vom Idealschönen zum
Porträthaften kann man sich in den Kreuzgängen des Germanischen
Museums zu Nürnberg verschaffen, welche eine zwar bei weitem nicht
vollständige, so doch die bedeutsamste Sammlung von Gipsabgüssen der
deutschen mittelaltrigen Plastik enthalten, und hier wird man auch am
deutlichsten die grosse Kluft erkennen, die in künstlerischer Beziehung
die Grabfiguren des 13. Jahrhunderts von den mehr handwerklich, aber
in engem Anschluss an das lebende Modell, oft auch an die Totenmaske
gearbeiteten vom Ende des 14. Jahrhunderts trennt. Vergl. insbesondere
Kreuzgang 9 mit Kreuzgangflügel 17.
22 Eine »realistische Kunst« ist ein Widersinn, eine contradictio in
adjecto, denn die Kunst will den Schein der Dinge, nicht ihre Realität
wiedergeben. — Ueber Idealismus und Realismus und den Missbrauch, der
mit diesen Schlagwörtern getrieben wird, vergl. Henry Thodes Aufsatz in
den Bayreuther Blättern vom Jahre 1888 und den bereits erwähnten über
die deutsche bildende Kunst in dem Sammelwerk von Dr. H. Mayer, das
deutsche Volkstum. Leipzig und Wien 1899.
23 Was noch heute in ähnlicher Weise dem Publikum der illustrierten
Lokal-Anzeiger u. dgl. »Volksblätter« angemutet wird, scheint auf
eine gleiche kindliche Einfalt der Beschauer zu rechnen und mehr dazu
bestimmt zu sein, ihn mit irgend welchem Augenfutter zu befriedigen,
als ihm eine ästhetische Freude zu verschaffen.
24 Lippmann, der Kupferstich. Berlin 1896. 2. Aufl. S. 16 u. 57. Für
die Wahrscheinlichkeit, dass die frühesten Anfänge am Niederrhein zu
suchen sind, vergl. Max Lehrs, der Meister der Spielkarten und seine
Schule. Jahrbuch der Preuss. Kunstsammlungen 1897.
25 Nach Max Lehrs ist das Kreuz mit dem verkehrten oder richtigen
S eine Hausmarke, die häufig in der Nähe von Freiburg in Breisgau
vorkommt, sie findet sich auch, mit richtigem S, in Burckhardts
Familienwappen, und Burckhardt selbst glaubte, dass sie aus S und T
entstanden sei.
26 Vergl. H. von Bezold, über die Anfänge der Selbstbiographie und
ihre Entwickelung im Mittelalter. Zeitschrift für Kulturgeschichte.
Berlin 1874. I. Band. S. 145.
27 Entwickelungsfaktoren der niederländischen Frührenaissance.
Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie. XX. Jahrgang,
1896. (Sonderdruck.)
28 Um nicht missverstanden zu werden, betone ich ausdrücklich, dass
der vorstehende Erklärungsversuch einer künstlerischen Evolution
nur für den in Rede stehenden Fall zu erwägen sein dürfte. Wo ein
Fortschritt durch die That eines Genies bewirkt wird, sind ganz andere
Faktoren zu berücksichtigen. Hier aber, seltsamerweise, vollzieht sich
die Entwickelung, d. i. die Belebung des Typus, ohne die Inspiration
eines abnormen, nach besonderen Gesetzen zu beurteilenden Geistes,
in mühsamer, nüchterner Schreibstubenarbeit einer Anzahl kleiner,
handwerklicher Zunftmenschen.
29 H. Neuwirth, Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen. Prag 1893.
I. Band. S. 238.
30 Die Frage nach dem Anteil des czechischen Volksstamms an der
böhmischen Kunst ist zur Zeit allerdings wohl noch nicht spruchreif.
31 Es ist für die Genesis des Stifterbildnisses von Interesse,
dass auf manchen der frühesten Darstellungen dieser Art der Mensch
~nicht~ kleiner gebildet ist als der Heilige. Diese Thatsache dürfte
die Vermutung Alfred Peltzers — Deutsche Mystik und deutsche Kunst,
Strassburg 1899, S. 172 — widerlegen, es seien diese Bildnisse als
Verkörperungen der Seelen der betreffenden frommen Stifter gemeint.
32 J. Neuwirth, zur Geschichte der Tafelmalerei in Böhmen.
Repertorium für Kunstwissenschaft. VII. Band. 1885.
33 Hubert und Jan van Eyck. Künstler-Monographien. Bielefeld und
Leipzig 1898. S. 106. Vergl. auch Karl Voll, die Werke des Jan van
Eyck, Strassburg 1900, S. 30, wo ein Zusammenhang beider Werke
bestritten wird.
