Peter Schlemihls wundersame Geschichte

By Adelbert von Chamisso

The Project Gutenberg EBook of Peter Schlemihl's wundersame Geschichte, by 
Adelbert von Chamisso

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Title: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte

Author: Adelbert von Chamisso

Release Date: March 7, 2010 [EBook #31538]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PETER SCHLEMIHL ***




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     Peter Schlemihls

     wundersame Geschichte.

     Mitgeteilt

     von

     Adelbert von Chamisso.



     Leipzig

     Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.



       *       *       *       *       *


An meinen alten Freund Peter Schlemihl.


        Da fällt nun deine Schrift nach vielen Jahren
     Mir wieder in die Hand, und -- wundersam! --
     Der Zeit gedenk' ich, wo wir Freunde waren,
     Als erst die Welt uns in die Schule nahm.
     Ich bin ein alter Mann in grauen Haaren,
     Ich überwinde schon die falsche Scham,
     Ich will mich deinen Freund wie eh'mals nennen
     Und mich als solchen vor der Welt bekennen.

        Mein armer, armer Freund, es hat der Schlaue
     Mir nicht, wie dir, so übel mitgespielt;
     Gestrebet hab' ich und gehofft ins Blaue,
     Und gar am Ende wenig nur erzielt;
     Doch schwerlich wird berühmen sich der Graue,
     Daß er mich jemals fest am Schatten hielt;
     Den Schatten hab' ich, der mir angeboren,
     Ich habe meinen Schatten nie verloren.

        Mich traf, obgleich unschuldig wie das Kind,
     Der Hohn, den sie für deine Blöße hatten. --
     Ob wir einander denn so ähnlich sind?! --
     Sie schrien mir nach: Schlemihl, wo ist dein Schatten?
     Und zeigt' ich den, so stellten sie sich blind
     Und konnten gar zu lachen nicht ermatten.
     Was hilft es denn! man trägt es in Geduld,
     Und ist noch froh, fühlt man sich ohne Schuld.

        Und was ist denn der Schatten? möcht' ich fragen,
     Wie man so oft mich selber schon gefragt,
     So überschwenglich hoch es anzuschlagen,
     Wie sich die arge Welt es nicht versagt?
     Das gibt sich schon nach neunzehntausend Tagen,
     Die, Weisheit bringend, über uns getagt;
     Die wir dem Schatten _Wesen_ sonst verliehen,
     Sehn Wesen jetzt als _Schatten_ sich verziehen.

        Wir geben uns die Hand darauf, Schlemihl,
     Wir schreiten zu und lassen es beim alten;
     Wir kümmern uns um alle Welt nicht viel,
     Es desto fester mit uns selbst zu halten;
     Wir gleiten so schon näher unserm Ziel,
     Ob jene lachten, ob die andern schalten,
     Nach allen Stürmen wollen wir im Hafen
     Doch ungestört gesunden Schlafes schlafen.

  _Berlin_, August 1834.




An Julius Eduard Hitzig von Adelbert von Chamisso.


Du vergissest niemanden, du wirst dich noch eines gewissen _Peter
Schlemihls_ erinnern, den du in früheren Jahren ein paarmal bei mir
gesehen hast, ein langbeiniger Bursch', den man ungeschickt glaubte,
weil er linkisch war, und der wegen seiner Trägheit für faul galt. Ich
hatte ihn lieb -- du kannst nicht vergessen haben, _Eduard_, wie er uns
einmal in unsrer grünen Zeit durch die Sonette lief, ich brachte ihn mit
auf einen der poetischen Tees, wo er mir noch während des Schreibens
einschlief, ohne das Lesen abzuwarten. Nun erinnere ich mich auch eines
Witzes, den du auf ihn machtest. Du hattest ihn nämlich schon, Gott weiß
wo und wann, in einer alten schwarzen Kurtka gesehen, die er freilich
damals noch immer trug, und sagtest: »Der ganze Kerl wäre glücklich zu
schätzen, wenn seine Seele nur halb so unsterblich wäre, als seine
Kurtka.« -- So wenig galt er bei euch. -- Ich hatte ihn lieb. -- Von
diesem _Schlemihl_ nun, den ich seit langen Jahren aus dem Gesicht
verloren hatte, rührt das Heft her, das ich dir mitteilen will. -- Dir
nur, _Eduard_, meinem nächsten, innigsten Freunde, meinem beßren Ich, vor
dem ich kein Geheimnis verwahren kann, teil' ich es mit, nur dir und, es
versteht sich von selbst, unserm _Fouqué_, gleich dir in meiner Seele
eingewurzelt -- aber in ihm teil' ich es bloß dem Freunde mit, nicht dem
Dichter. -- Ihr werdet einsehen, wie unangenehm es mir sein würde, wenn
etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann im Vertrauen auf meine
Freundschaft und Redlichkeit an meiner Brust ablegt, in einem
Dichterwerke an den Pranger geheftet würde, oder nur wenn überhaupt
unheilig verfahren würde, wie mit einem Erzeugnis schlechten Witzes, mit
einer Sache, die das nicht ist und sein darf. Freilich muß ich selbst
gestehen, daß es um die Geschichte schad' ist, die unter des guten
Mannes Feder nur albern geworden, daß sie nicht von einer geschickteren
fremden Hand in ihrer ganzen komischen Kraft dargestellt werden kann. --
Was würde nicht _Jean Paul_ daraus gemacht haben! -- Übrigens, lieber
Freund, mögen hier manche genannt sein, die noch leben; auch das will
beachtet sein. --

Noch ein Wort über die Art, wie diese Blätter an mich gelangt sind.
Gestern früh bei meinem Erwachen gab man sie mir ab -- ein wunderlicher
Mann, der einen langen grauen Bart trug, eine ganz abgenützte schwarze
Kurtka anhatte, eine botanische Kapsel darüber umgehangen, und bei dem
feuchten, regnichten Wetter Pantoffeln über seine Stiefel, hatte sich
nach mir erkundigt und dieses für mich hinterlassen; er hatte aus Berlin
zu kommen vorgegeben. -- -- --

  _Kunersdorf_, den 27. September 1813.

                                            _Adelbert von Chamisso_.

#P. S.# Ich lege dir eine Zeichnung bei, die der kunstreiche _Leopold_, der
eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen
hat. Als er den Wert, den ich auf diese Skizze legte, gesehen hat, hat
er sie mir gerne geschenkt.[1]




An Ebendenselben von Fouqué.


Bewahren, _lieber Eduard_, sollen wir die Geschichte des armen _Schlemihl_,
dergestalt bewahren, daß sie vor Augen, die nicht hineinzusehen haben,
beschirmt bleibe. Das ist eine schlimme Aufgabe. Es gibt solcher Augen
eine ganze Menge, und welcher Sterbliche kann die Schicksale eines
Manuskriptes bestimmen, eines Dinges, das beinah noch schlimmer zu hüten
ist als ein gesprochenes Wort. Da mach' ich's denn wie ein
Schwindelnder, der in der Angst lieber gleich in den Abgrund springt:
ich lasse die ganze Geschichte drucken.

Und doch, _Eduard_, es gibt ernstere und bessere Gründe für mein Benehmen.
Es trügt mich alles oder in unserm lieben Deutschland schlagen der
Herzen viel, die den armen _Schlemihl_ zu verstehen fähig sind und auch
wert, und über manch eines echten Landsmannes Gesicht wird bei dem
herben Scherz, den das Leben mit ihm, und bei dem arglosen, den er mit
sich selbst treibt, ein gerührtes Lächeln ziehn. Und du, mein _Eduard_,
wenn du das grundehrliche Buch ansiehst und dabei denkst, daß viele
unbekannte Herzensverwandte es mit uns lieben lernen, fühlst auch
vielleicht einen Balsamtropfen in die heiße Wunde fallen, die dir und
allen, die dich lieben, der Tod geschlagen hat.

Und endlich: es gibt -- ich habe mich durch mannigfache Erfahrung davon
überzeugt -- es gibt für die gedruckten Bücher einen Genius, der sie in
die rechten Hände bringt und, wenn nicht immer, doch sehr oft die
unrechten davon abhält. Auf allen Fall hat er ein unsichtbares
Vorhängschloß vor jedwedem echten Geistes- und Gemütswerke und weiß mit
einer ganz untrüglichen Geschicklichkeit auf- und zuzuschließen.

Diesem Genius, mein sehr lieber _Schlemihl_, vertraue ich dein Lächeln und
deine Tränen an, und somit Gott befohlen!

  _Nennhausen_, Ende Mai 1814.

                                                      _Fouqué_.




An Fouqué von Hitzig.


Da haben wir denn nun die Folgen deines verzweifelten Entschlusses, die
Schlemihlshistorie, die wir als ein bloß _uns_ anvertrautes Geheimnis
bewahren sollten, drucken zu lassen, daß sie nicht allein Franzosen und
Engländer, Holländer und Spanier übersetzt, Amerikaner aber den
Engländern nachgedruckt, wie ich dies alles in meinem gelehrten Berlin
des breiteren gemeldet; sondern daß auch für unser liebes Deutschland
eine neue Ausgabe, mit den Zeichnungen der englischen, die der berühmte
_Cruikshank_ nach dem Leben entworfen, veranstaltet wird, wodurch die
Sache unstreitig noch viel mehr herumkommt. Hielte ich dich nicht für
dein eigenmächtiges Verfahren (denn mir hast du 1814 ja kein Wort von
der Herausgabe des Manuskripts gesagt) hinlänglich dadurch bestraft, daß
unser _Chamisso_ bei seiner Weltumsegelei, in den Jahren 1815 bis 1818,
sich gewiß in Chili und Kamtschatka und wohl gar bei seinem Freunde, dem
seligen _Tameiamaia_ auf O-Wahu, darüber beklagt haben wird, so fordere
ich noch jetzt öffentlich Rechenschaft darüber von dir.

Indes -- auch hievon abgesehn -- geschehn ist geschehn und recht hast du
auch darin gehabt, daß viele, viele Befreundete in den dreizehn
verhängnisvollen Jahren, seit es das Licht der Welt erblickte, das
Büchlein mit uns liebgewonnen. Nie werde ich die Stunde vergessen, in
der ich es _Hoffmann_ zuerst vorlas. Außer sich vor Vergnügen und
Spannung, hing er an meinen Lippen, bis ich vollendet hatte; nicht
erwarten konnte er, die persönliche Bekanntschaft des Dichters zu machen
und, sonst jeder Nachahmung so abhold, widerstand er doch der Versuchung
nicht, die Idee des verlornen Schattens in seiner Erzählung: Die
Abenteuer der Silvesternacht,[2] durch das verlorne Spiegelbild des
Erasmus Spikher, ziemlich unglücklich zu variieren. Ja -- unter die
Kinder hat sich unsre wundersame Historie ihre Bahn zu brechen gewußt;
denn als ich einst, an einem hellen Winterabend, mit ihrem Erzähler die
Burgstraße hinaufging und er einen über ihn lachenden, auf der
Glitschbahn beschäftigten Jungen unter seinen dir wohlbekannten
Bärenmantel nahm und fortschleppte, hielt dieser ganz stille; da er aber
wieder auf den Boden niedergesetzt war und in gehöriger Ferne von den,
als ob nichts geschehen wäre, Weitergegangenen, rief er mit lauter
Stimme seinem Räuber nach: »Warte nur, Peter Schlemihl!«

So, denke ich, wird der ehrliche Kauz auch in seinem neuen, zierlichen
Gewande viele erfreuen, die ihn in der einfachen Kurtka von 1814 nicht
gesehen; diesen und jenen aber es außerdem noch überraschend sein, in
dem botanisierenden, weltumschiffenden, ehemals wohlbestallten königlich
preußischen Offizier, auch Historiographen des berühmten Peter
Schlemihl, nebenher einen Lyriker kennen zu lernen,[3] der, er möge
malaiische oder litauische Weisen anstimmen, überall dartut, daß er das
poetische Herz auf der rechten Stelle hat.

Darum, lieber Fouqué, sei dir am Ende denn doch noch herzlich gedankt
für die Veranstaltung der ersten Ausgabe, und empfange mit unsern
Freunden meinen Glückwunsch zu dieser zweiten.

  _Berlin_, im Januar 1827.

                                                  _Eduard Hitzig_.


   Fußnoten:

   [1] Das hier erwähnte Bild befand sich bei den ersten Ausgaben des
   Schlemihl.

   [2] Phantasiestücke in Callots Manier, im letzten Teil. Vgl. auch:
   Aus Hoffmanns Leben und Nachlaß. Bd. #II#, S. 112.

   [3] Die zweite Ausgabe des Peter Schlemihl hatte einen Anhang von
   Liedern und Balladen des Dichters, worauf sich dies bezog.



Peter Schlemihls wundersame Geschichte.

1.


Nach einer glücklichen, jedoch für mich sehr beschwerlichen Seefahrt
erreichten wir endlich den Hafen. Sobald ich mit dem Boote ans Land kam,
belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habseligkeit, und durch das
wimmelnde Volk mich drängend, ging ich in das nächste, geringste Haus
hinein, vor welchem ich ein Schild hängen sah. Ich begehrte ein Zimmer,
der Hausknecht maß mich mit einem Blick und führte mich unters Dach. Ich
ließ mir frisches Wasser geben und genau beschreiben, wo ich den Herrn
_Thomas John_ aufzusuchen habe: -- »Vor dem Nordertor, das erste Landhaus
zur rechten Hand, ein großes, neues Haus, von rot und weißem Marmor mit
vielen Säulen.« Gut. -- Es war noch früh an der Zeit, ich schnürte
sogleich mein Bündel auf, nahm meinen neu gewandten schwarzen Rock
heraus, zog mich reinlich an in meine besten Kleider, steckte das
Empfehlungsschreiben zu mir, und setzte mich alsbald auf den Weg zu dem
Manne, der mir bei meinen bescheidenen Hoffnungen förderlich sein
sollte.

Nachdem ich die lange Norderstraße hinaufgestiegen und das Tor erreicht,
sah ich bald die Säulen durch das Grüne schimmern -- also hier, dacht'
ich. Ich wischte den Staub von meinen Füßen mit meinem Schnupftuch ab,
setzte mein Halstuch in Ordnung, und zog in Gottes Namen die Klingel.
Die Tür sprang auf. Auf dem Flur hatt' ich ein Verhör zu bestehn, der
Portier ließ mich aber anmelden, und ich hatte die Ehre, in den Park
gerufen zu werden, wo Herr _John_ mit einer kleinen Gesellschaft sich
erging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten
Selbstzufriedenheit. Er empfing mich sehr gut, wie ein Reicher einen
armen Teufel, wandte sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der
übrigen Gesellschaft abzuwenden, und nahm mir den dargehaltenen Brief
aus der Hand. -- »So, so! von meinem Bruder, ich habe lange nichts von
ihm gehört. Er ist doch gesund? -- Dort,« fuhr er gegen die Gesellschaft
fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies mit dem Brief auf einen
Hügel, »dort lasse ich das neue Gebäude aufführen.« Er brach das Siegel
auf und das Gespräch nicht ab, das sich auf den Reichtum lenkte. »Wer
nicht Herr ist wenigstens einer Million,« warf er hinein, »der ist, man
verzeihe mir das Wort, ein Schuft!« -- »O wie wahr!« rief ich aus mit
vollem überströmenden Gefühl. Das mußte ihm gefallen, er lächelte mich
an und sagte: »Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich
vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke,« er deutete auf
den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der
Gesellschaft. -- Er bot einer jungen Dame den Arm, andre Herren bemühten
sich um andre Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man wallte dem
rosenumblühten Hügel zu.

Ich schlich hinterher, ohne jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine
Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr
aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von
leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und
gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren
Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alledem vieles zu verstehen,
zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Rätsel zu
haben.

Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne _Fanny_, wie es schien die
Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst
brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunklen
Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereignis brachte die
ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde englisch Pflaster gesucht. Ein
stiller, dünner, hagerer, länglichter, ältlicher Mann, der neben
mitging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand
in die knapp anliegende Schoßtasche seines altfränkischen, grautaftenen
Rockes, brachte eine kleine Brieftasche daraus hervor, öffnete sie und
reichte der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte. Sie empfing es
ohne Aufmerksamkeit für den Geber und ohne Dank, die Wunde ward
verbunden, und man ging weiter den Hügel hinan, von dessen Rücken man
die weite Aussicht über das grüne Labyrinth des Parkes nach dem
unermeßlichen Ozean genießen wollte.

Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter Punkt erschien
am Horizont zwischen der dunklen Flut und der Bläue des Himmels. »Ein
Fernrohr her!« rief _John_, und noch bevor das auf den Ruf erscheinende
Dienervolk in Bewegung kam, hatte der graue Mann, bescheiden sich
verneigend, die Hand schon in die Rocktasche gesteckt, daraus einen
schönen Dollond hervorgezogen und es dem Herrn _John_ eingehändigt.
Dieser, es sogleich an das Aug' bringend, benachrichtigte die
Gesellschaft, es sei das Schiff, das gestern ausgelaufen, und das
widrige Winde im Angesicht des Hafens zurückhielten. Das Fernrohr ging
von Hand zu Hand, und nicht wieder in die des Eigentümers; ich aber sah
verwundert den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maschine aus der
winzigen Tasche herausgekommen war; es schien aber niemandem aufgefallen
zu sein, und man bekümmerte sich nicht mehr um den grauen Mann, als um
mich selber.

Erfrischungen wurden gereicht, das seltenste Obst aller Zonen in den
kostbarsten Gefäßen. Herr _John_ machte die Honneurs mit leichtem Anstand
und richtete da zum zweitenmal ein Wort an mich: »Essen Sie nur; das
haben Sie auf der See nicht gehabt.« Ich verbeugte mich, aber er sah es
nicht, er sprach schon mit jemand anderm.

Man hätte sich gern auf den Rasen, am Abhange des Hügels, der
ausgespannten Landschaft gegenüber gelagert, hätte man die Feuchtigkeit
der Erde nicht gescheut. Es wäre göttlich, meinte wer aus der
Gesellschaft, wenn man türkische Teppiche hätte, sie hier auszubreiten.
Der Wunsch war nicht sobald ausgesprochen, als schon der Mann im grauen
Rock die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja demütiger
Gebärde einen reichen, golddurchwirkten türkischen Teppich daraus zu
ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in Empfang, als müsse es so sein,
und entfalteten ihn am begehrten Orte. Die Gesellschaft nahm ohne
Umstände Platz darauf; ich wiederum sah betroffen den Mann, die Tasche,
den Teppich an, der über zwanzig Schritte in der Länge und zehn in der
Breite maß, und rieb mir die Augen, nicht wissend, was ich dazu denken
sollte, besonders da niemand etwas Merkwürdiges darin fand.

