Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

By Albert Daiber

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Albert Daiber

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Title: Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

Author: Albert Daiber

Illustrator: Fritz Bergen

Release Date: December 1, 2012 [EBook #41522]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE WELTENSEGLER. DREI JAHRE ***




Produced by Jens Sadowski








Die Weltensegler


Drei Jahre
auf dem Mars


Erzählung für die Jugend
von
Albert Daiber


Mit vier Vollbildern von Fritz Bergen

Dritte Auflage


Verlag von Levy & Müller in Stuttgart


Nachdruck verboten
Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
Druck: Christl. Verlagshaus, G. m. b. H., Stuttgart




Inhalt


Erstes Kapitel
Vorbereitungen                     1

Zweites Kapitel
Die Abreise der Weltensegler      16

Drittes Kapitel
Zwischen Himmel und Erde          28

Viertes Kapitel
Auf dem Mars                      53

Fünftes Kapitel
Lumata und Angola                 78

Sechstes Kapitel
Im Reiche der Vergessenen        101

Siebentes Kapitel
Der Abschied                     113

Achtes Kapitel
Ein Abtrünniger                  122

Neuntes Kapitel
Wieder auf der Erde              128

Zehntes Kapitel
In der Heimat                    142




Erstes Kapitel
Vorbereitungen


Der glänzende Abendstern, die Venus, war im Westen untergegangen. Über
Groß-Stuttgart und das Neckartal begann sich eine durchsichtig klare, aber
etwas kalte Winternacht zu breiten. Nach und nach flammten Tausende und
Abertausende von hellen Sternen am Firmamente auf, und als weißlich
schimmernder Gürtel hob sich aus der Menge jener fernen, selbstleuchtenden
Weltkörper scharf und deutlich die Milchstraße ab. Aus ihr heraus blickte
das funkelnde Sternbild der Kassiopeia herab auf die alte, immer noch mit
so viel Torheit erfüllte Mutter Erde, und der Große Bär mit seinen sieben
hellen Sternen, jener geheimnisvollen, im menschlichen Leben eine so
merkwürdige Rolle spielenden Zahl, leistete ihr auf der andern Seite des
gewaltigen Himmelsgewölbes die aus der Urzeit stammende, treubewährte
Gesellschaft. Kunterbunt, in ungleichmäßiger Verteilung, in
verschiedenartiger Helligkeit und Größe lagen die übrigen Sterne
dazwischen, scheinbar noch an ihrem alten, gewohnten Platze.

Langsam schritt die Nacht vor. Im Süden stieg das prachtvolle Sternbild des
Orion über dem Horizont empor, und bald darauf erschien auch der Sirius,
der glänzendste unter den glänzenden Sternen des Himmels. Für all diese
Schönheit der Nacht, für all diese Großartigkeit jener fernen,
selbstleuchtenden Sonnen schien augenblicklich derjenige am wenigsten
zugänglich zu sein, dessen berufliche Aufgabe gerade die Erforschung des
Sternenhimmels war. Professor Stiller, der berühmte Astronom, Lehrer an der
durch Alter wie Überlieferung gleich ehrwürdigen Universität Tübingen,
ruhte in seinem Lehnstuhl, mit den Fingern der Rechten ärgerlich auf dessen
Seitenlehne trommelnd. Er saß in einem großen, mit einer Kuppel bedeckten
Raum, der auf den ersten Blick als Observatorium oder Sternwarte zu
erkennen war. Ein mächtiges Fernrohr auf massiven Pfeilern ragte aus einer
Öffnung der drehbaren Kuppel hinaus in die klare Winternacht.

Professor Stiller hatte sich vor Jahren schon auf der ruhigen Bopserhöhe
bei Stuttgart eine Privatsternwarte erbaut, um sich in ihr, fern vom lauten
studentischen Leben und Treiben der Universitätsstadt, um so ungestörter
der Planetenforschung zu widmen. Ganz besonders hatte der Mars, jener
geheimnisvolle Planet, dessen Bahn die der Erde zunächst umschließt,
Professor Stillers Interesse geweckt. Dieses Interesse wurde mehr und mehr
zu einem Privatstudium, und aus diesem heraus wuchs eine so große Liebe zu
dem fernen Planeten, daß in Professor Stiller der Gedanke immer festere
Wurzeln faßte, mit dem Mars in unmittelbare Verbindung zu treten, mit
andern Worten -- ihn zu besuchen.

Gerade gegenwärtig stand Mars wieder in Erdnähe, und seine augenblickliche
Entfernung von der Erde betrug nur 59 Millionen Kilometer. In der jetzigen
Zeit der großartigsten Erfindungen, der gewaltigen, geradezu fabelhaften
Fortschritte auf technischem Gebiete, der tieferen Erkenntnis der
elektromagnetischen Strömungen im Universum und ihrer Ausnützung, vor allem
aber der so hoch entwickelten Luftschiffahrt hatte der Gedanke eines
Besuches des Mars, einer Reise dahin, durchaus nichts Befremdendes mehr. Im
Gegenteil, so wie die Dinge heute lagen, bestand tatsächlich die
Möglichkeit, die kühne Reise mit Aussicht auf Erfolg ausführen zu können.

Und Reisegedanken waren es auch, die des Professors Geist augenblicklich
beschäftigten. Aber zu ihnen waren auch ärgerliche Vorkommnisse getreten
und hatten den Gelehrten in eine gewisse zornige Unruhe versetzt. Vor dem
Stuhle des Professors warf eine zierliche elektrische Lampe ihr Licht auf
einen Stoß von Papieren, die, mit Zahlen und Zeichnungen bedeckt, bunt
durcheinander geworfen, auf einem kleinen Tische seitwärts lagen.
Aufseufzend strich sich Professor Stiller mit der Linken über die hohe,
gedankenschwere Stirn.

»Diese lächerlichen Menschen, diese Blieder und Schnabel, die da in
eigensinniger Weise meinen Anordnungen nicht Folge leisteten und mir
dadurch schon oft den Bau meines Luftschiffes erschwerten, sind wahrlich
nicht wert, daß ich mich noch länger über sie ärgere! Dem Himmel Dank, daß
ich die folgenschwersten Dummheiten dieser beiden Erbauer meines
Luftschiffes immer noch rechtzeitig ausgleichen konnte! Weg also mit allem
Kleinlichen, Ärgerlichen! Diese Stunde soll Mars allein gewidmet sein!« Der
Gelehrte stand auf. »Ja, ja,« fuhr er nach kurzer Pause zu sprechen fort,
»ja, jetzt ist er in der Erdnähe, mein alter, rötlich strahlender Freund.
Für meine Ungeduld, ihn heute abend noch zu sprechen, stille Zwiesprache
mit ihm zu halten, erscheint er ziemlich spät. Und doch ist er der
Pünktliche, nie Fehlende!«

Professor Stiller sah auf seine Uhr. »11 Uhr 42 Minuten! Noch 55 Sekunden,
und Mars taucht im Osten auf. Rasch hinauf auf die Galerie und an das
Instrument!« Bald stand letzteres gerichtet. Einer kleinen Feuerkugel
gleich zeigte sich dem Auge des Beobachters der über dem östlichen
Horizonte langsam emporkommende Mars. Voll Entzücken betrachtete Professor
Stiller die ihm zugewandte Fläche des Planeten, auf der sich scharf und
deutlich schmale, schnurgerade Linien zeigten.

»Gerade diese schnurgeraden, vielfach in gemeinsamen Punkten sich
schneidenden Kanäle sind es, die in ihrer Künstlichkeit am deutlichsten und
unzweideutigsten für das Vorhandensein vernunftbegabter Wesen dort oben
sprechen,« kam es laut über die Lippen des Gelehrten. »Der Mars besitzt
trotz seiner Atmosphäre verhältnismäßig geringe Wassermengen. Daher sind
die Marsbewohner gezwungen, diesem Mangel durch künstliche Veranstaltungen
nach Möglichkeit abzuhelfen, die geringen Wassermengen derartig
auszunützen, daß, wenn ein Distrikt bewässert ist, die kostbare Flüssigkeit
einem andern zugeführt wird. Wie oft habe ich nicht schon diese Tatsachen
als Erklärung des zeitweisen Auftauchens und Verschwindens der Marskanäle
in Tübingen vom Katheder herunter verkündigt!« rief Professor Stiller voll
Begeisterung. »Ja, ein Volk mit hoher Kultur muß auf dem Mars wohnen, denn
nur ein solches vermag so wunderbar geniale, dem allgemeinen Wohl dienende
Bauten auszuführen,« fuhr der Professor in seinem lauten Monologe fort.
»Die Jahreszeiten auf dem Mars scheinen mir in erster Linie von dem
Schmelzen der Eismassen an seinem Süd- und Nordpole beeinflußt. Und dieses
aus den polaren Eiszonen abschmelzende Wasser leiten jene Wesen dort oben
zum Zweck der Befruchtung in die uns sogar von hier aus sichtbaren Kanäle.
Welch herrlicher, üppiger Pflanzenwuchs muß sich da längs der Kanäle, an
ihren Ufern entwickeln! Welch starke Vegetationsprozesse mögen sich dort
oben abspielen, wo das Wasser in richtiger Verteilung überallhin geführt
wird! Und was das wohl für ein Menschenschlag sein mag, der den Mars
bewohnt? Uns vielleicht um Jahrtausende an allgemeiner Bildung voraus!
Unmöglich wäre dies nicht. Ich muß sie kennenlernen wie den Boden selbst,
auf dem sich das Leben dieser Wesen abspielt.«

Voll Erregung trat Professor Stiller vom Teleskop zurück. Aber das lebhafte
Interesse an dem Gegenstande seiner Beobachtung trieb den Gelehrten rasch
wieder an das Instrument. So verfloß Stunde auf Stunde mit astronomischen
Forschungen und Berechnungen. Die funkelnden Sterne am Himmel verblaßten
allmählich, und der Wintermorgen begann langsam heraufzudämmern, als der
Professor endlich seinen Posten verließ und sich in sein warmes Heim
zurückzog, das sich in unmittelbarer Nähe der Sternwarte befand.

Ein leichter Nebel zog über das Neckartal herauf und lagerte sich über
Groß-Stuttgart. Vor der strahlenden Morgensonne aber zerfloß der dünne
Schleier rasch und ließ die Stadt, die sich im Laufe ihrer Entwicklung aus
dem Tale des Nesenbaches rechts und links am Ufer des Neckars vorgeschoben
hatte, in vorteilhaftestem Lichte erscheinen. Der Winter hatte seinen
Einzug noch nicht gehalten, und die bewaldeten Höhen des Neckartales trugen
daher noch kein Schneegewand. In der reinen, frischen Luft des
Dezembermorgens hoben sich klar und scharf die Türme und villenartigen
Bauten ab, die da und dort von höher gelegenen Punkten auf die zu ihren
Füßen liegende große Stadt herabschauten. Auch die alte Kapelle auf dem
Rotenberge paßte prächtig zu dem gesamten Bilde voll landschaftlicher
Anmut, durch das der Neckar, einem silbernen Bande ähnlich, seine Wasser
strömen ließ.

Ein großer, freier und ebener Platz mit kurzer Grasnarbe, der durch die
Abhaltung des schwäbischen Volksfestes von alters her weltberühmte
Cannstatter Wasen, unterbrach in angenehmer Weise das Häusermeer und war
von diesem nur auf einer Seite durch den Fluß scharf abgegrenzt. Am oberen
Ende dieses mehrere Kilometer langen Geländes erhob sich ein gewaltiger
Bretterbau.

»Luftschiff für die Mars-Expedition«

stand in Riesenbuchstaben an dem rotundenartigen Bau. Und darunter die
üblichen Worte:

»Unberechtigten ist der Zutritt strengstens verboten!«

Aus dem Innern des Gebäudes ließ sich augenblicklich nichts vernehmen, ein
Zeichen, daß die Arbeit an dem Werke entweder eingestellt oder vielleicht
schon beendet war.

Der Bau des Luftschiffes, das zum ersten Male, seitdem es überhaupt eine
Welt- und Völkergeschichte gibt, das schwierige Problem der Fahrt außerhalb
der Erdatmosphäre durch den unendlichen Ätherraum hindurch nach einem ganz
bestimmten Ziele hin lösen sollte, war den Herren Blieder und Schnabel
übertragen. Ersterer war Architekt, dem, allerdings nur in Stuttgart, viel
Erfahrung und Phantasie in der Ausführung kühner Projekte nachgerühmt
wurde, letzterer Professor der Mathematik an einer höheren Schule. Als
solcher war Herr Schnabel berufen, den Bau des Luftschiffes auf Grund
mathematischer Berechnungen zu überwachen und im übrigen als
wissenschaftlicher Beirat Herrn Blieder zur Seite zu stehen. Form und
Schwere, die in sinnreichster Art gebundenen elektrischen Energiemengen,
die zur Vorwärtsbewegung und Steuerung des Schiffes wie auch zur
Beleuchtung und Heizung der geschlossenen Gondel dienen sollten, all die
zahlreichen, äußerst wichtigen Bedingungen und Einzelheiten der Maschinerie
waren von Professor Stiller zusammen mit andern bedeutenden Kollegen der
Tübinger Universität bestimmt und genannten beiden Herren zur Ausführung
übertragen worden.

Nur zögernd, fast widerwillig hatte Professor Stiller sich zu dieser
Übergabe verstehen können. Blieder und Schnabel waren alte Bekannte von
ihm. Aus der Vorstadt Cannstatt stammend, waren sie mit ihm aufgewachsen,
doch hatten die späteren Jahre und die so ganz verschiedenen Interessen und
Bestrebungen Professor Stiller mehr und mehr von den beiden Jugendgenossen
getrennt. Die entstandene Kluft wurde in dem Maße größer, als Professor
Stiller auf dem steilen Wege der Forschung immer höher emporstieg. Als es
aber bekannt wurde, daß ein Professorenkollegium der Tübinger Universität
auf Grund eines lichtvollen Vortrages von Professor Stiller beschlossen
habe, auf Kosten des staatlichen Universitätsvermögens ein eigenartiges
Luftschiff zur Expedition nach dem Mars bauen zu lassen, da waren die
beiden Genossen ehemaliger Jugendstreiche schleunigst zu Herrn Stiller
geeilt.

Beide kitzelte der Ehrgeiz, ihre Namen weltberühmt zu machen, sie für ewig
mit dem »Weltensegler«, so sollte das Luftschiff heißen, verbunden zu
sehen. Ihren unermüdlichen Bitten um besondere Berücksichtigung unter
Anrufung der alten Jugendfreundschaft gab Professor Stiller endlich nach.
Er tröstete sich damit, daß von den übrigen für den Bau des Weltenseglers
in Frage kommenden Wettbewerbern schließlich keiner eine bessere Gewähr für
das Gelingen der Arbeit hätte bieten können als Blieder und Schnabel. Und
am Ende, ja, am Ende waren es doch auch Söhne des lieben Schwabenlandes wie
er selbst.

So war der anfängliche Widerwille des Gelehrten gegen die zwei »engeren
Stuttgarter« zurückgedämmt worden, um jedoch gegen das Ende des Baues desto
lebhafter wieder zu erwachen. Die Herren Blieder und Schnabel waren zwei
richtige Dickköpfe. Jeder glaubte für sich allein den Stein der Weisen
gefunden zu haben und hielt sich daher für berechtigt, den Plan des
Schiffes nach eigenem Gutdünken zu ändern. Nur der Wachsamkeit und der
rücksichtslosen Tatkraft Professor Stillers war es zuzuschreiben, daß sich
nach endlosen Kämpfen, schwerstem Ärger und Verdruß mit Blieder und
Schnabel der Bau des Weltenseglers im großen und ganzen in den Formen
hielt, die ihm der Gelehrte selbst gegeben.

Aber gestern mittag, als Professor Stiller die Baustätte besuchte, um sich
von der endlichen richtigen Fertigstellung des Ganzen zu überzeugen, an dem
seit vielen Monaten eifrig gearbeitet, und dessen Vollendung bereits in die
Welt hinausposaunt worden war (Blieder und Schnabel waren die Trompeter),
da hatte Professor Stiller in hellem Zorne wahrnehmen müssen, wie gerade
einige seiner wichtigsten Anordnungen von den Erbauern übersehen worden
waren. Die Arbeit, die bereits ruhte, mußte wieder von neuem aufgenommen
werden, und von neuem flickte man am Weltensegler herum. Dadurch verzögerte
sich natürlich der Aufstieg, unter Umständen stand sogar das Gelingen der
Expedition in Frage. Es war einfach, um aus der Haut und nicht nach dem
Mars zu fahren!

Wütend kam Professor Stiller nach Hause. Er brauchte mehrere Stunden, um
seinen Grimm zu meistern und sein gestörtes seelisches Gleichgewicht
wiederzuerlangen. Unmittelbar am Ziele seiner schon so lange gehegten
Wünsche, und nun von neuem auf die Geduldsprobe gestellt, das ertrage, wer
vermag! Professor Stiller konnte es nicht, und so kam es, daß er, unfähig
zu ernster Arbeit, mehrere Stunden in seinem Observatorium damit zubrachte,
sein etwas rasches, feuriges Blut zu beruhigen und den Ärger zu überwinden.

Jetzt saß der Gelehrte, eingehüllt in einen bequemen, molligen Schlafrock,
in seinem von der Sonne durchfluteten, geräumigen Studierzimmer, die
Beobachtungen der Nacht verarbeitend. Das Ergebnis war sehr günstig. Jetzt,
oder für lange Zeit, vielleicht für viele Jahre nicht mehr, war es möglich,
von der Erde aus den Mars zu erreichen. Es ist ein großer Unterschied, ob
ein Gestirn von der Erde nur 59 oder 400 Millionen Kilometer entfernt ist.
Der Mars hatte augenblicklich das Maximum seiner Erdnähe erreicht und
befand sich genau 59 Millionen Kilometer von seinem Nachbar entfernt. Die
langen Berechnungen des Professors hatten dies ergeben. Mit der Expedition
durfte daher nicht mehr lange gesäumt werden; jeder beträchtliche
Zeitverlust mußte auf das peinlichste vermieden werden. Wollte man den sich
rasch von der Erde wieder entfernenden Planeten unter vollster Ausnützung
der gerade bestehenden günstigen Gravitationsverhältnisse, der natürlichen,
gesteigerten Anziehungskraft überhaupt erreichen, so mußte mit jeder Stunde
gerechnet werden.

»Und da müssen gerade in diesem so überaus günstigen Augenblick die beiden
Langohre da unten« -- Professor Stiller schaute bei diesen Worten von
seinem Studierzimmer hinab gen Cannstatt -- »einen kleinen Strich durch
meine Rechnung machen!« Eine Blutwelle neu sich regenden Zornes stieg dem
Professor gegen den Kopf.

Da wurde an die Tür des Zimmers geklopft. Auf das laute Herein des
Gelehrten erschien dessen Diener und meldete die Herren Blieder und
Schnabel. »Lupus in fabula!« lächelte Professor Stiller vor sich hin,
erinnerte sich aber plötzlich, daß er gestern auf dem Wasen die beiden
Herren zu sich bestellt hatte und zwar für heute auf zwölf Uhr mittags. Ein
Blick auf die Uhr bewies die Pünktlichkeit der Besucher. Der Professor
erhob sich von seinem Stuhle und gab den Befehl, die Herren hereinzuführen.

»Pünktlichkeit ist Höflichkeit!« Mit diesen Worten begrüßte Professor
Stiller die Eintretenden. »Nehmt Platz,« fuhr er fort, »und sagt mir
sofort, ob binnen vier Tagen die von mir gestern gerügten Ausstände am
Weltensegler in Ordnung gebracht werden können; denn nächste Woche müssen
wir unbedingt hinauf, koste es, was es wolle.«

»Ich wüßte wirklich von keinem nennenswerten Fehler meinerseits, der den
Aufstieg des Luftschiffes hindern könnte,« meckerte Blieder mit seiner
blechernen Stimme.

»Was?« schrie der Professor erbost, »muß ich dir altem Baumeister, dem vor
lauter Genialität allerdings nichts einfällt, nochmals das wiederholen, was
ich dir gestern tadelnd sagte?«

An Stelle der Antwort begnügte sich Blieder, mit den Achseln zu zucken.

»In der geschlossenen Gondel kann ich keine Glasfenster brauchen, das
könntest du wissen, um so mehr, als ich dieses wichtigen Umstandes bereits
am Anfange, beim Entwurf des Planes gedachte,« entgegnete der Gelehrte.

»Ja, aber warum? Ich sehe wirklich nicht ein . . .«

»Mein lieber Blieder, du siehst allerdings weder ein noch aus. Deine in die
Gondel eingesetzten Spiegelgläser sind hart und spröde, den gewaltigen
niederen Temperaturen im Ätherraum gegenüber völlig widerstandslos. Also
hinaus mit den Gläsern, weg mit ihnen und ersetze sie durch elastischen,
widerstandsfähigen Glimmer. Der hält alle Temperaturen über und unter Null
gleich gut aus. Zwei Tage Zeit hast du dazu, und in diesen muß die Änderung
gemacht sein.«

»Aber wenn . . .« begann Blieder, wurde aber heftig durch den Professor
unterbrochen.

»Es gibt weder ein Wenn noch ein Aber. Sei froh, daß ich dir in Anbetracht
der Kürze der Zeit die mancherlei andern Unebenheiten hingehen lasse, deren
du dich bei der Konstruktion schuldig gemacht hast. Aber eine wichtige
Sache muß noch verbessert werden. Du dachtest nämlich nicht mehr daran,
obgleich du auch darauf aufmerksam gemacht wurdest, daß eine Gondel, die
während einer bestimmten Zeit der Aufenthaltsraum für eine mehrköpfige
Gesellschaft sein soll, auch eine Klappe für allerlei Abfallstoffe haben
muß. Wir benötigen ein paar solcher doppelten, auf das dichteste
schließenden Klappen, und zwar rechts- und linksseitig, beileibe nicht am
Boden.«

»Dort wären sie aber am einfachsten anzubringen.«

»Glaube ich,« erwiderte spöttisch lächelnd Professor Stiller, »wir wünschen
aber nicht unterwegs aus der Gondel zu fallen, sondern wollen womöglich
heil und gesund den Mars erreichen.«

»Aber im Innern längs der Gondelwand sind die Provianträume, unter diesen
die Akkumulatoren und . . .«

»So teile sie entsprechend ein, und die Sache ist geordnet. Sela! Nun zu
dir, Schnabel! Wovon meinst du, daß unsere Expedition unterwegs leben
soll?«

»Natürlich von den mitzuführenden Nahrungsmitteln, von Konserven und andern
guten Sachen, auch besten Neckarwein nicht zu vergessen,« antwortete
schmunzelnd der mit einem hübschen Bäuchlein ausgestattete, eß- und
trinkfeste Mathematiker.

»Den Wein vergessen wir auch nicht, sei unbesorgt, Schnabel. Aber von was
lebt denn sonst noch der Mensch außer von Speise und Trank?«

»Nun, von Luft!« entgegnete Schnabel etwas gereizt über diese Frage.

»Gewiß! Nur sage mir, woher wir denn die Luft auf unserer Reise beziehen
sollen. Im Ätherraume gibt es bekanntlich keine, und die vom Cannstatter
Wasen in der Gondel mitgenommene Heimatluft hält leider auch nicht lange
vor.«

»O zum Kuckuck! Es ist die Anlage für die feste Luft, die ich vergaß
anbringen zu lassen.«

»So ist es! Mache deinen Fehler so rasch als möglich gut. Blieder soll dir
dabei helfen. Ob die Anlage feste Luft enthält, werde ich dann selbst noch
prüfen; denn du wärest imstande, sogar die Füllung zu vergessen. Wie ich
dir gestern mittag schon sagte, ist auch die ganze Steuerungsanlage
fehlerhaft. An Stelle der Vermittlung durch die Welle hast du
unbegreiflicherweise die lebendige Kraft des elektrischen Stromes
unmittelbar auf die Aluminiumschraube übertragen.«

»Laut mathematischer Berechnung das einzig Richtige!« brummte Schnabel.

»Bleib mir hier mit deiner Mathematik vom Leibe, wenn sie solch
offenkundigen Unsinn zeitigt!« entgegnete zornig Professor Stiller. »Ich
trage die Verantwortung für die gewagte Expedition. Alles, was ihre Gefahr
irgendwie vermehren kann, muß ich nachdrücklich zurückweisen, alles dagegen
willkommen heißen, was zu ihrer Sicherheit und zum möglichen Gelingen
beizutragen vermag.«

»Als ob wir, Blieder und ich, nicht alles getan hätten, was du von uns
verlangtest! Aber natürlich, euch Allerhöchsten von der Universität ist
selten etwas recht zu machen.«

»So scheint es wirklich zu sein,« bestätigte seufzend Blieder.

»Darüber will ich mich mit euch nicht streiten, denn dies wäre eine höchst
zwecklose Sache. Sorgt lieber dafür, daß der Weltensegler nächste Woche
segelfertig ist. Höchste Zeit dafür ist es, soll die Reise überhaupt
gelingen. Seit Tagen schon drängen mich deshalb meine Kollegen in Tübingen,
denen ich als Zeit des Aufstieges die ersten Tage des Dezembers angegeben
hatte, und zwar als äußersten Zeitpunkt. Nun entsteht wieder eine
Verzögerung. Die Sache muß rasch zu Ende gebracht werden. Abgesehen von der
allgemeinen Lächerlichkeit, der wir uns aussetzen würden, wenn die Abreise
immer von neuem wieder verschoben wird, laufen wir überhaupt Gefahr, die
uns gebotenen günstigen Konjunkturen nicht voll und ganz ausnützen zu
können. Also sputet euch! Ich bitte dringend darum.«

»Wie lange wird die Reise dauern?« fragte Schnabel neugierig und bestrebt,
der ihm unangenehmen Unterhaltung eine freundlichere Wendung zu geben.

»Das hängt von jedem Tage, ja von jeder Stunde ab, die wir früher fahren
können,« entgegnete Professor Stiller. »Die für die Verbesserung der
gerügten Fehler eingeräumten weiteren vier Tage bedeuten für uns eine
höchst unliebsame Verlängerung der Reise. Mars hat jetzt das Maximum seiner
Annäherung an die Erde erreicht und entfernt sich nun von ihr wieder mit
jeder Minute. Wie lange unter diesen Umständen die Reise im Ätherraume
dauern wird, läßt sich nur ahnen, genau aber nicht sagen. Sobald wir
glücklich aus dem Anziehungskreise der Erde und des Mondes herausgekommen
und in den des Mars gelangt sind, wird die Reise außerordentlich rasch
vonstatten gehen trotz der gewaltigen Entfernungen, die wir zurückzulegen
haben. Dank der mächtigen, vom Mars ausgehenden elektromagnetischen
Strömungen der Anziehung werden wir diesem Planeten mit ganz fabelhafter
Schnelligkeit zufliegen, mit einer Schnelligkeit, die mindestens täglich
auf zwei Millionen Kilometer einzuschätzen ist. Immerhin rechne ich auch im
günstigsten Falle auf eine Reisedauer von mehreren Wochen. Der Vorsicht
halber nehmen wir aber für drei Monate Proviant mit uns.«

»Und wenn ihr den Mars nicht erreicht, wenn die ganze Reise mißlingt, was
dann?« forschte Schnabel.

»Dann, mein Lieber, geht es uns, wie es schon so manchem Forscher vor uns
gegangen ist und nach uns noch gehen wird: wir sind die Opfer, die Märtyrer
der Wissenschaft. Mit diesem Fall haben wir aber auch schon gerechnet, als
wir beschlossen, die kühne Fahrt zu unternehmen. Glücklicherweise sind
sämtliche übrigen Teilnehmer gleich mir keine Familienväter, sondern der
Mehrzahl nach jüngere Männer, die diesen Schritt in das Ungewisse,
Geheimnisvolle wagen und vor ihrem Gewissen verantworten können. Ich
persönlich rechne mit aller Sicherheit auf das Gelingen der Reise, auf den
Triumph der Wissenschaft.«

»Mit staunender Bewunderung sieht heute die ganze Kulturwelt auf uns und
unser Neckartal, wo so kühne Pläne vor ihrer Verwirklichung stehen, und
kommt ihr einst mit dem Weltensegler glücklich wieder zurück, so werdet ihr
in einer Weise empfangen und gefeiert werden, wie es noch niemals Menschen
vor euch geschah,« warf Blieder ein.

»Zuerst müssen wir nach dem Mars gekommen sein, bevor wir überhaupt an eine
Rückkehr denken können,« entgegnete Professor Stiller lächelnd. »Einige
Jahre dürfte unsere Abwesenheit von hier schon dauern; denn eine solche
ungeheure Reise erfordert begreiflicherweise auch außergewöhnliche
Zeitdauer. Und das interessanteste Studienobjekt ist der Mensch selbst, der
auf jenem fernen Weltkörper haust. Wie ihr wißt, beweisen uns unsere
teleskopischen Beobachtungen, daß es ganz besonders hochstehende Wesen sein
müssen, die dort wohnen. Wer weiß, ob sie uns nicht geistig wie körperlich
weit überragen.«

»Oder uns gegenüber noch sehr minderwertig sind, was auch nicht unmöglich
wäre,« bemerkte Schnabel hochmütig. »Auf keinen Fall möchte ich mit.«

»Du bleibst auch besser unten auf der Erde,« entgegnete Professor Stiller.
»Und nun haben wir genug geschwatzt. Eilt an eure Arbeit! In vier Tagen
werde ich auf den Wasen kommen und mich überzeugen, ob die gerügten
Anstände in Ordnung gebracht sind. Nächste Woche muß die Abreise des
Weltenseglers unbedingt stattfinden; ich betone dies nochmals mit allem
Nachdruck. Jeder weitere Tag des Wartens bedeutet für mich und mein an sich
schon aufgeregtes Nervensystem eine fürchterliche Qual. Sie zu vermindern,
liegt in eurer Hand. Ihr habt mir oft und viel Verdruß bereitet, macht
also, daß ich ohne allzu großen Groll von euch und dieser Erde scheiden
kann.« Mit diesen Worten entließ der Professor seine Besucher.




Zweites Kapitel
Die Abreise der Weltensegler


Für Professor Stiller und seine Gefährten vergingen die folgenden Tage in
fieberhafter Tätigkeit mit den Vorbereitungen zur Reise. Auch auf dem
Cannstatter Wasen in der Werkstätte des Weltenseglers herrschte wieder
regste Tätigkeit. Das Luftschiff war aus der gewaltigen Halle heraus auf
den großen, freien Platz davor gebracht und hier fest verankert worden. Nun
erst konnte man die riesigen Formen des Ballons richtig erkennen. Er hatte
eine länglich ovale Gestalt, ebenso die an ihm befestigte geschlossene
Gondel. Infolge dieser Ähnlichkeit machte die Gondel den Eindruck, als
befinde sich ein zweiter kleinerer Ballon unterhalb des großen,
gewissermaßen wie Mutter und Kind.

Die Länge des Luftschiffes betrug, von einer Spitze zur andern gemessen,
zweihundert Meter, die mittlere Höhe zwanzig Meter.

Das innere Gerippe des Ballons bestand aus einem Netzwerk von luftleer
gemachten, sehr dünnen, aber außerordentlich starken Metallblechröhren.
Darüber legte sich ein zweites, gleich konstruiertes Gerippe und über
dieses ein drittes. Wohl waren die drei Lagen unter sich verbunden, aber
doch so, daß auch jede einzelne für sich allein tätig sein und die Gondel
tragen konnte. Es war sozusagen ein dreifach übereinander gestülpter
Ballon.

Zur Anfertigung der Metallröhren wurde die von Professor Samuel Schwab in
Tübingen neu entdeckte Metallmischung, Suevit genannt, verwendet. Diese
Mischung zeichnete sich durch außerordentliche Leichtigkeit, fabelhafte
Widerstandsfähigkeit und gewaltige Tragkraft aus und stellte alle bis jetzt
in dieser Richtung bekannten Metallpräparate in den Schatten. Suevit
bestand der Hauptsache nach aus Aluminium, dem aber in bestimmtem
prozentualem Verhältnisse Wolfram neben etwas Kupfer und Vanadium
beigegeben war. Diese Legierung ließ sich zu feinstem Blech auswalzen, ohne
dabei von ihrer Widerstandskraft auch nur das geringste einzubüßen. Aus
diesem Blech nun wurden die Röhren geformt, die zur Anfertigung der drei
Ballongerippe dienten. Die Röhren waren nahtlos und wurden, nachdem sie auf
das sorgfältigste luftleer gemacht worden waren, mit dem neuen merkwürdigen
Gase Argonauton gefüllt.

Zur Umhüllung der einzelnen Metallgerippe diente das von dem leider zu früh
verstorbenen Eßlinger Großindustriellen Wilhelm Weckerle erfundene Gewebe
aus Seide und Leinen, das das Staunen und die Vewunderung der gesamten
Textilbranche erregte. Die Fäden dieses Gewebes wurden auf eigens dazu
gebauten Webstühlen mittels neuer Maschinen auf geistreiche Weise so
miteinander verknüpft, daß sie nahezu unzerreißbar und von wunderbarer
Glätte wurden. Jeder einzelne der drei Ballons wurde mit dem Stoff umhüllt,
dann erst wurde dieser so lange mit Kautschuklösung getränkt, als er
aufnahmefähig war. Durch dieses Verfahren wurde der Stoff für das Gas
vollständig undurchdringlich gemacht. Nichtsdestoweniger wurde der Vorsicht
wegen das Ganze noch mit einer dünnen Kautschukmasse umgeben und auf diese
endlich die Pillerinlösung aufgetragen, eine von Professor Piller in
Tübingen zu diesem Zwecke hergestellte Eisensilikatflüssigkeit. Sie gab dem
Überzuge eine einer Panzerung ähnliche Widerstandskraft, die selbst durch
Anwendung größter äußerer Gewalt kaum überwunden werden konnte. Der Ballon
stellte so das Ideal des starren Systems des Luftschiffes dar.

In dieser peinlich genauen Art wurden auch die einzelnen Bestandteile des
Ballons behandelt. Die Berechnung war so getroffen, daß auch nach einem
etwaigen Verlust der ersten, äußersten Hülle oder, was kaum anzunehmen war,
auch der zweiten mittleren, die innerste immer noch als selbständiges
Ganzes zu funktionieren und die Gondel zu tragen vermochte.

Auf diese Weise suchte Professor Stiller allen nur möglichen Gefahren im
Weltraum erfolgreich zu trotzen. Jede Ballonhülle war mit einer besonderen
Klappe versehen, die vom Gondelinnern aus dirigiert werden konnte.

Der Ballon war, wie bereits gesagt, mit dem neu entdeckten, spezifisch
unendlich leichten Gase Argonauton gefüllt. Kaum noch wägbar (0,01), besaß
das Argonauton die unschätzbare Eigenschaft, weder durch enorme Hitze
(+1350 Grad), noch durch größte Kälte (-500 Grad) irgendwie in seinem
Aggregatzustande beeinflußt oder gar verändert zu werden. Es war zur Zeit
noch das einzige wirklich beständige oder permanente Gas, das Rätsel der
Gelehrtenwelt.