34 8. Band. S. 365.
35 Lehrs, Jahrbuch der Preussischen Kunstsammlungen. 20. Band. 1899.
S. 173 ff.
36 Dass dieser Altar unmöglich vor 1504 gemalt sein kann, wird von
Weizäcker in der Zeitschrift für christliche Kunst, Jahrgang 1897,
Sp. 1 ff. auf das bestimmteste nachgewiesen. Der soeben erschienene
Katalog des Städelschen Kunstinstituts nennt den Urheber »Meister von
Frankfurt«. — Lediglich nach Weizäckers vortrefflichem Katalog — die
Bilder selbst sind mir nicht mehr gegenwärtig — erwähne ich hier noch
die ~Kreuzigung Christi~, No. 77 des ~Städelschen Instituts~ von einem
»mittelrheinischen Meister«, um 1500, mit dem Donator, dem Frankfurter
Bürger Wigand Märckel von Grünau und seiner Familie, sowie die
gleichfalls ~mittelrheinischen Porträts~ eines Mannes in reiferen und
einer Frau in mittleren Jahren, welche von einigen mit dem Amsterdamer
Meister in Beziehung gebracht werden. Beide sollen von derselben Hand
gemalt sein. Die Köpfe sind, einander zugewendet, in dreiviertel
Ansicht gegeben. Der Hintergrund ist grün. Das männliche, No. 78, ist
ein Brustbild, die linke Hand hält die Schaube über den Leib zusammen,
in der rechten liegt ein Rosenkranz, das weibliche, No. 79, ist ein
Hüftbild, eine goldene Kette hängt über die linke Hand herab, die
rechte hält ein an jener befestigtes Schmuckstück.
37 Meister Francke, Kunsthalle zu Hamburg 1899. — Das Bildnis in
Hamburg. Hamburg 1898. 2 Bände.
38 Publiziert unter der früheren Benennung »der Hamburger Meister
vom Jahre 1435« von J. Nöhring, Lübeck. 11 Lichtdrucktafeln, Text von
Schlie.
39 Die technische Behandlung dieses Frühbildes hat manche
Aehnlichkeit mit jener der Madonna mit der Wicke in Köln. Es scheint
mir, dass auf beiden mit einem öligen Bindemittel experimentiert worden
ist. Das blonde Haar der Engel ist hier wie bei der Wilhelm-Madonna
als Masse behandelt und sitzt perückenartig auf der Kopfhaut. Auch die
Hände zeigen eine gewisse Verwandtschaft.
40 Abbildungen: Kunsthistorische Gesellschaft f. photogr.
Publikationen. 1899.
41 Ueber die Stilentwickelung der schwäbischen Tafelmalerei im
14. und 15. Jahrhundert. Sitzungsbericht der k. b. Akademie der
Wissenschaften von 1894.
42 Thode, Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 1900, sieht
italienischen Einfluss auch in einem anderen gleichzeitigen deutschen
Werk, in dem Kalvarienberg des städtischen Museums zu Frankfurt a. M.,
und zwar ebenfalls den Pisanellos und Gentiles. — Vergl. auch das bei
Gelegenheit des Weildorfer Altars, der Rauchenberger Votivtafel und des
Bamberger Altars Gesagte. S. 134, 137, 152. —
43 Vergl. das Verzeichnis am Schluss.
44 Kunsthistorische Gesellschaft für photographische Publikationen.
1898.
45 Hans Multscher von Ulm. München 1898. Sonderdruck. — Wie ich
nachträglich höre, hat man im Depot des Berliner Museums bezeichnete
und, überraschenderweise, 1437 datierte Bilder des Meisters gefunden.
46 Das Beste und das Erschöpfendste, was über diese Porträtskizzen
gesagt worden ist, findet man bei Woltmann: Holbein und seine Zeit.
Leipzig 1874. 2. Aufl. Woltmann und Frisch haben auch die Berliner
Silberstiftzeichnungen publiziert; eine andere Publikation hat Dr. His
besorgt: H. Holbein d. Ä. Feder- und Silberstiftzeichnungen. Nürnberg.