Ich hätte gern Aufschluß über den Mann gehabt und gefragt, wer er sei,
nur wußt' ich nicht, an wen ich mich richten sollte, denn ich fürchtete
mich fast noch mehr vor den Herren Bedienten, als vor den bedienten
Herren. Ich faßte endlich ein Herz, und trat an einen jungen Mann heran,
der mir von minderem Ansehen schien, als die andern, und der öfter
allein gestanden hatte. Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der
gefällige Mann sei dort im grauen Kleide. -- »Dieser, der wie ein Ende
Zwirn aussieht, der einem Schneider aus der Nadel entlaufen ist?« --
»Ja, der allein steht.« -- »Den kenn' ich nicht,« gab er mir zur
Antwort, und, wie es schien, eine längere Unterhaltung mit mir zu
vermeiden, wandt' er sich weg und sprach von gleichgültigen Dingen mit
einem andern.

Die Sonne fing jetzt stärker zu scheinen an und ward den Damen
beschwerlich; die schöne _Fanny_ richtete nachlässig an den grauen Mann,
den, soviel ich weiß, noch niemand angeredet hatte, die leichtsinnige
Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei sich habe? Er
beantwortete sie durch eine so tiefe Verbeugung, als widerführe ihm eine
unverdiente Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der ich
Zeuge, Stangen, Schnüre, Eisenwerk, kurz alles, was zu dem
prachtvollsten Lustzelt gehört, herauskommen sah. Die jungen Herren
halfen es ausspannen, und es überhing die ganze Ausdehnung des Teppichs
-- und keiner fand noch etwas Außerordentliches darin. --

Mir war schon lange unheimlich, ja graulich zumute, wie ward mir
vollends, als beim nächst ausgesprochenen Wunsch ich ihn noch aus seiner
Tasche drei Reitpferde, ich sage dir, drei schöne, große Rappen mit
Sattel und Zeug herausziehen sah! -- denke dir, um Gottes willen! drei
gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus schon eine
Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte lang
und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Größe, und alle dazu
gehörigen Stangen und Eisen herausgekommen waren! -- Wenn ich dir nicht
beteuerte, es selbst mit eignen Augen angesehen zu haben, würdest du es
gewiß nicht glauben. --

So verlegen und demütig der Mann selbst zu sein schien, so wenig
Aufmerksamkeit ihm auch die andern schenkten, so ward mir doch seine
blasse Erscheinung, von der ich kein Auge abwenden konnte, so
schauerlich, daß ich sie nicht länger ertragen konnte.

Ich beschloß, mich aus der Gesellschaft zu stehlen, was bei der
unbedeutenden Rolle, die ich darinnen spielte, mir ein leichtes schien.
Ich wollte nach der Stadt zurückkehren, am andern Morgen mein Glück beim
Herrn John wieder versuchen und, wenn ich den Mut dazu fände, ihn über
denselben grauen Mann befragen. -- Wäre es mir nur so zu entkommen
geglückt!

Ich hatte mich schon wirklich durch den Rosenhain, den Hügel hinab,
glücklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als
ich aus Furcht, außer den Wegen durchs Gras gehend angetroffen zu
werden, einen forschenden Blick um mich warf. -- Wie erschrak ich, als
ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zu kommen sah.
Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als
noch niemand vor mir getan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich
anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. Ich nahm
den Hut auch ab, verneigte mich wieder, und stand da in der Sonne mit
bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah ihn voller Furcht stier an und war
wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr
verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich zu
verschiedenen Malen, trat näher und redete mich an mit leiser,
unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden.

»Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage,
ihn so unbekannterweise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn.
Vergönnen Sie gnädigst --« -- »Aber um Gottes willen, mein Herr!« brach
ich in meiner Angst aus, »was kann ich für einen Mann tun, der --« wir
stutzten beide, und wurden, wie mir deucht, rot.

Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort: »Während
der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden,
hab' ich, mein Herr, einigemal -- erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage --
wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten
betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer
gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich
werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die
freilich kühne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden,
mir diesen Ihren Schatten zu überlassen?«

Er schwieg und mir ging's wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Was sollt' ich
aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? er muß
verrückt sein, dacht' ich, und mit verändertem Tone, der zu der Demut
des seinigen besser paßte, erwiderte ich also:

»Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht an Eurem eignen Schatten
genug? das heiß' ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen
Sorte.« Er fiel sogleich wieder ein: »Ich hab' in meiner Tasche manches,
was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen
unschätzbaren Schatten halt' ich den höchsten Preis zu gering.«

Nun überfiel es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert ward,
und ich wußte nicht, wie ich ihn hatte guter Freund nennen können. Ich
nahm wieder das Wort und suchte es, wo möglich, mit unendlicher
Höflichkeit wieder gut zu machen.

»Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem untertänigsten Knecht. Ich
verstehe wohl Ihre Meinung nicht ganz gut, wie könnt' ich nur meinen
Schatten -- --« Er unterbrach mich: »Ich erbitte mir nur Dero Erlaubnis,
hier auf der Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu dürfen und zu mir
zu stecken; wie ich das mache, sei meine Sorge. Dagegen als Beweis
meiner Erkenntlichkeit gegen den Herrn, überlasse ich ihm die Wahl unter
allen Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir führe: die echte
Springwurzel, die Alraunwurzel, Wechselpfennige, Raubtaler, das
Tellertuch von Rolands Knappen, ein Galgenmännlein zu beliebigem Preis;
doch, das wird wohl nichts für Sie sein: besser, Fortunati
Wünschhütlein, neu und haltbar wieder restauriert: auch ein
Glückssäckel, wie der seine gewesen.« -- »Fortunati Glücksseckel,« fiel
ich ihm in die Rede, und wie groß meine Angst auch war, hatte er mit dem
einen Wort meinen ganzen Sinn gefangen. Ich bekam einen Schwindel und es
flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen. --

»Belieben gnädigst der Herr diesen Säckel zu besichtigen und zu
erproben.« Er steckte die Hand in die Tasche und zog einen mäßig großen,
festgenähten Beutel, von starkem Korduanleder, an zwei tüchtigen
ledernen Schnüren heraus und händigte mir selbigen ein. Ich griff hinein
und zog zehn Goldstücke daraus, und wieder zehn, und wieder zehn, und
wieder zehn; ich hielt ihm schnell die Hand hin: »Topp! der Handel gilt,
für den Beutel haben Sie meinen Schatten.« Er schlug ein, kniete dann
ungesäumt vor mir nieder, und mit einer bewundernswürdigen
Geschicklichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen
Füßen, leise von dem Grase lösen, aufheben, zusammenrollen und falten,
und zuletzt einstecken. Er stand auf, verbeugte sich noch einmal vor
mir, und zog sich nach dem Rosengebüsche zurück. Mich dünkt', ich hörte
ihn da leise für sich lachen. Ich aber hielt den Beutel bei den Schnüren
fest, rund um mich her war die Erde sonnenhell, und in mir war noch
keine Besinnung.


2.

Ich kam endlich wieder zu Sinnen und eilte, diesen Ort zu verlassen, wo
ich hoffentlich nichts mehr zu tun hatte. Ich füllte erst meine Taschen
mit Gold, dann band ich mir die Schnüre des Beutels um den Hals fest und
verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet aus dem Park,
erreichte die Landstraße und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in
Gedanken dem Tore zu ging, hört' ich hinter mir schreien: »Junger Herr!
he! junger Herr! hören Sie doch!« -- Ich sah mich um, ein altes Weib
rief mir nach: »Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten
verloren.« -- »Danke, Mütterchen!« -- ich warf ihr ein Goldstück für den
wohlgemeinten Rat hin, und trat unter die Bäume.

Am Tore mußt' ich gleich wieder von der Schildwacht hören: »Wo hat der
Herr seinen Schatten gelassen?« und gleich wieder darauf von ein paar
Frauen: »Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!« Das fing an
mich zu verdrießen, und ich vermied sehr sorgfältig, in die Sonne zu
treten. Das ging aber nicht überall an, zum Beispiel nicht über die
Breitestraße, die ich zunächst durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem
Unheil, in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gingen. Ein
verdammter buckeliger Schlingel, ich seh' ihn noch, hatte es gleich weg,
daß mir ein Schatten fehle. Er verriet mich mit großem Geschrei der
sämtlichen literarischen Straßenjugend der Vorstadt, welche sofort mich
zu rezensieren und mit Kot zu bewerfen anfing. »Ordentliche Leute
pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen, wenn sie in die Sonne
gingen.« Um sie von mir abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Händen unter
sie und sprang in einen Mietswagen, zu dem mir mitleidige Seelen
verhalfen.

Sobald ich mich in der rollenden Kutsche allein fand, fing ich
bitterlich an zu weinen. Es mußte schon die Ahnung in mir aufsteigen,
daß, um so viel das Gold auf Erden Verdienst und Tugend überwiegt, um so
viel der Schatten höher als selbst das Gold geschätzt werde; und wie ich
früher den Reichtum meinem Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den
Schatten für bloßes Gold hingegeben; was konnte, was sollte auf Erden
aus mir werden!

Ich war noch sehr verstört, als der Wagen vor meinem alten Wirtshause
hielt; ich erschrak über die Vorstellung, nur noch jenes schlechte
Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen herabholen, empfing
den ärmlichen Bündel mit Verachtung, warf einige Goldstücke hin und
befahl, vor das vornehmste Hotel vorzufahren. Das Haus war gegen Norden
gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu fürchten. Ich schickte den
Kutscher mit Gold weg, ließ mir die besten Zimmer vornheraus anweisen
und verschloß mich darin, sobald ich konnte.

Was denkst du, daß ich nun anfing! -- O mein lieber _Chamisso_, selbst vor
dir es zu gestehen, macht mich erröten. Ich zog den unglücklichen Säckel
aus meiner Brust hervor, und mit einer Art Wut, die, wie eine flackernde
Feuersbrunst, sich in mir durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus,
und Gold, und Gold, und immer mehr Gold, und streute es auf den Estrich,
und schritt darüber hin, und ließ es klirren, und warf, mein armes Herz
an dem Glanze, an dem Klange weidend, immer des Metalles mehr zu dem
Metalle, bis ich ermüdet selbst auf das reiche Lager sank und schwelgend
darin wühlte, mich darüber wälzte. So verging der Tag, der Abend, ich
schloß meine Türe nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf dem Golde,
und darauf übermannte mich der Schlaf.

Da träumt' es mir von dir, es ward mir, als stünde ich hinter der
Glastür deines kleinen Zimmers und sähe dich von da an deinem
Arbeitstische zwischen einem Skelett und einem Bunde getrockneter
Pflanzen sitzen, vor dir waren Haller, Humboldt und Linné aufgeschlagen,
auf deinem Sofa lagen ein Band Goethe und der Zauberring, ich
betrachtete dich lange und jedes Ding in deiner Stube, und dann dich
wieder, du rührtest dich aber nicht, du holtest auch nicht Atem, du
warst tot.

Ich erwachte. Es schien noch sehr früh zu sein. Meine Uhr stand. Ich war
wie zerschlagen, durstig und hungrig auch noch; ich hatte seit dem
vorigen Morgen nichts gegessen. Ich stieß von mir mit Unwillen und
Überdruß dieses Gold, an dem ich kurz vorher mein törichtes Herz
gesättigt; nun wußt' ich verdrießlich nicht, was ich damit anfangen
sollte. Es durfte nicht so liegen bleiben -- ich versuchte, ob es der
Beutel wieder verschlingen wollte -- nein. Keines meiner Fenster öffnete
sich über die See. Ich mußte mich bequemen, es mühsam und mit sauerm
Schweiß zu einem großen Schrank, der in einem Kabinett stand, zu
schleppen, und es darin zu verpacken. Ich ließ nur einige Handvoll da
liegen. Nachdem ich mit der Arbeit fertig geworden, legt' ich mich
erschöpft in einen Lehnstuhl und erwartete, daß sich Leute im Hause zu
regen anfingen. Ich ließ, sobald es möglich war, zu essen bringen und
den Wirt zu mir kommen.

Ich besprach mit diesem Manne die künftige Einrichtung meines Hauses. Er
empfahl mir für den näheren Dienst um meine Person einen gewissen
_Bendel_, dessen treue und verständige Physiognomie mich gleich gewann.
Derselbe war's, dessen Anhänglichkeit mich seither tröstend durch das
Elend des Lebens begleitete und mir mein düsteres Los ertragen half. Ich
brachte den ganzen Tag auf meinen Zimmern mit herrenlosen Knechten,
Schustern, Schneidern und Kaufleuten zu, ich richtete mich ein und
kaufte besonders sehr viel Kostbarkeiten und Edelsteine, um nur etwas
des vielen aufgespeicherten Goldes los zu werden; es schien aber gar
nicht, als könne der Haufen sich vermindern.

Ich schwebte indes über meinen Zustand in den ängstigendsten Zweifeln.
Ich wagte keinen Schritt aus meiner Tür und ließ abends vierzig
Wachskerzen in meinem Saal anzünden, bevor ich aus dem Dunkel herauskam.
Ich gedachte mit Grauen des fürchterlichen Auftrittes mit den
Schulknaben. Ich beschloß, soviel Mut ich auch dazu bedurfte, die
öffentliche Meinung noch einmal zu prüfen. -- Die Nächte waren zu der
Zeit mondhell. Abends spät warf ich einen weiten Mantel um, drückte mir
den Hut tief in die Augen und schlich, zitternd wie ein Verbrecher, aus
dem Hause. Erst auf einem entlegenen Platz trat ich aus dem Schatten der
Häuser, in deren Schutz ich so weit gekommen war, an das Mondlicht
hervor, gefaßt, mein Schicksal aus dem Munde der Vorübergehenden zu
vernehmen.

Erspare mir, lieber Freund, die schmerzliche Wiederholung alles dessen,
was ich erdulden mußte. Die Frauen bezeigten oft das tiefste Mitleid,
das ich ihnen einflößte; Äußerungen, die mir die Seele nicht minder
durchbohrten, als der Hohn der Jugend und die hochmütige Verachtung der
Männer, besonders solcher dicken, wohlbeleibten, die selbst einen
breiten Schatten warfen. Ein schönes, holdes Mädchen, die, wie es
schien, ihre Eltern begleitete, indem diese bedächtig nur vor ihre Füße
sahen, wandte von ungefähr ihr leuchtendes Auge auf mich; sie erschrak
sichtbarlich, da sie meine Schattenlosigkeit bemerkte, verhüllte ihr
schönes Antlitz in ihren Schleier, ließ den Kopf sinken und ging lautlos
vorüber.

Ich ertrug es länger nicht. Salzige Ströme brachen aus meinen Augen, und
mit durchschnittenem Herzen zog ich mich schwankend ins Dunkel zurück.
Ich mußte mich an den Häusern halten, um meine Schritte zu sichern, und
erreichte langsam und spät meine Wohnung.

Ich brachte die Nacht schlaflos zu. Am andern Tage war meine erste
Sorge, nach dem Manne im grauen Rocke überall suchen zu lassen.
Vielleicht sollte es mir gelingen, ihn wieder zu finden, und wie
glücklich! wenn ihn, wie mich, der törichte Handel gereuen sollte. Ich
ließ _Bendel_ vor mich kommen, er schien Gewandtheit und Geschick zu
besitzen -- ich schilderte ihm genau den Mann, in dessen Besitz ein
Schatz sich befand, ohne den mir das Leben nur eine Qual sei. Ich sagte
ihm die Zeit, den Ort, wo ich ihn gesehen; beschrieb ihm alle, die
zugegen gewesen, und fügte dieses Zeichen noch hinzu: er solle sich nach
einem Dollondschen Fernrohr, nach einem golddurchwirkten türkischen
Teppich, nach einem Prachtlustzelt, und endlich nach den schwarzen
Reithengsten genau erkundigen, deren Geschichte, ohne zu bestimmen wie,
mit der des rätselhaften Mannes zusammenhinge, welcher allen unbedeutend
geschienen, und dessen Erscheinung die Ruhe und das Glück meines Lebens
zerstört hatte.

Wie ich ausgeredet, holt' ich Gold her, eine Last, wie ich sie nur zu
tragen vermochte, und legte Edelsteine und Juwelen noch hinzu für einen
größern Wert. »_Bendel_,« sprach ich, »dieses ebnet viele Wege und macht
vieles leicht, was unmöglich schien; sei nicht karg damit, wie ich es
nicht bin, sondern geh, und erfreue deinen Herrn mit Nachrichten, auf
denen seine alleinige Hoffnung beruht.«

Er ging. Spät kam er und traurig zurück. Keiner von den Leuten des Herrn
_John_, keiner von seinen Gästen, er hatte alle gesprochen, wußte sich nur
entfernt an den Mann im grauen Rocke zu erinnern. Das neue Teleskop war
da und keiner wußte, wo es hergekommen; der Teppich, das Zelt waren da
und noch auf demselben Hügel ausgebreitet und aufgeschlagen, die Knechte
rühmten den Reichtum ihres Herrn, und keiner wußte, von wannen diese
neuen Kostbarkeiten ihm zugekommen. Er selbst hatte sein Wohlgefallen
daran, und ihn kümmerte es nicht, daß er nicht wisse, woher er sie habe;
die Pferde hatten die jungen Herren, die sie geritten, in ihren Ställen,
und sie priesen die Freigebigkeit des Herrn _John_, der sie ihnen an jenem
Tage geschenkt. Soviel erhellte aus der ausführlichen Erzählung _Bendels_,
dessen rascher Eifer und verständige Führung, auch bei so fruchtlosem
Erfolge, mein verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm düster, mich
allein zu lassen.

»Ich habe,« hub er wieder an, »meinem Herrn Bericht abgestattet über die
Angelegenheit, die ihm am wichtigsten war. Mir bleibt noch ein Auftrag
auszurichten, den mir heute früh jemand gegeben, welchem ich vor der Tür
begegnete, da ich zu dem Geschäfte ausging, wo ich so unglücklich
gewesen. Die eignen Worte des Mannes waren: >Sagen Sie dem Herrn _Peter
Schlemihl_, er würde mich hier nicht mehr sehen, da ich übers Meer gehe,
und ein günstiger Wind mich soeben nach dem Hafen ruft. Aber über Jahr
und Tag werde ich die Ehre haben, ihn selber aufzusuchen und ein andres,
ihm dann vielleicht annehmliches Geschäft vorzuschlagen. Empfehlen Sie
mich ihm untertänigst und versichern ihn meines Dankes.< Ich frug ihn,
wer er wäre, er sagte aber, Sie kennten ihn schon.«

»Wie sah der Mann aus?« rief ich voller Ahnung. Und _Bendel_ beschrieb mir
den Mann im grauen Rocke Zug für Zug, Wort für Wort, wie er getreu in
seiner vorigen Erzählung des Mannes erwähnt, nach dem er sich erkundigt.

»Unglücklicher!« schrie ich händeringend, »das war er ja selbst!« und
ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. -- »Ja, er war es, war es
wirklich!« rief er erschreckt aus, »und ich Verblendeter, Blödsinniger
habe ihn nicht erkannt, ihn nicht erkannt und meinen Herrn verraten!«

Er brach, heiß weinend, in die bittersten Vorwürfe gegen sich selber
aus, und die Verzweiflung, in der er war, mußte mir selber Mitleiden
einflößen. Ich sprach ihm Trost ein, versicherte ihm wiederholt, ich
setze keinen Zweifel in seine Treue, und schickte ihn alsbald nach dem
Hafen, um, wo möglich, die Spuren des seltsamen Mannes zu verfolgen.
Aber an diesem selben Morgen waren sehr viele Schiffe, die widrige Winde
im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle nach andern Weltstrichen,
alle nach andern Küsten bestimmt, und der graue Mann war spurlos wie ein
Schatten verschwunden.


