Dada

By Adolf Knoblauch

The Project Gutenberg EBook of Dada, by Adolf Knoblauch

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Title: Dada
       Mit einem Holzschnitt von Lyonel Feininger

Author: Adolf Knoblauch

Illustrator: Lyonel Feininger

Release Date: June 19, 2016 [EBook #52370]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DADA ***




Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
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           [Illustration: Holzschnitt von Lyonel Feininger]




                                 DADA


                                 VON
                           ADOLF KNOBLAUCH

                     KURT WOLFF VERLAG · LEIPZIG




                BÜCHEREI »DER JÜNGSTE TAG« BAND 73/74

              GEDRUCKT BEI POESCHEL & TREPTE IN LEIPZIG




              MIT EINEM HOLZSCHNITT VON LYONEL FEININGER

            COPYRIGHT BY KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG, 1919




                            LEO FEININGER
                           waffenbrüderlich
                              zugeeignet




          »Menschen, wie wir beide, verkennen möglicherweise
          unsere besten, echtesten Fähigkeiten und
          Kunstgaben, wenn wir den für uns beide erprobten
          Hang zum Satirischen immer nur unterdrücken. Sie,
          wie ich, befassen sich mit den mystischsten Dingen;
          wir leben in einer Thränenwelt (mit »Th...«)
          und unsere Gedanken sind vollgesättigt von dem
          gottverlassenen Treiben dieser Jahre; und tief in
          uns drin steckt doch auch die explosivste,
          rabiateste Bosheit und verlangt nach
          Betätigung und Befreiung. Wer weiß, ob
          sie nicht gerade _die_ Kraft ist, die uns
          zur sieghaften Gestaltung prädestinierte.«

                                                  Feininger.




          »Denn wir haben Mondungen für die Erde mitgebracht.

          Wer zur Welt kommt, sammelt Abfälle seiner
          fehlgeschlagenen Schaffung des Mondes.«

                                            Theodor Däubler.




                             ERSTER TEIL




                              DER KARST.


Das sonnergraute Rund des Karst steigt über Dada empor, seine Stirn
trägt vier Säulen roten Abendlichts, seine Hände ruhen blau: Die Linke
mit dem Schlüssel Polas, die Rechte mit der goldenen Schale von Triest.

Pola im Klirren der Arsenale, Rauch der Stahlfabriken, der Hafen voll
grauer Stahlboote. Die zierliche Schnur der zum Hafen einbiegenden
Panzerkreuzer ist vom Karst ins adriatische Blau herabgerollt.

Triest das goldene Halbrund fraulichen Entzückens, Venezias ärmere
Schwester, aber gleich hold von Adria geliebt.

Das sind die Götter! und in Dadas schwingenden Nerven dichten seine
Städte aus der in den kargen Fels geschnittenen und gesprengten Fülle
eine graue und goldene Hymne, zu den Göttern singen die Städte ihr in
ihm geborenes Lob, auf daß Er Europas Hauptstädte vor ihrem Bilde beuge.

Dadas dichtender Leib ist auf kargem Karst ein lohender Abendnebel, ein
Moos auf erhabenem Steine Ostlatiums, ein blauer, dann blasser Pilz. Ein
etrurischer Silen, ohne Zentaurenzierde der Vorfahren, und von weißer
Leinfarbe der Haut, hat den Leib im Karst geborgen, ihn werden nie die
leichtgebogenen Läufe des Hirsches davontragen. Unter dem beschattenden
Stirnhaar blicken Dadas blaß durchsichtige Augen auf das Meer gegen
Abend.

In Dadas Blut braut Polas Rauch, duftet die Zärtlichkeit der
triestinischen Schale. Möge endlich die lateinische Mutter Adrias blaue
Meerflut zerteilen, mögen das königliche Venedig und das väterliche Rom
ihre Wimpel senden und das verlorene Istrien befreien und belohnen!

Dadas weiche Hände sind zwei blaue Quallen, die in der Tiefe saugend mit
den Fluten rollen und wiegen. Zu seinen Häupten stehen die vier roten
Säulen im feinen telegraphischen Tönen der Arsenale von Pola. Diesem
Tönen ist Dadas dichtendes Großhirn hingegeben.

In der zehnten Stunde bebt der Karst von großer Woge, tagjung steht eine
Wolke im Lohgelben gebaut. Adria ruht hochgewölbt, und ein blankes
junges Weib springt von Adrias Rücken auf die Wolke, die sich bläht und
nach Osten wandelt. Dada eilt strahlend zur Felswand und breitet die
Arme nach der Göttin Italia, nach der mächtigen, fruchtbaren Frau, die
kommt, um den Karst zu segnen!

Die Wolke steigt gen Triest. Italia streckt den vollen weißen Arm aus
dem wallenden Blau des Kleides und spendet über die glückliche Stadt
goldene Jubelmünzen. Danach wird die Wolke finster zusammengedrückt und
rollt überm Karst nach Pola. Dada späht scharf aus dem Eck der
haarverhangenen Stirn zum Zenith des weltenvollen Himmels, bis er das
blaue Kleid seiner Träume erschaut. Aber das Kleid rollt auf den grauen
Berg hernieder, denn die Götter sind nackt, wenn sie einen Sterblichen
liebenden Glanzes erfreuen. Italia schreitet herab, und der Silen starrt
zu ihrem holden Jungreiz empor, zu den hohen Beinen, der gewölbten
Hüfte, auf der d'Annunzio die Harfe schlug, und dem stolz wallenden
Busen.

Dada kniet trunken weich vor der Gebieterin, mit schwerem, sehr quälend
schwerem Bauch, zu den Füßen von Rosamilch und bietet den Schlüssel Pola
und die Schale Triest huldigend der Lateinerin. Die Geliebte uralter
Waldgötter, der sich einst Stier, Eber, Hirsch brünstig gewälzt hatten,
die Umworbene teutonischer Könige, sie neigt sich gnädig in Dadas Augen.
Aus seinen Händen lischt das Blau, die Lichtsäulen verstummen und wenden
sich ab, den entgöttert Dämmernden küßt die hohe Frau, freigebig
gelaunt, mit der Koketterie der prächtigen, volkstümlichen Dame. Sie
spricht: »Dada, werde durch mich berühmt, wandle als mein Bote durch die
Städte Europas und sage, daß ich ihnen aus meinem Schoße die Freiheit
schenken will.

Wenn du aufstehst unter ihnen, gebiete als mein Marschall, wenn du
sitzest und ruhst, laste mit Italias vollen weiblichen Gliedern, massig,
dick, Leib meiner Demokratie und erlösten Republik.

Dein schöner Silenskopf sei feurig gebräunt, es sei die Blässe vom
Zeitungspapier aus den lateinischen Zügen getilgt. Dein Haarbusch ruhe
schmachtend auf der goldenem Mittelmaß nicht entfliehenden Stirn, denn
die schöneren Hälften künftiger Republiken werden auf deine Locken mit
Küssen sinken. Deine blassen, durchsichtigen Augen, die meine Brüste
umspannen mit der zart saugenden Nähe des Neugeborenen, bewahre mein
Lieber, denn sie künden deinen Charakter.«

Eh sich Dada ermannt, Italias Hüfte ergreift und die Schöne an sich
reißt, hat die Wolke sich gesenkt. Unter neckenden Glockentönen
entweicht die Gestalt und schwebt gen Abend.

Triest zählt das Gold im Schlafe, Pola schlägt tolle Hämmer, als wolle
es in seinen Essen das Meer zu Stahl schmieden. Dada verneigt sich
morgenländisch und spricht zärtlich das Zauberwort: »Freiheit!«




                               DEROBEA.


Dada hat ein wunderbares Wort, um vor niederbeugenden Hemmnissen sich
selbst wiederzufinden: elastisch sein! Dieser Zauber hilft ihm durch die
unwirtlichsten Zeiten.

Nachdem er Frau Italia geschaut, hat er Istriens Karst umkreist, sein
karges Vaterland, das einst die heimatlichen Wälder rodete, um auf ihren
Pfählen Venedig zu errichten. In dieser Einöde lebt er von der Ekstase
jenes Zauberrufes, den die Göttin von den vollen zärtlichen Formen
Tiepolos ihm schenkte. Aber nur unvollkommen die Bedeutung des
Zauberrufes in der Wüste ermessend, hat Dada ihn treulich nach Pola und
Triest getragen, in jene Schenken armseliger Vorstädte und in winzige
Arbeiterhütten, aus denen der im Reichtum geborene strenge Hauch der
Freiheit zum schreckensvollen Orkane verwandelt hervorrast.

Eines Nachts, beim Heimgange von der Druckerei des Polaer
Generalanzeigers wird Dada überfallen, seine ungewöhnliche Körperfülle
wird in einen Sack gepreßt, er wird auf ein Maultier gebunden, und so
auf den Karst gebracht. Dort wird er seinem Schicksal überlassen, nicht
ohne ihm eine Anzahl gut österreichischer Schläge mit dem Knüttel auf
die weichsten Teile seines Leibes zu zählen, die von der Schwere seines
Leibes ganz besonders hart geprüft wurden.

Der Morgen erscheint in Adrias erhabenem Glanze und Adria hört aus dem
Sacke den leisen Seufzer: elastisch sein! Dada trennt die fesselnde
Leinwand, barhäuptig, gelenkig, schnellfüßig tritt er mit Zorn den
grauen Schiefer des Felsens. Dann bückt er sich und faßt das nächstbeste
Stück Glimmerschiefer, zerdrückt es in beiden hohlen Händen zu Staub,
speit dreimal kräftig drauf und bäckt aus dem Ganzen einen Kloß. Diesen
Kloß nun schleudert er mit Spottworten Pola zu, das drunten mit seinen
Türmen und Dächern den Schlaf der Provinz hält. Der Kloß rollt zufällig
auf das weiße Hemd eines Mädchens, das Wäsche auf dem flachen Dache
ihres Hauses zum Trocknen aufhängt. Sie ist entsetzt, denn sie glaubt,
daß ein Stier vom Karst mit seinem Mist ihr Hemd verunreinigt habe. Und
aus solcher Höhe!

Dada lacht. Er ist frei. Er läuft am Rand der Felsen entlang und schreit
fünfmal seinen Namen. Diese eine Silbe fünffach gedoppelt wiederholt,
stellen das erstaunte Aufmerken und Fingerweisen eines Säuglings dar.
Das fünffach gedoppelte Da! rollt aus Dada zauberhaft lieb und mit der
Perligkeit eines Säuglingsmundes ö-artig rund und mit den Häkchen des
zartesten Hammellautes zu Adrias blauen Wohnungen, so daß selbst die
Göttin erwacht, die von fürstlichen Räubern und Mördern abstammt.

Über die gläsernen Kuppeln ihres Palastes fährt ein schneeweißer
riesiger Kreuzer und hoch auf allen seinen Stricken, Masten, Stangen und
Spieren flattern Italias Wimpel.

Dada rast zum Strande. Das mächtige Schiff hat draußen ein schmales Boot
niedergelassen. Mit zehn Ruderschlägen saust es an Land, während die
Hymne Emanueles hoch über der Adria zum Gruße Istriens rauscht. Dada
wird an Bord des Kreuzers geholt.

Ein toskanischer Herzog soll dies Schiff zum Nordpol führen und jene
Länder der Antarktis entdecken, von denen der Italiener im Namen der
lateinischen Rassen Besitz ergreifen wird. Dada, dem Sack und den
Knütteln entronnen, der Patriot, der letzte Italiener Ostlatiums, der
Redakteur des istrianischen Proletariats, ist auserkoren zum
Berichterstatter für jenes umworbene Polarland, das seinen silbernen
Gipfel über dem erstaunten Europa mit der italienischen Flagge schmücken
wird. Anstelle seiner verlorenen Mütze wird Dada ein mit langen
Truthahnfedern geschmückter Bersaglieri-Hut auf die starke Stirnlocke
gedrückt.

                   *       *       *       *       *

Eine gelehrte Aristokratie ist im Saale des Schiffes versammelt, als der
Istrianer vorgestellt wird. Professoren, Literaten, Politiker und
vereinzelte Damen gehören dem Unternehmen an, das in Schwung gebracht
worden ist, um ein Ereignis von ebenso wissenschaftlichem wie
weltpolitischem Charakter heraufzubeschwören.