3 Bände.
47 Zu der Figur dieses Knaben scheint Holbein die Anregung in
den Stichen Schongauers gefunden zu haben. Er verwendet die später
typisch gewordene Gestalt des vorwitzigen Gassenbuben mehrfach auf
dem Kaisheimer Altar, auch auf der Donaueschinger Passion, No. 48;
von Holbein ist sie wohl auf das Altarwerk des Hans Fries in Freiburg
übergegangen (nach D. Burckhardt). Auch auf einer als »westfälisch«
bezeichneten, wahrscheinlich aber mittelrheinischen Kreuztragung in
Darmstadt, No. 171, sind im Vordergrunde des sehr bemerkenswerten
Bildes zwei Strassenjungen gemalt. Auf einem Bilde in Gotha, No.
318, vom Anfange des 16. Jahrhunderts, spielt die dem sein Kreuz
schleppenden Heiland verfolgende Gassenbrut überhaupt die wichtigste
Rolle.
48 Kunsthistorische Gesellschaft für photogr. Publikationen. 1896.
49 Abgebildet in den Bau- und Kunstdenkmälern in den
hohenzollernschen Landen. Stuttgart 1896.
50 Sammlung des Earl of Northbrook, London, im kleinen deutschen
Zimmer.
51 Die Schule Martin Schongauers. Basel 1888. S. 116.
52 Unter den Handzeichnungen der Universität Erlangen befindet sich
ein stehender Armbrustschütze in dem nämlichen schwierigen Motiv. Von
etwa 1430. Abgeb. bei Schultz, Fig. 629.
53 Abgebildet in Försters Denkmale. 4. Band. 1855.
54 Bildnisse Albrecht IV. (III.) aus noch späterer Zeit, aber den
oben genannten verwandt, in der Sammlung des Erzherzogs Ferdinand,
jetzt in Wien, und in der Ahnengalerie von Schleissheim, — das dortige
Porträt von B. Beham.
55 Am frühsten scheint Konrad Witz von Basel den Schlagschatten
verwendet zu haben, z. B. auf dem köstlichen Bild in Strassburg, No. 1.
— Mit besonderer Feinheit aber benutzt ihn Multscher, bei dem er sich
weich gegen das Licht verliert.
56 Stiassny, zur Geschichte der östreichischen Alpenkunst. Nürnberg
1898. Sonderdruck. — Riehl, die Kunst an der Brennerstrasse. Leipzig
1898.
57 Dass Pacher niederländische Werke gekannt hat, wie Dahlke meinte
— Repertorium Band VIII, 1885 — ist möglich, aber jedenfalls nicht
notwendig: in den achtziger Jahren konnte er die »Oeltechnik«, in der
das Werk gemalt ist, auch auf mittelbarem Wege erlernt haben.
58 Drei Jugendgemälde Albrecht Dürers. Jahrbuch der Preussischen
Kunstsammlungen, Band XII.
59 Eine umfassende Kenntnis der an künstlerischen Individualitäten
so reichen fränkischen Malerschule, als deren Generalvertreter
Jahrhunderte lang Michel Wolgemut und seine Werkstatt gegolten hatte,
verdanken wir den 1891 erschienenen Untersuchungen Henry Thodes, die
Malerschule in Nürnberg, deren Ergebnissen ich hier im wesentlichen
folge.
60 Zeitschrift für bildende Kunst. IX. Jahrg. Daselbst auch eine
Abbildung.
61 Die Bleistift(!)-Zeichnung in der Albertina ist wohl nicht
von Dürer, sondern von einer anderen Hand nach dem Münchner Bilde
angefertigt. Karl Voll in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 20.
November 1897. No. 263.
62 Vischer, Studien. S. 399. — Klass. Bilderschatz 933.
63 Die seltsame Inschrift darunter sei hier erwähnt:
Anna solet dici tres concepisse Marias
Quas genuere viri Joachim, Cleophas, Salomoque,
Has duxere viri Joseph, Alpheus, Zebedäus.
Prima parit Christum, Jacobum secunda minorem
Et Joseph justum peperit cum Symone Iudam.
Tertia majorem Jacobum volucremque (oder fratremque?) Johannem.
64 Das Bild ist in sittengeschichtlicher Beziehung bemerkenswert
wegen des Vorkommens einer Lichtschere, mit der ein Apostel die
brennende Talgkerze putzt. Vielleicht das frühste Beispiel der
Benutzung eines solchen Instrumentes. (Schultz.)
65 Nach dem »Wegweiser« des Museums von 1896 das einzig bezeichnete
Gemälde Wolgemuts. Ich habe keine Bezeichnung gefunden. Vielleicht
unter dem Rahmen?