3.

Was hülfen Flügel dem in eisernen Ketten fest Angeschmiedeten? Er müßte
dennoch, und schrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie Fafner bei seinem
Hort, fern von jedem menschlichen Zuspruch, bei meinem Golde darbend,
aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, sondern ich fluchte ihm, um
dessentwillen ich mich von allem Leben abgeschnitten sah. Bei mir
allein mein düstres Geheimnis hegend, fürchtete ich mich vor dem letzten
meiner Knechte, den ich zugleich beneiden mußte; denn er hatte einen
Schatten, er durfte sich sehen lassen in der Sonne. Ich vertrauerte
einsam in meinen Zimmern die Tag' und Nächte und Gram zehrte an meinem
Herzen.

Noch einer härmte sich unter meinen Augen ab, mein treuer _Bendel_ hörte
nicht auf, sich mit stillen Vorwürfen zu martern, daß er das Zutrauen
seines gütigen Herrn betrogen und jenen nicht erkannt, nach dem er
ausgeschickt war, und mit dem er mein trauriges Schicksal in enger
Verflechtung denken mußte. Ich aber konnte ihm keine Schuld geben, ich
erkannte in dem Ereignis die fabelhafte Natur des Unbekannten.

Nichts unversucht zu lassen, schickt' ich einst _Bendel_ mit einem
kostbaren brillantenen Ring zu dem berühmtesten Maler der Stadt, den
ich, mich zu besuchen, einladen ließ. Er kam, ich entfernte meine Leute,
verschloß die Tür, setzte mich zu dem Mann, und nachdem ich seine Kunst
gepriesen, kam ich mit schwerem Herzen zur Sache, ich ließ ihn zuvor das
strengste Geheimnis geloben.

»Herr Professor,« fuhr ich fort, »könnten Sie wohl einem Menschen, der
auf die unglücklichste Weise von der Welt um seinen Schatten gekommen
ist, einen falschen Schatten malen?« -- »Sie meinen einen
Schlagschatten?« -- »Den mein' ich allerdings.« -- »Aber,« frug er mich
weiter, »durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit
konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren?« -- »Wie es kam,«
erwiderte ich, »mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel,« log ich
ihm unverschämt vor: »in Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise
tat, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten
dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder los bekommen konnte.«

»Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte,« erwiderte der
Professor, »würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten
Bewegung wieder verlieren müßte -- zumal, wer an dem eignen angebornen
Schatten so wenig fest hing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich
abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist
das Vernünftigste und Sicherste.« Er stand auf und entfernte sich, indem
er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht
ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück und verhüllte mein
Gesicht in meine Hände.

So fand mich noch _Bendel_, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines
Herrn und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. -- Ich blickte
auf -- ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mitteilen.
»_Bendel_,« rief ich ihm zu, »_Bendel_! du einziger, der du meine Leiden
siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und
fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, _Bendel_, und sei der Nächste
meinem Herzen. Die Schätze meines Goldes hab' ich vor dir nicht
verschlossen, nicht verschließen will ich vor dir die Schätze meines
Grames. -- _Bendel_, verlasse mich nicht. _Bendel_, du siehst mich reich,
freigebig, gütig, du wähnst, es sollte die Welt mich verherrlichen, und
du siehst mich die Welt fliehn und mich vor ihr verschließen. _Bendel_,
sie hat gerichtet, die Welt, und mich verstoßen, und auch du vielleicht
wirst dich von mir wenden, wenn du mein schreckliches Geheimnis
erfährst: _Bendel_, ich bin reich, freigebig, gütig, aber -- o Gott! ich
habe keinen Schatten!«

»Keinen Schatten?« rief der gute Junge erschreckt aus und die hellen
Tränen stürzten ihm aus den Augen. -- »Weh' mir, daß ich geboren ward,
einem schattenlosen Herrn zu dienen!« Er schwieg und ich hielt mein
Gesicht in meinen Händen.

»_Bendel_,« setzt' ich spät und zitternd hinzu, »nun hast du mein
Vertrauen, nun kannst du es verraten. Geh hin und zeuge wider mich.« --
Er schien in schwerem Kampfe mit sich selber, endlich stürzte er vor mir
nieder und ergriff meine Hand, die er mit seinen Tränen benetzte.
»Nein,« rief er aus, »was die Welt auch meine, ich kann und werde um
Schattens willen meinen gütigen Herrn nicht verlassen, ich werde recht
und nicht klug handeln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen
Schatten borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, und wo ich nicht kann, mit
Ihnen weinen.« Ich fiel ihm um den Hals, ob solcher ungewohnten
Gesinnung staunend; denn ich war von ihm überzeugt, daß er es nicht um
Gold tat.

Seitdem änderten sich in etwas mein Schicksal und meine Lebensweise. Es
ist unbeschreiblich, wie vorsorglich _Bendel_ mein Gebrechen zu verhehlen
wußte. Überall war er vor mir und mit mir, alles vorhersehend, Anstalten
treffend, und wo Gefahr unversehens drohte, mich schnell mit seinem
Schatten überdeckend, denn er war größer und stärker als ich. So wagt'
ich mich wieder unter die Menschen und begann eine Rolle in der Welt zu
spielen. Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Launen scheinbar
annehmen. Solche stehen aber dem Reichen gut, und solange die Wahrheit
nur verborgen blieb, genoß ich aller der Ehre und Achtung, die meinem
Golde zukam. Ich sah ruhiger dem über Jahr und Tag verheißenen Besuch
des rätselhaften Unbekannten entgegen.

Ich fühlte sehr wohl, daß ich mich nicht lange an einem Orte aufhalten
durfte, wo man mich schon ohne Schatten gesehen und wo ich leicht
verraten werden konnte; auch dacht' ich vielleicht nur allein noch
daran, wie ich mich bei Herrn _John_ gezeigt, und es war mir eine
drückende Erinnerung, demnach wollt' ich hier bloß Probe halten, um
anderswo leichter und zuversichtlicher auftreten zu können -- doch fand
sich, was mich eine Zeitlang an meiner Eitelkeit festhielt: das ist im
Menschen, wo der Anker am zuverlässigsten Grund faßt.

Eben die schöne _Fanny_, der ich am dritten Ort wieder begegnete, schenkte
mir, ohne sich zu erinnern, mich jemals gesehen zu haben, einige
Aufmerksamkeit, denn jetzt hatt' ich Witz und Verstand. -- Wann ich
redete, hörte man zu, und ich wußte selber nicht, wie ich zu der Kunst
gekommen war, das Gespräch so leicht zu führen und zu beherrschen. Der
Eindruck, den ich auf die Schöne gemacht zu haben einsah, machte aus
mir, was sie eben begehrte, einen Narren, und ich folgte ihr seither mit
tausend Mühen durch Schatten und Dämmerung, wo ich nur konnte. Ich war
nur eitel darauf, sie über mich eitel zu machen, und konnte mir, selbst
mit dem besten Willen, nicht den Rausch aus dem Kopf ins Herz zwingen.

Aber wozu die ganz gemeine Geschichte dir lang und breit wiederholen? --
Du selber hast sie mir oft genug von andern Ehrenleuten erzählt. -- Zu
dem alten, wohlbekannten Spiele, worin ich gutmütig eine abgedroschene
Rolle übernommen, kam freilich eine ganz eigens gedichtete Katastrophe
hinzu, mir und ihr und allen unerwartet.

Da ich an einem schönen Abend nach meiner Gewohnheit eine Gesellschaft
in einem erleuchteten Garten versammelt hatte, wandelte ich mit der
Herrin Arm in Arm, in einiger Entfernung von den übrigen Gästen, und
bemühte mich, ihr Redensarten vorzudrechseln. Sie sah sittig vor sich
nieder und erwiderte leise den Druck meiner Hand; da trat unversehens
hinter uns der Mond aus den Wolken hervor -- und sie sah nur _ihren_
Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich
an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend;
und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich
in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber
eiskalt über den Rücken gelaufen wäre.

Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil
durch die entsetzten Gäste, erreichte die Tür, warf mich in den ersten
Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich
diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen _Bendel_ gelassen hatte. Er
erschrak, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm alles. Es wurden auf
der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner Leute mit mir,
einen abgefeimten Spitzbuben, Namens _Raskal_, der sich mir durch seine
Gewandtheit notwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen
Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen
zurück. _Bendel_ blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden
und mir das Nötigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte,
warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Torheit
mehr zu begehen, sondern nur künftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten
unsre Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und
erst am andern Abhang, durch das hohe Bollwerk von jenem Unglücksboden
getrennt, ließ ich mich bewegen, in einem nahgelegenen und wenig
besuchten Badeort von den überstandenen Mühseligkeiten auszurasten.


4.

Ich werde in meiner Erzählung schnell über eine Zeit hineilen müssen,
bei der ich wie gerne! verweilen würde, wenn ich ihren lebendigen Geist
in der Erinnerung heraufzubeschwören vermöchte. Aber die Farbe, die sie
belebte und nur wieder beleben kann, ist in mir verloschen, und wann ich
in meiner Brust wieder finden will, was sie damals so mächtig erhob, die
Schmerzen und das Glück, den frommen Wahn -- da schlag' ich vergebens an
einen Felsen, der keinen lebendigen Quell mehr gewährt, und der Gott
ist von mir gewichen. Wie verändert blickt sie mich jetzt an, diese
vergangene Zeit! -- Ich sollte dort in dem Bade eine heroische Rolle
tragieren, schlecht einstudiert, und ein Neuling auf der Bühne, vergaff'
ich mich aus dem Stücke heraus in ein Paar blaue Augen. Die Eltern, vom
Spiele getäuscht, bieten alles auf, den Handel nur schnell festzumachen,
und die gemeine Posse beschließt eine Verhöhnung. Und das ist alles,
alles! -- Das kommt mir albern und abgeschmackt vor und schrecklich
wiederum, daß so mir vorkommen kann, was damals so reich, so groß die
Brust mir schwellte. Mina, wie ich damals weinte, als ich dich verlor,
so wein' ich jetzt, dich auch in mir verloren zu haben. Bin ich denn so
alt worden? -- O traurige Vernunft! Nur noch ein Pulsschlag jener Zeit,
ein Moment jenes Wahnes -- aber nein! einsam auf dem hohen, öden Meere
deiner bittern Flut, und längst aus dem letzten Pokale der Champagner
Elfe entsprüht!

Ich hatte _Bendel_ mit einigen Goldsäcken vorausgeschickt, um mir im
Städtchen eine Wohnung nach meinen Bedürfnissen einzurichten. Er hatte
dort viel Geld ausgestreut und sich über den vornehmen Fremden, dem er
diente, etwas unbestimmt ausgedrückt, denn ich wollte nicht genannt
sein, das brachte die guten Leute auf sonderbare Gedanken. Sobald mein
Haus zu meinem Empfang bereit war, kam _Bendel_ wieder zu mir und holte
mich dahin ab. Wir machten uns auf die Reise.

Ungefähr eine Stunde vom Orte, auf einem sonnigen Plan, ward uns der Weg
durch eine festlich geschmückte Menge versperrt. Der Wagen hielt. Musik,
Glockengeläute, Kanonenschüsse wurden gehört, ein lautes Vivat
durchdrang die Luft -- vor dem Schlage des Wagens erschien in weißen
Kleidern ein Chor Jungfrauen von ausnehmender Schönheit, die aber vor
der einen, wie die Sterne der Nacht vor der Sonne, verschwanden. Sie
trat aus der Mitte der Schwestern hervor, die hohe zarte Bildung kniete
verschämt errötend vor mir nieder und hielt mir auf seidenem Kissen
einen aus Lorbeer, Ölzweigen und Rosen geflochtenen Kranz entgegen,
indem sie von Majestät, Ehrfurcht und Liebe einige Worte sprach, die ich
nicht verstand, aber deren zauberischer Silberklang mein Ohr und Herz
berauschte -- es war mir, als wäre schon einmal die himmlische
Erscheinung an mir vorübergewallt. Der Chor fiel ein und sang das Lob
eines guten Königs und das Glück seines Volkes.

Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne! -- Sie kniete
noch immer zwei Schritte von mir, und ich, ohne Schatten, konnte die
Kluft nicht überspringen, nicht wieder vor dem Engel auf die Knie
fallen. O, was hätt' ich nicht da für einen Schatten gegeben! Ich mußte
meine Scham, meine Angst, meine Verzweiflung tief in den Grund meines
Wagens verbergen. _Bendel_ besann sich endlich für mich, er sprang von der
andern Seite aus dem Wagen heraus, ich rief ihn noch zurück und reichte
ihm aus meinem Kästchen, das mir eben zur Hand lag, eine reiche
diamantene Krone, die die schöne _Fanny_ hatte zieren sollen. Er trat vor
und sprach im Namen seines Herrn, der solche Ehrenbezeigungen nicht
annehmen könne noch wolle; es müsse hier ein Irrtum vorwalten; jedoch
seien die guten Einwohner der Stadt für ihren guten Willen bedankt. Er
nahm indes den dargehaltenen Kranz von seinem Ort und legte den
brillantenen Reif an dessen Stelle; dann reichte er ehrerbietig der
schönen Jungfrau die Hand zum Aufstehen, entfernte mit einem Wink
Geistlichkeit, #Magistratus# und alle Deputationen. Niemand ward weiter
vorgelassen. Er hieß den Haufen sich teilen und den Pferden Raum geben,
schwang sich wieder in den Wagen und fort ging's weiter in gestrecktem
Galopp, unter einer aus Laubwerk und Blumen erbauten Pforte hinweg, dem
Städtchen zu. -- Die Kanonen wurden immer frischweg abgefeuert. -- Der
Wagen hielt vor meinem Hause; ich sprang behend in die Tür, die Menge
teilend, die die Begierde, mich zu sehen, herbeigerufen hatte. Der Pöbel
schrie Vivat unter meinem Fenster und ich ließ doppelte Dukaten daraus
regnen. Am Abend war die Stadt freiwillig erleuchtet. --

Und ich wußte immer noch nicht, was das alles bedeuten sollte und für
wen ich angesehen wurde. Ich schickte _Raskaln_ auf Kundschaft aus. Er
ließ sich denn erzählen, wasmaßen man bereits sichere Nachrichten
gehabt, der gute König von Preußen reise unter dem Namen eines Grafen
durch das Land; wie mein Adjutant erkannt worden sei und wie er sich und
mich verraten habe; wie groß endlich die Freude gewesen, da man die
Gewißheit gehabt mich im Orte selbst zu besitzen. Nun sah man freilich
ein, da ich offenbar das strengste Inkognito beobachten wolle, wie sehr
man unrecht gehabt, den Schleier so zudringlich zu lüften. Ich hätte
aber so huldreich, so gnadenvoll gezürnt -- ich würde gewiß dem guten
Herzen verzeihen müssen.

Meinem Schlingel kam die Sache so spaßhaft vor, daß er mit strafenden
Reden sein möglichstes tat, die guten Leute einstweilen in ihrem Glauben
zu bestärken. Er stattete mir einen sehr komischen Bericht ab, und da er
mich dadurch erheitert sah, gab er mir selbst seine verübte Bosheit zum
besten. -- Muß ich's bekennen? Es schmeichelte mir doch, sei es auch nur
so, für das verehrte Haupt angesehen worden zu sein.

Ich hieß zu dem morgenden Abend unter den Bäumen, die den Raum vor
meinem Hause beschatteten, ein Fest bereiten und die ganze Stadt dazu
einladen. Der geheimnisreichen Kraft meines Säckels, _Bendels_ Bemühungen
und der behenden Erfindsamkeit _Raskals_ gelang es, selbst die Zeit zu
besiegen. Es ist wirklich erstaunlich, wie reich und schön sich alles in
den wenigen Stunden anordnete. Die Pracht und der Überfluß, die da sich
erzeugten, auch die sinnreiche Erleuchtung war so weise verteilt, daß
ich mich ganz sicher fühlte. Es blieb mir nichts zu erinnern, ich mußte
meine Diener loben.

Es dunkelte der Abend. Die Gäste erschienen und wurden mir vorgestellt.
Es ward die Majestät nicht mehr berührt; aber ich hieß in tiefer
Ehrfurcht und Demut: Herr Graf. Was sollt' ich tun? Ich ließ mir den
Grafen gefallen und blieb von Stund' an der Graf Peter. Mitten im
festlichen Gewühle begehrte meine Seele nur nach der _einen_. Spät
erschien sie, sie, die die Krone war und trug. Sie folgte sittsam ihren
Eltern und schien nicht zu wissen, daß sie die Schönste sei. Es wurden
mir der Herr Forstmeister, seine Frau und seine Tochter vorgestellt. Ich
wußte den Alten viel Angenehmes und Verbindliches zu sagen; vor der
Tochter stand ich wie ein ausgescholtener Knabe da und vermochte kein
Wort hervor zu lallen. Ich bat sie endlich stammelnd, dies Fest zu
würdigen, das Amt, dessen Zeichen sie schmückte, darin zu verwalten. Sie
bat verschämt mit einem rührenden Blick um Schonung; aber verschämter
vor ihr, als sie selbst, brachte ich ihr als erster Untertan meine
Huldigung in tiefer Ehrfurcht, und der Wink des Grafen ward allen Gästen
ein Gebot, dem nachzuleben sich jeder freudig beeiferte. Majestät,
Unschuld und Grazie beherrschten, mit der Schönheit im Bunde, ein frohes
Fest. Die glücklichen Eltern Minas glaubten ihnen nur zu Ehren ihr Kind
erhöht; ich selber war in einem unbeschreiblichen Rausch. Ich ließ
alles, was ich noch von den Juwelen hatte, die ich damals, um
beschwerliches Gold los zu werden, gekauft, alle Perlen, alles
Edelgestein in zwei verdeckte Schüsseln legen und bei Tische, unter dem
Namen der Königin, ihren Gespielinnen und allen Damen herumreichen; Gold
ward indessen ununterbrochen über die gezogenen Schranken unter das
jubelnde Volk geworfen.

_Bendel_ am andern Morgen eröffnete mir im Vertrauen, der Verdacht, den er
längst gegen _Raskals_ Redlichkeit gehegt, sei nunmehr zur Gewißheit
geworden. Er habe gestern ganze Säcke Goldes unterschlagen. »Laß uns,«
erwidert' ich, »dem armen Schelmen die kleine Beute gönnen; ich spende
gern allen, warum nicht auch ihm? Gestern hat er mir, haben mir alle
neuen Leute, die du mir gegeben, redlich gedient, sie haben mir froh ein
frohes Fest begehen helfen.«

Es war nicht weiter die Rede davon. _Raskal_ blieb der erste meiner
Dienerschaft, _Bendel_ war aber mein Freund und mein Vertrauter. Dieser
war gewohnt worden, meinen Reichtum als unerschöpflich zu denken, und er
spähte nicht nach dessen Quellen; er half mir vielmehr, in meinen Sinn
eingehend, Gelegenheiten ersinnen, ihn darzutun und Gold zu vergeuden.
Von jenem Unbekannten, dem blassen Schleicher, wußt' er nur soviel: Ich
dürfe allein durch ihn von dem Fluche erlöst werden, der auf mir laste
und fürchte ihn, auf dem meine einzige Hoffnung ruhe. Übrigens sei ich
davon überzeugt, er könne mich überall auffinden, ich ihn nirgends,
darum ich, den versprochenen Tag erwartend, jede vergebliche Nachsuchung
eingestellt.