Das Gerippe der Gondel bestand aus derselben Art von Röhren und einem
Überzuge aus Weckerleschem Gewebe, das in ähnlicher Weise wie der Ballon
mit Kautschuk überzogen und mit Pillerinlösung widerstandsfähig gemacht
worden war; Außerdem trug die Gondel noch eine dicke Isolierschicht aus
Asbest. Im Innern aber war sie dicht mit Pelzwerk ausgeschlagen; galt es
doch, dem Wärmeverlust im ungeheuer kalten Ätherraume, dessen Temperatur
auf 120 bis 150 Grad Celsius unter Null geschätzt wurde, nach Möglichkeit
vorzubeugen. An Sitz- wie Liegegelegenheit fehlte es in der Gondel nicht.
Ihr Inneres machte sogar einen äußerst wohnlichen und behaglichen Eindruck.
An den Längsseiten der zehn Meter langen und fünf Meter breiten Gondel
befanden sich in einer Art von Schränken die Vorräte von den
verschiedenartigsten Nahrungsmitteln.

Unterhalb der Vorratsräume liefen die Leitungen der elektrischen Apparate
für Heizung und Beleuchtung des Gondelinnern und diejenigen für die
Erneuerung der Luft. Die Fortschritte der technischen Wissenschaften hatten
es möglich gemacht, ganz gewaltige Mengen elektrischer Kraft auf einem
verhältnismäßig kleinen Raume festzulegen. Auf diese Weise nur war es dem
Weltensegler möglich, ohne nennenswerte Mehrbelastung diejenigen
Energiemengen an elektrischer Kraft mit sich zu führen, die in ihrer
umgesetzten Form als Licht und Wärme nicht nur die Existenz der
Gondelbewohner ermöglichen, sondern auch zur Vorwärtsbewegung und Lenkung
des Luftschiffes selbst dienen sollten. Für letztere Zwecke waren am
Ballonkörper selbst seitwärts, rechts und links, Luftschrauben angebracht,
die durch die elektrische Kraft von der Gondel aus in Tätigkeit gesetzt
werden konnten. Zur ebenfalls elektrisch betriebenen Steuerung dienten mit
dem imprägnierten Weckerleschen Stoffe bespannte, wagrecht wie senkrecht
einstellbare große, mit Suevitröhren eingefaßte Flächen. Dadurch war eine
Steuerung nach zwei Richtungen hin möglich, horizontal sowohl wie auch
vertikal.

Die in metallene Behälter eingeschlossene feste, kristallinische Luft, im
Augenblicke ihres Kontaktes mit äußerer, gasförmiger Luft sofort sich
verflüssigend und fein zerstäubend, nahm, trotz großer Vorratsmenge,
ebenfalls nicht allzuviel Raum und Gewicht in Anspruch.

So waren die wichtigsten, elementarsten Bedingungen erfüllt, die das
großartige Unternehmen zu einem erfolgreichen Ergebnis führen konnten. Seit
sich der Weltensegler im Freien befand, allen Augen sichtbar, strömte eine
Menge neugieriger Besucher herbei, um ihn zu bewundern, die Erbauer mit
Fragen zu bestürmen und sie um allerlei Auskunft zu bitten. Die Herren
Blieder und Schnabel befanden sich nun endlich in dem ihnen am meisten
zusagenden Elemente. Sie schwammen förmlich in Stolz, Wonne und erhöhtem
Selbstgefühl, waren sie doch in diesem Augenblick die wichtigsten und dank
ihrer Intelligenz als Erbauer auch die angesehensten Persönlichkeiten nicht
allein Groß-Stuttgarts, sondern sogar der gesamten Welt. Ihre Namen waren
in aller Munde. Was konnten sie mehr verlangen? Selten wird einem Irdischen
das große Los zuteil, allgemein mit Hochachtung genannt zu werden. Unter
den staunenden Besuchern des Cannstatter Wasens waren Vertreter aller
möglichen Völker erschienen, Gelehrte und Ungelehrte, Hochkultivierte und
Halbwilde, Männer, Frauen und Kinder, war es ja doch seit Monaten schon
durch Zeitungen und Spezialberichte überall, diesseits und jenseits der
Ozeane, bekannt geworden, daß das große, unerhört verwegene Wagnis einer
Reise nach dem fernen Mars anfangs Dezember vom Herzen des Schwabenlandes
aus zur Ausführung kommen sollte. Die Namen Blieder und Schnabel waren
daher in den fernsten Winkel des Erdballes getragen worden als die kühnen
Schöpfer des Luftschiffes, das als erstes die unendlichen Räume des
Weltenäthers durchschnitt.

Mit der Zunahme der Besucher stieg die allgemeine Erregung, als der Tag des
Aufstieges des Weltenseglers langsam näher rückte. Nach Hunderttausenden
wurden die Fremden geschätzt, die nach Groß-Stuttgart geströmt waren, um
das in seiner Art einzige Schauspiel zu sehen, ein Schauspiel, von dem noch
in den fernsten Zeiten als von einer wunderbaren Begebenheit gesprochen
werden mußte. Nur persönlich dabei zu sein, den Augenblick des Aufstieges
in seiner ganzen Wucht der Eigenart auf sich einwirken zu lassen, von
diesem einzigen Wunsche waren alle Besucher beseelt. Sie zahlten gewaltige
Preise für ihre Unterkunft. Wer mit dem Geld nicht verschwenderisch um sich
werfen konnte, fand weit und breit in und um Stuttgart herum keine
Unterkunft. Nicht nur waren die Gasthäuser bis unter das Dach hinauf
besetzt, nein, auch die Häuser von Privaten waren gefüllt. Noch niemals
hatte Stuttgart mit seiner Umgebung einen so ungeheuren Fremdenstrom
erlebt, wie in diesen Tagen.

Auf dem Wasen selbst war das Leben und Treiben der Menschenmenge nachgerade
lebensgefährlich geworden. Man stieß und drängte sich förmlich. Überall war
ein fürchterliches Pressen und Schieben, dazwischen ein Lachen und
Schimpfen und Wettern in allen Sprachen der Völker. Jeder und jede wollte
so nahe als möglich an den Weltensegler gelangen, an dieses Wunder der
Technik, dieses stolze Erzeugnis wissenschaftlicher Berechnung. Alle
wollten das Werk möglichst genau sehen und betrachten, womöglich auch
befühlen und einen Blick in die merkwürdig eingerichtete Gondel werfen;
sollte diese doch für viele Wochen der Aufenthaltsort der berühmten sieben
Gelehrten sein, die ohne Rücksicht auf ihr Leben die einem Märchen gleiche
Reise nach einer andern Welt unternahmen, einer Welt, die in
schwindelerregend weiter Ferne von der Erde sich befand.

Die Meinungen über das Gelingen oder Mißlingen der Expedition waren beim
Publikum noch immer geteilt. Darüber aber waren sich alle einig, daß das
Unternehmen an Kühnheit und Großartigkeit alles in den Schatten stellte,
was die Welt bisher gesehen, und daß die Männer der Expedition an Mut und
Entschlossenheit nicht ihresgleichen fanden.

So war der 7. Dezember herangekommen, der ewig denkwürdige Tag, an dem
nachmittags punkt vier Uhr der Aufstieg des Weltenseglers stattfinden
sollte. Kurz nach Tagesanbruch war Professor Stiller auf der Baustelle
erschienen. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich bereits auf dem
Platze und erwarteten den Professor. Ebenso waren sämtliche am Weltensegler
beschäftigte Arbeiter angetreten. Der Ballon wie die Gondel wurden einer
scharfen, eingehenden Besichtigung unterworfen. Die von Professor Stiller
gerügten Ausstände waren beseitigt. Einige kleinere Anstände, die der
Professor da und dort noch entdeckte, verbesserten die Arbeiter sehr rasch.
Nachdem auch das Kleinste geordnet war, stieg Professor Stiller in die
Gondel. Ihm folgten die Herren Blieder und Schnabel sowie einige der ersten
Arbeiter.

Die Taue, mit denen das Riesenluftschiff am Boden befestigt war, wurden
vorsichtig gelöst. Langsam, in stolzer Sicherheit erhob sich der
Weltensegler gen Himmel. Unterdessen hatte sich trotz der frühen
Morgenstunde eine Menge von Neugierigen auf dem Wasen eingefunden, die mit
Staunen und lauter Bewunderung den Bewegungen des Luftschiffes folgten.
Hoch oben in der Luft, kaum noch erkennbar, bald rückwärts, bald vorwärts
flog der Weltensegler, willig der Steuerung gehorchend wie das flinkste
Schiff im Wasser. In raschem Fluge und weitem Bogen zog das Luftschiff über
Stuttgart hin, kehrte wieder über den Ort des Aufstieges zurück und ließ
sich langsam und majestätisch genau auf dem Punkt nieder, von dem es
ausgegangen war.

Ein tausendstimmiges Bravo der Zuschauer, wie ein Donner klingend, belohnte
die gelungene Probefahrt. Nun konnte es tatsächlich keinem Zweifel mehr
unterliegen, daß ein so wunderbar schnell fliegendes und leicht lenkbares
Luftschiff wie der Weltensegler den höchsten aeronautischen Anforderungen
genügen, daß die Reise wirklich zu einem befriedigenden Ziele, zu einem
günstigen Ergebnis führen mußte.

Mit Befriedigung verließ Professor Stiller die Gondel. Die Sache war besser
ausgefallen, als er vor wenigen Tagen selbst noch geglaubt hatte. Sein so
lange genährter und auch berechtigter Unmut gegen die Herren Blieder und
Schnabel wich freundlicheren Gefühlen, als er sich von ihnen
verabschiedete. Gern übersah er deshalb auch, daß die Erbauer des
Weltenseglers eigentlich nur die Handlanger bei der Ausführung des
Erzeugnisses seiner eigenen Geistesarbeit gewesen waren, und gönnte ihnen
den leicht und billig verdienten Ruhm. Neidlos überließ er seine alten
Schulgenossen dem herbeiströmenden Publikum, das diese mit Glückwünschen zu
dem genialen Bau und der gelungenen Probefahrt des Weltenseglers
überschüttete.

Es ging auf ein halb vier Uhr nachmittags. Ein Meer von Menschen wogte auf
dem Wasen. Von Minute zu Minute stieg die Erwartung, denn bald sollten die
kühnen Weltensegler, die sieben berühmten Gelehrten, Deutschlands und
Schwabens Stolz und Zier, auf dem Wasen eintreffen, um in dem Luftschiff
mit dem so treffenden Namen die ungeheuerliche Reise anzutreten. Punkt ein
halb vier Uhr begannen die Glocken aller Türme von Groß-Stuttgart zu
läuten. Es war ein harmonisches, feierliches Konzert, würdig des
bevorstehenden ernsten und zugleich so großartigen Augenblicks. Aus dem
Tale des Nesenbachs heraus wie aus dem des Neckars verkündete der laute,
eherne Mund der Glocken das Hohelied von Mut, von Kühnheit und dem
Menschengeist, der sich über den einengenden Erdenkreis hinaus erhob und
sich einen Verkehr mit jenen fernen, geheimnisvollen Welten anzubahnen
anschickte, der seit Beginn der menschlichen Kultur bis zur heutigen Stunde
das hoffnungslose Sehnen und Wünschen der Edelsten und Besten gewesen war.
Jetzt endlich, nach Jahrtausenden, sollte dieses Sehnen Erfüllung finden,
der Verwirklichung entgegengehen. Kein Wunder, daß die gesamte Welt mit
atemloser Spannung nach der Hauptstadt des Schwabenlandes blickte, wo eine
solche Großtat vollbracht werden sollte.

Nach allen Richtungen der Windrose flogen von dem Cannstatter Wasen die
Telegramme der Berichterstatter. Ein großes Depeschenbureau war für diesen
Zweck in unmittelbarer Nähe des Weltenseglers errichtet worden. Auf dem
Wasen selbst war die Erregung der Massen nachgerade aufs höchste gestiegen.
Die feierlichen Akkorde der Glocken hatten bei der Menschenmenge ein
erhebendes, sonntägliches Gefühl erweckt, und als fünf Minuten vor vier Uhr
die Glocken plötzlich mit einem Schlage verstummten, da herrschte auf dem
weiten Platze die ernste, erwartungsvolle Stille der Kirche.

Die Sonne stand schon tief im Westen. Ihre rotgoldenen Strahlen spielten
wie Abschied nehmend an dem Weltensegler und ließen das gewaltige, kaum
sich bewegende Luftschiff wie mit einem Heiligenschein umgeben erscheinen.
Da ertönten von der Neckarbrücke her Hurrarufe. Sie pflanzten sich fort und
wurden zu einem betäubenden Willkommen. Aus Hunderttausenden von Kehlen
stieg brausender Begrüßungsruf, als die Menge der sieben Gelehrten
ansichtig wurde, deren Namen von Mund zu Mund gingen, und deren Bildnisse
in ungezählten Exemplaren gekauft worden waren. Die Herren vertraten
folgende Fächer:

Prof. Dr. Siegfried Stiller, Astronomie, Physik und Chemie,

Prof. Dr. Paracelsus Piller, Medizin und allgemeine Naturwissenschaft,

Prof. Dr. David Dubelmeier, Jurisprudenz,

Prof. Dr. Bombastus Brummhuber, Philosophie,

Prof. Dr. Hieronymus Hämmerle, Philologie,

Prof. Dr. Theobald Thudium, Nationalökonomie,

Prof. Dr. Friedolin Frommherz, Ethik und Theologie.

In einem Autoelektrik sitzend, fuhren die Herren langsam durch die sich vor
ihnen öffnende Menschenmauer der Baustelle des Weltenseglers zu. Ernst und
voll Würde grüßten die kühnen Reisenden die ihnen zujubelnde Menge. Am
Weltensegler angelangt, verließen sie den Wagen, und Professor Stiller
bestieg die in aller Eile und in letzter Stunde noch aufgerichtete
Rednertribüne, um von da aus einige Worte des Abschiedes an die nächste
Umgebung zu richten.

»Verehrte Damen und Herren, werte Freunde und Kollegen von nah und fern
dieses kleinen Erdenballes! Die Geschichte unseres Planes ist Ihnen ja
allen bekannt. Heute ist er verwirklicht insofern, als es uns gelungen ist,
ein Luftschiff zu konstruieren, das nicht nur die Atmosphäre unserer Erde
mit Leichtigkeit durchschneiden, sondern auch -- und dies ist der
springende Punkt -- den Ätherraum selbständig durchfliegen soll. Alle hier
in Frage kommenden, ungeheuer verwickelten wissenschaftlichen Bedingungen,
die vorher erfüllt werden mußten, um unsere Reise nach dem Mars zu
ermöglichen, will ich nicht weiter erwähnen. Dies würde mich auch viel zu
weit führen. Aber für meine heilige Pflicht halte ich es, in dieser Stunde
des Abschiedes laut und offen zu erklären, daß möglicherweise unsere Reise
von manchen Faktoren ungünstig beeinflußt, durch diese »Unbekannten«, die
wir hier auf unserm Planeten nicht in den Kreis unserer Berechnung zu
ziehen vermochten, vielleicht auch zum Scheitern gebracht werden kann.
Diese Erkenntnis schützt uns vor Selbstüberhebung, sie zeigt uns aber auch
klar die Gefahren unserer Expedition. Nicht Leichtfertigkeit, sondern die
vorwärts treibende Wissenschaft, der Durst nach Aufklärung ist es, der uns
unser eigenes Leben nicht achten, sondern in den Dienst der allgemeinen
Forschung stellen läßt.

Ob und wann wir uns je in diesem Leben wiedersehen werden, kann heute
niemand von uns sagen. Kommen wir in einer Reihe von Jahren nicht mehr
zurück, so weihen Sie unserm Andenken eine stille Träne. (Allgemeine
Rührung.) Wir sind eben dann die Opfer unseres Berufes geworden. Aber
ebensogut ist es möglich, daß wir Ihnen einmal später von den Wundern einer
andern Welt berichten können. Leben Sie daher alle, alle wohl, und nehmen
Sie zum Abschiede meinen und meiner Kollegen herzlichen Dank für Ihr
Erscheinen hier, für Ihre Anteilnahme an unserm Unternehmen.«

Beifallsstürme brachen los, als Professor Stiller seine Rede beendigt hatte
und nun gemessenen Schrittes von der Tribüne herabstieg. Wieder trat eine
lautlose Stille ein, als die Gelehrten einer nach dem andern in die Gondel
stiegen. Professor Stiller war der letzte, der die Strickleiter zur Gondel
hinaufkletterte. Er winkte noch mit der Hand, dann schloß sich die kleine
Tür. Das Klingeln einer elektrischen Glocke war das Signal zum Lösen der
Taue. Der Weltensegler hob sich. Ruhig, gerade stieg er hinauf in den mehr
und mehr heraufziehenden Winterabend. Kleiner und kleiner wurde der
mächtige Ballon, größer und größer die Entfernung zwischen ihm und der
Erde, dann verschwand er vor den Augen der Zurückgebliebenen, die sich
schweigend unter dem machtvollen Eindruck des Geschehenen nach und nach
zerstreuten.

Am Abend dieses bedeutungsvollen Tages gab der hohe Rat der Stadt Stuttgart
zu Ehren der Herren Blieder und Schnabel, der Erbauer des Weltenseglers, in
dem glänzend erleuchteten, prachtvoll geschmückten Cannstatter Kursaal ein
prunkvolles Festmahl. In mancherlei Reden wurden die Herren als die im
Augenblick berühmtesten Männer und hervorragendsten Leuchten ihrer
Vaterstadt gefeiert. Tränen der Freude liefen den beiden Herren über die
gut genährten Wangen, als sie so offen ihr Loblied aus dem Munde der
hochwürdigen Stadtväter singen hörten. Allerdings behaupteten böse Zungen
später, Blieder und Schnabel hätten nur deshalb geweint und nicht mit
Worten zu danken vermocht, weil sie schon zu viel des guten Weines
getrunken und den Zungenschlag bekommen hätten. Aber böse Zungen sind ja
immer dabei, wenn es gilt, die Verdienste anderer zu schmälern.

Beim Festmahle erreichte die allgemeine Rührung ihren Höhepunkt, als den
Herren Blieder und Schnabel auf ihre etwas großen Köpfe je ein mächtiger
Lorbeerkranz gepreßt wurde. Am Schlusse des Mahles verkündete der Herr
Oberbürgermeister der Haupt- und Residenzstadt, daß Herr Architekt Adolf
Blieder und Herr Professor Julius Schnabel auf Grund ihrer Leistungen bei
dem kühnen Bau des Weltenseglers aus dem Stande der gewöhnlichen Bürger der
Stadt herausgehoben und in die kleine Gemeinde der Ehrenbürger versetzt
seien. Die Überreichung der Ehrendiplome unter den rauschenden Klängen des
Stuttgarter Stadtmarsches schloß die erhebende Feier erst um die
mitternächtliche Stunde.




Drittes Kapitel
Zwischen Himmel und Erde


Keine nennenswerte Luftströmung störte den fast senkrechten Aufstieg des
Weltenseglers. Noch befand sich das Luftschiff im Bereich der
Erdatmosphäre. Allerdings machte sich die erreichte Höhe durch den
verminderten Luftdruck und das Sinken der Temperatur auch im Innern der
Gondel fühlbar. Professor Stiller, als Leiter des Ganzen, schlug daher vor,
zunächst einen bescheidenen Abendimbiß einzunehmen, wohl den letzten in der
Nähe der Mutter Erde, von der die Expedition nach dem Stand des Barometers
schon siebentausend Meter entfernt war. Der Vorschlag fand allseitige
Billigung. Die Herren ließen sich die ausgezeichneten Stuttgarter Fleisch-
und Backwaren vortrefflich schmecken, und dem an den sonnigen Halden des
Neckartales bei Cannstatt gewachsenen Zuckerle, so hieß der mitgenommene
gute Rotwein, wurde wacker zugesprochen, soweit eben die Herren Gelehrten
keine Abstinenzler waren.

Nach dem Mahle wurde die Aufmerksamkeit wieder den Instrumenten zugewandt.
Diese zeigten an, daß die Grenze der Erdatmosphäre erreicht sei, mithin der
Eintritt in den unermeßlichen Ätherraum bevorstehe. Die mit Xylol gefüllten
Thermometer zeigten außerhalb der Gondel bereits 42 Grad unter Null an, und
die Barometer registrierten eine Höhe von 19950 Meter. In der Gondel wurden
die elektrischen Glühkörper in Tätigkeit gesetzt, nachdem schon vorher der
Zerstäubungsapparat für die feste Luft in Funktion getreten war. Eine
erträgliche Temperatur und eine angenehme, gut atembare Luft herrschte in
der Gondel. Der Dienst in dem Raum wurde in der Weise geordnet, daß jeder
der Gelehrten während vierundzwanzig Stunden abwechselnd drei Stunden
zweiundvierzig Minuten die Instrumente zu überwachen hatte. Auf diese Art
war für den einzelnen der Dienst nicht anstrengend. Nur Professor Stiller
hatte sich vorbehalten, im Falle der Notwendigkeit die Dienstleistung für
gewisse Zeit allein zu übernehmen.

Ruhig und gut ging die erste Nacht in der Gondel hoch oben im Ätherraume
vorüber. Unterdessen war der Ballon äußerst schnell gestiegen. Morgens um 7
Uhr, am 8. Dezember, war die Höhe von 90723 Meter erreicht. Die Thermometer
an den Glimmerfenstern der Gondel zeigten die fürchterliche Kälte von 120
Grad. Tiefe Dunkelheit umgab den Weltensegler. Kein einziger Sonnenstrahl
fiel in diese pechschwarze Nacht des Tages. Rascher und rascher stieg das
Luftschiff, seinen Kurs genau der Steuerung gemäß nach Osten haltend. Gegen
Mittag wurde durch den Geschwindigkeitsmesser die gewaltige Entfernung von
220000 Meter von der Erde angezeigt. Sollte das Steigen in diesem
schnellen, progressiv sich steigernden Tempo fortgehen, so mußte der
Weltensegler im Laufe weniger Tage in die Nähe des Mondes gelangen, der bis
dahin, um 90 Grad nach Osten vorgerückt, gerade sein erstes Viertel bilden
würde.

Mit der Annäherung an den Mond erhielt der Weltensegler dann wieder das
Licht der Sonne, konnten die Gondelbewohner sich wieder an den leuchtenden
Strahlen der Urquelle aller Kraft erfreuen. Obgleich noch keine
vierundzwanzig Stunden unterwegs, empfanden die Herren die Dunkelheit des
sie umgebenden Weltraumes wie eine allzulange Nacht. Sie begannen sich
darüber zu äußern.

»Wir sind eben Kinder des Lichtes, der Sonne und empfinden sofort deren
Mangel,« sprach Professor Dubelmeier.

»Das ist wohl wahr,« bestätigte Friedolin Frommherz, »alles Licht, auch das
unserer Seelen, kommt von oben.«

»Umgesetztes Sonnenlicht, mein Lieber,« ergänzte Professor Hämmerle.

»Nennen Sie es, wie Sie wollen, das letzte aller Rätsel, die wirkliche
Ursache alles Seins bleibt uns Sterblichen eben doch für immer verborgen,
und wer weiß, ob dies nicht sehr gut ist,« entgegnete Frommherz.

»Darüber wollen wir uns hier in unserer Gondel nicht streiten, sondern uns
über die Aussicht freuen, in kürzester Zeit aus dem Dunkel des Ätherraumes
heraus wieder in das volle Licht der Sonne eintauchen zu dürfen, allerdings
um sehr rasch wieder in die Finsternis zurückzukehren, wohl dann für
längere Zeit,« warf Professor Stiller ein.

Doch plötzlich wurde der Unterhaltung ein unerwartetes Ende bereitet. Der
Weltensegler begann zu zittern und schien einen Augenblick still zu stehen.
Das Zittern des mächtigen Ballons übertrug sich auf die Gondel.

»Was ist los, um des Himmels willen, was hat sich ereignet?« Diese Fragen
kamen über die Lippen von mehreren der erregten Gelehrten.

»Zunächst nur Ruhe, keine Aufregung, die ja doch zu nichts führen würde,
liebe Freunde!« besänftigte Professor Stiller seine erschrockenen
Gefährten. »Es scheint, daß wir in den breiten elektrischen Anziehungsstrom
des Mondes gelangt sind, auf den der Weltensegler mit seiner eigenen
elektrischen Strömung sofort reagiert hat, daher sein plötzliches
Erzittern,« fuhr Herr Stiller fort. »Nun seht, er beruhigt sich und treibt
wieder und zwar bedeutend schneller vorwärts, ein Beweis für die
Richtigkeit meiner Vermutungen.« Mit diesen Worten trat Stiller von seinem
Beobachtungsposten zurück, um ihn aber bald nachher wieder einzunehmen.

Von der Geschwindigkeit der rasenden Vorwärtsbewegung spürten die Insassen
der Gondel nichts oder nur sehr wenig. Mit größter Aufmerksamkeit
beobachtete Professor Stiller wieder den Geschwindigkeitsmesser. Nach einer
Stunde konstatierte der Gelehrte kopfschüttelnd eine zurückgelegte Strecke
von 4500 Kilometern.

»Warum schütteln Sie den Kopf, Stiller?« fragte Professor Piller den
Kollegen.

»Es geht langsamer vorwärts, als ich mir vorstellte und nach meinen
Berechnungen erwartet hatte.«

»Nanu, ich denke, 4500 Kilometer in einer Stunde fliegend zurückzulegen,
macht uns so leicht niemand nach. Eine solche Geschwindigkeit übersteigt
alles, selbst die kühnste Rechnung,« warf Brummhuber ein.

»Sie übersehen dabei die ungeheuren Entfernungen, die wir zurückzulegen
haben, um unser Ziel zu erreichen,« entgegnete Professor Stiller. »Doch ich
hoffe, daß es in diesem Tempo nicht weitergehen wird; wir kämen sonst,«
fügte er etwas gezwungen lächelnd hinzu, »mit allzu großer Verspätung auf
dem Mars an.«

»Ein paar Tage mehr oder weniger spielen bei unserer Reise keine Rolle,«
antwortete Thudium.

Doch Herr Stiller gab keine Antwort mehr. Ernste Gedanken zogen in sein
Gehirn und begannen ihn zu quälen. Diese Gedanken wollte er einstweilen für
sich behalten. Wozu die Ruhe, das Vertrauen der Gefährten schon jetzt
erschüttern? Die Zeit brachte von selbst Rat und vielleicht auch -- Hilfe.

So verstrichen der zweite und der dritte Tag der Reise.


Am Ende des letzteren betrug die zurückgelegte Entfernung 324000 Kilometer.
Die Geschwindigkeit des Weltenseglers hatte also doch etwas zugenommen,
dank der von ihm aus seinen Apparaten nach außen hin abgegebenen
elektrischen Kraft, die von Professor Stiller im Vereine mit Piller und
Hämmerle einer sorgfältigen Messung unterlag. So vergingen die Stunden.
Keiner der Herren vermochte zu schlafen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach
mußte der Weltensegler noch diese Nacht in die unmittelbare Nähe des Mondes
gelangen.

Eine plötzliche, von außen her in die Gondel dringende Helle ließ sofort
Professor Stiller den elektrischen Strom schließen. Das Luftschiff begann
langsamer zu fahren und stoppte endlich. Die Herren stürzten nach den
Fenstern der Gondel, um den ganz unbegreiflichen Stillstand zu ergründen.
Staunende Bewunderung über das, was sich ihren Augen bot, wirkte im ersten
Augenblick so lähmend auf die Insassen der Gondel, daß sie minutenlang wie
gebannt in stummem Entzücken dastanden. Dann aber brach sich eine laute
Begeisterung Bahn.

»Großartig! Einzig schön! Allein die Reise wert! Ein Bild ohnegleichen! Der
Mond, der Mond!« so kam es über die Lippen der Beschauer. Unmittelbar unter
ihnen zeigten sich, hell beschienen von der Sonne, gewaltige, oft
zerrissene, wild zerklüftete, trotzig emporstrebende Berge, die Schatten
von wunderbarer, ungekannter Schärfe warfen. Zwischen ihnen gähnten
Tausende von Metern tiefe Abgründe, und eine Unmasse ausgebrannter Krater
schob sich zwischen die Abgründe und die Felsenmauern. Ziemlich ebene
Landschaften waren wiederum von wallartigen Ringen ehemaliger gewaltiger
Vulkane umkränzt. Dieses so umschlossene Land lag bedeutend höher als das
außerhalb der Wälle sichtbare, aus dem sich wiederum da und dort
kegelförmige Berge, die Reste einstiger Vulkane, scharf abhoben. Die
merkwürdige Beleuchtung mit ihren einzig schönen Schattenbildern, überhaupt
der ganze Eindruck war so eigenartig, in dieser Form so völlig verschieden
von dem, was die Herren von der Erde her kannten, daß sie einen Vergleich
damit gar nicht zu ziehen vermochten.

Wohin sie auch ihre Blicke richteten, nirgends, aber auch nirgends konnten
sie Spuren von Pflanzenwuchs oder Wasser entdecken. Kein See, kein Strom,
kein wogender Ozean, kein grünender Rasen, Strauch oder Baum, nichts, rein
nichts zeigte sich. Das stumme, ergreifende Bild des starren Todes, das
sich hier den Reisenden offenbarte, verfehlte auf diese seine Wirkung
nicht. Die erste laute Begeisterung war rasch einer großen Stille gewichen,
dem tiefen Ernste, den der Tod bei jedem denkenden und empfindenden
Menschen hervorbringt. Nur kurze Zeit hatte man sich der Betrachtung
desjenigen Teiles des Mondes hingeben können, der von der Gondel aus
sichtbar war. Der Weltensegler fing an langsam zu fallen.

»Auf dem Monde können wir uns weder braten lassen, noch wollen wir auf ihm
erfrieren,« rief Professor Stiller. »Wir müssen also schleunigst aus seiner
wegen der Anziehung für uns gefährlichen Nähe weg und wieder hinaus in den
Weltäther.«

Rasch wurde die elektrische Kraft wieder in Tätigkeit gebracht; die Flügel
der Schraube drehten sich, und der Weltensegler entfernte sich schneller
und immer schneller vom toten Kinde der noch lebendigen Mutter Erde.

Die Berechnungen von Professor Stiller gingen dahin, daß nach Kreuzung der
Mondbahn und glücklicher Überwindung der Anziehungskraft des Mondes der
Weltensegler bald selbst in die eigentliche Anziehungssphäre des Mars
gelangen müsse, als desjenigen großen Gestirns, das sich augenblicklich der
Erde noch am meisten genähert hatte. Diese Erdnähe mußte begreiflicherweise
die natürliche, auf elektromagnetischen Strömungen beruhende Gravitation
zwischen Mars und Erde ganz bedeutend beeinflussen. Daraus folgte, daß,
wenn ein den Gesetzen der Anziehungskraft unterworfener Körper, wie ihn
beispielsweise der Weltensegler darstellte, in den Bereich dieser Anziehung
gelangte, er in dem Maße vom Mars angezogen wurde, als er ihm näher stand
als der Erde.

Von der Erde war nun der Weltensegler jetzt genau -- nach Passage der
Mondbahn -- 386492 Kilometer entfernt. Es konnte daher keinem Zweifel
unterliegen, daß der Weltensegler bereits unter der Anziehungskraft des
Mars stand, die Stillersche Rechnung somit stimmte, denn das Luftschiff
flog mit gleichmäßiger Geschwindigkeit und in derselben steten östlichen
Richtung weiter. Die anfänglich gefürchtete Einwirkung der Anziehungskraft
der Sonne konnte nun endgültig ausgeschaltet werden. Der Weltensegler
befand sich auf dem richtigen und unmittelbaren Wege zu seinem Ziele.

Schon längst war es wieder dunkle Nacht außerhalb der Gondel, und die
furchtbare Kälte des Weltraumes umgab den Ballon. Trotz des hermetischen
Abschlusses und der dicken Pelzlager der Gondel vermochten sich die
Reisenden gegen die Kälte nur durch elektrische Beleuchtung und Heizung zu
schützen.

Ein Tag verging so nach dem andern. Aus der ersten Woche wurde die zweite,
aus der zweiten die dritte, aus der dritten die vierte, und noch immer
wollte der Flug des Weltenseglers kein Ende nehmen.

Eines Tages -- es war in der vierten Woche der Reise -- begann die Stille
des Gondelinnern ein eigenartiges Geräusch zu unterbrechen.

»Was ist denn los?« fragten die Gelehrten erstaunt Professor Stiller.

»Ich kann es mir nicht erklären,« entgegnete dieser. »Weder unsere Uhren
noch der Geschwindigkeitsmesser können die Ursache dieses auffallenden
Rasselns sein. Und doch muß diese hier innen zu suchen sein, da der
Weltäther bekanntlich keine Schallwellen vermittelt.«

Während Herr Stiller so sprach, forschte er nach der Ursache des sich mehr
und mehr verstärkenden Lärmes.

»Ich kann wirklich nichts finden. Alle unsere Apparate für Luft und
elektrische Kraft sind in Ordnung und funktionieren ruhig und tadellos.
Aber halt, da fällt mir ein, es ist ja die Luft in unserer Gondel selbst,
die den Schall überträgt, dessen Ursache draußen im Weltenraume liegen
muß.«

»Dann ist es vielleicht irgendein Weltkörper, in dessen Nähe wir gelangt
sind,« warf Professor Hämmerle besorgt ein.

In der Gondel surrte und schwirrte es nachgerade wie in einem
Uhrmacherladen. Es schien, als ob Hunderte von Weckern losgegangen wären.

»Das ist ja ein Höllenlärm, bei dem einem Hören und Sehen vergeht!« brüllte
Professor Thudium wütend. Aber in dem allgemeinen, betäubenden Rasseln
erstarb seine Stimme.

Da erschreckte eine plötzliche Helligkeit, loderndem Feuer gleich, die
sieben Insassen der Gondel. Eine Verständigung war des Lärmes wegen
unmöglich geworden. Vor dem blitzenden Lichte, das durch die Fenster drang,
schlossen die Reisenden unwillkürlich die schmerzenden Augen. Jeder
Versuch, sie zu öffnen, erhöhte das fürchterliche Schmerzgefühl. In diesem
kritischen Augenblick erinnerte sich Professor Dubelmeier glücklicherweise
seiner Gletscherbrille, die er als leidenschaftlicher Bergsteiger in den
Universitätsferien stets bei sich trug, und die er wohlverpackt in einem
Futterale mitgenommen und in irgendeine Tasche seines Rockes gesteckt haben
mußte. Vorsichtig tastete er den Rock von außen ab. Richtig, da fühlte er
einen länglichen Gegenstand in der oberen rechten Seitentasche. Es war die
Brille, dem Himmel sei Dank! Endlich hatte er sie auf die Nase gebracht.
Geschützt durch die dunklen Gläser, vermochte er nun seine Augen zu öffnen.
Zunächst ließ er seine Blicke in der Gondel herumwandern. Stumm, mit
geschlossenen Augen lagen seine Gefährten da. Der Ausdruck ihrer Gesichter
trug den Stempel in ihr unabwendbares Schicksal ergebener Männer.

Mit zitternden Knien und klopfendem Herzen schlich sich Professor
Dubelmeier zu dem ihm zunächst liegenden Glimmerfenster. Er wollte den
Versuch machen, die Schutzvorrichtung an ihm herabzulassen, an die in dem
wahnsinnigen Lärm merkwürdigerweise keiner der Herren bis jetzt gedacht
hatte. Behutsam spähte er dabei hinaus in den unermeßlichen Weltraum. Aber
welch überwältigendes Schauspiel bot sich ihm hier! Vor Aufregung hierüber
vergaß er die Schutzvorrichtung. Sein Sinnen und Denken war von dem
Naturschauspiele da draußen völlig gefangengenommen.