Der kühne Dada hat sich nach einer allgemeinen Verbeugung, und nachdem
die schönsten, ausgezeichnetsten Namen von Rom an ihm vorübergebeugt
sind, sogleich in den nächsten Ledersessel sinken lassen, danach rutscht
er ein wenig nach vorn, streckt die Beine lang von sich und spreizt die
Knie, aber keineswegs, um die Zierde der Stiere unter seinem Kleide der
Zivilisation zu zeigen, sondern um jenes Wort Frau Italias zu erfüllen:
»Wenn du sitzt und ruhst, laste mit Italias vollen weiblichen Gliedern,
massig, dick, Leib meiner Demokratie!«

Dada blinzelt aus dem Eck seiner lockenverhangenen Stirn zu den
glänzenden Uniformen und den prächtigen Damen. An der Seite des Herzogs
ruht eine ungewöhnliche korpulente, busengefildete Frau von hochrotem
Angesichte, die Dada mit Lorgnon in Augenschein nimmt. Einen Augenblick
lang will Dada sich beleidigt fühlen, er fährt von der Tiefe des Sessels
auf, und indem er mit seiner gewaltigen Leibesmasse gebieterisch
aufrecht steht, zieht er die Blicke des ganzen Publikums auf sich.

Er tritt frei vor das herzogliche Paar und bittet ihre gnädige Laune, zu
gestatten, daß er eine seiner Hymnen auf die nationalen Aspirationen zum
besten geben dürfe. Die Lorgnons senken sich langsam, wie die Fittiche
des Albatros, um den Schaum der Welle zu berühren, und Dada rezitiert
seine istrianischen Hymnen.

Im Mahagonirahmen des mit Gold bedeckten Salons ist dieser eintönig
leiernde Lateiner eine Wohltat, eine Sanftheit und Trägheit langen
Verdösens. Die Professoren sind eingenickt und die Damen in tiefste
Korbsessel geflüchtet zum Schlummer. Nur die unermüdliche Begleiterin
des Herzogs bleibt wach und bewundert Dada. Sie steht plötzlich auf,
tritt zum Lesenden und legt den Arm in den seinen. Erst jetzt bemerkt
der ganz in die Darstellung seiner urgefügten Laute gespannte Dichter
die überaus vollblütige, starke Weibesgestalt, die ihn mit lustigem
Zwinkern aus dem Saale und an Deck schiebt. Indem sie auf die rings um
die herzogliche Hoheit Schlummernden deutet, sagt sie: »Dada, Sie sind
schon jetzt ein berühmter Mann, der Herzog ist unterrichtet von Ihrer
politischen Kühnheit und den gegen Sie geplanten Anschlägen. Aber die
von ihren wissenschaftlichen Vorbereitungen zur Reise überanstrengten
Häupter dürfen Sie nicht im Sturm für Ihre tiefsymbolischen Dichtungen
zu gewinnen hoffen. Lieber Freund --! so darf ich Sie wohl schon jetzt
nennen, denn Sie sind doch auch ein wenig Österreicher, und ich bin eine
Deutsche -- ich will für Sie werben, junge Dichter sind so
außerordentlich unbeholfen. Geben Sie sich nur ganz in meine Hände, in
Freundeshände --!«

Sie lächelt verliebt und ihr hochrotes Angesicht flammt vor ihm auf. Mit
einem Blick umfaßt der feurige hübsche Silen den mächtigen Leib, den
wuchtigen Busen dieser germanischen Fruchtbarkeit, und sie, von der
Karstglut seiner Hymnen versengt, streicht über seine Stirnlocken. Und
Dada erinnert sich des Augenblicks, in dem die Göttin Italia ihm ihren
Segen und ihre Sendung gab. Er hat noch kein Weib gefunden, das so sehr
der Vollendung Italias gemäß gebildet ist, als diese Deutsche neben ihm.
Ein glühendes Hinneigen zu diesem Weibe bemächtigt sich des Dichters, er
preßt den vollsten und stärksten aller Weibesarme an seine heroische
Hüfte, die nicht zu den Beinen flach entflieht, sondern rund auf dem
Gewölbe seines Bauches ruht. Sein braunes Silensgesicht wird noch
dunkler von einer stolzen Erobererfreude, und er senkt den unverhüllten
Blick in das Auge der vollblütigen Aphrodite, die fest an seiner Hüfte
ruht, denn sie ruhen beide an die Reeling gelehnt, und sie flüstert
träumend: »Mein Herr von Casanova!« Ihren Augen entschwindet die Küste
Italiens.

Es ist Dada nicht möglich, den mächtigen Rücken neben sich mit dem Arm
zu umfangen, schließlich biegt sie langsam seinen Kopf zu dem ihrigen
und sie geben sich gründlich einen Kuß. Dann lassen sie einander los.
Die Professoren erscheinen, die Hoheit hat ausgeschlafen, und die beiden
dicken neuen Freunde bilden den Mittelpunkt für alle Liebenswürdigkeiten
und Schmeicheleien. Jetzt erfährt Dada auch den Namen seiner Göttin: sie
wird Derobea genannt und ist die Frau eines königlich sächsischen
Kommerzienrats, der Konsul in Rom ist. Als Freundin des Herzogs hat sie
die Erlaubnis, die Nordpolfahrt zu seiner Linken mitzureisen.

                   *       *       *       *       *

Das Schiff verläßt England und steuert zur skandinavischen Küste. Dada
führt das Tagebuch des Herzogs und hat sich vorgenommen, den Walfischen
und Seerössern der Polarzone ihre Urlaute abzulauschen und ein Epos von
den Pinguinen zu verfassen. Er ist begeistert von seiner ersten
Weltfahrt, die ihn zwar Italias Sendung, Europa die Freiheit aus ihrem
Schoße zu bringen, abwegig macht, ihn als Freiheitsboten aber jenen
düsteren Horden der Eskimos zuführt, die in ihren Erdhöhlen die
holdesten Kulturreize Italiens fühlen sollen. Dada hat Derobea für die
nationalen Aspirationen in Niemandsland geworben. Wie die Jordaenssche
Lebensfülle beider die Plötzlichkeit, Offenherzigkeit ihres
Liebesverständnisses simultan durchsprüht, so sind sie auch für ihre
künftigen Eroberungen eine Hand, eine Seele.

Sie nähern sich nördlicheren Breitengraden, Bergen, Trondhjem, als Dada
jene Taktlosigkeit begeht, derzufolge die Hoheit glaubt, Derobea von
ihrem neuen Freunde befreien zu müssen. Seinem eigenen feurigen Ungestüm
ist die schuldige Entdeckung zuzuschreiben, die die Hoheit macht, als
sie zufällig Dada beim Verlassen von Derobeas Schlafzimmer betrifft.

Dada wird bedeutet, sich an einem Küstenorte Norwegens ausschiffen zu
lassen, und trotz Derobeas entrüsteten Thränen, die für ihren dicken
Schützling mehr fürchtet als für das Wohl und Wehe der ganzen
hoheitlichen Expedition, muß sie sich in die ernsten Vorhaltungen der
Professoren fügen, die nur das Ärgernis entfernt wissen wollen.

Ohne Gepäck, mittellos, wie er vom Karst gekommen, nur mit einigem
Reisegeld, dem Reisepaß und den hoheitlichen Empfehlungsschreiben
ausgerüstet, steigt Dada in Hammerfest ans Land. Vom Nordkap schwenkt
der Verlassene seinen wallenden Bersaglierihut, während Derobea vom
weißen Schiffe ein zartes Tüchlein weht, und es immer wieder an die
Augen führt. Das einzige, teure Wort, das ihm geblieben, murmelt Dada
immerfort vor sich hin: Derobea! »Dada! wo hast du deine Derobea?!«




                            DAS NORDLICHT.


Ewige Feuchtigkeit, graue Wolken, jäh vorbrechende Stürme. Die
Meereswüste wird nur selten von einigen die kimerische Dämmerung
durchbrechenden Sonnenstrahlen gefärbt. Den Tagen folgen wunderliche
Nächte von gleicher Helligkeit.

Eines Abends sitzt Dada wie gewöhnlich am Meere, das ihm Derobea
genommen hat und erwägt einen Satz aus dem Buche, das seiner Hand
entglitten ist: »Die Überwindung der unsozialen, richtungslosen Ekstase
durch die soziale Ziel-Ekstase, das himmlische Jerusalem aus irdischen
Bausteinen.« Es ist ihm, als unterhielte er sich mit Derobea über den
Sinn dieses Satzes.

Der Wind schläft ein, die Wolken stehen reglos, und das Meer verändert
fern hinaus seine Düsternis zur tiefsten Schwärze. Nur der Schall der
gegen die Blöcke des tiefen Strandes vorbrechenden Flut donnert im
Gleichmaß fort. Unheimliche Finsternis der Antarktis steht
undurchdringlich vor Dada. Nur das Land bleibt schattenhaft in seinem
gespenstigen Eigenlicht sichtbar. In Höhe des Meeres beginnen einzelne
gelbe Streifen ein zuckendes Spiel hinter einem unermeßlichen Vorhang
finstrer Geschiebewinde, einzelne ferne Fanfarentöne, dann tiefste
Stille. Dicht überm Meere wird es in endloser Ausdehnung vom Licht
lebendig, der Horizont glüht an von geisterhaftem ruhigem Blau und Grün
und strahlt auf, während ungeheure Fächer, Gardinen, schwere Vorhänge
sich hell färben und aus durchsichtigem Kristall werden, um ein
unerhörtes lohgelbes Flammen mit tiefstem Schweigen auszustrahlen.
Endlich erhebt sich hinter den starren Falten der purpurne Riesenfächer
eines ungeheuer starken Kernfeuers, das mit blutigem Licht durch die
flammenden Kristalle hinaus aufs Meer in breiten Strömen rieselt. Ein
unermeßliches Blutergießen überflutet den geheimnisvollen Polarkreis.
Die wilde Schönheit purpurner Grotten und Eismeere, ungeheurer Pflanzen
und Wale und Berge von Eis, vom zartesten Splitter bis zu den
Kristall-Stalaktiten antarktischer Riesendome in düsteren Gluten
errötend und elektrisch funkelnd schauert tief in Dadas Herz und tötet
mit Geisterhänden sein Liebesleid. Das Miramar des Nordpols steht vor
seiner Seele, und von seinen Zinnen spricht Gott in tiefster Stille das
Wort des neuen Jahrtausends aus.

Es graut Dada vor dem erhabenen Nordlicht, von schrecklicherer Kälte als
alle grausamen Kulte Mexikos, Indiens und Karthagos. Das kälteste und
feurigste Wunder des Erdballs hat der Italiener geschaut. Das grausigste
der Schöpfungswerke, das der äußersten Finsternis die blendendste Pracht
des Lichtes beigesellte.

                   *       *       *       *       *

Das blutige Nordlicht, gewaltiger als je eins seit Menschengedenken, ist
von vielen Lappländern beobachtet worden.

Dada hat das Fieber seit jener Nacht gepackt und liegt im Gasthofe zu
Bett, wo er von einer Lappländerin gepflegt wird. Und diese erzählt ihm
eines Tages vom Nordlicht und seiner Prophetie. Es kündigt einen Krieg
an, in dessen weißglühenden Ring alle Völker der Erde nacheinander ihre
Söhne hineinschmieden müssen, um sie in seiner unerlöschlichen Glut für
ewig versinken zu sehen. Ein herrlicher Vorhang flammensprühend verbirgt
wohltätig die Greuel denen, die warten, aber wenn ein Vorhang verzehrt
ist, so stellt ein neuer noch herrlicher sich dar. Niemand vermag
hineinzuspringen, die abscheulichen Gluten auszutreten oder die
Geopferten ihnen zu entreißen. Hier wird Retter, Henker und Opfer eines
und gleich. Diese Schrecken verkünden die prophetischen Falten des
Nordlichts.




                             DIE URLAUTE.


Dada lernt die Sprache der Lappländer, um Zunge und Gehör in der Urform
des Menschenwortes kindlicher Rassen zu binden.

In den Nächten des nassen, sturmumtobten Hammerfest sieht Dada die
Grundlage einer Zukunftsdichtung, indem er die Sprachen alter Rassen
nach Urworten und Lauten durchforscht, die Töne tausendjähriger Kindheit
blumenhaft öffnen. Wie vordem die Urlaute der Kinder, versucht er jetzt
die Urklänge der menschlichen Rassen in seinem System von Rhythmen zum
schwingenden Rausche zu dichten, wie jener Ekstatiker in Là-bas die
substilsten Sorten des Kognaks zu einer Symphonie des Kognak-Rausches.
Vom wilden Lappen, Eskimo, Tschungusen nimmt Dada den Urlaut, und läßt
ihn neu tönen in Dadas Wildheit, Trauer, Glück und Schmerz. Dada hebt
die logische Sukzession der Worte in den Ursprachen der Fetischanbeter
auf und sammelt ihre einzelnen Silben oder Laute, sperrt ihren
beziehungsreichen Sinn in das Gefängnis seines nervös eilenden Rhythmus
und senkt in ihre traurig gerupften Kelche die bleichen Leidenschaften
des Urwalddurstigen verkrüppelten Europäers. Der Chinese, der Ägypter,
der Druide sprachen durch Zeichen, die sie auf Seide, Stein oder Holz
eingruben. Dada nimmt die gottgeweihten Zeichen, wiederholt sie auf
mehreren Reihen des nervös fiebernden Rhythmus, um die Empfindung des
Urlaute-denkenden Dada flüchtig schillernd auszudrücken.