66 Abbildungen der beiden letzteren: kunsthistorische Gesellschaft
für photogr. Publikationen. 1895. Felicitas dort, wohl irrtümlicher
Weise, Ursula genannt. — Uebrigens mache ich darauf aufmerksam, dass
die Bezeichnung »42jährig« auf dem Porträt des Hans Tucher nicht mit
der jugendlichen Erscheinung des Dargestellten stimmt. Auch soll Hans,
nach dem Weimarer Katalog, 1471 geboren sein, müsste also 1499 28jährig
gewesen sein. Sollte, was ich jetzt nicht prüfen kann, die Inschrift
vielleicht nachträglich hinzugefügt und bei dieser Gelegenheit Hans mit
Anton Tucher verwechselt worden sein, der damals thätsächlich 42 Jahr
alt gewesen ist?
67 Vischer, S. 383, macht sich bei dieser Gelegenheit über Thausing
lustig, der das W. W., welches sowohl Elisabeth als auch Felicitas
Tucher auf dem Saume ihres Hemdes eingestickt tragen, auf Wolgemut
deutet: »Dieser alte Schwerenöter hat also sein Doppelmonogramm zweimal
meuchlings in das Hemd der Frau eines anderen hineinpraktiziert? — Das
wäre ja eine ganz novellistische Entdeckung!«
68 Ich habe das Bild, welches jetzt die Bekrönung eines Altares
bildet, s. Z. nur aus einer gewissen Entfernung betrachten können. Eine
von Hans Stegmann mir gütigst überlassene Photographie scheint für die
Ansicht des geschätzten Gelehrten zu sprechen, dass wir es hier mit
einer freien Nachbildung des folgenden Porträts zu thun haben, welches
von mir als Kopie bezeichnet worden ist.
69 So u. a. auf einer Kreuzigung in Schleissheim, No. 60,
»Oberdeutsch um 1460«, wo nicht der Gekreuzigte, sondern die zu
seinen Füssen kniende Magdalena die Hauptperson zu sein scheint, eine
stattliche Dame in den Vierzigen, um welche die übrigen Anwesenden sich
gruppieren. Meine Vermutung, dass hier ein Porträt gegeben ist, wird
noch dadurch verstärkt, dass rechts am Rande ~zwei~ Stifter knien,
mit ~drei~ Wappen, — es liegt nahe, das dritte mit der Magdalena in
Beziehung zu bringen.
70 Vasari berichtet im Leben des Pontormo, Ausgabe Milanesi, S. 272,
dass Lodovico Capponi seine Tochter, che era bellissima giovane, als
Magdalena habe malen lassen. — Es sei hier auch ein Wort Savonarolas,
des fanatischen Dominikanermönches von San Marco, verzeichnet: die
Bilder eurer Dirnen von der Strasse lasst ihr malen als Heilige in den
Kirchen!
71 Jedoch erwähnt Didron in seinen Anmerkungen zum Malerbuch vom
Berge Athos eine unrühmliche Ausnahme: auf einem Marmorrelief in St.
Denis aus dem 15. Jahrhundert steige die Gottesmutter in Venusgestalt,
nur von einem dünnen Schleier bekleidet, gen Himmel. Ich habe dieses
Relief seiner Zeit in St. Denis nicht finden können.
72 Abgebildet in den Bau- und Kunstdenkmälern in den
hohenzollernschen Landen. Stuttgart 1896. S. 66.
73
Un punto vidi che raggiava lume
Acuto sì, che il viso, ch’egli affoca,
Chiuder conviensi, per lo forte acume.
Dante. Paradiso. Canto 28. 16–18.
74 Obgleich jener unbekannten geheimnisvollen Grösse, als welche
wir das Publikum des 15. Jahrhunderts betrachten müssen, der Stifter
ohne Zweifel wichtiger war als der Maler, was auch aus der Benennung
der Tafeln hervorgeht, wie der Peringsdörffer-, der Löffelholz-Altar
u. a., so wird man doch nur in den seltensten Fällen wissen, wer den
Auftrag zu dem betreffenden Gemälde gegeben hat, ob derjenige, unter
welchem wir den Stifter vermuten, ob dessen Söhne oder vielleicht erst
deren Nachkommenschaft. Aus diesem Grunde ist ein Schluss aus der etwa
bekannten Lebenszeit des vermeintlichen Stifters auf den Maler und das
Anfertigungsjahr des Bildes eine recht missliche Sache. Auch würde
in dem gegebenen Falle stets zu prüfen sein, ob Bild und Donator zu
gleicher Zeit und von gleicher Hand gemalt sind: auf den Altarflügeln
No. 194 und 195 des Kölner Museums sind Landschaft und Heilige von
Scorell oder Merten van Hemskerk, jedenfalls niederländisch, während
die Stifterporträts auf die Hand eines mittelmässigen Meisters der
Bruyn-Schule hinweisen.