Die Pracht meines Festes und mein Benehmen dabei erhielten anfangs die
starkgläubigen Einwohner der Stadt bei ihrer vorgefaßten Meinung. Es
ergab sich freilich sehr bald aus den Zeitungen, daß die ganze
fabelhafte Reise des Königs von Preußen ein bloßes ungegründetes Gerücht
gewesen. Ein König war ich aber nun einmal und mußte schlechterdings ein
König bleiben, und zwar einer der reichsten und königlichsten, die es
immer geben mag. Nur wußte man nicht recht, welcher. Die Welt hat nie
Grund gehabt, über Mangel an Monarchen zu klagen, am wenigsten in unsern
Tagen; die guten Leute, die noch keinen mit Augen gesehen, rieten mit
gleichem Glück bald auf diesen, bald auf jenen -- _Graf Peter_ blieb
immer, der er war.

Einst erschien unter den Badegästen ein Handelsmann, der Bankrott
gemacht hatte, um sich zu bereichern, der allgemeiner Achtung genoß und
einen breiten, obgleich etwas blassen Schatten von sich warf. Er wollte
hier das Vermögen, das er gesammelt, zum Prunk ausstellen, und es fiel
sogar ihm ein, mit mir wetteifern zu wollen. Ich sprach meinem Säckel zu
und hatte sehr bald den armen Teufel so weit, daß er, um sein Ansehen zu
retten, abermals Bankrott machen mußte und über das Gebirge ziehen. So
ward ich ihn los. -- Ich habe in dieser Gegend viele Taugenichtse und
Müßiggänger gemacht!

Bei der königlichen Pracht und Verschwendung, womit ich mir alles
unterwarf, lebt' ich in meinem Haus sehr einfach und eingezogen. Ich
hatte mir die größte Vorsicht zur Regel gemacht, es durfte, unter keinem
Vorwand kein andrer als _Bendel_ die Zimmer, die ich bewohnte, betreten.
Solange die Sonne schien, hielt ich mich mit ihm darin verschlossen, und
es hieß: der Graf arbeite in seinem Kabinett. Mit diesen Arbeiten
standen die häufigen Kuriere in Verbindung, die ich um jede Kleinigkeit
abschickte und erhielt. -- Ich nahm nur am Abend unter meinen Bäumen,
oder in meinem nach _Bendels_ Angabe geschickt und reich erleuchteten
Saale, Gesellschaft an. Wenn ich ausging, wobei mich stets _Bendel_ mit
Argusaugen bewachen mußte, so war es nur nach dem Förstergarten und um
der einen willen; denn meines Lebens innerlichstes Herz war meine Liebe.

O mein guter _Chamisso_, ich will hoffen, du habest noch nicht vergessen,
was Liebe sei! Ich lasse dir hier vieles zu ergänzen. _Mina_ war wirklich
ein liebewertes, gutes, frommes Kind. Ich hatte ihre ganze Phantasie an
mich gefesselt, sie wußte in ihrer Demut nicht, womit sie wert gewesen,
daß ich nur nach ihr geblickt; und sie vergalt Liebe um Liebe, mit der
vollen jugendlichen Kraft eines unschuldigen Herzens. Sie liebte wie ein
Weib, ganz hin sich opfernd; selbstvergessen, hingegeben den nur
meinend, der ihr Leben war, unbekümmert, solle sie selbst zugrunde
gehen, das heißt, sie liebte wirklich.

Ich aber -- o welche schreckliche Stunden -- schrecklich! und würdig
dennoch, daß ich sie zurückwünsche -- hab' ich oft an _Bendels_ Brust
verweint, als nach dem ersten bewußtlosen Rausch ich mich besonnen, mich
selbst scharf angeschaut, der ich, ohne Schatten, mit tückischer
Selbstsucht diesen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen und
gestohlen! Dann beschloß ich, mich ihr selber zu verraten; dann gelobt'
ich mit teuren Eidschwüren, mich von ihr zu reißen und zu entfliehen;
dann brach ich wieder in Tränen aus und verabredete mit _Bendeln_, wie ich
sie auf den Abend im Förstergarten besuchen wolle.

Zu andern Zeiten log ich mir selber vom nahe bevorstehenden Besuch des
grauen Unbekannten große Hoffnungen vor, und weinte wieder, wenn ich
daran zu glauben vergebens versucht hatte. Ich hatte den Tag
ausgerechnet, wo ich den Furchtbaren wieder zu sehen erwartete; denn er
hatte gesagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an sein Wort.

Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr einziges Kind sehr
liebten, das ganze Verhältnis überraschte sie, als es schon bestand, und
sie wußten nicht, was sie dabei tun sollten. Sie hatten früher nicht
geträumt, der _Graf Peter_ könne nur an ihr Kind denken, nun liebte er sie
gar und ward wieder geliebt. -- Die Mutter war wohl eitel genug, an die
Möglichkeit einer Verbindung zu denken und darauf hinzuarbeiten; der
gesunde Menschenverstand des Alten gab solchen überspannten
Vorstellungen nicht Raum. Beide waren überzeugt von der Reinheit meiner
Liebe -- sie konnten nichts tun, als für ihr Kind beten.

Es fällt mir ein Brief in die Hand, den ich noch aus dieser Zeit von
_Mina_ habe. -- Ja, das sind ihre Züge! Ich will dir ihn abschreiben.

»Bin ein schwaches, törichtes Mädchen, könnte mir einbilden, daß mein
Geliebter, weil ich ihn innig, innig liebe, dem armen Mädchen nicht weh
tun möchte. -- Ach, Du bist so gut, so unaussprechlich gut; aber
mißdeute mich nicht. Du sollst mir nichts opfern, mir nichts opfern
wollen; o Gott! ich könnte mich hassen, wenn Du das tätest. Nein -- Du
hast mich unendlich glücklich gemacht, Du hast mich Dich lieben gelehrt.
Zeuch hin! -- Weiß doch mein Schicksal, _Graf Peter_ gehört nicht mir,
gehört der Welt an. Will stolz sein, wenn ich höre: das ist er gewesen,
und das war er wieder, und das hat er vollbracht; da haben sie ihn
angebetet, und da haben sie ihn vergöttert. Siehe, wenn ich das denke,
zürne ich Dir, daß Du bei einem einfältigen Kinde deiner hohen
Schicksale vergessen kannst. -- Zeuch hin, sonst macht der Gedanke mich
noch unglücklich, die ich, ach! durch Dich so glücklich, so selig bin.
-- Hab' ich nicht auch einen Ölzweig und eine Rosenknospe in Dein Leben
geflochten, wie in den Kranz, den ich Dir überreichen durfte. Habe Dich
im Herzen, mein Geliebter, fürchte nicht von mir zu gehen -- werde
sterben, ach! so selig, so unaussprechlich selig durch Dich.« --

Du kannst dir denken, wie mir die Worte durchs Herz schneiden mußten.
Ich erklärte ihr, ich sei nicht das, wofür man mich anzusehen schien;
ich sei nur ein reicher, aber unendlich elender Mann. Auf mir ruhe ein
Fluch, der das einzige Geheimnis zwischen ihr und mir sein solle, weil
ich noch nicht ohne Hoffnung sei, daß er gelöst werde. Dies sei das Gift
meiner Tage: daß ich sie mit in den Abgrund hinreißen könne, sie, die
das einzige Licht, das einzige Glück, das einzige Herz meines Lebens
sei. Dann weinte sie wieder, daß ich unglücklich war. Ach, sie war so
liebevoll, so gut! Um eine Träne nur mir zu erkaufen, hätte sie, mit
welcher Seligkeit, sich selbst ganz hingeopfert.

Sie war indes weit entfernt, meine Worte richtig zu deuten, sie ahnte
nun in mir irgendeinen Fürsten, den ein schwerer Bann getroffen,
irgendein hohes, geächtetes Haupt und ihre Einbildungskraft malte sich
geschäftig unter heroischen Bildern den Geliebten herrlich aus.

Einst sagte ich ihr: »_Mina_, der letzte Tag im künftigen Monat kann mein
Schicksal ändern und entscheiden -- geschieht es nicht, so muß ich
sterben, weil ich dich nicht unglücklich machen will.« -- Sie verbarg
weinend ihr Haupt an meiner Brust. -- »Ändert sich dein Schicksal, laß
mich nur dich glücklich wissen, ich habe keinen Anspruch an dich. --
Bist du elend, binde mich an dein Elend, daß ich es dir tragen helfe.«

»Mädchen, Mädchen, nimm es zurück, das rasche Wort, das törichte, das
deinen Lippen entflohen -- und kennst du es, dieses Elend, kennst du
ihn, diesen Fluch? Weißt du, wer dein Geliebter -- -- was er --? Siehst
du mich nicht krampfhaft zusammenschaudern, und vor dir ein Geheimnis
haben?« Sie fiel schluchzend mir zu Füßen und wiederholte mit Eidschwur
ihre Bitte.

Ich erklärte mich gegen den hereintretenden Forstmeister, meine Absicht
sei, am ersten des nächstkünftigen Monats um die Hand seiner Tochter
anzuhalten -- ich setze diese Zeit fest, weil sich bis dahin manches
ereignen dürfte, was Einfluß auf mein Schicksal haben könnte.
Unwandelbar sei nur meine Liebe zu seiner Tochter. --

Der gute Mann erschrak ordentlich, als er solche Worte aus dem Munde des
_Grafen Peter_ vernahm. Er fiel mir um den Hals und ward wieder ganz
verschämt, sich vergessen zu haben. Nun fiel es ihm ein, zu zweifeln, zu
erwägen und zu forschen; er sprach von Mitgift, von Sicherheit, von
Zukunft für sein liebes Kind. Ich dankte ihm, mich daran zu mahnen. Ich
sagte ihm, ich wünsche in dieser Gegend, wo ich geliebt zu sein schien,
mich anzusiedeln und ein sorgenfreies Leben zu führen. Ich bat ihn, die
schönsten Güter, die im Lande ausgeboten würden, unter dem Namen seiner
Tochter zu kaufen und die Bezahlung auf mich anzuweisen. Es könne darin
ein Vater dem Liebenden am besten dienen. -- Es gab ihm viel zu tun,
denn überall war ihm ein Fremder zuvorgekommen; er kaufte auch nur für
ungefähr eine Million.

Daß ich ihn damit beschäftigte, war im Grunde eine unschuldige List, um
ihn zu entfernen, und ich hatte schon ähnliche mit ihm gebraucht, denn
ich muß gestehen, daß er etwas lästig war. Die gute Mutter war dagegen
etwas taub, und nicht wie er, auf die Ehre eifersüchtig, den Herrn
Grafen zu unterhalten.

Die Mutter kam hinzu, die glücklichen Leute drangen in mich, den Abend
länger unter ihnen zu bleiben; ich durfte keine Minute weilen: ich sah
schon den aufgehenden Mond am Horizonte dämmern. -- Meine Zeit war
um. --

Am nächsten Abend ging ich wieder nach dem Förstergarten. Ich hatte den
Mantel weit über die Schultern geworfen, den Hut tief in die Augen
gedrückt, ich ging auf _Mina_ zu; wie sie aufsah und mich anblickte,
machte sie eine unwillkürliche Bewegung; da stand mir wieder klar vor
der Seele die Erscheinung jener schaurigen Nacht, wo ich mich im
Mondschein ohne Schatten gezeigt. Sie war es wirklich. Hatte sie mich
aber auch jetzt erkannt? Sie war still und gedankenvoll -- mir lag es
zentnerschwer auf der Brust -- ich stand von meinem Sitz auf. Sie warf
sich still weinend an meine Brust. Ich ging.

Nun fand ich sie öfters in Tränen, mir ward's finster und finsterer um
die Seele -- nur die Eltern schwammen in überschwenglicher
Glückseligkeit; der verhängnisvolle Tag rückte heran, bang und dumpf wie
eine Gewitterwolke. Der Vorabend war da -- ich konnte kaum mehr atmen.
Ich hatte vorsorglich einige Kisten mit Gold angefüllt, ich wachte die
zwölfte Stunde heran. -- Sie schlug. --

Nun saß ich da, das Auge auf die Zeiger der Uhr gerichtet, die Sekunden,
die Minuten zählend, wie Dolchstiche. Bei jedem Lärm, der sich regte,
fuhr ich auf, der Tag brach an. Die bleiernen Stunden verdrängten
einander, es ward Mittag, Abend, Nacht; es rückten die Zeiger, welkte
die Hoffnung; es schlug elf und nichts erschien, die letzten Minuten der
letzten Stunde fielen, und nichts erschien, es schlug der erste Schlag,
der letzte Schlag der zwölften Stunde, und ich sank hoffnungslos in
unendlichen Tränen auf mein Lager zurück. Morgen sollt' ich -- auf immer
schattenlos, um die Hand der Geliebten anhalten; ein banger Schlaf
drückte mir gegen den Morgen die Augen zu.


5.

Es war noch früh, als mich Stimmen weckten, die sich in meinem
Vorzimmer, in heftigem Wortwechsel, erhoben. Ich horchte auf. -- _Bendel_
verbot meine Tür; _Raskal_ schwor hoch und teuer, keine Befehle von
seinesgleichen anzunehmen, und bestand darauf, in meine Zimmer
einzudringen. Der gütige _Bendel_ verwies ihm, daß solche Worte, falls sie
zu meinen Ohren kämen, ihn um einen vorteilhaften Dienst bringen würden.
Raskal drohte Hand an ihn zu legen, wenn er ihm den Eingang noch länger
vertreten wollte.

Ich hatte mich halb angezogen, ich riß zornig die Tür auf und fuhr auf
_Raskaln_ zu -- »Was willst du, Schurke -- --?« Er trat zwei Schritte
zurück und antwortete ganz kalt: »Sie untertänigst bitten, Herr Graf,
mir doch einmal Ihren Schatten sehen zu lassen -- die Sonne scheint eben
so schön auf dem Hofe.« --

Ich war wie vom Donner gerührt. Es dauerte lange, bis ich die Sprache
wieder fand. -- »Wie kann ein Knecht gegen seinen Herrn --?« Er fiel mir
ganz ruhig in die Rede: »Ein Knecht kann ein sehr ehrlicher Mann sein
und einem Schattenlosen nicht dienen wollen, ich fordere meine
Entlassung.« Ich mußte andre Saiten aufziehen. »Aber _Raskal_, lieber
_Raskal_, wer hat dich auf die unglückliche Idee gebracht, wie kannst du
denken -- --?« Er fuhr im selben Tone fort: »Es wollen Leute behaupten,
Sie hätten keinen Schatten -- und kurz, Sie zeigen mir Ihren Schatten,
oder geben mir meine Entlassung.«

_Bendel_, bleich und zitternd, aber besonnener als ich, machte mir ein
Zeichen, ich nahm zu dem alles beschwichtigenden Golde meine Zuflucht --
auch das hatte seine Macht verloren -- er warf's mir vor die Füße: »Von
einem Schattenlosen nehme ich nichts an.« Er kehrte mir den Rücken und
ging, den Hut auf dem Kopf, ein Liedchen pfeifend, langsam aus dem
Zimmer. Ich stand mit _Bendel_ da wie versteint, gedanken- und regungslos
ihm nachsehend.

Schwer aufseufzend und den Tod im Herzen, schickt' ich mich endlich an,
mein Wort zu lösen, und, wie ein Verbrecher vor seinen Richtern, in dem
Förstergarten zu erscheinen. Ich stieg in der dunklen Laube ab, welche
nach mir benannt war, und wo sie mich auch diesmal erwarten mußten. Die
Mutter kam mir sorgenfrei und freudig entgegen. _Mina_ saß da, bleich und
schön, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die letzten Blumen
küßt, und gleich in bittres Wasser zerfließen wird. Der Forstmeister,
ein geschriebenes Blatt in der Hand, ging heftig auf und ab, und schien
vieles in sich zu unterdrücken, was, mit fliegender Röte und Blässe
wechselnd, sich auf seinem sonst unbeweglichen Gesichte malte. Er kam
auf mich zu, als ich hereintrat, und verlangte mit oft unterbrochenen
Worten, mich allein zu sprechen. Der Gang, auf den er mich, ihm zu
folgen, einlud, führte nach einem freien besonnten Teile des Gartens --
ich ließ mich stumm auf einen Sitz nieder, und es erfolgte ein langes
Schweigen, das selbst die gute Mutter nicht zu unterbrechen wagte.

Der Forstmeister stürmte immer noch ungleichen Schrittes die Laube auf
und ab, er stand mit einem Male vor mir still, blickte ins Papier, das
er hielt, und fragte mich mit prüfendem Blick: »Sollte Ihnen, Herr Graf,
ein gewisser _Peter Schlemihl_ wirklich nicht unbekannt sein?« Ich schwieg
-- »ein Mann von vorzüglichem Charakter und von besonderen Gaben --« Er
erwartete eine Antwort. -- »Und wenn ich selber der Mann wäre?« --
»Dem,« fügte er heftig hinzu, »sein Schatten abhanden gekommen ist!!« --
»O meine Ahnung, meine Ahnung!« rief _Mina_ aus, »ja ich weiß es längst,
er hat keinen Schatten!« und sie warf sich in die Arme der Mutter,
welche erschreckt, sie krampfhaft an sich schließend, ihr Vorwürfe
machte, daß sie zum Unheil solch ein Geheimnis in sich verschlossen. Sie
aber war, wie Arethusa, in einen Tränenquell gewandelt, der beim Klang
meiner Stimme häufiger floß, und bei meinem Nahen stürmisch aufbrauste.

»Und Sie haben,« hub der Forstmeister grimmig wieder an, »und Sie haben
mit unerhörter Frechheit diese und mich zu betrügen keinen Anstand
genommen; und Sie geben vor, sie zu lieben, die Sie so weit
heruntergebracht haben? Sehen Sie, wie sie da weint und ringt. O
schrecklich! schrecklich!«

Ich hatte dergestalt alle Besinnung verloren, daß ich, wie irre redend,
anfing: es wäre doch am Ende ein Schatten, nichts als ein Schatten, man
könne auch ohne das fertig werden, und es wäre nicht der Mühe wert,
solchen Lärm davon zu erheben. Aber ich fühlte so sehr den Ungrund von
dem, was ich sprach, daß ich von selbst aufhörte, ohne daß er mich einer
Antwort gewürdigt. Ich fügte noch hinzu: was man einmal verloren, könne
man ein andermal wieder finden.