In einem lappländischen Dorfe nahe der russischen Grenze findet Dada
einen Dorfgötzen, vor dem er sich niederwirft, dann wieder aufrichtet,
um von neuem niederzufallen. Mit schäumendem Munde betet Dada in den
drei Urlauten einer Hymne, die zum Gegenstande die komplizierte Idee der
sozialen Zielekstase hat. Das Dorf um ihn ist nichts weiter als die
materielle Gestalt seiner Idee, der er in der Hymne den Ausdruck des
Urlautes verleiht.

                   *       *       *       *       *

Dada spricht: »Ich bin der Orient.«

Er reist durch Finnmarken nach St. Petersburg; er geht durch das
Geschlinge aller Rassen und Sprachen und er bildet das Gehör zur
äußersten Feinheit der Wahrnehmung, um die allertiefsten und
allerfernsten Urklänge der lebenden Völker zu verstehen und zu besitzen.

Er betritt vom ersten Augenblick an jene Bahn, die jedermann wählt, wenn
er weder Geld noch Beschützer besitzt, um zum Erfolge zu gelangen. Dada
tritt in die berühmte Organisation der russischen Geheimpolizei. Er wird
beauftragt, einer Reihe revolutionärer Klubs als ordentliches Mitglied
anzugehören. Auf Grund gefälschter Zertifikate erlangt er Zutritt zu
einer Reihe politischer Versammlungen, erwirbt sich Vertrauen und wird
schnell berühmt auf Grund seiner persönlichen herkulischen Erscheinung,
die an die Leibesfülle des Begründers russischen Terrors erinnert:
Michail Bakunin. Dadas Vorname, bei dem ihn jetzt das Proletariat kennt,
ist: Michail.

Auf einer Werbereise zu den Muschiks eines westlichen Gouvernements
kommt der erfolgreiche Istrianer in einem Provinzstädtchen mit zwei
Männern zusammen, die Bauern und Arbeiterschaft ihrer Bezirke in
Bewegung gesetzt haben, ohne eine Kopeke von den Geldern des
Zentralkomitees zu brauchen. Der eine ist Klavierlehrer, der andere
Angestellter der Stadtdruckerei. Mit diesen beiden Männern gerät er in
ein Gespräch über ein Ereignis, das ganz Rußland erschüttert. Ein junges
Mädchen aus guter Familie, gut erzogen und von der Jugend der Charlotte
Corday, hat einen General mit der Bombe getötet, weil er ein grausamer
Gouverneur war. Dies Mädchen wird in der Untersuchungshaft von den
überwachenden Offizieren vergewaltigt und am nackten Leibe gemartert.
Sie löschten z. B. die Zigaretten auf ihrer Haut. Als sie vor ihren
Richtern steht, erklärt sie, daß sie aus dem Leben wolle.

Eine düstere Tragödie folgt der anderen, diese glühenden Verfinsterungen
einer Nation, in der die mechanische Cinéma-Kultur Europas sich mit den
asiatischen Triebkräften zur ungeheuren Selbstzerstörung vermischen.

Dada sieht sich durch die Ochrana unheimlich verstrickt und weiter als
je von Italias Freiheitssendung entfernt. Er schließt sich gequält den
beiden Männern an, die eine für ihre Schicht ungewöhnliche politische
Vernunft und kühne Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung ihrer Ziele
besitzen, außerdem lernt Dada in ihnen zwei Freunde jener Terroristin
kennen. Mit ihnen geht der Istrianer auf die Straße, sie halten die
Vorübergehenden an und erklären jedem einzeln ihre Ideen. Sie flüstern,
versprechen geheimnisvoll, drohen, spotten -- sie werben mit
unbezwinglicher Überzeugungskraft. Die Polizei ist machtlos gegen sie.

Auch Dada glaubt an die Revolution, die Demokratie und Kindlichkeit der
Völker. Er glaubt an das Werk der Freiheit. Er bittet seine Freunde, das
erste große Werk sozial zielvoller Ekstase den Muschiks und Proletariern
vortragen zu dürfen: »Das Nordlicht!« und begründet: »Die Kindlichkeit
neuer Demokratien erfordert eine ihr gemäße neue Urform des Ausdrucks
und des Stils. Erst der kindliche Mensch ist der wahrhaft Freie! ein
ausgelassener unbändiger Junge ist das Urbild der Freiheit!«

Seine Sätze brauche man nicht durch Kommas und Punkte eingeschachtelt zu
hören, jedes seiner Worte sei ein Hauptwort, auf dem die Sonne der
Urlandschaft sprieße. Jede seiner Empfindungen habe nur einen Ausdruck:
Den o- oder aj-Ausruf, den Schmerz oder die Freude. Sein Wille kenne nur
eine Wortform von substanziellstem Wert.

Vor dem gleichgültig rauchenden und trinkenden Publikum einer
Arbeiterversammlung trägt Dada die Hymne des Nordlichts vor. Die Völker
beider Welthälften erzählen selbst im eintönigen Chore von den
Grausamkeiten, den Kriegen und den Kulten ihrer kindlichen Zeiten. Die
Idole der Osterinsel, Perus und der grausamen Mexikaner erzählen ihre
paradiesischen Feste und ihre schändlichsten Greuel, Madagaskar, Indien,
und endlich jene untergegangene Atlantis, von der die lateinischen
Neu-Republiken nur blasse Revenants sind, blühen urwaldblumenhaft in
ihren wenigen gewaltigen Urlauten aus Dadas Rhythmen auf. Tänze,
Prozessionen, Orgien, Fratzen, Götzen der alten Naturkulte leben
magnetisch in einigen gelallten Silben Dadas, obgleich hier bereits die
Grenzen des im Worte Darstellbaren erreicht werden. Diese Silben
gleichen Kakteen oder Orchideen, die märchenhafte Systeme von Stacheln
oder farbigen Blättern entfalten und mit ihren künstlichen Gebilden das
Entzücken der Sammler oder ästhetischer Salons sind.

Dadas sozial zielvolle Dichtung ist ein archäologisches Museum der
Seltsamkeiten des Völkerlebens, ein Erotikon und Folklore aller
Geschlechtskulte. Die Menschheit eilt mit dem eintönigen Summen eines
vielgeschäftigen Bienenstockes vorbei, ohne sich umzublicken, den Blick
auf ihre erhabenen Idole geheftet. Immer auf dem Marsche nach Norden,
immer von neuem ungeheuren Zuchtmitteln unterworfen, die aus Einöden
entsprangen und die Erschlafften geißeln -- durch die Kriege, Opfer,
Brände, Seuchen, Untergänge wandeln die gleichmütig gereimten Hymnen
Dadas, um endlich das Nordlicht anzubeten und aus seinen glühenden
Falten die kalte Prophetie Europas zu empfangen. Dada verkündet die
Zertrümmerung dieses Erdteils, und nach Niederlegung all seines
Menschen- und Pflanzenwuchses den Triumph der Polarwüste über die
verworfenen Reiche, den Sieg des Nordlichts!

Seine Vorlesung schließt Dada mit dem Ausruf: »Betragt euch _kindlich_,
so fühlt ihr euch frei und ihr seid es auch!«

Eine drückende Stille liegt auf den Zuhörern. Die beiden Freunde fassen
Dada an den Armen und zwingen den bequemen herkulischen Italiener
aufzustehen und mit ihnen die Versammlung zu verlassen.

Seit einiger Zeit ist Dada verdächtig des Einverständnisses mit der
Polizei, und bei seiner ungewöhnlichen Vorlesung, die mit sämtlichen
Perversitäten der bürgerlichen Gesellschaft aller Völker spielte, haben
die Freunde das stärkste Mißtrauen der Versammlung bemerkt. Selbst die
Freunde haben Dadas Werk nicht verstanden, das auf das Erscheinen
irgendeines neuen bürgerlichen Ssanin hinaus zu gehen schien, der auf
Kosten der Arbeiter einem Geschlechtskulte im Zeichen des Nordlichts
sich hingeben wird. Ein Jahr hat Dada in Rußland verbracht, ohne seine
Aufgabe, die Freiheit auch diesem gequälten Lande zu bringen, erfüllt zu
haben, diesem mißtrauischen, bis auf die Wurzeln verdorbenen Volke, das
in dem Bewußtsein ständiger Gefahr von Umsturz und Empörung sich dem
Rausche ergeben hat, erregt von einer tief fressenden, stets
sprungbereiten tierischen Sexualität. Ihre Freiheitsideen verdammt Dada
im selben Maße wie ihren Fortschritt vom Stumpfsinn des Mir zum Cinéma
und zum Alkohol.

Die Macht der Idee selbst bei den armen russischen Bauern und Arbeitern
ist das Wunder, das Dada rührt, und er wünscht ihnen dazu die Vernunft
des -- Nordlichts!

Dada ahnt nicht, daß er jene beiden Russen kennen gelernt hat, die nach
dem Sturze des Zaren, nach Ausbruch unerhörtester Ereignisse, die
günstige Stunde des Weltkrieges benutzten und das Schicksal der
russischen Republik in ihre Hände nahmen, jene selben Männer, die noch
eine Zeitspanne weiter dieselbe Terroristin und Freundin füsilieren
ließen, als sie sich _ihnen_ entgegen stellte.

Der unglückliche Weltreisende muß sich von neuem entschließen zu
wandern. Dada soll ebenso sanft wie nachdrücklich nach Deutschland
abgeschoben werden, dem Zion aller Juden und Emporkömmlinge Rußlands und
Polens.

Mit Hilfe seiner herzoglichen Freibriefe entrinnt er rechtzeitig der
russischen Polizei und gelangt nach Deutschland.




                               DRESDEN.


Dada wendet sich sogleich nach Dresden, um Derobeas Aufenthalt zu
erkunden. Siehe da: auch sie ist nach einjähriger Abwesenheit in den
Polarländern zurückgekehrt, um von Dresden aus zum Gemahl nach Rom
weiterzureisen. Sie hat die Expedition des Herzogs auf der Heimreise in
Hamburg verlassen. Es ist ein köstliches Wiedersehen von
Taubenzärtlichkeit, und sie beschließen, ganz der Kunst und der
intimsten Gesellschaft geweihte Wochen gemeinsam zu verleben. Die
reiche, in Künstlerkreisen sehr wohltätige Dame veranstaltet eine Reihe
großer Empfangsabende und Feste, um die Künstler Dresdens und Berlins
einzuladen. Die glückliche Derobea versammelt Sänger, Komponisten,
Dichter, Rezitatoren, Maler, sie ruft Kunstausstellungen hervor, wirbt
Zeitungen für den Dienst der neuen Kunst, der sie ihre Salons zur
Verfügung stellt. Zusammen sind Derobea mit Dada die berühmten
Protektoren. Derobea und ihr Kreis bewundern die Hymnen des großen
Istrianers aus Lappland und dem Reiche der Sarmaten und Tartaren: »Das
Nordlicht« sowie die Hymnen und die Philosophie von den Urlauten der
kindlichen Rassen. Sämtliche Werke Dadas erscheinen im Druck, an ihrer
Spitze die Hymnen an Derobea, der das Ganze in kindlicher Dankbarkeit zu
Füßen gelegt wird. Derobea ist glücklich. Dadas Genie ist in Deutschland
entdeckt, er wird gemalt, wertvolle Liebhaberausgaben seiner Dichtungen
werden subskribiert, seine Philosophie wird die Grundlage einer neuen
Richtung der Ausdruckskunst. In kühnen Vorträgen bemächtigen sich
Doktoren der Kunstwissenschaft der Dadaschen Dichtung. Gestammelte,
gelallte, gestöhnte, gestaunte und geseufzte Empfindungsurlaute des
Eskimos in Dadas Rhythmik haben die bisherigen Sprachgrenzen des
Kulturmenschen überwunden, kein Verbum, kein Objekt fesselt den Strom
der Dichtung, die wohlanständig logische Frisur des Satzbaus ist
zerstört, das Subjekt allein bleibt im ewigen Einerlei seiner
Abwandlungen bestehen: wunderbar entfesselt, ausgebreitet in einer Welt
freier Leidenschaften, freien Liebens, Tötens und Getötetwerdens. Aus
den Greueln Europas schreitet Dadas neues Subjekt hervor, um durch die
Eisstürze des Polarkreises und die kalte Herrlichkeit des Nordlichts das
Absolutum der Kunst zu finden, die letzte demantharte Kristallisierung,
die Reinigung der kulturbefleckten Menschheit.