75 Ich spreche im folgenden nur von den Altargemälden und den
künstlerisch ausgeführten Votivbildern. Auf den sogenannten Bildstöcken
und Marterln haben sich die kleinen Figuren bekanntlich bis ins 19.
Jahrhundert erhalten.
76 Jedoch mag diese Vermutung nur für die reiferen und an
bedeutenderen Kunstorten geschaffenen Werke zutreffend sein, nicht für
die archaischen und ausserhalb der Schule entstandenen kindlich-naiven
Handwerkertafeln. Bei diesen liegt die Annahme vielleicht näher, es
haben die Maler entweder von dem Gebrauch, die Stiftergestalt zu
verkleinern, nichts gewusst oder die Bedeutung dieser Formel nicht
verstanden.
77 Für die Ansicht Alfred Peltzers — Deutsche Mystik und deutsche
Kunst, Strassburg 1899, S. 171 —, dass man in den unter dem Mantel sich
bergenden Gestalten personifizierte Seelen zu erkennen habe, finde ich
nicht den geringsten Anhalt.
78 Nach Gaetano Milanesis Kommentar zu Vasari, Florenz 1878, I, S.
555.
79 Jetzt zerstört; Abbildung im Atlas zu den Kunstdenkmälern des
Königreichs Baiern, Tafel 112.
80 Kopien an den Wänden des Stuttgarter Altertumsmuseum.
81 Vergl. hierzu den Aufsatz von Schnütgen in der Zeitschrift für
christliche Kunst 1890; dort auch eine Abbildung.
82 Lichtwark, das Bildnis in Hamburg 1898 und Meister Francke,
Hamburg 1899. In dem letztgenannten Werk werden die beiden Bilder für
den Meister Francke in Anspruch genommen.
83 Vergl. hierzu Voigt, Geschichte Marienburgs, Königsberg 1824, S.
245, und Steinbrecht, Untersuchungs- und Wiederherstellungs-Arbeiten am
Hochschloss der Marienburg. Berlin 1885. § 3.
84 Das jüngste Gericht ist öfters an einer Wand der Ratsstube zu
finden. Seine Beziehung zur Rechtsprechung, welcher diese Räume neben
anderen Handlungen des Ratskollegiums dienten, ist leicht erkenntlich:
»Ir menschen feldt urtel uf erden, als ir dordt weldt geurtelt werden«.
(Nürnberg.)
85 Gebser und Hagen, der Dom von Königsberg. Königsberg 1833.
Hartungsche Hofbuchdruckerei. S. 101 f.
86 Vasari: Delle opere di Tiziano. Ed. Milanesi, S. 445 und
Burckhardt: Porträt, S. 251.
87 Von den mittelaltrigen Bartformen gilt im allgemeinen das
folgende: Der Schnurbart kommt nur in den ältesten Zeiten vor (Karl der
Grosse, Rudolf I., Johann Parricida). Nebenher geht der Vollbart bis
etwa auf Rudolf I., dann, bis zu Karl IV., etwa bis zur Mitte des 14.
Jahrhunderts, trug man sich unbärtig. In der Periode der Luxemburger
bis zum Tode Sigismunds (1437) werden die Bärte wieder modern. Von
Kaiser Friedrich III. bis auf Karl V., also in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts, rasierte man sich. Dass aber auch in dieser im
allgemeinen bartlosen Zeit dennoch einzelne Gecken sich durch die
absonderlichsten Bartformen hervorthaten, ersieht man u. a. aus einer
Predigt Geilers von Kaisersberg, die Schultz S. 341 zitiert. Auf die
von einzelnen Orden erlassenen Vorschriften über Wachsenlassen oder
Scheren des Barthaares hatte die Mode natürlich keinen Einfluss.
88 Eine Musterkarte der wunderlichsten Kopfputzarten der Frauen giebt
ein Studienblatt des alten Wolgemut im Münchner Kupferstichkabinet.