Aus Millionen von Leuchtkugeln, die ähnlich der Milchstraße am nächtlichen
Himmel einen breiten Strahlengürtel bildeten, funkelte und blitzte es in
märchenhafter Pracht herüber aus der Ferne. Was mochte das wohl sein? Da
mußte sofort Kollege Stiller gefragt werden, denn möglicherweise konnte
durch ihn noch eine dem Weltensegler drohende Gefahr abgewendet werden.
Professor Dubelmeier ließ zunächst die Schutzvorrichtung an den Fenstern
herab, trat dann auf Stiller zu, stülpte ihm die Schutzbrille auf die Nase
und rüttelte ihn aus seiner Betäubung wach. Erstaunt über sein so plötzlich
wiedergekehrtes Sehvermögen erhob sich Professor Stiller mit der Brille
seines Freundes und folgte dessen stummer Gebärde. Er zog die
Schutzvorrichtung des Fensters weg und blickte hinaus. Gebannt von dem sich
ihm bietenden Schauspiel blieb auch er einige Minuten am Fenster stehen,
versunken in den Zauber des Anblicks. Nun war ihm die Ursache des tollen
Rasselns, der Erscheinung überhaupt, klar. Der Weltensegler war auf seiner
Bahn nach dem Mars in die Nähe eines durch den Weltäther dahinsausenden
Kometen gekommen, der eben diese Bahn kreuzte. Eine unmittelbare Gefahr für
den Weltensegler war bei der immerhin noch großen Entfernung und der
ungeheuren Geschwindigkeit der Kometenbewegung nicht vorhanden, wenigstens
nicht für die nächsten Stunden. Beruhigt, aber doch halb berauscht von der
einzigartigen Erscheinung, verließ Herr Stiller das Fenster.

Wie es Professor Dubelmeier mit ihm gemacht, so machte es Stiller mit
seinem Kollegen Piller, dieser wiederum mit Hämmerle und so weiter, so daß
jeder der Reisenden sich das großartige Schauspiel ohne Gefahr für sein
Sehvermögen betrachten konnte. Zu einer Aussprache aber kam es erst nach
einigen Stunden, als das Geräusch des vorbeiziehenden Kometen nach und nach
abzunehmen begann.

Dann erklärte Professor Stiller seinen Gefährten die Ursache der
Erscheinung und pries laut Dubelmeiers Schutzbrille.

»An so vieles dachte ich bei der Auswahl der mitzunehmenden Sachen, und ich
glaubte auch, wirklich nichts vergessen zu haben. Ich gestehe aber, daß ich
auf den praktischen, so naheliegenden Gedanken einer Schutzbrille nicht
gekommen bin. Da sieht man wieder die eigene Unzulänglichkeit, den Mangel
an Verlaß auf sich selbst. Freund Dubelmeiers Sorgfalt hat uns einen großen
Dienst geleistet.«

»Na, nun aber sagen Sie, Mann, wie kamen denn gerade Sie auf den Einfall,
eine Gletscherbrille in das Luftschiff mitzunehmen?« fragte Professor
Piller neugierig.

Dubelmeier wurde verlegen und wollte zuerst nicht recht mit der Sprache
heraus. Auf allseitiges Fragen und Drängen hin gestand er endlich, daß er
sich nicht hätte mit dem Gedanken befreunden können, jahrelang seinen
geliebten Bergtouren zu entsagen. Da habe er, in der stillen Hoffnung,
solche auch auf dem Mars ausführen zu können, wenigstens seine
Gletscherbrille eingesteckt.

»Und wo steckt denn Ihr Eispickel und die sonstige Ausrüstung? Davon sehe
ich nichts,« forschte Professor Brummhuber.

»Mit Ausnahme meiner genagelten Schuhe habe ich alles andere seufzend in
Tübingen gelassen,« antwortete Herr Dubelmeier.

»Ein weises Verfahren, fürwahr, denn für die Mitnahme derartigen Gepäckes
wäre das Innere unserer Gondel doch etwas ungeeignet,« lachte Professor
Stiller. »Aber Ihre Brille in Ehren, die hat uns gute Dienste geleistet.«

Der Durchgang des Kometen durch die Anziehungssphäre des Mars hatte aber
auf die Vorwärtsbewegung des Weltenseglers selbst ungünstig eingewirkt. Bei
genauer Kontrolle des Geschwindigkeitsmessers bemerkte Professor Stiller
mit Schrecken, daß sich der Ballon in den soeben verflossenen ernsten
Stunden nur mit dem zehnten Teil der bisherigen Schnelligkeit nach dem Mars
zu bewegt habe. Erst nach und nach schien der Weltensegler wieder in die
frühere Geschwindigkeit übergehen zu wollen. Das aber bedeutete eine
unliebsame Verlängerung der an sich schon so mühseligen Reise, die unter
Umständen noch recht unangenehme Nachwirkungen haben konnte.

An die Stelle der früheren Lebhaftigkeit der Unterhaltung, des körperlichen
und geistigen Wohlbefindens war nach und nach eine gewisse Mattigkeit, eine
mehr oder weniger große Abspannung getreten, die die Kometenerscheinung nur
vorübergehend zu unterbrechen vermocht hatte. Bei diesem und jenem der
Herren erschien bereits als drohendes Gespenst die beginnende Langeweile,
der Anfang zur Lethargie. Die Reise in dem verhältnismäßig doch engen,
eingeschlossenen Raume fing an, zu lange zu dauern. Dazu kam auch noch der
Mangel körperlicher Bewegung und der gewohnten geistigen Beschäftigung.

Alle allgemein wie im besonderen interessierenden wissenschaftlichen
Fragen, die Einzelheiten des bisherigen Verlaufes der Reise waren schon so
vielseitig und so oft besprochen worden, daß sie längst ihren Reiz verloren
hatten. Still, stumm, fast apathisch saßen oder lagen jetzt, in ihre
Pelzmäntel gewickelt, die meisten Herren, die bis vor kurzem noch so heiter
und lebensfroh gewesen waren, in der Gondel herum. Nur nicht zum zweitenmal
eine so entsetzlich lange Fahrt mehr machen, die nicht einmal einen guten,
warmen Imbiß oder freie Bewegung der nahezu steif gewordenen Gliedmaßen
gestattete! Und war man denn so sicher, das Ziel zu erreichen? Wenn nicht,
was dann? Ja, was dann? Das waren die Gedanken und die bangen Fragen, die
die Herren bewegten, die sie in ihrem Gehirn, das zu schmerzen anfing,
herumwälzten.

Diese verdammte Marsreise! Wie verlockend, geradezu verführerisch, ja
berauschend, die gesunden, klaren Sinne umnebelnd, war sie ihnen zuerst
erschienen! Wie sehr hatte man diese lange Kerkerhaft in dem engen,
schmalen Raume, die lange Entbehrung des natürlichen Lichtes der Sonne in
ihrer Wirkung unterschätzt! Professor Piller schimpfte wohl in der ersten
Zeit der Reise über eintretende Blutarmut, Störungen im Stoffwechsel trotz
ausgezeichneter Eßlust und dergleichen, jetzt aber lag auch er halb
stumpfsinnig in einer Ecke der Gondel, verwünschte im stillen sich, seine
Genossen, den Weltensegler, das ganze Universum, besonders aber den
Verführer Mars. So empfanden und dachten auch mehr oder weniger die übrigen
Herren. Und erinnerten sie sich daran, wie bequem und angenehm sie einst in
Tübingens Mauern gelebt, wie sie jeden Abend nach getaner Arbeit an ihrem
Stammtisch in anregender Gesellschaft und bei kühlem, frischem Trunke
gesessen, so erfüllte sie aufrichtiges Bedauern, diese verrückte Reise
überhaupt unternommen zu haben.

»Hol' der Teufel den Mars!« kam es einmal laut über die Lippen von
Professor Piller. Es war genau das, was er soeben gedacht hatte.

»Das wollen wir nicht wünschen,« erwiderte in etwas herbem Tone Herr
Stiller. »Daß die Expedition mit allerlei Gefahren und auch materiellen
Entbehrungen verschiedenster Art zu rechnen haben würde, war von vornherein
für jeden von uns klar. Wir können uns also hinterher nicht beschweren.
Solche Beschwerden sind unser nicht würdig. Schweig und dulde! heißt es für
uns.«

»Wahr gesprochen!« bestätigte Bombastus Brummhuber. »Aber schließlich muß
auch das Schweigen und Dulden ein Ende nehmen.«

»So warten Sie doch erst ab, was kommt!« rief Professor Stiller zornig.

»Aber Sie sagten doch, daß die Reise nicht länger als einige Wochen dauern
werde,« warf Frommherz ein, »und nun ist diese Zeit herum und . . .«

»Sie sollten am allerwenigsten die Geduld verlieren, Frommherz,« unterbrach
Stiller den Gefährten. »Im übrigen habe ich niemals eine genaue Angabe
darüber gemacht, wie lange die Reise dauern werde, aus dem ganz einfachen
Grunde, weil ich dies auch nicht gekonnt hätte. Ich sprach von mehreren
Wochen im allergünstigsten Falle. Lassen Sie sich nicht entmutigen dadurch,
daß die Reise sich länger hinauszieht, als mir selbst lieb ist. Im
Gegenteil, fassen Sie Mut! Wir haben ihn dringend nötig.«

»Was heißt das? Drücken Sie sich klarer aus, Stiller!« tönte es von
verschiedenen Seiten.

»Nun, ich denke, daß es deutlich genug war, was ich mit meinen Worten sagen
wollte: wir haben erst einen Bruchteil der Reise hinter uns. Vor uns liegt
noch eine riesige Strecke, die an unsern Mut und an unsere Widerstandskraft
alle Anforderungen stellt.«

»Wie groß ist die Entfernung noch?«

»Noch etwa dreißig Millionen Kilometer!«

»Dreißig Millionen Kilometer? Kaum die Hälfte! Einfach entsetzlich!«
stöhnte Professor Dubelmeier.

»Wie soll das enden!« seufzte Frommherz.

»Hoffen wir, gut, sonst würden Sie, lieber Frommherz, eben schneller gen
Himmel fahren, als Sie vielleicht wollen,« spottete Professor Stiller, über
den nachgerade eine Art von Galgenhumor kam.

Doch diese Stimmung hielt bei Professor Stiller nicht lange an. Sie wurde
nur allzu rasch durch die Sorge um das Wohl und Wehe der Expedition
zurückgedrängt. Er war der eigentliche Urheber, der Vater dieses kühnen
Unternehmens. Mithin trug auch er allein die volle Verantwortung für das
Leben seiner Gefährten, die sich im Vertrauen auf seine Angaben ohne Zögern
zur Mitreise entschlossen hatten. Professor Stiller war bei aller nervösen
Hast, bei aller Neigung, überall nur das Beste zu sehen und die kühnsten,
schwierigsten Probleme mit einer gewissen Leichtigkeit zu behandeln, und
trotz seines leicht erregbaren Charakters ein viel zu biederer und
ehrlicher Mann, um sein eigenes Tun und Lassen nicht immer wieder einer
strengen Selbstkritik zu unterziehen.

Mehr als einmal schon hatte er es im stillen verwünscht, diese Reise nicht
allein oder wenigstens nur in Begleitung eines erprobten Dieners
unternommen und nicht von vornherein auf die Teilnahme seiner Kollegen
verzichtet zu haben. Noch hatte er bis zur Stunde von den Gefährten keine
umittelbaren Vorwürfe zu hören bekommen. Die kurze Unterhaltung von vorhin
aber, die körperliche und geistige Verfassung seiner Genossen bewiesen ihm
nur allzu deutlich, daß das bisherige gute und friedliche Zusammenleben in
der Gondel die erste schwere Erschütterung erfahren hatte. Gleich in den
ersten Tagen der Reise hatten ihn schon gewisse Zweifel und trübe Gedanken
gequält, die er zuerst noch leicht abzuschütteln vermochte, die aber immer
wieder und stärker auftauchten und sich nun nicht mehr so rasch bannen
ließen wie im Anfange.

Was Professor Stiller am meisten beschäftigte, das war der verhältnismäßig
langsame Flug des Weltenseglers. Er hatte ganz bestimmt darauf gerechnet,
daß das Luftschiff, kaum in den Anziehungskreis des fernen Weltkörpers
gelangt, diesem selbst mit blitzartiger Geschwindigkeit zufliegen werde,
und nun mußte er sich eingestehen, daß er sich hierin ganz gehörig
getäuscht habe. Zu diesem großen Irrtum gesellten sich zwei weitere: die
Vorräte an fester Luft und an elektrischen Energiemengen waren auf eine
kürzere Reise, das heißt auf einen rascheren Flug, berechnet gewesen und
mußten bereits in wenigen Wochen zu Ende gehen.

Am das Maß der Sorgen voll zu machen, nahmen auch die Nahrungsmittel
überaus schnell ab. Es war zwar ein großer Vorrat an Speisen und Getränken
für eine Reisedauer von drei Monaten mitgenommen worden, aber Herr Stiller
hatte nicht mit dem gesunden Appetit seiner Gefährten gerechnet. Anfangs
hatte er sich über ihre Eßlust gefreut, in dem sichern Bewußtsein, der
Weltensegler werde in weniger als der Hälfte der Zeit, für die die
Lebensmittel bestimmt waren, sein Ziel erreichen, jetzt aber, als er sich
in dieser Erwartung getäuscht sah, kam zu den andern schweren Kümmernissen
auch noch die Sorge um die Ernährung.

Wohl oder übel mußte schon jetzt, von heute ab eine Kürzung der täglichen
Nahrungsrationen eintreten, wollte man mit den Vorräten noch längere Zeit
auskommen. Ganz besonders waren es die Getränke, die stark abgenommen
hatten, und der Vorrat an dem so beliebten Göppinger Wasser wies geradezu
erschreckende Lücken auf.

So entstand aus dem ersten großen Irrtum eine ganze Reihe unangenehmster,
in ihren Wirkungen gar nicht übersehbarer Folgen. Das Gemüt Herrn Stillers
verdüsterte sich in dem Maße, als er sich dies alles klar zu machen suchte.
Zunächst trat an ihn die Frage heran, wie er es am besten anfangen sollte,
seinen Kollegen die Zweckmäßigkeit einer Beschränkung ihrer täglichen
Speisen und Getränke vor Augen zu führen. Diese Aufgabe richtig zu lösen,
ohne die Gefährten zu verletzen und ihre an sich schon gereizte Stimmung
noch schlimmer zu gestalten, erschien Professor Stiller kaum lösbar.

»Wenn doch ein Wunder geschehen und die Geschwindigkeit der
Vorwärtsbewegung des Weltenseglers sich verdoppeln möchte, dann wäre ich
mit einem Schlage alle diese heillosen Schwierigkeiten los!« dachte
Professor Stiller. Aber kein Wunder geschah. Der Weltensegler bewegte sich
gleichmäßig wie bisher weiter, trotz eifrigster Beobachtung des
Geschwindigkeitsmessers durch den Professor.

»Ersticken, erfrieren, verhungern, bevor wir den Mars erreichen --
wahrhaftig wir haben die Auswahl unter den schlimmsten aller Todesarten!
Was nützt es schließlich, meinen Gefährten durch Verringerung ihrer Nahrung
das bißchen Freude zu verderben, das ihnen der Genuß von Speise und Trank
noch bereitet, wenn uns der Tod sowieso in sicherer Aussicht steht? Am
besten ist, ich lasse die Sache beim alten. Punktum!« Zu diesem Entschluß
kämpfte sich nach langem, trübem Sinnen der Professor endlich durch.

Die Woche ging zu Ende. Mit ihr waren die Marsreisenden in das neue Jahr
eingetreten. Keiner von ihnen hatte sich um den Jahreswechsel gekümmert,
der früher von ihnen unten auf der Erde in lauter Fröhlichkeit begangen
worden war. Eine dumpfe Gleichgültigkeit hatte sich der Gesellschaft
bemächtigt und benahm ihr auch mehr und mehr die frühere Lust am Essen.

»Gelange ich glücklich aus dieser Gondel heraus auf den Mars und finde dort
auch nur einigermaßen annehmbare Lebensbedingungen vor, so haben mich
Schwabenland und Erde für immer gesehen. Keine Gewalt des Himmels soll mich
dann je wieder zu einer solchen Reise verleiten,« äußerte sich eines Tages
Professor Friedolin Frommherz, und ihm stimmten mehrere der Herren
kopfnickend bei.

Professor Stiller entgegnete nichts auf diese Äußerung, die so offen die
Empfindung seiner Gefährten wiedergab. Angesichts der außerordentlich
kritischen, täglich sich mehr verschärfenden Lage des Weltenseglers
erschienen ihm alle diesbezüglichen Meinungsäußerungen seiner Kollegen als
höchst überflüssig. Er hüllte sich daher in düsteres Schweigen und begann
über die möglichen Mittel und Wege einer Beschleunigung der Reise
nachzusinnen.

»Wer sich selbst aufgibt, ist überhaupt von vornherein schon verloren. Wo
sich nur immer ein Schimmer von Hoffnung zeigt, und wäre er noch so klein
und schwach, da sieht der mutige Mensch noch die Möglichkeit eines Ausweges
und einer Rettung, während der Mutlose der Verzweiflung anheimfällt. War
ich denn schwach und feige, oder bin ich es wirklich?« fragte Professor
Stiller sich. »Wovor fürchte ich mich eigentlich? Vor dem Tode, vor dem
Verlust meines Lebens, das im Dienste der Forschung, der Allgemeinheit
allerdings wertvoll war, von mir persönlich aber niemals hoch eingeschätzt
wurde?«

Der großartige Gedanke dieser Reise, der sinnreiche Bau des Weltenseglers,
der sich bis zur Stunde so ausgezeichnet bewährt hatte, das alles war doch
schließlich sein ureigenstes Werk, dem er in jeder Beziehung so viele Opfer
gebracht hatte. Schon vor Ausführung der Reise hatte er ja mit der
Möglichkeit eines Scheiterns der Expedition gerechnet. Trotzdem war er voll
Mut und Hoffnung auf Überwindung aller Gefahren von der Heimat abgefahren.
Und nun, wo die Sache anfing kritisch zu werden, da sollte ihm wie einem
Schwächlinge der Mut sinken? Wie stand er eigentlich vor sich selbst da?
Eine Röte der Scham stieg bei diesem Gedankengange in sein Gesicht. Weg mit
allem, was nach Schwäche, nach Feigheit aussah! War es ihm wirklich vom
Schicksal bestimmt, schon jetzt sterben zu müssen, in der Blüte und
Vollkraft der Jahre, nun dann in Gottes Namen! Aber dann war auch die Art
des Unterganges seiner würdig: sie war ebenso groß wie eigenartig. Sein und
seiner Gefährten Namen würden, wenn sie selbst schon längst im Weltraume
verschollen waren, für immer achtungsvoll unten auf der Erde genannt
werden. Mit goldenen Lettern waren sie in den Annalen der Weltgeschichte
und der Wissenschaft als kühne, wenn auch unglückliche Weltensegler
eingetragen. Der Gedanke daran war auch ein Trost und zwar ein großer,
stolzer und zugleich erhebender. Da gelobte sich Professor Stiller von
neuem, mit Entschlossenheit und offenen Auges der Zukunft entgegenzugehen,
mochte sie bringen, was sie wollte. Eine wunderbare Ruhe kam allmählich
über ihn. Sie ließ ihn wieder klarer denken und überlegen. Zunächst begann
er, den noch vorhandenen Vorrat an elektrischer Kraft auf das sorgfältigste
festzustellen. Tagelang rechnete er hin und her. Die Entfernung des
Weltenseglers vom Mars betrug noch rund achtzehn Millionen Kilometer. Die
Wirkung der Anziehungskraft des Planeten auf den Weltensegler konnte von
diesem aus gesteigert werden, wenn man sich entschloß, einen Teil der
gebannten, festgelegten elektrischen Kraft zu opfern, hinaus in den
Weltraum, dem Mars entgegen zu senden. Allerdings war dieser Versuch, wie
Professor Stiller sich selbst gestand, sehr gewagt: es verringerte den für
die Beleuchtung und Erwärmung des Gondelinnern so notwendigen Energievorrat
außerordentlich rasch. Aber es konnte kein Schwanken mehr für ihn geben,
nachdem er sich zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, daß die Opferung
eines großen Teiles der elektrischen Energiemengen noch die einzige
Möglichkeit der Rettung des Lebens und des Gelingens der Expedition in sich
schließe. Es war ein Va-banque-Spiel, aber es mußte unter diesen
Verhältnissen gespielt werden. Es blieb keine andere Wahl.

Professor Stiller machte sich sofort an die Arbeit. Anfangs schauten die
Herren der neu erwachten, energischen Tätigkeit ihres Genossen stumm,
nahezu gleichgültig zu. Nach und nach aber erwachte in ihnen doch wieder
die Neugier und damit das eingeschlafene Interesse an der Wissenschaft.

»Stiller, was machen Sie da?« fragte man den Professor aus den
verschiedenen Ecken der Gondel heraus, in denen die Herren herumlagen.

»Ich arbeite an unserer Rettung,« entgegnete kurz der Gefragte.

»Fürwahr, ein löbliches Werk!« bemerkte Frommherz mit schwacher Stimme.

»Erklären Sie uns Ihr Unternehmen!« bat Professor Dubelmeier.

»Lassen Sie mich nur ruhig gewähren, werteste Freunde! Meine
Auseinandersetzungen müßte ich mit so vielen Zahlen belegen, daß Ihnen der
Kopf brummen würde, und der bedarf bei uns allen jetzt ganz besonderer
Schonung.«

»Stiller hat recht!« entschied Professor Piller. »Reichen Sie mir lieber
aus dem Schrank, an dem Sie sitzen, eine Flasche unseres heimischen Weines.
Ich will wieder Lethe trinken, Lethe!«

»Piller, Sie trinken entschieden zuviel,« mahnte Dubelmeier, entsprach aber
doch der Bitte des Freundes, indem er ihm eine Flasche mit dem hellroten
»Zuckerle« hinüberreichte »Der Alkohol ist ein Feind des Gehirns, das
sollten Sie doch als Medizinmann am besten wissen.«

»Meinetwegen!« gähnte Professor Piller. Dann verriet ein lauter, gurgelnder
Ton aus der Ecke den kräftigen Zug des Trinkenden. »So, das hat geschmeckt.
Es geht eben doch nichts über einen guten Tropfen,« brummte Piller. »Und
nun, Dubelmeier, rate ich Ihnen dringend, mit dieser Art von Gehirnfeind
ebenfalls nähere Bekanntschaft zu machen. Göppinger Wasser allein tut's
freilich nicht, uns und unsern Denkkasten auf dieser vermaledeiten Reise
mobil zu erhalten.« Nach diesen Worten schloß Professor Piller wieder die
Augen und schlief ruhig ein. Auch die andern Herren sanken rasch wieder in
den alten lethargischen Zustand zurück.

Unterdessen hatte Professor Stiller die Wirkung seines Versuchs beobachtet.
Der Schnelligkeitsmesser notierte tatsächlich eine nennenswerte Vermehrung
der Geschwindigkeit gegenüber der bisherigen. Bereits wiegte sich der
Professor in der Hoffnung auf das Gelingen des Experimentes, -- da trat ein
neues Ereignis ein.

»Was, Teufel, ist denn wieder los?« fragte Piller, plötzlich aus seiner
Lethargie auffahrend, als sich ein seltsames, donnerähnliches Rauschen in
der Gondel hören ließ.

»Das klingt ja wie das Brausen eines Bergstromes, der ungezählte Trümmer
mit sich führt!« warf der bergkundige Dubelmeier ein.

Kaum war das Wort gesprochen, als ein schwerer Gegenstand die Gondel traf.
Erregt sprang Professor Stiller auf.

»Schnell, Freunde, helft die Fenster schützen! Trügt mich nicht alles, so
ist ein kosmischer Regen im Anzuge.«

Die Herren stürzten nach den vier Fenstern der Gondel und ließen
blitzschnell die Schutzvorrichtung herunterklappen. Ein von der Seite
kommender, kurzer, prasselnder Regen ging über den Weltensegler, mehr noch
über die Gondel nieder. Schon glaubte Herr Stiller jede Gefahr abgewendet,
als wiederum ein neuer, aber gewaltigerer Schlag, als es der erste war, die
Gondel traf. Ihm folgte ein Klirren und ein lauter Schmerzensschrei. Der
Ort, an dem sich der Geschwindigkeitsmesser in der Gondel befand, war durch
einen kleinen Meteoriten getroffen worden. Durch die furchtbare
Erschütterung war das Instrument verletzt und seine innere Glaseinfassung
zersplittert worden. Einer der Splitter hatte Professor Frommherz
getroffen, der nun stöhnend und blutüberströmt auf dem Boden der Gondel
lag.

Durch den Schlag war die Gondel so heftig auf die Seite geworfen worden,
daß eine heillose Verwirrung im Innern entstand. Erst nach einiger Zeit
hörte die schaukelnde Bewegung der Gondel auf und machte wieder der alten,
ruhigen Lage Platz. Weitere Schläge erfolgten nicht mehr, und Professor
Stiller konnte annehmen, daß der Weltensegler auch aus dieser Gefahr
unerwartet glücklich hervorgegangen sei.

Erst jetzt konnte Piller den Verwundeten untersuchen. Er stellte fest, daß
die Verletzung zum Glück nicht so schlimm war, wie sie den Anschein hatte.

»Sie jammern im umgekehrten Verhältnis zu Ihrer Wunde, Frommherz,« spottete
Piller, nachdem er die Wunde untersucht hatte.

»O Himmel, das fehlte gerade noch!« stöhnte der Verwundete, als Piller die
Nadel durch die Wundränder stieß. »Haben Sie Unmensch denn gar kein Gefühl
für mein Leiden?«

»Bah,« entgegnete Herr Piller trocken, »Unmensch hin, Unmensch her! Danken
Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie noch mit einem solchen Schmisse weggekommen
sind! Er wird sich auf Ihrer Stirn recht kühn ausnehmen, dieser länglich
rote Streifen.«

»Was wird man dann von mir denken?«

»Was man will! So, nun schneiden Sie kein solches Jammergesicht mehr. Die
Wunde ist genäht, der Verband befestigt. Watte, mit Göppinger Wasser
getränkt, entfernt aus Ihrem Antlitze die Blutspuren. Dann sehen Sie
reinlicher aus als wir. Nach einigen Tagen entferne ich die Fäden, und die
Sache hat ein Ende.«

»Ach, wäre es nur erst vorüber!«

»Wenn Sie damit die Reise meinen, so bin ich ganz Ihrer Ansicht. Einmal
aber muß diese vermaledeite Fahrt ihr Ende nehmen, so oder so,« brummte der
Medizinmann unmutig in den Bart.

Das Schlimme war, daß der Geschwindigkeitsmesser unbrauchbar,
funktionsunfähig gemacht worden war. An eine Reparatur des Werkes während
der Fahrt war gar nicht zu denken. Dieses peinliche Ereignis zog einen
bösen Strich durch alle Berechnungen Professor Stillers und raubte ihm jede
Möglichkeit der Kontrolle. Nun war alles dem blinden Zufall ausgeliefert.
An die Stelle genauer Berechnung trat jetzt ausschließlich die Vermutung.
Diese aber öffnete wieder allen trüben Gedanken Tür und Tor.

Weiter rollte die Zeit und weiter der Ballon auf seinem Wege. Die
Lebensmittel waren schon derart zusammengeschmolzen, daß trotz der geringen
Eßlust der Gondelbewohner in kürzester Zeit Nahrungsmangel eintreten mußte.
Auch der Vorrat an elektrischer Energie nahm in schreckenerregender Weise
ab. Wollte also Professor Stiller sich und seinen Gefährten nur noch für
wenige Tage Licht und Wärme erhalten, so mußte sofort mit der Abgabe der
elektrischen Kraft in den Ätherraum hinaus aufgehört werden. Schweren
Herzens stellte daher der Gelehrte die Verbindung nach außen hin ab.

Was werden die nächsten Tage bringen? In ihrem dunklen Schoße lag das
Schicksal, das Glück oder der Untergang der Expedition. Das elektrische
Licht in der Gondel fing an schwächer zu werden; eine empfindliche Kälte,
die sich trotz der Pelzkleidung der Männer nicht länger mehr bannen ließ,
machte sich mehr und mehr geltend. Ein dumpfer, gleichgültiger Zustand
hatte sich aller Gondelinsassen bemächtigt, der nach und nach in eine Art
von Bewußtlosigkeit überzugehen begann. Langsam schien das Ende für die
Dulder heranzukommen. Lange, bange Stunden verstrichen so; kein Laut ließ
sich mehr in der Gondel vernehmen. Da auf einmal ein gewaltiger Stoß.
Ballon und Gondel flogen zur Seite und schienen sich zu überschlagen. Die
armen Männer in der Gondel flogen übereinander, schlugen gegenseitig
aufeinander auf und begannen aus ihrem todesartigen Schlummer aufzuwachen.

Furchtbar erschrocken über die heftige Erschütterung, gelang es den Herren
nach langen Anstrengungen sich endlich aufzurichten. Als sie schließlich
mühsam die Augen zu öffnen vermochten, da fiel durch die zertrümmerten
Fenster der Gondel helles, strahlendes Sonnenlicht herein. Es bedurfte
einiger Zeit, bis die schmerzenden Augen der Reisenden sich an das so lange
entbehrte Licht der Sonne wieder gewöhnt hatten. Dann aber war plötzlich
alle Lethargie von ihnen gewichen.


Professor Stiller war der erste auf den Füßen. Unbekümmert um eine mögliche
Gefahr, streckte er mutig den Kopf zu einem Fenster hinaus, um die Ursache
des Zusammenstoßes des Weltenseglers mit einem andern, fremden Körper zu
erforschen; denn daß ein solcher stattgefunden haben mußte, war dem
Gelehrten sofort klar.

»Hurra! Hurra!« rief er, aufgeregt vom Fenster zurücktretend, seinen
Gefährten zu. »Hurra! Wir sind gerettet! Wir haben den kleinen Marsmond
Phobus, glücklicherweise nur sehr leicht, gestreift. Die äußerste Hülle
unseres Ballons ist allerdings gerissen und auch sonst ist, wie ich sehe,
vielerlei Schaden entstanden, aber das ist gleichgültig! Seht hier hinab,
da unten, da unten liegt der Mars! Gerettet, ge . . . .« Professor Stiller
fiel zurück. Eine tiefe Ohnmacht umfing ihn.

Professor Pillers energischen Anstrengungen gelang es endlich, den
Bewußtlosen dem Leben zurückzugeben.

»Wo sind wir?« fragte Professor Stiller mit schwacher, kaum vernehmbarer
Stimme.

»Das wissen wir selbst nicht recht. Jedenfalls noch immer in der Luft und
noch nicht auf festem Boden,« antwortete Professor Piller.

»So müssen wir die Ventile öffnen und den Weltensegler langsam und
vorsichtig zum Fallen bringen,« entschied Stiller.

»Aber fühlen Sie sich auch wieder so kräftig, die Leitung des Ganzen
übernehmen zu können?«

»Es muß einfach sein!« Mit diesen Worten erhob sich Professor Stiller, um
sich zunächst durch einen Blick aus dem Fenster über die örtliche Lage des
Ballons zu orientieren.

Richtig, da unten, nur wenige Kilometer vom Weltensegler entfernt, hob sich
scharf und deutlich eine breite, mächtige Wasserstraße ab, eine
dunkelgrüne, subtropische Vegetation umrahmte den Flußlauf. Dazwischen
eingestreut zeigten sich, vom warmen Sonnenschein übergossen, wohlbebaute
Felder und Gärten. Eigenartige, von weitem blendend weiß erscheinende
Bauten bewiesen die Nähe belebter Wesen. Die laute Begeisterung, die die
kühnen Weltfahrer einst bei der Passage des Erdmondes erfaßt hatte, machte
hier einer stummen Bewunderung Platz, als sie dankerfüllten Herzens gegen
das Geschick, das sie im letzten Augenblicke noch vor dem Äußersten bewahrt
hatte, von ihrer Gondel auf die märchenhaft schöne Landschaft
hinabschauten, der sie nun in raschem Fluge näherkamen.




Viertes Kapitel
Auf dem Mars


Vom Mars aus -- denn er war es wirklich -- hatte man das Luftschiff schon
längst bemerkt. Als es sich nun dem Boden näherte, strömte eine Anzahl von
Menschen, die hier herum wohnten, dem Orte zu, an dem das Luftschiff
niederging. Der Weltensegler hielt auf eine große, grüne Wiese zu, auf der
Gruppen edelster Viehrassen weideten. Professor Stiller warf das Kabel mit
dem Anker in weitem Bogen von der Gondel ab und deutete durch Zeichen und
Gebärden den untenstehenden Menschen an, was sie ungefähr tun sollten, um
das Luftschiff festzumachen. Die Marsleute begriffen auch sofort, was der
fremde Mann in seiner stummen Sprache von ihnen begehrte. Ohne jede Hast,
aber doch rasch und auffallend gewandt, war dem Wunsche des Professors
entsprochen worden. Nun lag das Fahrzeug fest und sicher vor Anker.

Die Strickleiter wurde aus der Gondel herabgelassen und an den hiezu
bestimmten Metallklammern befestigt. Die sieben Männer aus dem fernen
Schwabenlande stiegen nacheinander an ihr herab, um als die ersten
Erdgeborenen den Boden des Mars zu betreten. Eine weiche, balsamische, von
Wohlgerüchen erfüllte Luft umfing die kühnen Reisenden, als sie aus ihrer
Gondel herabgeklettert waren. Ein Gefühl der Wonne, des Geborgenseins,
unsäglicher Befriedigung zog in die Brust der armen, halbtoten Männer, als
sie nach so vielen Wochen zum erstenmal wieder festen Boden unter ihren
Füßen spürten. Ja, sie mußten sich selbst erst überzeugen, daß es wirkliche
Erde sei, auf der sie standen. Mit den Händen griffen sie nach dem Boden,
um sich von seiner erdigen Beschaffenheit zu überzeugen. Nein, es war kein
Traum, es war Wirklichkeit: sie standen auf richtigem Boden. Tausend-,
abertausendmal Dank dem Himmel, der sie ihr Ziel erreichen ließ! Tränen des
Glückes, der reinsten Freude liefen den hartgeprüften Männern über die
bärtigen Wangen, die seit langer Zeit nicht mehr gepflegt worden waren.

»Donnerwetter, wie sehen wir aus!« rief voll Entsetzen Professor Piller,
als er seine Genossen genauer im Lichte der Sonne betrachtete.

Dann aber brachen die Herren in lautes Lachen über die Komik ihres eigenen
Äußern aus. Professor Stiller begann nun, die ihn und seine Genossen
umgebenden Menschen zu mustern. In der Tat, das waren Menschen von Fleisch
und Blut, die hier herumstanden und mit freundlichem Lächeln die Erdensöhne
betrachteten.

»Sauberer, großer und schöner als wir sind sie entschieden. Oder sollten
wir am Ende gar zu den Göttern des Olymps und nicht nach dem Mars gekommen
sein?« bemerkte Professor Hämmerle, nachdem er seine Brillengläser geputzt
und die Brille auf die Nase gesetzt hatte.