                   *       *       *       *       *

In ihren Salons hat Derobea eine Reihe Spielzeuge für Kinder
aufgestellt: einen Garten mit Arche Noah aus Pappe und bemalten
Hölzchen, Postkutschen, Lokomotiven, Müllerwagen, Puppen und
Dreiertieren mit mechanischem Antrieb. Alle Spielzeuge sind mit den
Urlauten Dadas versehen. Man drückt auf einen rosa Gummipfropfen und die
Figur stößt den ihrem Charakter angepaßten Urlaut aus, den Dada einem
Lappländer, Samojeden oder Tartaren abgelauscht hat. Mit diesen
Spielzeugen erheitert Derobea ihren Kreis, nachdem Dada eine seiner
leiernden Hymnen vorgetragen hat. Da erschallen die Säle Derobeas von
wunderlichem Geplärr und Geschrei, die Gäste versuchen selbst die
Urlaute nachzuahmen, es ist, als ob eine ganze Mädchenschule eingesperrt
ist und in allen Stimmlagen ihre Lehrer äfft. Durch Passanten aufmerksam
gemacht, erscheint eines Tages die Polizei in Derobeas Hause, um dem
revolutionären Lärm nachzuforschen. Alles lacht und der errötende Dada
verschwindet hinter Derobeas mütterlicher Statue. Denn ein Plastiker hat
Derobea und Dada in Jordaenscher Fülle aus Marmor gehauen.

                   *       *       *       *       *

Eine neue furchtbare Stimme hat sich aus Berlin erhoben und droht wie
einer der sagenhaften Gaskogner der Iliade dem Istrianer mit
Herausforderung auf Urlaute. Ein Kreis von tyrtäischen Künstlern hat
sich unter Führung von drei auserwählten Männern auf den Marsch begeben:
mit dem Programm eines organisierten Orkans der erneuerten Künste und
einer löffelartigen Fortbildung ihrer Sprechwerkzeuge. Vor ihnen her
geht die neue furchtbare Dichterstimme Hackhacks aus dem Schall einer
verstärkten Kindertrompete, neben ihm »denkt« der Philosoph mit Augen
von Tetraëdern, geschliffen aus gewöhnlichem Kiesel und lacht erotisch
über den eigenen und Hackhacks Bombast. Der Direktor des Ganzen springt
über sie, rührt besessen die Hacken und tanzt in dünnster Luft. An jedes
seiner langen langen Haare ist ein Heft des tyrtäischen »Orkans«
geknüpft und fliegt rund mit solchem Babygrinsen, solcher
Dummdreistigkeit, als wäre sein Dasein wichtiger als das der restlichen
Schöpfungswerke.

Diese drei starken Männer haben die Kunst ethisch gedrillt und unter
Polizeiaufsicht genommen. Gelenkt von einer Mänade von internationalem
Blondschein, genügt Berlin keineswegs ihrem teutonischen
Eroberungsdrange. Sie ziehen eines Abends in Dresden ein und Hackhack
veranstaltet eine Orgie seiner Dichtungen in Derobeas Salon. Unter
Chagalls »Bild des Gehörnten« lernt Dada Hackhack kennen. Der
Vortragende, ein Märtyrer der Kunst Hackhacks, donnert in
ununterbrochener Ekstase die Berliner Dichtungen, mit der Eintönung der
heraufgestemmten Urlaute, die seltsam von fern an die Leier Dadas
erinnert. Es sind Dichtungen in mediumistischem Trance und spiegeln den
zerwühlten Zustand hindämmernden Weltlebens, zersetzter, geschwächter
und zur schöpferischen Ohnmacht verdammter Völker.

Gleich Dada hat Hackhack das Objekt und Prädikat ausgerodet. Das Subjekt
strömt hartnäckig seine unaufhörlichen Interjektionen in einem Niagara
von Verben, die weder Logik noch Satzgefüge hemmen, und sich in eine
furchtbare Öde stürzen, die nur einige trübe Berlinismen erquicken. Dada
würde gern den neuen Mann aus Preußen als seinen Doppelgänger von der
nördlichen Hälfte Europas begrüßt haben, wenn ihn nicht eine furchtbare
Anomalie gegen Hackhack eingenommen hätte: das sind die seltsam
zerhackten Wortreste der deutschen Sprache zum höheren Ruhme des neuen
Gottes, der Kunst!

Ausgerodeten, bleichenden Wurzelknorren oder Brocken von großen Stämmen
gleichen diese armseligen sinnberaubten Wortreste, die in einer
unermüdlich quellenden, gurgelnden, schubbsenden, zappelnden Flutung
eines furchtbar stöhnenden, schwer Atem ringenden Subjekts kreisen, dem
Gesetz der Beharrung unterworfen gleich ihrem Schöpfer. Dada ergreift
eines dieser vergewaltigten Worte, die aktivische Vorsilbe ist ihm
abgesägt, und der bloße Schwanz als leidenschaftslose Urerscheinung aus
der Kindheit germanischer Rasse zeigt die Hoheit des Dichters. Der in
den Urlauten völkischer Säuglingstage tiefbohrende Dada steht entsetzt
vor diesen Urformen berliner Hackhacks.

Wird Dada auf seine sinnlichen Urlaute verzichten, und jene
Lautempfindungen aus ihnen hacken, die Dadas teuerstes Gut sind? Wird er
dies Verbrechen seinen Wörtlein antun, damit sie schnell an der
Oberfläche mitschwimmen können?

Oder wird Hackhack sich seiner Dichtersiege und seiner unzähligen
Krüppel von Worten freiwillig begeben, die seinen fürchterlichen
Berserkeranfällen von pedantischer Wortschrauberei und Klügelei
entsprossen sind? Die Hexerei, Taschenspiegelei aus Berlin und ihre
dekadente Wüstheit betrübt Dadas katholische Seele und italienisch
formgebildeten Kunstgeist. Auch er ist begehrlich nach den wildesten
Urgenüssen, dafür ist er moderner Silen. Aber Hackhack ist auch Hackhack
in der Seele und das taugt Dada nicht.

Am Morgen nach dieser Berliner Gassenjugend begibt er sich mit Derobea
zum ersten Male seit Jahren zu einer Messe in die Liebfrauenkirche. Er
besprengt sich mit geweihtem Wasser, beugt das Knie und betet aufrichtig
für die Reinheit seiner Seele und seiner der menschlichen Befreiung
geweihten Kunst.

                   *       *       *       *       *

Im selben Sommer, der Derobeas und Dadas Märchenglück sieht, bricht der
Krieg aus, der allen Aspirationen des Istrianers ein Ziel setzt und den
Konsul aus Rom in die Arme seiner Gattin zurückführt.

Dada wird nach Österreich zum Heere eingezogen, macht einige Märsche mit
und bleibt dann als Badewärter in einem Lausoleum Galiziens hängen.




                             ZWEITER TEIL




                             DIE SERBIN.


Dada trägt Tschako, Bluse und Habsburgs Doppeladler. Sein Blick steht
schräg, und auf die bewaffneten Horden, die gen Osten ziehen, fällt sein
Schatten dumpfer Härte, mürrischer Unlust; verstaubt, verdorrt, verwest
in den Wirbeln der Menschenöde, die bis ins ferne Morgenland schäumen.
Der jüngst weltweite Horizont, den Dada zu erobern ausgezogen war, hat
sich verkrochen, liegt in der Kriegswildnis im Hinterhalt, bestückt mit
zehntausend Drohungen. Das Standbild der Freiheit, in den verzehrenden
Flugsand irgendeiner Wüste Gobi gestürzt, wonneglänzt ihm nimmer zu den
Mondungen seiner Seele, und das hellste der irdischen Festländer ist
finster geworden.

Zu einem runden Silbervollmond der Steppe steigt Dada auf dem Damm der
Bahnlinie, die Wien mit dem goldenen Kiew bindet. Hell, zart leuchtend
ist die nächtliche Ebene. Dada steht lauschend und sinnt gen Osten.

Auf den im Monde bläulichen Schienen schreitet hoch und anmutsvoll ein
Weib, den Rock geschürzt, und bleibt vor Dada still, die entblößten Arme
über dem starken Busen gekreuzt. Das stattliche Weib ist von Angesicht
und Haltung frei der knechtigen Plumpheit träger Halbslawen. Sie spricht
leise im Wind der Sommernacht im Sieden der Erde: »Mich trug Istriens
armer Karst, durch das tote Europa bin ich in alle Länder bis zu den
letzten aller Slawen gewandert, um sie den Klauen des Doppeladlers zu
entreißen. Du bist müde und schwer geworden, seit dich Italia zu ihrem
Geliebten machte und sie dich zu den kraftvollen Spannungen der Freiheit
erkor. Gib acht, ob du noch taugst zu der Sendung, die dich in die
Freiheit pflanzte. Du warst geschmückt mit dem Adel Etruriens und
gebotest mit dem Lockklang Pans über die Horden. Aus Galiziens
Kriegswildnis schmachtest du nach dem Orient und verhüllst Abtrünnigkeit
und weibische Zagheit mit dem Lack Chinas und Krischnas Liebesblumen.
Weil beflissene Knechte die Völker in Kriegsgerät, Panzer und Flugzeug
schnürten, glaubst du, daß die Freiheit verliegt und fault?

Einst gefürstet von Cäsaren empfing ich Legionen in der Kraft meiner
kimerischen und dacischen Völker. Ungebeugt, roh, von Bärenkraft und
Pantheranmut, genoß ich die römische Freiheit und senkte sie meinen
Jungbürtigen in Hirn und Herz. Gründer neuer Reiche und Pflüger neuer
Grenzen zogen ihre düstren ergebenen Fahnen nach Norden und zeugten das
neue Europa.

Dada, ich weiß, dir fehlt Garibaldis Feuerblick, Magnet der Freischar,
wahrer Gott der armen ruhmbelohnten Kämpfer. Du hast viele Geliebte
nötig gehabt, und schließlich hat eine Köchin, die einem Deutschen
gehört, dich um dein entartet lateinisch Blut betrogen. Mit einer braven
Zweischichtigen, Zweischläfrigen wurdest du bettgewöhnt und hast die
Freiheit verschlafen. Als es dann zu spät war, als alle um dich aus dem
Rausch erwachten, und Männerblut und Weibertränen ihnen bis an den Hals
in roter Sintflut stand, fürchtetest du dich und du verhülltest die
Seelennot mit deines furchtsamen Verstandes bunter Wortkunst.

Aber es ist keine Schonzeit für die Furchtsamen.

Nimm die Schiene, löse ihre Schrauben und trage die starken Stahlglieder
beiseite, damit das Gleis zerbrochen sei. Und an das Ende des westlichen
Schienenkörpers befestige diesen eisernen Topf mit hohen Explosiven.«

Das Weib löst vom Gürtel ein kleines schwarzes Gefäß und Dada nimmt es
schweigend. Ein Balken starken weißen Lichtes quert den Bauch der
Geheimnisvollen. Sie lächelt. Dada kniet und birgt den treuen
Zentaurenkopf in den groben Falten des Bauernrocks. Ein Bäumchen mit
dicken, grünen Blättern und drei dunklen Granatäpfeln sprießt aus der
Erde und wölbt um Dadas am Bauch der Serbin ruhendes Haupt betäubende
Wollust.

Das Weib entfernt sich unmerklich, auf bleichen Schienen entwandelnd.
Dada liegt quer über die Schienen gestreckt und küßt in blinder Inbrunst
den schrecklichen Stahl. Dada biegt die Schrauben, lockert sie mit
Steinschlägen, trägt die Schienen auf dem Rücken beiseite und befestigt,
gehorsam der Slawin, das Hochexplosiv.

Danach macht er sich fertig und wandert gen Osten in der Tracht
kroatischer Bauern.




                                KIEW.


Durch die Serbin zu süßerer Qual entzündet als von allen Derobeas eilt
Dada Rußland zu. Als ukrainischer Bauer kommt er nach Kiew. Entsandt von
der neuen Einheitsrasse, die Europas blutgedüngter Erde entsproß, seinem
erstickenden Völkergefängnis entsprungen, entkettet, entbunden, entrollt
zu Wirrsalen des Staatenumsturzes, fernster Völkersicht, zu Stürmen,
Himmeln, Bindungen erneuerten Festlandes.