89 Auch das italienische Quattrocento kennt das Ohrgehänge als
weibliches Schmuckstück nicht. Meines Wissens erscheint es jenseits der
Alpen um die Mitte des 16. Jahrhunderts und zwar bezeichnenderweise
zuerst in dem prachtliebenden Venedig. — Es lohnte sich wohl der Mühe,
einmal dem Werden und Wandern des Ohrringes nachzugehen. Man würde
finden, dass der Schmucktrieb die Mehrzahl der Naturvölker zu irgend
welcher Verzierung der Ohrmuschel geführt hat. Seine künstlerische
Ausbildung als wertvolles Geschmeidestück scheint der Ohrring auf dem
alten Kulturboden zwischen Euphrat und Tigris erhalten zu haben. Von
dort aus hat er seine Wanderung nach Aegypten und über Klein-Asien
nach Griechenland und später nach Italien angetreten. In Deutschland
ist er in roher, seine ästhetische Wirkung als Behangschmuck
gänzlich verkennender Form zwischen 500 und 400 v. Chr. bekannt, wie
Gräberfunde und die im Berliner Völkermuseum befindlichen Bronzeringe
der norddeutschen Gesichtsurnen beweisen. Auf Miniaturen habe ich ihn
niemal gefunden, es sei denn auf solchen, deren byzantinisches Vorbild
unverkennbar ist. In der grossen Malerei tritt er bei den Frauen nicht
vor der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf, und dann auch ganz
vereinzelt. Cranachs Frauen z. B. tragen ihn noch nicht.
90 Darwin, der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei Menschen und Tieren.
Uebersetzt von Carus. Stuttgart 1872.
91 Mit dem überschwenglichen Lobe, welches seiner Zeit der
Oeltempera gegenüber der Gummitempera gespendet wurde, ist es schwer
zu vereinigen, dass heute in vielen Fällen nur das geübte Auge des
Restaurators zu unterscheiden vermag, ob ein altes Bild in dieser oder
jener Technik ausgeführt ist.
92 Reber, die bairische Kunstkammer. Sitzungsbericht der bairischen
Akademie der Wissenschaften. 1892, 1893.
93 Dr. Fr. Kenner, die Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von
Tirol. Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des östreichischen
Kaiserhauses, Band XIV und XV.
94 Pinset et D’Auriac, histoire du portrait en France. Paris 1884. S.
262.
KUNSTGESCHICHTLICHER VERLAG
VON
KARL W. HIERSEMANN
IN
LEIPZIG
[ornament] Durch alle Buchhandlungen zu beziehen. [ornament]
Meisterwerke der deutschen Bildnerei
des Mittelalters
_ausgewählt und erläutert
von
+Dr. August Schmarsow+
Professor der Kunstgeschichte._
_aufgenommen und herausgegeben
von
+Eduard von Flottwell+
Architectur-Photograph._
TEIL I:
Die Bildwerke des Naumburger Domes.
57 Seiten Text in 4°
und +20 Lichtdruck-Tafeln+ in Folio.
In Mappe.
Preis 25 Mark.
Diese herrlichsten Werke, welche die sächsische Bildhauerschule
hervorgebracht, sind zugleich auch die ausgezeichnetsten Schöpfungen
des Mittelalters überhaupt.
[ornament] _Aus diesem Werke ist die Abbildung auf Seite 35 des
vorliegenden Buches entnommen._
ALFRED LICHTWARK
DAS BILDNIS IN HAMBURG.
2 starke luxuriös ausgestattete Bände mit gegen 150 Reproductionen im
Text und 30 Heliogravüre-Tafeln.
_+Als Manuscript gedruckt+ für den Kunstverein in Hamburg._
Preis 50 Mark.
In einer längeren Einleitung über Bildnis und Bildnismalerei ist der
Versuch gemacht worden, in die soziale, politische und künstlerische
Funktion des Bildnisses einzuführen.
Ebenso erhielten die einzelnen Abschnitte über das Bildnis der sich
folgenden Jahrhunderte kürzere orientirende Einleitungen. Die Künstler
werden einzeln in chronologischer Folge behandelt. Als Anhang kamen
kurze Abschnitte über Miniaturmalerei, Silhouetten, Kupferstich,
Lithographie und Daguerrotypie hinzu.
[ornament] _Aus diesem Werke ist die Abbildung auf Seite 215 des
vorliegenden Buches entnommen._
CRANACHSTUDIEN
VON
ED. FLECHSIG.
+I. Teil.+ gr. 8°. XVI und 314 Seiten +mit 20 Abbildungen+.
Preis 16 Mark.
_INHALT: I. II. Die Holzschnitte und Kupferstiche, sowie die
Tafelbilder Lucas Cranachs bis zu seinem 50. Lebensjahre (1522).
— III. Die Pseudogrünewaldfrage und ihre Lösung. — IV. Die
Cranach-Ausstellung in Dresden. — Verzeichnis._
Der stattliche Band ist das Ergebnis von vielen langen und eifrigen
Untersuchungen, die viel zur Klärung der Cranach betreffenden Fragen
beitragen werden.
NICOLAS POUSSIN.
VON
Dr. Elisabeth Harriet Denio.