Er fuhr mich zornig an. -- »Gestehen Sie mir's, mein Herr, gestehen Sie
mir's, wie sind Sie um Ihren Schatten gekommen?« Ich mußte wieder lügen:
»Es trat mir dereinst ein ungeschlachter Mann so flämisch in meinen
Schatten, daß er ein großes Loch darein riß -- ich habe ihn nur zum
Ausbessern gegeben, denn Gold vermag viel, ich habe ihn schon gestern
wieder bekommen sollen.«

»Wohl, mein Herr, ganz wohl!« erwiderte der Forstmeister, »Sie werben um
meine Tochter, das tun auch andre, ich habe als ein Vater für sie zu
sorgen, ich gebe Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher Sie sich nach
einem Schatten umtun mögen; erscheinen Sie binnen drei Tagen vor mir mit
einem wohlangepaßten Schatten, so sollen Sie mir willkommen sein: am
vierten Tage aber -- das sag' ich Ihnen -- ist meine Tochter die Frau
eines andern.« -- Ich wollte noch versuchen, ein Wort an _Mina_ zu
richten, aber sie schloß sich, heftiger schluchzend, fester an ihre
Mutter, und diese winkte mir stillschweigend, mich zu entfernen. Ich
schwankte hinweg, und mir war's, als schlösse sich hinter mir die Welt
zu.

Der liebevollen Aufsicht _Bendels_ entsprungen, durchschweifte ich in
irrem Lauf Wälder und Fluren. Angstschweiß troff von meiner Stirne, ein
dumpfes Stöhnen entrang sich meiner Brust, in mir tobte Wahnsinn.

Ich weiß nicht, wie lange es so gedauert haben mochte, als ich mich auf
einer sonnigen Heide beim Ärmel anhalten fühlte. -- Ich stand still und
sah mich um -- -- es war der Mann im grauen Rock, der sich nach mir
außer Atem gelaufen zu haben schien. Er nahm sogleich das Wort: »Ich
hatte mich auf den heutigen Tag angemeldet, Sie haben die Zeit nicht
erwarten können. Es steht aber alles noch gut, Sie nehmen Rat an,
tauschen Ihren Schatten wieder ein, der Ihnen zu Gebote steht, und
kehren sogleich wieder um. Sie sollen in dem Förstergarten willkommen
sein, und alles ist nur ein Scherz gewesen; den _Raskal_, der Sie verraten
hat und um Ihre Braut wirbt, nehm' ich auf mich, der Kerl ist reif.«

Ich stand noch wie im Schlafe da. -- »Auf den heutigen Tag angemeldet
--?« ich überdachte noch einmal die Zeit -- er hatte recht, ich hatte
mich stets um einen Tag verrechnet. Ich suchte mit der rechten Hand nach
dem Säckel auf meiner Brust -- er erriet meine Meinung und trat zwei
Schritte zurück.

»Nein, Herr Graf, der ist in zu guten Händen, den behalten Sie.« -- Ich
sah ihn mit stieren Augen, verwundert fragend an, er fuhr fort: »Ich
erbitte mir bloß eine Kleinigkeit zum Andenken, Sie sind nur so gut und
unterschreiben mir den Zettel da.« -- Auf dem Pergamente standen die
Worte:

   »Kraft dieser meiner Unterschrift vermache ich dem Inhaber dieses
   meine Seele nach ihrer natürlichen Trennung von meinem Leibe.«

Ich sah mit stummem Staunen die Schrift und den grauen Unbekannten
abwechselnd an. -- Er hatte unterdessen mit einer neu geschnittenen
Feder einen Tropfen Bluts aufgefangen, der mir aus einem frischen
Dornriß auf die Hand floß, und hielt sie mir hin.

»Wer sind Sie denn?« frug ich ihn endlich. »Was tut's,« gab er mir zur
Antwort, »und sieht man es mir nicht an? Ein armer Teufel, gleichsam so
eine Art von Gelehrten und Physikus, der von seinen Freunden für
vortreffliche Künste schlechten Dank erntet, und für sich selber auf
Erden keinen andern Spaß hat, als sein bißchen Experimentieren -- aber
unterschreiben Sie doch. Rechts, da unten: _Peter Schlemihl_.«

Ich schüttelte mit dem Kopf und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr, das
unterschreibe ich nicht.« -- »Nicht?« wiederholte er verwundert, »und
warum nicht?«

»Es scheint mir doch gewissermaßen bedenklich, meine Seele an meinen
Schatten zu setzen.« -- -- »So, so!« wiederholte er, »bedenklich,« und
er brach in ein lautes Gelächter gegen mich aus. »Und, wenn ich fragen
darf, was ist denn das für ein Ding, Ihre Seele? haben Sie es je
gesehen, und was denken Sie damit anzufangen, wenn Sie einst tot sind?
Seien Sie doch froh, einen Liebhaber zu finden, der Ihnen bei Lebenszeit
noch den Nachlaß dieses #X#, dieser galvanischen Kraft oder
polarisierenden Wirksamkeit, und was alles das närrische Ding sein soll,
mit etwas Wirklichem bezahlen will, nämlich mit Ihrem leibhaftigen
Schatten, durch den Sie zu der Hand Ihrer Geliebten und zu der Erfüllung
aller Ihrer Wünsche gelangen können. Wollen Sie lieber selbst das arme
junge Blut dem niederträchtigen Schurken, dem _Raskal_, zustoßen und
ausliefern? -- Nein, das müssen Sie doch mit eignen Augen ansehen;
kommen Sie, ich leihe Ihnen die Tarnkappe hier« (er zog etwas aus der
Tasche) »und wir wallfahren ungesehen nach dem Förstergarten.«

Ich muß gestehen, daß ich mich überaus schämte, von diesem Manne
ausgelacht zu werden. Er war mir von Herzensgrunde verhaßt, und ich
glaube, daß mich dieser persönliche Widerwille mehr als Grundsätze oder
Vorurteile abhielt, meinen Schatten, so notwendig er mir auch war, mit
der begehrten Unterschrift zu erkaufen. Auch war mir der Gedanke
unerträglich, den Gang, den er mir antrug, in seiner Gesellschaft zu
unternehmen. Diesen häßlichen Schleicher, diesen hohnlächelnden Kobold,
zwischen mich und meine Geliebte, zwei blutig zerrissene Herzen,
spöttisch hintreten zu sehen, empörte mein innigstes Gefühl. Ich nahm,
was geschehen war, als verhängt an, mein Elend als unabwendbar, und mich
zu dem Manne kehrend, sagte ich ihm: »Mein Herr, ich habe Ihnen meinen
Schatten für diesen an sich sehr vorzüglichen Säckel verkauft, und es
hat mich genug gereut. Kann der Handel zurückgehen, in Gottes Namen!« Er
schüttelte mit dem Kopf und zog ein sehr finsteres Gesicht. Ich fuhr
fort: »So will ich Ihnen auch weiter nichts von meiner Habe verkaufen,
sei es auch um den angebotenen Preis meines Schattens, und
unterschreibe also nichts. Daraus läßt sich auch abnehmen, daß die
Verkappung, zu der Sie mich einladen, ungleich belustigender für Sie als
für mich ausfallen müßte; halten Sie mich also für entschuldigt, und da
es einmal nicht anders ist -- laßt uns scheiden!« --

»Es ist mir leid, Monsieur _Schlemihl_, daß Sie eigensinnig das Geschäft
von der Hand weisen, das ich Ihnen freundschaftlich anbot. Indessen,
vielleicht bin ich ein andermal glücklicher. Auf baldiges Wiedersehen!
-- Apropos, erlauben Sie mir noch, Ihnen zu zeigen, daß ich die Sachen,
die ich kaufe, keineswegs verschimmeln lasse, sondern in Ehren halte,
und daß sie bei mir gut aufgehoben sind.« --

Er zog sogleich meinen Schatten aus seiner Tasche, und ihn mit einem
geschickten Wurf auf der Heide entfaltend, breitete er ihn auf der
Sonnenseite zu seinen Füßen aus, so, daß er zwischen den beiden ihm
aufwartenden Schatten, dem meinen und dem seinen, daher ging, denn
meiner mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach allen seinen Bewegungen
sich richten und bequemen.

Als ich nach so langer Zeit einmal meinen armen Schatten wieder sah, und
ihn zu solchem schnöden Dienste herabgewürdigt fand, eben als ich um
seinetwillen in so namenloser Not war, da brach mir das Herz, und ich
fing bitterlich zu weinen an. Der Verhaßte stolzierte mit dem mir
abgejagten Raub, und erneuerte unverschämt seinen Antrag: »Noch ist er
für Sie zu haben, ein Federzug, und Sie retten damit die arme
unglückliche _Mina_ aus des Schuftes Klauen in des hochgeehrten Herrn
Grafen Arme -- wie gesagt, nur ein Federzug.« Meine Tränen brachen mir
erneuter Kraft hervor, aber ich wandte mich weg, und winkte ihm, sich zu
entfernen.

_Bendel_, der voller Sorgen meine Spuren bis hierher verfolgt hatte, traf
in diesem Augenblick ein. Als mich die treue, fromme Seele weinend
fand, und meinen Schatten, denn er war nicht zu verkennen, in der Gewalt
des wunderlichen grauen Unbekannten sah, beschloß er gleich, sei es auch
mit Gewalt, mich in den Besitz meines Eigentums wiederherzustellen, und
da er selbst mit dem zarten Dinge nicht umzugehen verstand, griff er
gleich den Mann mit Worten an, und ohne vieles Fragen gebot er ihm
stracks, mir das Meine unverzüglich verabfolgen zu lassen. Dieser, statt
aller Antwort, kehrte dem unschuldigen Burschen den Rücken und ging.
_Bendel_ aber erhob den Kreuzdornknüttel, den er trug, und, ihm auf den
Fersen folgend, ließ er ihn schonungslos unter wiederholtem Befehl, den
Schatten herzugeben, die volle Kraft seines nervichten Armes fühlen.
Jener, als sei er solcher Behandlung gewohnt, bückte den Kopf, wölbte
die Schultern, und zog stillschweigend ruhigen Schrittes seinen Weg über
die Heide weiter, mir meinen Schatten zugleich und meinen treuen Diener
entführend. Ich hörte lange noch den dumpfen Schall durch die Einöde
dröhnen, bis er sich endlich in der Entfernung verlor. Einsam war ich
wie vorher mit meinem Unglück.


6.

Allein zurückgeblieben auf der öden Heide, ließ ich unendlichen Tränen
freien Lauf, mein armes Herz von namenloser banger Last erleichternd.
Aber ich sah meinem überschwenglichen Elend keine Grenzen, keinen
Ausgang, kein Ziel, und ich sog besonders mit grimmigem Durst an dem
neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wunden gegossen. Als ich _Minas_
Bild vor meine Seele rief und die geliebte, süße Gestalt bleich und in
Tränen mir erschien, wie ich sie zuletzt in meiner Schmach gesehen, da
trat frech und höhnend _Raskals_ Schemen zwischen sie und mich, ich
verhüllte mein Gesicht und floh durch die Einöde, aber die scheußliche
Erscheinung gab mich nicht frei, sondern verfolgte mich im Laufe, bis
ich atemlos an den Boden sank und die Erde mit erneuertem Tränenquell
befeuchtete.

Und alles um einen Schatten! Und diesen Schatten hätte mir ein Federzug
wieder erworben. Ich überdachte den befremdenden Antrag und meine
Weigerung. Es war wüst in mir, ich hatte weder Urteil noch
Fassungsvermögen mehr.

Der Tag verging, ich stillte meinen Hunger mit wilden Früchten, meinen
Durst im nächsten Bergstrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter
einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf, in
dem ich mich selber wie im Tode röcheln hörte. _Bendel_ mußte meine Spur
verloren haben und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter
die Menschen zurückkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das
scheue Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage.

Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer sandigen Ebene, welche
die Sonne beschien, und saß auf Felsentrümmern in ihrem Strahl, denn ich
liebte jetzt, ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte
still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich ein leises
Geräusch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich
sah niemand: aber es kam auf dem sonnigen Sande an mir vorbeigeglitten
ein Menschenschatten, dem meinigen nicht unähnlich, welcher, allein
daherwandelnd, von seinem Herrn abgekommen zu sein schien.

Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht' ich, suchst du
deinen Herrn? der will ich sein. Und ich sprang hinzu, mich seiner zu
bemächtigen; ich dachte nämlich, daß, wenn es mir glückte, in seine Spur
zu treten, so, daß er mir an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben
würde und sich mit der Zeit an mich gewöhnen.

Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir die Flucht, und ich mußte
auf den leichten Flüchtling eine angestrengte Jagd beginnen, zu der mich
allein der Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu
retten, mit hinreichenden Kräften ausrüsten konnte. Er floh einem
freilich noch entfernten Walde zu, in dessen Schatten ich ihn notwendig
hätte verlieren müssen, ich sah's, ein Schreck durchzuckte mir das Herz,
fachte meine Begierde an, beflügelte meinen Lauf -- ich gewann
sichtbarlich auf den Schatten, ich kam ihm nach und nach näher, ich
mußte ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an und kehrte sich nach mir
um. Wie der Löwe auf seine Beute, so schoß ich mit einem gewaltigen
Sprunge hinzu, um ihn in Besitz zu nehmen -- und traf unerwartet und
hart auf körperlichen Widerstand. Es wurden mir unsichtbar die
unerhörtesten Rippenstöße erteilt, die wohl je ein Mensch gefühlt hat.

Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme krampfhaft zuzuschlagen
und fest zu drücken, was ungesehen vor mir stand. Ich stürzte in der
schnellen Handlung vorwärts gestreckt auf den Boden; rückwärts aber
unter mir ein Mensch, den ich umfaßt hielt und der jetzt erst sichtbar
erschien.

Nun ward mir auch das ganze Ereignis sehr natürlich erklärbar. Der Mann
mußte das unsichtbare Vogelnest, das den, der es hält, nicht aber seinen
Schatten unsichtbar macht, erst getragen und jetzt weggeworfen haben.
Ich spähte mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des
unsichtbaren Nestes selbst, sprang auf und hinzu und verfehlte nicht den
teuern Raub. Ich hielt unsichtbar, schattenlos das Nest in Händen.

Der schnell sich aufrichtende Mann, sich sogleich nach seinem beglückten
Bezwinger umsehend, erblickte auf der weiten sonnigen Ebene weder ihn
noch dessen Schatten, nach dem er besonders ängstlich umherlauschte.
Denn daß ich an und für mich schattenlos war, hatte er vorher nicht Muße
gehabt zu bemerken und konnte es nicht vermuten. Als er sich überzeugt,
daß jede Spur verschwunden, kehrte er in der höchsten Verzweiflung die
Hand gegen sich selber und raufte sich das Haar aus. Mir aber gab der
errungene Schatz die Möglichkeit und die Begierde zugleich, mich wieder
unter die Menschen zu mischen. Es fehlte mir nicht an Vorwand gegen mich
selber, meinen schnöden Raub zu beschönigen, oder vielmehr, ich bedurfte
solches nicht, und jedem Gedanken der Art zu entweichen, eilte ich
hinweg, nach dem Unglücklichen nicht zurückschauend, dessen ängstliche
Stimme ich mir noch lange nachschallen hörte. So wenigstens kamen mir
damals alle Umstände dieses Ereignisses vor.

Ich brannte, nach dem Förstergarten zu gehen und durch mich selbst die
Wahrheit dessen zu erkennen, was mir jener Verhaßte verkündigt hatte;
ich wußte aber nicht, wo ich war, ich bestieg, um mich in der Gegend
umzuschauen, den nächsten Hügel, ich sah von seinem Gipfel das nahe
Städtchen und den Förstergarten zu meinen Füßen liegen. -- Heftig
klopfte mir das Herz und Tränen einer andern Art, als die ich bis dahin
vergossen, traten mir in die Augen: ich sollte sie wiedersehen. -- Bange
Sehnsucht beschleunigte meine Schritte auf dem richtigsten Pfad hinab.
Ich kam ungesehen an einigen Bauern vorbei, die aus der Stadt kamen. Sie
sprachen von mir, _Raskal_ und dem Förster; ich wollte nichts anhören, ich
eilte vorüber.

Ich trat in den Garten, alle Schauer der Erwartung in der Brust -- mir
schallte es wie ein Lachen entgegen, mich schauderte, ich warf einen
schnellen Blick um mich her; ich konnte niemand entdecken. Ich schritt
weiter vor, mir war's, als vernähme ich neben mir ein Geräusch wie von
Menschentritten; es war aber nichts zu sehen: ich dachte mich von meinem
Ohr getäuscht. Es war noch früh, niemand in _Graf Peters_ Laube, noch leer
der Garten; ich durchschweifte die bekannten Gänge, ich drang bis nach
dem Wohnhause vor. Dasselbe Geräusch verfolgte mich vernehmlicher. Ich
setzte mich mit angstvollem Herzen auf eine Bank, die im sonnigen Raume
der Haustür gegenüberstand. Es ward mir, als hörte ich den ungesehenen
Kobold sich hohnlachend neben mich setzen. Der Schlüssel ward in der Tür
gedreht, sie ging auf, der Forstmeister trat heraus, mit Papieren in der
Hand. Ich fühlte mir wie Nebel über den Kopf ziehn, ich sah mich um und
-- Entsetzen -- der Mann im grauen Rock saß neben mir, mit satanischem
Lächeln auf mich blickend. -- Er hatte mir seine Tarnkappe mit über den
Kopf gezogen, zu seinen Füßen lagen sein und mein Schatten friedlich
nebeneinander; er spielte nachlässig mit dem bekannten Pergament, das er
in der Hand hielt, und indem der Forstmeister mit den Papieren
beschäftigt im Schatten der Laube auf und ab ging -- beugte er sich
vertraulich zu meinem Ohr und flüsterte mir die Worte: »So hätten Sie
denn doch meine Einladung angenommen und da säßen wir einmal zwei Köpfe
unter einer Kappe! -- Schon recht, schon recht! Nun geben Sie mir aber
auch mein Vogelnest zurück, Sie brauchen es nicht mehr und sind ein zu
ehrlicher Mann, um es mir vorenthalten zu wollen -- doch keinen Dank
dafür, ich versichere Sie, daß ich es Ihnen von Herzen gern geliehen
habe.« -- Er nahm es unweigerlich aus meiner Hand, steckte es in die
Tasche und lachte mich abermals aus, und zwar so laut, daß sich der
Forstmeister nach dem Geräusch umsah. -- Ich saß wie versteinert da.