Im Dom zu Kiew kniet Dada vor den Bildern des Weltgerichts. Nachtdunkle
Augenmale der weltverschlingenden Propheten starren auf das Meer
Europas, in dessen Abgrunde brünstige Ungeheuer rollen. Jo, die Sklavin
roher verderblicher Götter, nimmt gepeitscht durch kimerische Länder
ihren qualvollen Lauf zu den Zinnen des Kaukasus. Über prometheischer
Zwiesprache zürnt das feurige Antlitz des Stiergottes durch die Wolken
und beschattet das junge Europa mit endloser Zwietracht und Krieg,
gleich Blitzen unter Wolken gestreut.

Die furchtbaren Tiere regen sich markzehrend in Europas Tiefen: Plage,
Seuche, Hunger, Aufruhr, Gewalttat, Verfolgung, Mord. Die Heiligen des
Pantokrators, erhöht über Verbrechen und Schwächen, gewaffnet mit Jovis
Blitzen und dem Bannfluch, um jede Seele botmäßig zu machen, starren
glühend in den unermeßlichen Abgrund, über dem sie ihre Macht errichtet
haben. Heulende Gewalten werfen sich in den Staub, Zerknirschte tun
Buße, das Schwert zerschellt, seine Schrecken enden am gläsernen Meere,
das unwandelbar von Gottes Stuhl über Europa fließt.

Die Gottesmutter nimmt die Gestalt der Serbin an. Sie stiehlt das
goldene Vlies des Orients. Dada wird in Kolchis seinen Bock den alten
Göttern schlachten und er wehrt es nicht den neuen, ihr Mahl am frischen
Lamme zu halten und das Opferblut zu trinken. Dada sieht den
Transportzug in der hellhörigen, zartleuchtenden Nacht, die Explosion
und den Zusammenstoß: die Raserei der Verwundeten, die Schreie der
Getöteten, die Schande des Mordes haben seine Seele erreicht. Das Lamm
ist zerrissen, das Blut dampft um Rache im strengen Licht von Patmos --
das die Stufen beglänzt, auf denen die schwarzen Väter thronen.




                              KAUKASUS.


Brücken, Stahlschienen, Wagen tragen den Leib des glücklich dem
wolhynischen Gemetzel Entronnenen. Bäche, Ströme, Hügel beugen ihre
breiten Rücken, Wälder setzen ihren schwarzen Fuß zögernd in die endlose
Steppe und nehmen endlich Abschied von Dada. Russische Dome heben ihre
Türme mit Zimbeln der goldenen Kuppeln und zärtlichen Kreuzen.
Rosa-Lämmer mit Glöckchen um den Hals springen auf zum Silbermond in
grüner Abendaue, und ein Lächeln betaut Dadas Angesicht. Eines der
Rosalämmer hüpft auf die gewölbte Mondsichel, und Dada faßt hinauf in
dem zärtlichen Bedürfnis, als der gute Hirte das Tier auf den Arm und an
seine Brust zu nehmen. Da schwillt die zarte Rosagestalt ungeheuer an
zum blutroten Mastodon, dessen Wanst langsam über den kleinen Mond sinkt
und ihn mit blauen Riesenschatten verhüllt.

Die himmlischen Eisdiamanten des Kaukasus erscheinen am Himmelsgewölbe,
königlich über den Reichen des Lebens. Keine Absolution durch
Handauflegen, keine Gnade durch Messe und Rosenkranz -- erdwurzelnder
Glaube, strenge Ordnung, Riesenkreis säulenstarker Offenbarung. Die
feierlichen Stimmen der Berge dulden keine versteckten Winkel voller
Trägheit und keine Schlammfelder voll anarchischer Mordtaten.

Die Berge wandeln erhaben, senken sich, ruhen, steigen an und neigen
schwarze Riesentafeln über Dada. Eisige Windströme stoßen von
nächtlichen Hängen, reißen und kälten ins Mark. Düster geduckt harrt
Dada zwischen Bauern gekauert, auf den Ausbruch des roten Wahnsinns,
wenn vom Riegel des Orients die Trompete schallt und die Nie-Entsühnten
zum Weltgerichte ladet.

                   *       *       *       *       *

Durch die Städte des Hafis gelangt Dada zum Indischen Ozean. Mit
englischen Khakis, die zur Front nach Görz eingeschifft werden, geht
Dada an Bord eines mit Rauten und Rechtecken übermalten Kreuzers. Anders
als er in Pola über die Adria emporflog zur Eroberung des Poles,
belastet, verdumpft, zugeschüttet, kehrt er endlich heim von seiner
Europareise zu Italia: zu ihr, die ihn als ihren Marschall aussandte,
kehrt er müde und ohne sein schimmerndes Schild heroischer Taten zurück
und keine Hymne Emanueles rauscht heimatskündend dem vielbewanderten
Dada.

Krank, zerrüttet verbringt der Flüchtling die Reise im Bette. Im
Fiebertraum steigt der Kaukasus immer drohender, in schrecklicher
Schönheit empor. Dada klimmt an düstren Hängen auf und hämmert hilflos
einsam riesige kubische Glastafeln an die Felswände. Aber sie lockern
sich schnell und stürzen in die Tiefe, aus der furchtbare Windströme die
Kräfte seiner Arme saugen. Qualgeblendet steigt Dada zu den
prometheischen Firnen auf, um ihnen seine antiseptischen Glastafeln
aufzuhämmern, aber die mächtigen Berge spotten seiner kindischen
Anstrengungen.

Als das Fieber von Dada weicht, bemächtigt sich des Dichters ein
dämonischer Glaswahn: mit riesigen Glastafeln will er Berge, Küsten und
Hochflächen bedecken und sie schützen vor der Fäulnis und Verderbnis des
kriegführenden Europas durch eine Erdarchitektur des Glases.

                   *       *       *       *       *

In Brindisi betritt Dada das gelobte Land unter den Huldigungen der
weiblichen Bevölkerung, die einen Helden vermutet. Die gewaltige
Gestalt, gehüllt in einen schweren Mantel von Kardinalsrot, zieht aller
Blicke an. Während Dada die Terrassen vom Meere heraufschreitet, wird er
mit Blumen überschüttet, Körbe mit Früchten Siziliens werden ihm
nachgetragen.

Dada wölbt die athletische Brust und spricht zu den italienischen
Frauen: »Der Held träumte unter den Blumen des Orients vom armen Karst
im Norden, den die lateinische Flagge seit Jahrhunderten nicht mehr
küßte. Der Held fährt zu der schaurigen Hölle zu Füßen der Alpen, die
eure lebendigen Söhne frißt.«

Dadas Ruhm beginnt. In Neapel und Rom wird er interviewt und gefilmt,
Barzini schildert seine antarktische Reise. Jenes dunkle Attentat auf
die ukrainische Eisenbahnlinie, das vielen Tschakos den Garaus gemacht,
und das der Dichter der Urlaute in einem molligen Interview zum besten
gegeben hat, wird in der ganzen Kriegspresse abgedruckt zur Förderung
einer gesunden Akzentuierung der Heeresberichte. Seine Hymnen werden als
patriotische Kundgebung für den Sieg Italiens über den Nordpol
verherrlicht, und die um Bissolati träumen von seinem Denkmal auf dem
Karst. Nur der Avanti erklärt sich gegen eine öffentliche Geldsammlung
für die Statue Dadas.

Der Gefeierte im roten Kardinalsmantel aber träumt von höheren Ehren und
von einem andern Ruhm, der ihm nicht von seinem Nebenbuhler d'Annunzio
und der Rache der Anarchisten streitig gemacht werden kann.




                               VENEDIG.


Aus dem kriegsrasenden Rom flüchtet Dada nach Toskana und kommt eines
Nachts in Venedig an. Er legt seinen roten Mantel ab, und in
Arbeitsbluse, unter angenommenen Namen tritt er in einer der alten
Glasfabriken von Murano ein.

Er lernt die erste Stufe der Erzeugung reiner Glas- und Kristallflüsse,
das Schmelzen, Brennen und Schleifen untadliger Gläser, köstlicher
Spiegel und Sichtgläser, die den Weltraum zu zarten funkelnden
Brennpunkten verdichten.

Dada träumt davon, ein Glas von Dauer und Härte der Steine herzustellen,
das gegen alle Erschütterungen gefestigt ist, ohne jedoch den
natürlichen Verwitterungen ausgesetzt zu sein wie jene. In riesigen
kubischen Platten soll es geschnitten werden, und es soll lodern von
feurigen Flüssen oder Bändern in den Spektralfarben. Sonnen,
Wolkenschlachten und Liebesmahle sollen zum leuchtenden Schmuck der
Erdringe werden. Er will die Erde panzern mit antiseptischem Glas, indem
er den Drohungen des Kaukasus trotzt.

Die düstren Kalkhalden und vegetationslosen Hochflächen des istrischen
Karst sollen geschnitten, geteilt, und durch Glätten und Schleifen in
drei- und rechteckigen Formen gegeneinander gesetzt werden und die Berge
als polygonale, pyramidale und kubische Felskörper eine ungeheure
Raumgestalt in den Himmel türmen. Auf dem geschliffenen Gebirge sollen
Italiens Arbeiter die Flächen auslegen und vernieten mit den dauerhaften
und farbigen Glaspanzerplatten seines kaukasischen Traums. Hoch über der
Adria soll das neue Kap Sunium, das glasgepanzerte Vorgebirge Istriens
funkeln als der Diamant Europas und die Lateiner in Ravenna und Rimini
an heiteren Tagen brüderlich grüßen: Denkmal der Freiheit und Verkündung
und Triumph der Lateiner über den rohen Weltkrieg.

An beweglichen Stahlgestellen sollen riesige Refraktoren bis über die
letzte terrestrische Luftschichtung hinaufstoßen und mit einsamen,
stillen Augen das Leben des Himmels, des Festlandes und des Meeres
beobachten. Von riesigen, sehr schlanken, witterungsbeständigen
Glastürmen sollen leuchtende Explosionen von Radium über die magnetische
Sphäre der Erdrinde hinausfahren, und sich zur Selbstbewegung nach
glänzenderen Brennpunkten des Alls entfalten, um sich zu ergießen oder
stürmisch mitzureißen und zum Karst zurückzukehren und aus kosmischer
Vermischung den durch Jahrhunderte zur Dürre verdammten Fels mit
brennender Erde zu befruchten.

Das aus dieser Befruchtung neu erstehende Vaterland soll mit Venedig
durch eine Brücke aus sturmhartem Kristall in ungeheuren schneeweißen
Bögen über die Adria verbunden werden, und die Brücke wird die Statuen
der Dogen tragen, die durch den Ring der Adria vermählt waren. Dada
sucht den Kristall zu gewinnen, durch den die kosmische Schönheit der
Erde verwirklicht wird: Er bereitet eine Metallbindung mit Email vor, um
die Glassteine zu mörteln. Auf istrischem Karst soll der Klotz von Glas
wachsen, der die Last der weißen Glasbögen auf ihren hohen Feuertürmen
übers Meer hebt und ihre letzte sanfte Wölbung vor Venedigs Markusturm
entladet zur unlöslichen Vereinigung Istriens mit Italien.

Der kristallspannende Blick des Erdarchitekten erhebt sich über Europa
und mißt das lateinische Reich, von Venedig bis zur Kreidewand von
Dover, und vom Libanon bis zum schwarzen Felsenhaupte Gibraltars und
über die Südsee zum lateinischen Amerika.




                               ENGADIN.


In der Fabrik erhält der Arbeiter Dada den Befehl, sich zum
italienischen Heere zu stellen. Der unglücklich die Freiheit Istriens
liebende Glaspionier wird unter Emanueles Fahnen gerufen. Er meldet sich
zum Flugdienst und wird in der Führung eines Äroplanes ausgebildet.
Eines Tages darf er emporsteigen und in den Wolken gen Triest fahren. Er
jubelt Miramar zu und der ganzen Küste und wirft tausende Drucke seiner
Hymnen über die Städte bis Abbazia. In einer späteren Nacht wagt er den
ersten Flug mit Bombenabwurf auf die Arsenale von Pola. Aus
Todesschauern der schütteren Erde und Feuerwirbeln, die das Festeste
zerstören, nimmt Dada das Steuer zum Mittelmeer, und Italia fliegt
brausend neben ihm als sein göttlicher Albatros.

Dada unternimmt einen Bergflug vom Gardasee über die Tiroler Alpen bis
ins Herz Bayerns. Er wandert ganz einsam in die blaue Luft gehängt, mit
unbeflecktem Fuß über Schründe, Spalten, Grate, Zinnen, Firne, Gletscher
auf der Sonnenbahn nach Norden. Die Firne glänzen: blau, grün,
scharlach, ocker. Bergtäler öffnen sich zu ungeheuren Blüten des Enzian.
Klüfte, Spalten, Schründe mit Gletscherstürzen entfalten schmale, nie
gelesene Buchrollen der Tiefe aus ewigem Kristall. Berggrate sind
überwölkt von Silberrosen, Edelweiß auf Mammuthrücken.