»Warum das?« fragte Professor Dubelmeier.

»Eine Gesellschaft von Göttern scheinen mir diese Wesen hier zu sein. Sehen
Sie nur einmal diese geradezu klassisch schönen Gesichter, diese
prachtvollen Körperformen und die sie nur schwach verhüllenden antiken
Gewänder!«

»Der Vergleich hat entschieden viel für sich,« antwortete Professor
Stiller, »aber nach dem Olymp hätten wir viel näher gehabt als nach dem
Mars; diese eine Tatsache schon mag Sie aus Ihrem Wahn reißen, lieber
Hämmerle.«

Dabei zog er seinen Chronometer. Er wies auf die achte Stunde.

»Es ist noch früh am Morgen. Wir wollen sehen, was uns dieser erste Tag auf
dem Mars an merkwürdigen Erlebnissen bringen wird. Versuchen wir einmal
eine sprachliche Verständigung mit unsern neuen Freunden; denn daß sie das
sind, zeigt mir ihre freundliche und wohlwollende Haltung.« Mit diesen
Worten trat Professor Stiller zu den vordersten Marsmenschen vor, die ihn
in vornehmer Ruhe, ohne die geringste Furcht und ohne irgendein Zeichen des
Erstaunens an sich herankommen ließen.

»Wir sind doch auf dem Mars, nicht wahr?« Diese etwas banale Frage richtete
er in deutscher Sprache an die Leute. Aber diese schüttelten den Kopf und
erwiderten in wohllautender Sprache etwas, das Stiller wiederum nicht
verstand, das aber klang, als ob sie bedauerten, den Fremden nicht
begriffen zu haben.

»Die können nicht deutsch, natürlich. Das hätten Sie sich doch von
vornherein selbst sagen müssen, Stiller,« warf Professor Hämmerle tadelnd
ein.

»Nun, so examinieren Sie einmal, Hämmerle! Vielleicht gelingt es Ihnen mit
Ihren vielseitigen Sprachkenntnissen festzustellen, in welchem Idiom mit
den Leuten hier eine Verständigung möglich ist.«

Mit kraftvoller Stimme hub Hämmerle auf Altgriechisch an: »Freunde, wir
grüßen euch in herzlichster Art, wir, die von der fernen Erde hergeflogen
sind, um euch zu besuchen.« Keine Antwort, nur ein eigentümliches Lächeln
als Zeichen des Nichtverstehens. Jetzt deklamierte Hämmerle seine
Begrüßungsformel in lateinischer Sprache. Wiederum dieselbe Stille und
dasselbe Lächeln als Antwort.

»Vielleicht gelangen wir mit einer unserer modernen Sprachen eher zum
Ziele, da klassische Bildung diesen Wesen völlig abzugehen scheint,« sprach
Hämmerle, ärgerlich geworden über die Ergebnislosigkeit seiner ersten
Versuche. Aber auch Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch,
schließlich sogar Arabisch und Hebräisch führten zu keinem Ziele.

»Das fängt gut an!« murrte Professor Brummhuber.

»Wir müssen allem Anscheine nach die Marssprache erlernen,« bemerkte
Thudium.

»Wahr gesprochen!« bestätigte Frommherz.

»Aber siehe da, was kommt denn da für ein altes Haus?« rief Dubelmeier.

Ein älterer Mann von achtunggebietender Gestalt, mit weißem Haar und Bart,
ohne jegliche Kopfbedeckung, durchbrach die Reihe seiner Gefährten und
schritt stolz auf die sieben Schwaben zu. Gekleidet war der Alte wie seine
übrigen Genossen. Ein blusenartiges, schneeweißes Hemd aus feinster Wolle
mit purpurfarbenem Besatze hüllte den hohen, edlen Körper ein. Um die
Hüften war es durch ein breites Band von purpurner Farbe gehalten. An den
nackten Füßen trug er Sandalen aus feinem, gelbem Leder. Voll Ehrfurcht
machten ihm seine Gefährten Platz, und die Herren aus dem Schwabenlande
erkannten daraus sofort, daß ihnen in dem Alten ein Mann von hoher sozialer
Stellung entgegentrat.

Sie entblößten nun als Zeichen der Hochachtung das Haupt und erwarteten
voll Spannung die weitere Entwicklung der Szene. Der Alte ließ zuerst seine
Blicke über den Weltensegler gleiten, dann richteten sich seine klaren,
dunkelblauen Augen, aus denen ebensoviel Geist als Herzensgüte sprach, auf
die sieben Fremden, die er in einer harmonischen Sprache anredete, wobei er
hin und wieder auf das mächtige Luftschiff deutete und schließlich ihnen
durch eine freundliche Gebärde zu verstehen gab, ihm zu folgen.

Die Herren zogen nun mit dem Alten als Führer an der Spitze von dannen.
Ihnen schlossen sich in ruhiger, würdevoller Haltung die Marsbewohner an,
die beim Niedergange des Weltenseglers so bereitwillig hilfreiche Hand
geleistet hatten. Den Professoren schien es, als ob ein Märchen aus Tausend
und einer Nacht lebendig geworden wäre. Sie konnten sich nicht satt sehen
an all dem Schönen und Eigenartigen, das ihnen hier auf Schritt und Tritt
begegnete. Von der Wiese kamen sie auf einen mit feinem, weißem Sande
bestreuten, mit prächtigen, früchtebehangenen Bäumen eingefaßten schattigen
Pfad. Dieser führte auf eine große Anzahl von Gebäuden zu, die voneinander
getrennt und von prächtigen Gärten umgeben waren. Ihrer stattlichen Größe
nach zu urteilen, schienen es öffentliche Bauten zu sein, die sich da in
ihrem reinlichen Weiß aus dem Grün ihrer Umgebung abhoben.

Überall wuchsen hochstämmige Palmen, dazwischen prächtige, hellgrüne
Bananen und Farnbäume, vermischt mit einer Blumenpracht, wie sie die
Tübinger Professoren in dieser üppigen Entfaltung noch nie zuvor gesehen
hatten. Rosen-, lilien-, myrten- und lorbeerartige Gewächse, Orchideen und
eine Menge anderer Blumen wetteiferten miteinander an Glanz und Schönheit
der Farben und an Wohlgeruch. Schmetterlinge in allen Größen und Farben
wiegten sich in der warmen, herrlich zu atmenden Luft, und buntschillernde
Vögel ließen von den Bäumen herab ihr schmetterndes Morgenlied ertönen.

»Ein Paradies, in das wir gelangt sind,« sprach Professor Stiller leise zu
dem neben ihm schreitenden Professor Piller. »Ich muß meinen Gefühlen Luft
machen, meiner Bewunderung Worte verleihen. Sagen Sie, Piller, ist es Ihnen
nicht auch so wunderbar, so feierlich zumute wie mir, haben Sie nicht auch
ein Gefühl ungefähr so, wie es unser unsterblicher Uhland in seinem
Sonntagsliede zu so ergreifendem Ausdruck gebracht hat?«

»Na, na!« entgegnete Piller trocken. »Auch mir gefällt ja dieser Einzug auf
dem Mars gar nicht übel. Im übrigen aber haben wir heute zufällig Sonntag.
Wußten Sie das nicht, Stiller?«

»Nein! Mir entfiel die Zeitrechnung in den letzten Wochen vollständig.
Woher aber wissen Sie das?«

»Nun, als Sie heute früh in tiefer Ohnmacht lagen, da habe ich mit der Uhr
in der Hand Ihre Herztätigkeit kontrolliert. Meine Uhr zeigt aber zufällig
außer den üblichen Stunden, Minuten und Sekunden auch noch Monate und Tage.
Wir haben heute Sonntag, den 7. März.«

»Sonntag, den 7. März! Die heilige Siebenzahl in allem. Möge sie uns auch
weiter schirmend und schützend umgeben!« rief Professor Stiller.

»Vor allem wünsche ich mir ein gutes Essen nebst solidem Trunk; das frischt
die Lebensgeister besser auf und schützt sie gründlicher vor Verbrauch als
Ihre Siebenzahl. Wir haben in unserer Gondel zuletzt ein heilloses Leben an
Entsagung geführt; es ist höchste Zeit, wieder in einen guten Hausstand und
an einen richtigen Herd zu gelangen.«

»O Sie ewig Prosaischer!« erwiderte lächelnd Professor Stiller. »Hungern
und dürsten werden Sie hier oben nicht. Da sehen Sie einmal nach den
Früchten da drüben!«

Professor Piller folgte mit den Blicken der angegebenen Richtung.
»Donnerwetter!« entfuhr es seinen Lippen. »Sollen diese kolossalen Beeren,
die da herunterhängen, am Ende gar zu einer Weintraube gehören?«

»Nichts anderes! Das, was Sie sehen, ist eine Weintraube, wie sie in dieser
Größe eben nur dem subtropischen Klima eigen ist.«

»Dann leb' wohl, Zuckerle, Trank meiner Heimat!« rief Herr Piller so laut,
daß ihn die andern Kollegen hörten. »Leb' wohl, Zuckerle, denn den Tropfen,
den man hier aus diesen Ungeheuern von Beeren preßt, der muß ja einem wie
flüssiges Feuer durch die Adern rinnen, Halbtote, wie wir sind, wieder zu
freudigstem Lebensgenuß erwecken. Auf diesen Trunk freue ich mich.«

»Nektar und Ambrosia scheinen wir hier zu finden,« flötete Frommherz.

»Wollen gerne auf dieses griechische Götterzeug verzichten, wenn es nur
sonst hier was menschlich Anständiges für unsern Magen gibt,« antwortete
Piller.

Unter solchen Gesprächen gelangten die Herren mit ihrer Begleitung zu den
ersten Häusern. Zu ihrem Erstaunen mußten sie sich überzeugen, daß die
Gebäude, die sie aus der Ferne für öffentliche Bauten gehalten hatten,
nichts anderes waren als großartige Einfamilienhäuser oder Villen. Aus
weißen, sorgfältig behauenen Steinen ausgeführt, hatten sie vorn hohe,
säulengetragene Hallen, die einen überaus einladenden Eindruck machten und
von der Vorliebe der Bewohner für frische Luft und für freie und
uneingeengte Räume Zeugnis ablegten. Für das warme Klima waren solche
offene Hallen das einzig Richtige und Zweckmäßige. Breite Marmorstufen
führten zu ihnen empor und dienten blühenden Kindern, die nur mit einem
hellfarbenen, leichten, durch einen Gürtel um die Lenden festgehaltenen
Hemde bekleidet waren, als Spielplatz. Marmorfiguren hoben sich
stimmungsvoll zwischen den Bogen der Hallen ab. Alles atmete ruhige
Schönheit und Freude und verfehlte nicht seine tiefe Wirkung auf die
Reisenden.

Der Alte geleitete seine Gäste zu einem zweistockigen, palastartigen
Gebäude, das rings von üppigstem Pflanzenwuchs umgeben war und in seiner
Pracht einem Fürstensitz glich. Es war aber das Haus des Alten selbst, das
dieser den Fremdlingen zur ausschließlichen Benützung anwies. Auf breiten
Marmorstufen gelangten die Professoren in einen von Säulen getragenen,
offenen, großen Hof, in dessen Mitte ein mächtiger Springbrunnen sein
Wasser rauschen ließ. Rings um den Hallenhof lagen saalartige Zimmer, deren
Türen auf den Hof hinausführten. Rechts an der Halle befand sich die
Haupttreppe. Sie bestand aus zwanzig breiten Stufen, jede aus einem Stein
von vier Meter Länge. Sie führte zu einem Absatze mit einem großen Fenster.
Von diesem Absatze führten weitere zwanzig Stufen in die obere,
geschlossene Galerie, die durch große Fenster erhellt wurde und mit einer
prächtigen Kassettendecke geschmückt war. Von der Galerie aus gelangte man
in eine Reihe von Prunkgemächern, an die sich die Schlafzimmer und
Baderäume anschlossen. Der ganze Bau war voll Licht und Bequemlichkeit.

Auf ein Händeklatschen des Alten eilten einige jüngere Männer herbei, die
wahrscheinlich die dienenden Geister dieses Palastes waren. Der Alte sprach
mit den jungen Männern lange und eindringlich und bedeutete endlich seinen
Gästen durch Zeichen und Gebärden, sich hier häuslich niederzulassen.
Darauf verließ er sie nach einer freundlichen Verbeugung. Auch die Diener
verschwanden, erschienen aber bald wieder und brachten duftende, reine
Kleider und Sandalen, ähnlich denen, die sie trugen. In stummer, aber
zuvorkommender Art wiesen sie den Fremden den Weg zum Bade.

»Ich bin wirklich neugierig, was da noch alles kommen wird!« sprach Piller
lachend zu Professor Stiller. »Würde ich nicht wachen, wäre ich nicht
nüchtern wie ein Pudel und bei klarstem Verstande, ich würde glauben, daß
alles, was ich hier bis jetzt erlebt und, gesehen habe, nichts anderes als
ein tolles Spiel meiner Einbildungskraft ist.«

»Warten wir ab, Piller! Schlecht aufgehoben sind wir für den Anfang nicht,
im Gegenteil. Ich höre bereits in unserer Nähe Tische rücken.
Wahrscheinlich wird für unser Mahl gedeckt. Baden wir zuerst, reinigen wir
uns vom letzten Erdenstaube und den Schlacken der Reise, und beginnen wir
dann unser neues, so viel Interessantes versprechendes Leben auf dem Mars!«

»Mit Speise und Trank,« ergänzte Piller den Freund. »Jawohl, Stiller, wenn
Sie Idealist es auch nicht gern hören, ewig wahr bleibt es doch: Speise und
Trank bedarf der Sterbliche zuerst und vor allem, will er etwas leisten und
fest auf seinen Füßen stehen. Hoffentlich munden uns Kost und Trank auf dem
Mars. Also bis nachher!« Mit diesen Worten verschwand Piller in seinem
Badezimmer. Stiller sowie die übrigen Herren folgten diesem Beispiele und
plätscherten wenige Augenblicke später in dem angenehm erwärmten Wasser
ihrer geräumigen marmornen Badewanne.

Wunderbar gestärkt durch das Bad und eingehüllt in ihre frischen, bequemen
Kleider, fanden sich die Gelehrten eine halbe Stunde später in dem hohen,
luftigen Speisesaale des Hauses zusammen. Die Decke dieses Saales trug
farbenprächtige Gemälde in Medaillenform, die Fenster wiesen edle
Glasgemälde auf, und der Boden bestand aus Platten von verschiedenfarbigem
Marmor. In der Mitte des Saales stand der Tisch, gedeckt mit blankem
Silbergerät. Auch Teller und Pokale waren aus demselben kunstvoll
verarbeiteten Edelmetalle hergestellt. Auf Fruchtschalen aus feinstem
Kristallglas lagen die herrlichsten Früchte, und aus geschliffenen Karaffen
funkelte verlockend eine klare, goldgelbe Flüssigkeit. Schwere Armstühle
aus schwarzem, eigenartigem Holze mit vergoldeten Lehnen standen um den
Tisch.

»Das nenne ich fürstliche Pracht,« rief entzückt Frommherz, nachdem er im
Saale und auf dem Tische Umschau gehalten hatte. »Hier, Freunde, wollen wir
uns niederlassen, hier ist es gut sein! Der Erde fern und doch dem
Paradiese nahe.«

»Nun, Sie scheinen mir ganz in Verzückung geraten zu sein,« meinte lächelnd
Hämmerle.

»Lassen Sie unsern Frommherz phantasieren! Ich meinerseits bin auf das
Essen gespannt,« sprach, sich am Tische niederlassend, der nüchterne
Piller. »Sechzig Millionen Kilometer von unserer Erde entfernt, wird man
wohl hier oben einen andern Speisezettel haben als bei uns unten am Strande
des Neckars.«

»Stiller, Sie setzen sich als Präses oben hin,« entschied Brummhuber, als
Professor Stiller in gewohnter bescheidener Weise sich zwischen den andern
Kollegen niederlassen wollte.

»Natürlich!« pflichtete Professor Piller bei. »Ehre, wem Ehre gebührt!
Unser Freund Stiller hat seine Sache bis jetzt ganz ordentlich gemacht, er
stehe deshalb auch ferner unserer Korona vor!« Mit diesen Worten goß er
sich von dem Inhalt der vor ihm stehenden Karaffe etwas in seinen Pokal ein
und hielt ihn prüfend an die Nase.

»Hm . . . hm! Der Trank riecht wirklich nicht übel . . . hat feines
Bouquet.« Vorsichtig nahm er einen Schluck.

»Es ist Wein, tatsächlich Wein und zwar so eine Art Trockenwein, beinahe
wie Sherry, nur noch bedeutend feiner und milder,« entschied Piller,
nachdem er getrunken. »Von schlechten Eltern stammt er nicht, aber mein
Zuckerle ist entschieden süffiger als dieser Marstropfen. Immerhin, er kann
bleiben, wie er ist; lieber solchen Wein als gar keinen!«

»Seien Sie froh, Piller, Sie Alkoholiker, daß Sie überhaupt etwas zu
trinken haben! Wir sind doch wahrlich nicht des Weines wegen nach dem
fernen Mars gekommen!« warf Professor Dubelmeier ein. »Ihr ewiger Durst und
Ihre unstillbare Sehnsucht nach dem Zuckerle hätten Sie eigentlich da unten
auf der Erde festhalten sollen.«

»Schweigen Sie, Sie fanatischer Anhänger des Göppinger Wassers!« rief
Piller voll Grimm. »Was verstehen Sie denn von . . .«

Aber Professor Stiller ließ den Zornigen nicht ausreden. Er erhob sich.
»Meine lieben Freunde! Ich bitte um Ruhe und Frieden und wünsche Ihnen
allerseits einen recht gesegneten Appetit zu dem bevorstehenden Mahle.
Weihen wir unserer glücklichen Ankunft auf dem Mars den ersten Schluck! Der
zweite soll dem Gedenken an unsere engere und weitere Heimat, dem lieben
Schwabenlande und Deutschland, gelten. Bitte, füllen Sie ihre Pokale und
tun Sie mir Bescheid!«

»So, das laß ich mir gefallen,« brummte Piller; »Stiller ist wirklich ein
vernünftiger Knabe.«

»Und nun, meine Freunde, setzen wir uns zum Mahle!« Nach dem Beispiele des
Alten von vorhin klatschte Herr Stiller in die Hände, und herein traten
sieben Diener, für jeden Herrn einer. Sie trugen Platten in den Händen, auf
denen wohlriechende Fische lagen. Herrn Pillers Zorn verrauchte schnell
angesichts der warmen, so einladenden Speise. Er und die übrigen Herren
langten tüchtig zu. Alle waren darüber des Lobes voll, daß die Fischspeise
ausgezeichnet geschmeckt habe.

Auf den Fisch folgten einige eigenartige, aber äußerst schmackhaft
zubereitete Mehlspeisen, dann Gemüse, Obst und Backwerk.

Als das Frühstück beendet war, füllte Piller seinen Pokal mit dem
goldschillernden Wein, rückte seinen Stuhl etwas vom Tische zurück und
stand auf.

»Silentium, meine Herren!« Die laute, anregende Unterhaltung der Herren
verstummte und machte einer aufmerksamen Stille Platz. »Meine lieben
Freunde und Genossen! Ich erfülle nur einen Akt der Pflicht,« hub Piller
an, wurde aber plötzlich von seiner Rede abgelenkt, als sich von außen her
zuerst unendlich zarte, wundervolle Töne hören ließen, die nach und nach in
mächtige Akkorde übergingen. Es war Musik, ein Spiel, so feierlich und
schön, daß die Herren unter dessen Banne ruhig, fast unbeweglich an ihren
Plätzen verharrten, um durch kein auch noch so leises Geräusch die
ergreifenden Töne zu stören, die mit ihren Klängen aus der Gegenwart
emporzuheben schienen zu jenen blauen, seligen Gefilden der unbegrenzten
Freude. Leise, einem Flüstern gleich, erstarben nach und nach die Akkorde.

»So empfängt uns der Mars!« rief in heller Begeisterung Professor Stiller,
als die Musik geendet hatte. »Kann es einen schöneren und zugleich
erhebenderen Willkommen für uns hier oben geben als dieses göttergleiche
Saitenspiel?«

»Nein, gewiß nicht!« erwiderten die Gefährten einstimmig und voll
Begeisterung. Dann eilten sie an die Fenster des Saales, um nach den
Veranstaltern des hohen Genusses Umschau zu halten. Ein Dutzend
Harfenspieler waren es, die sich da langsam und würdevoll mit ihren
Instrumenten von der Terrasse des Hauses entfernten.

»Piller, das war entschieden ein schönerer und edlerer Ohrenschmaus, als es
die Rede gewesen wäre, die Sie im Begriffe waren, uns zum besten zu geben,«
foppte Dubelmeier den Freund.

»Was wissen Sie denn, was ich zu sagen hatte! Die Rede bekommen Sie
übrigens über kurz oder lang doch einmal zu hören. Aber danken Sie es der
eben gehörten Musik, die mein Gemüt so friedlich gestimmt hat, daß ich auf
Ihre Herausforderungen nicht so antworte, wie Sie es verdienen, Sie -- Sie
unverbesserlicher Wasserphilister.«

Die Herren lachten über den Disput der beiden Gefährten, die sich im Grunde
ihres Herzens trotz allen Reibereien sehr zugetan waren.

Von mehreren ehrwürdigen Männern begleitet, erschien der Greis wieder im
Rahmen der großen Türe des Saales. Ein Lächeln huschte über das ernste,
ausdrucksvolle Gesicht des alten Mannes, als er die sieben Fremden wieder
erblickte, die da, ähnlich gekleidet wie er, achtungsvoll vor ihm standen.
Der Greis neigte leicht den Kopf zum Zeichen des Grußes und lud die Herren
durch eine Handbewegung ein, ihm zu folgen. Es ging den Weg zurück, den sie
diesen Morgen gekommen waren.

»Am Ende werden wir gleich wieder dahin abgeschoben, wo wir hergekommen
sind,« bemerkte besorgt Professor Frommherz.

»Darüber brauchen Sie sich nicht zu ängstigen,« erwiderte Professor
Stiller. »In diesem Falle wären wir nicht so liebenswürdig aufgenommen
worden.«

Die Gesellschaft war nun auf der Wiese angelangt, auf der sich der
Weltensegler kaum merkbar am Ankerkabel bewegte. Der Alte gab den Herren zu
verstehen, daß sie ihr Eigentum aus der Gondel herausnehmen sollten. Zu
diesem Zwecke und der besseren Verständigung wegen stieg der Greis mit
seiner Begleitung die Strickleiter zur Gondel hinauf und brachte aus ihr
verschiedene Dinge herab, die den Erdmenschen gehörten. Nun begriffen diese
den Greis.

»Sehen Sie, daß ich recht hatte?« Mit diesen Worten wandte sich Stiller an
seinen Kollegen Frommherz. »Man kommt doch nicht von der Erde zu so
freundlichen, gastfreien Menschen, wie es die Marsbewohner zu sein
scheinen, um gleich wieder kehrtmachen zu müssen. Übrigens könnten wir in
unserer jetzigen Verfassung an eine sofortige Rückkehr überhaupt nicht
denken.«

»Vor dieser bewahre uns für immer der Himmel in Gnaden!« antwortete
Frommherz, emsig damit beschäftigt, seine Habseligkeiten zusammenzupacken.

Bald nachher war das bescheidene Gepäck der Marsreisenden unten auf dem
Boden. Mit Aufmerksamkeit betrachtete der Greis die verschiedenen
Instrumente, die da zum Vorschein kamen. Ganz besonderes Interesse erregte
bei ihm das Fernrohr. Stiller suchte ihm dessen Gebrauch klarzumachen. Aber
der Greis schüttelte zu diesen stummen Auseinandersetzungen nur den Kopf
und wies endlich mit der Rechten nach einem fernen Bau, dessen
kuppelförmiges Dach der Professor jetzt zum erstenmal erblickte.

»Beim Zeus, die haben ja hier oben auch eine Sternwarte und zwar in
nächster Nähe!« rief Stiller erfreut. »Freunde, da müssen wir noch heute
abend hingehen, um von dort aus unsere Mutter Erde in weiter Ferne als
leuchtenden Stern erster Größe betrachten und bewundern zu können.«

Stiller machte dem Greise diesen Wunsch sofort begreiflich. Er deutete
zuerst nach dem Himmel, dann auf sein Fernrohr und schließlich auf die
Kuppel des Gebäudes. Endlich entnahm er seinem Gepäck eine große
Himmelskarte, die er entfaltete. Mit dem Zeigefinger der Rechten wies er
auf die Planeten hin, deren Bahnen um die Sonne auf einem besonderen
Abschnitt der Karte verzeichnet waren. Nun verstand ihn der Greis sofort
und nickte bejahend mit dem Kopfe. Jetzt suchte ihm auch der Professor
begreiflich zu machen, woher er und seine Gefährten gekommen seien. Er
zeigte auf die eingezeichnete Erde, dann auf die sie umschließende Bahn des
Mars, auf diesen selbst, endlich auf das Luftschiff. Ein lauter Ton des
Erstaunens kam über die Lippen des Greises. Er hatte Professor Stiller
vollkommen verstanden und reichte ihm zum erstenmal mit Worten, die wie ein
herzliches Willkommen klangen, die Hand, die dieser warm, drückte.

Der Greis übersetzte seinen Begleitern, was der Fremde ihm da in seiner
stummen Zeichensprache erklärt hatte, und auf den offenen, ehrlichen
Gesichtern trat ein gewisser Ausdruck der Achtung vor den kühnen Fremden,
die so weit hergekommen waren, hervor. Die Weltensegler wurden wieder in
ihr Heim zurückgeführt, in dem sie sich mit den aus ihrer Heimat
mitgebrachten Sachen häuslich einzurichten begannen. Darüber war es spät am
Mittag geworden. Keine lästige Neugier hatte die Herren bei ihrer
Einrichtung gestört. Mit unendlichem Behagen streckten sie sich nach
Beendigung dieser Arbeit auf die weichen Ruhebetten in ihren Zimmern, um in
dem so lange entbehrten Genusse eines ausgezeichneten Lagers kurze Zeit zu
schwelgen.

Inzwischen war die Tischzeit herangekommen. Das Mittagsmahl verlief ähnlich
wie das Frühstück, nur war es reichlicher. Voll Befriedigung über die ihnen
gebotenen Tafelfreuden wollten sich die Herren gerade erheben, als sie eine
neue Überraschung an ihre Plätze bannte. Draußen, vom Hallenhofe des Hauses
her, erschallte a capella der Gesang menschlicher Stimmen. Es war ein Lied
voll Innigkeit und Tiefe. Die tongewordene Barmherzigkeit selbst schien es
zu sein, die da an die Herzen der Gelehrten so mächtig pochte, daß sie ihre
große Ergriffenheit nur schlecht zu bemeistern vermochten. Als das Lied
verklungen war, wischten sich einige der Herren verstohlen die Tränen aus
den Augen.

»Darauf muß ich noch einen Schluck nehmen,« erklärte Piller, seinen Pokal
füllend. »Seelische Erregungen rufen bei mir das Bedürfnis nach materieller
Stärkung hervor. Dubelmeier, schneiden Sie kein so sonderbares Gesicht; tun
Sie mir lieber Bescheid!«

»Bewahre mich der Himmel davor, diesen hehren Augenblick durch Alkohol zu
entweihen!«

»Ganz wie Sie wollen, lieber Dubelmeier!« erwiderte Piller gegen seine
sonstige Gewohnheit milde.

Die Gelehrten verließen das Haus, um den schönen Abend zu einem Spaziergang
zu benützen und die Gegend etwas näher kennenzulernen, die voraussichtlich
längere Zeit ihren Wohnort bilden würde. Auf diesem Spaziergange wurde es
ihnen mehr und mehr klar, daß ihr Luftschiff in der Nähe einer viel
größeren Niederlassung gelandet war, als sie anfänglich geglaubt hatten. Es
mußte eine Art von Stadt sein; denn trotz des garten- oder parkartigen
Charakters des Ganzen bewiesen die vielen Häuser, die stets allein für sich
standen, daß hier eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung vorhanden sein
müsse.

In dieser Auffassung wurden die Herren auch durch die zahlreichen Menschen
unterstützt, die sie noch mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt
antrafen. Niemand war hier untätig. Die Hast aber schien ein unbekannter
Begriff zu sein, denn bei aller Arbeit trat ein gewisses Maß vornehmer Ruhe
hervor. Wie wohltuend stach diese gegen das lärmende Treiben der Menschen
auf der Erde ab! Überall, wohin auch die Gelehrten ihre Blicke richteten,
erschien ein gleichmäßig verteilter Wohlstand; selbst die relative Armut
mußte hier unbekannt sein. Nicht nur in den Häusern, deren offene Hallen
dem neugierigen Auge ungehinderten Einblick gestatteten, nein, auch um die
Wohnungen herum, auf allen Wegen und Stegen herrschte eine geradezu
peinliche Sauberkeit.

Ihr Spaziergang führte die Herren auch an den breiten Strom, den sie heute
in der Frühe des Tages vom Luftschiff aus gesehen hatten. Es mußte einer
der berühmten Marskanäle sein; denn soweit sie sehen konnten, war der Strom
kunstvoll eingedämmt, schnurgerade seine Ufer. Eine kühn geschwungene
steinerne Brücke, auf vielen Pfeilern ruhend, ein architektonisches
Meisterwerk, führte hinüber an das andere Ufer. Auf dem Mars schien alles
unter dem Zeichen gemessener Ruhe zu stehen: auch die klaren, hellgrünen
Gewässer des mächtigen Kanales flossen still und ruhig dahin und trugen auf
ihrem Rücken eine Menge geschmackvoll gebauter Schiffe.

An der Brücke lag ein Schiff, aus dem einige Männer Platten verschieden
gefärbten Marmors, Blöcke von Granit und Syenit ans Ufer schafften und zwar
mit einer Leichtigkeit, die auf die sieben Schwaben geradezu verblüffend
wirkte. Sollten diese Marsbewohner über ungewöhnliche Körperkräfte
verfügen, eine Art Athleten sein?

»Welch großartig entwickelten Brustkorb diese Leute haben! Sehen Sie einmal
genauer hin!« Mit diesen Worten zeigte Piller auf die Arbeiter. »Es ist mir
heute früh schon aufgefallen, wie herrlich gebaut und wie breitschultrig
diese Menschen hier sind. Auch die Kinder zeichnen sich in dieser Beziehung
gegenüber den unsern auf der Erde vorteilhaft aus. Die reinste Züchtung
einer lungenstarken Rasse, die der Schwindsucht kaum zugänglich sein
dürfte,« fuhr Piller fort.

Unterdessen war Brummhuber zu den arbeitenden Marsiten getreten und
versuchte, eine der Steinplatten zu heben.

»Mir kommt dieser Marmor merkwürdig leicht vor. Sollte es vielleicht eine
andere Art von Stein sein als bei uns?« rief er fragend seinen Gefährten
zu.

Diese kamen, neugierig geworden, näher und untersuchten die Steine.

»Nein, es ist tadellos schöner Marmor. Betrachten Sie nur das feine Korn
und die zartgefärbten Adern, die ihn durchziehen!« entgegnete Piller nach
eingehender Prüfung.

»Und dieser prächtige rote Stein hier ist bester Syenit, oder ich müßte
geradezu kein mineralogisches Unterscheidungsvermögen mehr besitzen,« warf
Herr Hämmerle ein, der an dem Steine herumgeklopft hatte.

»Versuchen wir einmal, die Steine zu heben!« entschied Piller.

»Richtig, die scheinen hier oben ein geringeres spezifisches Gewicht zu
haben als unten bei uns. Nun begreife ich, warum diese Leute die Lasten so
leicht zu heben vermögen. Woher das wohl kommen mag? Wissen Sie vielleicht
die Ursache, Stiller?«

»Der Grund dieser Erscheinung liegt meines Erachtens in der Dichtigkeit des
Mars, die nur o,7 von der der Erde beträgt,« antwortete Herr Stiller.

»Nun geht mir auch ein Licht auf, warum mir heute bei unserm Mahle die
Pokale, unsere Silbergeräte überhaupt, so eigentümlich leicht vorkamen,«
fügte Thudium bei. »Ich hatte aber keine Zeit, über diese auffallende
Erscheinung nachzudenken, denn die Musik nahm mich zu sehr gefangen.«

»So ging es auch mir,« bestätigte Stiller.

»Und wie steht es mit der Dichtigkeit der Marsatmosphäre?« forschte
Frommherz. »In dieser Beziehung finde ich keinen Unterschied gegenüber
unserer Heimatluft im Sommer. Im Gegenteil, ich atme leichter, freudiger
hier oben als unten.«

»Der Luftkreis, der diesen Planeten umgibt, ist von bedeutend geringerer
Höhe als der unserer Erde. Denken Sie sich bei uns auf einen Berg von
mäßiger Höhe gestellt, so wird die etwas dünnere Luft dort ungefähr der
hier entsprechen. Unsere Erdbarometer sind leider nicht für den Mars so
verwendbar, daß wir zu ganz sichern Vergleichen und Schlüssen kommen
könnten,« entgegnete Stiller.

»Sei dem wie ihm wolle! Aus Ihren Worten kann ich mir auch ganz ungezwungen
die wunderbare Entwicklung des Brustkorbes unserer Marsfreunde erklären:
Anpassung der Lungen an die äußeren Lebensbedingungen. So werden sich auch
in derselben einfachen Weise andere Eigentümlichkeiten der Marsleute
erklären lassen, die uns noch da und dort entgegentreten werden,« erwiderte
Piller, sich in Marsch setzend, während die übrigen Herren seinem Beispiele
folgten.

»Übrigens, meine Freunde, haben Sie noch nicht die auffallend schönen Augen
unserer Marsmenschen bewundert?« fragte Piller im Weiterschreiten.

»Ihre Größe und ihr schöner Glanz stechen allerdings stark gegen Größe und
Glanz der unsern ab. Ein merkwürdiges Leuchten geht aus diesen Spiegeln der
Seele bei unsern Marsleuten hervor.«

»Ganz richtig beobachtet, Stiller! Das satte Blau der Iris habe ich in
dieser vollendeten Schönheit früher noch niemals gesehen. Es ist die
Idealfarbe des edeln Auges. Und dieses lockige, reiche Haar! Wahre Zeus-
und Junogestalten! Frommherz hatte heute recht mit seinem Vergleiche.«

»Nicht wahr?« rief dieser erfreut über Pillers laute Anerkennung.
»Körperlich wie geistig gleich hochstehende Menschen scheinen mir die
Marsbewohner zu sein.«

»Für diese Gegend wenigstens scheint Ihr Urteil zu stimmen nach dem, was
wir heute erfahren haben,« erwiderte Stiller.

Da die Sonne untergegangen war, so beschlossen die Herren aus dem
Schwabenlande, für heute den Spaziergang zu beenden und in ihr Heim
zurückzukehren. Dort wollten sie den Besuch des würdigen Greises erwarten,
um von ihm auf die Sternwarte geführt zu werden. Sie befanden sich noch
unterwegs, als die Nacht ihre dunklen Schwingen über die Landschaft
auszubreiten begann. Im Osten wurde es hell und heller. Der Mond tauchte
auf und warf sein klares Licht auf die stille, friedvolle Gegend.