»Sie müssen mir doch gestehen,« fuhr er fort, »daß so eine Kappe viel
bequemer ist. Sie deckt doch nicht nur ihren Mann, sondern auch seinen
Schatten mit, und noch so viele andre, als er mitzunehmen Lust hat.
Sehen Sie, heute führ' ich wieder ihrer zwei.« -- Er lachte wieder.
»Merken Sie sich's, _Schlemihl_, was man anfangs mit Gutem nicht will, das
muß man am Ende doch gezwungen. Ich dächte noch, Sie kauften mir das
Ding ab, nähmen die Braut zurück (denn noch ist es Zeit) und wir ließen
den _Raskal_ am Galgen baumeln, das wird uns ein leichtes, solange es am
Stricke nicht fehlt. -- Hören Sie, ich gebe Ihnen noch meine Mütze in
den Kauf.«

Die Mutter trat heraus und das Gespräch begann. -- »Was macht _Mina_?« --
»Sie weint.« -- »Einfältiges Kind! es ist doch nicht zu ändern!« --
»Freilich nicht; aber sie so früh einem andern zu geben -- -- O Mann, du
bist grausam gegen dein eignes Kind.« -- »Nein, Mutter, das siehst du
sehr falsch. Wenn sie, noch bevor sie ihre doch kindischen Tränen
ausgeweint hat, sich als die Frau eines sehr reichen und geehrten Mannes
findet, wird sie getröstet aus ihrem Schmerze wie aus einem Traum
erwachen und Gott und uns danken, das wirst du sehen!« -- »Gott gebe
es!« -- »Sie besitzt freilich jetzt sehr ansehnliche Güter; aber nach
dem Aufsehen, das die unglückliche Geschichte mit dem Abenteurer gemacht
hat, glaubst du, daß sich so bald eine andre für sie so passende Partie,
als der Herr _Raskal_, finden möchte? Weißt du, was für ein Vermögen er
besitzt, der Herr _Raskal_? Er hat für sechs Millionen Güter hier im
Lande, frei von allen Schulden, bar bezahlt. Ich habe die Dokumente in
den Händen gehabt! Er war's, der mir überall das Beste vorweg genommen
hat; und außerdem im Portefeuille Papiere auf _Thomas John_ für zirka
viertehalb Millionen.« -- »Er muß sehr viel gestohlen haben.« -- »Was
sind das wieder für Reden! Er hat weislich gespart, wo verschwendet
wurde.« -- »Ein Mann, der die Livree getragen hat.« -- »Dummes Zeug! er
hat doch einen untadligen Schatten.« -- »Du hast recht, aber -- --«

Der Mann im grauen Rock lachte und sah mich an. Die Türe ging auf und
_Mina_ trat heraus. Sie stützte sich auf den Arm einer Kammerfrau, stille
Tränen flossen auf ihre schönen blassen Wangen. Sie setzte sich in einen
Sessel, der für sie unter den Linden bereitet war, und ihr Vater nahm
einen Stuhl neben ihr. Er faßte zärtlich ihre Hand und redete sie, die
heftig zu weinen anfing, mit zarten Worten an: »Du bist mein gutes,
liebes Kind, du wirst auch vernünftig sein, wirst nicht deinen alten
Vater betrüben wollen, der nur dein Glück will; ich begreife es wohl,
liebes Herz, daß es dich sehr erschüttert hat, du bist wunderbar deinem
Unglück entkommen! Bevor wir den schändlichen Betrug entdeckt, hast du
diesen Unwürdigen sehr geliebt! Siehe, _Mina_, ich weiß es und mache dir
keine Vorwürfe darüber. Ich selber, liebes Kind, habe ihn auch geliebt,
solange ich ihn für einen großen Herrn angesehen habe. Nun siehst du
selber ein, wie anders alles geworden. Was! ein jeder Pudel hat ja
seinen Schatten, und mein liebes einziges Kind sollte einen Mann -- --
Nein, du denkst auch gar nicht mehr an ihn. -- Höre, _Mina_, nun wirbt ein
Mann um dich, der die Sonne nicht scheut, ein geehrter Mann, der
freilich kein Fürst ist, aber zehn Millionen, zehnmal mehr als du, im
Vermögen besitzt, ein Mann, der mein liebes Kind glücklich machen wird.
Erwidere mir nichts, widersetze dich nicht, sei meine gute, gehorsame
Tochter, laß deinen liebenden Vater für dich sorgen, deine Tränen
trocknen. Versprich mir, dem Herrn _Raskal_ deine Hand zu geben. -- Sage,
willst du mir dies versprechen?« --

Sie antwortete mit erstorbener Stimme: »Ich habe keinen Willen, keinen
Wunsch fürder auf Erden. Geschehe mit mir, was mein Vater will.«
Zugleich ward Herr _Raskal_ angemeldet und trat frech in den Kreis. _Mina_
lag in Ohnmacht. Mein verhaßter Gefährte blickte mich zornig an und
flüsterte mir die schnellen Worte: »Und das könnten Sie erdulden! Was
fließt Ihnen denn statt des Blutes in den Adern?« Er ritzte mir mit
einer raschen Bewegung eine leichte Wunde in die Hand, es floß Blut, er
fuhr fort: »Wahrhaftig! rotes Blut! -- So unterschreiben Sie!« Ich hatte
das Pergament und die Feder in Händen.


7.

Ich werde mich deinem Urteile bloßstellen, lieber _Chamisso_, und es nicht
zu bestechen suchen. Ich selbst habe lange strenges Gericht an mir
selber vollzogen, denn ich habe den quälenden Wurm in meinem Herzen
genährt. Es schwebte immerwährend dieser ernste Moment meines Lebens vor
meiner Seele, und ich vermocht' es nur zweifelnden Blickes, mit Demut
und Zerknirschung anzuschauen. -- Lieber Freund, wer leichtsinnig nur
den Fuß aus der geraden Straße setzt, der wird unversehens in andre
Pfade abgeführt, die abwärts und immer abwärts ihn ziehen; er sieht dann
umsonst die Leitsterne am Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er
muß unaufhaltsam den Abhang hinab, und sich selbst der Nemesis opfern.
Nach dem übereilten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt' ich
durch Liebe frevelnd in eines andern Wesens Schicksal mich gedrängt; was
blieb mir übrig, als, wo ich Verderben gesät, wo schnelle Rettung von
mir geheischt ward, eben rettend blindlings hinzuzuspringen? denn die
letzte Stunde schlug. -- Denke nicht so niedrig von mir, mein _Adelbert_,
als zu meinen, es hätte mich irgendein geforderter Preis zu teuer
gedünkt, ich hätte mit irgend etwas, was nur mein war, mehr als eben mit
Gold gekargt. -- Nein, _Adelbert_; aber mit unüberwindlichem Hasse gegen
diesen rätselhaften Schleicher auf krummen Wegen war meine Seele
angefüllt. Ich mochte ihm unrecht tun, doch empörte mich jede
Gemeinschaft mit ihm. -- Auch hier trat, wie so oft schon in mein Leben,
und wie überhaupt so oft in die Weltgeschichte, ein Ereignis an die
Stelle einer Tat. Später habe ich mich mit mir selber versöhnt. Ich habe
erstlich die Notwendigkeit verehren lernen, und was ist mehr als die
getane Tat, das geschehene Ereignis, ihr Eigentum! Dann hab' ich auch
diese Notwendigkeit als eine weise Fügung verehren lernen, die durch das
gesamte große Getrieb' weht, darin wir bloß als mitwirkende, getriebene
treibende Räder eingreifen: was sein soll, muß geschehen, was sein
sollte, geschah, und nicht ohne jene Fügung, die ich endlich noch in
meinem Schicksale und dem Schicksale derer, die das meine mit angriff,
verehren lernte.

Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele, unter dem Drange so
mächtiger Empfindungen, zuschreiben soll, ob der Erschöpfung meiner
physischen Kräfte, die während der letzten Tage ungewohntes Darben
geschwächt, ob endlich dem zerstörenden Aufruhr, den die Nähe dieses
grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug, es befiel mich,
als es an das Unterschreiben ging, eine tiefe Ohnmacht, und ich lag eine
lange Zeit wie in den Armen des Todes.

Fußstampfen und Fluchen waren die ersten Töne, die mein Ohr trafen, als
ich zum Bewußtsein zurückkehrte; ich öffnete die Augen, es war dunkel,
mein verhaßter Begleiter war scheltend um mich bemüht. »Heißt das nicht
wie ein altes Weib sich aufführen! -- Man raffe sich auf und vollziehe
frisch, was man beschlossen, oder hat man sich anders besonnen und will
lieber greinen?« -- Ich richtete mich mühsam auf von der Erde, wo ich
lag, und schaute schweigend um mich. Es war später Abend, aus dem
hellerleuchteten Försterhause erscholl festliche Musik, einzelne Gruppen
von Menschen wallten durch die Gänge des Gartens. Ein paar traten im
Gespräche näher und nahmen Platz auf der Bank, worauf ich früher
gesessen hatte. Sie unterhielten sich von der an diesem Morgen
vollzogenen Verbindung des reichen Herrn _Raskal_ mit der Tochter des
Hauses. -- Es war also geschehen. --

Ich streifte mit der Hand die Tarnkappe des sogleich mir verschwindenden
Unbekannten von meinem Haupte weg, und eilte stillschweigend, in die
tiefste Nacht des Gebüsches mich versenkend, den Weg über _Graf Peters_
Laube einschlagend, dem Ausgange des Gartens zu. Unsichtbar aber
geleitete mich mein Plagegeist, mich mit scharfen Worten verfolgend.
»Das ist also der Dank für die Mühe, die man genommen hat, Monsieur, der
schwache Nerven hat, den langen lieben Tag hindurch zu pflegen. Und man
soll den Narren im Spiele abgeben. Gut, Herr Trotzkopf, fliehn Sie nur
vor mir, wir sind doch unzertrennlich. Sie haben mein Gold und ich Ihren
Schatten; das läßt uns beiden keine Ruhe. -- Hat man je gehört, daß ein
Schatten von seinem Herrn gelassen hätte? Ihrer zieht mich Ihnen nach,
bis Sie ihn wieder zu Gnaden annehmen und ich ihn los bin. Was Sie
versäumt haben aus frischer Lust zu tun, werden Sie nur zu spät aus
Überdruß und Langweile nachholen müssen; man entgeht seinem Schicksale
nicht.« Er sprach aus demselben Tone fort und fort; ich floh umsonst, er
ließ nicht nach, und immer gegenwärtig, redete er höhnend von Gold und
Schatten. Ich konnte zu keinem eignen Gedanken kommen.

Ich hatte durch menschenleere Straßen einen Weg nach meinem Hause
eingeschlagen. Als ich davor stand und es ansah, konnte ich es kaum
erkennen; hinter den eingeschlagenen Fenstern brannte kein Licht. Die
Türen waren zu, kein Dienervolk regte sich mehr darin. Er lachte laut
auf neben mir: »Ja, ja, so geht's! Aber Ihren _Bendel_ finden Sie wohl
daheim, den hat man jüngst vorsorglich so müde nach Hause geschickt, daß
er es wohl seitdem gehütet haben wird.« Er lachte wieder. »Der wird
Geschichten zu erzählen haben! -- Wohlan denn! für heute gute Nacht, auf
baldiges Wiedersehen!«

Ich hatte wiederholt geklingelt, es erschien Licht; _Bendel_ frug von
innen, wer geklingelt habe. Als der gute Mann meine Stimme erkannte,
konnte er seine Freude kaum bändigen; die Tür flog auf, wir lagen
weinend einander in den Armen. Ich fand ihn sehr verändert, schwach und
krank; mir war aber das Haar ganz grau geworden.

Er führte mich durch die verödeten Zimmer nach einem innern, verschont
gebliebenen Gemach; er holte Speise und Trank herbei, wir setzten uns,
er fing wieder an zu weinen. Er erzählte mir, daß er letzthin den grau
gekleideten dürren Mann, den er mit meinem Schatten angetroffen hatte,
so lange und so weit geschlagen habe, bis er selbst meine Spur verloren
und vor Müdigkeit hingesunken sei; daß nachher, wie er mich nicht wieder
finden gekonnt, er nach Hause zurückgekehrt, wo bald darauf der Pöbel,
auf _Raskals_ Anstiften, herangestürmt, die Fenster eingeschlagen und
seine Zerstörungslust gebüßt. So hatten sie an ihrem Wohltäter
gehandelt. Meine Dienerschaft war auseinander geflohen. Die örtliche
Polizei hatte mich als verdächtig aus der Stadt verwiesen, und mir eine
Frist von vierundzwanzig Stunden festgesetzt, um deren Gebiet zu
verlassen. Zu dem, was mir von _Raskals_ Reichtum und Vermählung bekannt
war, wußte er noch vieles hinzuzufügen. Dieser Bösewicht, von dem alles
ausgegangen, was hier gegen mich geschehen war, mußte von Anbeginn mein
Geheimnis besessen haben, es schien, er habe, vom Golde angezogen, sich
an mich zu drängen gewußt, und schon in der ersten Zeit einen Schlüssel
zu jenem Goldschrank sich verschafft, wo er den Grund zu dem Vermögen
gelegt, das noch zu vermehren er jetzt verschmähen konnte.

Das alles erzählte mir _Bendel_ unter häufigen Tränen, und weinte dann
wieder vor Freuden, daß er mich wieder sah, mich wieder hatte, und daß,
nachdem er lang gezweifelt, wohin das Unglück mich gebracht haben
möchte, er mich es ruhig und gefaßt ertragen sah. Denn solche Gestaltung
hatte nun die Verzweiflung in mir genommen. Ich sah mein Elend
riesengroß, unwandelbar vor mir, ich hatte ihm meine Tränen ausgeweint,
es konnte kein Geschrei mehr aus meiner Brust pressen, ich trug ihm kalt
und gleichgültig mein entblößtes Haupt entgegen.

»_Bendel_,« hub ich an, »du weißt mein Los. Nicht ohne früheres
Verschulden trifft mich schwere Strafe. Du sollst länger nicht,
unschuldiger Mann, dein Schicksal an das meine binden, ich will es
nicht. Ich reite die Nacht noch fort, sattle mir ein Pferd, ich reite
allein; du bleibst, ich will's. Es müssen hier noch einige Kisten Goldes
liegen, das behalte du. Ich werde allein unstet in der Welt wandern;
wann mir aber je eine heitere Stunde wieder lacht und das Glück mich
versöhnt anblickt, dann will ich deiner getreu gedenken, denn ich habe
an deiner getreuen Brust in schweren, schmerzlichen Stunden geweint.«

Mit gebrochenem Herzen mußte der Redliche diesem letzten Befehle seines
Herrn, worüber er in der Seele erschrak, gehorchen; ich war seinen
Bitten, seinen Vorstellungen taub, blind seinen Tränen; er führte mir
das Pferd vor. Ich drückte noch einmal den Weinenden an meine Brust,
schwang mich in den Sattel und entfernte mich unter dem Mantel der Nacht
von dem Grabe meines Lebens, unbekümmert, welchen Weg mein Pferd mich
führen werde; denn ich hatte weiter auf Erden kein Ziel, keinen Wunsch,
keine Hoffnung.


8.

Es gesellte sich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich bat, nachdem er
eine Weile neben meinem Pferde geschritten war, da wir doch denselben
Weg hielten, einen Mantel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu
dürfen, ich ließ es stillschweigend geschehen. Er dankte mir mit
leichtem Anstand für den leichten Dienst, lobte mein Pferd, nahm daraus
Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu preisen, und
ließ sich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbstgespräch ein, bei
dem er mich bloß zum Zuhörer hatte.

Er entfaltete seine Ansichten von dem Leben und der Welt, und kam sehr
bald auf die Metaphysik, an die die Forderung erging, das Wort
aufzufinden, das aller Rätsel Lösung sei. Er setzte die Aufgabe mit
vieler Klarheit auseinander und schritt fürder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe, seitdem ich den
Philosophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philosophischen
Spekulation keineswegs berufen bin, und daß ich mir dieses Feld völlig
abgesprochen habe; ich habe seither vieles auf sich beruhen lassen,
vieles zu wissen und zu begreifen Verzicht geleistet und bin, wie du es
mir selber geraten, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir,
soviel es in meiner Macht gewesen, auf dem eignen Wege gefolgt. Nun
schien mir dieser Redekünstler mit großem Talent ein fest gefügtes
Gebäude aufzuführen, das in sich selbst begründet sich emportrug und wie
durch eine innere Notwendigkeit bestand. Nur vermißt' ich ganz in ihm,
was ich eben darin hätte suchen wollen, und so ward es mir zu einem
bloßen Kunstwerk, dessen zierliche Geschlossenheit und Vollendung dem
Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich hörte dem wohlberedeten Manne
gerne zu, der meine Aufmerksamkeit von meinen Leiden auf sich selbst
abgelenkt, und ich hätte mich willig ihm ergeben, wenn er meine Seele
wie meinen Verstand in Anspruch genommen hätte.

Mittlerweile war die Zeit hingegangen und unbemerkt hatte schon die
Morgendämmerung den Himmel erhellt; ich erschrak, als ich mit einem Male
aufblickte und im Osten die Pracht der Farben sich entfalten sah, die
die nahe Sonne verkünden, und gegen sie war in dieser Stunde, wo die
Schlagschatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prunken, kein Schutz, kein
Bollwerk in der offenen Gegend zu ersehen! und ich war nicht allein! Ich
warf einen Blick auf meinen Begleiter und erschrak wieder. -- Es war
kein andrer als der Mann im grauen Rock.

Er lächelte über meine Bestürzung und fuhr fort, ohne mich zum Wort
kommen zu lassen: »Laßt doch, wie es einmal in der Welt Sitte ist,
unsern wechselseitigen Vorteil uns auf eine Weile verbinden, zu scheiden
haben wir immer noch Zeit. Die Straße hier längs dem Gebirge, ob Sie
gleich noch nicht daran gedacht haben, ist doch die einzige, die Sie
vernünftigerweise einschlagen können; hinab in das Tal dürfen Sie nicht
und über das Gebirg' werden Sie noch weniger zurückkehren wollen, von wo
Sie hergekommen sind -- diese ist auch gerade meine Straße. -- Ich sehe
Sie schon vor der aufgehenden Sonne erblassen. Ich will Ihnen Ihren
Schatten auf die Zeit unsrer Gesellschaft leihen, und Sie dulden mich
dafür in Ihrer Nähe; Sie haben so Ihren _Bendel_ nicht mehr bei sich; ich
will Ihnen gute Dienste leisten. Sie lieben mich nicht, das ist mir
leid. Sie können mich darum doch benutzen. Der Teufel ist nicht so
schwarz, als man ihn malt. Gestern haben Sie mich geärgert, das ist
wahr, heute will ich's Ihnen nicht nachtragen und ich habe Ihnen schon
den Weg bis hierher verkürzt, das müssen Sie selbst gestehen. -- Nehmen
Sie doch nur einmal Ihren Schatten auf Probe wieder an.«

Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße kamen uns Menschen entgegen;
ich nahm, obgleich mit innerlichem Widerwillen, den Antrag an. Er ließ
lächelnd meinen Schatten zur Erde gleiten, der alsbald seine Stelle auf
des Pferdes Schatten einnahm und lustig neben mir her trabte. Mir war
sehr seltsam zumute. Ich ritt an einem Trupp Landleute vorbei, die vor
einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit entblößtem Haupte Platz machten.
Ich ritt weiter und blickte gierigen Auges und klopfenden Herzens
seitwärts vom Pferde herab auf diesen sonst meinen Schatten, den ich
jetzt von einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt hatte.