Gr. 8°. VIII u. 148 Seiten +mit neun Lichtdrucktafeln+ nach Gemälden
Poussin’s.
Elegant broschirt. Preis 8 Mark.
Die gelehrte Amerikanerin hat auf Grund ihrer Untersuchungen über
Poussin, denen sie einen längeren Aufenthalt in Europa gewidmet, den
Doktortitel der Heidelberger Universität erlangt.
Eine Monographie über Poussin in deutscher Sprache existiert bisher
nicht, und die Litteratur des Auslandes ist vom heutigen Standpunkte
der Kunstgeschichte veraltet.
_INHALT: 1. Jugendgeschichte. 1563–1624. — 2. Aufenthalt und
Thätigkeit in Rom. 1624–1640. — 3. Hofmaler in Paris. 1640–1642. —
4. Leben in Rom. — 5. Werke und Schüler. — 6. Die letzten Jahre. —
Anhang. — Kataloge. — Bibliographie. — Namenregister._
Altichiero und seine Schule.
Ein Beitrag zur Geschichte der Oberitalienischen Malerei im Trecento.
Von
Paul Schubring.
Gr. 8°. X und 144 Seiten mit +10 Lichtdrucktafeln+ nach Fresken in
Padua, Verona und Treviso.
Elegant broschirt. Preis 8 Mark.
Die Untersuchung geht nicht in erster Linie darauf aus, den Anteil
Altichieros und Avanzos an den paduaner Freskencyklen mit Sicherheit
abzugrenzen; eine Zuweisung im Einzelnen ist versucht worden, ohne dass
sie den Anspruch auf definitive Gültigkeit machte. Es kam dem Verfasser
vielmehr darauf an, den wichtigen Beitrag, den die oberitalienische
Trecentomalerei für die Gesamtentwickelung der italienischen Kunst
leistet, heller zu beleuchten, als es bisher geschehen ist. Wir
müssen durchaus von dem Irrtum loskommen, den uns Vasari immer wieder
aufdrängen will, als ob alles Heil aus Florenz gekommen sei.
»Durch diese Darlegungen, mag auch im Einzelnen mancher Einwand erhoben
werden, ist ein entschiedener Schritt vorwärts in der Erkenntniss der
geschichtlichen Entwicklung der oberitalienischen Malerei gemacht.
Mit dem Dank hierfür mag sich der Dank dafür verbinden, dass der Vf.
uns auch durch die künstlerische Form, welche er seinem Unternehmen
verliehen hat, zu fesseln weiss.«
_H. Thode_-Heidelberg in der Deutschen Litteraturzeitung 1899 Nr. 7.
BALDASSARE PERUZZIS
ANTEIL AN DEM MALERISCHEN SCHMUCKE DER VILLA FARNESINA.
Nebst einem Anhange:
»IL TACCUINO DI BALDASSARE PERUZZI« IN DER COMMUNALBIBLIOTHEK ZU SIENA.
EIN VERSUCH von +ARTUR WEESE+.
90 Seiten.
Preis 3 Mark.
Die architektonische Seite und vollkommen täuschende perspektivische
Wirkung von Peruzzi’s 1511 vollendeter Decke im Galatheenzimmer wird
aus seiner Thätigkeit als Bauzeichner im Atelier Bramantes erklärt
und ihre kunsthistorische Stellung neben Rafael’s Decke in der
Eintrittshalle der Farnesina und jener andern in der Chigicapelle von
S. Maria del popolo bestimmt.
FORSCHUNGEN ZU GEORG PENCZ
von
ALBRECHT KURZWELLY.
I. Pencz als Wandmaler. — II. Sandrarts Nachrichten über die
italienischen Reisen der deutschen Kleinmeister Barthel Beham, Binck
und Pencz. — III. Zur Annahme einer niederländischen Reise des Pencz.
— IV. Beschreibende Verzeichnisse der Werke des Pencz.
Vor allem gilt es, das Verhältnis der Thätigkeit Pencz und Dürers bei
der Ausmalung des Nürnberger Rathhauses festzustellen, was mit Hülfe
der Akten, der von Stiassny in Erlangen gefundenen Kreidezeichnung,
Dürers Entwurf in der Albertina von 1518 und des Holzschnittes von 1522
gelingt. _Ueber Dürers Arbeitsweise selbst kommt es hierbei zu nicht
unwichtigen Aufklärungen._ ... Das Auffinden zweier bisher unbekannter
Bilder von Pencz Hand, die sorgfältige Litteraturbenutzung und die
Besonnenheit des Urteils lassen hoffen, dass mit dem weiteren Verfolg
dieser Arbeit unsere Kenntnis über die Dürerschüler um einen guten
Schritt weiter geführt werden wird.