»Das ist der große Marsmond, Deimos genannt, der uns da leuchtet,« erklärte
Professor Stiller seinen Gefährten. »Wenige Augenblicke nur, und Sie werden
den zweiten Trabanten des Mars sehen, mit dem wir, wenn auch
glücklicherweise höchst oberflächlich, letzte Nacht in peinliche Berührung
gekommen sind.«

Richtig, da kam auch der kleine Phobos über den Horizont gestiegen.

»Welch prachtvolles Schauspiel!« rief voll Entzücken Stiller. »Wahrlich,
die Marsbewohner brauchen keine künstliche Beleuchtung ihrer Nächte! Sie
haben nicht nur jede Nacht vollen Mondschein, sondern sie besitzen auch
gleich zwei Himmelsleuchten.«

»Ein merkwürdiger Weltkörper, dieser Mars, fürwahr!« entgegnete Piller,
einen Augenblick stehen bleibend und die beiden Monde betrachtend, deren
fast taghelles Licht eigenartige, reizvolle Schattenbilder hervorbrachte.

»Ein lebendig gewordenes Märchen. Das wäre wieder ein neuer Anlaß für Sie
zu trinken, Piller,« spottete Dubelmeier.

»Warum denn nicht, alter Freund, warum denn nicht? Es scheint mir aber nach
dem, was wir heute schon erlebt haben, auf dem Mars so viel
Bewunderungswürdiges zu geben, daß die Anlässe zum Trinken sich denn doch
zu bedenklich mehren dürften. Mein Wahlspruch aber ist gleich dem des alten
griechischen Weisen: Nichts zuviel!«

Dubelmeier lachte laut auf.

»Lachen Sie nicht so töricht, altes Wasserhuhn, und folgen Sie selbst
lieber diesem Beispiele in Ihrer übertriebenen Wassertrinkerei! Das rate
ich Ihnen schon vom Standpunkte der modernen Heilkunde aus.«

»Die Monde kommen mir hier oben bedeutend größer vor als z. B. unten unser
Trabant,« bemerkte Frommherz, die eingetretene Stille unterbrechend.

»Nur Täuschung, mein Lieber!« erklärte Stiller. »Die Monde des Mars sind
beträchtlich kleiner als der Mond unserer Erde, sie sind aber bedeutend
näher am Hauptplaneten, als dies bei unserm Monde der Fall ist. Phobos hier
ist vom Mars nur etwas über 9000 Kilometer, der große Deimos nicht mehr als
etwa 23500 Kilometer entfernt. Daher kommt es, daß diese Trabanten des Mars
so übermäßig groß erscheinen.«

Unter diesen Gesprächen gelangten die Herren vor ihr stattliches Heim. Dort
erwartete sie bereits ihr aufmerksamer Gastgeber, der ihnen heute schon so
viel Gutes erwiesen hatte. Im Mondschein erschien den Herren die hohe
Gestalt des Alten womöglich noch feierlicher als im Lichte des Tages, das
lange, wallende weiße Haar noch silberner, glänzender.

»Sieht er nicht aus wie ein Patriarch aus der alten jüdischen Zeit, in der
Sittenreinheit und Einfachheit des Volkes herrlichste Tugenden waren?«
fragte Professor Stiller leise seinen Kollegen Frommherz.

»Wahrhaftig, Sie haben recht!« entgegnete dieser. »Nennen wir unsern Alten,
dessen Namen uns noch unbekannt ist, einfach Patriarch. Diese Bezeichnung
paßt prächtig auf ihn, hat er uns doch heute unter seinen väterlich milden
Schutz genommen.«

Nach einer kurzen, stummen Begrüßung geleitete der Alte die Erdensöhne nach
dem mit einem Kuppelbau versehenen Hause. Der Weg dahin führte durch eine
Art von Wald voll großer wohlgepflegter Bäume, auf deren dunkelgrünen,
glänzenden Blättern die zitternden Strahlen der Monde ihr neckisches Spiel
trieben. Millionen von Leuchtkäfern schwirrten in der weichen Nachtluft
unter den Bäumen, und das bläulich schillernde Licht der lautlos
dahinhuschenden Tiere machte den Eindruck kleiner, in rascher Bewegung
begriffener Sternchen. Muntere Bächlein, über die zierliche Brücken
führten, kreuzten oft den Weg.

Der eigenartig schöne Weg hatte ungefähr eine Stunde Zeit in Anspruch
genommen. Das in Form eines Rundbaus angelegte Gebäude trug in seinem
Erdgeschoß eine Reihe von Büsten auf roten Marmorsockeln. Sie schienen die
Männer darzustellen, die hier am Observatorium gewirkt hatten. Breite
Stufen führten in den eigentlichen Beobachtungsraum hinauf, in dem einige
Männer bereits an ihrer stillen Arbeit saßen. Der Patriarch mußte mit ihnen
bereits Rücksprache genommen haben, denn sie erhoben sich sofort beim
Eintritt der Fremden und luden diese durch freundliche Handbewegung ein,
ihre Plätze einzunehmen.

Stiller war von der gediegenen Pracht und Großartigkeit der gesamten
Einrichtung überrascht. Wie gering erschien ihm dagegen seine Sternwarte da
unten auf Stuttgarts Bopserhöhe! Er trat auf eines der Riesenteleskope zu,
prüfte es kurz und gestand sich, daß dessen Linsen an Schärfe nichts zu
wünschen übrig ließen, ja sogar alles übertrafen, was er in dieser
Beziehung überhaupt bis jetzt kennengelernt hatte. Welch eine Summe von
Intelligenz mußte auf dem Mars vorhanden sein, die so feine, auf genauester
wissenschaftlicher Berechnung beruhende optische Arbeit auszuführen
ermöglichte!

Der Professor betrachtete aufmerksam den Himmel. Da und dort flammten
Sternbilder und einzelne Sterne auf, die ihm bekannt waren. Ein auffallend
großer, rotleuchtender Stern stand tief im Westen und erregte die vollste
Aufmerksamkeit des Gelehrten. Es konnte nur ein Planet sein, der da
funkelnd im unermeßlichen Weltraum hing, und möglicherweise war es der
auffallenden Nähe wegen gar die Erde. Das Riesenfernrohr wurde daraufhin
sorgfältig eingestellt. Die Vermutung Professor Stillers war richtig. Dank
den unübertrefflich scharfen Linsen und der Reinheit der Marsatmosphäre
erkannte er deutlich die Mutter Erde. Gut konnte er auf ihr die
verschiedenen Meere und Kontinente unterscheiden. Vom Nordpol abwärts
ließen sich sogar die Umrisse der einzelnen Länder gegen das Eismeer sowie
gegen den Atlantischen Ozean hin feststellen, und das da, -- ja, jetzt
hatte er es -- was sich jetzt zeigte, im Fernrohr scharf abzeichnete, mußte
die Heimat, mußte dem ganzen Aussehen nach Deutschland sein.

Voll freudiger Aufregung teilte Stiller seinen Gefährten die gemachte
Beobachtung mit und lud sie ein, einen Blick auf das ferne teure Vaterland
hinunterzuwerfen. Einer nach dem andern folgte dieser Aufforderung.

»Unglaublich, aber wahr! Diese Fernsicht ist wirklich einzig in ihrer Art!
Zum ersten Male sehen wir aus weiter, weiter Ferne die Erde und die
Heimat,« rief Hämmerle begeistert.

»Die Großartigkeit dieses Bildes wirkt geradezu feierlich,« äußerte
Thudium.

»So ist es auch,« bestätigte Piller.

Die Astronomen vom Mars und der Patriarch, warfen nun ebenfalls
nacheinander einen Blick durch das Teleskop. Sie wußten ja schon, woher die
sonderbaren Fremden heute früh gekommen waren, und konnten aus ihrer
Aufregung bei der Beobachtung eines bestimmten Teiles des fernen Gestirnes
leicht schließen, daß dieser Teil, der sich augenblicklich im Gesichtsfelde
des Fernrohres befand, die engere Heimat ihrer Gäste sein müsse.

»Es ist jammerschade, daß wir uns mit den Kollegen hier nicht unterhalten
können! Welch interessanter, gewinnbringender Meinungsaustausch käme dabei
heraus!« sprach Stiller zu seinen Gefährten, als sie nach stummem Abschiede
das Observatorium verließen.

»Wir müssen in erster Linie so rasch wie möglich die Sprache der
Marsbewohner erlernen. Ihre Kenntnis ist die unumgängliche Voraussetzung
für unsere Forscherzwecke,« antwortete Hämmerle.

»Wahr gesprochen, Meister der Sprachforschung!« erwiderte Piller, und auch
die andern Herren nickten zustimmend mit dem Kopfe.

Die beiden Trabanten des Mars standen nun als volle Monde am Himmel, als
die Herren heimwärts schritten. Gewaltigen, übereinandergestellten
Leuchtkugeln gleich, hingen sie oben am Himmel und warfen ihr
silberglänzendes Licht über die stille Landschaft. Während Phobos, der
innere, kleinere Mond, sich in rascher Bewegung von West nach Ost befand,
zog der große, äußere Deimos, weniger hastend als sein Gefährte, auf
stiller Bahn den umgekehrten Weg. Es war ein Anblick, so wunderbar und
einzig in seiner Art, daß die Erdensöhne in lautes Entzücken über diese
bezaubernde Mondnacht ausbrachen. Langsam schlenderten sie nach Hause und
genossen in vollen Zügen die Wunder einer Marsnacht.




Fünftes Kapitel
Lumata und Angola


Die folgenden Wochen verflossen für die Gäste des Patriarchen in angenehmem
Verkehr mit diesem selbst und den Bewohnern der Marskolonie. Die Fremden
waren aufs eifrigste bestrebt, sich mit ihren neuen Freunden sprachlich zu
verständigen. Sie schrieben zunächst alle Bezeichnungen für die
verschiedensten Dinge nieder, wie sie eben ihr Ohr vernahm. Hierauf
brachten sie die Dinge mit ihrer Tätigkeit und ihren Eigenschaften in
Verbindung und erhielten so auf diese einfache Weise nach und nach den
Schlüssel zur Sprache selbst. Ging auch die Verständigung anfänglich sehr
langsam und mühsam von statten, so gewährte ihnen doch das allmähliche
Begreifen der klangvollen Sprache viel Freude und lohnte ihnen dadurch die
große Mühe wieder, die sie für ihr Studium aufwenden mußten.

Alles geht in der Welt der Menschen nur schrittweise vorwärts; nirgends
marschiert der wahre Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln. Die Wahrheit
dieses Satzes erfuhren die sieben gelehrten Schwaben nicht nur an sich
selbst bei ihren Studien, sondern konnten sie auch bei den Marsbewohnern
beobachten. Waren sie auch erst kurze Zeit da und in ihren Bewegungen auf
einen verhältnismäßig kleinen Raum beschränkt gewesen, so konnten sie sich
doch unschwer davon überzeugen, daß die Bewohner des Mars eine ganz
bedeutende Höhe in der Kultur erreicht hatten, die nur das Ergebnis einer
jahrtausendelangen geistigen Entwicklung sein konnte.

In dem Maße, wie die Herren im Verstehen ihrer Umgebung vorwärts schritten,
wuchs auch ihre Bewunderung und Wertschätzung dieser in jeder Beziehung so
hochstehenden Menschen. Immer mehr drängte sich ihnen die Überzeugung auf,
daß die Masse der Marsbewohner, wenigstens die, deren Gäste sie waren, in
idealster Weise als Menschen das erfüllte, was auf der Erde nur die Besten
und Edelsten, also immer nur vereinzelte Individuen, leisteten.

Was sie selbst vom Schönen, Wahren und Guten unten auf der Erde geträumt
hatten, hier oben fanden sie alles in die Wirklichkeit umgesetzt; denn
überall und in allem offenbarte sich ihnen die wunderbarste Harmonie, alles
atmete Schönheit, Güte und Wahrhaftigkeit, und das ganze Leben trug den
Stempel vornehmer, ruhiger Tätigkeit. Zweifellos mußte eine weise Regierung
dieses große Staatswesen leiten, obwohl die Herren von Behörden, wie sie
sich unten in der Heimat breit machten, hier oben nicht das geringste
wahrnahmen.

Ob dieses Lebensbild voll Licht und Schönheit wohl auch seine Schatten,
seine dunkle Seite hatte? Diese Frage wurde von den Herren am Abend bei der
gemeinsamen Unterhaltung im großen Bibliotheksaale ihres Heims wiederholt
aufgeworfen. Ihre endgültige Beantwortung mußte aber immer wieder
verschoben werden, denn die Meinungen liefen schließlich stets darauf
hinaus, daß man erst die Sprache vollständig beherrschen müsse, bevor man
sich ein abschließendes Urteil bilden könne. Hier oben auf dem Mars lag
eben alles anders als auf der Erde.

Die sieben Schwaben fühlten sich in ihrem neuen Wohnorte außerordentlich
wohl, so wohl, daß sie an die Möglichkeit einer Rückkehr gar nicht mehr zu
denken schienen. Wenigstens äußerte sich keiner der Herren mehr darüber.
Von den Marsiten, wie sie die Marsbewohner nannten, wurden sie wie liebe,
alte Freunde, ganz wie ihresgleichen behandelt, und die Gastfreundschaft
wurde ihnen gegenüber in so zartfühlender Weise geübt, daß sie die
Empfindung von etwas Drückendem gar nicht aufkommen ließ, im Gegenteil zu
frohem Genusse förmlich einlud.

Auch der Weltensegler hatte unterdessen zweckmäßige Unterkunft gefunden.
Eine geräumige, mit Glas bedeckte, aus Eisen luftig konstruierte Halle war
in aller Stille auf der Wiese errichtet worden, auf der das Luftschiff
niedergegangen war. In dieser Halle war das Fahrzeug untergebracht worden.
Die verschiedenen großen und kleinen Schäden am Ballon wie an der Gondel
hatten die Marsiten in so meisterhafter Weise ausgebessert, daß Herr
Stiller zuerst sprachlos vor Erstaunen darüber war. Die Leute hier oben
kamen ihm in ihrer Geschicklichkeit und Erfahrung in den schwierigsten
Dingen der Aeronautik wie Zauberer vor. Wenn schon die Techniker auf dem
Mars so viel Wissen und Können offenbarten, wie es die schwierigen
Reparaturen des Weltenseglers erforderten, um wieviel verblüffender mußten
die Ergebnisse der forschenden Wissenschaft sein! Wie viel konnten sie
selbst hier noch lernen! Diese Aussicht enthielt so viel Verführerisches,
daß Stiller kaum die Zeit erwarten konnte, die ihm und seinen Gefährten den
näheren Verkehr mit den Männern der Wissenschaft, mit ihren Marskollegen,
bringen sollte.

Die Frage, wie sie die ihnen erwiesene Gastfreundschaft ausgleichen
könnten, beschäftigte Schwabens Söhne oft; denn das war den Herren klar,
daß sie sie auf die Dauer nicht ohne Gegenleistung genießen durften. Sie
beschlossen daher, sich später in irgendeiner Weise, jeder nach seinem
Berufe, den Marsiten nützlich zu machen, ihre dankbare Anerkennung in einer
passenden Form zum Ausdruck zu bringen. Das einstweilen noch unklare Wie
würde sich möglicherweise eines Tages von selbst ergeben.

Die Zeit verging. Sie brachte ihnen mancherlei weitere Erfahrungen und
Einblicke in die eigenartig neue Welt, die sie umgab. Zunächst konnten sie
feststellen, daß ihr Wohnort auf der nördlichen Halbkugel des Mars lag, und
zwar auf dem fünfzehnten Breitengrade. Da der eigentliche Tropengürtel des
Mars gegenüber dem der Erde nur die Hälfte beträgt, so lag der fünfzehnte
Grad nördlicher Breite hier bereits in der subtropischen Zone. Die
gemäßigte Zone des Mars reichte nördlich wie südlich nur bis zum
fünfunddreißigsten Breitengrade. Über diesen Grad hinaus begann die kühle
Region. Während diese nur spärlich und nur von einer bestimmten Klasse von
Marsbewohnern bevölkert war, wie den Gelehrten mitgeteilt wurde, lebte die
Hauptmasse der Marsiten innerhalb der fünfunddreißig Breitengrade nördlich
und südlich vom Äquator. Es war also ein verhältnismäßig kleiner Raum des
Planeten, der bewohnt und wirklich kultiviert wurde, er genügte aber
vollständig, um der auf nur zweihundertundfünfzig Millionen geschätzten
Bewohnerzahl des Mars eine gute Existenz zu gewähren.

Daß diese Existenz an die Riesenkanäle gebunden sein müsse, hatten die von
Professor Stiller und andern Forschern schon früher angestellten
Marsbeobachtungen vermuten lassen. Diese Vermutungen wurden jetzt zur
Gewißheit, als Professor Stiller in der Lage war, die elementarsten
Lebensbedingungen des Mars persönlich zu erforschen.

Die Atmosphäre des Mars war der der Erde ähnlich. Da es aber auf dem Mars
nur kleinere Ozeane und Binnenmeere gab, so enthielt der Luftkreis, der
diesen Planeten umschloß, im allgemeinen weniger Wasserdampf oder
Feuchtigkeit als die Erdatmosphäre. Eine wunderbar klare, durchsichtige
Luft, die die fernsten Gegenstände nähergerückt erscheinen ließ, ein tief
dunkelblauer Himmel waren die natürlichen Folgen dieser Tatsache,
gleichzeitig aber auch ein gewisser Mangel an starkem Regen. Wohl taute es
in den herrlich kühlen Nächten so reichlich, daß dadurch die Pflanzenwelt
in schönster Frische erhalten wurde, aber dieser Niederschlag allein
genügte nicht den Ansprüchen der Pflanzen an Wasser. So waren die
Marsbewohner im Kampfe um ihre Existenz gezwungen, diesen natürlichen
Mangel durch die Kunst auszugleichen. Auf diese Weise entstanden die
Kanäle, die sich bis zu den polaren Zonen hinzogen und von diesen das im
Sommer abschmelzende Wasser der dort abgelagerten gewaltigen Eismassen nach
allen Richtungen hin leiteten.

Schon die ganze großartige Ausführung dieser uralten, Tausende von
Kilometer langen Wasserstraßen, die da und dort in Riesenseen, künstlichen
Zentralsammelbecken, zusammenflossen, die Art und Weise ihrer sorgfältigen
Instandhaltung zeigte allein schon den hohen Grad von Intelligenz und den
Gemeinsinn der Marsbewohner.

Die Regelung des Wasserstands war genau dem Bedarf und der Jahreszeit
angepaßt. Dank dieser Einrichtung und der Unmasse kleiner Wasseradern, die
sich überallhin abzweigten, herrschte nie Wassermangel auf dem Mars. Die
Folge davon war jener üppige, prachtvolle Pflanzenwuchs, den die Schwaben
immer und immer wieder bewundern mußten. Dazu kam das völlige Fehlen wilder
Tiere, giftiger Reptile und gefährlicher Insekten. Es war ein Eldorado, in
das die Erdensöhne geraten waren, und auf das die Worte Homers trefflich
paßten:

   »Wo in behaglicher Ruhe den Menschen das Leben dahinfließt:
   Dort ist kein Schnee, kein schneidender Sturm, kein strömender Regen,
   Sondern der Ozean sendet empor zur Erquickung der Menschen
   Immer den luftigen Hauch des frisch hinwehenden Zephyrs.«

Und diese zahlreichen Wasserstraßen waren zugleich auch die besten und
einfachsten Verbindungswege der Marsbewohner untereinander. Kein Wunder
daher, daß sich auf den Kanälen ein lebhafter Schiffsverkehr abwickelte.
Aber die auf den klaren Fluten der tiefen Wasserläufe dahinziehenden
Schiffe verdarben die köstliche Luft nicht durch qualmende Schornsteine.
Sämtliche Fahrzeuge, mochten sie nun für Personen- oder Lastenbeförderung
bestimmt sein, wurden durch Elektrizität in Bewegung gesetzt und
vermittelten den Verkehr in ruhiger und rascher Weise.

Auf diesen ebenso zweckmäßig wie bequem und gefällig eingerichteten
Fahrzeugen hatten die sieben Schwaben schon so manche weite Reise
ausgeführt. Sie hatten dabei aber das übrige Land und seine Bewohner nur
flüchtig kennengelernt, weil diese Fahrten eben hauptsächlich zur
allgemeinen Orientierung unternommen worden waren. Was sie aber sahen, das
verstärkte nur ihre ersten guten Eindrücke und befestigte ihre Überzeugung,
sich in einem großangelegten Staatswesen von tadelloser Verwaltung zu
befinden. Nicht nur waren die Marsbewohner trotz der Verschiedenheit der
Zonen überall gleichartig, d. h. sie sprachen dieselbe Sprache und schienen
auch unter ähnlichen sozialen Lebensbedingungen zu stehen wie ihre Brüder
in Lumata, -- so hieß die Kolonie, in der die Herren aus dem Schwabenlande
angesiedelt waren, -- sondern an all den vielen verschiedenen Orten, die
die Fremden besuchten, fiel diesen auch eine gewisse Gleichmäßigkeit des
Besitzes auf, und sie empfanden das völlige Fehlen wirklicher Dürftigkeit
oder Armut sehr angenehm.

Die geologische Beschaffenheit des Mars glich der der Erde. Den
kristallinischen Massengesteinen standen die Sedimentformationen gegenüber,
die in ähnlicher Weise übereinander gelagert waren wie auf der Erde. Die
geologische Entwicklungsgeschichte des Mars schien also mit der Erde
übereinzustimmen, nur hatte der Mars seine Entwicklungsphasen offenbar
schneller und früher durchgemacht als diese. Dafür sprach auch das Fehlen
von aktiven Vulkanen. Dagegen war der Mars reich an heißen Quellen aller
Art; an Fumarolen (d. h. Bodenöffnungen auf vulkanischem Gesteine, aus
denen Wasserdämpfe ausströmen, die oft mit chemischen Verbindungen beladen
sind) und an Mofetten (Kohlensäure ausströmenden Gasquellen) war auch kein
Mangel.

Große Städte, wie sie in den sogenannten Kulturstaaten der Erde zu finden
sind, gab es auf dem Mars nicht. Es bestanden lediglich kleinere oder
größere Gruppierungen von Häusern, die aber überall frei für sich im Grünen
lagen. Nur an einem großen See, zwei Tagereisen von Lumata nach Süden zu,
hatten die Schwaben den einzigen Anklang an eine Stadt gefunden. Dort war
eine größere Kolonie mit zahlreichen architektonisch hervorragenden Bauten,
die sich an regelmäßig angelegten Straßenzügen erhoben. Eine Stadt von
Palästen, wirkte sie namentlich durch die vornehme Ruhe, die in ihr
herrschte, durch ihre peinliche Sauberkeit und den Glanz und die Pracht
ihrer öffentlichen Gärten.

Die Erdensöhne konnten mit ihren noch mangelhaften Sprachkenntnissen nur so
viel herausbekommen, daß dieser Ort, Angola mit Namen, der Zentralsitz der
Stämme der Weisen, der Heitern und der Ernsten sei. Was waren aber das für
Stämme? Nach Hause zurückgekehrt, befragten sie hierüber Eran, den
Patriarchen. Dieser lächelte eigentümlich bei der Frage und erwiderte den
neugierigen Herren, daß er sie später selbst einmal nach Angola führen
werde, um sie mit seinen Brüdern dort bekannt zu machen, die übrigens von
ihrer Anwesenheit in Lumata sowie von ihrer Herkunft und ihrer Reise nach
dem Mars längst unterrichtet seien.

Anfangs waren die Tübinger Herren von ihren Ausflügen, dem Niederschreiben
ihrer täglichen Beobachtungen und gewonnenen neuen Eindrücke und dem
Erlernen der Sprache vollständig in Anspruch genommen. Aber nach und nach
begann in ihnen doch eine gewisse Sehnsucht nach dem alten, trauten, ihnen
zur zweiten Gewohnheit gewordenen Berufe zu erwachen, den sie mit so großem
Erfolge in ihrer Heimat ausgeübt hatten. An ernste, rege Tätigkeit gewöhnt,
kam ihnen das angenehme und ideal schöne Leben auf dem Mars mehr und mehr
wie eine Art Schlaraffentum vor. Die Mühseligkeiten der Herreise verblaßten
immer mehr in der Erinnerung, je länger sie sich auf dem Mars befanden.

Schon war ein ganzes Jahr vergangen, seit sie vom Cannstatter Wasen aus
ihre Marsfahrt angetreten hatten. Aber während unten auf der heimatlichen
Erde der Winter mit Schnee und Kälte vor der Türe stand, herrschte hier
oben in Lumata ein ewiger Frühling, obgleich die Marsiten die Jahreszeit,
in der sie sich gerade befanden, ebenfalls als die vorgerücktere
bezeichneten.

War es nur Zufall, daß die sieben Schwaben auch auf dem Mars in den
wichtigsten Einteilungen der Siebenzahl begegneten? Herr Stiller konnte
sich diese auffallende Tatsache nicht erklären und begnügte sich damit, sie
festgestellt zu haben.

Auf dem Mars wurde das Jahr in sieben Abschnitte geteilt, die die Tätigkeit
wie auch die Ruhe der Natur zum Ausdruck brachten. Nach Erdenmaß gerechnet
umfaßte ein solcher Zeitabschnitt die ungefähre Zahl von zweiundfünfzig
Tagen. Die einzelnen Perioden hießen:

1. Die Zeit des Erwachens.

2. Die Zeit der Saaten.

3. Die Zeit des Knospens und der Blüten.

4. Die Zeit der Früchte.

5. Die Zeit der Garben.

6. Die Zeit der Ernten oder Freuden.

7. Die Zeit der Ruhe.

Nach und nach hatten die Erdensöhne so bedeutende Fortschritte in der
Marssprache gemacht, daß sie nun auch gründliche Einblicke in die
staatliche Organisation des Marsvolkes tun konnten. Vor ihren Augen
enthüllte sich immer mehr ein großangelegtes, riesiges demokratisches
Gemeinwesen, das nicht auf die Gewalt gestützt war, sondern ausschließlich
durch den freien Willen des Volkes und durch das Band gemeinschaftlicher
Interessen zusammengehalten wurde. Jedes einzelne Individuum ordnete sich
hier dem Gemeinwohl unter und leistete ihm nach seinen Fähigkeiten Dienste.
So stellte sich das Staatswesen als eine zwar große, aber doch wieder
engverbundene Familie voll schönster Eintracht dar. An der Spitze des
gesamten Staatswesens stand der Stamm der Weisen oder der Hüter des
Gesetzes.

Die Bevölkerung des Mars schied sich in folgende sieben Stämme:

1. Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

2. Stamm der Heitern (Bildende Künste: Maler, Bildhauer, Komponisten).

3. Stamm der Ernsten (Gelehrte aller Richtungen).

4. Stamm der Frohmütigen (Darstellende Künste: Musiker, Schauspieler).

5. Stamm der Sorgenden (Acker- und Gartenbauer und Dienende).

6. Stamm der Flinken (Handel- und Verkehrtreibende).

7. Stamm der Findigen (Industrielle).

Die sechs letzten Stämme standen einander im Ansehen völlig gleich. Der
erste Stamm rekrutierte sich aus den erfahrensten, ältesten, vor allem aber
den geachtetsten und durch ihre Lebensführung hervorragenden Individuen
männlichen wie weiblichen Geschlechts der übrigen sechs Stämme.

Der größte Stamm, der an Zahl seiner Angehörigen alle andern Stämme
zusammen weit übertraf, war der der Sorgenden.

Die Zulassung zu den einzelnen Stämmen, den der Weisen allein ausgenommen,
wurde lediglich durch die Neigung und den Nachweis der Fähigkeit
entschieden. Ein Übertritt von dem einen Stamm in den andern konnte auf
Grund einer Prüfung jederzeit an einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden.
Fest gebunden war niemand, und gerade dieser völlige Mangel an Zwang schien
hier oben eine der Hauptursachen für die Entwicklung der verschiedenen
Berufsarten zu sein.

Ein natürlicher, vernünftiger Ehrgeiz, das Bestmögliche zu leisten,
beherrschte die Marsbewohner und hielt nicht nur das Streben des Einzelnen
wach, sondern regelte es auch in gesunder Weise.

Da auf dem Mars kein Geld in Umlauf war, so gab es auch nicht das
widerliche, Geist wie Körper gleichmäßig aufreibende Hasten und Jagen nach
dessen Besitz wie unten auf der Erde. Geldsorgen waren auf dem Mars
unbekannt. Die verschiedenartigsten Leistungen des einzelnen wurden durch
Anweisungen auf seine sämtlichen Lebensbedürfnisse aufgewogen. Zu diesen
Bedürfnissen wurde aber auch eine gewisse Summe von Lebensfreude gerechnet,
wie sie die bildenden und darstellenden Künste und dergl. zu bieten
vermögen.

Der höchste Ruhm und die größte Ehre bestand in der allgemeinen Anerkennung
und Wertschätzung. Diese konnte sich aber jeder durch treue Erfüllung
seiner Pflichten und Obliegenheiten erringen. Für die Leistungen, die über
die allgemeine Pflichtarbeit hinausgingen, also da, wo das wirkliche
Verdienst um das große Ganze beginnt, erhielten die Marsiten durch den
Stamm der Weisen Auszeichnungen in Form öffentlicher Belobungen, die den
Inhaber in vorgeschrittenerem Lebensalter zum Eintritt in diesen allgemein
hoch verehrten Stamm berechtigten.

Das gesamte Leben auf dem Mars war in seiner so eigenartigen Form nur
dadurch möglich, daß es unter dem ausschließlichen Zeichen des
Zusammenhalts stand. Der allgemeine Grundsatz, daß das einzelne Individuum
alles tun muß, was das Gesamtwohl fördert, alles zu unterlassen hat, was
dem Nebenmenschen Schaden und Schmerzen bereitet, war hier oben schon seit
undenklicher Zeit in die Praxis umgesetzt. Dabei wurde die Eigenliebe, ein
gesunder, berechtigter Egoismus, nicht vernichtet. Der natürliche
Selbsterhaltungstrieb des einzelnen wurde durch die einfache Erkenntnis
machtvoll gefördert, daß vom Wohl und Wehe des Nächsten auch das eigene
Wohl und Wehe abhänge, daß das Blühen und Gedeihen der andern das eigene
Blühen und Gedeihen mit einschließe, und daß ihr Elend gleichbedeutend mit
dem eigenen sei.

Diese klare, natürliche Moral, die zu reiner Nächstenliebe (Altruismus)
führt, und die jeden geistig normalen Menschen instinktiv das Gute tun und
das Schlechte meiden läßt, bestand in vollster Anwendung auf dem Mars. Die
Quelle aller Übel auf der Erde, die rohe Selbstsucht, die die Unsumme von
Gesetzesparagraphen nötig machte, bestand beim Marsvolke nicht.
Nächstenliebe, Wahrheit, ein gewisser Frohmut schlossen den niederen
Egoismus völlig aus.

Ein Bund von Brüdern und Schwestern schien das Volk hier oben zu sein,
wissend, wahr, frei und gut, das Ideal reinen Menschentums verwirklichend.
Wie klein kamen sich die Söhne der Erde vor, als sie nach und nach die
Pfeiler kennenlernten, auf denen das Staatswesen sowie das öffentliche und
private Leben der Marsiten so fest ruhte! Und diese festen Pfeiler waren
hervorgegangen, herausgebaut aus einer großartig organisierten, allgemeinen
und freien Schulung der Marsjugend. Die ideale Schule der Zukunft, von der
Professor Hämmerle in Tübingen so viel schon geträumt, -- hier auf dem Mars
begegnete er ihr als einer alten, bewährten Einrichtung.

Der leitende Grundsatz der Marsschulen war, die Jugend geistig und
körperlich gleich gut zu bilden; denn je gebildeter und körperlich
kräftiger zugleich ein Individuum ist, desto fähiger ist es, seine
Lebensaufgaben und seine Pflichten als Mitglied des Staates zu erfüllen.
Der Unterricht beschränkte sich daher nicht nur auf die einfacheren,
elementaren Kenntnisse, sondern er erstreckte sich auch auf die Geschichte
und die Kenntnis der Einrichtungen des Staatswesens, auf die Einführung in
die Gesetze der Natur und auf die Bekanntschaft mit den poetischen und
prosaischen Meisterwerken der Marsliteratur. Hand in Hand damit ging der
Unterricht in der allgemeinen Körperpflege und in der Gesundheitslehre, der
den Altersstufen der Jugend entsprechend angepaßt war.

Gymnastische Spiele aller Art füllten die Nachmittage aus, an denen der
Unterricht wegfiel. Am Ende einer bestimmten Schulzeit wurden Wettprüfungen
vorgenommen. Wer aus ihnen als Sieger hervorging, rückte zu den höheren
Unterrichtsklassen vor. Auf diese einfache Weise war eine klare Scheidung
zwischen den wirklich talentierten und den weniger begabten Schülern
durchgeführt. Den ersteren stand dann der Weg zu den Kunstschulen oder zu
den verschiedenartigen höheren wissenschaftlichen Lehranstalten offen. Die
höhere Bildung war Gemeingut des ganzen Volkes, und keine anmaßende
Mittelmäßigkeit konnte sich auf dem Mars breitmachen.

»Wir Erdgeborene sind die reinen Stümper gegen diese Prachtkerle hier oben.
Was für ein Leben hier im Verhältnis zu dem da unten auf der Erde! Hier
hellster Sonnenschein, dort trüber Nebel. Wie unendlich weit zurück steht
die so gepriesene Kultur unserer führenden Nationen gegen die des
Marsvolkes!« äußerte sich eines Tages Brummhuber, als die Herren gerade
beim Mahle saßen.

»Ich vermutete schon unten auf unserm Planeten, daß wir hier oben Wesen von
hoher Vollkommenheit antreffen würden, ich gestehe aber, daß meine
Erwartungen in jeder Richtung weit übertroffen worden sind,« antwortete
Stiller.

»Freilich, bieten können wir den Menschen hier nichts, aber auch rein gar
nichts. Und das drückt mich persönlich schwer,« warf Thudium ein.

»Was sollten wir ihnen auch bieten? Vielleicht von unserm Pessimismus, von
der widerlichen Selbstsucht, von der unser Leben vergiftenden Unwahrheit?
Alles Kennzeichen unserer Zivilisation!« rief in ehrlicher Entrüstung
Professor Piller.

»Sie haben recht, Piller, leider nur zu recht,« bestätigte Professor
Stiller. »Mars bietet entschieden heute schon das, was den Geschlechtern
auf der Erde vielleicht erst im Laufe der kommenden Jahrhunderte zuteil
werden wird.«

»Ob es wohl je dazu kommen wird?« seufzte Frommherz.

»Daran ist nicht zu zweifeln,« entgegnete Hämmerle. »Mars hat ohne Zweifel
einst dieselben oder wenigstens ähnliche Stufen in seiner zivilisatorischen
Entwicklung durchgemacht wie die Völker der Erde. Seine Kultur ist nur
bedeutend älter.«

»Jawohl, um Tausende und Abertausende von Jahren. Die Frage ist nur die, ob
wir überhaupt die Fähigkeit haben, bei der Entartung unserer Rassen -- ich
betone das Wort Entartung nochmals ganz besonders! -- die Höhe der
Marskultur zu erklimmen. Ich möchte es bezweifeln!« schrie Piller und
suchte seine zornige Erregung durch einen Schluck Wein zu besänftigen.