Heftige Windströme saugen um die Klippen, und der Flieger wehrt sich um
sein Leben. Schüsse prallen rings, von schlagenden Granaten bebt Trafoi.
Dada biegt nach Westen, um nicht vom Tiroler Feuerringe gefaßt zu
werden. An der Schweizer Grenze wird er durch erdstürzenden Windstrom
herabgezwungen. Er landet auf einer Halde über dem Tale von Pontresina,
sprengt das Flugzeug und flüchtet in die Klüfte des Corwatsch, denn die
Täler sind voll Soldaten. Von Hirten bekommt er Nahrung und
Bauernkleider und endlich wagt er sich als deutscher Flüchtling aus
Zürich in das Engadin.

                   *       *       *       *       *

Das obere Engadin mit breiten tiefgrünen Bergseen zu Füßen wohlgeformter
Schneegebirge ist eine ungeheure Enzianblüte. Im Anblick der himmlischen
Eisdiamanten sucht Dada die Einsamkeit, ewige Frische und Reinheit der
Luft von Chasté auf. Das ist kein Karst. Gewaltige Lärchen, Bergfichten,
Eichen steigen bis zur Geröllzone in mächtigen Waldungen auf. So war
einst Attika von den Hainen des Zeus bedeckt. Nebel und Wolken schweben
mit Riesenschatten wandernder Legionen feierlich um die Bergzinnen, und
diese tauchen schneeblitzender in der tiefsten Bläue auf.

Dada mietet ein Gehöft am Ufer des grünen Bergsees. »Einsame
Zärtlichkeit« schreibt er über die Tür seines Hauses. Kein Zaun
umschränkt es, kein Hofhund stört, und das Gezwitscher der roten
Schweizer Wäschermädels tief am grünen See erquickt sein Geborgensein.
Der hölzerne Oberbau mit dem giebeligen Dach ist fortgenommen und auf
den viereckigen Granitunterbau ein hoher, flächig polygonaler Glasbau
gesetzt worden. Das ist der Hauswohnraum Dadas zu ebener Erde, und
drüber die gläserne Allwarte in Gestalt eines spitzen Hutes.

Von den Urlauten der Kinder und der Primitiven wendet sich der Dichter
dem terrestrischen Magnetismus zu. Er arbeitet an der Herstellung eines
absoluten Kristalls, das Feuer, Sprengung und Wasser widersteht. Er
schmilzt ein Glas von äußerster Empfindlichkeit für Farben und Schatten
der Luft. An heiteren Tagen steigt aus dem Glaspilz am stählernen Gelenk
der große Luftspiegel in die Höhe, mit dem Dada bildtelegraphisch Himmel
und Firn beobachtet in ihren unerhörten Wandlungen.

Glücklich das kleine Stück Felsland, das vor der unreinen Überschwemmung
des europäischen Reisepublikums durch die schützende Lohe des Weltkriegs
noch eine Weile bewahrt blieb. Zahnradbahn und Massenwanderungen zum
Gletscher verfinstern nicht das Eis der Gipfel, das Schweigen und die
herbe Glut der Felsen. Der mächtige Sturzklang der Quellbäche am Granit
der Hochwände wird nicht von den Brüllaffen der Mode, des Sports und
Flirts zertreten. Der Anblick der Gestirne, elektrisch zitternder
Nachtglanz des Alls, Belauschung des stillen Streits kosmischer
Todeskräfte, werden nicht roh unterbrochen durch Sprechwerkzeuge, die
leider nicht die der Grille und Nachtigall sind.

Dadas Zärtlichkeit: Das Sausen des Windes, des mitternachtgeborenen, in
den Seewellen am Hain von Chasté, die heißen Felswände in wechselnden
Schatten und der Firn. Den mondrunden Spiegel hat Dada über den
kaiserlichen Firn gehängt, um das hohl geschwollene, weggreifende Ich
fortzuätzen und die Erde von unreiner tierischer Kruste der fäulenden
Ichs zu befreien.

Dadas Freuden: Versenkung, Innendienst mit Herz und Hirn, Beobachtung,
freie göttliche Bewegung der schaffenden, messenden, wägenden Hand.
Diese Freuden dauern, ohne schal zu werden.

Das neue Vaterland der Idee ist erschienen, das Engadin der Alliebe, die
Bergheimat zärtlicher Innquellen, bereit zum Schmuck der Erdrinde mit
geschliffenem Kristall. Europas Arbeiter sollen nicht mehr Europas
Kriege führen, sondern Europas Berge meißeln und die rauhsten Werke mit
Juwelen gottbeseelter Erdheimat schmücken.

In den Gerölleinöden des roten Corvatsch läßt Dada durch Arbeiter einen
Stuhl in die Felsen meißeln. Den obersten Teil des Gipfels mit seinem
Zinnenriff läßt er in mächtigen kubischen Flächen arbeiten zu einem
unregelmäßig polygonalen Riesenblock. Und seine Flächen läßt er mit
Platten geflammten Glases bedecken, so hart und dauerhaft, wie die
Schweizer Glasfabrik sie nach seiner Vorschrift hat machen können.

Den Sitz seines Felsenstuhles läßt Dada aus Glas in der Form einer
gewölbten Schildkrötenschale befestigen, und die hohe Lehne ist ein
Mantel starr gefalteten Glases von tiefer Blaustrahlung. Über dem Mantel
steht der mondrunde Spiegel. Habicht, Falke, Steinadler umkreisen das
hohe Auge, und vor dem blauen Mantel sinken in die Tiefe mitbürgerlicher
Argwohn und tödlicher Haß gegen den Eindringling auf uralten Heimatfels.

Reiner, tiefer, prächtiger sind die Farben der Erdtiefe. Das mächtige
Weltherz pulst in den Bildern des Spiegels. Massensterben in Gräben,
qualenbedecktes Getrümmer, blutiger Tierjammer wutzerrissener
Millionengesichter, Todesfratzen mit schrecklichem Wundtod. Die
Katharsis nimmt den bedingten tragischen Lauf ihrer Greuel.

Aber wer vermag zu ertragen, wie auch nur _ein_ menschliches Herz bricht
-- und muß ohnmächtig daneben stehen! Dada lenkt seinen Spiegel über den
Firn, machtlos, die Wut der Menschenschlächterei anzuhalten, und
diejenigen zur Freiheit zu lenken, die noch immer nur das Opfer vor den
Göttern des Blutes kennen. Dieselben, die Flugzeuge lenken, Bomben
werfen und Menschen töten.




                         DER SPIEGEL EUROPAS.


Dem Monde ist eine magnetische Kraft zu eigen, deren Strahlung die Meere
der Erde folgen. Ein Flutberg steigt zu gemessener Zeit empor und
überrollt den Ozean auf seinem zum Horizont hinangewölbten Rücken.

Ein Flutberg menschlicher Seelenkraft erscheint über dem Meer der
Völker: die Idee für die Omnes ruft die Seelen zur unlöslichen
Verschmelzung. Der verbindende sanfte Mond der Völker erscheint und
wandelt hin im Strahlenkleid der menschlichen Ekstasen. Mit seinem
allgegenwärtigen Licht umfaßt er die Landschaft der Kräfte und
Bezauberungen. Leidenschaftlich empfunden, stark erlebt ist die Idee nur
wenigen geistig sichtbar. Ein Haupt denkt diese Idee: der zornige rote
Christus betritt die Wolken zum Gerichte und stürzt die Gäste der Welt
in die Tiefe. Auf der Flut von Morgen gen Mitternacht drückt sie ihre
leuchtende Spur in die Millionen Geistigen. Und aus der Flut erhebt sich
die Tat, die den Erdball in ungewisse Zukunft schleudert und die
Freiheit in ihrem blutigen Wirbel beschwört.

Ein unsichtbarer Flutberg bricht aus den feindseligen Fronten empor, aus
Krampf und Leid von Millionen Todbedrohter und Verdammter. Er rollt von
Osten heran und pflanzt seine schwarzen Wimpel auf Deutschland und
Frankreich, und bedeckt die Götzenbilder der zerbrochenen Völker mit
seiner stillen, mächtigen Woge: den russischen Pantokrator, die
Kriegsgötter Germaniens und den Gladiatorenhelm Frankreichs. Vergeblich
haben die Götter schrankenlosen Wahnes Kriegsmaschinen in die Finsternis
eingebaut: Die Idee des einen Hauptes, die Idee im mächtigen Schweigen,
in dem unauflöslichen Licht von Millionen Geistigen lebt fruchtbar und
wirkt.

Ewige Blutnacht Bartholomäi über Europa! Die Idee steht reinster Sonne
in dem einen Herzen auf, im gemeinsamen Herzen der tödlich Gelockerten
und Opfergekrümmten. Weihnacht des künftigen Europa, du beschwörst die
Schande der Völker, du wehklagst und tötest.

Ruhelosigkeit, geheime Furcht, fieberige Schrecken bewältigen die
Mächtigen. Sie wechseln die nächtliche Schlafstätte, sie verlieren den
ursprünglichen Stolz der Überzeugung, sie fürchten gewaltsamen Tod, sie
haben die persönliche Ehre verloren, sie gleichen dem gehetzten
Napoleon, der den Giftbecher nimmt, ihn aber fortstößt und sich ergibt,
um Ruhe zu haben. Auch sie, die jetzt Furcht haben, ergeben sich den
Giftmischern, um Kirchhofsruhe zu haben, um den Qualen zu entrinnen. Der
Gladiator Frankreichs, der Dilettant des Thrones, der sich selbst als
Friedensfürst bezeichnete, samt seinen Teutonen, Emanuele, der König der
heiligen National-Selbstsucht -- vor ihnen erscheint der makellose
Spiegel Dadas und zeigt ihnen im weißen Rund das Bild des armen Zaren,
der unter einer Salve von Narren »glücklich« verscheidet.

Mit kundiger Macht sendet Dada die Strahlung in die Nächte der
Machthaber und Ehrsüchtigen. Auf Tribünen, im Auto, inmitten
öffentlicher Ansprachen, bei der Fahrt durch die Städte, bei
militärischen Schaustellungen, bei städtischen Prunkaufzügen, inmitten
von Banketten, Militärs und Deputierten: erscheint die Grimasse des
glücklich Verschiedenen. Das Scharren eines Stuhles im Saale, das
Knirschen eines Schuhes oder seidenen Kleides, ein elektrischer Schlag,
schauernd vom Ganglion des Großhirns bis in die Eingeweide -- das
Gottesauge schaut auf den Gladiator. Das Fieber des Tigers wird weiß und
kalt. Die Teutonen tauschen im starren Krampf Puppenbewegung der steifen
quadratischen Häupter. Allen, die Feinde sind, Feinde sich, dem All,
allen, allen Soldaten, die dem Schlamm des Krieges entronnen sind,
selbst den Kindern des neuen Raubtiers aus Atlantis erscheint die
schreckliche Idee im Spiegel: die Drohung der Selbstzerstörung.

Der Flutberg naht. Er überrollt den Ozean, er hat seine Breite, niemand
ist ausgenommen, wo ist Gang und Richtung zu erkennen! Vor dem Kristall
am Corvatsch steht der Beschwörer und betrachtet den Gang eines Käfers
auf seiner Hand. Und der die Tiere in Menschen sieht und die Götter in
den Tieren, sinkt in die Kniee und betet.




                             DER FIRNDOM.


Dada hat kein Vaterland.

Er meidet und fürchtet, das trunken und satt vom Blut ist: Patriotismus,
Nationalniedertracht, Irredenta, Pöbelwahn, Heroismus des stumpfen,
irrsinnigen Maschinentodes. Schutz und Höhe der Felsen, leichte stille
Lüfte und reines Blau der Idee Europa -- in ihrer Hut bildet sich das
Wunder der Freiheit.

Die Eisbärenflanken des Berninafirns erglühen im zartesten Gold- und
Weinrot, und zu seinen Füßen ruhen die Felsen in scharlachner Tiefe:
eisig rot, lila, blau. Auf diesen Alpenbergen will Dada die erste
Schöpfung eines erneuerten Europa der Arbeit und wiedergeborener Künste
errichten. Noch ruhen die Gletscher und Firne in mondlicher Sanftheit
der Hänge, in Stille von dünnster Klarheit, in der das Herz scharf
dröhnt, als höbe es sich selbst aus der Brust, um in ungeheurer Höhe zu
kreisen und sein Blut zu vergießen. Die Erdrinde erhebt die rauhste und
erhabenste Sprache zur Feier und zum Triumph der Menschheit. Dada sieht
beglückt seinen höchsten Traum.