Dieser ging unbekümmert nebenher und pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß,
ich zu Pferd', ein Schwindel ergriff mich, die Versuchung war zu groß,
ich wandte plötzlich die Zügel, drückte beide Sporen an, und so in
voller Karriere einen Seitenweg eingeschlagen; aber ich entführte den
Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pferde glitt und seinen
gesetzmäßigen Eigentümer auf der Landstraße erwartete. Ich mußte
beschämt umlenken; der Mann im grauen Rocke, als er ungestört sein
Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, setzte mir den Schatten
wieder zurecht und belehrte mich, er würde erst an mir festhangen und
bei mir bleiben wollen, wann ich ihn wiederum als rechtmäßiges Eigentum
besitzen würde. »Ich halte Sie,« fuhr er fort, »am Schatten fest und Sie
kommen mir nicht los. Ein reicher Mann, wie Sie, braucht einmal einen
Schatten, das ist nicht anders, Sie sind nur darin zu tadeln, daß Sie es
nicht früher eingesehen haben.«

Ich setzte meine Reise auf derselben Straße fort; es fanden sich bei mir
alle Bequemlichkeiten des Lebens und selbst ihre Pracht wieder ein; ich
konnte mich frei und leicht bewegen, da ich einen, obgleich nur
erborgten, Schatten besaß, und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die
der Reichtum gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein
wundersamer Begleiter, der sich selbst für den unwürdigen Diener des
reichsten Mannes in der Welt ausgab, war von einer außerordentlichen
Dienstfertigkeit, über die Maßen gewandt und geschickt, der wahre
Inbegriff eines Kammerdieners für einen reichen Mann, aber er wich nicht
von meiner Seite und führte unaufhörlich das Wort gegen mich, stets die
größte Zuversicht an den Tag legend, daß ich endlich, sei es auch nur,
um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten abschließen würde. --
Er war mir ebenso lästig als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm
fürchten. Ich hatte mich von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich,
nachdem er mich in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh,
zurückgeführt hatte. Ich mußte seine Beredsamkeit über mich ergehen
lassen und fühlte schier, er habe recht. Ein Reicher muß in der Welt
einen Schatten haben, und sobald ich den Stand behaupten wollte, den er
mich wieder geltend zu machen verleitet hatte, war nur ein Ausgang zu
ersehen. Dieses aber stand bei mir fest, nachdem ich meine Liebe
hingeopfert, nachdem mir das Leben verblaßt war, wollt' ich meine Seele
nicht, sei es um alle Schatten der Welt, dieser Kreatur verschreiben.
Ich wußte nicht, wie es enden sollte.

Wir saßen einst vor einer Höhle, welche die Fremden, die das Gebirge
bereisen, zu besuchen pflegen. Man hört dort das Gebrause unterirdischer
Ströme aus ungemessener Tiefe heraufschallen, und kein Grund scheint den
Stein, den man hineinwirft, in seinem hallenden Fall aufzuhalten. Er
malte mir, wie er öfters tat, mit verschwenderischer Einbildungskraft
und im schimmernden Reize der glänzendsten Farben, sorgfältig
ausgeführte Bilder von dem, was ich in der Welt, kraft meines Säckels,
ausführen würde, wenn ich erst meinen Schatten wieder in meiner Gewalt
hätte. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, hielt ich mein Gesicht in
meinen Händen verborgen und hörte dem Falschen zu, das Herz zwiefach
geteilt zwischen der Verführung und dem strengen Willen in mir. Ich
konnte bei solchem innerlichen Zwiespalt länger nicht ausdauern und
begann den entscheidenden Kampf.

»Sie scheinen, mein Herr, zu vergessen, daß ich Ihnen zwar erlaubt habe,
unter gewissen Bedingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß ich mir
aber meine völlige Freiheit vorbehalten habe.« -- »Wenn Sie befehlen, so
pack' ich ein.« Die Drohung war ihm geläufig. Ich schwieg; er setzte
sich gleich daran, meinen Schatten wieder zusammenzurollen. Ich
erblaßte, aber ich ließ es stumm geschehen. Es erfolgte ein langes
Stillschweigen. Er nahm zuerst das Wort: »Sie können mich nicht leiden,
mein Herr, Sie hassen mich, ich weiß es; doch warum hassen Sie mich? Ist
es etwa, weil Sie mich auf öffentlicher Straße angefallen und mir mein
Vogelnest mit Gewalt zu rauben gemeint? oder ist es darum, daß Sie mein
Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaubten,
mir diebischerweise zu entwenden gesucht haben? Ich meinerseits hasse
Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vorteile,
List und Gewalt geltend zu machen suchen; daß Sie übrigens die
allerstrengsten Grundsätze haben und wie die Ehrlichkeit selbst denken,
ist eine Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. -- Ich denke in der
Tat nicht so streng als Sie; ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab'
ich Ihnen etwa irgendwann den Daumen auf die Gurgel gedrückt, um Ihre
werteste Seele, zu der ich einmal Lust habe, an mich zu bringen? Hab'
ich von wegen meines ausgetauschten Säckels einen Diener auf Sie
losgelassen? hab' ich Ihnen damit durchzugehen versucht?« Ich hatte
dagegen nichts zu erwidern; er fuhr fort: »Schon recht, mein Herr, schon
recht! Sie können mich nicht leiden; auch das begreife ich wohl und
verarge es Ihnen weiter nicht. Wir müssen scheiden, das ist klar, und
auch Sie fangen an, mir sehr langweilig vorzukommen. Um sich also meiner
ferneren beschämenden Gegenwart völlig zu entziehen, rate ich es Ihnen
noch einmal: Kaufen Sie mir das Ding ab.« -- Ich hielt ihm den Säckel
hin: »Um den Preis.« -- »Nein!« -- Ich seufzte schwer auf und nahm
wieder das Wort: »Auch also. Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns
scheiden, vertreten Sie mir länger nicht den Weg auf einer Welt, die
hoffentlich geräumig genug ist für uns beide.« Er lächelte und
erwiderte: »Ich gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unterrichten,
wie Sie mir klingeln können, wenn Sie je Verlangen nach Ihrem
untertänigsten Knecht tragen sollten: Sie brauchen nur Ihren Säckel zu
schütteln, daß die ewigen Goldstücke darinnen rasseln, der Ton zieht
mich augenblicklich an. Ein jeder denkt auf seinen Vorteil in dieser
Welt: Sie sehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht bin, denn ich
eröffne Ihnen offenbar eine neue Kraft! -- O dieser Säckel! -- Und
hätten gleich die Motten Ihren Schatten schon aufgefressen, der würde
noch ein starkes Band zwischen uns sein. Genug, Sie haben mich an meinem
Gold, befehlen Sie auch in der Ferne über Ihren Knecht, Sie wissen, daß
ich mich meinen Freunden dienstfertig genug erweisen kann, und daß die
Reichen besonders gut mit mir stehen; Sie haben es selbst gesehen. --
Nur Ihren Schatten, mein Herr -- das lassen Sie sich gesagt sein -- nie
wieder, als unter einer einzigen Bedingung.«

Gestalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich frug ihn schnell:
»Hatten Sie eine Unterschrift vom Herrn _John_?« -- Er lächelte. -- »Mit
einem so guten Freund hab' ich es keineswegs nötig gehabt.« -- »Wo ist
er? bei Gott, ich will es wissen!« Er steckte zögernd die Hand in die
Tasche, und daraus bei den Haaren hervorgezogen erschien _Thomas Johns_
bleiche, entstellte Gestalt, und die blauen Leichenlippen bewegten sich
zu schweren Worten: #»Justo judicio Dei judicatus sum; justo judicio Dei
condemnatus sum.«# Ich entsetzte mich, und schnell den klingenden Säckel
in den Abgrund werfend, sprach ich zu ihm die letzten Worte: »So
beschwör' ich dich im Namen Gottes, Entsetzlicher! hebe dich von dannen
und lasse dich nie wieder vor meinen Augen blicken!« Er erhub sich
finster und verschwand sogleich hinter den Felsenmassen, die den wild
bewachsenen Ort begrenzten.


9.

Ich saß da ohne Schatten und ohne Geld; aber ein schweres Gewicht war
von meiner Brust genommen, ich war heiter. Hätte ich nicht auch meine
Liebe verloren, oder hätt' ich mich nur bei deren Verlust vorwurfsfrei
gefühlt, ich glaube, ich hätte glücklich sein können -- ich wußte aber
nicht, was ich anfangen sollte. Ich durchsuchte meine Taschen und fand
noch einige Goldstücke darin; ich zählte sie und lachte. -- Ich hatte
meine Pferde unten im Wirtshause, ich schämte mich, dahin
zurückzukehren, ich mußte wenigstens den Untergang der Sonne erwarten;
sie stand noch hoch am Himmel. Ich legte mich in den Schatten der
nächsten Bäume und schlief ruhig ein.

Anmutige Bilder verwoben sich mir im luftigen Tanze zu einem gefälligen
Traum. _Mina_, einen Blumenkranz in den Haaren, schwebte an mir vorüber
und lächelte mich freundlich an. Auch der ehrliche _Bendel_ war mit Blumen
bekränzt und eilte mit freundlichem Gruße vorüber. Viele sah ich noch,
und wie mich dünkt, auch dich, _Chamisso_, im fernen Gewühl; ein helles
Licht schien, es hatte aber keiner einen Schatten, und was seltsamer
ist, es sah nicht übel aus -- Blumen und Lieder, Liebe und Freude, unter
Palmenhainen. -- -- Ich konnte die beweglichen, leicht verwehten,
lieblichen Gestalten weder festhalten noch deuten; aber ich weiß, daß
ich gerne solchen Traum träumte und mich vor dem Erwachen in acht nahm;
ich wachte wirklich schon und hielt noch die Augen zu, um die weichenden
Erscheinungen länger vor meiner Seele zu behalten.

Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne stand noch am Himmel, aber im
Osten; ich hatte die Nacht verschlafen. Ich nahm es für ein Zeichen, daß
ich nicht nach dem Wirtshause zurückkehren sollte. Ich gab leicht, was
ich dort noch besaß, verloren und beschloß, eine Nebenstraße, die durch
den waldbewachsenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuß einzuschlagen, dem
Schicksal es anheimstellend, was es mit mir vor hatte, zu erfüllen. Ich
schaute nicht hinter mich zurück und dachte auch nicht daran, an _Bendel_,
den ich reich zurückgelassen hatte, mich zu wenden, welches ich
allerdings gekonnt hätte. Ich sah mich an auf den neuen Charakter, den
ich in der Welt bekleiden sollte: mein Anzug war sehr bescheiden. Ich
hatte eine alte schwarze Kurtka an, die ich schon in Berlin getragen,
und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieser Reise erst wieder in die Hand
gekommen war. Ich hatte sonst eine Reisemütze auf dem Kopf und ein Paar
alte Stiefel an den Füßen. Ich erhob mich, schnitt mir an selbiger
Stelle einen Knotenstock zum Andenken und trat sogleich meine Wanderung
an.

Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich freundlich begrüßte,
und mit dem ich mich in ein Gespräch einließ. Ich erkundigte mich, wie
ein wißbegieriger Reisender, erst nach dem Wege, dann nach der Gegend
und deren Bewohner, den Erzeugnissen des Gebirges und derlei mehr. Er
antwortete verständig und redselig auf meine Fragen. Wir kamen an das
Bette eines Bergstromes, der über einen weiten Strich des Waldes seine
Verwüstung verbreitet hatte. Mich schauderte innerlich vor dem
sonnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber
mitten im gefährlichen Orte still und wandte sich zu mir, um mir die
Geschichte dieser Verwüstung zu erzählen. Er bemerkte bald, was mir
fehlte und hielt mitten in seiner Rede ein: »Aber wie geht denn das zu,
der Herr hat ja keinen Schatten!« -- »Leider! leider!« erwiderte ich
seufzend. »Es sind mir während einer bösen langen Krankheit Haare, Nägel
und Schatten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter die Haare, die
ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel sehr kurz und der
Schatten, der will noch nicht wieder wachsen.« -- »Ei! ei!« versetzte
der alte Mann kopfschüttelnd, »keinen Schatten, das ist bös! das war
eine böse Krankheit, die der Herr gehabt hat.« Aber er hub seine
Erzählung nicht wieder an, und bei dem nächsten Querweg, der sich
darbot, ging er, ohne ein Wort zu sagen, von mir ab. -- Bittere Tränen
zitterten aufs neue auf meinen Wangen und meine Heiterkeit war hin.

Ich setzte traurigen Herzens meinen Weg fort und suchte ferner keines
Menschen Gesellschaft. Ich hielt mich im dunkelsten Walde und mußte
manchmal, um über einen Strich, wo die Sonne schien, zu kommen,
stundenlang darauf warten, daß mir keines Menschen Auge den Durchgang
verbot. Am Abend suchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich ging
eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde
zu finden gedachte; denn davon abgesehen, daß meine jetzige Lage mir
gebot, für meinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, hatte ich dieses
wohl erkannt, daß mich allein angestrengte Arbeit gegen meine
zerstörenden Gedanken schützen könnte.

Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den Weg, aber auf
Kosten meiner Stiefel, deren Sohlen für den _Grafen Peter_ und nicht für
den Fußknecht berechnet worden. Ich ging schon auf den bloßen Füßen. Ich
mußte ein Paar neue Stiefel anschaffen. Am nächsten Morgen besorgte ich
dieses Geschäft mit vielem Ernst in einem Flecken, wo Kirmes war, und wo
in einer Bude alte und neue Stiefel zu Kauf standen. Ich wählte und
handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich gern gehabt hätte,
Verzicht leisten; mich schreckte die unbillige Forderung. Ich begnügte
mich also mit alten, die noch gut und stark waren, und die mir der
schöne blondlockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich bare
Bezahlung freundlich lächelnd einhändigte, indem er mir Glück auf den
Weg wünschte. Ich zog sie gleich an und ging zum nördlich gelegenen Tor
aus dem Ort.

Ich war in meinen Gedanken sehr vertieft und sah kaum, wo ich den Fuß
hinsetzte, denn ich dachte an das Bergwerk, wo ich auf den Abend noch
anzulangen hoffte, und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich
ankündigen sollte. Ich war noch keine zweihundert Schritte gegangen, als
ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war; ich sah mich danach um,
ich befand mich in einem wüsten, uralten Tannenwalde, woran die Axt nie
gelegt worden zu sein schien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich
sah mich mitten unter öden Felsen, die nur mit Moos und Steinbrecharten
bewachsen waren, und zwischen welchen Schnee- und Eisfelder lagen. Die
Luft war sehr kalt, ich sah mich um, der Wald war hinter mir
verschwunden. Ich machte noch einige Schritte -- um mich herrschte die
Stille des Todes, unabsehbar dehnte sich das Eis, worauf ich stand und
worauf ein dichter Nebel schwer ruhte; die Sonne stand blutig am Rande
des Horizontes. Die Kälte war unerträglich. Ich wußte nicht, wie mir
geschehen war, der erstarrende Frost zwang mich, meine Schritte zu
beschleunigen, ich vernahm nur das Gebrause ferner Gewässer, ein
Schritt, und ich war am Eisufer eines Ozeans. Unzählbare Herden von
Seehunden stürzten sich vor mir rauschend in die Flut. Ich folgte diesem
Ufer, ich sah wieder nackte Felsen, Land, Birken- und Tannenwälder, ich
lief noch ein paar Minuten gerade vor mir hin. Es war erstickend heiß,
ich sah mich um, ich stand zwischen schön gebauten Reisfeldern unter
Maulbeerbäumen. Ich setzte mich in deren Schatten, ich sah nach meiner
Uhr, ich hatte vor nicht einer Viertelstunde den Marktflecken verlassen
-- ich glaubte zu träumen, ich biß mich in die Zunge, um mich zu
erwecken; aber ich wachte wirklich. -- Ich schloß die Augen zu, um meine
Gedanken zusammenzufassen. -- Ich hörte vor mir seltsame Silben durch
die Nase zählen; ich blickte auf: zwei Chinesen an der asiatischen
Gesichtsbildung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung keinen
Glauben beimessen wollte, redeten mich mit landesüblichen Begrüßungen in
ihrer Sprache an; ich stand auf und trat zwei Schritte zurück. Ich sah
sie nicht mehr, die Landschaft war ganz verändert: Bäume, Wälder statt
der Reisfelder. Ich betrachtete diese Bäume und die Kräuter, die um
mich blühten; die ich kannte, waren südöstlich asiatische Gewächse; ich
wollte auf den einen Baum zugehen, ein Schritt -- und wiederum alles
verändert. Ich trat nun an, wie ein Rekrut, der geübt wird, und schritt
langsam, gesetzt einher. Wunderbare veränderliche Länder, Fluren, Auen,
Gebirge, Steppen, Sandwüsten entrollen sich vor meinem staunenden Blick;
es war kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenstiefel an den Füßen.


10.

Ich fiel in stummer Andacht auf meine Knie und vergoß Tränen des Dankes
-- denn klar stand plötzlich meine Zukunft vor meiner Seele. Durch frühe
Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, ward ich zum
Ersatz an die Natur, die ich stets geliebt, gewiesen, die Erde mir zu
einem reichen Garten gegeben, das Studium zur Richtung und Kraft meines
Lebens, zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es war nicht ein Entschluß, den
ich faßte. Ich habe nur seitdem, was da hell und vollendet im Urbild vor
mein inneres Auge trat, getreu mit stillem, strengem, unausgesetztem
Fleiß darzustellen gesucht, und meine Selbstzufriedenheit hat von dem
Zusammenfallen des Dargestellten mit dem Urbild abgehangen.

Ich raffte mich auf, um ohne Zögern mit flüchtigem Überblick Besitz von
dem Felde zu nehmen, wo ich künftig ernten wollte. -- Ich stand auf den
Höhen des Tibet, und die Sonne, die mir vor wenigen Stunden aufgegangen
war, neigte sich hier schon am Abendhimmel, ich durchwanderte Asien von
Osten gegen Westen, sie in ihrem Lauf einholend, und trat in Afrika ein.
Ich sah mich neugierig darin um, indem ich es wiederholt in allen
Richtungen durchmaß. Wie ich durch Ägypten die alten Pyramiden und
Tempel angaffte, erblickte ich in der Wüste, unfern des hunderttorigen
Theben, die Höhlen, wo christliche Einsiedler sonst wohnten. Es stand
plötzlich fest und klar in mir, hier ist dein Haus. -- Ich erkor eine
der verborgensten, die zugleich geräumig, bequem und den Schakalen
unzugänglich war, zu meinem künftigen Aufenthalte und setzte meinen Stab
weiter.

Ich trat bei den Herkulessäulen nach Europa über, und nachdem ich seine
südlichen und nördlichen Provinzen in Augenschein genommen, trat ich von
Nordasien über den Polargletscher nach Grönland und Amerika über,
durchschweifte die beiden Teile dieses Kontinents, und der Winter, der
schon im Süden herrschte, trieb mich schnell vom Kap Horn nordwärts
zurück.