»Piller, Sie sind ja selbst Pessimist und ungerecht wie immer,« tadelte
Dubelmeier.

»Ich Pessimist? Und ungerecht? Was verstehen Sie denn darunter?«

»Darüber lasse ich mich mit Ihnen in keine Aussprache ein!«

»Oho! Also beleidigen wollen Sie mich, wie es scheint?«

»Fällt mir gar nicht ein; dazu sind Sie mir viel zu lieb und wert, Sie
alter Alkoholikus! Aber ungerecht und pessimistisch ist es meines
Erachtens, wenn Sie so schroff unsern Völkern auf der Erde die Fähigkeit
einer gesunden Weiterentwicklung absprechen.«

»Ich möchte Freund Dubelmeier beistimmen,« warf hier Stiller ein. »Piller,
nehmen Sie doch uns zum Beispiel als Modelle an!«

»Schöne Modelle, fürwahr!« brummte Piller, sichtlich besänftigt durch den
genommenen Schluck Wein.

»Freilich, Modelle von Erdensöhnen, wie ich ohne allzu große
Selbstüberhebung sagen darf; vertreten wir doch bis zu einem gewissen Grade
die Zukunft. Was wir heute auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung und der
Entwicklung des moralischen Gefühles vertreten, wird später mehr und mehr
das Gemeingut der Massen der Kulturvölker auf unserer Erde.«

»Wer's glauben mag!«

»Es ist nicht allein mein Glaube, nein, es ist, auch meine felsenfeste
Überzeugung, gestützt auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit.«

»Stiller, ich will Ihnen nicht widersprechen, denn ich möchte mich nicht
noch mehr ärgern, sondern im Gegenteil froh darüber sein, daß ich hier oben
in dem reizenden Lumata sitzen darf.«

»Ein vernünftiger Ausspruch, der aller Ehren wert ist. Und nun Friede,
meine lieben Freunde!« rief Frommherz.

»Einverstanden!« fügte Brummhuber bei.

Einige Tage waren seit dieser Unterhaltung verflossen. Da erschien Eran,
der Patriarch aus dem Stamme der Alten, wieder einmal im Heim seiner Gäste
und lud die Herren ein, mit ihm für kurze Zeit nach Angola zu reisen.
Freudig stimmten die Herren bei. Diesmal wurden in Angola Schwabens würdige
Söhne von dem Stamme der Weisen förmlich empfangen. Vollzählig hatten sie
sich hier versammelt, um nebenbei auch noch über eine Reihe wichtiger
innerer Fragen zu entscheiden. Gleichzeitig tagte auch noch der Stamm der
Ernsten, um in einer Versammlung, wie sie von Zeit zu Zeit stattfand,
Gedanken und Beobachtungen wissenschaftlicher Art untereinander
auszutauschen.

Die Aufnahme der Erdensöhne in Angola ließ an Herzlichkeit nichts zu
wünschen übrig. Ihre so wunderbare und schnelle Fahrt von der Erde her
durch den ungeheuren Weltraum nach dem »Lichtentsprossenen«, wie die
Marsiten ihren schönen Planeten nannten, war begreiflicherweise zuerst der
Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung und des lebhaftesten Interesses.

Bei der ersten Sitzung des Stammes der Ernsten, die in einem großartig
ausgestatteten Saale eines Marmorpalastes stattfand, erklärte Professor
Stiller die verschiedenen Umstände, die ihn zur Konstruktion des
Weltenseglers und zu der kühnen, mit so großem Erfolge gekrönten Fahrt
bestimmt hätten. Er erzählte ihnen ferner von seiner engeren und weiteren
Heimat, von den Völkern Europas und von der Erde überhaupt. Letztere war
den Ernsten wohl bekannt. Die Begriffe, die sie sich von ihr dank ihren
außerordentlich scharfen Instrumenten und ihrer Vorstellungskraft zu machen
verstanden, kamen der Wirklichkeit verblüffend nahe. So wußten die
Marsgelehrten, daß das dritte Kind des Lichtes (als Kinder des Lichtes
bezeichneten die Marsiten alle Planeten), die Erde, Eismassen an ihren
Polen führe, die einen ansehnlichen Bruchteil des Meerwassers in feste
Bande geschlagen haben, und daß die Oberfläche der Erde von über siebzig
Prozent Meerwasser bedeckt sei. Auch daß die Erdatmosphäre reich an
Wasserdampf sein müsse, schlossen sie aus dem Verhältnis des Festlandes zu
den Meeren. Die Dichtigkeit der Erde war ihnen genau bekannt, ebenso ihr
Polar- und Äquatorialdurchmesser, ferner die Geschwindigkeit ihrer Bewegung
um sich selbst wie um das »ewige Licht«, die Sonne, und dergleichen mehr.

Ja, auch von den einzelnen Erdteilen hatten sie richtige Vorstellungen, und
diese gingen sogar so weit, daß sie eine Reihe einzelner größerer Länder
oder Gebiete zu unterscheiden vermochten. Um so weniger schwer war es daher
den gelehrten Fremden, die Marsiten gewissermaßen, auf der Erde
spazierenzuführen, von der sie bereits so achtungswerte Kenntnisse besaßen.
Und so entwarfen sie ihnen ein genaues Bild ihres Vaterlandes und
berichteten von dem Ort am Neckar, von dem sie nach dem Mars abgefahren
waren.

Allen diesen Schilderungen brachten die Weisen sowie die Ernsten das
lebhafteste Interesse entgegen. Dieses Interesse steigerte sich noch, als
sie vernahmen, daß die sieben Schwaben ebenfalls zu einer Art Stamm der
Ernsten unten auf der Erde gehörten. Die Herren wurden daher eingeladen,
vor der versammelten Elite der Marsiten ihre Berufsarten näher zu
beleuchten, das heißt die Zustände zu schildern, unter denen sie auf der
Erde und bei ihrem Volke ausgeübt würden. Gleichzeitig wurde der allgemeine
Wunsch ausgedrückt, die Fremden möchten ein genaues Bild von dem Leben und
Treiben der Bewohner der Erde entwerfen, das dann zu einem Vergleiche mit
den bestehenden Verhältnissen auf dem Mars herangezogen werden sollte.

Es wurde ausgemacht, daß jeder der Professoren an einem bestimmten Tage
abwechselnd zwei Vorträge halten solle, den einen fachlich und den andern
über das allgemein interessierende Thema der Erdbewohner und deren
kulturelle Zustände. Die Professoren entledigten sich ihrer Aufgabe in
meisterhafter Weise. Sie erzählten von dem derzeitigen Stande der
verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in den Kulturländern der Erde,
besonders in Deutschland, beleuchteten ehrlich und rückhaltlos offen die
politischen und sozialen Gegensätze unter den wenigen um die führende Rolle
im Leben der übrigen Völker kämpfenden Nationen. Sie schilderten all die
Mittel der List, der Gewalt und Verschlagenheit, die dabei angewendet
würden, und erklärten den Marsiten, was unten auf der Erde unter der
Bezeichnung »Diplomatie« alles verstanden werde.

Sie verschwiegen auch die trüben Erscheinungen nicht, die der mehr und mehr
sich zuspitzende Kampf um das Dasein, der Wettstreit bei der Beschaffung
der notwendigsten Lebensbedürfnisse für die große Mehrzahl der Menschen,
sowohl der einfachen als auch der gebildeten Erdbewohner, mit sich bringe.
Unumwunden räumten sie ein, daß dem Fortschrittsdrange der Kulturvölker
leider überall auf der Erde alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt
würden durch allerlei einengende Einrichtungen und kleinliche Bestimmungen,
daß die Massen der sogenannten gebildeten Völker trotz gewaltiger
Fortschritte in der Technik und in den Naturwissenschaften immer noch weit
entfernt von dem Ideale einer reinen Weltanschauung seien.

Letztere werde nur von einem verhältnismäßig kleinen Bruchteile der
wirklich Hochgebildeten vertreten, und auch diese kleine Schar der
Auserlesenen sei mit geringen Ausnahmen von der schwersten und schlimmsten
Krankheit der Zeit angesteckt: der Feigheit. Man wage unten auf der Erde
bei den Kulturnationen -- von den weniger zivilisierten Völkern ganz zu
schweigen -- nicht, offen und klar das zu sagen, was man denke, aus Furcht,
bei mächtigeren Personen anzustoßen und dadurch seine Existenz zu
gefährden. Die Empfindungen würden daher auch selten mit den Handlungen in
Einklang gebracht. Infolgedessen herrsche überall ein mehr oder weniger
großer Mangel an Mut und Ehrlichkeit der Überzeugung, und die aus der
Heuchelei geborene Lüge hindere den Sieg der Wahrheit und lasse immer noch
sehr viele auf die Dauer doch als völlig unhaltbar erkannte Einrichtungen,
ungesunde, unvernünftige, der reinen Weltanschauung und dem Volkswohle
geradezu feindlich gegenüberstehende Zustände weiter bestehen.

Mit freudigem Staunen hätten sie auf dem Mars Verhältnisse angetroffen, die
dem Ideal des Lebens und des reinen Menschentums, das sie sich gebildet,
und dessen Verwirklichung von den Besten der Nationen unten auf der Erde so
heiß angestrebt werde, in der schönsten Weise entsprächen.

In dieser Art äußerte sich mehr oder weniger jeder der Herren. Frommherz
fügte diesen Berichten noch einige Bemerkungen über die religiösen
Anschauungen und die kirchlichen Einrichtungen Deutschlands hinzu.

Voll Aufmerksamkeit hatten die Weisen und die Ernsten diese
Auseinandersetzungen der Erdensöhne angehört. Die wissenschaftlichen
Darlegungen der Fremden brachten den Marsiten nichts Neues, die sozialen
und übrigen Bilder, die ihnen von ihren Gästen so lebhaft vor Augen geführt
worden waren, hatten ihr Interesse am meisten erregt. Mit keinem Laute
waren die langen Vorträge unterbrochen worden.

Als Stiller den Schluß der Vorträge verkündet hatte, zogen sich die Weisen
und die Ernsten zu einer gemeinsamen Beratung zurück, von der die sieben
Schwaben ausgeschlossen waren. Das Ergebnis dieser Beratung aber sollte
ihnen später bekannt gegeben werden.

»Was die nur vorhaben?« fragte besorgt Frommherz.

»Nun, ich denke, sie werden scharfe Kritik an unsern Schilderungen üben,
wozu sie ja auch vollkommen berechtigt sind,« antwortete Stiller.

»Und uns dann den Laufpaß geben, passen Sie auf,« fügte Brummhuber bei.

»Dies zu tun, sind unsere Wirte viel zu anständig,« entgegnete Piller,
»obwohl ich nicht bestreiten will, daß die Marsiten zu einer Einladung,
unsere Abreise endlich einmal in den Kreis unserer Überlegung zu ziehen,
ein gewisses Recht hätten.«

»Warten wir ab, was kommt!« entschied Dubelmeier.

»Bleibt uns auch nichts anderes übrig,« seufzte Frommherz, der seiner
religiös-kirchlichen Darstellungen wegen ein etwas bedrücktes Gewissen
hatte.

Aber es war doch eine gewisse Unruhe, die die Erdensöhne beherrschte, als
sie miteinander durch die paradiesisch schönen Parkanlagen von Angola
spazierten, während die Beratung der Marsiten stattfand.

Am nächsten Tage, dem zehnten ihres Aufenthaltes in Angola, wurden die
Schwaben wiederum in feierlicher Weise in den großen Sitzungssaal geführt,
in dem sie ihre Vorträge gehalten hatten. Der Älteste unter den Alten, eine
Hüne von Gestalt, Anan mit Namen, erhob sich und begrüßte zunächst wieder
in herzlichen Worten die Eingeführten.

»Meine lieben Freunde!« sprach er weiter zu ihnen. »Wir alle haben gestern
mit lebhaftester Teilnahme eure Schilderungen vernommen, die ihr von den
allgemeinen und besonderen Verhältnissen eures Weltkörpers entworfen habt.
Diese Schilderungen haben in uns merkwürdige Gefühle und Empfindungen
ausgelöst, so daß wir uns über sie zuerst in aller Ruhe klar werden
wollten, bevor wir euch mit unserem schuldigen Danke zugleich auch eine
Antwort auf das Gehörte geben. Dies war der Grund, warum wir uns zu einer
Beratung unter uns zurückgezogen haben. Vor allem danken wir euch für die
anerkennenswerte Offenheit, mit der ihr uns das Leben eurer Kulturvölker
geschildert habt. Uns muteten eure Berichte im ersten Augenblicke wie
Märchen an. Wir würden sie auch als solche auffassen, wären wir nicht von
dem Ernste eurer Lebensauffassung, von eurer Rechtschaffenheit und
Ehrlichkeit vollkommen überzeugt. Nicht vergeblich haben wir euer Leben in
Lumata beobachtet. Das Ergebnis dieser Beobachtung war unsere Einladung
hieher, das Zeichen unserer Achtung und unseres Vertrauens. Und nun wende
ich mich zu euren Auseinandersetzungen. Umsonst haben wir in der Geschichte
unserer Vergangenheit geblättert; solch barbarische, von der Unwahrheit
beherrschte Zustände im Leben der einzelnen wie der Völker, wie sie bei
euch noch bestehen, haben wir in diesem Umfange glücklicherweise nie
gekannt. Gewiß, es fehlte auch uns nicht an inneren Kämpfen, an schweren
Enttäuschungen aller Art, bis wir uns endlich im Laufe der Zeit zu den
Lebensverhältnissen und Lebensauffassungen durchgerungen haben, die ihr bei
uns heute bewundert. Aber unsere Entwicklung vollzog sich weniger mühselig,
weniger schmerzhaft als die eure. Schon vor Urzeiten hatte sich bei uns in
der breiten Masse des Volkes die Erkenntnis durchgerungen, daß unsere erste
Aufgabe unsere Erhebung, nicht aber das Verharren in unserer Niedrigkeit
sei, aus der wir hervorgegangen sind. Diese unsere Erhebung und Entwicklung
zur reinen Freiheit konnte nur durch eine vernünftige, naturgemäße
Aufklärung kommen, die uns für das hehre Licht der Wahrheit empfänglich
machte.

Ihr, liebe Freunde, habt während eures längeren Aufenthaltes bei uns nach
und nach die Wege kennengelernt, die wir eingeschlagen haben, um dieses
hohe Ziel zu erreichen, Wege, die wir, weil sie sich bewährt haben, auch
heute noch wandeln und fernerhin wandeln werden. Darüber will ich kein Wort
mehr verlieren. Gerne wollen wir auch zugeben, daß wir es mit unserem
Entwicklungsgange ungleich leichter gehabt haben, als ihr es in dieser
Beziehung unten auf der Erde noch habt. Hier bei uns haben wir ein ziemlich
gleichmäßiges, in Sprache, Denken und Empfinden übereinstimmendes Volk,
während dies auf eurem Planeten nicht der Fall ist. Wir konnten uns daher
mit viel weniger Schwierigkeiten und ohne den von euch geschilderten
furchtbaren Massenmord, Krieg genannt, zu der Höhe unserer Kultur erheben,
die eurem Ideale nahe kommt. Wir hatten also diese entsetzlichen
Verwirrungen nicht zu überwinden, die eurem Glücke und Fortschritte so
fürchterlich hemmend entgegentraten und noch drohend entgegenstehen.

Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, ein brüderlicher Gemeinsinn besteht bei
uns seit Äonen. Es bildet den fundamentalsten Bestandteil unseres
Bewußtseins und die Triebkraft unseres Handelns. Bedauerlicherweise fehlt
bei euch dieses mächtige Gefühl der Zusammengehörigkeit oder ist zum
mindesten noch nicht in dem Maße vorhanden, als zum Wohle des Ganzen so
dringend nötig wäre. Der Grund eures Tiefstandes liegt meines Erachtens
nach in dem Mangel an jener einfachen, natürlichen Moral, die unser Leben
so vorteilhaft beeinflußt.

Für uns war es schmerzlich zu hören, wie bei euch jeder Fortschritt, auch
der kleinste, durch ein Meer von Tränen, von Blut und zertrümmerten
Existenzen führt. Und doch, -- ihr selbst sagtet es ja -- es muß und wird
einst besser bei euch auf der Erde werden. Ihr selbst seid dafür die
lebendigen Zeugen, denn ihr stellt heute schon das vor, was die Masse bei
euch nach eurem eigenen Ausspruche in späterer Zeit sein wird. Wackere,
brave Männer von der geistigen Bedeutung wie ihr müssen daher unten auf der
Erde wirken, an der Weiterentwicklung ihrer Brüder arbeiten. Wenn auch der
einzelne von euch bei dieser schwierigen Arbeit keine volle Befriedigung
empfindet, -- dies gilt ja von allem Streben nach noch nicht Erreichtem! --
so bedenkt, daß die Folgen der Arbeiten an dem Werke der Vervollkommnung
eurer Mitmenschen zwar nicht euch, so doch euren Nachkommen zugute kommen
werden.

Unser Rat lautet dahin: Kehrt zurück auf eure Erde!« -- »O Himmel, ahnte
ich es doch!« klagte bei diesen Worten Anans Professor Frommherz leise vor
sich hin. -- »Schweigen Sie, Jammerseele!« herrschte ihn unsanft Piller an.
-- »Kehrt zurück in euer Schwabenland, zu dem biedern Volke, aus dessen
Mitte ihr stammt, und widmet euch dort wieder dem erhabenen Werke der
Vervollkommnungsarbeit. Ferne sei es von uns, euch von hier wegdrängen zu
wollen, ihr seid und bleibt uns werte Gäste.« -- »Dem Himmel Dank!«
murmelte hier Frommherz. -- »Aber ich gestehe es aufrichtig, und ich
spreche hier die Ansicht von allen meinen Brüdern und Schwestern aus: Ihr
seid die ersten und zugleich die letzten fremden Wesen, die von einem der
fernen Kinder des Lichtes zu uns gelangen durften. Denn dies ist der
Hauptpunkt, das Endergebnis unserer Verhandlung. Im Interesse unseres
Volkes lehnen wir weiteren Verkehr ab. Nicht mit euch, -- ich betone
nochmals ausdrücklich, daß ihr uns werte, liebe Gäste und Freunde seid, --
nein, überhaupt; denn wir haben keine Gewähr dafür, daß nicht auch einmal
Fremde zu uns gelangen könnten, die nicht auf der Höhe der Anschauung
stehen wie ihr und deren Benehmen bei längerem Aufenthalte wahrscheinlich
dann nur zu unerquicklichen Auseinandersetzungen und schließlich zu einer
gewaltsamen Entfernung von hier führen müßte. Das wollen wir uns aber
ersparen.

Eure kühne Reise wird zwar so bald nicht wieder Nachahmer finden. Doch kann
man dies nicht wissen, und so haben wir bereits die bestimmte Weisung
gegeben, künftig und für alle Zeiten auf unserem Lichtentsprossenen kein
Luftschiff mehr landen zu lassen, woher es auch kommen möge, und wäre es
auch aus dem uns durch euch so sympathisch gewordenen Schwabenlande. Bleibt
bei uns, wenn ihr wollt, oder fliegt über kurz oder lang wieder heimwärts.
Wir stellen dies ganz in euer Belieben und sind und bleiben stets eure
aufrichtigen, treuen Freunde. Ich bitte euch, liebe Brüder und Schwestern,«
-- mit diesen Worten wandte sich Anan an die Marsiten -- »ruft mit mir:
Glück und Heil den sieben Schwaben, unsern lieben ersten und einzigen
Gästen!«




Sechstes Kapitel
Im Reiche der Vergessenen


Mit gemischten Gefühlen kehrten die Herren von Angola nach Lumata zurück.
Sollten sie auf dem Mars bleiben oder sollten sie gehen? Das war die
ernste, schwerwiegende Frage, die sie in den folgenden Monaten
beschäftigte.

»Wenn uns die Marsiten in Angola auch nicht geradezu den Stuhl vor die Tür
gesetzt haben, so haben sie uns doch deutlich genug zu verstehen gegeben,
daß wir unsere sieben Sachen zusammenpacken sollen,« äußerte sich eines
Tages Piller zu seinem Kollegen Stiller.

»Sie haben recht! Und ich muß Ihnen auch aufrichtig erklären, daß mir
dieses unproduktive Leben, diese an uns geübte weitgehende
Gastfreundschaft, für die wir uns auch nicht im geringsten erkenntlich zu
zeigen vermögen, zuwider zu werden anfängt. Einmal müssen wir doch an das
Fortgehen denken, denn bis ans Ende unserer Tage können wir wohl nicht hier
oben sitzen bleiben.«

»Hm, hm, gerne gehe ich von Lumata nicht fort; es wird mir wirklich sehr
schwer! Denke ich nur an unsere Herreise mit allen ihren Beschwerden, so
graut es mir förmlich vor einer Rückkehr. Aber diese muß stattfinden,
darüber kann und darf kein Zweifel bestehen. Es handelt sich nur um den
Zeitpunkt. Warten wir's noch ab!« antwortete Piller.

»In ähnlicher Weise wie Sie sprechen sich auch die andern Freunde aus,
lieber Piller. Nur Frommherz macht eine Ausnahme. Der weicht soviel wie
möglich jeder Erörterung aus, die die Rückkehr zum Gegenstand hat.«

»Glaub's wohl!« lachte Piller laut auf. »Unser lieber Freund Friedolin ist
überglücklich, hier oben weilen zu dürfen, und bekommt stets
Herzbeklemmungen, wenn wir von einer Heimreise zu reden beginnen. Im Grunde
genommen kann ich es ihm nicht verübeln, wenn er dauernd hierbleiben
möchte. Aber aufhören muß einmal diese Art von Schlaraffenleben, das ist
klar. Darin stimme ich Ihnen also völlig bei, Stiller.«

»So bleiben wir einstweilen noch hier und nützen unsere Zeit möglichst gut
aus. Inzwischen sorge ich für die tadellose Ausbesserung unseres
Weltenseglers, für Bereitstellung des geeigneten Proviantes usw. Langsam,
aber gründlich werde ich die Vorbereitungen zu unserer Abreise treffen.«

»Und vergessen Sie mir nicht den feinen goldenen Tropfen! Nehmen Sie nur
gleich, bitte, einen anständigen Vorrat davon mit in die Gondel!«

»Soll geschehen, Sie ewig Durstiger,« sagte lächelnd Stiller.

In freundlichem, angenehmem Verkehr mit dem liebenswürdigen Marsvolke, in
kleinen und größeren Ausflügen und Reisen verfloß die Zeit nur zu rasch.
Auf einem ihrer Streifzüge waren sie auch weiter hinaus aus der
eigentlichen Bevölkerungszone in die nördliche, kühlere Region des Planeten
gelangt. Es mutete die Forscher ordentlich heimatlich an, als sie hier
wohlgepflegte Nadel- und Laubholzwaldungen neben saftigen, grünen Wiesen
und schönen, dunkelblauen Seen fanden. Hohe Gebirgszüge schoben sich
dazwischen, und ihre mit Schnee bedeckten höheren Gipfel verstärkten noch
den Eindruck einer alpinen Landschaft.

Hier stießen sie auch auf zerstreute, weit auseinander liegende kleine
Kolonien von Marsiten, deren ernstes, wortkarges Wesen und Auftreten
merkwürdig von der heiteren und frohen Lebensauffassung ihrer übrigen
Brüder abstach. Auf ihr Befragen erfuhren die Gelehrten, daß ähnliche
kleine Kolonien auch in der südlichen kühlen Zone des Mars beständen. Die
Kolonisten hießen die »Vergessenen«, weil ihre Namen vorübergehend oder
auch dauernd von den Tafeln der Marsstämme gestrichen worden seien.

»Dann sind es somit Verbrecher, die, von der Gemeinschaft der übrigen
ausgestoßen, hier oben ihre Strafe abzubüßen haben?« fragte Dubelmeier.

»Wir kennen nur Gesetzesübertreter, keine andern Missetäter,« wurde dem
Frager erklärt.

»Nun, schließlich kommt dies ja auf das gleiche heraus,« antwortete
Dubelmeier. »Worin besteht denn bei euch die Gesetzesübertretung, die die
Strafe der Verbannung in diese Gegenden nach sich zieht?«

»In mangelhafter Erfüllung der allgemeinen Pflichten und Obliegenheiten.«

»Da müßte man bei uns auf der Erde neun Zehntel aller Menschen verbannen,
und wir kämen des Platzes wegen für diese Menge von Verbannten in die
größte Verlegenheit,« rief Piller voll Erstaunen.

»Wir sind auch nicht auf eurem Planeten,« antwortete mit überlegenem
Lächeln Varan, der Führer der Reisebegleitung.

»Aber es ist doch grausam, kleinerer Verstöße wegen einen Mitmenschen aus
seiner ihm trauten und gewohnten Umgebung zu reißen,« warf Hämmerle ein.

»Über die Art der Verstöße gegen unsere Lebensvorschriften zu richten, sind
nur wir allein maßgebend,« entgegnete Varan ernst.

»Ohne Zweifel!« gab Stiller zu.

»Aber Verzeihung ist die Krone der Liebe! Verzeiht ihr nicht auch?«
forschte Frommherz.

»Gewiß! Aber es gibt Vergehen, für die niemals Verzeihung gewährt werden
kann. Sie sind zwar äußerst selten, diese Fälle, aber sie kommen bei uns
doch noch hier und da vor. Die Vergessenen erhalten nach einer gewissen
Zeit der Prüfung meist ihre Namen wieder. Es steht ihnen dann die Rückkehr
in die engere Heimat und der Wiedereintritt in ihren Stamm frei. Aber nur
wenige machen von dieser Erlaubnis Gebrauch. Einmal ausgestoßen, zieht
unser Bruder ohne Namen es für gewöhnlich, vor, da zu bleiben, wo er
hingebracht wurde, und sein Leben in strenger Arbeit dem Wohle der übrigen
zu widmen.«

»Worin besteht diese Arbeit?« fragten die Herren.

»In tadelloser Instandhaltung der hier ihren Ursprung nehmenden Kanäle:
eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe, von deren gewissenhafter
Erfüllung unsere Gesamtexistenz abhängt.«

»Und wer sorgt für den Unterhalt der Vergessenen?«

»Sie selbst. Sie treiben nebenbei Viehzucht, Ackerbau und dergleichen mehr.
Kommt einmal die Zeit, wo es keine Vergessenen mehr bei uns gibt, so müssen
wir eben selbst diese Arbeiten ausführen. Darüber liegen bereits genaue
Bestimmungen vor, denn unsere Vergessenen vermindern sich mehr und mehr,«
schloß Varan seine Auseinandersetzungen.

»Wunderbar glücklicher Planet, dieser Mars! Sogar die Missetäter hier oben,
wenn man sie nach unseren Begriffen so bezeichnen darf, werden wieder
Wohltäter durch ihre Leistung für das große Ganze,« rief Stiller voll
Enthusiasmus. »Und doch erfüllt es mich mit einer gewissen, wenn auch
höchst bescheidenen, Genugtuung, daß auf dem Mars dieses Lebensbild voll
Glanz und Licht einen kleinen Schatten hat, daß es auch nicht rein
vollkommen ist.«

»Vollkommen oder unvollkommen sind Begriffe, die wir uns selbst unten auf
der Erde geformt haben, und die wir im Sinne ihrer Bedeutung für uns auf
die Zustände hier oben nicht anwenden dürfen,« antwortete Dubelmeier.

»Sehr richtig!« bestätigte Frommherz. »Mir persönlich kommt hier oben alles
vollkommen, alles ganz wunderschön vor. Hier habe ich das Paradies
gefunden, von dem man bei uns träumt.«

»Sie Schwärmer!« erwiderte lachend Piller. »Besser ist die Marswelt
entschieden als die unsere, und unsere Erde die beste der Welten zu nennen,
wie es allgemein geschieht, ist daher nichts als platter Unsinn. Aber,
lieber Frommherz, bald müssen Sie aus Ihrem Paradiese heraus und wieder
hinunter nach Tübingen.«

»Das kann unmöglich Ihr Ernst sein, Piller,« stotterte Frommherz
erbleichend.

»Bitterer Ernst, mein Freund! Die schönen Marstage gehen nun bald zu Ende,
nicht nur für Sie, nein, auch für uns, leider, leider!« Professor Piller
mußte sich nach diesen Worten heftig schneuzen.

»Aber die entsetzliche Reise!« jammerte Frommherz. »Haben Sie denn schon so
vollständig die ungeheuren Mühseligkeiten unserer Herreise vergessen?«

»Lieber Frommherz, es _muß_ sein,« entgegnete Stiller. »Wir sind nun bald
zwei Jahre Gäste hier, und auch die Gastfreundschaft hat ihre Grenzen.
Übrigens wissen Sie auch ganz genau, daß die Marsbewohner mit unserer
Abreise rechnen. Ich glaube, die Worte, die damals Anan in Angola an uns
richtete, enthielten deutlich genug den Wink zum Fortgehen. Unser Ehrgefühl
und auch unsere Dankbarkeit erfordern, daß wir den Mars verlassen und zwar
bald. Gewiß, die Rückreise ist mühselig, sie wird möglicherweise noch
anstrengender für uns werden als die Herfahrt, aber -- es muß sein!«

»Aber -- aber könnte nicht ich wenigstens zurückbleiben?«

»Es geht nicht! Es ist nicht gut möglich! Wir sind miteinander gekommen,
und wir müssen daher auch wieder miteinander gehen. Das ist klar. Wir alle,
Sie leider ausgenommen, sind darüber einig, daß wir gehen müssen, obgleich
uns der Abschied von diesem herrlichen Planeten wahrlich schwer genug wird,
denn wir haben ohne Zweifel auf ihm die schönste und an Genuß reinste Zeit
unseres Lebens zugebracht. Einen Drückeberger darf es nicht geben,«
entschied Stiller.

Etwas beschämt über diese wie eine Zurechtweisung klingende herbe Antwort,
ließ Frommherz nichts mehr über die ihn bewegenden Gefühle verlauten; er
verschloß sie von jetzt ab fest in seiner Brust.

In dem landschaftlichen Bilde, das sich hier den Augen bot, fiel Herrn
Dubelmeier ein stattlicher Berg auf, der isoliert in stolzer Einsamkeit
seine schneebedeckten Gipfel gen Himmel streckte. Der ganze pyramidenartige
Aufbau des Berges verriet seinen vulkanischen Ursprung. Von seiner etwas
abgestumpften Spitze aus mußte man eine großartige Fernsicht genießen. Bei
diesem Gedanken war in Herrn Dubelmeier die alte Leidenschaft des
Bergsteigers wieder geweckt.

»Wie wäre es, wenn wir zum Schlusse unseres Aufenthaltes auf dem Mars jenem
prächtigen Berge da drüben einen Besuch abstatten würden? Bei der
Beschaffenheit der Marsatmosphäre dürften wir dort oben eine
außerordentlich schöne Aussicht haben,« sprach Dubelmeier zu seinen
Gefährten.

»Ich komme mit,« entschied Stiller kurz entschlossen.

»Ich auch!« erklärte Piller. »Wie heißt der Berg, Varan?«

»Der Berg des Schweigens.«

»Ein merkwürdiger Name!« meinte Stiller. »Wer kommt sonst noch mit?«

Aber die vier übrigen Schwabensöhne konnten sich zu der Tour nicht
entschließen. Eine gewisse Mattigkeit und Abspannung hielt sie davon
zurück. Man kam überein, daß sie hier die Rückkehr der drei Freunde
abwarten sollten. Varan sorgte für alle Bedürfnisse der kleinen Karawane
und vergaß auch nicht die passenden Kleidungsstücke und die sonstigen
erforderlichen Gegenstände. In Begleitung von drei Marsiten reisten die
Herren ab. Ein Motorboot brachte sie auf einem der Kanäle rasch bis zum Fuß
des Berges, der sich beim Näherkommen immer mehr als ein Riese entpuppte.
Dubelmeier schätzte seine Höhe über der Talsohle auf ungefähr dreitausend
Meter.

Steil fiel er von allen Seiten ab, und es war nur in langen Zickzacklinien
möglich, zu ihm emporzuklimmen. Es war dies ein beschwerliches Stück
Arbeit. Bei jedem Schritt sank der Fuß bis über den Knöchel in den
schwarzen Sand des verwitterten Lavafeldes ein. Stunden vergingen in
ermüdendem Steigen, bis die Herren endlich in die Nähe der Schneegrenze
gelangten. Hier wurde Halt gemacht. Einige Stunden der Ruhe sollten die
gesunkenen Kräfte der Bergsteiger wieder heben. Erst jetzt konnten die
Herren erkennen, wie hoch sie schon gekommen waren, denn bei dem mühsamen
Stampfen durch den lockern Boden hatten sie keine Zeit gehabt, Umschau zu
halten.

Während die Marsiten einen Imbiß herrichteten, betrachteten die drei
Schwaben das zu ihren Füßen sich ausbreitende parkartige Panorama, das sich
im Lichte der untergehenden Sonne golden spiegelte. Kein Laut, kein Ton,
der die Anwesenheit noch anderer belebter Wesen verraten hätte, ließ sich
vernehmen, nicht einmal das Rauschen eines talwärts strebenden Baches.
Alles schien an diesem Berge in die starren Fesseln völliger Stille
geschlagen zu sein, und der Berg trug daher seinen Namen mit Recht. Auch
die Erdensöhne waren schweigsam. Still mit den eigenen Gedanken
beschäftigt, starrte jeder der Männer vor sich hin.

»Ich besinne mich vergeblich, mit welcher Landschaft auf der Erde ich das
Panorama da unten vergleichen soll,« unterbrach Stiller das Schweigen.

»Mich erinnert es in etwas an den Vulkan Villa rica im südlichen Chile.
Hier wie dort ragt ein gleicher Bergkegel aus der Ebene hervor. Ganz
ähnlich ist der Ausblick auf dunkelgrüne Waldungen und hellglitzernde Seen
und Wasserstraßen.

Dazu kommt noch hier wie dort die durchsichtige Luft, die satte Bläue des
Himmels und die geheimnisvolle Stille der Natur,« entgegnete der
vielgereiste Dubelmeier.

»Das kann ich nicht beurteilen. Aber ein Bild voll tiefen Friedens, voll
wohltuender Anmut und Schönheit bleibt das Marsland auch von hoher Warte
aus. Von wo aus man es auch betrachten mag, überall tritt es uns wie eine
hehre Offenbarung entgegen,« rief Stiller begeistert.

Bei diesen Worten seines Kollegen schneuzte sich Piller wieder einmal sehr
kräftig.

»Recht haben Sie, Stiller! Doch hier kommt Speise und Trank, gute Mittel
gegen -- na, sagen wir Gemütsattacken.« Damit ergriff Piller eine Flasche,
schenkte sich von dem edlen Marsweine ein und trank das Glas mit einem
Schluck leer.

Die Nacht war herangekommen. Phobos und Deimos zogen ihre stille,
leuchtende Bahn, als die Karawane aufbrach, um auf dem festgefrorenen
Schnee langsam den Weg zur Spitze des Berges emporzuklettern. Tiefe
Rubintinten am östlichen Himmel kündigten den Aufgang der Sonne an, als
Schwabens Söhne endlich glücklich den Gipfel des Berges erreicht hatten.
Einem Glutballe gleich stieg bald darauf die Sonne empor und warf ihre
Strahlen über Berge und Täler. Ein Rundblick von überwältigender
Großartigkeit lohnte die Männer für ihre Anstrengungen des Aufstiegs.