Er erhält das Recht, auf dem Bernina einen Dom der Schönheit aus Glas zu
errichten zu Ehren der freien Demokratien Europas. Er wirbt eine
Arbeiterarmee an. Glasschmelzen und Schleifereien werden gegründet,
elektrische Motore arbeiten und treiben Bohrmaschinen, um die Fundamente
des Glasdoms in den Felsgrund zu senken. Gewaltige Stahlhämmer klopfen
und plätten die Felswände zu geschrägten kubischen oder dreieckigen
Flächen, die in kühnen Falzen und Winkeln aneinanderstoßen. Das ganze
Massiv bis zur Schneegrenze wird von Geröll gesäubert, und in einen
kolossalen, vielflächigen Kunstblock verwandelt, von dem jede Vegetation
entfernt bleibt. Unwegsame Schluchten werden flächig ausgemeißelt und
als Hohlwege bis zur Firngrenze ausgebaut. Drahtseilbahnen senden ihre
Förderwagen zum Firn hinauf. Das Gebirge dröhnt vom Lärm der
elektrischen Schleifarbeit, dem Hämmern der Arbeitermassen und den
Sprengungen mit Dynamit.

Noch ruhen die sanft gewölbten Hügel des ewigen Firns im makellosen
Urlicht und im nächtlichen Schmuck der schimmernden, augengroßen
Sterngehänge. Aber Dadas Heer dringt rastlos aufwärts, baut den
Firnschnee mit Hilfe der Förderwagen ab, überbrückt die schneetiefen
Klüfte mit Glasgewölben, bis der Gipfel in eisiger Herrlichkeit erreicht
ist. Das grüne Firneis wird in riesigen Blöcken abgelöst und talab
geseilt, und mit ihm werden unten die Dampfkessel gespeist. Die
Abplattung des gesamten Gipfels ist rasch im Gange und die Zerstörung
des alpinen Urriesen ist in wenigen Monaten geschehen. Eine ungeheure,
nackte Hochfläche bleibt als Grundlagerung des vormaligen Firns.

Nichts an dem nackten Riesenkegel soll unbewußt bleiben, das Ganze soll
in Form, Fläche und Farbe gegliedert werden. Dada klettert in jede
Felsritze, in die engen Betten schäumender Gebirgsbäche, die bald
versiegen müssen, da ihnen das mütterliche Firn fehlt. Er läßt all diese
kleinen Schönheitsfehler der Natur mit Glas überwölben und in den
Klüften sanft ansteigende, überwölbte Treppen anlegen, die wie Tunnels
elektrisch erleuchtet werden. Dada kämpft unter unerhörten
Schwierigkeiten vorwärts. Seine Leute stürzen in Abgründe oder gehen an
raschen Krankheiten zugrunde. Die Bergnebel verdunkeln tagelang jeden
Schritt seiner Maultiere und Arbeiter. Der Föhn, furchtbare Unwetter,
gegen die es auf den geplätteten Felswänden keinen Schutz gibt,
vernichten die Arbeiterhütten, Menschen und Werkzeuge. Der ganze Bernina
gleicht nur noch einer unermeßlichen Baustelle von Kriegsgewinnlern, ein
Kegel armseligen Graus inmitten der Eiswildnis.

Die erste farbige Platte von dauerhaftem, sturmhartem Glas wird
feierlich unter Dadas Händen an den Fels genietet. Überall wird der Berg
geplättet, poliert, gekantet, heroisiert, um schließlich ganz bekleidet
zu werden mit grünen, schwefelgelben, scharlachnen, azurnen und
irisierenden Glasplatten. Die Kunstnatur in Email geistert wunderlich
ins Gebirge.

Auf der platten Hochfläche läßt Dada einen Wald von riesigen, goldroten
Säulen errichten und ihre Spitzen durch Glasbögen zur Gestalt einer
kristallenen Rose verbinden. Das ist der Rosendom, von dem Dada geträumt
hat. Das ist die Krönung des ungeheuren Werkes, des unerbittlichen
Glasfirnes, der den Schweiß von Arbeiterheeren und das Vermögen Dadas
gekostet hat. Als der Dom in kindlichem Geglitzer und in der
Konfektarchitektur eines Ausstellungspalastes förmlich strahlt, ist Dada
ärmer als der bronzene Hammelhirt am Roseggletscher.

Er hat die Genugtuung, unter den Schwibbögen des Rosendomes die große
weiße Glastafel aufgehängt zu sehen, auf der Dadas Aufruf an die
künftige Brüderschaft freier Architekten Europas geprägt ist. Kein Gerät
befindet sich in der weiten Halle aus rosenfarbigem Glas, das Licht
dämmert sanft durch die Wände, und das Blau des Himmels dringt allein
durch die klaren Glasflächen im Zenith des Domes. In den Wänden sind die
Glaszeichnungen Dadas eingelassen, er, der sich selbst in diesem Dome
als Präsidenten der Menschheit bezeichnet, hat hier seinen wunderlichen
kaukasischen Glastraum niedergelegt. Das ist der Traum von Pyramiden,
Domen, Olympias und hängenden Gärten aus Glas, vom Schliff des
Matterhornes, des Monte Cristallo. Alle Bergwände sind geplättet, jede
Kante ist stilisiert, jeder sanfte Abhang zur Terrasse ausgespreizt,
Klüfte, Schründe, Höhlen, Abgründe werden von Glasbögen mit Windharfen
überspannt, darauf der Föhn Urlaute spielt. Die Täler werden zu
geöffneten Enzian- oder Oleanderblüten oder gespaltenen Granatäpfeln aus
Glas. Die heroischen Hochalpen zieren Versailler Rosenlauben mit
Rokokogärten aus Glas, die nachts von elektrischem Innenlicht zu
feenhaften Girlanden aufstrahlen.

Auf die Blöcke und Zacken uralter Wildgletscher sind Glasfelsendome
gebaut. Über die Seen des Engadins und des Kantons Luzern sind
Feststädte und Tempel auf Glassäulen bis zu den Berggipfeln erhöht, über
den Bodensee bis zum Säntis hängende Gärten und Festterrassen mit
türmenden Söllern und Sälen für Zusammenkünfte ganzer Städte und
Provinzen. In diesen Tempeln und Festpalästen wird die Musik Mozarts von
verborgenen mechanischen Instrumenten jederzeit tönen: alles ist leicht,
spielend, heiter, still. Es gibt nur die Pflicht, zu schweigen und das
Glas zu verehren.

Dada ruft die Architekten zu den Entzückungen des Glases und Europas
Arbeiterheere zu dem männlichen, rauhen Werke der Erdbezwingung.
Gemeinsame Opfer, Qualen, Kämpfe, Arbeiten, gemeinsame Werke, Frucht,
Belohnung, Genuß in den Glasdomen der Alpen.

Danach dehnt Dada den Zauberkreis aus. Die Erdrinde erscheint, die
Südsee, das farbige aber dunkle Asien. Die Nächte dieser kosmischen
Meere sind durchglüht von riesigen Lingams oder Hörnern. Otaheiti,
Neuseeland, Guinea sind durch Glasbögen auf Feuertürmen im Meere
verbunden. Im Meere schweben Glastürme, denen Äroplane sich nähern.

Über den Erdball von Nord nach Süd sind gestaltete, farbige Weltnebel
gewölkt, um nächtlich diejenigen zu erfreuen, die der Plakate von
Liebigs Fleischextrakt und Zuntz' Kaffee müde geworden sind.
Aufschießende Sternkristalle, rote Diskusse, grüne Saturne, gelbe
Oktoëder aus sphärischem Quarz bindet Dada magnetisch zwischen Pol und
dem Gleicher und furcht den Tageshimmel mit dem Fluge kubischer
Projektile, anderer, als die der Zerstörung! Sie streuen aus den Lüften
farbige Flugblätter zur Verherrlichung gemeinsamer Arbeit, gemeinsamen
Genusses im Park Europa.

Dada verheißt Wunder dem armen Menschenwurm des Erdsternes, ihm, der von
härtester Fabrikfron erschöpft ist und sich in Kriegen zerfleischt, die
seinen Fabriken entspringen. Der Präsident der Menschheit ist an den
Rand des schäumenden Wahnes gelangt, die Menschen durch Glas zu erlösen.
Verarmt, unfähig, das Glaswerk fortzusetzen, ohnmächtig vor der
gepanzerten Gleichgültigkeit demokratischer Regierungen, die schließlich
nur der abgesonderten vaterländischen Selbstsucht zu leben verstehen.

Dada muß den Firndom dem Verfall überlassen. Langsam, aber unbezwinglich
ist die Rache des kastrierten Bernina. Die Schnee- und Eisgeschiebe
erneuern sich, die Verankerungen lockern sich, Eisbäche sprengen die
Glastunnels, der Sturm bricht die Glasbögen, und die Glasplatten werden
vom Eis bedeckt und stürzen in die Tiefe ab.

Neugierige Fremde aus St. Moritz kommen und starren auf die unermeßliche
Narrheit aus finstrer Kriegszeit und spotten ihrer. Eines Tages steigen
Bewohner des Engadin zum Corvatsch auf und verjagen Dada mit Steinwürfen
von seinem Felsensitz wie einen räudigen Hund und zertrümmern seinen
Spiegel.




                             GRAUBÜNDEN.


Selbst die republikanische Schweiz mit ihrer zwieschlächtigen Seele und
ihren innerpolitischen Fehden ist nicht die Stätte jener Freiheit, die
Dada vergebens sucht. Er hat Hymnen auf ein Vaterland gedichtet, das
Slowaken und ähnliche Halbslawen unter sich teilen. Er hat Glasdome für
ein Europa bauen wollen, von dessen Rumpf köstliche Glieder
abgeschnitten wurden, und dem der Jugendsaft verluderte und giftig
wurde. Sein Ruf nach einer antiseptischen Glasarchitektur der Alpen
verhallt ohnmächtig vor dem Empörergeschrei der von Kriegsknechtschaft
befreiten Völker. Wo wird Dada eine Nation finden, die seine magnetische
Erleuchtung und Erwärmung der Erdrinde zur Reife bringen würde! Wo soll
er Helfer werben, um den Plan der Ausgleichung der kosmischen Klimate
und der Vermondung des Erdkörpers zu verwirklichen.

Aus den wilden Eitelkeiten des Rosendomes mußte er zurückweichen und zu
spät einsehen, daß für die Erhabenheit eines Gebäudes seine Höhenlage
unwichtig ist. Der Azursaal des Rosendomes hätte dasselbe Blau des
Himmels gezeigt, wenn er auf einer geringen Anhöhe am Vierwaldstättersee
oder am Rhein bei Basel gebaut worden wäre. Das Parthenon brauchte
keinen alpinen Sockel, und für Paestum genügte das Mittelmeer. Nachdem
Dada den Bernina zerstört hat mit der Gedankenlosigkeit, die kein
Bewußtsein hat von dem innigen Zusammenhange des ganzen Naturlebens,
machte er es sich von neuem bequem auf einer Geröllhalde des
Steinreichs, inmitten der verkarsteten Riesenalpen Graubündens. Eine
Herde von Ziegen, Hammeln und Rindern, sowie allerlei nützliches
Kleinvieh und Hunde nennt er sein eigen, er hütet selbst seine Arche und
nährt sich von ihr. Er hat eine Almenmatte und ein Felsenhaus aus
Geröllsteinen, für Hirten hergerichtet, gepachtet und betreibt Viehzucht
und Milchhandel. Inmitten seiner Tiere führt er täglich das genüßlich
phallische Dasein eines »Ketzers von Soana«, das ein modischer Dichter
erotisch-geistlich seiner großstädtischen Lesewelt dargestellt hat.

Dada liegt den ganzen Tag ausgestreckt herkulischen Leibes im saftigen
Würzgras der Alm. In den Alpenkräutern blüht der tiefäugige Enzian, und
starke Felsen über ihm halten dichte Kissen von Sonnenglut um die
regungslose Halde, auf der die Hammel fressen. Der istrische Apoll im
blauen Leinenkittel liegt träg auf dem Bauche und bestaunt seine eigenen
vom Sonnenlicht goldgefärbten Beine und Arme. Die Schwingung des tiefen
Tals ründet sich sanft empor gleich dem Bauch seiner guten
sattgefressenen Rinder, die nach ihm brüllen, um ihm die Lasten
anzukündigen, die sie im Leibe für ihn tragen. Dada liebt dankbar und
zärtlich seine ernährenden Freunde, und stärker als je von Italias und
Derobeas Gnaden hüllt seine Glieder schwelgerisch mästende Fülle in der
Sommerfrische Graubündens.