_C. Gurlitt_ im Jahresbericht für deutsche Litteraturgeschichte. VI. Bd.
Preis 3 Mark.
DAS WESEN DER
ARCHITECTONISCHEN SCHÖPFUNG.
Antrittsvorlesung
gehalten in der Aula der K. Universität Leipzig am 8. November 1893
von
+August Schmarsow+, ordentlicher Professor der Kunstgeschichte.
Preis 1 Mark.
JOHANN FRIEDRICH EYSERBECK
von +G. SCHOCH+, Städtischer Gartendirektor in Magdeburg.
20 Seiten. Mit 2 Plänen.
Preis 1,20 Mark.
Eyserbeck war von 1762–1817 fürstlicher Gärtner in Dessau und schuf als
solcher die ersten englischen Gartenanlagen in Deutschland. Die der
biographischen Abhandlung beigegebenen 2 Tafeln sind Reproduktionen
von Federzeichnungen Eyserbecks, die Pläne zum Luisium und Georgium in
Dessau.
_Das radirte Werk des Jean-Pierre Norblin de la Gourdaine._
Beschreibendes Verzeichniss einer Sammlung sämmtlicher Blätter dieses
Maler-Radirers mit vielen bisher unbekannten Plattenzuständen und
einigen Originalzeichnungen bearbeitet von +Willibald Franke+.
Preis 4 Mark.
Die
Psalterillustration im Mittelalter
von
J. J. Tikkanen.
I. BAND.
Heft 1: Byzantinische Psalterillustration. Mönchisch-theologische
Redaction. _90 Seiten mit 6 Tafeln und 87 Textillustrationen._ 4°.
1895.
+Mk. 4.—+
Heft 2: Byzantinische Psalterillustration. Der
mönchisch-theologischen Redaction verwandte Handschriften. Die
aristokratische Psaltergruppe. Einzelne Psalterhandschriften. _Seite
91–152 mit 3 Tafeln und 50 Textillustrationen._ 4°. 1897.
+Mk. 2.40+
Heft 3: Abendländische Psalterillustration: Der Utrechtspsalter.
_Seite 153–320. Mit 77 Textillustrationen._ 4°. 1900.
+Mk. 7.—+
Der Meister mit den Bandrollen.
Ein Beitrag
zur Geschichte der ältesten Kupferstiche in Deutschland
von
_Max Lehrs_.
4°. 36 Seiten mit 20 Abbildungen auf 7 Lichtdruck-Tafeln.
Dresden 1886.
Ursprünglicher Ladenpreis 24 Mark. Jetziger Preis +18 Mark+.
Wenzel von Olmütz.
von
Max Lehrs.
gr. 8°. 113 Seiten mit 20 Abbildungen auf 11 Tafeln in Lichtdruck.
Dresden 1889.
Eine erschöpfende Monographie über diesen Kupferstecher des 15.
Jahrhunderts. (Kritisches, Biographisches, Bibliographie.)
Bisheriger Ladenpreis 16 Mark. Jetziger Preis +12 Mark+.
Druck von Emil Herrmann senior, Leipzig.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BILDNIS BEI DEN ALTDEUTSCHEN MEISTERN BIS AUF DÜRER ***
Updated editions will replace the previous one—the old editions will
be renamed.
Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for an eBook, except by following
the terms of the trademark license, including paying royalties for use
of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for
copies of this eBook, complying with the trademark license is very
easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation
of derivative works, reports, performances and research. Project
Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may
do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected
by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark
license, especially commercial redistribution.
START: FULL LICENSE
THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase “Project
Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg™ License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.
Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™
electronic works
1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.
1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg™ License when
you share it without charge with others.
1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.
1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work
on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:
This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
at www.gutenberg.org. If you
are not located in the United States, you will have to check the laws
of the country where you are located before using this eBook.
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.
1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg™.
1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg™ License.
1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg™ website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.
1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:
• You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method
you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
within 60 days following each date on which you prepare (or are
legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
payments should be clearly marked as such and sent to the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation.”
• You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
License. You must require such a user to return or destroy all
copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
works.
• You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
receipt of the work.
• You comply with all other terms of this agreement for free
distribution of Project Gutenberg™ works.
1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.
1.F.
1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.
1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right
of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.
1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.
1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.
1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.
Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™
Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.
Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.
The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact
Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation
Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.
The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.
While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.
International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.
Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works
Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.
Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.
Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.
This website includes information about Project Gutenberg™,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.