Der Berg des Schweigens überragte die übrigen Höhenzüge ganz bedeutend. Er
war die höchste Erhebung der nördlichen Marshemisphäre. Weithin schweiften
die Blicke völlig frei und unbehindert. Selbst die fernsten Gegenstände
schienen, dank der dünnen, klaren Luft, dem Auge greifbar nahe gerückt. In
weiter, weiter Ferne nach Norden zu konnten die drei Gelehrten mit Hilfe
der scharfen Marsteleskope, die sie mit sich führten, eine weiße,
bogenförmige Linie erkennen. Diese grenzte scharf und deutlich den bläulich
schimmernden Horizont ab. Die Herren wußten zunächst nicht, wofür sie diese
eigenartige Linie, die ein erstarrtes Eismeer einschloß, halten sollten.

»Das ist ja der Nordpol des Mars!« entfuhr es plötzlich den Lippen
Stillers.

Eine große Erregung bemächtigte sich der Beobachter: der Hauch der
Unendlichkeit wehte ihnen hier entgegen. Ein solches Ergebnis der Fernsicht
hatten sie nicht erwartet. Immer und immer wieder betrachteten sie die
deutlich wahrnehmbare Abrundung.

»Kein, Zweifel, es ist der Nordpol. Wie wunderbar, daß unsere Augen auf
einem andern Planeten das schauen dürfen, was auf der Erde bis jetzt, allen
Versuchen zum Trotz, niemandem gelang!« sprach Herr Stiller. »Wie wird
dieses Bild erst bei Nacht sein!«

»Wie meinen Sie das?« forschte Dubelmeier.

»Nun, ich denke an die feurigen elektro-magnetischen Polausströmungen,«
erwiderte Stiller.

»So bleiben wir so lange hier!« entschied Piller. »Aber sehen sie einmal,
meine Freunde, was ist denn da unten?«

Stiller und Dubelmeier drehten sich um. Etwa zweihundert Meter unter ihnen
lag, hell beschienen vom Lichte des Tages, im Krater des früheren Vulkans
ein See von heller, smaragdgrüner Farbe. Blühende Blumen umsäumten seine
Ufer.

»Blumen und Wasser, Eis und Schnee, merkwürdige Kontraste! Wie verträgt
sich das?« fragte Piller. »Wir scheinen ja hier oben von einem Wunder ins
andere zu fallen!«

»Auf dem Mars hat das Merkwürdige überhaupt kein Ende!« entgegnete Stiller
lächelnd. »Doch untersuchen wir die Sache, und steigen wir hinab in den
Krater, der nebenbei noch ein ausgezeichneter Lagerplatz sein dürfte!«

Bald waren die Herren unten am See. Da, wo der Schnee aufhörte und der
Pflanzenwuchs einsetzte, fühlte sich der Boden warm an, ein Beweis, daß der
Vulkan noch nicht gänzlich erloschen war. Das Wasser des Sees war
gleichfalls warm und zeigte eine Temperatur von dreißig Grad Celsius. Das
wunderbar klare, nahezu durchsichtige Wasser von etwas salzigem Geschmack
ließ den Boden des tiefen Sees deutlich erkennen, der wie mit einem
tiefroten Teppich bedeckt erschien.

»Das sieht ja aus, als ob ein schwerer mineralischer Farbstoff hier
hineingeschüttet worden wäre,« äußerte sich Piller zu seinem Kollegen
Stiller.

»Es scheint Eisenoxyd zu sein, das sich auf dem Boden des Sees
niedergeschlagen hat. Wahrscheinlich war das Wasser einst stark
eisenhaltig,« entgegnete Stiller.

»Das mag sein. Dadurch ist auch das Fehlen jeglichen Tierlebens in dem
Wasser erklärlich.«

Die Herren betrachteten nun die in Fülle am Uferrande wachsenden blühenden
Pflanzen. Es war ein bunter, duftender Blumenteppich, der einen anmutigen
Eindruck auf die Erdensöhne machte. Alle möglichen Arten von Pflanzen waren
vertreten, die mit denen der alpinen Regionen der Erde verwandt waren.

Mit Behagen genossen die Herren die Stunden des Tages hoch oben im Krater
und bedauerten nur, daß die andern Freunde nicht auch anwesend waren. Als
der Abend gekommen war, stiegen sie, wohl eingehüllt in ihre Pelze, wieder
hinauf zur Spitze. Tiefes Dunkel lag bereits über dem Marsland, als die
Forscher den Rand des Kraters erreichten. Die Marsmonde waren noch nicht
aufgegangen. Aber in der Richtung des Nordpoles, den die Freunde diesen
Morgen gesehen, begann es aufzublitzen, zuerst langsam, dann immer stärker.
Schließlich fuhren feurige Strahlen empor, bildeten über dem polaren
Horizonte einen Halbkreis und verschwanden wieder. Ein herrlicher Wechsel
der Farben vom blendenden Rotgold bis zum leuchtenden Saphirblau, verbunden
mit dem Wachsen und Schwinden der zuckenden Strahlen, erzeugten ein Bild
von vollendeter Schönheit.

»Diese glänzende Naturerscheinung ist ein würdiger Abschluß unserer
Expedition nach dem Berge des Schweigens,« sprach Stiller zu seinen
Freunden, als das Polarlicht durch die inzwischen emporgestiegenen
helleuchtenden Monde des Mars mehr und mehr zurückgedrängt wurde.

»Ja, hier oben auf dem Mars ist alles lichtvoll, voll freundlicher Helle,
selbst die Nacht. Welch zauberhaft schöne Reflexe bringt das Licht der
Monde da unten hervor!«

Mit diesen Worten wies Piller hinunter auf den stillen Kratersee, auf
dessen Wasser die zitternden Strahlen der beiden Monde tausendfach
gebrochen tanzten. Es war, als ob mit Leuchtkraft begabte Wesen aus der
Tiefe des Berges emporgestiegen wären und nun an der Oberfläche des Wassers
ihr neckisches Spiel trieben.

Im Mondschein traten die drei wackeren Schwaben, um eine wertvolle
Marserinnerung reicher, einige Stunden später den Abstieg an, um vereint
mit ihren vier Kollegen wieder nach Lumata zurückzukehren.




Siebentes Kapitel
Der Abschied


Nach der Rückkehr aus dem Gebiete der Vergessenen begann Frommherz den
Verkehr mit seinen Gefährten mehr und mehr einzuschränken. Er nahm mit
ihnen allerdings noch die gemeinsamen Mahlzeiten ein, zog sich aber, sooft
es sich ohne Aufsehen machen ließ, von der Gesellschaft seiner Freunde
zurück. An den Abenden, die sonst der allgemeinen Unterhaltung und dem
Gedankenaustausch im schönen Heim von Lumata gewidmet waren, ging er für
sich allein spazieren und genoß in stillem Entzücken den eigenartigen
Zauber der Mondnächte. Und von hier oben sollte er fort, von diesem Eden,
und wieder hinunter auf die kalte Erde? An diesem Gedanken krankte
Frommherz förmlich. Die Herren waren viel zu sehr mit sich selbst
beschäftigt, um dem eigentümlichen Benehmen ihres Genossen allzugroße
Bedeutung beizulegen.

Durch Eran hatte Stiller dem Zentralsitze des Stammes der Weisen in Angola
mitteilen lassen, daß er und seine Gefährten sich endgültig entschlossen
hätten, nach der Erde zurückzukehren. Die Abreise beabsichtigten sie am
zweiten Jahrestage ihrer Landung auf dem Mars anzutreten.

Darauf war eine Einladung, wieder nach Angola zu kommen, als Antwort
eingetroffen. Ihr Empfang dort ließ an Herzlichkeit nichts zu wünschen
übrig. Eine Reihe glänzender Feste wurde zu ihren Ehren und als Feier des
bevorstehenden Abschiedes veranstaltet. Das Beste und Schönste, was die
darstellenden und bildenden Künste auf dem Mars zu leisten vermochten,
wurde bei diesen Festen den Erdensöhnen geboten. Aber die Schatten des
Abschiedes von dem wundervollen Planeten und seinen so idealen Bewohnern
begannen bereits auf den Herren Schwaben zu lagern und ließen sie das
Gebotene nicht mehr mit voller Freude genießen.

In der gewaltigen Spiegelgalerie des Palastes der Weisen fand das letzte
Essen statt. Zu ihm waren von allen Seiten des Mars Eingeladene erschienen
und von allen Stämmen offizielle Vertreter. Draußen im Westen begann das
ewige Licht, die Sonne, niederzusteigen. Ihre milden, goldenen Strahlen
warfen die großen Spiegel des Saales unzähligemal gebrochen zurück. Es war
im Saale ein Wogen und Fluten des Lichtes, das die Augen förmlich blendete.
Durch die offenen Fenster drang der Duft der Blumen herauf in den Saal. Im
leichten Abendwinde ließen die schlanken Palmen des Parkes ihre Kronen
leise rauschen. Ruhig und still grüßte der tiefblaue See durch den grünen
Dom der Bäume herüber, zwischen denen noch in geschäftiger Eile
zwitschernde Vögel flogen und Lianen ihre farbenprächtigen Blütenschnüre
warfen. Ferne, sanfte Höhenzüge, rosig angehaucht von der Abschied
nehmenden Sonne, rahmten das köstliche Landschaftsbild ein, das die
Erdgeborenen heute zum letzten Male sehen sollten. Diese waren als die
ersten im Saale erschienen und standen nun an den hohen Fenstern versunken
in die traumhaft schöne Szenerie.

»Uns wird der Abschied wahrhaftig schwer gemacht,« sprach leise Piller zu
dem neben ihm stehenden Kollegen Stiller. »Frommherz hat recht. Ist dies
hier nicht ein Land, das die Bezeichnung eines Paradieses verdient?«

»Ohne Zweifel!« antwortete Stiller. »Es, ist ein Eden, so recht geschaffen
für die Betrübten, für die Heimatlosen, wie wir es nun sein werden.«

»Heimatlos? Wie meinen Sie das, Stiller?«

»Heimatlos, jawohl!« erwiderte Stiller, und seine Lippen zuckten
schmerzlich, als er nach kurzer Pause fortfuhr: »Glauben Sie denn, wir
würden, nachdem wir zwei volle Jahre hier oben inmitten einer wunderbar
schönen Natur, eines geradezu paradiesischen Landes unter stolzen, freien
und edlen Menschen gelebt haben, uns in der Heimat wieder wohlfühlen
können? Niemals! Fremdlinge werden wir da sein, wo wir geboren worden sind,
wo wir früher gelebt, gerungen, für unsere Überzeugung gestritten haben.«

»Stiller, machen Sie mir den Abschied nicht zur Unmöglichkeit!« Piller
mußte sich, wie stets nach heftiger seelischer Erregung, mehrmals stark
schneuzen. Dann trat er rasch an die Tafel, schenkte sich ein Gläschen Wein
ein und leerte es auf einen Zug.

»Fern sei es von mir, Ihnen den Abschied zur Unmöglichkeit zu machen, denn
wir _müssen_ ja fort. Aber« -- ein Leuchten erhellte dabei das Gesicht des
Sprechenden -- »ausstreuen wollen wir, ohne Wortgeklingel, unten auf der
Erde die Keime jener großen Zukunft, die wir hier oben in so herrlicher
Weise verwirklicht angetroffen haben.«

Als Zeichen des Einverständnisses drückte Piller seinem Kollegen stumm die
Hand.

Allmählich füllte sich der Saal mit den Geladenen. Alle kamen auf die
Erdensöhne zu und schüttelten ihnen die Hände. Nachdem Anan erschienen war,
begann das Essen. Neben dem Ältesten der Alten saßen die sieben Schwaben.
Die Kronleuchter des Saales erstrahlten im Lichte elektrischer Lampen. Sie
beleuchteten die glänzende Tafel und die große, feierlich gestimmte
Gesellschaft. Unten, vor der Spiegelgalerie, auf der großen Terrasse, waren
die Chöre der Sänger und Musiker aufgestellt, die während des Mahles
abwechselnd ihre entzückenden Weisen ertönen ließen.

Als das Essen beendigt war, erhob sich Anan. »Meine Brüder und Schwestern,«
hub er zu sprechen an, »die Stunde des Abschiedes von Angola ist gekommen.
Unsere Gäste aus dem fernen Schwabenlande kehren demnächst wieder dahin
zurück. Mögen sie heil, und gesund den trauten Boden ihrer Heimat wieder
erreichen! Sie selbst werden in unserm Andenken für immer fortleben. Wir
haben beschlossen, ihre Namen in goldenen Buchstaben auf Marmortafeln hier
in diesem Saale neben ihren Bildern anzubringen, unsern spätern Nachkommen
zur Erinnerung an diese kühne Reise zu uns und an ihren langen, durch
keinen Mißton getrübten Aufenthalt in unserer Mitte. Ferner haben wir
beschlossen, als weiteres Zeugnis dieses ersten und letzten Besuches von
Erdgeborenen auf unserm Lichtentsprossenen all die verschiedenen
Mitteilungen, die sie uns über das Leben und Treiben der Völker der Erde
gemacht haben, in einem Buche niederzulegen, das hier in unserm Heim einen
besondern Ehrenplatz erhalten soll. Für ewig soll neben den Namen unserer
Gäste auch das festgehalten werden, was sie uns in feierlichen Augenblicken
verkündet haben. So soll ihr Besuch im Andenken bei uns geehrt werden bis
in die fernsten Zeiten.

Und nun, meine lieben Freunde,« Anan wandte sich mit diesen Worten an die
sieben Schwaben, »haben wir für euch eine Reihe von Andenken bestimmt, wie
sie Kunst und Wissenschaft vereint auf unserm Lichtentsprossenen
hervorgebracht haben. Nehmet diese Erzeugnisse, die dort auf jenem Tische
liegen, mit euch zur Erinnerung an den Aufenthalt unter uns. Hier übergebe
ich euch ein goldenes Buch. Es enthält die Entwicklungsgeschichte unseres
Volkes. Mit der allgemeinen fortschreitenden Bildung und Urteilsfähigkeit
vereinfachte sich bei uns auch mehr und mehr die Gesetzgebung. Sie gipfelt
eigentlich nur in dem einen fundamentalen Satze: Tue nicht, was du nicht
willst, daß dir getan werde! Ihr werdet also in dieser Beziehung in dem
Buche wenig mehr finden, denn die Menge der Gesetze eines Volkes ist nur
der Beweis für dessen Handlungsunfähigkeit. Das Buch enthält aber noch
unsere Ansichten und Begriffe über die natürliche Moral, über die
unverwüstlichen Grundsätze, die bei uns das Werk der Reinigung vollendet
haben. Möge dieses sich auch einst auf der Erde in ähnlicher Weise
vollziehen wie bei uns, mögen einst auch bei euch die Hüllen und
Verkleidungen fallen, die leider unten auf der Erde noch den wahren, an
sich so einfachen Kern der natürlichen Moral umschließen! Möge, von diesem
Gesichtspunkte aus betrachtet, eure gefahrvolle und beschwerliche Reise
nach unserer fernen Himmelsleuchte und euer Aufenthalt unter uns von Nutzen
gewesen sein!« Anan setzte sich.

Eine tiefe Stille herrschte, als der ehrwürdige Greis gesprochen hatte.
Jetzt erhob sich Stiller. In bewegten Worten dankte er zunächst in seinem
und seiner Gefährten Namen für all das Gute, das ihnen hier oben erwiesen
worden sei. Er habe hier eine Reife der Entwicklung angetroffen, die er
früher nur zu ahnen gewagt, in Wirklichkeit aber nicht für möglich gehalten
habe. Er und seine Gefährten hätten hier oben viel gelernt, und von manchem
Irrtum seien sie befreit worden.

»So habe ich unter anderem auch geglaubt, daß ohne den rohen Kampf ums
Dasein eine Entwicklung des Menschen zu Höherem nicht denkbar sei, daß der
rücksichtslose Kampf um die Existenz die notwendige Erhebung des Menschen
für dessen Klärung und Läuterung vorstelle. Von dieser Ansicht bin ich
durch meine Beobachtungen hier oben abgekommen. Der rohe Kampf ist nur das
Kennzeichen der Selbstsucht, die wahre Nächstenliebe mildert ihn, und diese
fehlt bei uns leider noch in hohem Maße.

Auch bei euch hier oben herrscht ein Wettkampf, aber wie sehr ist er von
dem verschieden, was wir unten auf der Erde darunter verstehen! Jeder
einzelne von euch ist bestrebt, in edlem, selbstlosem Wettbewerbe nur das
Beste zu bieten unter peinlichster Berücksichtigung der berechtigten
Interessen seines Nebenmenschen und Bruders. Jeder lebt bei euch das große
Leben der Gesamtheit mit, weil er sich als einen wesentlichen Bestandteil
des Gesamtorganismus fühlt; denn gedeiht der einzelne, so gedeiht auch das
Ganze, ist dagegen der einzelne krank, so leidet auch die Gesamtheit. Und
wie gesund, kraftstrotzend ist diese bei euch!

Wie weit sind wir dagegen auf unserer Erde von dem Ideale des Lebens und
seiner Auffassung überhaupt entfernt! Wie klein stehen wir euch gegenüber
da! Und doch, es muß und wird auch bei uns einst tagen. Wir, die wir bei
euch gewesen, wir wollen, soweit es in unsern Kräften steht, den Samen zu
jenem schönen und großen Leben der Zukunft ausstreuen, das wir bei euch
hier in so prächtiger Blüte verwirklicht kennengelernt haben. Unsere Reise
zu euch war nicht vergeblich. Was wollen ihre Mühseligkeiten und Gefahren
bedeuten im Verhältnis zu dem Reinen und Schönen, das wir hier genießen
durften! Schweren Herzens, mit dem Bewußtsein, hier bei euch unsern
inhaltreichsten Lebensabschnitt zugebracht zu haben, unendlich reich in der
Erinnerung, treten wir unsere Heimreise an. Die Mutter Erde verlangt
zurück, was ihr entsprossen.

Niemals bis zu unserm letzten Atemzuge werden wir vergessen, was ihr uns
geboten habt, was ihr uns gewesen seid, und wie ihr uns geehrt habt. Wenn
wir einst später unten in unserer Heimat in nächtlichen Stunden aus weiter
Ferne euren Mars, den Lichtentsprossenen, herüberleuchten sehen, so werden
wir in treuem Gedenken stets bei euch weilen und mit stiller Sehnsucht an
die schönste Zeit unseres Lebens zurückdenken. Lebt wohl, teure Freunde!
Ich umarme Anan für euch alle und drücke ihm für euch alle den Bruderkuß
des Erdgeborenen auf seine reine Stirn. Denn Brüder sind wir ja alle, die
sich Menschen nennen, hier oben wie unten auf der Erde.«

Stillers Worte hatten auf alle Anwesenden gewaltigen Eindruck gemacht, und
als er nun auf Anan, den erhabenen Greis, zutrat, ihn umarmte und küßte, da
ertönte im Saale ein Sturm des Beifalles.

»Mein Bruder, edler Sohn deines Landes,« antwortete Anan, »habe Dank für
das, was du eben gesagt hast. Nimm auch von mir, dem alten Sohne des
Lichtentsprossenen, den Bruderkuß und ziehe glücklich heim mit deinen
Gefährten. Mit ihnen wirst du am Werke der Menschenvervollkommnung
erfolgreich arbeiten, das weiß ich. Meine Augen werden sich bald schließen
zu jenem Schlummer, von dem es kein Erwachen mehr gibt, aber auch ich
werde, solange ich hier noch wandern darf, mit Freuden an die Stunden
denken, die ich in deiner Gesellschaft in unserm Angola zugebracht habe.«

Nach dem stimmungsvollen Abschiede in Angola befanden sich die sieben
Schwaben einige Tage später wieder in Lumata. Stiller war mit der Sorge um
das Luftschiff beschäftigt. In dieser Beziehung fand er bei den Marsiten
alle Unterstützung und konnte nun die auf der Herfahrt gemachten schlimmen
Erfahrungen durch Verbesserungen aller Art verwerten. Er machte sich auf
eine lange Zeitdauer der Rückfahrt gefaßt, trotz der stärkeren
elektromagnetischen Anziehungskraft der Erde, des im Verhältnis zum Mars um
nahezu das Doppelte größeren Planeten.

Seit dem Aufstieg an jenem denkwürdigen Dezemberabend auf dem Cannstatter
Wasen waren nahezu dritthalb Jahre vergangen. Unterdessen hatte sich der
Mars wieder um eine ganz gewaltige, viele Millionen von Kilometer
betragende Entfernung von der Erde wegbewegt und war von dieser heute
nahezu doppelt so weit entfernt als zur Zeit der Abreise. Stiller rechnete
aus, daß sie, nach Erdenzeit gemessen, mindestens fünf volle Monate in der
Gondel zuzubringen hätten und auch dies nur unter der Voraussetzung, daß
kein unvorhergesehenes Ereignis den Flug des Weltenseglers störe. Waren er
und seine Gefährten einst in befriedigender körperlicher Verfassung und
ohne nennenswerte Störungen nach dem Mars gelangt, warum sollte die
Rückkehr nach der Erde schließlich nicht auch erträglich vonstatten gehen?

Allerdings erschreckte die Länge der bevorstehenden Reise den sonst so
mutigen Mann doch etwas. Fünf volle Monate in der Gondel eingeschlossen
zuzubringen, die vielerlei damit verknüpften Entbehrungen wieder auf sich
zu nehmen, den Mangel des natürlichen Lichtes, der Bewegung zu ertragen,
das mußte auch auf das tapferste Gemüt niederdrückend wirken; Aber Stiller
schüttelte alle trüben Gedanken nachdrücklich ab und freute sich über die
großartigen technischen Kenntnisse der »Findigen«, die ihm nicht nur ein
ähnliches Gas zur Füllung seines Luftschiffes bereiteten, wie es das
Argonauton war, sondern die auch durch die Kunst der Haltbarmachung der
wichtigsten Nahrungsmittel für die Reise meisterhaft zu sorgen verstanden.
An elektrischer Kraft, fester Luft und dergleichen, deren Herstellung den
Findigen schon seit alten Zeiten bekannt war, fehlte es auch nicht, und der
Weltensegler führte jetzt ganz andere Mengen dieser Kräfte und
Existenzmittel mit sich als zur Zeit seines Aufstieges. Ohne Lärm, ohne den
geringsten Verdruß war die Instandsetzung des Luftschiffs vor sich
gegangen. Wie vorteilhaft stach diese Art der Arbeit hier gegen die auf dem
Cannstatter Wasen vor mehr als zwei Jahre ab! Dank der hohen Intelligenz,
der Bereitwilligkeit und dem Eifer der Findigen befand sich der
Weltensegler in so vortrefflichem Zustande, daß die gefahrvolle Reise
jederzeit angetreten werden konnte.

Stiller hielt es für seine Pflicht, seine Gefährten über den Gang der
Vorbereitungen zur Abfahrt auf dem laufenden zu halten. Er verschwieg den
Freunden auch nicht die ungefähre Dauer der Rückreise. Anfangs waren die
Kollegen über die Aussicht, so viele Monate in der Gondel zubringen zu
müssen, sehr erschrocken gewesen, hatten sich dann aber rasch wieder gefaßt
und sahen der Zukunft mit Mut und Vertrauen entgegen. Nur Frommherz äußerte
sich nicht. Still und scheu schlich er herum, während die übrigen Herren
ihre bescheidenen Habseligkeiten zu packen und in die Gondel zu schaffen
anfingen.

Der Weltensegler war aus seinem Unterkunftshause herausgenommen worden und
schaukelte sich, sorgfältig verankert, an dem Orte, an dem er einst
niedergegangen war. Der letzte Tag des Aufenthaltes auf dem Mars war nur zu
schnell herangekommen. Morgen in aller Frühe sollte die Abfahrt von Lumata
erfolgen. Eran, der gastfreie, würdige Alte, hatte es sich nicht nehmen
lassen, seinen Gästen noch ein reiches Abschiedsmahl zu bieten, zu dessen
Verschönerung und Weihe die Harfenspieler und Sänger von Lumata wieder das
Ihrige beitrugen. Ganz Lumata war auf den Füßen. Die Arbeit ruhte überall.
Allerorts hatten sich die biedern Schwaben beliebt zu machen verstanden.
Niemand war da, der den Fortgang der wackeren Männer nicht aufrichtig
bedauerte. Aber sie hatten Familie, hatten Väter, Mütter, Brüder und
Schwestern unten auf der Erde. Eine Rückkehr dahin erschien den Marsiten
mit ihrem so hoch entwickelten Familien- und Gemeinsinn nur als ein Gebot
der Pflicht.




Achtes Kapitel
Ein Abtrünniger


Während des Essens und der allgemein herrschenden bewegten Stimmung war es
niemand besonders aufgefallen, daß Frommherz verschwand. Als nach dem
Schlusse des Mahles, das sich bis in die ersten Morgenstunden des neuen
Tages hineingezogen hatte, die Erdensöhne aufstanden und im Begriffe waren,
das Haus Erans, das sie zwei Jahre lang beherbergt hatte, zu verlassen,
entdeckte man das Fehlen des Freundes. Man suchte ihn überall im Hause,
fand ihn aber nicht. Dagegen entdeckte man einen Brief, der auf dem Tische
seines Zimmers lag. »An meine Freunde und Gefährten!« lautete die Adresse.

Stiller öffnete das Schreiben und überflog dessen Inhalt. »Wir haben es
leider mit einem Abtrünnigen zu tun,« erklärte er den besorgten Genossen.
»Hören Sie, was Frommherz schreibt. Aber setzen wir uns zunächst wieder,
und beratschlagen wir nachher, was zu tun ist.«

Die Herren entsprachen der Bitte, und Stiller ersuchte Eran und die übrigen
Marsiten unter Hinweis auf das Fehlen des siebenten und letzten
Reisegenossen um einen kurzen Augenblick Geduld. Eran zog sich sofort mit
den Seinen zurück und ließ die Herren allein.

»Zum Kuckuck, dacht' ich mir's doch so halb und halb, daß Frommherz
fahnenflüchtig werden würde!« begann Piller zornig. »Lesen Sie einmal die
Epistel vor, Stiller!«

»Verzeiht mir, teure Freunde und Gefährten, daß ich Euch eine schmerzhafte
Enttäuschung bereite. Ich kann es nicht über mich bringen, mit Euch nach
der Erde und nach unserer alten Heimat zurückzukehren. Aufs schwerste habe
ich deshalb mit mir gekämpft und gerungen. Ich vermag den Mars nicht zu
verlassen, es würde mein sicherer Tod sein, und den wollt Ihr doch auch
nicht. Hier oben habe ich alles verwirklicht gefunden, was ich unten in
ahnender Sehnsucht geträumt. Und nun soll ich ein Eden verlassen und in
enge, unaufrichtige Verhältnisse und Lebensanschauungen wieder
zurückkehren, nachdem ich so lange das reine Licht der Wahrheit geschaut
habe? Nein, es kann nicht sein! Hat uns nicht der ehrwürdige Anan selbst in
Angola das Bleiben hier oben freigestellt? Gut, so will wenigstens ich von
diesem Anerbieten Gebrauch machen und Euch allein heimwärts ziehen lassen.

Wohl weiß ich, daß ich Euch durch meinen Entschluß kränke, aber ich kann
wirklich nicht anders handeln. Richtet nicht zu strenge über mich und
verzeiht mir, wenn möglich, in Liebe! Freiwillig bleibe ich hier oben. Es
kann Euch somit keine Verantwortung dafür treffen, daß Ihr allein, ohne
mich, nach der Heimat zurückkehrt. Möget Ihr sie glücklich erreichen! Dies
ist mein innigster, aufrichtigster Wunsch. Grüßt mir mein Tübingen, grüßt
mir mein liebes Schwabenland und meine Verwandten dort! Sagt ihnen, daß ich
mich hier oben überglücklich, wie im Paradiese fühle und deshalb nicht mehr
zur Erde mit ihrer Qual zurückgekehrt sei. Macht keine Anstrengungen, mich
zu suchen. Ihr würdet mich doch nicht in meinem sichern Versteck finden, in
dem ich so lange bleiben werde, bis Ihr abgefahren seid. Lebt wohl! In
treuem Gedenken bin und bleibe ich Euer Friedolin Frommherz.«

In finsterem Schweigen verharrten die Herren einen Augenblick, nachdem
Stiller den Brief vorgelesen hatte.

»Der elende Drückeberger!« hob Dubelmeier zu knurren an. »Jetzt fällt es
mir wie Schuppen von den Augen, warum er sich in den letzten Wochen so
sonderbar benommen hat.«

»Blamiert sind wir, heillos blamiert!« schrie Piller. »Wie stehen wir nun
da? Wo bleibt unsere gerühmte Ehrenhaftigkeit?«

»Beauftragen wir Eran, Frommherz zu suchen! Der findet den Ausreißer
gewiß,« riet Hämmerle.

»Diesem Vorschlage möchte ich beistimmen,« fügte Thudium bei.

»Es geht doch nicht an, daß wir Frommherz hier zurücklassen. Entweder wir
bleiben alle, oder wir gehen alle zusammen. Das ist klar!« fügte Brummhuber
bei.

»Meine lieben Freunde, schenken Sie mir ein wenig Gehör,« bat Stiller die
aufgeregten Gefährten. »Ich begreife und billige ja völlig Ihre Entrüstung
über das Benehmen Frommherz' und teile es. Aber wir haben durchaus kein
Recht, ihm unsern Willen aufzuzwingen. Er ist seinerzeit freiwillig
mitgegangen und mag freiwillig zurückbleiben. Aber er hätte klar und offen
handeln sollen. Mag er diese Handlungsweise vor seinem eigenen Gewissen
verantworten! Nehmen wir die Sache, wie sie einmal ist. Unserm Andenken und
unserer persönlichen Ehrenhaftigkeit kann das Bleiben Frommherz' hier oben
nicht das geringste anhaben. Im Gegenteil! Wir stehen immer als das da,
wofür man uns nahm und hielt. Frommherz dürfte in dieser Beziehung bei den
strengen Moralbegriffen der Marsiten nicht gut wegkommen. Ziehen wir also
allein, ohne ihn! Ja, ich rate sogar zur Nachsicht und Milde. Seien wir
aufrichtig! Ziehen wir vielleicht gern, leichten Herzens von hier fort?«

»Nein, gewiß nicht!« ertönte es fünfstimmig.

»Nun wohl! So wollen wir die Lage, in die sich unser Frommherz freiwillig
begeben, wenigstens zum Guten zu wenden suchen: wir empfehlen den
Zurückbleibenden der Güte und Nachsicht unseres lieben, ehrwürdigen Eran.«

»Das fehlte noch!« wetterte Piller.

»Warum nicht?«

»Ich verstehe Sie einfach nicht, Stiller!«

»Nun, so lassen Sie mich ruhig fortfahren. Während des Lesens von
Frommherz' Brief ist mir der Gedanke gekommen, daß unser Freund nach unsrer
Abreise zur Strafe für sein eigenmächtiges Zurückbleiben und den dadurch
bewiesenen Mangel an Gemeinschaftsgefühl möglicherweise nach den Gefilden
der Vergessenen verbannt werden könnte.«

»Was ihm ganz recht geschehen würde!« warf hier Brummhuber ein.

»Nein, das wollen wir ihm eben zu ersparen suchen. Möge er unter ähnlichen
Bedingungen wie bisher hier weiter leben! Dieses Bewußtsein läßt uns später
mit reineren Gefühlen an den Freund zurückdenken und wirft keinen Schatten
auf die Erinnerung an unsere schöne Aufenthaltszeit hier oben. Nun wohl, so
lassen Sie mich, bitte, gewähren! Ich rede nachher mit Eran und suche mit
ihm zusammen das Unangenehme möglichst gut zu ordnen.«

»Stiller, Sie beschämen uns, Sie sind ein braver Kerl -- der Beste von
uns!« Piller schneuzte sich sehr kräftig nach diesen Worten . . .

»O nein, mein Lieber! Ich war nur nicht umsonst hier oben unter diesen
prächtigen, hoch denkenden und handelnden Menschen. Sie sehen nur, daß ich
von ihnen etwas gelernt habe.«

»Wenn einer oben zu bleiben wirklich würdig wäre, so wären Sie es,
Stiller!« rief begeistert Hämmerle.

»Lassen wir das!« wehrte Stiller ab. »Und nun will ich mit Eran Rücksprache
nehmen.« Ohne das geringste Zeichen des Erstaunens zu zeigen oder einen
Laut der Verwunderung hören zu lassen, vernahm der ehrwürdige Alte den
Bericht Stillers.

»Auch ich finde, daß du wohl daran tust, deinen Bruder nicht zu zwingen,
die Rückreise mit euch anzutreten. Ein jeder Mensch hat bis zu einem
gewissen Grade das Recht der Selbstbestimmung. Aber dieses Recht schließt
nicht das Unrecht eures flüchtigen Bruders aus, das ich in der Art und
Weise erblicke, wie er sein Hierbleiben durchsetzen will. Laß ihn aber nur
hier und zieh mit deinen Brüdern hinab auf die Erde! Wir werden mit
Friedolin nicht allzu scharf ins Gericht gehen.«

»Darüber möchte ich eben beruhigt werden, ehrwürdiger Eran.«

»Sei deshalb ohne Sorge! Taucht er nach eurer Abreise auf, so werde ich ihn
persönlich nach Angola bringen und bei Anan Fürsprache für den Sünder
einlegen. Aber eine kleine Strafe muß sein. Ich habe bereits über ihre Art
nachgedacht.«

»Worin soll sie bestehen?« fragte neugierig geworden Stiller.

»Friedolin soll uns ein Wörterbuch eurer Sprache schreiben. Ihr habt uns ja
als Andenken einige Werke eurer hervorragendsten heimischen Dichter und
Denker geschenkt. Nun gut, wir wollen diese Werke in der Originalsprache
lesen, um uns ein klares Bild von euren Meistern machen zu können. Dazu
brauchen wir aber ein Wörterbuch.«

»Diese Strafe lasse ich mir gefallen. Freund Friedolin wird die ihm
gestellte Aufgabe zu eurer Zufriedenheit lösen, davon bin ich überzeugt.«

Damit war der Fall Frommherz erledigt. Stiller setzte seine Gefährten von
dem Ergebnis der Besprechung in Kenntnis, und die Herren priesen von neuem
die Güte und Nachsicht Erans, des wackern Patriarchen.

Nach der Zeitrechnung der Erde, die Stiller auch auf dem Mars unter
genauester Berücksichtigung der Unterschiede in den täglichen
Umdrehungszeiten von Mars und Erde weitergeführt hatte, war heute der
siebente März herangekommen und mit ihm die Stunde der Abfahrt.

Eran hatte darauf bestanden, die sechs Erdensöhne zum Weltensegler zu
begleiten. Auch Lumatas erwachsene Bevölkerung zog mit. Ernstes Schweigen,
der Ausdruck ehrlichen Schmerzes über die Trennung, herrschte in der ganzen
Schar. So schritten sie wortlos dahin zu der Wiese, auf der sich der
Weltensegler in der klaren und reinen Luft des heraufziehenden Tages
schaukelte.