Ich verweilte mich, bis es im östlichen Asien Tag wurde, und setzte erst
nach einiger Ruh' meine Wanderung fort. Ich verfolgte durch beide
Amerika die Bergkette, die die höchsten bekannten Unebenheiten unsrer
Kugel in sich faßt. Ich schritt langsam und vorsichtig von Gipfel zu
Gipfel, bald über flammende Vulkane, bald über beschneite Kuppeln, oft
mit Mühe atmend, ich erreichte den Eliasberg und sprang über die
Beringstraße nach Asien. -- Ich verfolgte dessen westliche Küste in
ihren vielfachen Wendungen und untersuchte mit besonderer
Aufmerksamkeit, welche der dort gelegenen Inseln mir zugänglich wären.
Von der Halbinsel Malakka trugen mich meine Stiefel auf Sumatra, Java,
Bali und Lamboc, ich versuchte, selbst oft mit Gefahr und dennoch immer
vergebens, mir über die kleinern Inseln und Felsen, wovon dieses Meer
starrt, einen Übergang nordwestlich nach Borneo und andern Inseln dieses
Archipelagus zu bahnen. Ich mußte die Hoffnung aufgeben. Ich setzte mich
endlich auf die äußerste Spitze von Lamboc nieder, und das Gesicht gegen
Süden und Osten gewendet, weint' ich wie am festverschlossenen Gitter
meines Kerkers, daß ich doch so bald meine Begrenzung gefunden. Das
merkwürdige, zum Verständnis der Erde und ihres sonnengewirkten Kleides,
der Pflanzen- und Tierwelt, so wesentlich notwendige Neuholland und die
Südsee mit ihren Zoophyteninseln waren mir untersagt, und so war im
Ursprunge schon alles, was ich sammeln und erbauen sollte, bloßes
Fragment zu bleiben verdammt. -- O mein _Adelbert_, was ist es doch um die
Bemühungen der Menschen!

Oft habe ich im strengsten Winter der südlichen Halbkugel vom Kap Horn
aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa vom Land van Diemen und
Neuholland trennten, selbst unbekümmert um die Rückkehr, und sollte sich
dieses schlechte Land über mich, wie der Deckel meines Sarges,
schließen, über den Polargletscher westwärts zurückzulegen versucht,
habe über Treibeis mit törichter Wagnis verzweiflungsvolle Schritte
getan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten. Umsonst, noch bin ich auf
Neuholland nicht gewesen -- ich kam dann jedesmal auf Lamboc zurück und
setzte mich auf seine äußerste Spitze nieder, und weinte wieder, das
Gesicht gen Süden und Osten gewendet, wie am festverschlossenen Gitter
meines Kerkers.

Ich riß mich endlich von dieser Stelle und trat mit traurigem Herzen
wieder in das innere Asien, ich durchschweifte es fürder, die
Morgendämmerung nach Westen verfolgend, und kam noch in der Nacht in die
Thebais zu meinem vorbestimmten Hause, das ich in den gestrigen
Nachmittagstunden berührt hatte.

Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa war, ließ ich meine
erste Sorge sein, alles anzuschaffen, was ich bedurfte. -- Zuvörderst
Hemmschuhe, denn ich hatte erfahren, wie unbequem es sei, seinen Schritt
nicht anders verkürzen zu können, um nahe Gegenstände gemächlich zu
untersuchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar Pantoffeln,
übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich mir davon versprach, und
späterhin trug ich sogar deren immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters
welche von den Füßen warf, ohne Zeit zu haben, sie aufzuheben, wenn
Löwen, Menschen oder Hyänen mich beim Botanisieren aufschreckten. Meine
sehr gute Uhr war auf die kurze Dauer meiner Gänge ein vortreffliches
Chronometer. Ich brauchte noch außerdem einen Sextanten, einige
physikalische Instrumente und Bücher.

Ich machte, dieses alles herbeizuschaffen, etliche bange Gänge nach
London und Paris, die ein mir günstiger Nebel eben beschattete. Als der
Rest meines Zaubergoldes erschöpft war, bracht' ich leicht zu findendes
afrikanisches Elfenbein als Bezahlung herbei, wobei ich freilich die
kleinsten Zähne, die meine Kräfte nicht überstiegen, auswählen mußte.
Ich ward bald mit allem versehen und ausgerüstet, und ich fing sogleich
als privatisierender Gelehrter meine neue Lebensweise an.

Ich streifte auf der Erde umher, bald ihre Höhen, bald die Temperatur
ihrer Quellen und die der Luft messend, bald Tiere beobachtend, bald
Gewächse untersuchend; ich eilte von dem Äquator nach dem Pole, von der
einen Welt nach der andern, Erfahrungen mit Erfahrungen vergleichend.
Die Eier der afrikanischen Strauße oder der nördlichen Seevögel und
Früchte, besonders der Tropenpalmen und Bananen, waren meine
gewöhnlichste Nahrung. Für mangelndes Glück hatt' ich als Surrogat die
Nikotiana und für menschliche Teilnahme und Bande die Liebe eines treuen
Pudels, der mir meine Höhle in der Thebais bewachte, und wenn ich mit
neuen Schätzen beladen zu ihm zurückkehrte, freudig an mich sprang und
es mich doch menschlich empfinden ließ, daß ich nicht allein auf der
Erde sei. Noch sollte mich ein Abenteuer unter die Menschen
zurückführen.


11.

Als ich einst auf Nordlands Küsten, meine Stiefel gehemmt, Flechten und
Algen sammelte, trat mir unversehens um die Ecke eines Felsens ein
Eisbär entgegen. Ich wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine
gegenüberliegende Insel treten, zu der mir ein dazwischen aus den Wellen
hervorragender nackter Felsen den Übergang bahnte. Ich trat mit dem
einen Fuß auf den Felsen fest auf und stürzte auf der andern Seite in
das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel am andern Fuße haften
geblieben war.

Die große Kälte ergriff mich, ich rettete mit Mühe mein Leben aus dieser
Gefahr; sobald ich Land hielt, lief ich, so schnell ich konnte, nach der
Libyschen Wüste, um mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber
ausgesetzt war, brannte sie mir so heiß auf den Kopf, daß ich sehr krank
wieder nach Norden taumelte. Ich suchte durch heftige Bewegung mir
Erleichterung zu verschaffen und lief mit unsichern raschen Schritten
von Westen nach Osten und von Osten nach Westen. Ich befand mich bald in
dem Tag und bald in der Nacht, bald im Sommer und bald in der
Winterkälte.

Ich weiß nicht, wie lange ich so auf der Erde herumtaumelte. Ein
brennendes Fieber glühte durch meine Adern, ich fühlte mit großer Angst
die Besinnung mich verlassen. Noch wollte das Unglück, daß ich bei so
unvorsichtigem Laufen jemanden auf den Fuß trat. Ich mochte ihm weh
getan haben; ich erhielt einen starken Stoß und ich fiel hin. --

Als ich zuerst zum Bewußtsein zurückkehrte, lag ich gemächlich in einem
guten Bette, das unter vielen andern Betten in einem geräumigen und
schönen Saale stand. Es saß mir jemand zu Häupten; es gingen Menschen
durch den Saal von einem Bette zum andern. Sie kamen vor das meine und
unterhielten sich von mir. Sie nannten mich aber _Numero Zwölf_, und an
der Wand zu meinen Füßen stand doch ganz gewiß, es war keine Täuschung,
ich konnte es deutlich lesen, auf schwarzer Marmortafel mit großen
goldenen Buchstaben mein Name

                         PETER SCHLEMIHL

ganz richtig geschrieben. Auf der Tafel standen noch unter meinem Namen
zwei Reihen Buchstaben, ich war aber zu schwach, um sie zusammen zu
bringen, ich machte die Augen wieder zu. --

Ich hörte etwas, worin von _Peter Schlemihl_ die Rede war, laut und
vernehmlich ablesen, ich konnte aber den Sinn nicht fassen; ich sah
einen freundlichen Mann und eine sehr schöne Frau in schwarzer Kleidung
vor meinem Bette erscheinen. Die Gestalten waren mir nicht fremd und ich
konnte sie nicht erkennen.

Es verging einige Zeit und ich kam wieder zu Kräften. Ich hieß _Numero
Zwölf_, und _Numero Zwölf_ galt seines langen Bartes wegen für einen Juden,
darum er aber nicht minder sorgfältig gepflegt wurde. Daß er keinen
Schatten hatte, schien unbemerkt geblieben zu sein. Meine Stiefel
befanden sich, wie man mich versicherte, nebst allem, was man bei mir
gefunden, als ich hierher gebracht worden, in gutem und sicherm
Gewahrsam, um mir nach meiner Genesung wieder zugestellt zu werden. Der
Ort, worin ich krank lag, hieß das SCHLEMIHLIUM; was täglich von _Peter
Schlemihl_ abgelesen wurde, war eine Ermahnung, für denselben, als den
Urheber und Wohltäter dieser Stiftung, zu beten. Der freundliche Mann,
den ich an meinem Bette gesehen hatte, war _Bendel_, die schöne Frau war
_Mina_.

Ich genas unerkannt im _Schlemihlio_ und erfuhr noch mehr, ich war in
_Bendels_ Vaterstadt, wo er aus dem Überrest meines sonst nicht gesegneten
Goldes dieses Hospitium, wo Unglückliche mich segneten, unter meinem
Namen gestiftet hatte, und er führte über dasselbe die Aufsicht. _Mina_
war Witwe, ein unglücklicher Kriminalprozeß hatte dem Herrn _Raskal_ das
Leben und ihr selbst ihr mehrstes Vermögen gekostet. Ihre Eltern waren
nicht mehr. Sie lebte hier als eine gottesfürchtige Witwe und übte Werke
der Barmherzigkeit.

Sie unterhielt sich einst am Bette Numero Zwölf mit dem Herrn Bendel:
»Warum, edle Frau, wollen Sie sich so oft der bösen Luft, die hier
herrscht, aussetzen? Sollte denn das Schicksal mit Ihnen so hart sein,
daß Sie zu sterben begehrten?« -- »Nein, Herr _Bendel_, seit ich meinen
langen Traum ausgeträumt habe und in mir selber erwacht bin, geht es mir
wohl, seitdem wünsche ich nicht mehr und fürchte nicht mehr den Tod.
Seitdem denke ich heiter an Vergangenheit und Zukunft. Ist es nicht auch
mit stillem innerlichen Glück, daß Sie jetzt auf so gottselige Weise
Ihrem Herren und Freunde dienen?« -- »Sei Gott gedankt, ja, edle Frau.
Es ist uns doch wundersam ergangen, wir haben viel Wohl und bitteres Weh
unbedachtsam aus dem vollen Becher geschlürft. Nun ist er leer; nun
möchte einer meinen, das sei alles nur die Probe gewesen, und mit kluger
Einsicht gerüstet, den wirklichen Anfang erwarten. Ein andrer ist nun
der wirkliche Anfang und man wünscht das erste Gaukelspiel nicht zurück,
und ist dennoch im ganzen froh, es, wie es war, gelebt zu haben. Auch
find' ich in mir das Zutrauen, daß es nun unserm alten Freunde besser
ergehen muß als damals.« -- »Auch in mir,« erwiderte die schöne Witwe,
und sie gingen an mir vorüber.

Dieses Gespräch hatte einen tiefen Eindruck in mir zurückgelassen; aber
ich zweifelte im Geiste, ob ich mich zu erkennen geben oder unerkannt
von dannen gehen sollte. -- Ich entschied mich. Ich ließ mir Papier und
Bleistift geben und schrieb die Worte:

   »Auch eurem alten Freunde ergeht es nun besser als damals, und büßet
   er, so ist es Buße der Versöhnung.«

Hierauf begehrte ich mich anzuziehen, da ich mich stärker befände. Man
holte den Schlüssel zu dem kleinen Schrank, der neben meinem Bette
stand, herbei. Ich fand alles, was mir gehörte, darin. Ich legte meine
Kleider an, hing meine botanische Kapsel, worin ich mit Freuden meine
nordischen Flechten wieder fand, über meine schwarze Kurtka um, zog
meine Stiefel an, legte den geschriebenen Zettel auf mein Bett, und
sowie die Tür aufging, war ich schon weit auf dem Wege nach der Thebais.

Wie ich längs der syrischen Küste den Weg, auf dem ich mich zum
letztenmal vom Hause entfernt harte, zurücklegte, sah ich mir meinen
armen Figaro entgegenkommen. Dieser vortreffliche Pudel schien seinem
Herrn, den er lange zu Hause erwartet haben mochte, auf der Spur
nachgehen zu wollen. Ich stand still und rief ihm zu. Er sprang bellend
an mich mit tausend rührenden Äußerungen seiner unschuldigen
ausgelassenen Freude. Ich nahm ihn unter den Arm, denn freilich konnte
er mir nicht folgen, und brachte ihn mit mir wieder nach Hause.

Ich fand dort alles in der alten Ordnung und kehrte nach und nach, sowie
ich wieder Kräfte bekam, zu meinen vormaligen Beschäftigungen und zu
meiner alten Lebensweise zurück. Nur daß ich mich ein ganzes Jahr
hindurch der mir ganz unzuträglichen Polarkälte enthielt.

Und so, mein lieber _Chamisso_, leb' ich noch heute. Meine Stiefel nutzen
sich nicht ab, wie das sehr gelehrte Werk des berühmten #_Tieckius_, de
rebus gestis Pollicilli#, es mich anfangs befürchten lassen. Ihre Kraft
bleibt ungebrochen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab' ich den Trost,
sie an einen Zweck in fortgesetzter Richtung und nicht fruchtlos
verwendet zu haben. Ich habe, so weit meine Stiefel gereicht, die Erde,
ihre Gestaltung, ihre Höhen, ihre Temperatur, ihre Atmosphäre in ihrem
Wechsel, die Erscheinungen ihrer magnetischen Kraft, das Leben auf ihr,
besonders im Pflanzenreiche, gründlicher kennen gelernt, als vor mir
irgendein Mensch. Ich habe die Tatsachen mit möglichster Genauigkeit in
klarer Ordnung aufgestellt in mehreren Werken, meine Folgerungen und
Ansichten flüchtig in einigen Abhandlungen niedergelegt. -- Ich habe die
Geographie vom Innern von Afrika und von den nördlichen Polarländern,
vom Innern von Asien und von seinen östlichen Küsten festgesetzt. Meine
#Historia stirpium plantarum utriusque orbis# steht da als ein großes
Fragment der #Flora universalis terrae# und als ein Glied meines #Systema
naturae#. Ich glaube darin nicht bloß die Zahl der bekannten Arten mäßig
um mehr als ein Drittel vermehrt zu haben, sondern auch etwas für das
natürliche System und für die Geographie der Pflanzen getan zu haben.
Ich arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde Sorge tragen, daß
vor meinem Tode meine Manuskripte bei der Berliner Universität
niedergelegt werden.

Und dich, mein lieber _Chamisso_, hab' ich zum Bewahrer meiner wundersamen
Geschichte erkoren, auf daß sie vielleicht, wenn ich von der Erde
verschwunden bin, manchen ihrer Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen
könne. Du aber, mein Freund, willst du unter den Menschen leben, so
lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Geld. Willst du nur
dir und deinem bessern Selbst leben, o so brauchst du keinen Rat.

                  #Explicit.#




     An Adelbert von Chamisso.


     Trifft Frank' und Deutscher jetzt zusammen
       Und jeder edlen Muts entbrannt,
       So fährt ans tapfre Schwert die Hand
     Und Kampf entsprüht in wilden Flammen.

     Wir treffen uns auf höherm Feld,
       Wir zwei verklärt in reinerm Feuer.
       Heil dir, mein Frommer, mein Getreuer,
     Und dem, was uns verbunden hält!

     1813.                             Fouqué.





                  Ende.




Peter Schlemihls wundersame Geschichte.


Inhalt.

                                                      Seite

   An meinen alten Freund Peter Schlemihl             3

   An Julius Eduard Hitzig von Adelbert von Chamisso  5

   An Ebendenselben von Fouqué                        6

   An Fouqué von Hitzig                               8

   Peter Schlemihls wundersame Geschichte             11

   An Adelbert von Chamisso                           78


       *       *       *       *       *


Verlag von Philipp Reclam jun. in Leipzig.

     +Adelbert von Chamissos+

     Sämtliche Werke

     in vier Bänden.

     Mit einer Anzahl bisher ungedruckter Gedichte.

     Herausgegeben und eingeleitet von Prof. #Dr.# Ludwig Geiger.

     Mit zwei Bildnissen des Dichters.

+Inhalt:+

     +1. Band.+ Biographische Einleitung.
     -- Der Dichter. -- Lieder
     und lyrisch-epische Gedichte.

     +2. Band.+ Sonette und Terzinen.
     -- Gelegenheitsgedichte. -- Erste
     Nachlese zu den Gedichten. -- Zweite
     Nachlese zu allen Abteilungen. --
     In dramatischer Form. -- Übersetzungen.
     -- Adelberts Fabel. --
     Peter Schlemihls wundersame Geschichte.

     +3. Band.+ Reise um die Welt.
     1. Teil: Tagebuch.

     +4. Band.+ Reise um die Welt.
     2. Teil: Anhang. -- Bemerkungen
     und Ansichten.

+Preis geheftet Mk. 2.--. In 2 modernen biegsamen Ganzleinenbänden Mk.
2.50. In 2 biegsamen Lederbänden mit Goldschnitt Mk. 6.--.+


       *       *      *       *       *


Adelbert von Chamissos poetische und erzählende Werke.

Mit einer Anzahl bisher ungedruckter Gedichte. Herausgegeben und
eingeleitet von Professor #Dr.# Ludwig Geiger. Mit Chamissos Bildnis. In 1
modernen biegsamen Ganzleinenband Mk. 1.25.

       *       *       *       *       *

+Gedichte von Adelbert von Chamisso.+

Mit Chamissos Bildnis. Univ.-Bibl. Nr. 314-317. Geh. 80 Pf., geb. M.
1.20.

In Lederband mit Goldschnitt M. 2.--.

       *       *       *       *       *

+Peter Schlemihls wundersame Geschichte.+

Mitgeteilt von Adelbert von Chamisso.

Univ.-Bibliothek Nr. 93. Geh. 20 Pf., geb. 60 Pf.

       *       *       *       *       *

+Adelbert von Chamissos Biographie+

von Ludwig Geiger.

Mit Chamissos Bildnis. Univ.-Bibl. Nr. 4951. Geh. 20 Pf., geb. 60 Pf.




Anmerkungen zur Transkription:

Die Originalschreibweise und kleinere Inkonsistenzen in der Formatierung
wurden prinzipiell beibehalten. Nur offensichtliche Druckfehler im Text
wurden korrigiert.

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Textauszeichnungen wurden
folgendermaßen gekennzeichnet:

     Sperrung: _gesperrter Text_
     Antiquaschrift: #Antiquatext#
     Fett gedruckter Text: +fett gedruckter Text+

Auflistung der gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen:

   Fußnote [3]: worauf sich dies bezog. --> Satzschlusszeichen (Punkt)
   ergänzt.
   Seite 21: Ich gedachte mit Grauen des fürcherlichen -->
   fürchterlichen









End of the Project Gutenberg EBook of Peter Schlemihl's wundersame Geschichte, by 
Adelbert von Chamisso

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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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