Dada bewundert die Tiere, und ihr Leben wandelt als ein endloses
Schauspiel an seinem müßigen Gaffen vorbei: Sie fressen, darum müssen
sie sich regen, spielen, sich vertragen oder sich bekämpfen. Sie lagern
sich, flüchten, begatten sich, sind grausam und leidenschaftlich,
ungestüm und feurig boshaft. Dada liebt besonders das unverschämte Glück
und die sachliche Einfachheit der Begattung seiner Tiere. Er hört das
schwere Ruhegebrüll der Rinder, die den Schatten in der Mittagsglut und
das klare Bächlein lieben.

Dada spricht mit den Tieren, gemäß dem verschiedenen Charakter ihrer
Laute, und folgt mit seiner Erkenntnis den Bahnen ihrer instinktiven
Bewegungen, um die Rätsel ihrer Sprechzeichen und vielgestaltigen
Stimmen zu entziffern. Er hat einmal jeder großen Sprache des
europäischen Menschen wahlverwandt angehört, und er meidet fortan die
Menschenworte und was ihresgleichen, um in den Tierlauten gleichen Sinn
und Trieb zu erkennen, nur mütterlich traulicher und treuer. Dada lebt
entzückt in den hymnisch-orphischen Kräften der Tiere, in der
strahlenden Energie ihres natürlich Bösen, in der furchtbaren
Schöpferkraft, die frißt, tötet, zeugt und schweigt. Er lebt ihren
Alltag, ihre Feiern, ihre herdenhaften Beziehungen, die er mit denen des
antiken Menschen vergleicht. An kalten oder regnerischen Tagen schließt
er sich mit den Tieren in dem gemeinsamen großen Wohnraum des
Felsenhauses ein, und diese in Jahrtausenden familienhafter
Hausgenossenschaft erzogenen Tiere sind Tag und Nacht sein Trost,
mitleidsvoll und sorgend lebt er in ihren Augen, ihren Freuden, ihrem
Kranksein und Sterben.

Über die Laute der Felsen und Bäume und Erdtiere werfen Habicht, Geier,
Adler und Falke ihre Mordschreie empor in die Lüfte bis zum Bereich, wo
die tierischen Laute verlöschen vor dem freien Genius des Schweigens,
der im stillsten Glanze der feinsten Bindung ferner Erdkräfte schwebt.
Die magnetische Rinde hält wohltätig die Sonnenstrahlung in ihrem
Bereich gesammelt, hüllt sich mit ihr, und läßt sich durchdringen und
wärmen von ihr zu immer erneuerter Fruchtbarkeit, um das
Traulich-Wohlbewohnte zu begründen.

Erde und Gebirge haben lange auf den Menschen gewartet. Das Tier, das
zärtlich geliebt wird, hat die Felsen mit warmen Vliesen bedeckt, um
sich in der Sonne liebkosen zu lassen. Die Felsen träumen gern von den
guten glücklichen Tieren und beschwören Gemse und Steinbock, Albatros
und Adler zu ihren Wächtern und Spähern. Vor der Frühe bedecken sie sich
mit Tau und sie fürchten die eisige Vernichtung und den Haß der
Menschheit. Dada ist unter den letzten einer sterbenden Erdrasse, die
Tiere genannt werden, weil die Menschen ihren Haß auf sie abgeladen
haben.

Die Gipfel Graubündens nehmen die Formen riesig ruhender Tierhäupter an.
Übertierische Gestalten von Kranich, Hund und Widder stehen
hochaufgerichtet in die Felsen gemeißelt. Über den Felsen erheben sich
die Göttergestalten der großen Tierrassen, sitzend über dem Erdkreis
gegründet: Löwe und Stier. Das brummende Moo der Stiere, das erzene
Geschmetter der Böcke, die Urstimmen aller Geschöpfe, die von den Seen
bis zu den Schneezinnen Graubündens schweifen, dichtet Dada, und bildet
in ihren Lauten die Veden und die ägyptischen Gebete, die Stier und
Widder als Götter anriefen. In die milden Hammellaute übersetzt Dada die
Brünste, Ängste, Untergänge der Tiere in Urwut und Urklang.




                           DER ROTE WIDDER.


Der feurige Widder, der trotzende Liebling der Herde, der Gott seiner
Rasse wird in Dadas Felsenhaus geboren. Zur Kraft erwachsen, tritt er
eines Morgens rot und stark auf die letzte Felsenstufe und geht auf über
Dadas Felsgipfel: Sonne der Tierheit, die nicht mit Blut gemästet und
nicht von den düstren Flecken der Verwesung angefaßt ist. Sein Gehörn
ist edel geschweift, der Bart feurig und züngelnd, die feinen,
bergharten Gelenke sind zum Sprung gestrafft.

Sorglich schreitet Dada mit der gewölbten Brust und den milden Armen des
Vaters der Tiere auf dem Grate und tritt dicht zum Widder. Er legt beide
breiten Hände auf das honigglänzende Geweih und spricht ruhig und stark
in den wenigen Urlauten, in denen er das Geheimnis der Tiersprachen
gefunden hat. Dada bringt langgezogene, wohltönende, weibliche Laute
hervor, denen der Bock mit gemessen kriegerischem Geschmetter antwortet.
Die harte Trompete des Bockes beherrscht den Gipfel, marschiert,
befiehlt, hält Ordnung, während Dada hineinzutönen versucht und mit
verschämtem Verlangen um Gleichberechtigung wirbt, nicht etwa für den
Bock, sondern für sein Menschen-Ich. Hier folgt das Gespräch
übersetzungsweise, das Dada kunstgemäß mit wenigen, aber immer
verschieden gefalteten Tierlauten durchgeführt hat.

»Lieber Sohn, ich will dir die schöne weiße Zuckerkante schenken, die
drüben auf den Bergen hängt, und die feinen rosa Wolkenlämmer, die im
tiefen Blau grasen, verlocken feurige Hammelbeine zu Galopp und Sprung.
Willst du zu ihnen, mein Widder?«

Der Widder erwidert in Urlauten, feurige Blitze seiner Bosheit fahren
zum Talgrund:

»Ich sehe viel weiter und will viel weiter, als du willst, lieber Herr.
Deinen Zuckerkant lecke ich bald mit roter Zunge, und auf die rosa
Wolkenlämmer setze ich meinen Bockstritt. Versuch mal diesen Galopp.«

Der Bock zieht zehn scharfe Bogen hart um Dada auf dem gefährlichen
Felsgrat, aber schließlich gesellt er sich wieder neben seinen Gebieter
und Dada legt von neuem die Hand auf das honigglänzende Gehörn.

»Über hundert Gipfel im Norden setzest du mit harten Läufen und dann
gelangst du in das tiefe Land, das der Krieg beschattete mit Zerstörung
und Verwesung. In diesem Lande wurde täglich und jahrelang das
unzählbare Menschenfleisch von köstlichen Nationen der ganzen Erde mit
Feuer und Stahl gemahlen, und die eklen Sümpfe wurden mit Blut gedüngt.
Der Ätna, der Sudan, die Kalahari, keine Wüste der Erde droht vergiftet
von Greueln wie dies Land. Auch dein armer Vater Dada war in diesem
Lande gefangen, bis ich entwich!«

Der Widder mit honigglänzendem Gehörn schüttelt Dadas Hände fort,
springt im Ruck vor Dada und senkt drohend das Horn zum Angriff, seine
Augen brechen Feuer aus, seine Stimme donnert von Urlauten:

»Du dicker Butterschlegel, hochtrabendes Faß voll Regen, Säusler von
Zuckerkant, kamst zu Anfang mit deinem Zweifel an dir selbst. Und als
alles vorbei war, schlugst du an deine stumpfe Brust und schriest »Meine
Schuld«. Wohlan, Dada, der Widder aus dem Sternenbild, nicht der
Nachtmahr deiner Verbrechen im Kaukasus, die ewige Jugend der Welt
empört sich und stößt dich fort, weil du dick, erstickend träg von
Worten schwillst, weil die Freiheit auf gewölbter Sonnenbahn erglänzt
und dich verwirft.

Du hast geduldet, daß jene sich zerfleischten, die du trösten und
vereinigen solltest. Du mitsamt der Helena, um derentwillen du getötet
hast, habt die Würfel geworfen um des Lebens willen, du bist der antiken
Hure nachgelaufen, dem lateinischen Popanz und einer dacischen Mänade.
Mit Mummenschanz von Urlauten, Glasbergen und Ziegensprache hast du
genüßlich das Leben beklebt und deinen Bastardsinn verraten.

Wenn ich dich mit den Hörnern hinabstieße, was würde es den bösen Tälern
schaden, denen du entlaufen bist! »Unsere Schuld!« ruft ihr. Ein Chor
der Unmündigen zeugt von sich selbst. Die sich selbst nicht zu befehlen
vermögen, treten unter die ratlosen Besserwisser der Völker und
verwirren die geringe Vernunft, die nach ihren Verbrechen und
Bluträuschen erwachen will. Hohle Raketen der Wortkunst schleudert ihr
unter sie und ihr schämt euch nicht und gebt euch preis, die ihr unfähig
zu einer Welt ohne Blut und Tränen seid. Unschuld, Unverwelklichkeit der
edlen Seelen habt ihr nicht gekannt!«

Im heftigen Sprung schlägt der Bock mit dem Gehörn den Istrier zu Boden
und entweicht nach Norden. Dada erhebt sich vom jähen Sturz,
zerschunden, bleich, gepeitscht von kreisenden Schwänzen der
aufgerufenen Schrecken. Er erhebt die dicken Arme, um sie auf den
eigenen Schädel niederwirbeln zu lassen. Stierlaute quälen seine Kehle.
Die hundert Tschakos seines ukrainischen Attentats zertrümmern seinen
Verstand. Er bricht in Klagen menschlicher Worte aus.

»Meine Schuld! Wann wird uns Zuchtlose, Gehorsam Entwöhnte die Liebe
binden. Wann werden wir fähig zur sittlichen Erlösung sein, wir Betrüger
und Mörder. Wann werden wir im engsten frei sein, im Schaffen beständig!

Du Widder hast mich aus der Schmach meines genüßlichen Zuschauertums
aufgerissen. Du hast mich schaudern gemacht vor der baren Trägheit und
der mörderischen Leere. Denn durch die Leere mordete ich das Leben. Ich
habe noch nie ein Volk geführt, ich habe mich noch nie im Ätna gebadet,
ich habe noch nie einen Sohn gezeugt, wahnsinnig vor Entzücken und
Schmerz. Ich habe mich im Abgrund des Todes an den ärmsten aller
Gedanken geklammert und ich habe gezagt. Ich habe des Menschenwurms
letzte Furcht und schmählichste Ohnmacht erlitten und ich habe nur nach
neuen Unterpfändern meines liebelosen, armseligen Daseins gespäht.

Du Widder hast mich niedergeschlagen in dem bescheidenen Stolze meiner
Tierfreundschaft, darum grolle ich dir nicht. Denn ich will mich
umwenden zu der niederen Behausung und mich aufrichten zu schaffender
Arbeit, die mich zu der glücklichen Pforte des Ausganges leiten wird.
Glücklicher Ausgang, zu dir steige ich empor und ich feiere dich, indem
ich lebe.

Flüchtig und ruhelos war ich von Europa krank. Von jetzt ab werde ich
glücklich an dir, Europa, neues Vaterland, das ich gegrüßt habe mit
früher, heiliger Liebe. Ich werde arbeiten für dein Glück, lichtes
Europa, mit dem schaffenden Werk, das die Völker versöhnt.«




                           INHALTSÜBERSICHT



   Erster Teil
   Der Karst            11
   Derobea              15
   Das Nordlicht        22
   Die Urlaute          25
   Dresden              32

   Zweiter Teil
   Die Serbin           41
   Kiew                 44
   Kaukasus             46
   Venedig              50
   Engadin              53
   Der Spiegel Europas  58
   Der Firndom          61
   Graubünden           67
   Der rote Widder      72




Anmerkungen zur Transkription


Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit
Unterstrichen wie _hier_ gekennzeichnet.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 70]:
   ... Gemse und Steinbock Albatros und Adler ...
   ... Gemse und Steinbock, Albatros und Adler ...

   [S. 72]:
   ... Bock mit gemessen kriegerischen Geschmetter antwortet. ...
   ... Bock mit gemessen kriegerischem Geschmetter antwortet. ...






End of the Project Gutenberg EBook of Dada, by Adolf Knoblauch

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DADA ***

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Volunteers and financial support to provide volunteers with the
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Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
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Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

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    Chief Executive and Director
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