»Nehmen wir kurz und rasch Abschied, vergrößern wir nicht das Weh der
Trennung durch weitere Worte!« sprach Eran, einen der Schwaben nach dem
andern umarmend. »Möge ein gutes Geschick eure Heimreise begleiten! Kommt
glücklich in eurer Heimat an.«

Ein Händedruck noch, ein Winken von allen Seiten, und die kühnen
Weltensegler stiegen in die Gondel. Die Taue wurden gelöst, langsam und
stolz, begrüßt von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, begann sich
der Ballon zu heben. Da kam eilenden Laufes Friedolin Frommherz daher. Die
Menge machte ihm Platz.

»Lebt wohl, Freunde!« rief er mit lauter Stimme. »Nochmals: verzeiht mir,
daß ich bleibe und nicht mit euch zurückkehre! Reist glücklich und grüßt,
mir mein teures Schwabenland!«

Aber die Herren in der Gondel hörten nur noch schwach, was ihnen Frommherz
nachrief. Zu antworten vermochten sie nicht mehr. In immer rascherem Fluge
entfernte sich der Weltensegler von dem wunderbaren Planeten und schwebte
bald im dunkeln, kalten Weltenraum.




Neuntes Kapitel
Wieder auf der Erde


Der Zeiger der Zeituhr war auch in Stuttgart nach der so ungeheures
Aufsehen erregenden Abfahrt der sieben Söhne des Schwabenlandes um Jahr und
Tag vorgerückt. Wo mochten sie wohl stecken, die wagemutigen Landsleute? Ob
sie wirklich den Mars erreicht hatten? Möglicherweise waren sie gar nicht
nach diesem Planeten gelangt, sondern vielleicht auf einem der zahlreichen
Planetoiden abgestiegen, oder die Expedition war verunglückt und die arme
Forscherschar dann für immer verschollen im ungeheuren Weltenraume.
Letztere Ansicht wurde allgemein als die richtige angenommen und geglaubt.

Nach dem Aufstieg des Weltenseglers unterhielt man sich anfänglich in
Stuttgart noch viel und lebhaft über die Reise der Forscher, und Fragen
aller Art waren aufgeworfen worden; nach und nach aber schlief das früher
so lebhafte Interesse für die Marsexpedition ein. Neue Zeitfragen, aktuelle
Ereignisse waren aufgetaucht und verdrängten schließlich die Erinnerung an
das märchenhafte Unternehmen.

Da, plötzlich wie ein Blitzstrahl aus heiterm Himmel schlug an einem
Septembertage die Nachricht in Stuttgart ein, die Herren Professoren, die
vor bald drei Jahren vom Cannstatter Wasen aus nach dem Mars abgefahren
waren, seien auf einer Insel in der fernen Südsee niedergegangen, und zwar
mit ihrem Luftschiff, dem Weltensegler. Im ersten Augenblick wollte kein
Mensch an diese Nachricht glauben; man hielt sie für einen schlechten
Scherz. Als sie aber unter den amtlichen Mitteilungen im »Staatsanzeiger«
erschien und durch Tausende von Extrablättern sofort weiter verbreitet
wurde, da wurden schließlich auch die hartnäckigsten Zweifler von der
Wahrheit der Nachricht überzeugt.

In lakonischer Kürze lautete der telegraphische Bericht:

Matupi, 31. August, nachts.

Weltensegler vom Mars zurück, hier niedergegangen. Stiller, Piller,
Brummhuber, Hämmerle, Dubelmeier, Thudium. Befinden relativ wohl.

In der ersten großen Überraschung fiel es vielen gar nicht auf, daß in dem
Telegramm nur von sechs Teilnehmern die Rede war. Erst nach und nach wurde
des fehlenden siebenten Mitgliedes der Expedition gedacht. Die Meinung
hierüber war rasch gefaßt: Frommherz mußte während der Reise zweifellos
gestorben sein.

Mit größter Ungeduld sah die engere wie die weitere Heimat, die gesamte
Kulturwelt näheren Nachrichten entgegen. Welch interessante, spannende
Berichte standen von den schon verloren geglaubten Forschern zu erwarten!

                   *       *       *       *       *

Die erste Zeit nach der Abreise vom Mars verstrich den Insassen der Gondel
ganz erträglich. Nach Professor Stillers Ausspruch befand sich der
Weltensegler auf der richtigen Bahn und in der Anziehungssphäre der Erde.
Die Reise stellte an die Herren wieder die höchsten Anforderungen in Bezug
auf ihre Gesundheit, Geduld und Ausdauer. Monate waren seitdem schon
vergangen, und das Ziel, die Erde, wollte noch immer nicht auftauchen. Die
Dulder fingen an, sich mehr und mehr erschöpft zu fühlen und beneideten in
Gedanken oft den zurückgebliebenen Freund Frommherz.

Aber schließlich muß ja auch die längste, dunkelste Nacht dem hellen Tag
weichen. Es ging gegen Ende August. Über fünf Monate schon zog der
Weltensegler durch den Ätherraum. Stiller erwartete von einem Tage zum
andern den Eintritt des Luftschiffes in die Atmosphäre der Erde. Richtig!
Eine beginnende Dämmerung zeigte ihre Nähe an.

Wie einst bei der Annäherung an den Mars alle Drangsale der Reise im
Handumdrehen aus der Erinnerung verschwanden, so war es auch diesmal wieder
der Fall. Als Herr Stiller seinen Gefährten mitteilte, daß sie soeben in
die Erdatmosphäre eingefahren und wahrscheinlich heute noch unten auf der
Erde irgendwo landen würden, falls die Freunde nicht vorzögen, mit dem
Weltensegler unmittelbar nach Deutschland zu steuern, da erhob sich heller
Jubel in der Gondel. Vergessen waren plötzlich alle Mühe und Drangsal,
alles körperliche Unbehagen.

»Wo es auch ist, nur herunter und heraus aus diesem verdammten Kasten!«
erklärte Piller. »Wahrhaftig, wir sind jetzt lange genug eingesperrt
gewesen!«

»Piller hat recht,« stimmte Thudium bei

»Keine Stunde länger als unumgänglich notwendig bleibe ich in diesem
fürchterlichen Käfig,« entschied Hämmerle, und ihm pflichteten Dubelmeier
und Brummhuber bei.

»Nun, wenn es so mit Ihnen steht, so landen wir, wo es eben möglich ist,«
antwortete in gewohnter Ruhe Stiller. »Wir müssen aber Sorge dafür tragen,
daß wir in zivilisierter Gegend absteigen und nicht aus Versehen in den
offenen Ozean geraten.«

»Das recht zu machen, ist Ihre Sache, Stiller,« entschied Piller. »Und nun,
Gefährten, nehmen wir einen Schluck des herrlichen Marsweines als Ausdruck
unserer Freude über die glücklich vollendete Reise! Dubelmeier, zu meiner
innigen Freude und aufrichtigen Genugtuung haben Sie sich auf dieser Fahrt
vom Saulus in einen Paulus verwandelt und an Stelle des Wassers den edlen
Wein gesetzt. Also trinken wir!«

Während die übrigen Herren den Pokal, eine wunderbare Marsarbeit und ein
Geschenk von Angola her, kreisen ließen, hatte Herr Stiller die Ventile des
Luftschiffs gelockert und eines der Gondelfenster geöffnet. Der
Weltensegler fiel rasch abwärts.

»Täuscht mich nicht alles, so schweben wir gerade über der australischen
Ostküste,« sprach Herr Stiller, nachdem er einen raschen Blick aus dem
Gondelfenster geworfen hatte. »Wir werden bei Brisbane in Queensland
landen.«

»Prächtig, Stiller, alter Knabe! Prosit! Da, nehmen Sie auch einen
Schluck!«

Piller wollte gerade seinem Kollegen den Pokal mit dem Weine reichen, als
plötzlich ein furchtbarer Windstoß die Gondel traf und mitsamt dem
Luftschiff in eine drehende, wirbelnde Bewegung versetzte. Der Pokal fiel
zu Boden, und die Herren selbst mußten sich an den nächsten festen
Gegenständen in der Gondel festhalten, um nicht wie Bälle herumgeschleudert
zu werden.

»Wir sind im letzten Augenblick in einen Zyklon geraten, wie sie hier herum
häufig sind,« schrie Stiller seinen erschrockenen Gefährten zu. »Nun heißt
es, allen Mut zusammennehmen. Der blinde Zufall ist jetzt unser Führer.«

In unverminderter Stärke und Heftigkeit wütete der Orkan während der
folgenden bangen Stunden. Der Wind pfiff heulend durch das offene,
zerschmetterte Fenster der Gondel und wirbelte in ihr alles herum, was
nicht befestigt war. In dem fürchterlichen Toben des Orkanes war jede
Verständigung ausgeschlossen. Die Insassen der Gondel mußten sich
schließlich der größeren Sicherheit wegen auf den Boden legen. Hilflos
trieb das Luftschiff dahin, wohin es der rasende Sturmwind trug. Es war ein
tragisches Verhängnis, das im letzten Augenblick der Reise, kurz vor der
Landung auf der Erde, die Reisenden traf. Und dabei bestand noch die große
Gefahr, daß der Weltensegler ins offene Meer treiben, und die Expedition,
die die ungeheure Reise nach und von dem Mars bisher so glücklich
überwunden hatte, zum Schlusse noch ertrinken werde.

Traurige, trübe Gedanken bewegten die Männer. So war eine Reihe von Stunden
vergangen. Der Tag, der so vielversprechend begonnen hatte, neigte sich
seinem Ende zu. Die Gewalt des Sturmes schien nachzulassen. Möglich auch,
daß der Weltensegler gegen die Peripherie des Wirbelsturmes hinausgetrieben
worden war, kurz, die tolle Fahrt durch die Luft verringerte sich
zusehends, und die Herren konnten endlich ihre unbequeme Lage verlassen und
Ausschau halten. Zu ihrer Freude nahmen sie wahr, daß der Ballon in eine
weite, geräumige Bucht eintrieb, deren Hintergrund ein Wald von grünen
Kokospalmen bildete, umsäumt von freundlichen, kleinen Häusern.

Rasch entschlossen öffnete Stiller die Ventile des Weltenseglers, als er
gerade über dem Palmenwalde schwebte. Einem Riesengewichte gleich fiel der
Ballon in die hohen Palmbäume, die krachend unter der merkwürdigen Last
zusammenbrachen. Weißgekleidete Männer eilten an den Ort des Niederganges
herbei. Ihnen gesellten sich die fast nackten, dunkeln Gestalten der
Eingeborenen bei, die schreiend und gestikulierend um den Platz
herumstanden, den sich der Weltensegler in ihrem Palmenwalde geschaffen
hatte.

Bald lag der übel zugerichtete Weltensegler fest verankert im Palmenwalde.

»Wo sind wir denn?« fragte Piller zum Gondelfenster heraus.

»Auf Matupi, im Südseearchipel,« lautete die Antwort.

»Wahrlich, das war noch Glück! Beinahe wären wir ertrunken; viel fehlte
nicht mehr,« meinte Dubelmeier.

»Nun, dann hätten Sie eben im Wasser, Ihrem Element, geendet,« brummte
Piller.

»Heraus, Freunde, heraus aus der Gondel und endlich hinab auf festen
Boden!« drängte Stiller.

Als die Herren ausgestiegen waren, stellte sich der Führer der Weißen als
Gouverneur der Insel vor.

»Wir sind aus Schwaben,« entgegnete Stiller lächelnd, »Professoren an der
Universität in Tübingen, und sind seinerzeit von Deutschland aus mit dem
Luftschiff aufgestiegen. Schwaben kennt man ja überall in der Welt. Sollten
Sie je einmal nach dem fernen Mars kommen, so werden Sie selbst da einen
zurückgebliebenen engeren Landsmann von uns antreffen.«

Der Gouverneur starrte etwas verwirrt den Sprecher, an, den er nicht recht
begriffen hatte.

»Sie kommen mit Ihrem Luftschiff aus Deutschland her?«

»Direkt nicht, indirekt ja, direkt vom Mars! Haben Sie niemals von der
Expedition nach dem Mars gehört? Es sind allerdings jetzt ungefähr zwei und
drei viertel Jahre her, seit wir vom Cannstatter Wasen abgereist sind.«

»Ah -- ja, jetzt erinnere ich mich, von dieser ganz ungeheuerlich
klingenden Reise einst gelesen zu haben. Und Sie wären wirklich die kühnen
Reisenden . . .?«

»Ja,« unterbrach Piller den Zweifelnden, »glauben Sie denn, daß sechs
ehrenhafte schwäbische Professoren Ihnen etwas Unwahres vordunsten wollen?
Wir sind die sieben Schwaben, die nach dem Mars fuhren. Wir waren zwei
Jahre oben und kommen nur deshalb zu sechst zurück, weil der siebente oben
geblieben ist. Verstehen Sie nun? Im übrigen heiße ich Professor Paracelsus
Piller.«

»Entschuldigen Sie,« erwiderte, der Gouverneur, »ich glaube Ihnen aufs
Wort. Ich war nur furchtbar verwirrt, und meine Gedanken jagten sich
förmlich unter dem Eindrucke des Gehörten. -- Darf ich Sie nun zu einem
Mahl und einem guten Trunk einladen?«

»Aber natürlich! Gewiß! Mit größtem Vergnügen!« erklärten die Herren, die
seit bald einem halben Jahr keine warme Suppe mehr gesehen hatten.

»Das Gehen wird uns etwas schwer. Unsere Gliedmaßen sind ziemlich steif
geworden,« erklärte Stiller dem Gouverneur, als er etwas mühsam neben ihm
dessen naher Behausung zuschritt. »Wir sind am 7. März von oben abgefahren.
Heute haben wir, irr' ich mich nicht, den 31. August. Mithin sind wir
nahezu sechs Monate in der Gondel gewesen. Eine lange, bange Zeit!«

»Wie stolz bin ich darauf, daß Sie gerade hier bei uns landen mußten!«

»Na, um ein Haar wäre unsere Expedition in letzter Stunde noch verunglückt,
und niemand hätte dann die Ergebnisse unserer Reise erfahren. Doch
einstweilen genug davon! Wir scheinen hier zur Stelle zu sein.«

»Treten Sie ein in mein Haus, das nun das Ihre ist, und lassen Sie mich der
erste sein, der Ihnen, den kühnsten Reisenden, die je gelebt, den Willkomm
auf unserer Mutter Erde bietet. Entschuldigen Sie, daß ich diese
Begrüßungsformel erst jetzt ausspreche. Allein ich war durch Ihre
überraschende Ankunft hier tatsächlich ganz verblüfft.« Der Gouverneur
schüttelte jedem der Professoren herzlich die Hand und stellte sie den
übrigen Herren vor, die voll Hochachtung auf die vom Himmel
heruntergefallenen Gäste blickten.

Die Weltensegler entledigten sich zunächst ihrer Pelzmäntel und nahmen gern
das freundliche Anerbieten an, die schwere Reisekleidung gegen leichte,
weiße Tropenanzüge zu vertauschen, die den Herren in einem Nebenzimmer
bereitgelegt wurden. Rasch war dieser Wechsel vollzogen, und bald lagen die
Herren in ihrer bequemen Tropentracht auf der luftigen Veranda in großen
Korbstühlen. Draußen strömte der Regen nieder, und sein prasselndes
Geräusch auf dem Dache erhöhte noch das Gefühl der Behaglichkeit.

Unterdessen sorgte der Gouverneur für einen stärkenden Trank. Gekühlter
Champagner wurde durch die lautlos herumhuschende schwarze Dienerschaft den
Herren kredenzt.

»Sie müssen morgen unsere Marstropfen versuchen,« sprach Piller zum
Gouverneur, als er sein Glas mit einem Zuge ausgetrunken hatte und es zum
zweiten Male füllen ließ.

»Was, Sie haben sogar Wein von oben mitgebracht?« antwortete der erstaunt.

»Und was für einen guten!« schmunzelte Piller. »Sogar mein sonst nur
wassertrinkender Kollege hier, Herr Professor Dubelmeier, ist durch diesen
Göttertropfen besiegt worden.«

»Nur durch die Gewalt der Umstände,« wehrte sich Dubelmeier.

»Streiten wir nicht darüber, Dubelmeierchen! Lassen Sie uns alle anstoßen
und rufen: Hoch Deutschland und das Schwabenland!« Die Gläser klangen
zusammen.

»Ein Hoch unsern hochverehrten Gästen!« lud der Gouverneur die Beamten von
Matupi ein. Nachdem dieser Ruf verklungen war, wurde das Essen als
angerichtet gemeldet, und die Gesellschaft begab sich in das Speisezimmer.
Mit gutem Appetit langten die Herren zu, und bald herrschte eine allgemeine
rege Unterhaltung.

»Wollen Sie nicht Ihre Ankunft nach Stuttgart kabeln?« fragte der
Gouverneur. »Welch ungeheure Überraschung wird diese Mitteilung in Ihrer
Heimat erregen!«

»Ja, das werden wir,« entgegnete Stiller. »Ich denke übrigens, daß wir mit
dem nächsten Schiffe von hier nach Deutschland abreisen.«

»Wir haben vierzehntägige Dampferverbindung zwischen hier und Singapore.
Dort können Sie dann sofort Anschluß nach Europa finden. Aber ich bin
glücklich darüber, daß vor einer Woche der letzte Dampfer von hier abfuhr
und Sie daher, meine verehrten Herren, noch volle sieben Tage unsere
willkommenen Gäste sein müssen,« sprach der Gouverneur lächelnd. »Sie haben
wohl Wunderbares auf Ihrer Reise und oben auf dem Mars erlebt?«

»Darüber wollen wir einige Bücher veröffentlichen, denn unsere Berichte
werden Bände füllen,« erwiderte Stiller.

»Und Sie sollen das Werk später erhalten als Zeichen unseres Dankes für
Ihre gastliche Aufnahme,« fügte Piller bei, »denn wenn wir Ihnen alles
mündlich erzählen wollten, was wir erlebt haben, so müßten wir manchen
Dampfer versäumen. Das geht aber nicht. Es drängt uns, endlich wieder
heimzukommen.«

»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie werden wohl allerlei interessante
Sachen vom Mars mitgebracht haben?«

»Gewiß! Morgen sollen Sie verschiedenes sehen, und daraus können Sie dann
leicht erkennen, auf welch hoher Stufe der Kultur die Bewohner jenes
prächtigen Planeten stehen, die das Menschentum in seinem erhabensten
Begriffe verwirklichen,« erwiderte Stiller. »Zum zweiten Male möchten wir
aber die Reise nicht mehr machen. Nicht nur ist sie voller Gefahren, sie
ist auch fürchterlich anstrengend. Es war nicht unser eigenes Verdienst,
sondern lediglich ein Spiel des Zufalles, daß wir die Reise hin und her im
Weltraum unter verhältnismäßig guten Bedingungen ausführen konnten. Und
heute morgen, als wir über Queensland schwebten und gerade im Begriffe
waren, auf Brisbane zuzusteuern, da packte uns plötzlich der Orkan und warf
uns hierher.«

»Das ist allerdings sehr zu bedauern, daß Sie zum Schluß Ihrer ungeheuren
Reise noch in den Zyklon geraten mußten. Wie ich vernahm, hat der Sturm auf
den andern Inseln des Archipels schwer gehaust. Aber ich preise ihn doch
ein wenig, diesen Wirbelwind, hat er uns doch Sie, die berühmten Söhne des
Schwabenlandes, als Gäste zugeführt.«

Nach Beendigung des Begrüßungsmahls wurden die Reisenden in den Häusern der
verschiedenen Beamten auf Matupi untergebracht, und bald lagen sie in
tiefem, traumlosem Schlafe. Noch in der gleichen Nacht ging das Telegramm
nach Stuttgart ab.

Als sich die Reisenden am andern Morgen durch ein Bad in dem klaren Wasser
der Bucht erquickt hatten, traf bereits die Antwort von Stuttgart ein:
Staatsregierung und Stadtrat hatten den ersten warmen Willkomm aus der
Heimat gesandt und zugleich um Auskunft über Herrn Frommherz gebeten, da er
nicht auf der Liste der Zurückgekehrten angeführt war. Die Antwort lautete:

»Frommherz freiwillig auf Mars zurückgeblieben. Expedition dahin geglückt.
Zwei Jahre oben gewesen. Hoffen, in etwa vier Wochen in Stuttgart
einzutreffen.

Stiller.«

Mit Staunen betrachteten der Gouverneur und die Beamten von Matupi die
geniale Einrichtung der Gondel, die ihnen von Stiller gezeigt und erklärt
wurde. Noch mehr aber staunten sie über die Kunsterzeugnisse aus Silber und
Gold und über die mannigfachen und wertvollen Geschenke der Marsiten.
Leider fand sich das goldene Buch nicht mehr vor. Da die Gondel
abgeschlossen war, so konnte an einen Diebstahl während der Nacht um so
weniger gedacht werden, als auch die Eingeborenen für den Wert des
Gegenstandes kein Verständnis gehabt hätten. So mußte angenommen werden,
daß das Buch durch eine der Gondelklappen hinaus in den Weltenraum gefallen
sei, ein unersetzlicher Verlust, der auf das Gemüt der Professoren recht
niederdrückend wirkte. Schließlich aber siegte die Freude der Rückkehr über
alle trüben Gedanken.

Piller ließ es sich nicht nehmen, die Herren von Matupi in der Gondel mit
dem kleinen Reste von Wein zu bewirten, der noch vom Mars her vorhanden
war. Sie alle erklärten, einen so feinen und feurigen Wein noch nie zuvor
im Leben getrunken zu haben.

Die Tage auf Matupi waren dem Packen der mitgenommenen Habe und dem Bergen
der Instrumente gewidmet. Ballon und Gondel sollten später zerlegt und nach
Hause gesandt werden. Pünktlich am 7. September morgens lief der Dampfer
»Venus« in die Bucht ein und ging der Faktorei von Matupi gegenüber vor
Anker. Nach herzlichem Abschiede fuhren die Herren noch am Abend des
gleichen Tages von Matupi ab.

»Ein merkwürdiges Zusammentreffen von Namen!« sprach Stiller zu seinen
Gefährten, als sie sich an Bord des Schiffes behaglich eingerichtet hatten.
»Vom Mars kommen wir, auf der Venus fahren wir durch die blauen Wogen der
Südsee, und die »Stuttgart« erwartet uns, wie der Gouverneur sagte, in
Singapore, um uns nach Genua zu bringen.«

Eine Woche später traf der Dampfer in Singapore ein. Schon bei der Einfahrt
in den geräumigen Hafen war die »Venus« mit ihren berühmten schwäbischen
Fahrgästen der Gegenstand allseitiger Ehrung. Die zahlreichen im Hafen
liegenden Schiffe aller möglichen Nationen trugen Flaggengala, und bis auf
die malaiischen Prauws und chinesischen Dschunken herunter war alles
festlich gekleidet. Von den Festungswerken wurde Ehrensalut gefeuert, als
die »Venus« langsam ihrem Anlegeplatz zufuhr.

In feierlicher Weise wurden die kühnen Marsreisenden von den Behörden und
Konsuln Singapores begrüßt. Dann fand im festlich geschmückten Hause des
deutschen Klubs das unvermeidliche Festessen mit den üblichen Reden statt.
Die sechs Herren waren froh, als sie nach all dem Festtrubel und der
glühenden Tropenhitze Singapores glücklich auf Deck der »Stuttgart« saßen,
die nach dem Eintreffen ihrer Ehrenpassagiere sofort die Anker lichtete und
die Straße von Malakka hinaufdampfte.

»Empfinden Sie nicht auch wieder den alten, starken Widerwillen gegen diese
Art offizieller Huldigungen, die im Grunde genommen doch meist den Stempel
der Unwahrheit tragen?« fragte Piller seinen Freund Stiller.

»Es geht mir wie Ihnen,« erwiderte Stiller. »Mit der würdigen und
harmonischen Weise, mit der in Angola Feste gefeiert wurden, stehen diese
lauten Bankette, bei denen jeder sein liebes Ich möglichst vorzudrängen
sucht, in grellem Gegensatz. Im Verkehre mit den Marsiten hatten wir sofort
die Empfindung des Behagens. Hier unten erwacht sofort wieder das alte
Unbehagen in der Berührung mit der Menge. Wir fühlen eben instinktiv, daß
all die Worte lauter Anerkennung, die sündflutartig immer auf den
niederprasseln, der einen nennenswerten äußern Erfolg gehabt hat, vielfach
wenigstens gar nicht ernst gemeint sind.«

»Sie sprechen genau meine Meinung aus!« bestätigte Dubelmeier, der dem
Gespräch der beiden Gefährten aufmerksam gefolgt war. »Auch ich gestehe,
daß mir diese Festessen und Festreden schon jetzt zuwider geworden sind,
nachdem sie kaum begonnen haben.«

»Na, wir werden uns noch durch eine ganze Reihe solcher öffentlichen
Veranstaltungen durchwinden müssen, bis wir endlich ungestört in der Stille
unseres Studierzimmers arbeiten dürfen,« antwortete Piller.

»Dem entgehen wir leider nicht. Ein Glück, daß wir auf dem Meere noch eine
Ruhepause haben, bevor der Haupttrubel in der Heimat beginnt!« entgegnete
Dubelmeier.

Aber schon in Colombo begann in vermehrter Auflage das Feiern der berühmten
Schwabensöhne, und als die »Stuttgart« in Suez eintraf, bat die ägyptische
Regierung um die Ehre ihres Besuches in Kairo. Endlich nach zweitägigen
Festlichkeiten waren die Marsfahrer wieder auf dem Schiffe, das nun seinen
Kurs direkt nach Genua nahm. Dort trafen die Reisenden Anfang Oktober ein.
Nach fast dreijähriger Abwesenheit betraten sie hier zum erstenmal wieder
den Boden Europas.




Zehntes Kapitel
In der Heimat


Die Reise der Herren durch Italien glich einem Triumphzuge. Halb betäubt
von all dem Lärm der letzten Tage langten die Professoren auf der Station
Hasenberg an, zu deren Füßen sich Schwabens Hauptstadt malerisch schön
ausbreitet. Obgleich es Herbst war, prangte hier alles im reichsten
Blumenschmuck. Vertreter des Staats, der Tübinger Universität, die Väter
der Stadt, weißgekleidete Ehrenjungfrauen, Musikkapellen und eine
tausendköpfige Menschenmenge erwarteten hier die Heimkehrenden.

Schon während der Fahrt durch Schwaben läuteten alle Glocken, nicht nur der
Stationen, die der Zug berührte, sondern auch aller Dörfer in der Nähe des
Bahnkörpers. Ein brausendes Hoch empfing den blumenbekränzten Zug, als er
am 7. Oktober mittags vier Uhr aus dem Hasenbergtunnel herausfuhr. Die
vereinigten Musikkapellen von Stuttgart spielten eine Begrüßungshymne, die
eigens für diesen Zweck von Musikdirektor Klingle komponiert worden war.
Alsdann begann unten in der Stadt das feierliche Spiel der Glocken. Es
pflanzte sich fort auf die Vorstädte und erinnerte an die Stunde jenes
Dezemberabends vor bald drei Jahren, an dem die Herren die kühne Fahrt nach
dem fernen Planeten angetreten hatten.

Die Begrüßungs- und Bewillkommungsreden verhallten im Lärm der allgemeinen
Festesfreude. Die Autoelektrikwagen wurden bestiegen. Im ersten saßen die
sechs Zurückgekehrten, Riesensträuße in den Händen. Langsam ging es durch
die sich drängende, jubelnde Menschenmenge hinab in die reichbeflaggte
Stadt. Eine kurze Rast in Marquardts Hotel wurde den so wunderbar wieder
heimgekehrten, aber sichtlich erschöpften Gelehrten gestattet, dann aber
mußten sie weitere Opfer der gesellschaftlichen Ordnung bringen.

In feierlichem Zuge, unter den betäubenden Hochrufen der in den Straßen
flutenden Menschmenge wurden die Gelehrten nach der Liederhalle geleitet.
In ihr sollte der offizielle Akt der Begrüßung vor sich gehen. Im großen
Festsaale erwartete eine auserlesene Gesellschaft aus allen Kreisen der
Hauptstadt die Professoren. Mit jubelndem Zurufe wurden diese begrüßt, als
sie in den Saal traten.

Ein Vertreter der Regierung begrüßte als Vorsitzender in warmen Worten die
kühnen Weltensegler, die durch die einzig dastehende Fahrt nach dem Mars
ihre Namen nicht nur unsterblich gemacht, sondern dadurch auch das Ansehen
und die Ehre der engeren Heimat in der gesamten Kulturwelt gefördert
hatten. Schwaben sei stolz auf so würdige Söhne und wolle sie zunächst
dadurch ehren, daß an dem Orte ihres Aufstieges auf dem Cannstatter Wasen
ein Obelisk aus heimischem Granit errichtet werde, der die Namen der
Teilnehmer an der Expedition und die allgemeinen Daten über sie
eingemeißelt in den Stein tragen solle. Weitere äußere Ehrungen seien
vorgesehen; denn eine solche Tat, wie sie Schwabens Söhne ausgeführt, könne
überhaupt nicht gebührend genug anerkannt werden. Zunächst überreiche er im
Namen der Regierung jedem der Herren einen goldenen Lorbeerkranz, auf
dessen Blättern der Name des Trägers und die Daten der Marsreise
eingraviert seien.

Nachdem die Übergabe der goldenen Kränze unter rauschender Musikbegleitung
vor sich gegangen war, begann das Bankett. Klugerweise war vorher bestimmt
worden, daß während des Essens keinerlei Reden gehalten werden sollten. Als
das Essen beendigt war, bestieg Stiller das Podium des Saales, um von hier
aus zu der glänzenden Versammlung zu sprechen.

»Verehrte Anwesende! In meiner und meiner treuen Gefährten Namen danke ich
Ihnen zunächst für die Herzlichkeit des Willkomms, den Sie uns zuteil
werden ließen. Er hat uns sehr gerührt. Nehmen Sie es uns aber nicht übel,
wenn wir Sie bitten, von jeder weiteren äußeren Ehrung unserer bescheidenen
Persönlichkeiten Abstand nehmen zu wollen. Was wir ausgeführt, was wir
getan, war ja nur dadurch möglich, daß uns ein seltenes Glück zur Seite
stand. Wo aber der Mensch nur durch die Gunst äußerer Umstände sein Ziel
erreicht, da ist es mit seiner eigenen Leistung doch viel weniger weit her,
als Sie selbst vielleicht annehmen.

Gerade auf dem Mars, bei einem Volke von idealster Lebensauffassung,
rückhaltslosester Wahrheitsliebe und tiefster Erkenntnis des eigenen Ichs,
da haben wir erst gelernt, uns nach dem wirklichen Werte richtig
einzuschätzen, wahr und streng gegen uns zu sein. Mit einer gewissen
Selbstüberhebung reisten wir einst ab, mit ruhiger, nüchterner Schätzung
unserer eigenen Person kommen wir zurück. Daraus entspringt also unsere
Bitte.

Und nun lassen Sie mich Ihnen in kurzen Zügen ein Bild jener wunderbaren
Welt entwerfen, in der es uns vergönnt war, zwei volle Jahre leben zu
dürfen. Vorausgreifend will ich gleich bemerken, daß wir unsere Erlebnisse
in einem Sammelwerke niederlegen werden, in dem Sie dann später alles
Wünschenswerte selbst nachlesen können. -- Nach der Abfahrt von Cannstatts
Wasen langten wir nach dreimonatlichem Fluge durch den Ätherraum ziemlich
wohlbehalten auf dem Mars an. Dort trafen wir Menschen an, die uns mit
großer Gastfreundschaft aufnahmen. In dem Maße, als wir die Sprache der
Marsbewohner erlernten, gewannen wir auch mehr und mehr Einblick in deren
Leben, in ihre Sitten und Gebräuche. Voll staunender Bewunderung sahen wir
dort oben eine Lebensführung, die wir in dieser Vollkommenheit niemals für
möglich gehalten hätten. Das, was wir hier unten auf der Erde früher als
Ideal des Lebens geträumt, -- dort oben auf jenem Sterne ist es in die
schönste Wirklichkeit übersetzt.

Was soll ich Ihnen in dieser Stunde von den Einzelheiten erzählen, die zu
der wunderbar entfalteten, natürlichen Moral jener prächtigen Menschen da
oben geführt haben! Ich fürchte dadurch nicht allein zu ermüden, sondern
auch Ihre freudige Stimmung anläßlich unserer Rückkehr zu vermindern. Dies
möchte ich aber nicht. Sie werden, wie gesagt, die Ergebnisse unserer
Expedition durch unsere Bücher genau erfahren. Nun aber können Sie mich mit
Recht fragen: >Ja, warum sind Sie denn wieder zurückgekommen aus einem Eden
nach einem Tale des Jammers, wie es unsere Erde nun einmal vorstellen
soll?< Darauf antworte ich auch offen: Wir sind schweren Herzens von oben
fortgegangen. Nicht daß man uns geradezu fortwies, nein, man stellte uns
Bleiben oder Gehen zur freiwilligen Entscheidung anheim. Nachdem wir aber
sahen, daß wir dem so hochstehenden Marsvolke doch keine Dienste leisten
konnten, die als Ausgleich für die uns gebotene Gastfreundschaft hätten
dienen können, so verlangte es schon das einfachste Anstandsgefühl, daß wir
zur Erde zurückkehrten.

Nur Herr Friedolin Frommherz konnte sich nicht entschließen, die Rückreise
anzutreten. Er blieb oben zurück als der einzige lebendige Zeuge unseres
Aufenthaltes auf dem Mars. Unsere Ankunft auf Matupi kennen Sie. Zum
Schlusse wollen wir dem Schwäbischen Landesmuseum diejenigen Geschenke und
Andenken überweisen, die wir oben auf dem Mars, in dem herrlichen Angola,
in der Stunde des Abschiedes mit auf den Weg bekommen haben. Wir selbst
bedürfen der Sachen nicht. Wie ein Märchen voll Schönheit, voll Zauber und
strahlenden Lichtes wird jener Aufenthalt auf dem Planeten in unserer
Erinnerung weiterleben, solange wir atmen, und gäbe es eine Seelenwanderung
nach fernen Sternen, so würde ich nichts sehnlicher wünschen, als dort oben
wieder erwachen zu dürfen, wenn ich hienieden nicht mehr bin.«

Herr Stiller trat ab. Lautlos hatte die Versammlung seinen Worten
gelauscht. Manches Gesicht der Anwesenden drückte tiefe Ergriffenheit aus,
als Herr Stiller geendet. So hatte man sich die Sache doch nicht
vorgestellt. Wohin war die Festesfreude plötzlich gekommen? Herr Klingle
griff in die beklemmende Stille, die sich der Versammlung bemächtigt hatte,
als rettender Engel ein. Er erhob den Taktstock, und die leichten Töne
einer einschmeichelnden Musik gaben der Versammlung ihre alte Fröhlichkeit
wieder zurück. Es ließ sich auch hier auf der Erde ganz gut leben. Wozu
also nach dem Mars reisen? Eine Fahrt wie die der sieben Schwaben sollte
keine Nachahmung mehr finden. Die früher so heitern Männer waren als
offenkundige Menschenfeinde zurückgekehrt. Sie wären somit besser im Lande
geblieben. Das war die Ansicht vieler, die in später Nachtstunde von dem
Bankette nach Hause gingen.





Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.





End of the Project Gutenberg EBook of Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem
Mars., by Albert Daiber

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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.